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Die Brunnenstunde hatte geschlagen. Der heiterste Sommermorgen lachte von dem italienischen Himmel, und in verschiedenartigen Gruppen sah man schon die Badegäste um die Heilquelle sich lagern.
Brillanter war N**** nie gewesen, als dieses Jahr. Gesunde und Kranke der vornehmsten Stände drängten sich durch das bewegte Leben, das der Brunnen täglich darbot. Das Auge der Männer prüfte mit forschendem Blick die Reize der lieblichen Damenwelt, die züchtig verhüllt im elegantesten Morgenkleide sich hier und dort in anmuthig tändelndem Gespräch verweilte; und die Frauen forschten zuweilen im Kreise umher, ob Der zugegen, der Dieser oder Jener das einfache Wasser der Quelle zu einem Herz und Leben durchglühenden Feuertrank umgewandelt hatte.
Endlich war fast die ganze schöne Welt versammelt, nur zwei Erscheinungen fehlten noch, die, ohne es zu wissen, nach und nach zum Gegenstande des allgemeinen, ungetheiltesten Interesse geworden waren, und die sich gegenseitig eben so fremd, als gleichgültig gegen ihre neugierige Umgebung schienen. Schon fragte die Gräfin A*** ihre Nichte, die reizende Marquise S***: »wo bleibt wohl heute unser seltsamer Fremder?« als der Erwartete sich schweigend nahte, und ohne der Blicke zu achten, die ihm aus manchem schönen Auge entgegenflogen, kalt und ruhig in den belebten Kreis trat. Ernst blickte er um sich her, mit übergeschlagenen Armen lehnte er an einem Baum, und schien es nicht zu ahnen, daß er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Wie in Erwartung einer ersehnten Erscheinung starrte er vor sich hin, und dann zuweilen im Vorüberstreifen berührte sein Blick hier und dort eine lachende Blume des üppigen Flors, der ihn umgab; wohin dieser Blick traf, entzündete er, doch er schien es weder zu wissen, noch zu wollen.
Der Fremde mochte ein Mann von dreißig bis zwei und dreißig Jahren sein; eine hohe Gestalt, die weder voll noch hager, die edelste Haltung, verbunden mit einer Art vornehmer Nachlässigkeit, gaben der seltsamen, ja unheimlichen Erscheinung des Mannes etwas Imponirendes, welches sich in solcher Art auf seine ganze Umgebung erstreckte, daß man selbst einen merklichen Fehler in seinem Gang nicht beachtete. Sein geisterbleiches, längliches Gesicht, obgleich männlich schön, trug die sichtlichsten Spuren eines wüst durchschwelgten Lebens; und dennoch thronte auf seiner hohen Stirne ein genialer, erhabener Geist. Die dunkeln Augen wie in sehnsüchtigem Schmachten halb geschlossen, wenn er schwieg, belebten sich gluthsprühend, wenn er sprach, oder irgend ein Gedanke durch seine Seele zuckte, dann war es, als wolle er mit seinem mächtigen Blick jedes Menschenherz durchschauen bis in die geheimste Falte, und selten hielt ein Auge dem Blitz des seinen Stand. Die regelmäßig schöne Nase, die kühn gebogenen Brauen gaben dem Gesichte einen leisen Anstrich von Uebermuth, der überhaupt der stolzen Gestalt angeboren war. Auf seinen Lippen schien die Wollust zu thronen, und dennoch spielte ein Zug um seinen Mund, der jedem Liebesstrahl aus holdem Auge zu erwiedern schien: »ich verachte Dich!« Wenn er sprach, gewann sein Antlitz einen unwiderstehlichen Reiz, doch wie selten nur geschah dies; die schönen Züge waren meist entstellt von einem bittern, ironischen Lächeln, und sein ganzes Wesen trug den Stempel eines im Innersten zerrissenen Gemüths, das jeden Trost verschmähte.
Es konnte nicht fehlen, daß ein in seiner Eigenthümlichkeit so auffallendes Benehmen, Aller Augen auf sich zog. Niemand kannte den Mann, er verschwieg seinen Namen nicht, aber wer hatte den Muth, diese unnahbare Erscheinung zu fragen, wer bist Du? – Seit drei Tagen erst war er angekommen; seine Kleidung war elegant, doch war es nicht zu läugnen, daß eine Art von Nachlässigkeit sich auch auf seine Toilette erstreckte. Einige hielten ihn für einen Deutschen, Andere für einen Engländer – so viel war gewiß, daß er mit sich und der Welt zerfallen schien, und schon deshalb ein Gegenstand der Neugierde und des Interesses Aller war.
*
Dies war die eine der erwähnten Gestalten; doch eben trat auch die andere auf, und Aller Augen wandten sich nach ihr.
Zwischen den Laubgängen herab schwebte ein hohes Weib dem Brunnen zu; langsam, als drückte sie eine schwere Last, näherte sie sich dem harrenden Kreise, der unwillkührlich schweigend ihrer Ankunft entgegen sah. Ein wallender Schleier vom feinsten Spitzengewebe verhüllte dreifach ihr Antlitz, und fiel theils über den Nacken, theils über die Brust, zu dem kostbaren persischen Shawlkleid, das sich verrätherisch an die vollendetsten Formen schmiegte, herab, und die ganze Gestalt ruhte auf einem Fuß, den selbst die eitelste Dame im Kreise für den schönsten erklärte, den sie je gesehen. Einen Schritt hinter ihr ging eine bejahrte Dienerin, verschleiert wie sie, gut gekleidet, und wie es schien, ängstlich besorgt jede Bewegung der Herrin beobachtend.
Schweigend, mit einer tiefen Verbeugung nahm sie den Platz ein, den ihr die Marquise S*** freundlich anbot. Die Dienerin brachte ihr den Brunnen, und reichte ihr mit einer Art von sklavischer Unterwürfigkeit das Glas hin, sie zog den einen Handschuh ab um es zu nehmen, und enthüllte eine Hand, weiß wie Schnee, ohne irgend eine Lebensfarbe, als ob sie aus Marmor gehauen wäre; leicht erhob sie den Schleier und leerte das Glas, ohne daß man einen Zug des Gesichtes zu sehen vermochte. Eine halbe Stunde saß sie dann, still vor sich hinschauend, ohne Theilnahme für irgend etwas in ihrer Umgebung zu zeigen; sie sprach nie, antwortete nur mit einer Kopfbeugung, wenn sie angeredet wurde, und verschwand eben so lautlos, als sie gekommen war.
So erschien sie seit zehn Tagen jeden Morgen am Brunnen, Niemand hatte einen Laut von ihr gehört, Niemand ihre Züge gesehen, Niemand wußte, woher sie kam, noch wer sie sei, und dennoch erzählte man sich die unglaublichsten Begebenheiten von ihr. Man wußte, daß sie taubstumm sei, daß sie, eine vornehme Verbrecherin, habe geloben müssen, sich nie ohne Schleier zu zeigen – kurz, die widersinnigsten und abgeschmacktesten Gerüchte durchliefen den Kreis; darin nur stimmten Alle überein, dass sie eine wunderbar schöne Gestalt habe, und das Fremdartige ihres Wesens höchst anziehend sei.
Auch heute verließ sie, wie sonst, schweigend ihren Platz, und ging still durch die Reihen der Männer; wie zufällig erhob sie einen Augenblick das Haupt, und ihr Blick begegnete dem Auge des Fremden. Bewegungslos stand sie eine Secunde vor ihm. Seine Blicke durchbohrten die Hülle ihres Antlitzes, die Züge suchend, die sich so sorglich vor dem Lichte des Tages zu bergen strebten. Da flammte durch das Gewebe des Schleiers ein Blitz ihm in die Seele, es schossen Strahlen aus den tiefverhüllten Augen in seine Brust – und ehe die Besinnung ihm wiederkehrte, war sie verschwunden.
Lange folgte sein Blick der Entschwebenden, dann fuhr er plötzlich, wie aus einem Traum erwachend, mit der flachen Hand über die Stirne, ein seltsam schneidendes Lächeln zuckte um seine Lippen, und zum ersten Male knüpfte er, gleichsam wie vor sich selbst entfliehend, ein Gespräch mit einem jungen Manne an, der zufällig an seiner Seite stand.
*
Reges Leben kehrte nun in die Gesellschaft wieder, die stumm der verschleierten Gestalt nachgesehen hatte. Wie sonderbar, daß sie gerade ihn eines Blickes gewürdigt hatte, ihn, auf den die Augen aller Damen heute gerichtet waren! – Das war genug, um den Stab über sie zu brechen.
»Es ist eine listige Coquette, die sich gern das Interessanteste aussuchen wollte« – rief die kleine Banquierswittwe, und warf einen brennenden Blick auf den Fremden.
Dieser aber bemerkte sie nicht, denn sein Auge hing unverwandt an dem Jüngling, den er angesprochen hatte, und der mit liebenswürdiger Offenheit sich mit ihm unterhielt. Er war ein junger deutscher Arzt, seine einfache, gediegene Art zu sprechen, sein helles, heiteres Auge erquickten den im Innern zerfallenen Mann; er ward gesprächig, sogar freundlich, und ging endlich Arm in Arm mit dem jungen Holm in der Allee auf und ab, die bunte Damenwelt keiner ferneren Beachtung würdigend.
»Ach« – seufzte die Marquise S*** – »sahen Sie wohl, Tante, daß er ihr mit einem glühenden Blick folgte? Dieser Mann – mir scheint er eben so unwiderstehlich, als unbegreiflich!«
»Ei, ei« – drohte die Gräfin – »Sie sind auf dem besten Wege, sich wieder einmal ernstlich zu verlieben! Nun, Sie sind eine junge, schöne Wittwe – reich, Ihr eigner Herr, wer kann Ihnen wehren, thöricht zu sein?«
»Wer?« – flüsterte sie hocherglühend – »ach, er selbst! Eine Stunde nur thöricht an seiner Brust, ich gäbe gern ein ganzes Leben voll Weisheit dafür hin! Welch ein himmlisches Gesicht, nie sprach mich eine Physiognomie mächtiger an; eine Reihe von Tugenden und Lastern scheint mir auf dieser Stirne zu schweben, und eben dies zieht mich so unwiderstehlich an ihn, ich fühle, ich könnte um einen Blick dieses Mannes selbst seine Laster lieben, wenn er deren hat. Sahen Sie, wie er in der Allee verschwand? Welch eine edle Haltung, welch ein Gang! Es däuchte mir einen Augenblick lang, er hinke ein wenig, aber, Gräfin, finden Sie nicht selbst, daß ihn auch das kleidet? Wer kann den Unbegreiflichen sehen, ohne von ihm bezaubert zu sein? Welch ein Auge! eine Welt von Geist und Lust, von Gluth und Verlangen, von rasender Liebe, und wildem, grimmigen Schmerz liegt in diesen wunderbaren Augen! Das schaudervolle Lächeln dieses Mundes – Tante, einmal dieses Lächeln, wenn ich ihm sagte, daß ich ihn liebe, es würde mich schärfer verwunden, als der giftigste Dolch – es würde mich vernichten!«
Der Abend war gekommen, Alles rüstete sich zur Maskerade, die im Salon gehalten werden sollte. Schon wogte die bunte Menge durch die erleuchteten Gemächer, schon flogen die heterogensten Paare in wildem Taumel dahin, schon sprangen tausend elektrische Funken hin und wieder, die da entzünden, beleben, erheitern und erobern, als endlich auch er, der stolze, räthselhafte Fremde eintrat, in einen schwarzen Domino gehüllt, einen Hut mit wehenden Federn, von einer kostbaren Demantschleife gehalten, leicht auf die edle Stirn geworfen, die Maske nur halb vor das Gesicht gedrückt. Augenblicklich war er erkannt und verfolgt, von den lieblichsten Gestalten geneckt, gehöhnt, angezogen und abgestoßen.
Eine Weile schien er nicht ohne Interesse sich dem bunten Gewirre hinzugeben, doch plötzlich, wie sich besinnend, spielte das alte sarkastische Lächeln um seine Lippen, halb verächtlich zog er die Schultern, und mit einer stolzen Wendung war er dem umringenden Schwarm entschwunden; er suchte die Spieltische, um seine Augen zu weiden an all den Convulsionen der verheerendsten Leidenschaft. Mit Wonne schien er die großen, verzerrten Züge eines Mannes zu studiren, der eben mit Todesangst auf das verhängnißvolle: » perd ou gagne!<« wartete, welches der Banquier nach einigen Minuten mit eisernem Gleichmuth aussprach. Der Unglückliche wandte sich verzweifelnd, und stürzte fort – da faßte der Fremde mit starker Hand seinen Arm, und fragte rasch:
»Was verloren Sie, mein Herr?«
»Ich Unglückseliger habe Weib und Kind, bin zum ersten Male in N****, und habe nun in acht Tagen mein ganzes Vermögen vergeudet – ich bin ein Bettler!«
»Wie viel ist's?« fragte der Fremde noch einmal.
»Zweitausend Louisd'or!«
»Zweitausend Louisd'or auf das Aß!« – rief der Räthselhafte, an den Tisch tretend. Erstaunt sah ihm der Banquier in das unheimliche Gesicht.
»Nun, wird's?« fragte Jener rasch.
»Aber, mein Herr« – sagte der Banquier »diese große Summe! – Ich habe nicht die Ehre Sie zu kennen.«
Ruhig zog der Fremde den Handschuh von der rechten Hand, legte diese gelassen auf den Tisch, und drei ungeheure Solitairs blitzten den erstaunten Zuschauern in die Augen.
»Abgezogen!« befahl er jetzt stolz.
Zitternd zog der Banquier ab, – » l'As gagne<,« stotterte er entsetzt.
Mit weit geöffneten Augen hatte der Fremde auf dieses Wort gewartet – jetzt wandte er sich gleichgültig zu dem unglücklichen Spieler, deutete auf das aufgeschichtete Geld, und sprach kalt: »Nehmen Sie, mein Herr, aber wehe Ihnen, wenn ich Sie noch einmal an einem Spieltische finde!« – Da flüsterte eine Stimme hinter ihm im reinsten Italienisch: »Das konntest nur Du!«
Die verschleierte Gestalt im purpurrothen Shawlkleide stand hinter ihm.
