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Der Holländische Kamin.


Ein trüber, neblichter Morgen lag auf den blauen Fluthen der Newa, und hüllte das junge, eben erst entstehende Petersburg in dunkle Schleier ein. Auf den Schiffswerften war noch Alles todt, nur auf einem Haufen Stricke und Ankertauen saß, den Kopf auf beide Hände gestützt, ein junger Mensch in deutscher Tracht, außer ihm war rings kein lebendes Wesen zu erblicken.

»Faules Volk oder vielmehr faules Vieh das russische,« murmelte er verdrießlich in sich hinein, »der Vetter hätte nicht nöthig gehabt, mich so zu treiben, da liegt noch Alles auf den Ohren, könnt's auch so machen.« Und somit schloß er die Augen, legte sich auf seine Stricke, streckte sich, und entschlief.

Eine feine Weile verging so, da kam in tiefem Sinnen ein riesengroßer Mann daher, mit schönen, erhabenen Zügen und festem, stolzem Schritte. Ein brauner Rock von grobem Tuche, nach holländischem Schnitte, eine kleine Pelzmütze und schwere, plumpe Lederschuhe machten seinen Putz aus, in der Hand trug er einen ungeheuren Knotenstock, den er bald in tiefen Gedanken an die bärtigen Lippen, bald auf den Rücken legte, und bald damit in rascher Bewegung in Kreuz- und Querhieben durch die Luft fuhr.

Jetzt blieb er vor dem Gerippe eines kolossalen, halb vollendeten Schiffes stehen, sah lange mit scharfem Blicke darauf hin, und murmelte endlich mit einer Stimme, die wie leiser Donner bei herannahendem Gewitter klang: »Unsinn, offenbarer Unsinn! Sind die Kerls blind? Die Bretter haben sich ja um sechs Fuß geworfen, der Kiel muß schief gehen, die ganze Pastete schlägt um, sobald sie erst vom Stapel läuft. Wartet, ihr Hundsfötter!« und damit flogen seine Blicke suchend auf den Werften umher.

»Keinen Strick, kein Tau sehe ich weit und breit; halt, was liegt denn dort?« Der Mann trat näher hinzu, betrachtete den schlafenden Burschen flüchtig, zog ihm rasch einen Bündel Stricke unter dem Leibe weg, und wollte sich eben so schnell zu der Arbeit wenden, die er wahrscheinlich im Sinne führte, als der junge Mensch aufsprang, nach den Stricken griff, und zornig schrie: »Warte, Galgenvogel, so fest schlafe ich nicht, daß man mir meines Vetters Eigenthum unterm Rücken wegstiehlt.«

»Was stehlen,« fuhr der Braune zornig auf, »ich nehme sie, und gebe sie Dir in zehn Minuten wieder.«

» Nehmen?« lachte der Junge zornig, »ich weiß schon, daß ihr russischen Raben das nehmen heißt, was man bei mir daheim stehlen nennt. Laß die Stricke los, oder ich bläue Dich durch!« Er hob die geballte Faust, die schwarzen Augen blitzten, und der Andere sah wohl, daß es ihm Ernst sei mit dem Prügeln.

»O Du Erzbengel!« zankte der Braune, die Stricke loslassend, und fuhr in die Tasche, »da hast Du einen Rubel, nun wirst Du mir die Stricke doch borgen?«

»Pfui der Schande!« schnaubte der Junge, zu seinen Tauen zurückkehrend; »Du sprichst deutsch mit mir, und glaubst ich sei ein hungriger Russe, der nach Geld schnappt, wie wir nach einem hübschen Mädchen. Packe Dich mit Deinem Rubel, und mache mich nicht noch verdrießlicher, als ich bin!«

»Höre Bursche, Du hast eine gute Idee von den Russen, wie mir scheint,« meinte der Braune, ihn aufmerksam betrachtend.