*
» Bist Du es, Weib, das mich anzieht mit unbegreiflicher Macht, deren Flammenblick in meiner Brust fortbrennt, und mich ruhelos umher treibt?« – flüsterte der Fremde, die geheimnißvolle Gestalt aus dem Spielzimmer hinwegziehend. – »Bist Du es, die mir hier erscheint wie ein Wesen aus einer fremden Welt? Sprich, Weib, wer bist Du, wo finde ich Dich, wie halte ich Dich?«
Unter glühendem Drängen zog er sie immer weiter mit sich fort durch die bunte Menge, durch den hell erleuchteten Saal, hinaus in die duftige, schweigende Sommernacht, in den blühenden Garten, durch die Laubgänge, bis sie endlich vor einer Bank standen, von üppigem Rasen umgrünt, und die Geheimnißvolle, die ihm halb willenlos zu folgen schien, athemlos und erschöpft niedersank.
»Antworte mir« – rief er, außer sich vor ihr niedersinkend – »antworte! Zeige mir die Züge, nach deren Anschauen ich lechze, zeige Dich mir!« Sein schönes Auge blickte glühend, flammend zu der Verschleierten auf, das Barett war herabgefallen, und die dunklen Locken wogten frei um die hohe Stirn; der Mond warf seine hellsten Strahlen auf die Gestalt des Knienden, und flehend rief er: »Wer bist Du – o zeige Dich mir, Du wunderbares Weib!«
»Und wenn ich Dir nun mein Antlitz enthülle« – flüsterte bebend eine wohlklingende Stimme »und wenn Du nicht die Züge findest, mit denen Dein reicher Geist, Deine glühende Phantasie mich schmücken, was dann?« – ihre Stimme bebte von einer mächtigen, innern Bewegung, sie hielt zitternd inne und lauschte seiner Antwort.
Er sprang empor, und zog sie stürmisch an seine Brust, da brannte ein heißer Kuß auf seinen Lippen. Jetzt riß er ihr den Schleier vom Antlitz, und ein liebliches Frauenbild in der Gluth der Leidenschaft, ein blendend weißer Hals, ein schmelzendes Augenpaar enthüllte sich seinem verschlingenden Blick. Leise fuhr er zusammen – da rankten sich zwei volle Arme um seinen Nacken, eine heiße Wange berührte seine Lippen, er fühlte sich gehalten und umstrickt von der lieblichsten Gewalt, und willig sogen seine Lippen das süße Gift, das sie ihm bot. Ein leises Geräusch in den Zweigen gab ihm die Besinnung wieder, er hob stolz das Haupt von ihrer Brust empor, und sah zu ihr herab, die scheu an seinem bleichen Antlitz hing; tiefer und tiefer drang sein Blick in ihre Seele, als wollte er die Augen einbohren in den Kern ihres Lebens, sie konnte die Flammenprobe nicht ertragen, ihre Blicke sanken unwillkührlich zu Boden, da sprach er dumpf: »Du bist ein reizendes Weib, Du glühst vielleicht für mich, ich glaube es, allein – Du bist nicht sie!«
Entsetzt fuhr sie aus seinen Armen empor, da zuckte jenes bittre Lächeln über seine Züge. »Um Gottes willen« – rief die Dame, beide Hände vor das erbleichende Gesicht drückend – »nicht dieses fürchterliche Lächeln, womit Du mich ermordest! Stoße mir eher den Dolch in die Brust, es schmerzt nicht von Deiner Hand, aber dies Lächeln in dieser Stunde könnte mich vernichten!«
Kalt erhob sich der Fremde, und reichte ihr schweigend den Arm. Fernher tönte die rauschende Tanzmusik durch die heitere Mondnacht, die Nachtviole erschloß sehnsüchtig den weißen Kelch, und durchwürzte die lauen Lüfte mit ihrem entzückenden Dufte, ein liebeglühendes Weib hing aufgegeben an seinem Arm – und dahin ging er kalt und erstarrt, und Nichts regte sich in seiner Brust, als Verachtung und tiefes Weh.
*
Der freundliche Morgen versammelte wieder die Curgäste, und traf man auch auf manches trübe Auge, das von einer ruhelos durchschwärmten Nacht zeugte, so war doch der Zirkel heute, wie sonst, heiter und belebt.
Nur der Fremde wanderte schweigend, mit tiefgefurchter Stirn und übergeschlagenen Armen in der Allee auf und ab; kein Blick aus seinem dunkeln Auge zeigte auch nur das entfernteste Interesse für die ihn umgebende Welt, sein Gesicht war, wo möglich, noch bleicher, noch geisterhafter als sonst, und selbst dem freundlichen, jungen Arzte dankte er kaum auf seine höfliche Begrüßung. Mehr und mehr zog sich die Gesellschaft, die sich früher an ihn gedrängt hatte, zurück, und obgleich der Vorfall im Spielzimmer allgemeine Theilnahme erregt hatte, so erschien doch sein ganzes Wesen immer geheimnißvoller, ja unheimlicher, und es schien, als wenn man jede Annäherung geflissentlich vermiede. Er selbst schien nur für Einen Gegenstand zu empfinden, und sie war es, die Verschleierte, auf deren Anblick er heute mit fieberhafter Erschütterung harrte. Doch nicht er allein erwartete die räthselhafte Erscheinung, mit Ungeduld sahen ihr noch zwei andere Augen entgegen, die unwillkührlich von dem seltsamen Weibe sich gefesselt fühlten; und als sie nun endlich in der Tiefe des Laubganges sichtbar wurde, überzog ein brennendes Roth nicht allein die bleichen Wangen des Fremden, sondern auch die blühenden des jungen Arztes.
Schweigend, wie immer, ohne das Haupt zu erheben, schwebte die Gestalt an den verstummenden Männern vorüber; ihre Kleidung war heute nicht weniger kostbar, als sonst, aber einfacher, nur derselbe Schleier wogte wieder um Kopf und Schultern. Der Arzt sah ihr regungslos nach, doch der Fremde folgte ihr in einiger Entfernung fast mechanisch, und, gleichsam magnetisch angezogen, stellte er sich dicht neben die Bank, auf der sie Platz nahm, ohne daß er fähig war, weder sie anzusprechen, noch sich zu entfernen. Wie jeden Tag saß sie, ohne aufzusehen, fast eine halbe Stunde, trank den Brunnen, und entblößte, wie gewöhnlich, die alabasterne Hand. Das Auge des Fremden wurzelte fest auf der schneeigen Form, es war die schönste Hand, die sich vor seinem Kennerblick enthüllt hatte, aber keine Lebensfarbe schien die länglichten Finger, die lieblichen Grübchen je berührt zu haben, ohne ihre Bewegung würde man glauben, die Hand einer schönen Statue zu sehen; am mittelsten Finger blitzte ein prachtvoller Rubin, im Glanze der Sonne blutrothe Strahlen von sich schleudernd – unwillkührlich wandte sich des Fremden Auge schmerzlich geblendet ab. Als er den Blick wieder erhob, war sie schon aufgestanden, und ging den gewohnten Weg zurück.
»Sie war es nicht!« – murmelte der Fremde in sich hinein, seine Brust hob sich erleichtert, und über sein Gesicht schwebte ein Strahl von Beruhigung.
»Wer bist Du, holdes Räthsel?« flüsterte der junge Arzt, und drückte die Hand fest auf sein bebendes Herz.
»Wo wohl heute Ihre schöne Nichte bleibt?« fragte die Banquierswittwe die Gräfin A*** – »ist ihr vielleicht der Ball nicht bekommen?«
»Sie war gar nicht dort« – erwiederte jene schnell – – »und befand sich gestern schon sehr unwohl, wahrscheinlich eine Erkältung.«
»Bedaure, bedaure sehr« – versetzte Erstere lächelnd, und mit einem hämischen Seitenblick setzte sie hinzu: »ja, ja, vor Erkältung muß man sich sehr hüten, besonders in einer Ballnacht.«
Die Gräfin erhob sich, ohne die Anspielung verstehen zu wollen, und eilte zu ihrer Nichte, die sie schwer erkrankt und in Thränen gebadet fand.
*
Die schönste Nacht lachte auch heute vom wolkenlosen Himmel, im hellen Demantkranze wandelte der Mond seine ewige Bahn, und still duftend hoben die Gesträuche die Blüthenhäupter seinem Strahl entgegen. Stiller und stiller ward, es in den Straßen der Stadt, ein Licht verlosch nach dem andern, und bald vernahm man nur noch den weithin schallenden Tritt der Feuerwächter, die, ihr Amt beachtend, aufmerksam ihren Bezirk durchwanderten. Da schritt eine hohe Männergestalt tief in einen Mantel gehüllt, durch die schweigenden Straßen, durch die offenen Thore den Anlagen zu, die in üppiger Blumenpracht die Stadt begrenzten. Doch ohne dort zu weilen, eilte er rastlos durch die dunkeln Laubgänge, bis er die Landstraße erreichte, und von da, nach einer kurzen Strecke, sah man ihn an einer langen Mauer ein Gitterthor öffnen und verschwinden.
Dort, wo er verschwand, ging über Gräber sein Weg. Es war der Friedhof des Ortes, den der Unglückliche suchte; dort in stiller Einsamkeit, umgeben von modernden Gebeinen, dort ward ihm wohl; seine Brust hob sich frei, denn das Leben, die Menschen und ihr Treiben war ihm fern, und an eine Marmorsäule gelehnt, starrte er hinaus in das Reich der Nacht; sein Riesengeist versank im ernsten Sinnen, und er wagte es, die Natur in ihrer Werkstätte zwischen ewig lebender Vernichtung zu belauschen. Lange stand er so unbeweglich, dann strich er plötzlich das Haar aus der Stirne, als wollte er einen bösen Traum von sich abwehren, und rief mit lauter Stimme, daß es seltsam über die Gräber hin schallte: »Warum, Du Weltgeist, warum so wenig Geist in so viel Körper, oder warum so viel Seele der Staubgeburt? zu viel für das Thier, zu wenig für den Menschen! Oder warum mir mehr, als Andern? Soll ich die Vernichtung selber reifen in meiner Brust? Warum diese ewige Sehnsucht, diese ewige Täuschung, und ist keine Seele geschaffen, die meine zu begreifen, zu verstehen?«
Er warf den Mantel zurück, da rauschte in seiner Nähe ein seidenes Gewand, leichte Fußtritte, im Grase kaum vernehmbar, streiften rasch und leise an ihm hin, er wandte schnell das Haupt, und da – da – an ihm vorüber huschte die verschleierte Gestalt, der Inbegriff seines Sehnens, seines Hoffens.
»Halt, o um Gottes willen, halt!« rief er der Entfliehenden nach. Sie zuckte sichtlich zusammen, und stand, scheu das Haupt zur Seite wendend, plötzlich stille.
»Was suchst Du hier, Engel des Trostes, an der Todesstätte?« – fragte er, von seiner Ueberraschung allmählich sich erholend, und ihr nahe tretend.
So wie er sich aber näherte, wich die Gestalt einen Schritt zurück.
»O bleibe!« – flehte er mit den mildesten Tönen seiner weichen Stimme – »sei gütig, Niemand hört uns hier, die Todten schweigen, wer bist Du, seltsames Weib? Antworte mir, sage mir, daß ich endlich die Hälfte meines Seins gefunden, der ich rastlos so lange nachgestrebt!«
Laut- und regungslos stand die Gestalt ihm gegenüber, er wagte es, sich ihr leise zu nähern, und seltsam, ja geisterartig wehte es ihn an, da sah er, wie die beklommene Brust sich hob und wieder sank, in schnellen Zügen Athem schöpfend, ein tiefer Seufzer wand sich endlich aus den Schleiern hervor. Bis in das innerste Leben des Fremden drang dieser Schmerzenston.
»Wer bist Du?« – fragte er wieder mit bebender Stimme. Langsam schüttelte die Gestalt das Haupt.
»Du verstehst mich nicht?« fragte er Englisch. Sie schwieg. »Wer bist Du?« rief er jetzt Deutsch, Italienisch – sie antwortete nur durch eine leise verneinende Bewegung des Kopfes.
Wie ein schneidender Stahl durchfuhr plötzlich ein Gedanke sein Gehirn: »Großer Gott« – rief er »sie ist stumm!«
Diese Idee ergriff ihn mit so furchtbarer Gewalt, daß seine Brust, vom schmerzlichsten Mitleid zerrissen, zu zerspringen drohte. Er schlug beide Hände vor das bis zum Tode verblaßte Antlitz. Da fühlte er sich ergriffen, leise zog eine zitternde Hand die seinen herab, und durch die Schleier blitzte wieder ein Strahl, der alle seine Lebensgeister elektrisch berührte; seinen Sinnen nicht trauend überließ er sich der süßen Gewalt des räthselhaften Wesens. Lange stand sie so vor ihm, seine Hände in den ihrigen haltend, und immer heftiger bebte sie, immer fester drückten ihre zarten Finger die seinen; jetzt senkte sie das Haupt, und glühende Tropfen fielen auf seine Hand. Da fuhr er empor, und den Schleier fassend rief er: »Kannst Du weinen, Weib, so fühlst Du auch, und Nichts soll mich mehr halten« – doch mit einer raschen Wendung schlang sie das duftige Gewebe fester um ihr Antlitz, und beide Hände, wie abwehrend, vor seine Brust drückend, hob sie mit einer schmerzlichen Bewegung das Haupt zu dem gestirnten Himmel empor, und ließ es dann langsam wieder auf ihre Brust sinken. Ein unwiderstehlicher Zauber lag in dieser schweigenden Bitte. Entwaffnet stand der stolze Mann ihr gegenüber; leise hob er die Arme, und umschlang sie; sie zuckte bei seiner Berührung zusammen, die Kraft, mit welcher sie ihn von ich entfernt hielt, war gebrochen, matt fielen die abwehrenden Arme herab, und dem Zuge folgend, sank ihr Haupt auf seine Schulter, ein bebendes Herz lag an seiner Brust, in mächtigen Schlägen den Zustand ihrer Seele verkündend. Entzückt preßte er das geliebte Wesen an sich, wie Veilchenduft spielte ein brennender Hauch um seine Wangen, die Besinnung schwand ihm, seine Lippen suchten die ihrigen, und wuchsen fest in einem langen, glühenden Kusse auf dem schwellenden Munde. Eine Feuerflamme zitterte mit diesem Kuß durch seine Seele, ein Gluthstrom ergoß sich brausend durch seine Adern, als sie jetzt die Arme fester um ihn schlang, ihre Brust sich, heftiger bebend, an die seine drückte, und ihre Lippen trunken seinen Athem einsogen. Ein Sturm von Lust und Liebe wirbelte durch seinen Geist, immer heftiger preßte er sie in seine Arme – da fühlte er plötzlich ihre Hände erkalten, langsam nur hob sich noch der beklemmte Busen, der Herzensschlag stand stille, leblos lag sie in seinen Armen.
»O mein Gott!« stammelte er fassungslos – »sie stirbt, ich habe sie getödtet!« – Schnell wollte er den Schleier heben, doch diese Bewegung schien ihr das Leben wieder zu geben, sie faßte unwillkührlich nach seiner Hand, hielt sie zitternd einen Augenblick fest, erhob sich dann langsam und bewegte das matte Haupt, als blicke sie fragend um sich; nach einer Weile wand sie sich sanft aus seinen sie noch immer umschlingenden Armen, deutete auf die sie umgebenden Gräber, und wandte sich ab, dem Ausgange zuschreitend.
Jetzt kehrte auch ihm die Besinnung wieder, er folgte der Hinwegeilenden bis an die Pforte, doch, als nun das eiserne Gitter hinter ihnen zufiel, legte sie noch einmal zärtlich die glühende Hand auf seinen Arm, dann aber mit einer majestätischen Bewegung bedeutete sie ihm, sie zu verlassen. Unwillkührlich, von einer unerklärlichen Scheu gefesselt, stand der Fremde still, und schnell, gleich einem Schattenbilde, glitt sie zwischen den dunklen Kastanien die Straße hinab, und verschwand in die dämmernde Nacht.
Hohe Seligkeit, überströmende Gluth in der stürmisch bewegten Brust, eilte der Fremde durch die grünen Laubgänge, und warf sich fast besinnungslos auf den feuchten Rasen. Solch ein Weib hatte er nie in den Armen gehalten, solch ein Kuß hatte nie seine Lippen berührt, sein ganzes Wesen war aufgelöst in Lust und Liebesgluth, eine brennende Sehnsucht nach der Entschwundenen durchbebte sein innerstes Leben, und das glühende Antlitz fest in die nassen Blätter drückend, flüsterte er: »Ich sah ihre Züge nicht, und dennoch stehen sie, als hätte ich sie ewig gekannt, fest vor meiner Seele. Ich kenne nicht ihrer Stimme Klang, und dennoch tönen ihre Worte in meiner Brust. Ich werde es vielleicht nie sehen, dieses räthselhafte Antlitz, ich halte sie vielleicht nie mehr, wie heute, in meinen Armen, und dennoch rufen alle Kräfte meines Wesens das war sie!«
*
Drei Tage waren verflossen, und die Räthselhafte hatte den Brunnen nicht besucht. Von den unsäglichsten Martern gequält, harrte der Fremde ihres Erscheinens – sie kam nicht. War sie erkrankt, oder abgereist? Das fragte er sich unzählige Mal selbst, aber wie sollte ihm Antwort werden? Er durchstreifte die Stadt und die Umgegend, ihre Wohnung aufzufinden, vergebens. So oft die Nacht einbrach, eilte er hinaus in das stille Reich der Todten, doch sie, die Lebende, Glühende, fand er nicht wieder. Am Morgen des vierten Tages kam er, ermüdet vom Suchen und Nachtwachen, recht im Innersten verstört, zum Brunnen, und warf sich stumm und theilnahmlos auf eine Bank.
Lange saß er so, ohne die zweideutigen Blicke zu bemerken, welche auf ihm ruhten, als er seine Hand ergriffen fühlte, und aufblickend, den freundlichen Blicken des jungen Arztes begegnete, der ihn mit leiser Stimme ansprach.
»Entschuldigen Sie, Mylord« – Holm hatte ihn längst für einen Engländer erkannt – »entschuldigen Sie, daß ich mich vielleicht störend in Ihr Vertrauen dränge, aber meine Pflicht fordert mich dazu auf. Haben Sie vor wenig Tagen eine nächtliche Zusammenkunft mit einer Dame gehabt, die Ihnen die unzweideutigsten Beweise einer glühenden Liebe gab?«
Mit einem flammenden Blick sah der Gefragte den Jüngling an, und seine innere Bewegung war so heftig, daß er unfähig war, die harte Antwort auszusprechen, die auf seinen Lippen schwebte. Jener aber ließ sich nicht stören, sondern fuhr fort.
»Es liegt mir an Ihrer Antwort unendlich viel, Mylord, und ich beschwöre Sie, mir die Wahrheit zu sagen; war die Dame verschleiert, und haben Sie einen Kuß von ihr erhalten?«
»Mein Herr« – fuhr Jener empor –
»O Mylord« – flüsterte der Arzt – »ein Menschenleben hängt vielleicht an Ihrer Antwort, dies muß Ihren Zorn über meine Unbescheidenheit entkräften. Ein liebenswürdiges, reizendes Wesen ringt mit dem Tode, antworten Sie mir nur Ja oder Nein, vielleicht ist sie noch zu retten, zögern Sie nicht, und glauben Sie nimmermehr, daß unberufene Neugierde mich zu der Zudringlichkeit verleiten konnte, mit welcher ich Ihr Geheimniß zu erfahren suche.«
Erstaunt, und doch zugleich halb besiegt von der Wahrheit, die aus den Augen des jungen Mannes strahlte, nickte der Fremde kaum merklich mit dem Kopf.
»Ja – ja?« – fragte Holm – »also wirklich? – Nun, hören Sie, ich habe eine seltsame Kranke, zu welcher ich vor zwei Tagen gerufen wurde, Sie hatte sich gegen einen Arzt gesträubt, bis ihr Bewußtsein fast entschwunden war; da erst verlangte sie ausdrücklich nach mir. Ich werde geholt, und finde ein schönes Weib im heftigsten Fieber, gegen das ich vergebens mit meiner ganzen Kunst ankämpfe. Gestern wurden die Bilder ihrer Phantasie wilder, und doch deutlicher, als früher. Sie erzählte beständig von dem Fremden, der sie in seine Arme gepreßt, und einen Kuß auf ihre Stirne gedrückt habe, der ihr das Gehirn versengt, darum sie jetzt ewig weinen müsse; dann sprach sie von einsamer Nacht, vom verrätherischen Mondscheine, von einem Schleier, den sie nie ablegen dürfe, und immer waren Sie es, Mylord, den sie anrief. Sie beschrieb Ihre Persönlichkeit, wie nur glühende Liebe sie beschreiben kann. Heute Nacht wurde ich gerufen, und fand die Unglückliche im heftigsten Nervenfieber, sie raste, und schwur mit gräßlichen Eiden, daß sie nicht sterben könne, ohne Sie noch einmal gesprochen zu haben. Ich kenne Ihr gegenseitiges Verhältniß nicht, nur so viel weiß ich, daß binnen wenig Stunden bei der Dame eine Krisis eintreten muß, wenn sie nicht diese Nacht noch sterben soll; darum fordere ich Sie auf, mich, sobald es dämmert, zu meiner Kranken zu begleiten, und ich hoffe im Namen der Menschheit, daß Sie mir die Bitte nicht versagen werden.«
Von Zweifeln und Staunen, Schrecken und Mitleid bestürmt, reichte ihm der Fremde schweigend die Hand.
»Sie kommen also in der Dämmerung hierher, mich zu erwarten?« – fragte Holm erfreut.
»Ich komme,« entgegnete Jener – und beide Männer schieden, mit gespannter Erwartung dem Abend entgegensehend.
*
Mit Sehnsucht, und dennoch mit einer ihm selbst kaum erklärlichen Angst erwartete der Fremde die Stunde, die ihn an das Krankenlager der Dame führen sollte. War sie es selbst – war es die Erscheinung von der Ballnacht – waren Beide eine Person? Alle Kräfte seiner Seele sträubten sich gegen diesen Gedanken, er war so fest, wie von seinem Dasein, von der Unmöglichkeit überzeugt, daß beide Erscheinungen eine und dieselbe sein könnten – aber welche von Beiden sollte er mit dem Tode ringend finden? Sollte er das Antlitz sterbend schauen, das liebeglühend sich seinem Blick so streng entzogen hatte?
Schon begann die Dämmerung sich leise auf die Erde zu lagern, rasch eilte er hinaus zur bestimmten Stelle. Unerträglich dehnten sich die Augenblicke. Jetzt, jetzt endlich schritt der junge Arzt heran, ergriff schweigend des Fremden Arm, und führte ihn stumm einige Straßen entlang. Endlich traten sie in die offene Thüre eines prachtvollen Gebäudes, und bald standen sie in einem eleganten Salon, wo ihn Holm mit leiser Stimme bat, seiner zu warten.
Mit hochklopfender Brust sah der Lord um sich her; es schienen die Appartements einer Dame von Stande zu sein. Er hörte im Nebenzimmer heftig, aber leise sprechen, einige Augenblicke war Alles still, dann trat der Arzt wieder heraus, winkte ihm und sagte: »Folgen Sie mir!«
Ein leiser Schauer durchrieselte die Adern des Fremden – nur einen Augenblick lang stand er sinnend, dann kehrten ihm schnell Ruhe und Fassung wieder, rasch folgte er in das Krankenzimmer.
Eine Lampe beleuchtete matt ein elegantes Schlafgemach. Zwischen grünseidenen Gardinen ruhte eine reizende Frauengestalt, in Fieberhitze glühten ihre Wangen, mit weit offenen Augen starrte sie nach ihm hin, auf die rechte Hand gestützt mühsam aufrecht sitzend, und schwere Athemzüge hoben die schöne Brust. Des Fremden Blick hing an ihren Zügen, er trat ihr näher, jetzt traf ihr Auge auf das seine, und mit dem Ausruf: »da ist er!« sank sie matt in die Kissen zurück. Es war die Erscheinung der Ballnacht.
Mehrere Secunden lang sah sie unverwandt, mit krampfhaft verzerrtem Antlitz zu ihm auf; allmählich wurden ihre Züge natürlicher, ihr Bewußtsein klarer, mit Anstrengung richtete sie sich wieder empor, Thränen stürzten aus ihren Augen, sie legte beide Hände gefaltet vor die Stirne, und schluchzte leise.
»Sie leiden« – sprach der Fremde sanft, und
trat zu ihrem Lager.
»Ich litt« – stöhnte sie matt – »da ich Dich nicht mehr sah, und werde leiden, denn Du wirst mich wieder verlassen, und dann – verachten! Du liebst sie, die Räthselhafte, und wirst mein Gefühl nie verstehen, weil Deine Seele nach der Verborgenen sucht; doch ehe ich scheide, mußt Du noch hören, daß ich Dich betrügen wollte, um Deine Liebe zu erringen, und daß ich nicht Ruhe finde, bis ich weiß, ob Du mich nicht verachtest. Ich bin nicht sie, der Du so unablässig nachstrebst, und dennoch hast Du mich in Deinen Armen gehalten, ich habe an Deiner Brust geruht, Deine Lippen haben die meinigen berührt – doch warum lächeltest Du so furchtbar? War es, weil Du mich verachten mußtest, da Du den Betrug entdeckt? Oder hast Du kein Herz, zu fühlen, was meine Seele so ganz umstrickte, als ich mich zu der List verstand?«
Sie schwieg eine Weile, und sah ihm fragend, mit irrem Fieberblick in's Auge. Von den verschiedenartigsten Empfindungen bestürmt, starrte der Fremde schweigend vor sich hin. Nach einer Pause fuhr sie fort, und ihre Sinne schienen mehr und mehr sich zu verwirren: »Du wirst sie einmal sehen, und wehe Dir, wenn Du sie erblickst! Gestern um Mitternacht sah ich sie, sie stand vor meinem innern Auge, und rief mir zu: ›Du wolltet ich sein, tollkühnes Weib, sieh mich erst, und bebe zurück vor dem, was Du gethan!‹ – Da hob sie den Schleier auf, und ein fürchterliches Antlitz zeigte sich mir. Ein Brandmal drückte ihre Stirne, und Schlangen kräuselten sich um ihre Schläfe, die Augen schossen glühende Pfeile, die mein Gehirn durchfuhren, und als sie die blauen Lippen auf die meinen drückte, da fühlte ich, daß es der Todeskuß war, den sie mir gab; sie wollte mir Deinen Kuß rauben, der noch auf meinem Munde brannte. Ach, sie wird Dein Leben vergiften, gieb Dich ihr nicht hin, sie ist ein Schreckensbild, mich hat sie schon getödtet! Reiße Dich los von ihr« – – flehte die Kranke, faßte heftig zitternd seine widerstrebenden Hände und preßte sie bald an ihre glühende Stirne, bald an die heißen Lippen – »sie wird Dich verderben, die Gräßliche!«
Vergebens suchte er seine Hände ihr zu entreißen, sie zog ihn mehr und mehr zu sich herab, matt sank endlich ihr Haupt an seine Brust, sie legte sanft die Wange an sein Herz, das krampfhaft schlug, und flüsterte leise: »sage mir nur, daß Du mich nicht verachtest, dann geh zu ihr, und laß mich sterben!«
»Verachten! Mein Gott, wie sollte ich?« fragte er mit sanfter Stimme, und mild drang der Ton in ihre kranke Seele.
»Und wirst Du meiner freundlich denken, wenn ich nicht mehr bin?« lispelte sie noch leiser.
Das schmerzlichste Mitleid zerriß die Eisrinde seines Herzens, eine heiße Thräne fiel auf ihre Stirn.
»So laß mich sterben!« seufzte die Kranke, und lag ohnmächtig an seiner Brust.
»Hinweg« – rief der Arzt – »weiter dürfen wir die erliegende Natur nicht treiben; Gott gebe, daß Ihre Gegenwart mehr wirke, als all' meine Medicin. Kommen Sie!«
Betäubt verließ der Fremde mit ihm das Zimmer. Erst als sie auf der Straße waren, fragte er endlich: »Wer war die Dame?«
Erstaunt blieb Holm vor ihm stehen, und sah ihn lange fragend an, doch die sichtliche Spannung in den Zügen des Lords bemerkend, entgegnete er endlich: »Das sollten Sie nicht wissen? Es ist die Marquise S***!«
*
Das plötzliche Verschwinden der Räthselhaften und die tödtliche Krankheit der schönen Marquise S*** war das Gespräch des Tages geworden. Jetzt wagte man erst, sich gegenseitig die gräßlichen Vermuthungen über das verschleierte Weib zu gestehen, da man nach acht Tagen keine Rückkehr befürchten zu müssen glaubte. Auch über die Krankheit der Marquise gingen die verschiedenartigsten Gerüchte, so wie über den Fremden, den man umsonst in dies oder jenes Netz zu locken suchte. Sein vertrautes Verhältniß mit dem deutschen Arzt ward viel besprochen, und man wandte sich endlich an diesen, um den Lord nach und nach in die höheren Kreise zu ziehen, die sich zusammen gefunden hatten. Es gelang auch in so weit, daß der Fremde sich mehr zur Unterhaltung mit geistreichen Männern wandte, und weniger stumm und antheillos erschien. Doch dem Umgang mit Damen wich er geflissentlich aus, und die Wolke, welche auf seiner hohen Stirne ruhte, wenn sie auch dem Zauber eines gehaltvollen Gesprächs mit seinen Freunden gewichen war, umzog schnell seine schönen Züge, wenn sich irgend eine Dame der Gesellschaft um seine Aufmerksamkeit zu bewerben schien. Nie verstieß er zwar gegen den feinsten Anstand, ja er war sogar bis zum Bezaubern galant und liebenswürdig, aber so eiseskalt war sein Blick, und das Lächeln um seine Lippen zuweilen so bitter und ironisch, daß selbst die Eitelkeit jede Hoffnung fahren ließ, dies kalte Herz zu besiegen.