Der Junge sah zu ihm auf, und sagte mit einem seltsamen Blicke: »Du bist keiner, und so mag ich Dir's wohl sagen – nein, ich habe keine sonderliche Meinung von ihnen. Mich reut's so viel ich Haare auf dem Scheitel habe, daß ich in das Barbarenland ging; die Kerls sind ja hier so dumm, so diebisch und dabei so verschmitzt, daß ein ehrlicher Deutscher die schwere Noth mit ihnen hat. Acht Tage bin ich nun hier, aber ich hab's schon satt über und über, ich meine ich wäre auf einen andern Welttheil verschlagen, und sobald ich meine Neugier gestillt, und den Narren von Kaiser angeschaut habe, gehe ich wieder meiner Wege.«

»Warum nennst Du den Kaiser einen Narren?« fragte der Braune, ruhig sich neben dem Burschen auf die Stricke setzend.

»Das will ich Dir sagen,« sprach der Junge vertraulich, »denn Du bist auch ein Deutscher, das höre ich, und obgleich ich Dich erst für einen Dieb hielt, siehst Du mir bei näherer Betrachtung doch ziemlich ehrlich aus. Nun sieh, der Kaiser ist ein Narr, weil er glaubt, aus dem Vieh, das hier auf zwei Beinen wandelt, im Lauf eines Mannesalters Menschen zu machen. So klug sollte er doch sein, zu sehen, daß der letzte holländische Matrose mehr Sinn und Verstand hat, als seine vornehmsten Leib-Diener, wenn's nämlich Russen sind. Und eben so leicht möchtest Du mir in zehn Minuten aus dem Stück Eichenholz da,« er bückte sich, und hob einen Span auf, der dicht vor ihm lag, »einen Reiter nebst seinem Pferde schaffen, als der Kaiser in diese verstockten Bursche je Begriffe von etwas anderm, als von Speck und Branntwein bringen wird.«

Der Braune nahm den Span bedächtig zur Hand, griff dann in die Tasche, holte etwas heraus, und sprach nun: »Wer bist denn Du eigentlich, Du kluger, vielwissender Geselle, und wie kamst Du hierher in das Land der Dummheit?«

»Wie ich hierher kam? Das will ich Dir sagen,« sprach der Junge gutmüthig, »denn es kann's ein Jeder wissen. Ich bin ein Schlesier von Geburt, mein Vater ist Schulmeister in Glogau, und meine Mutter war eine kreuzbrave Frau. Wir waren unser fünf Geschwister, als sie starb, ich der jüngste und wildeste. Da sagte der Vater: ›die älteste Tochter soll das Hauswesen führen, der älteste Junge soll studiren, denn es ist ein kluger Kopf, und der Herr Graf, unser Patron, will für ihn bezahlen. Der zweite soll Schulmeister werden, wie ich, denn er geht jetzt schon ganz ehrbar einher, und wird der Jugend Respekt einflößen; der dritte kommt zum Vetter Apotheker in die Lehre, aber Du, Steffen – so heiße ich – mußt ein Handwerk erlernen, denn Du hast nirgends Sitzfleisch, bist ein wilder ungeberdiger Bursche, und wirst Dein Lebtage nichts anders, als Deine Muttersprache erlernen.‹ ›Ei, da laßt mich lieber Soldat werden, Vater!‹ meinte ich. – ›Dem entläufst Du nicht‹, sagte er; ›aber besser ist's, Du kannst dazu noch etwas für's Leben, denn d'rein schlagen und sich wehren wenn's an Hals und Kragen geht, das ist eine Kunst, die sich von selber lernt. Also, was willst Du werden? Ein Schuster?‹ ›Gott bewahre!‹ ›Ein Schneider?‹ ›Pfui Teufel!‹ ›Ein Bäcker?‹ ›Nein!‹ ›Schreiner?‹ ›Nein!‹

›Nun, was zum Guckguck, etwas mußt Du doch lernen!‹

›Werde ein Seiler!‹ rief mein ältester Bruder: ›da kannst Du Stränge für alle Galgenstricke drehen, die nichts lernen wollen, wie Du.‹