Längst sprach man von einer Partie in die himmlische Umgegend, welche der größere Theil der Gesellschaft unternehmen wollte. Es sollten die reizenden Hügel erstiegen werden, um die volle Ansicht des Meeres zu genießen, dann wollte man die Ruinen eines Tempels aufsuchen, von welchen der Arzt mit Begeisterung als von etwas höchst Anziehendem sprach; er hatte sie zufällig bei seinem Umherstreifen entdeckt. Die ganze gräfliche Familie, welcher der junge Mann aus Deutschland gefolgt, war mit von der Partie, und selbst der Fremde ließ sich bereden, diesen Tag über sich seinen neuen Freunden ganz zu überlassen.
Ein wunderherrlicher Morgen erwachte; heiter im reinsten Blau strahlte der wolkenlose Himmel, und schien das göttliche Land fröhlich anzulächeln, das sich in all seiner unnennbaren Schönheit unter dem prachtvollen Gezelt majestätisch ausbreitete. In tausend glänzenden Funken zitterte der Thau auf dem erquickten Gefilde, lustig zwitscherten die Vögel ihr seliges Morgenlied, goldner leuchtete die Orange neben der duftigen Blüthe durch die grüne Pracht ihrer dunklen Blätter, Lorbeer und Acacie neigten sich hold erwacht im säuselnden Morgenwinde die flüsternden Häupter entgegen, und durch die schimmernde Landschaft wogte ein fröhlicher Zug zierlich geschmückter Damen und heiterer Männer, welche in mannigfaltigen Gruppen durch die lachende Flur schweiften, und mit vollen Zügen die Balsamströme der frischen Luft in sich sogen.
Auch die Brust des Fremden öffnete sich dem langentbehrten Gefühl einer erquickenden inneren Ruhe, die sein ganzes Wesen durchströmte, seine Stirne entwölkte sich, sein Gespräch ward heiter und frei von Spott und Haß, sein erhabener Geist lüftete die Schwingen, und trug seine Umgebung willenlos mit sich empor in die azurfarbene Bläue, in der sich sein stolzes Haupt badete. Alle Herzen flogen ihm unwiderstehlich entgegen, Anmuth strahlte aus seinen schönen Zügen, bezaubernde Freundlichkeit spielte um den geistreichen Mund, in sehnsüchtigem Schmerz glänzte das wunderbar mächtige Auge, und die ganze üppige Natur schien nur der Hintergrund des Gemäldes, das seine Gestalt allein belebte.
Nach kurzen Ruhepunkten hatte man die Villa eines benachbarten Edelmanns erreicht, bei dem man die Stunden der glühenden Mittagshitze abwarten, und das Mahl verzehren sollte. Unbegreiflich schnell kam diese Zeit heran, denn Mylords Gespräch, und der Zauber, den er heute über alle Gemüther ausübte, verkürzte die Stunden so sehr, und beschäftigte besonders die Damen in einem solchen Grade, daß er selbst zum Aufbruch mahnen mußte. Nach dem heitersten Mahle erhob sich die Gesellschaft, und trat die Wanderung nach den Ruinen an, die ganz in der Nähe die Spitze eines Hügels bedecken sollten. Der Arzt trat nun als Führer auf, und versprach den Frauen reiche Entschädigung für den mühevollen Weg, der sie auf schmalem Pfade erst durch ein liebliches Thal, dann aber etwas beschwerlich bergan durch ein Orangenwäldchen bis an den Fuß der Ruine führen werde.
In Erwartung des Genusses, den die Aussicht auf das nahe gelegene Meer von der Höhe aus gewähren würde, eilte die frohe Karavane unermüdet vorwärts, und nur Wenige bemerkten, als sie aus der Villa traten, die drückende Schwüle, welche sich auf die Erde gelagert hatte, und die dunkeln Wölkchen, die als Verkünder eines schweren Gewitters am fernen Horizonte aufstiegen. Erst als man ungefähr eine Stunde gegangen war, und die Luft schwüler und schwüler wurde, begannen die Damen ängstlich zu werden. Doch was war zu thun? Die Ruine, kaum eine Viertelstunde mehr entfernt, bot in jedem Falle Schutz gegen das Gewitter, und – »so schlimm würde es ja nicht werden« – trösteten die Männer.
Man schritt also theils muthig, theils verzagt vorwärts, und der Arzt versicherte, die Freistätte könnte nicht mehr fern sein – als plötzlich ein starker Blitz die drückende Luft durchzuckte, und ein heftiger Donnerschlag verkündete, welch ein schweres Unwetter im Anzug sei. Nun teilte sich schnell die Gesellschaft in sehr verschiedene Partien. Einige Damen bemühten sich vergebens, die innere Angst zu verbergen, die sie bei dem Anblick des immer dunkler sich umziehenden Horizonts erfüllte. Andere schrieen laut auf, und versicherten, keinen Schritt weiter gehen zu wollen, noch andere weinten unverhohlen Thränen der Angst, und nur ein kleiner Theil blickte theils mit erborgtem, theils mit wahrem Muthe nach dem Lord hinüber, der mit glänzenden Augen in die verdunkelte Atmosphäre hinausschaute, und dessen Stirn, im Kampfe gegen die empörten Elemente längst gestählt, sich trotzig dem herannahenden Sturme darzubieten schien. Er schritt rasch vorwärts, und die Muthigen in der Gesellschaft waren Alle von seiner Partie.
Heftiger wurden jetzt die Donnerschläge, ein seltsam kräuselnder Wind erhob sich, und führte unbarmherzig Hüte und Shawls mit sich; die Damen eilten erschrocken, die Männer lachend hinter ihren entfliehenden Schätzen her. Doch jetzt durchfuhr wieder ein Blitzstrahl die Luft, ein furchtbarer Schlag, und eine heftige Erschütterung der Erde folgte, und ein lauter, durchdringender Schrei tönte aus der Ferne herüber. »Das war in den Ruinen!« – rief der Arzt. Seltsam ergriffen horchte der Fremde nach der Gegend hin, und sprach: »das hat getroffen!« –
»Gewiß ein Unglück,« wimmerten die erschrockenen Frauen, und fielen sich wechselsweise in die Arme, als gelte es schon, Abschied zu nehmen für dieses Leben.
Da tönte aber näher und näher ein ängstliches Rufen, ein weißes Gewand schimmerte durch die Gebüsche, und den Hügel herab stürzte eine Frauengestalt, von wehenden Schleiern umflossen.
»Das ist die Räthselhafte!« riefen jetzt die Damen wie aus einem Munde, und plötzlich wie festgebannt stand die ganze Gesellschaft, und starrte nach der Erscheinung hin, die sich entschleiert ihren Blicken darbot.
Hinten über geworfen, vom Sturme hin und her gerissen, flatterte das Spitzengewebe in den Lüften; ein Turban, den eine breite Purpurbinde unter dem Kinn festhielt, bedeckte das Haupt. Rabenschwarze Locken wogten in dunklem Strome um ein geisterbleiches, beinahe marmorweißes Antlitz von wunderbarer Schönheit, große dunkle, aber tiefliegende Augen strahlten unter der reinen Stirne hervor, und jede Spur von Lebensfarbe schien auf ewig aus diesen rührenden Zügen entflohen. Nur einen Augenblick lang staunte sie die bunte Menge an, die sich so unerwartet ihren Augen in dem einsamen Wäldchen darbot, doch plötzlich faltete sie die schönen Hände, und flehte in neugriechischer Sprache: »Wenn Ihr Menschen seid, so rettet!«
»Eine Griechin?« rief der Fremde, endlich einen Laut aus der zum Zerspringen gepreßten Brust hervorstammelnd; und schnell trat er aus dem Kreise, und antwortete in ihrer Sprache: »Bedarfst Du meiner Hülfe, gebiete über mein Leben, es ist Dein!«
Nur eine Secunde lang zuckte ein Strahl von Entzücken über ihr bleiches Gesicht, ihre Lippen bebten, das Gefühl, sich mittheilen zu können, schien ihre Seele mächtig zu ergreifen; doch sie faßte sich augenblicklich wieder, und bat mit flehenden Tönen: »Folgt mir schnell, der Blitz hat meine Amme erschlagen!«
Leichtfüßig wie ein Reh, wandte sie sich während dieser Worte, und eilte den Weg zurück, den sie gekommen war; der Fremde folgte ihr rasch, den jungen Arzt nicht bemerkend, der stumm an seiner Seite ging. Ein Meer von Gefühlen wogte in seiner Brust.
*
Am Fuße der Ruine fanden sie die betagte Begleiterin der Räthselhaften in einem todtähnlichen Zustande. Eine alte Kastanie rauchte zersplittert neben ihr, sie war unverkennbar vom Blitz gestreift worden. Der Arzt versuchte sogleich Alles was ihm zu Gebote stand, sie in's Leben zurückzurufen. Die schöne Griechin lag auf den Knieen, küßte bald ihre kalten Hände, bald preßte sie sie an die hochfliegende Brust, bald bemühte sie sich, den starren Lippen Athem einzuhauchen. Während der umsichtige Arzt der Bewußtlosen eine Ader öffnete, stand der Fremde unthätig, und seine Blicke verschlangen die Gestalt, welche vor ihm auf die Erde hingegossen lag; sein Auge sog die wundervollen Züge tief in die trunkene Seele, und all' seine Sinne waren so nach Innen gekehrt, daß er nicht gewahrte, wie sich nach und nach die ganze Gesellschaft leise und schweigend um die Gruppe versammelt hatte. Erst als die erschrockene Griechin rasch den Schleier über das Antlitz zog, ward seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung gewendet.
»Welch ein Götterweib!« flüsterte ihm ein junger Mann zu, mit lüsternem Blicke an den schönen Formen der Knieenden hinuntergleitend. Ein flammender Blitz aus Mylords Augen fuhr ihm gerade durch's Herz, er zog sich schüchtern zurück.
Endlich waren Sänften gekommen, welche der Besitzer der Villa den Damen nachsandte. Das Gewitter tobte immer fort, aber diese seltsame Begebenheit hatte die Gesellschaft so beschäftigt und zerstreut, daß man sich der angekommenen Hülfe kaum recht erfreute. So hatte man denn doch einmal das lang verhüllte Antlitz gesehen, das von einem Brandmal entstellt sein sollte, ja die Taubstumme hatte gesprochen, und gehört, und war – – das interessanteste von Allem – eine Griechin! Der gefeierte Fremde hatte seinen Antheil für sie unwiderleglich dargethan, und sah gar nicht aus, als wollte er jemals von ihr lassen, denn er stand wie festgebannt an ihrer Seite. Welch ein Stoff zu unendlichen gegenseitigen Mittheilungen! Ob die arme Dienerin noch lebe, oder schon verschieden sei, darum bekümmerten die Meisten sich wenig, ob aber die Räthselhafte mit nach der Villa ziehen werde, oder was überhaupt nun geschehen sollte, das wollte man erst abwarten; und dichter und dichter umschloß der beengende Kreis die Griechin.
Ein heftiger Donnerschlag befreite jedoch schnell den ungeduldigen Arzt von dem Schwarme der Neugierigen. Wie aufgescheuchte Tauben flogen die Damen nach den Sänften, und die Furcht vor dem Schicksal der bewußtlosen Alten besiegte sogar die heftigste Wißbegierde.
Man hob die kaum athmende Kranke in eine Sänfte, und Niemand durfte der Verschleierten folgen, als der junge Arzt, den sie darum bat, und der Fremde, dessen Begleitung sie sich nicht widersetzte. Langsam bewegte sich der Zug den Hügel herab, einem nahegelegenen Dorfe zu, wo die Dame wohnen sollte. Unverwandt an den Zügen der schon halb verklärten Dienerin hängend, ging sie ruhig neben der Sänfte, und schien es nicht zu empfinden, daß der Lord sie sorgfältig leitete, jeden ihrer Schritte beobachtend. Nur für die Nähe des Arztes hatte sie Sinn; sie sprach selten, und dann öffnete sie die Lippen nur zu der Frage, ob sie denn bald erwachen würde? Holm antwortete ihr dann eben so kurz, denn er war der neugriechischen Sprache nicht so mächtig, wie der Lord, der sie vollkommen fertig sprach; dieser aber schwieg in einer Art von schmerzlichem Trotz, denn sie, für die alle Pulse seines Wesens bebten, sie, deren Berühren, gleich einem elektrischen Schlage, sein innerstes Leben durchschauerte, sie hatte kein Auge für ihn; aber sie achtete auch des rollenden Donners, des Sturmes nicht, der mit unstäter Hand ihr den Schleier von den schönen Zügen riß. Zuweilen nur zuckte sie mit den Wimpern, wenn ein heller Blitz durch die zunehmende Dunkelheit zischte, aber keine Bewegung von Schrecken, Angst oder Besorgniß für sich selbst war auf dieser bleichen Stirne zu lesen. Es schien, als gebe es in der ganzen Natur nur einen Gegenstand, für den sie zu zittern fähig sei, die alte treue Dienerin.
Jetzt trat sie am Ende des Dorfes in ein kleines, freundliches Haus, dessen zierliches, von Reben umzäuntes Vordach, mit den herrlichsten Blumen geschmückt, einen reizenden Anblick darbot. Stillschweigend winkte sie ihren Begleitern, ohne nur durch eine Bewegung anzudeuten, daß sie der Nähe des Fremden sich entsinne. Er folgte ihr nicht. An ein offnes Fenster gelehnt, übersah er nun von Außen das kleine Heiligthum, welches sein Marmorbild umschloß. Der Anblick eines lieblichen Gemachs mit türkischen Teppichen und unzähligen Blumentöpfen geschmückt, von Divans rings umflossen, öffnete alle Schleusen der Erinnerung in seiner Brust, und sie stürzte und wogte durch seine Seele, wie ein mächtiger, lange bezwungener Strom.
Von der Mitte des Plafonds hing eine prächtige, milchweiße Lampe, und beleuchtete ein griechisches Crucifix, das zwischen Blumengewinden einen kleinen Altar zierte. Fast betäubend drang durch den Blumenduft der süße Geruch des reinsten Rosenöls, und tausend Bilder zogen, geweckt durch ihre heimathliche Luft, vorüber an dem großen Geist des Fremden. Er sah nach dem Lande hinüber, wo ein bedrängtes Volk mit seinem eignen Herzensblute eine furchtbare Weltgeschichte schreibt, wo einst Helden Sklaven, und Sklaven Helden wurden, höher hob sich das stolze Haupt empor, und ihm war, als riefen tausend Stimmen durch den Gewittersturm ihm zu: »Nach Hellas! Nach Hellas!«
Er erwachte aus seinem Traume, denn es öffnete sich die Thüre des Gemachs, der Arzt und sie traten ein, die Kranke wurde sanft auf einen Divan gelegt, und schweigend standen Beide vor der Sterbenden. Nun entfernten sich die Leute auf einen Wink des Arztes, und eine ängstigende Stille, nur durch ferne Donnerschläge unterbrochen, umgab die Trauerscene. Nach langem Schweigen fragte sie endlich mit kaltem Tone: »Nicht wahr, hier ist keine Hülfe mehr?« – »Keine,« entgegnete der Arzt trübe. – »So ist dies Athmen nur das unwillkührliche Sträuben des noch nicht ganz verlöschten Lebens gegen den Tod?« fragte sie wieder mit unerschütterter Stimme. – »So ist es.« – »Sie hat wohl kein Bewußtsein von dem, was ihr widerfuhr, und leidet nicht mehr?« Holm schüttelte sanft den Kopf, denn eben hob sich die Brust der Bewußtlosen, und er sah, wie die ablaufende Maschine ihre letzten Functionen mit der Kraft einer vor dem Verlöschen aufflackernden Flamme erfüllte.
»Ist dies der Tod?« – fragte sie wieder, und ihr Ton blieb unverändert – »sagen Sie mir es ruhig, ich habe den Tod in der furchtbarsten Gestalt gesehen, und meine Seele kennt kein Entsetzen mehr.«
Eine Welt hätte der Lord darum gegeben, den Schleier von ihrem Antlitz reißen zu können, als Holm ihr nun leise entgegnete: »Es ist der Tod – in zwei Minuten hat sie aufgehört zu sein.«
Ein leises Zusammenbeben verrieth, daß sie empfand. Sie winkte dem Arzte, sich zu entfernen; Holm verließ mit einem tiefen Seufzer das Gemach, und stürzte aus dem Hause, ohne den Lord zu bemerken, der unbeweglich am Fenster stand.
Kaum war sie allein, so warf sie den Schleier zurück, den Turban von sich und noch bleicher, ja fast versteint, traten die schönen Züge hervor aus den dunkeln Locken die sie jetzt frei umwogten. Die Augen, starr und erloschen, hingen an dem Antlitz der Sterbenden, der ganze Körper schien regungslos.
Nach einem furchtbaren Schweigen begannen die Lippen sich zitternd zu bewegen, es schien, als bete sie leise, doch immer lauter und deutlicher wurden die Worte, und endlich drang ein Strom von Klagen aus ihrer Brust hervor.
»So gehst Du wirklich von mir, Du Einzige, die mir blieb in unnennbarem Elend! So muß ich auch Deine Leiche sehen, ohne daß mein Leben zerreißen kann! Der Gräuel hat mich gestählt, der Jammer meine Seele umschlossen, die vergossenen Thränen mein Herz vertrocknet, ich allein muß leben, kann nicht im Grabe Ruhe finden bei Euch, Ihr Theuren – und wie dieser Tropfen seines Herzblutes auf dem Ring Stein geworden in der Stunde der Qualen, so ist mein inneres Leben versteint, und keine Seele lebt auf diesem weiten Raume der Erde, die mich versteht und faßt, wie Du gethan, Maria, und kein Sterblicher wird so, wie Du, mein blutendes Herz auf weichen Händen tragen!«
Ihre Blicke wurden wild, sie erhob die Hände, um zu beten, doch sie fielen kraftlos wieder herab.
»Hast du mir Alles genommen, du starker Gott« – fuhr sie fort – »Alles, was mir das Leben gab; hast du nur zum Jammer mir das Dasein gegeben, so zürne nicht, daß ich diesen fliehenden Geist an meinen fessele, bis wir vereint vor dir erscheinen; frevle ich, so ist es die erste Schuld, die mich befleckt, du magst sie mir vergeben!«
Sie neigte sich herab, und legte das Ohr an die Lippen der Verscheidenden; nach einer Pause drückte sie beide Hände auf die Stirne, und flüsterte unverständliche Worte; dann zog sie einen Dolch aus dem Busen, und mit Blitzsschnelle ritzte sie sich die linke Hand, riß den Verband von dem linken Arm der Amme, entpreßte durch einen raschen Druck der geöffneten Ader einen einzelnen Tropfen, legte nun die verwundete Hand auf die blutende Stelle, drückte die Rechte fest auf das Haupt der Leiche, und sprach feierlich:
»Verweile, fliehender Geist, wo Du auch jetzt schwebst zwischen Himmel und Erde, zwischen Nacht und Licht! Vernimm die flehende Stimme des Elends, mein Herzblut mischt sich mit dem Deinen; wenn Du mir treu ergeben warst, so gehorche dem mächtigen Zauber! Kehre zurück zur Erde, theurer Geist schmiege Dich meiner Hülle an, und entschwebe erst dann, wenn der zwölfte Pulsschlag mein letzter ist!«
Leise verklangen die letzten Worte der Beschwörung, langsam brach die hohe Gestalt zusammen, und, sank entseelt über die Leiche hin.
*
Wer vermag den Zustand des Fremden zu fassen, der regungslos, von den widersprechendsten Gefühlen gestachelt, ein Zeuge dieser Scene war. Frost und Gluth, Liebe und Haß, Mitleid und Zweifelswuth wühlten in seiner Seele, und nie ward ihm klar, was er empfinde. Da plötzlich tauchte in seinem brennenden Gehirn eine Erinnerung auf – die Marquise S*** stand vor seinem Geiste, und jammerte mit ihrer kranken Stimme: » sie wird Dich verderben, die Gräßliche!« Und fest wuchs der Fuß auf dem Boden, den er eben erhoben hatte, um der Ohnmächtigen zu Hülfe zu eilen. Er wollte nach dem Arzte rufen, doch kein Laut kam über seine Lippen. Krampfhaft krallte sich seine rechte Hand in die Brust, und sein stolzes Haupt erhob sich, als wollte es hindurch zwischen den ankämpfenden Gewalten, die ihm die Sinne verwirrten.
Das Gewitter hatte ausgetobt, mild strahlte der Mond am sternenhellen Himmel, prachtvoller glänzte sein silbernes Haupt durch die gereinigten Lüfte, und, gleich Boten des Friedens, spielten seine blassen Lichter durch das grüne Rebengeländer, und malten abenteuerliche Schattenbilder an das weiße Gemäuer des freundlichen Hauses. Dieses friedliche Bild drang tief in die Seele des Fremden; seine Gefühle wurden sanfter, die schwarzen Gestalten seiner Phantasie entflohen. Ein Blick durch das Fenster zeigte ihm den hülflosen Zustand des angebeteten Weibes. Noch immer bewußtlos, war sie an der Leiche herabgeglitten, und lag, das bleiche Haupt an den Divan gelehnt, auf dem Teppich ausgestreckt. Rasch trat er in das Haus, in das dämmernde Gemach, das mit seinen blumengeschmückten Wänden ein Sarg der reizendsten Leiche schien. Eine Secunde lang stand er unschlüssig, und starrte in das blasse Todtengesicht der Geliebten, doch jemehr er in die Züge des schönsten Antlitzes versank, je klarer ward ihm das mächtige Gefühl, das ihn an sie zog, je unwiderstehlicher der Drang, sie an die Brust zu drücken, sie in's Leben zurückzurufen, oder an ihrem Herzen zu vergehen.
Er kniete leise zu ihr nieder, umfaßte sanft den schlanken Leib, und preßte seine glühenden Lippen fest auf ihren kalten Mund.
Ein leises Zucken durchschauerte ihre Glieder, die Brust hob sich in langen schweren Athemzügen, das Herz schlug krampfhaft an dem seinen, sie machte eine Bewegung, als wolle sie das Haupt erheben, doch willenlos der mächtigsten Gewalt gehorchend, sank es matt wieder zurück; heißer wurden seine Küsse, fester preßte er die Erwachende an die Brust, und die kalten Lippen glühten bald unter seinem brennenden Hauch; eine milde Röthe verbreitete sich über ihr Antlitz, der Busen flog, von neuem Leben durchströmt, und ohne die Augen zu öffnen hauchte sie endlich die Worte hervor: »Wer bist Du?«
»Meine Seele, Du lebst!« flüsterte er, und die namenloseste Wonne durchschauerte seine Brust, als sie jetzt langsam, von ihm getragen, sich erhob, und aus den halb geöffneten Augen ihr Blick den seinen traf. Lange sah sie stumm zu ihm auf, und immer schöner ward das wunderbare Auge, und immer herrlicher das liebeglühende Gesicht. Strahlen eines nie geahneten Gefühls drangen aus diesen Zügen in seine Seele, und als sie nun die matten Arme mit rührender Zärtlichkeit um seinen Nacken schlang, und leise, wie Flötentöne, lispelte: »Ja Du bist's!« da ergriff ihn wieder jener magische Zauber ihres Wesens mit seiner ganzen unwiderstehlichen Gewalt, in wahnsinniger Liebeslust hielt er sie umfaßt, und es däuchte ihm, als habe er bis jetzt in todtähnlichem Schlafe gelegen, und nur an dieser Brust sei er erwacht zum Dasein.
Lange hielten sie sich so umschlungen, und ihre Seelen strömten in einander, und als sie sich nun trennten, fühlten Beide, daß es nur Eine Macht gebe, sie zu scheiden, stärker als ihre Liebe, der Tod.
Als der Fremde das Haupt erhob, gewahrte er den Arzt, der blaß und erschöpft am Eingang lehnte; heftig fuhr er empor: »Sie haben uns belauscht?« – herrschte er dem jungen Mann entgegen.
»O nicht doch, Mylord« – antwortete dieser sanft – »meine Pflicht führte mich hierher zurück, wo ich schon viel zu lange entfernt blieb; doch ich sehe, daß hier nichts mehr für mich zu thun ist. Die Leiche dort bedarf meiner nicht, und zwischen zwei Glückliche will ich nicht störend treten.«
Der Fremde zog finster die Stirn in Falten, ohne zu antworten. Die Griechin hatte bei dem Eintritt des Arztes diesen mit einem langen Blick gemessen. Allmählich schien die Erinnerung dessen, was gänzlich aus ihrem kranken Gehirn entschwunden gewesen, zurückzukehren. Sie stand seid ihrem Erwachen mit dem Rücken gegen die Leiche gekehrt, jetzt wandte sie sich und ihr Gesicht erblaßte, wie zuvor, sie schlug beide Hände vor die Augen, und fragte dann mit demselben unerschüttert kalten Tone wie vorher: »Weißt Du, daß sie mir Alles war?«
»Ich weiß es!« entgegnete der Lord, und ein kalter Schauer durchrieselte ihn, denn er blickte auf ihre blutige Hand herab, und ihm war es, als schwebe der gebannte Geist zwischen ihm und der Gebieterin; diese aber trat dicht vor die Todte hin, bedeckte ihr Gesicht mit einem Tuch, und fragte dann halblaut: »Vergiebst Du Deiner Theodosia, daß sie ihr Gelübde brach?«
»Theodosia?« – wiederholte leise der Fremde, als wolle er den lieblichen, kaum erhaschten Namen der Theuern tief in seine Seele prägen. Doch diese schrak zusammen, als hätte sie eine Schlange berührt, und mit einem seltsamen Ausdruck des Gesichtes, der zwischen Liebe und Angst zu schwanken schien, flehte sie zu ihm gewendet: »Laß mich nun!«
»Seh ich Dich wieder?« – rief er – »wirst Du mir nicht verschwinden, wie damals?«
Sie schwieg. Zweifel und Liebe kämpften auf ihrem Gesichte; da faßte er ihre linke Hand, und die Lippen fest in die Wunde pressend, sog er ihr Blut.
Schmerzlich verzerrten sich ihre Züge, doch sie ertrug die Qual, und entriß ihm die Hand nicht. Nun zog er rasch jenen Ring von ihrem Finger, der einst sein Auge so verwundet hatte, ein sonderbares Lächeln schwebte um seinen Mund, und trotzig fragte er: »Du wirst mir nicht mehr entschwinden, ich sehe Dich wieder?«
Ein lauter Schrei entriß sich ihren Lippen, als sie den glänzenden Rubin in seiner Hand funkeln sah.
Einen Augenblick stand sie starr, dann preßte sie beide Hände auf das Herz, als empfinde sie dort einen tödtlichen Schmerz, und neigte bejahend den Kopf.
Der Fremde aber ergriff den Arm des Arztes, und stürzte mit ihm hinaus in die Nacht.
*
Noch hatte der Lord Theodosien nicht wieder gesprochen. Mehrere Abende kam er nach dem Dorfe, und immer mußte er sich damit begnügen, durch das Fenster die Geliebte zu erblicken, die betend vor dem Kreuze lag. Leise pochte er an die Scheibe, doch sie wandte jedesmal das Haupt nach ihm, faltete mit einem flehenden Blicke die Hände, und deutete auf das Crucifix. Dreimal war er mit dem Vorsatz gekommen, sich nicht abweisen zu lassen, dreimal ging er, von der stillen Bitte der Geliebten besiegt.
Sein Zustand ward unerträglich, nie hatte er ein Aehnliches empfunden. Eine brennende, nicht zu bezwingende Sehnsucht nach ihr peinigte seinen Geist, und drohte seinen Körper aufzureiben. Er war von einer Leidenschaft ergriffen, gegen welche anzukämpfen ihm um so unmöglicher schien, als er überzeugt war, daß das Menschenherz nur einmal solcher Gefühle fähig, und erlöschen diese, für immer ausgebrannt sei. Daß ein ungeheures Schicksal Theodosiens klaren Geist verdüstert, daß sie den Leidenskelch irgend eines schweren Unheils bis zur Hefe geleert habe, deß war er gewiß, und wenn sie so schweigend das Haupt nach ihm hinüber wandte, und er unwillkührlich gehorchend stumm von dannen ging, beklemmte ihm stets das schmerzlichste Mitleid die Brust, und der Wunsch, ihr Elend zu theilen, stieg bis zur Wuth in seiner Seele.