›Meinetwegen!‹ sagte ich lachend, ›ist doch meiner Mutter Bruder auch ein Seiler gewesen, und hat nun sein Glück in Holland gemacht, wo er Taue dreht, an denen man die ganze Republik vor Anker legen könnte.‹ Ich ging in die Lehre, und lernte fleißig; hatte aber manchen Strauß, weil ich es nicht lassen konnte, wenn Einem Unrecht geschah, seine Parthie zu nehmen, und weil ich deshalb alle Augenblicke Schlägereien bekam. Endlich war ich so weit, daß ich hätte Meister werden können, aber ich hatte kein Geld. Da geschah es, daß sich eine reiche Sattlers-Wittwe in mich vergaffte, und zu meinem Vater kam, um mich zu freien. Der Vater war froh, und schlug zu, ich aber – schlug ab. ›Nein, Vater‹, sagte ich, ›der Mann muß die Frau freien, nicht die Frau den Mann, auch mag ich keine Wittwe.‹ ›Aber das Geld,‹ meinte der Vater – ›ich mag kein Geld, mache mir nichts d'raus, und will mich selbst ernähren, nicht das Gnadenbrod meiner Frau essen.‹ – Darob entstand Unfrieden zwischen uns, zum Ueberfluß bekam ich eine Schlägerei, wo ich sechs meiner Mitgesellen tüchtig durchwalkte, und acht Tage in's Loch kam. Der Vater nannte mich einen Taugenichts, die Schwester einen Galgenstrick, und das täglich beim Morgen-, Mittag- und Abendbrod. Da riß mir endlich die Geduld, und als Nachricht kam, daß der russische Kaiser meiner Mutter Bruder aus Holland mit nach Petersburg genommen habe, ihn reich bezahlte, und für geschickte Leute dort Unterkommens genug sei, da packte ich mein Bündel, dachte: dort giebt's auch für Dich Brod, und mit der Prügelliebhaberei wird's der Kaiser so genau nicht nehmen, denn er schlägt selbst gerne tüchtig d'rein, und wanderte hierher. Mein Vetter nahm mich freudig auf, und ich arbeite bei ihm. Heute vor Tag mußte ich nebst zehn Gesellen diesen Haufen Taue auf die Werften schleppen, und sitze nun dabei, sie zu hüten, bis der Werkmeister kommt und zahlt. Hier aber geht Alles so verdammt langsam, daß ich wohl noch eine Weile sitzen werde. – Aber was Teufel,« rief jetzt Steffen, sich selbst unterbrechend, »was hast Du denn da gemacht?«

Indeß der Junge erzählte, hatte der Braune, wie spielend, doch aufmerksam zuhörend, ein niedliches Roß nebst Reiter aus dem Holz geschnitzt; erstaunt nahm es ihm der Bursche aus der Hand, besah es von allen Seiten, und rief endlich: »Höre, Freund, Du bist ein wahrer Hexenmeister!«

»Nicht wahr, Steffen?« lächelte der Braune, »wenn der Kaiser so schnell aus seinem Vieh Menschen machen könnte, wie ich aus dem Eichenspan Roß und Reiter, dann bliebst Du schon in Petersburg.«

»Das will ich meinen,« lachte der Andere, »denn eigentlich muß das hübsch sein, so Tag für Tag Neues entstehen zu sehen, wie hier. Der prächtige Fluß da, die Festung dort, die Werften hier, und all das Wesen gefällt mir, denn es schaut so ein kräftiger Geist überall heraus, vor dem man unsichtbar ordentlich Respekt bekommt, obgleich's ein närrischer Kauz sein muß der große Peter. Wenn's nur keine Russen hier gäbe, mit dem Andern wollte ich schon aushalten.«

»Na,« meinte der Braune mit eisernem Ernst, »da wäre es am Ende doch noch möglich, Deine Vielheit für Petersburg zu gewinnen, wenn man allen Russen den Hals abschnitte!«

»Gott bewahre!« rief Steffen verdutzt, »mir zu Gefallen keiner Henne: nein, so schlimm denke ich nicht. Aber ich – ich habe nun einmal einen Zorn auf die Russen, und das ist mein apartes Geheimniß, und geht keinen Menschen an.«

»Da hat Dir gewiß Einer etwas gethan?« sagte der Braune freundlicher.