Fest entschlossen, sich nicht zurückweisen zu lassen, trat er am Abend des vierten Tages unter das grünende Vordach ihres stillen Hauses; da lehnte sie am geöffneten Fenster zwischen ihren Blumen, ein blasses Marmorbild. Ein dunkles Gewand umschloß die edle Gestalt, der Schleier wallte zurückgeworfen um ihre Schultern, und sprachlos weidete sich der Lord an dem unendlichen Reiz dieses herrlichen Weibes, als sie, umflossen von all dem Zauber, welchen Natur und Unglück über sie ausgegossen, ihm mit einem Blick worin ihre ganze Seele lag, die Hand aus dem Fenster entgegen reichte, und mit einem Tone, dessen Klang in tausend Schwingungen durch sein ganzes Wesen bebte, leise sprach: »Sei mir willkommen, meine Seele!«
Ohne ein Wort zu finden, das sein Entzücken auszudrücken vermochte, preßte er die liebliche Hand an seine Lippen, und bedeckte sie mit unzähligen Küssen, dann ihren üppigen Arm; doch sanft zog sie diesen zurück, und als er mit einem Blick voll Vorwurf zu ihr aufsah, begegnete er einem Ausdruck von Angst in ihrem Gesichte, welche sie vergebens zu verbergen strebte.
»Was beengt Dich, Theodosia, was ängstet Dich, mein geliebtes Leben?« – fragte der Fremde mit dem mildesten Tone seiner sonoren Stimme.
»Versprich mir, nicht in das Gemach zu dringen« – antwortete sie nach kurzem Schweigen, und wieder flehten ihre Blicke so rührend, daß Trotz und Unmuth aus seiner Seele schwanden. Er vermochte nichts gegen ihren Willen. Geduldig lehnte er am Rebengeländer, und horchte wohl eine Stunde lang der süßen Rede, die ihr von den Lippen strömte, und schwelgte in den Gluthen der dunkeln Augen, die in feuchtem Schmelz an den seinen hingen. Doch wie er sich nun mehr und mehr in die leuchtenden Sterne versenkte, da war ihm, als flammte ein Strahl von Gluth und Verlangen darin empor, und nicht länger vermochte er den auferlegten Zwang zu tragen.
»Theodosia« – rief er – »sprich, was sollen die kalten Steine zwischen uns? Nimmermehr wird diese Scheidewand unsere Herzen trennen, nimmermehr die Macht des Gefühls hemmen, das unsere Seelen an einander zieht. Wenn von der schroffen Alpenwand zwei Wasserstürze brausend in die Tiefe fallen, sich schlängelnd suchen, und endlich mächtig in einander strömen, vermag der grüne Wiesenplan des Thals sie wohl zu trennen? Hin über die blühenden Fluren schäumen die Fluten, und vereint nur ziehen sie als mächtiger Strom friedlich ihre Bahn. In Deiner Brust wie in der meinen pocht es nach Vereinigung, und es giebt kein anderes Heil für uns auf Erden. Wahnsinn wäre es uns trennen zu wollen! Wie der Magnet den Stahl berührt, und faßt, und nicht mehr läßt, so kannst Du nimmer von mir lassen, seit mein Kuß Dich dem Leben wiedergab, und nimmer lasse ich Dich, die mir zuerst das Räthsel gelöst, wie in eines Wesens Brust der Schlüssel zu dem Sein des andern liegt. In Deiner Seele ruht die Bedingung meines Glücks, bist Du erst mein, so hat das Leben mit mir Abrechnung gehalten, von seinen andern Gaben wird mir keine mehr, denn alle sind in dieser einen mir geworden.«
Regungslos lauschte Theodosia dem Gifte, das von seinen Lippen floß, ihr Busen flog, von dem verrätherischen Herzen bestürmt, sie schloß die Augen fest, um nicht die Antwort zu enthüllen, die in ihren Blicken liegen mußte, doch jetzt schwang sich der Fremde rasch durch das Fenster, umfaßte sie, und deckte die geschlossenen Lichter seines Lebens mit tausend heißen Küssen.
»Laß mich!« flehte sie bebend, doch seine Lippen verschlangen die bittenden Worte. – »Willst Du mich zum Meineid treiben?« – stöhnte sie, vergebens gegen den Sturm von Leidenschaft in der eignen Brust ankämpfend.
»So bist Du eines Andern?« fuhr der Lord empor und wie Dolche bohrten sich seine Blicke in ihre Augen. »Weib, Du bist mein, wem auf Erden darfst Du angehören?«
»Den Todten!« – hauchte sie schaudernd.
»Den Todten?« wiederholte er laut und fürchterlich, und wieder zuckte es wie ein schneidendes Lächeln um seinen Mund – »die Todten fürchte ich nicht, sie sollen mir, dem Lebenden, den lebendigen Raub wohl lassen!«
»Du frevelst!« jammerte Theodosia.
»Mit Dir, für Dich, Weib! Giebt es ein Opfer, das Dir unmöglich wäre, mir zu bringen, giebt es eine That so gräßlich auch, die Du um mich nicht üben könntest – so ist Alles Lüge, so fühlt, so denkt, so lebt kein Wesen, das werth ist, mein zu sein, werth an dieser Brust zu liegen, die eine Welt in ihrem Kern verschlossen trägt: denn, siehst Du, Theodosia, dies Alles könnte ich für Dich!«
»Gieb mir den Ring wieder, den Du mir nahmst!« – bat sie, und ihre Stimme bebte, daß sie kaum der Worte mächtig war.
»Ist dies Deine Antwort, Theodosia?« rief stürmisch der Lord.
»Gieb mir den Ring zurück, dann sollst Du meine Antwort hören!«
»Er ist mir Pfand, daß Du mich nicht mehr fliehen kannst.«
»Fliehen?« – rief jetzt die Griechin, und heiße Thränen stürzten aus ihren Augen – »ach, kann ich mir selbst entfliehen? Wo mein Herz schlägt, lebt Deine Liebe, wo mein Auge Sehkraft hat, sieht es Dein Bild, wo Menschen sind, fühle ich, daß mir nur ein Wesen im ganzen Umkreis der Schöpfung lebt – wohin sollte ich Dir entfliehen? Du fliehst ja überall mit!«
»Mein herrliches Griechenweib!« jauchzte der Lord.
»Gieb mir den Ring!« bat sie zum dritten Mal, und ihr Gesicht, in Thränen gebadet, sank schmeichelnd an seine Wange, und ihren warmer Hauch spielte um seinen Mund.
Da streifte er zögernd den glänzenden Rubin von seinem Finger und ließ ihn leise in ihren Busen gleiten. Theodosia schrak zusammen, als der kalte Stein ihre glühende Brust berührte. Der Lord aber rief: »Du hast den Ring, nun antworte!«
Da trat sie rasch einen Schritt zurück, legte beide Hände vor seine Brust, und erhob das Haupt, die Augen fest auf ihn heftend. Und zum ersten Mal schaute er hinein in den ganzen Himmel dieses mächtigen Blicks, denn die Seele hatte alle Schleier die es bis jetzt umhüllten, von dem funkelnden Auge weggezogen und fessellos brach die Flamme hervor; das blasse Gesicht überzog glühendes Roth beglückender Liebe, und so, beseligt durch den Anblick des Sturmes, der auch in seiner Brust tobte, rief sie: »Mächtiger Geist, Du zerbrichst frevelnd die Bande, die mich an das unsichtbare Reich knüpften – ich bin Dein! Nimm denn die Braut aus den Armen des Todes, und erkenne eine Liebe, die stärker ist, als die Deine; Du kannst freveln um Theodosia, sie kann mehr – für Dich sterben!«
*
Purpurn drangen die ersten Lichter des jungen Tages durch die schlummernde Blumenwelt, der Morgenwind schwebte schon auf luftigen Schwingen einher, die schlafende Natur zu wecken, und durch das dämmernde Orangenwäldchen eilte der Fremde, die heiße Stirne im kühlenden Thau badend. Höher und höher hob sich die männliche Brust, denn er hatte das einzige Wesen auf Erden gefunden, das seinen Geist zu fassen, seine glühende Liebe zu erwiedern geschaffen war.
Theodosia aber starrte mit erloschenen Blicken in die gluthrothe Sonnenscheibe, und wie sich nach und nach tausend schwarze Flecke vor ihrem geblendeten Auge bildeten, so wurde es dunkler und nächtiger in ihrer Seele.
Und als der herrlichste Sommerabend den Glücklichen wieder herausführte zu dem friedlichen Häuschen, das seines Lebens Wonne unmschloß, da saß sie bleich und aufgegeben unter dem duftenden Vordach, und die Hand, die sie ihm zum Willkommen bot, war matt und kalt.
»Mein süßes Weib« – rief der Lord entsetzt, sank neben sie auf die Bank, und zog sie schmeichelnd an sein Herz – »was hat Dich seit gestern so verwandelt? Fühlst Du Dich krank? Oder hast Du aufgehört, mich zu lieben?«
Sie sah mit einem unaussprechlich zärtlichen Blick zu ihm auf, einen Augenblick lang flog eine leise Röthe über ihre Züge, doch bald erbleichte sie wieder.
»Aufgehört, Dich zu lieben?« – fragte sie sanft – »habe ich denn schon aufgehört zu leben? Und kann ich leben, ohne Dich zu lieben, kann ich athmen ohne Luft?«
»So bist Du krank« – forschte der Lord jetzt ängstlicher – – »warum siehst Du so bleich?«
»Bleich?« – wiederholte sie, als verstände sie ihn nicht recht – »Hast Du je eine andere Farbe auf diesen Wangen gesehen? Es ist die Schminke des Todes; sieh, diese Hände, wie blaß, diesen Hals, diese Brust – es ist die Farbe des Entsetzens, das seinen Stempel meinem Körper aufdrückte. Sieh dieses Haar!« – sie zog den Dolch aus ihrer Brust, ergriff eine ihrer Locken, die unter dem Turban um Brust und Nacken fielen, und schnitt sie ab – »sieh, wie es mit silbernen Fäden durchzogen ist, eine Stunde wob dieses Silber durch mein dunkles Haar!«
Leise schob sie dem Lord die Locke in den Busen, doch dieser, in ihrem Anblick versunken, gewahrte nicht, was sie that, er sah nur die schöne Stirn, die schmalen dunklen Bogen über den erloschenen Augen, die schönen Haare, die leicht geringelt um die weißen Schläfe fielen, und fragte mild:
»Warum verhüllst Du eben so sorgfältig Dein gequältes Herz, wie früher Deine holden Züge, vor dem Freunde? Glaubst Du nicht an meine grenzenlose Liebe?«
Hoch richtete sich jetzt die schlanke Gestalt empor, ihre Brust arbeitete unter einer schweren Last. Nach einem kurzen Schweigen sank sie wieder langsam in sich selbst zurück, und antwortete nach einem tiefen schmerzlichen Seufzer.
»Ich verhüllte meine Züge, doch eine Macht, die stärker ist als wir, fand auch durch die Schleier den Weg zu, unsern Herzen. Ich verhüllte Dir mein Schicksal, weil ich Dich mehr liebe, als mich, weil Dein Herz brechen wird unter den Qualen des Mitleids, und Dein Geist erstarren bei der Ahnung dessen, was ich erlebte; Du findest mich heute matt und krank, weil blutige Bilder in meiner Seele aufstiegen, weil ich Schatten heraufbeschwor, die langsam an Dir vorübergleiten, und für meine Schuld Vergebung erflehen sollen, wenn vielleicht ein Augenblick kommt, wo Deine Liebe an mir zweifeln könnte.
Ich bin die einzige Tochter des Häuptlings Januli Milaito. Zwischen drei blühenden Brüdern der Stolz des Vaters – wuchs ich auf. Haß gegen die Geißel der Sklaven, unter deren blutigen Streichen das Vaterland schmählich unterging, Begeisterung für die Thaten unsrer Ahnen, für das alte Griechenland, sog ich aus der Brust meiner Amme – ich habe nie meine Mutter gekannt – und mit den Jahren ward, wie die wahre Erkenntniß der Schmach unsres Zustandes, der Verdorbenheit unsrer eignen Nation, auch das, was ich wollte, klar und entschieden in meinem jungen Geist. Was mein Vater, meine Brüder brüteten Freiheit, war auch das einzige Streben meiner Flammenseele. Ich ward Jungfrau, der große Bund glühte still aber mächtig in den Herzen des Volkes, und schon begann man an den Fesseln so vernehmlich zu rütteln, daß die eisernen Klänge, von falschen Winden über's Meer getragen, in den prachtvollen Goldsälen Constantinopels wiederhallten.
Da trat eines Tages mein Vater mit einem großen Manne von mittleren Jahren, einer erhabenen Gestalt, und bedeutsamen, geistreichen Zügen, in mein Gemach, und kündigte mir ihn als meinen Gatten an – in wenig Tagen sollte der Bund geschlossen werden. Ich kannte die Liebe nicht, und keinen andern, als den Willen meines Vaters. Der Mann, dem man mich vermählte, war im großen Verein, Freiheit war das erste Wort, dessen er mich würdigte, als der Priester uns verbunden hatte – Freiheit oder Tod! jubelte ich, und zum ersten Male umfaßte er mich, meinen Geist ahnend, und ich schmiegte mich an seinen Arm, froh des Gefühls, einen Helden des Vaterlandes mein zu nennen.
Mein Gatte liebte mich glühend, ich ehrte ihn, doch mein Gemüth erwarmte nicht zur Liebesgluth in seinen Armen. Das fühlte er, und der Argwohn einer früheren Liebe stieg in ihm auf, und machte ihn zum ruhelosen Wächter meiner Schritte; nicht am Tage, nicht in der Nacht verließ mich sein Argusblick, und wenn sein Geschäft im Bunde ihn von meiner Seite riß, so kam er krank, und oft fast rasend zu mir zurück, weil seine Eifersucht ihm jede Stunde in eine martervolle Ewigkeit verwandelt hatte. Ich ward Mutter eines holden Knaben, und alle Quellen meines Lebens sprangen in vollen Strahlen, als ich das Kind an meinen Busen drückte, und alle Sehnsucht nach Liebe wandte sich dem kleinen Wesen zu. Mein Gatte, in toller Raserei ob dieser Liebe für mein Kind, riß mich oft von dem Knaben weg, und zwang mich, verhüllt in Mannestracht, ihm zum Verein zu folgen, um dort mit neuen Qualen mein Gesicht zu hüten, ob auch kein edler Jüngling von den Kriegern des Landes meinem Auge einen Blick abgewann. Ich wähnte mich unglücklich, und wandte meine ganze Seele dem Kinde und dem Vaterlande zu. Mit Jubel vernahm ich die ersten blutigen Schritte, die den Gott der Schlachten über unsre Fluren trugen. Gräuel häufte sich auf Gräuel, und dann sproßte aus jedem grausam erpreßten Tropfen Griechenbluts ein grünes Hoffnungsreis hervor und belebte den festen Glauben an die Gerechtigkeit des Herrn.