»Ich weiß nicht,« entgegnete der Bursche mürrisch.

»Warum wirst Du schon wieder grob?«

»'s ist einmal meine Art so!««

»Das sehe ich; aber etwas muß Dir doch geschehen sein?«

»Mir ist nichts geschehen, was Dich angeht!« rief Steffen zornig. »Donner und Blitz, da fährt's mir schon wieder in die Zähne; wenn ich nur an den Kerl denke, so möchte ich – hol's der Guckguck!« und somit kehrte er dem Braunen den Rücken, und brummte: »Nicht einmal einen ordentlichen Zahnbrecher haben die Hottentotten!«

»Höre, Kerl!« donnerte jetzt der Braune, »nun habe ich Deine dummen Redensarten satt: wo fehlt's Dir, was für ein Zahn thut Dir weh?«

Betroffen sah der Bursche auf, himmellang stand der Andere vor ihm. »Wo ist Dein kranker Zahn, in den Dir's fährt, so oft Du an einen Gewissen denkst?« herrschte der große Mann.

»Da!« sprach Steffen verdutzt und kleinlaut, öffnete den Mund, und zeigte den Zahn.

»Nun so soll Dich das Donnerwetter, Bursche, wenn Du noch einmal sagst, wir hätten keinen tüchtigen Zahnbrecher!«

Bei diesen Worten nahm der Braune eine Zange heraus, hielt den erstaunten Burschen mit seinem herkulischen Arm fest, und hatte ihm einen Zahn ausgezogen, ehe der Andere recht wußte, wie ihm geschah.

»So,« sagte der Braune, »ich bin ein Russe, Bursche, und hoffe, Dir sei aller Russenhaß in den einen Zahn gefahren, so bist Du ihn mit einem Male los.«

»Hol' Dich der Geier!« schrie jetzt Steffen, der wieder zu Athem gekommen war, »das sehe ich, daß Du ein Russe bist, verdammter Quacksalber, Du hast mir ja den unrechten Zahn ausgezogen!«

»Hab' ich?« fragte der Braune nun selber verdutzt, und betrachtete den schönen gesunden Zahn; »nun so setze Dich zurecht, ich hole den andern nach.«

»Du denkst wohl, ich will mir das ganze Gebiß ausziehen lassen?«

»Mach' nicht viel Umstände,« fuhr nun der seltsame Braune auf, und hob die Zange empor.

»Meinetwegen,« murrte der Junge, »aber reiß' die Augen auf, der ist's!« und nach wenig Sekunden war der kranke Zahn auch heraus.

Als Steffen um sich sah, wähnte er zu träumen, denn rings um ihn lag ein Haufe Arbeiter auf den Knieen, die Gesichter tief in den Staub gedrückt, der Braune aber warf Zahn und Zange weg, hob den mächtigen Knotenstock und trat mit dem Rufe: »Wartet, Ihr faulen Hunde, ich will Euch lehren, Eure Räusche ausschlafen,« mitten unter die zitternden Arbeiter hinein. Es war Peter der Große.

Längst war der Kaiser die Werften hinab gegangen, hatte gezankt und gelobt, hier mit sachverständigem Blick einen groben Fehler gerügt, dort einen Befehl ertheilt, als der arme Steffen noch immer wie versteinert dasaß, bald sein Zähne betrachtete, bald seine schwellende Backe betastete, und nicht recht wußte, habe er geträumt, oder sei ihm alles das wachend passirt. Die Taue waren dem Werkmeister übergeben, er hatte die Anweisung zur Bezahlung empfangen, und stand noch immer wie behext. Da kam die Werften herab ein allerliebstes junges Mädchen in reinlicher feiner holländischer Tracht, ihre dunklen Augen flogen suchend umher, ihre frischen Wangen glühten in hohem Roth von der Eile des Laufes, und endlich sprang sie rasch auf Steffen zu, und faßte mit dem Ausruf: »Vetter, was treibst Du denn?« seinen Arm. »Der Vater dachte schon, Du habest irgendwo Schlägerei angefangen, und schickt mich, Dich sogleich heimzubringen.«

Da kam auf einmal Leben in den versteinerten Schlesier, er griff nach des Mädchens weicher Hand, drückte sie recht herzhaft, und sagte nach einer Pause, die er durch einen sprechenden Blick seiner feurigen Augen ausfüllte: »Ach, Mariechen, Herzensbase, ich habe Schlimmeres angefangen, als eine Schlägerei.«

»Gott steh uns bei!« rief Marie ernstlich erschrocken, »Du hast doch nicht etwa den Wasilowitsch umgebracht?«

»Ach, wenn's sonst nichts wäre!« brummte Steffen schnell verdüstert.

»Sonst nichts?« jammerte das Mädchen, die Hände zusammenschlagend.

»Das wäre Dir wohl das Aergste, nicht wahr?« meinte der Bursche giftig.

»Gewiß, ein Menschenleben!« versicherte Marie, fromm die Hände auf der Brust faltend.

»Nun ja, ein Menschenleben; aber ein Russe, wie der, ist noch lange kein Mensch!«

»Du!« drohte Marie.

»Nun, höre nur, ich habe keine Zeit zu vertändeln, ich muß fliehen, noch heute.«

»Warum nicht gar!« rief das Mädchen, »Du träumst wohl?«

»Wollte Gott!« seufzte Steffen, »ich werde hier aber am Ende in Stücke gehauen, oder zu Tode geknutet, ehe ich mich recht umschaue; ich habe mich gegen den Kaiser vergangen.«

Wort- und tonlos faltete Marie die Hände, und aus ihren Augen blickte das Entsetzen so sichtlich, daß es Steffen eiskalt durch alle Adern lief.

»Ja!« sagte er jetzt kleinlaut, »erst, habe ich ihn für einen Dieb erklärt, und wollte ihn prügeln; dann schalt ich ihn einen Narren, die Russen, seine Unterthanen, nannte ich mehr als einmal Vieh, und endlich zog er mir einen unrechten Zahn aus, da schimpfte ich ihn Quacksalber, und hätte ihm fast von Neuem Prügel angetragen.«

Marie schlug ein Kreuz, faßte, an Arm und Bein zitternd, Steffens Hand, zog ihn mit sich fort, und flüsterte: »Vetter, Du bist acht Tage im Hause, aber in acht Jahren habe ich nicht so viel Schrecken ausgestanden, als in der kurzen Zeit. Komm, laß uns hinter die abgetakelte Schaluppe dort verkriechen, bis der Kaiser die Werften verlassen hat, und dann flugs nach Hause, der Vater wird schon Hülfe schaffen.«

Eben wollte Steffen ihrem Rathe folgen, da schritt der Kaiser, dessen Falkenblick aus weiter Ferne das Paar erspäht hatte, am Ufer herab.

»Wo hinaus, Ihr Leutchen?« rief er schon von Weitem.

Marie warf sich blitzschnell auf die Knie, und zog den erschrockenen Steffen neben sich nieder; indeß war Peter näher gekommen, und kommandirte: »Kopf in die Höhe, kleines Schwarzauge! Wer bist Du?«

»Ich bin Marie Willmer,« sagte das Mädchen bescheiden, aber muthig, »Tochter des Seilermeisters, den Eure Majestät aus Amsterdam–«

»Oho, ich weiß schon!« lächelte der Kaiser, »ja, ja, jetzt kenne ich Dich wieder, habe ja auf der Matrosenhochzeit mit Dir getanzt; aber der deutsche Erzflegel da ist Dein Schatz?«