Jetzt nahte der fürchterliche Capudan Pascha mit seinen rasenden Horden unsrer Stadt. Furcht vor dem Tode kannten wir nicht, denn längst hatten wir uns mit dem Gedanken vertraut gemacht, für die Freiheit zu sterben. Zum Kampf gerüstet traten eines Abends meine Brüder an meines Gatten Seite in mein Gemach. Finster schritt er auf mich zu, maß mich mit einem langen Blick, und sprach dann: ›Theodosia, der Augenblick ist da, wo Du Deinen männlichen Geist bewähren kannst. Unsrer Stadt droht Vernichtung, wir werden untergehen, denn wir sind zu schwach, um uns zu halten. Ich ziehe an der Spitze meiner Schaar hinaus, um dort dem ersten Anfall zu begegnen; Du aber, hülle Dich in Männertracht, und flüchte mit dem Knaben in's Sophien-Kloster, bewaffne Dich wohl, unsre Dienerschaft begleitet Dich.‹
›Warum die Stadt verlassen‹ – fragte ich – ›warum fliehen? Droht uns Vernichtung, warum nicht mit Allen untergehen?‹
›Weil unser Leben dem Vaterland noch nützen kann‹ – entgegnete mein Gatte kalt – ›triff Deine Anstalten schnell, wir geleiten Dich.‹
Der gebietende Blick meines Gatten war mir Befehl. Ich fühlte wohl, daß es die Eifersucht war, der er mich opferte. Welche Sicherheit konnte mir ein einzeln stehendes Frauenkloster gewähren? Wozu barg er mich in fremde Tracht? Schrecklicher Argwohn, der mich verderben sollte! Schweigend ordnete ich Alles. In einem kleinen Kästchen von Ebenholz war der Schmuck unsres Hauses, den ich, dem Willen meines Gatten gehorchend, den treuen Händen der Amme anvertraute. Die Nacht brach an, stumm verließen wir unser Haus, um es nie wieder zu betreten. In einem langen Zuge folgten unsre Diener, mein Knabe ruhte schlummernd in meinen Armen. Lautlos, wie Geister, zogen wir durch die öden Straßen, tiefes Dunkel bedeckte unsre Schritte, und gräßlich klang mir die Stimme meines Gatten, der den anrufenden Posten kalt und eintönig das Feldgeschrei zurief. Wir wechselten keine Worte, wir fühlten Alle, daß dieser Gang unser letzter sein könne. Mein jüngster Bruder, ein lieblicher Jüngling von siebzehn Jahren, trat einmal an meine Seite, faßte meine Hand, und flüsterte: ›Arme Theodosia, fasse Muth!‹ – ›Hast Du mich je muthlos gesehen?‹ – fragte ich ihn stolz, und schritt rascher vorwärts. Er seufzte tief, und mir war es, als tönte der Klang vieler Waffen dumpf durch die Nacht.
Ein Schauder rieselte durch meine Glieder. Ich stand einen Augenblick still und wandte das Haupt, da war mir's, als sähe ich hinter uns eine unabsehbare Menge wogen. Wir waren schon außerhalb der Stadt, ein Pinienwäldchen konnte mich täuschen, ich fragte leise Marien, die neben mir ging: ›Maria, täuscht mich die Dunkelheit, oder folgt uns ein Haufe Bewaffneter?‹
›Ach meine unglückliche Herrin‹ – flüsterte die Treue mir zur Antwort – ›Ihr täuscht Euch nicht. Ich habe es längst geahnet. Als wir durch die Straßen zogen, sah ich, wie unser Gefolge sich mit jedem Augenblick mehrte; der Herr mag wohl empfinden, welch eine gefahrvolle Bahn er uns führt, und denkt uns im Fall der Noth den Weg nach unsrer Zuflucht zu erkämpfen.‹
Mein Blut erstarrte. Ich preßte meinen Knaben fest an mein Herz, denn klar war mir auf einmal, was es galt. Todt oder lebend wollte er mich dem Sophien-Kloster überliefern, in dessen Katakomben er mich allein dem Auge der Menschen tief genug verborgen wähnte. Seine Schaar folgte ihm, ein sicheres Zeichen, daß er die Gefahr, die uns drohte, kannte und entschlossen sei, ihr die Stirn zu bieten. Nicht für mein Leben bebte ich, denn ich kannte keine Furcht, nur für den holden Knaben zitterte ich, der sorglos, sein liebes Haupt auf meinem Busen wiegend, entschlummert war.
›Ist es möglich, Gregorio‹ – rief ich zurückschreitend, als seiner Stimme Hall mir die Stelle verrieth, auf der er stand – ›ist es möglich? So wirst Du denn im Wahnsinn Deiner Eifersucht Dein schuldloses Kind dem Tode überliefern? Ist es denn nicht Dein Blut, Deine Seele, Dein Leben, das Dir aus den Zügen dieses Engels wiederstrahlt!‹
Schweigend, und fast regungslos stand Gregorio mir gegenüber; zum ersten Male hörte er einen lauten Schmerzensausbruch, einen lauten Vorwurf von meinen Lippen, und mir war es, als sähe ich durch das Dunkel seine Augen flammend auf mir ruhen; doch verschwunden war die Scheu, die mir sonst bei diesen Blicken die Lippen verschloß, ich faßte krampfhaft seinen Arm, und meine Knie zitterten, mein ganzes Wesen war im furchtbarsten Aufruhr. ›Grausamer Unmensch‹ – rief ich außer mir – ›Du kannst doch nimmermehr den Tod des Kindes wollen, Du willst nur meine Leiche! Stoße mir den Dolch in die Brust, und ende die Qualen, mit denen seit Jahren Deine Zweifel mich martern, aber rette den Knaben! Laß mich ihn Marien übergeben, laß sie zurückkehren in die Stadt, dort leben Mütter, dort wird sie eine Zuflucht finden für mein verwaistes Kind. Noch schützt uns der Allmächtige, die Stadt wird nicht untergehen, so laß uns denn sterben, aber rette unser Kind!‹
›Theodosia‹ – sprach mein Gatte – ›ganz unnütz enthüllst Du mir Dein Innerstes, und zeigst mir, daß Du mich nie verdient noch geliebt hast, ich bin kein Tyrann, ich denke nicht daran, mein Kind zu morden, noch Dich – retten will ich Euch, und dazu bedarf es jetzt meiner Schaar, denn furchtbar kann jeder Augenblick sich nun gestalten, da wir von Feinden umringt sind, hier und dort droht uns Vernichtung, dort gewiß, hier ist noch Rettung denkbar; hadre mit der Vorsehung, die uns in dieses Labyrinth geführt, nicht mit dem Gatten, der Dir den leitenden Faden reichen will. Auf, Griechenweib! erhebe Dich mit Kraft, vertraue auf Gott, und befiehl Dich und Dein Kind in seine Hände – rettet er Euch, so sterbe ich freudig.‹
Ich stand vernichtet, und Gregorio verschwand in die Nacht hinaus. Aus der Ferne wieder vernahm ich seine Stimme, und nun begann die Dunkelheit zu leben; vor mir, um mich, und neben mir wogten Schatten vorüber, und nach einer langen, furchtbaren Stille setzte sich der Zug wieder in Bewegung. Maria stand wieder neben mir, und nahm schweigend das schlummernde Kind aus meinem Arm, ich duldete es still, meine Kraft war erstarrt, ich war kaum fähig, den Vorwärtsschreitenden zu folgen; denn die feste Ueberzeugung, daß ich meinen Knaben dem Tode entgegenführe, hatte alle Stärke meines sonst so festen Geistes gebrochen. Maria zeigte mir nun erst, was geschehen war. Die Schaar hatte sich in einen dichten Kreis um uns versammelt, wir sollten im Kern, beschützt von ihren Waffen, die sichere Zuflucht erreichen. Mein Gatte und meine Brüder hatten sich von mir getrennt, und zogen der Schaar voran. Gleich einem lebenden Riesenknäuel wälzte sich der Haufe in lautloser Stille durch die schwarze Nacht, und schon über eine halbe Stunde hatten wir ungestört unsren Weg verfolgt, als auf einmal ein heller Schein aus der Ferne unser Auge traf, und ein gellender Ton die Luft durchschnitt. ›Das sind Feinde!‹ flüsterte es um mich her. ›Jetzt Muth, mein Griechenweib!‹ tönte Gregors Stimme mir zu aus weiter Ferne. Ich nahm mein Kind in meinen Arm, hielt es mit der Linken fest, und hoch in der Rechten schwang ich die mörderische Waffe!
›Mit Gott und Griechenland!‹ rief ich begeistert, und die Gewalt des Glaubens, die Nähe des Allmächtigen durchströmte meine Seele mit einem Muth, und meinen Körper mit einer Kraft, deren Möglichkeit sich nur in einem solchen Augenblicke ahnen läßt; ich schritt rasch zwischen dem dahineilenden Haufen einher, doch jetzt wurde es plötzlich hell und lebendig um und neben uns, aus der Erde schienen Gestalten und Fackeln aufzusteigen, aus den Gebüschen, hinter Felsstücken hervor sahen Menschenhäupter, und unter dem Feindeshaufen leuchtete, von einzelnen Lichtstreifen berührt, ein blutrother Halbmond durch die Nacht, und mir war es, als flöge luftiges Gesindel in langen Zügen hinter ihm her. Mehr und mehr wuchs die Schaar, die uns zu überfallen drohte, und wie aus einem Nebel drang mir jetzt Waffengeklirr und Feldgeschrei in's Ohr, aber es kam nicht daher, wo wir Menschen und Lichter sahen – großer Gott! es war in unserm Rücken. ›Verrätherei!‹ scholl es jetzt gräßlich durch die Nacht. Von allen Seiten angegriffen, focht unsre Schaar mit löwenmuthiger Tapferkeit. Ich hörte das wüthende Freudengebrüll der thierischen Horde, so oft ein Held unter den Streichen der Ueberzahl erlag, ich sah im Fackelglanz hier und dort die krummen Klingen die Luft durchblitzen, dazwischen tönte mir die Stimme meines Gatten, meiner Brüder, in furchtbarer Anstrengung aus der Ferne her, und dünner und dünner ward der Kreis, der mich umschloß. Da erfaßte ein Gefühl meine Seele, dem ich keinen Namen geben kann, Mordlust und Blutgier, rasender Schmerz und wilde Rachlust steigerten meine Kraft so riesenmäßig, daß ich mich tollkühn in die Gegend stürzte, woher die wohlbekannten Stimmen mir herüberklangen. Ein Haufen Menschen wogte durch einander, eine Reihe Gefallener umschloß ihn, die Fackeln flammten auf, ich erkannte Gregorio, der vergebens sich durchzukämpfen suchte, um meinem jüngsten Bruder beizustehen, der unter den zahllosen Hieben der Menge verblutete. Mit wüthenden Streichen drängte ich mich durch den Haufen, wohin mein Schwert traf, bezeichnete Blut seine Bahn, bald stand ich ihm näher, und erkannte die Leichen zweier meiner Brüder, welche ausgestreckt auf der Erde lagen, und sah vor meinen Augen den Liebling meiner Seele, meinen jüngsten Bruder, grausam zerfleischt, aus unzähligen Wunden sein theures Leben verströmen. Sein brechendes Auge fiel auf mich, mein erwachtes Kind schrie jammervoll, die kleinen Hände fest um meinen Hals klammernd, und jetzt fühlte ich es wieder, daß ich Weib, daß ich Mutter, Schwester sei. Alles, was nun geschah, war das Werk eines Augenblicks; ich sah mich umringt, man beleuchtete mich mit Fackeln, ein wildes Hohngelächter erhob sich, man wollte das Kind aus meinen Armen reißen, mit der Wuth der Löwin hieb ich um mich, die Kraft verließ mich, ich sah Barmherziger! – mein Kind hoch in die Luft fliegen, sein süßes Haupt an einem Felsstück zerschmettern, und sein weithinspritzendes Blut bedeckte glühend heiß mein Antlitz, mit beiden Händen faßte ich den Säbel, und das gespaltene Gesicht des Mörders grinzte mich an, eine tiefe Wunde brannte auf meiner Schulter, das Bewußtsein verließ mich, entseelt sank ich zusammen.«
*
Theodosia hielt inne, ihre Knie zitterten, die Zähne schlugen klappernd an einander, kalter Schweiß stand auf ihrer Stirn, sie vermochte nicht weiter zu sprechen.
Aufgelöst in Mitleid, und starr vor Entsetzen schloß sie der Lord fest an sein Herz. »O« – rief er, und seine Augen schwammen in Thränen – »wie kann ein Leben voll unendlicher Liebe, das ich Dir biete, auch nur einen Augenblick die Erinnerung der Qualen vernichten, die ein grausames Geschick Dir bereitete! Mein Dasein könnte ich für eine Stunde der Rache hingeben.«
Lange saßen sie so schweigend, da erhob plötzlich Theodosia das Haupt, löste das Gewand von der Schulter, und deutete auf eine tiefe, purpurrothe Narbe, welche diese gleichsam durchschnitt; »das rettete die Todtgeglaubte vor Entehrung. – Die Barbaren scheuchte die Leiche zurück – die noch nicht entschlummern sollte, die den Kelch noch nicht geleert hatte.« Mit eiserner Ruhe vollendete sie nun ihre Erzählung.