Erglühend stotterte Marie: »Gott bewahre, Euer Majestät, es ist mein Vetter, ein wilder, aber guter Bursche, den man aus Deutschland hersandte, daß er sich die Hörner ablaufen sollte.«

»Nun,« schmunzelte der Kaiser, »wenn's auch mit den Hörnern nicht so geschwind geht, ein Paar Zähne ist er bereits glücklich los geworden. Aber mich däucht ja, Marie, ich hörte einmal, Du wolltest meinen Haushofmeister Wasilowitsch heirathen?«

Marie sah verlegen vor sich nieder, und zupfte an der Schürze.

»Nun?« fragte Peter erwartend; das Mädchen, wohl wissend, daß der Kaiser nicht gern zweimal frage, antwortete beherzt: »Ich will ihn nicht heirathen, er aber mich, und ich mag ihn nicht.«

»Warum?«

»Er ist häßlich, roh und immer schmutzig, ich kann seinen großen Bart nicht leiden, und seine kleine Stumpfnase ist mir zuwider; gegen seine Untergebenen ist er hart, und schlägt sie, dabei schimpft er ewig auf die Fremden, und so kommt's denn, daß ich ihn nicht mag; er aber läuft mir überall nach.«

»Aha,« lächelte der Kaiser, mit einem schlauen Blick auf Steffen, »ich verstehe! Ja, mußt Dich eben nach einem feinern umsehen, als Wasilowitsch; aber da rathe ich Dir, nimm den nicht,« er wies mit dem Knotenstock auf Steffen, »oder laß Dir ihn erst abschleifen, denn dem kann ich's bezeugen, daß er so grob sein kann, als der ärgste Stockrusse.«

Damit wandte er sich, und ließ die jungen Leute in sprachlosem Staunen zurück, denn sie sahen wohl, daß der Kaiser nicht erzürnt, und von Strafe gar keine Rede war.

»Base,« sagte endlich Steffen, »der Kaiser ist ein tüchtiger Mann, vor dem muß selbst ein Hottentott Respekt haben, das muß wahr sein!«

»Nun,« sagte Marie stolz, »so habe Du denn auch Achtung vor ihm, zügle Deine böse Zunge, und danke Gott, daß Du so durchkamst; bleibst Du, wie Du bist, so waren wir die längste Zeit gute Freunde.«

Steffen legte die Hand auf ihren Arm, die andere auf seine immer dicker werdende Backe, und versicherte kleinlaut, indem sie die Werften hinab gingen: »Mariechen, diesen Tag will ich mir zur Lehre nehmen.«

*

Es waren mehrere Monate verstrichen seit jenem Morgen, an welchem Steffen des Kaisers Bekanntschaft als Holzschnitzer und Zahnreißer gemacht hatte; sein Russenhaß war so ziemlich verschwunden, und hatte sich auf den einzigen Wasilowitsch conzentirt, ja er begann sich sogar unter dem gutmüthigen Volke zu gefallen, denn er galt bei seinen Mitgesellen für ein Licht erster Größe, und sie hörten ihm oft staunend und mit offenem Munde zu, wenn er von dem schönen Schlesien und den übrigen deutschen Landen Wunderdinge erzählte, und hier und da einen lateinischen Brocken, den er noch in seines Vaters Schule erschnappt hatte, mit einfließen ließ. Er führte im Hause seines reichen Vetters recht eigentlich das große Wort, doch nur, wenn dieser den Rücken gewendet hatte, denn der war gewaltig eifersüchtig auf sein Hausrecht, und obgleich ihm der kluge geschickte Bursche von großem Nutzen war, blieb er für ihn doch nur ein unbedeutender Mensch, denn er war ja nur der arme Vetter, und Meister Willmer hatte in Holland gelernt, daß ein Mensch ohne Geld gar nichts sei. Steffen merkte sich des Vetters schwache Seite, schwieg, wenn dieser redete, sobald er aber aus der Werkstatt trat, sprach er im gebietenden Tone, und hielt so die Leute, trotz dem reichen Willmer, im Respekt. Gab es Zank und Zwiespalt, schlichtete Steffen mit Güte oder mit Gewalt, immer aber blieb er Sieger, und die Leute im Hause hatten eben so viel Furcht vor seiner Zunge, als vor seiner stets schlagfertigen Faust. Dazu kam, daß der Bursche seine hochgewachsene edle Gestalt immer durch den reinlichsten feinsten Anzug in's rechte Licht zu setzen wußte, daß sein dunkles Haar sich in natürlichen Locken ringelte, das frische Gesicht aber beständig den Ausdruck eines gesunden Gewissens und reinen Herzens trug, so daß Mariechen bald anfing, ihm weniger keck in die schwarzen Augen zu schauen, und ihn nie ohne heimliche Freude lachen sah, weil er dann gar zu blendende Zähne zeigte. Steffen hatte einen offenen Kopf, und das Mädchen gefiel ihm vom ersten Anblick an nur allzuwohl, als daß er nicht bald weg haben sollte, wie es um sie stand. Mit wahrer Wonne sah er die rüstige Dirne im Hause schalten und walten, das große Wesen allein betreiben, und ihr fester Sinn, ihre rasche umsichtige Entschlossenheit, welche sich bei jeder Gelegenheit darthat, stimmte zu sehr mit seinem innersten Wesen überein, als daß er nicht in Kurzem das Mädchen von ganzer Seele lieben sollte. Marie ihrerseits dachte: »das wäre ein Mann für mich, der würde nach des Vaters Tod das ganze Haus zusammenhalten!« und so kam es, daß sie sich eines Abends, als eben der Meister nach der Austerei Eine Art Kaffeehaus, wahrscheinlich von dem Italienischen Osteria<. gegangen war und sie beide ganz allein im Zimmer saßen, plötzlich bei den Händen hatten, sich unversehens in die Arme sanken, und unter tausend Küssen ewige Liebe und Treue schwuren. So weit wäre Alles in Ordnung gewesen, und die jungen Leute meinten, nun fehle nur des Vaters Einwilligung; der aber hatte beschlossen, daß seine Tochter kaiserliche Haushofmeisterin werden solle, war mit Wasilowitsch längst einig, daß ihm alsdann alle Hoflieferungen zufielen, und dachte überhaupt aus dem einzigen Kinde was Vornehmeres zu machen, als die Frau eines armen Seilers, der noch obendrein keine Aussicht hatte, jemals ein eignes Gewerbe zu erhalten.

»Der Bursche muß aus dem Hause!« war seine einzige Antwort auf die Bitten und Thränen der armen Marie. »Ich mag keine Bettelprinzessin aus Dir machen, und wenn der Lump von Schulmeister seinen Burschen nach Rußland schickte, den reichen Vetter zu beerben, so soll er die Rechnung ohne den Wirth gemacht haben, denn ich gebe mein Kind keinem Bettler.«

Steffen stand zum erstenmal in seinem Leben horchend in der Stubenkammer, Marie hatte ihn da auf die Lauer gestellt. Mit klopfendem Herzen vernahm er des Vetters harte Reden, doch die Liebe zu dem Mädchen hielt ihn immer noch zurück; jetzt aber schoß er wie eine Rakete aus der Kammer hervor, trat mit blitzenden Augen vor Willmer hin, und rief: »Einen Bettler scheltet Ihr mich mit Unrecht, Meister! Ich habe mir jeden Bissen Brod in Eurem Hause redlich verdient, und noch von keinem Menschen eine Gabe verlangt. Ich bin ein geschickter Arbeiter, jung und fleißig, und finde meinen Weg aller Orten; zahlt mir den rückständigen Arbeitslohn für die fünf Monate, wo ich bei Euch Obergeselle war und dann laßt uns vergessen, daß wir uns einmal Vettern hießen.«

Willmer, der gehofft hatte, der Bursche werde umsonst arbeiten, eine Sache, die seinem Geiz gar wohl behagte, ging mit verdutztem Gesichte hinaus, das Geld zu holen, das er, wie er wohl fühlte, nun bezahlen mußte, und Marie sank weinend auf die Fensterbank.