»Die Qual dieser Wunde rief mich in's Leben zurück; ich erwachte mit dem dunkeln Gefühle einer schweren Last, welche ich vergebens abzuwälzen suchte, und eines heißen, brennenden Schmerzes. Lange vermochte ich es nicht, die Augen zu öffnen; eine eisige Kälte, von der Last, die mich drückte, ausgehend, durchdrang meinen Körper. Ich erhob den matten Arm, und griff prüfend um mich, weil ich in seliger Bewußtlosigkeit auf meinem Lager zu erwachen wähnte, – da faßte ich ein starres Todtengesicht, eine kalte Hand, das Entsetzen erweckte meine Lebensgeister, ich versuchte mich zu bewegen, und endlich gelang es mir, den Kopf zu erheben, und um mich zu schauen. Noch lag dunkle Nacht auf der Erde, nur das Wehen einer schneidend scharfen Morgenluft verkündete den herannahenden Tag. Todtenstille umgab mich, drei Schritte von mir lag, lang ausgestreckt, die Leiche eines Türken, der mit starrer Todtenhand eine noch hellflammende Fackel so gefaßt hielt, daß sie sich aufrecht wie eine Fahne, in die Erde gepflanzt hatte. Gräßlich beleuchtete der flackernde Schein den Kreis Erschlagener, der mich umschloß, und mir war es, als hohnlache der Todte, und zeige mit der Blutfackel nach mir hin. Ich wollte aufspringen und entfliehen, aber jetzt erst erkannte ich mit Schaudern, daß das kalte Haupt einer Leiche mit Centnerschwere auf meiner Brust ruhe. Ich bog den Kopf zurück, um mich vor dem gräßlichen Anblick zu retten, denn mir fehlte die Kraft, den Todten von mir hinwegzuwälzen, da fühlte ich – und Entsetzen lähmte meine Glieder – das Haupt sich bewegen, und endlich drang ein schwerer Seufzer aus der Brust des Erwachenden.«
›The – o – do – sia‹ – stammelte der Unglückliche – jetzt riß mich das Uebermaß des Entsetzens empor, ich schob mit ungeheurer Anstrengung den Körper so weit von mir ab, daß ich mich emporrichten konnte, und ›Gregor!‹ schrie ich auf, sank über den Sterbenden hin, preßte meine Lippen auf seinen blutenden Mund. ›Meine Theodosia!‹ – stöhnte er aus der durchbohrten Brust hervor – ›ich sterbe für Dich! Aber mein Geist kehrt zur Erde zurück und sucht den Deinen. Ich finde nicht Ruhe im Grabe, wenn nicht Dein Schwur mich in die Ewigkeit begleitet. Schwöre!‹ – ›Was Du begehrst, mein Gatte!‹ – jammerte ich, vergebens bemüht, das unaufhaltsam strömende Blut zu stillen, das bei jedem Worte hervorbrach – ›ich schwöre!‹
›Hier bei den Gräueln, die uns umgeben, bei meinem zerfleischten Leichnam, bei dem zerschmetterten Haupte Deines Kindes, schwöre mir: nie eines Andern zu werden, nie einem Andern zu gehören, als mir, dem Todten. Mein Geist wird Dich umschweben, und Dich mahnen an Dein Wort.‹
›Ich schwöre!‹ – rief ich, und erhob die bebende Hand gegen den grauenden Tag.
›Schwöre mir, daß, wenn Du jemals diesen Eid brichst, Du Dein eigner Richter sein willst, durch mich!‹
Ich starrte ihn fragend an; kaum mehr verständlich stammelte er: ›An meiner linken Hand – nimm den Rubin – gedenke meines Herzblutes‹ –
»‹Ich verstehe Dich' – rief ich, und zog den Ring von seiner kalten Hand – ›er werde Dein Rächer, wenn ich jemals meinen Eid breche, das schwöre ich Dir bei allen Gräueln dieser Nacht!‹
Ich umfaßte ihn, und legte sein sterbendes Haupt an meine Brust.«
›Theodosia‹ seufzte er, und seine Stimme ward mild, wie ich sie nie gehört – ›ich danke Dir. Vergieb mir, ich wollte Dich retten, und verdarb uns Alle, vergieb mir! Ich habe nichts auf Erden so geliebt, wie Dich! – Ach, mein unglückliches Vaterland! – Flieh, verlaß es – kehre nicht wieder! Theodosia! Ich fühle den Schmerz des Todes nicht an Deiner Brust!‹
Er war dahin. Ich starrte schweigend in sein kaltes Antlitz, stumm und regungslos erkannte ich nach und nach auch die Leichen meiner Brüder, die mich umgaben, das Maß meines Empfindungsvermögens war übervoll, nichts erschütterte mich weiter.
Als ich mich wieder besinnen konnte, war ich im Sophien-Kloster. Maria, furchtsam aber treu, hatte sich bei dem ersten Ausbruch des Gefechtes mit dem ihr anvertrauten Gut geflüchtet, und glücklich, von der Dunkelheit beschützt, das Frauenkloster, tief im Gebirge versteckt, erreicht. Die türkischen Horden waren durch einen Ausfall der Griechen zerstreut und von dem Ueberrest von Gregor's Schaar verfolgt worden, das Gefecht hatte sich nach einer andern Gegend gewendet, und es gelang Maria, mich und die Leiche meines Kindes in's Kloster zu retten. Die Barbaren, zu sehr beschäftigt, die unglückliche Stadt zu vernichten, achteten des Klosters nicht, welches im Schutze tausendjähriger Felsen ihrer Macht Trotz bieten konnte. Langsam genas ich von meiner Wunde, und mit dem wiederkehrenden Leben kehrte auch das Bewußtsein meines gräßlichen Geschicks zurück, und die Wucht des nagendsten Jammers drückte mich zu Boden. Jetzt fühlte ich, wie wohl berechnet Gregor's Plan gewesen, mich in dies Kloster zu retten, und mit der Ueberzeugung, daß er uns nicht hatte verderben wollen, wuchs mein Schmerz um ihn und die geliebten, hingemordeten Brüder, früher hatte ich nur noch meines Kindes gedacht.
Sobald ich konnte, floh ich mit Marien. Jetzt gelang mir jeder Schritt, und ich bemühte mich doch nicht mich zu verbergen, denn nur, um den Willen Gregor's zu erfüllen, verließ ich mein Vaterland. Ein italienisches Schiff nahm mich auf. Mit den Schätzen unsres Hauses, welche durch Maria gerettet waren, fanden wir überall offene Arme. Ich folgte willenlos der treuen Amme, und so kamen wir, Italien bereisend, hierher, wo die Aerzte für meine leidende Gesundheit Besserung hofften.
Maria kannte meinen gräßlichen Schwur, und ich gelobte ihr und mir, mein Antlitz nie mehr vor einem Männerblick zu entschleiern. Verhüllt verließ ich mein Vaterland, verhüllt kam ich hierher, ich sah Dich – – und Dein erster Anblick sagte mir, daß ich geboren bin, um zu lieben, und von der Liebe Gluth beseligt zu werden. Ich vergaß, daß das Blut meines Kindes die frischen Tinten meiner Haut auf ewig zu Schnee gebleicht hat, ich vergaß des grauenvollen Augenblicks, wo ich mich selbst dem Todten für immerdar verpfändet hatte. Ich wollte mich von Dir losreißen, ich ging hinaus in's Feld der Todten, um jene Schreckensbilder mit frischen Farben in meine Seele zurückzurufen, und meines Schwures eingedenk zu sein und in dem Reich der Gräber fand ich Dich, und mein verbrecherischer Mund durchflammte Deine Seele mit einer Liebe, die weit über dieses Erdenleben reichen wird. Ich floh Dich wieder – da tritt abermals der Tod zwischen uns, nicht uns zu trennen, nein uns zu vereinen, und an der Leiche der treuen Amme lodert die Flamme hoch empor, die in meiner Brust Verbrechen ist.«
Thränen stürzten jetzt aus Theodosiens Augen, sie umschlang stürmisch seinen Nacken, und preßte ihre kalte Stirne fest an seine Augen: »Ich habe einen Augenblick gelebt, ich war glücklich, ich habe alle Seligkeit der Erde in dem Gefühl gefunden, von Dir geliebt zu sein. Und nun sei stark, Du großer Geist, wir scheiden nur für kurze Zeit – der glänzende Rubin verschloß ein langsames, doch sicheres Gift, ich habe mich selbst gerichtet, durch Gregor's Hand!«
*
» Theodosia!« – schrie der Lord, und das Entsetzen riß ihn hoch empor – »Theodosia, was thatest Du?«
Mild schlug sie die trüben Augen zu ihm auf, mit unsäglicher Liebe ruhte ihr brechender Blick auf seinen krampfhaft verzerrten Zügen. »Ich werde in Deinen Armen sterben« – lispelte sie kaum hörbar, »und Du wirst Deiner armen Theodosia vergeben. O gönne doch diesem zerrissenen Herzen die lang ersehnte Nacht des Todes!«
In Mylords Seele ward es dunkel, vergebens rang seine Brust nach Athem, vergebens sein Geist nach Stärke, das Gräßliche zu fassen. Erdfahle Blässe deckte seine Züge, convulsivisch faßten die erkalteten Hände in die sträubenden Haare, im unaussprechlichsten Weh' schrie er: »Weib, was thatest Du!« – und fast sinnlos stürzte er zu ihren Füßen nieder, das Haupt in ihrem Schooß verbergend.
»Konnte ich denn leben, mein geliebter Freund« – fragte Theodosia, liebend sein bleiches Haupt zu sich erhebend – »konnte ich Dir angehören, und Dich mit mir in die Verdammniß ewiger Reue reißen? Mein Tod sühnt mein Vergehen, für mich ist kein Glück mehr auf Erden, als zu wohnen in Deinem Herzen. O meine Seele, blicke auf, und sieh die Purpurstreifen der sinkenden Sonne, unter diesen Strahlen laß mich scheiden an Deiner Brust!«
Eine zuckende Bewegung des ganzen Körpers verkündete den herannahenden Tod. Erschrocken sprang der Lord empor, langsam sank sie in seine Arme, das Haupt dem verlöschenden Licht des Tages zuwendend, ihre Augen funkelten in einem Gefühle, das nicht mehr dieser Welt gehörte, ihre Arme schlangen sich matt und leise um seinen Hals.
»Theodosia, warum thatest Du mir das?« stöhnte er, und seinem männlichen Auge entstürzte ein Strom von Thränen, der glühend auf ihre Stirn fiel.
»Du weinst, mein theures Leben? Du hast mir vergeben, Dein Schmerz wird milder werden, und Theodosia wird fortleben einst in Deinen Thaten.«
Und hoch erhob sie sich jetzt, die Abendwinde spielten leise in den dunkeln Locken, starrer schaute sie hinaus in die neblichte Ferne, und prophetische Worte strömten über ihre Lippen.
»Ich werde verlöschen« – rief sie begeistert aus – »doch mein Vaterland wird auferstehen. Morgen steigt sie glänzend wieder empor, die Welterhalterin Sonne, so auch mein Volk, und Du wirst leuchten einst ein heller Stern in meines Vaterlandes Nacht. In Hellas blüht der Zweig, der nicht von giftiger Lästerung gebleicht, sich ewig grünend Dir um das Haupt winden wird, von Hellas auf schwingt sich Dein Riesengeist, im Tode erst erkannt, entsühnt dem Urquell zu und staunend läßt Du hinter Dir die Welt, und weinend mein unglückliches Vaterland!« – Sie schwieg einen Augenblick, matt in sich zusammensinkend. »Mein Freund« – rief sie, ihn plötzlich fest umklammernd – »es naht der Tod mit raschen Schritten, Maria's Geist riß sich von meinem los, der zwölfte Pulsschlag wird mein letzter sein!«
Die Erinnerung an jene Stunde stieg auf in seiner Seele. »Ich darf Dir nicht folgen« – sprach er – »ich muß leben für Dein Vaterland, doch wenn Du mich geliebt hast, Theodosia. geliebt, wie ich Dich, schrankenlos, bis über das Grab hinaus, so laß mich Deinen fliehenden Geist an meinen fesseln, bleibe bei mir!«
Rasch zog sie den Dolch aus ihrem Busen: »So ritze Dir und mir die linke Hand!« – und in einem Augenblicke umschlossen sich fest ihre verwundeten Hände, ihr warmes Herzblut mischte sich – »Dein bis über's Grab hinaus« – hauchte sie, und in wahnsinnigem Schmerz preßte er die Sterbende an die zerrissene Brust, seinen Namen mit dem letzten Hauch von den erstarrten Lippen küssend.
Sie war dahin – doch fest umschlang. noch ihr Arm seinen Nacken, ihre Hand seine blutende Linke. Betäubt, von Gefühlen zerrissen, die keine Feder beschreibt, löste er sie sanft von sich los, trug die Leiche in das blumenumduftete Gemach, und ließ sie leise auf den Divan gleiten. Eine gebrochene Lilie lag sie da zwischen der üppigen Farbenpracht der sie umsäuselnden Blüthen. Mild wie Mondeslicht leuchteten die marmorweißen Züge aus dem Blätterdunkel hervor, das halb geschlossene Auge haftete entseelt noch auf dem Einzigen, dem es in glühender Liebesluft geflammt, und Himmelsfriede schwebte auf dem leise lächelnden Munde, der seine heißen Küsse getrunken hatte.
Schweigend und regungslos lag der Lord vor der Geschiedenen auf den Knien. Keine Thräne erleichterte seine Brust, kein Laut gab seinen Jammer Töne. Das erste Weib, das er wahrhaft geliebt, war ihm entrissen für ewig – durch seine eigene Schuld; sein starker Geist kämpfte untergehend gegen die Macht des ungeheuren Schicksals, das sein stolzes Herz gebrochen, er erlag und wohlthätige Nacht umschleierte sein Auge.
*
Auf demselben Friedhofe, wo er sie einst gefunden, ruhte Theodosiens schöne Hülle, und manche Thräne fiel auf ihr verwaistes Grab aus den düstern Augen des jungen Arztes, dem ihr Bild durch's Leben folgte.
Großartig wie sein ganzes Wesen, war auch der Schmerz des Lords, großartig, wie nur er es vermochte, ertrug er ihn, nur Einer kannte die Qualen die fest verschlossen in der Brust an seinem Leben zehrten – es war der junge Arzt. In grauer Dämmerung sah dieser eines Morgens seine hohe Gestalt auf ihrem Grabe stehen, die Hand nach dem glühenden Osten ausstreckend, und hörte, seine Stimme weithin schallen über die Gräber: »Dorthin folge mir, herrlicher Geist, dorthin, wo ein blutiges Morgenroth den nahenden Tag und uns Vereinigung kündet.« Bald nachher war er verschwunden.
Als später auf tausend Zungen ein hoch berühmter Dichter-Name schwebte, rief mancher aus der ehemaligen Badegesellschaft – »ich hab' ihn in N****Ü gekannt;« die bleiche Marquise S*** aber flüsterte die Hand fest auf das kranke Herz drückend – »ich hab' ihn geliebt!« und eine heiße Thräne fiel auf das Buch das vor ihr lag – es war: Der Corsar, von Lord Byron.