Steffen trat rasch zu ihr, und wollte ihre Hand ergreifen. »Laß mich!« rief das Mädchen schluchzend, »Du hast mich belogen, da Du mir sagtest, Du liebtest mich, sonst könntest Du nicht so trotzig das Haus verlassen.«

»Und könntest Du mich lieben,« fragte Steffen finster, ihre Hand loslassend, »könntest Du mich fernerhin achten, wenn ich noch eine Nacht unter dem Dache bliebe, wo man meinen rechtschaffnen Vater einen Lumpen, mich einen Bettler nennt? Nein, Marie, so klein kann ich nicht von Dir denken.«

Marie schwieg, Steffen kehrte ihr den Rücken, und sagte dumpf: »Lebe wohl, Marie!«

Da sprang das arme Mädchen auf, sank an seine Brust, und rief: »Ja, ja, Steffen, Du hast recht, wenn Du gehst, und nimmer wieder kommst; aber mir brichst Du das Herz.«

»Ich werde Dich wiedersehen,« rief jetzt der Jüngling, sie fest an sich drückend, »sei mir treu. Gott half Deinem Vater, der nichts hatte, warum sollte er mir nicht beistehen? Ich führe nie ein Mädchen heim, als Dich!«

»Und ich will als Jungfrau zu Grabe gehen, wenn ich nicht Dein werde,« schluchzte Marie.

Der Vater trat mit dem Gelde ein, warf es auf den Tisch, und rief: »Und nun räume mein Haus, Bursche, und laß Dich nie wieder auf meiner Schwelle blicken!«

»Davor seid Ihr sicher,« sprach Steffen kalt, strich das Geld ein, warf einen Blick auf Marie und schritt hinaus, nach der Werkstatt eilend.

»Was macht er da?« fragte Willmer neugierig, und schlich ihm nach. Steffen aber stand inmitten der armen russischen Leibeignen, die dort auf Kaisers Befehl ohne Lohn lernen und arbeiten mußten, theilte sein Geld gewissenhaft unter sie, ohne einen Kopeken zu behalten, und ging dann, von ihrem Freudengeschrei geleitet, ruhig aus dem Hause, die Moika Fluss in St. Petersburg, der in die Newa mündet. [ Anm.d.Hrsg.] hinab.

»Narr!« brummte Willmer hinter ihm her.

»Edler Junge!« rief Marie, und barg die weinenden Augen in ihrem Tuch; Hoffnung hatte sie keine, denn sie kannte den Vater.

Finster schlenderte Steffen in den Straßen umher, ohne zu wissen, was er eigentlich wolle; die Trennung von Marien hatte ihm weher gethan, als er dem Mädchen zeigen mochte, und er fühlte sich zum ersten Male in seinem Leben recht unglücklich. An seine fernere Versorgung dachte er noch gar nicht, er wußte wohl, daß er in Petersburg Arbeit genug finden werde. So, voll trüber Gedanken, schritt er immer vorwärts, bis er sich endlich in dem jungen Eichenwäldchen befand, das Peter der Große mit eigner Hand vor seinem neuen Palaste, das Sommerhaus genannt, gepflanzt hatte.

Bei dem Anblick dieses reizenden Baues kam er zu sich selbst; hier im Erdgeschosse hauste ja der abscheuliche Wasilowitsch, der an seinem Leid Schuld war; »denn,« so meinte Steffen, »hätte der nicht den Vetter beschwatzt, und ihm den Hochmuthsteufel in's Blut gejagt, so wäre doch Alles anders gekommen.« Eben ging er mit geballten Fäusten an der kleinen Seitenpforte vorüber, die zu Wasilowitsch's Wohnung führte; eben gelobte er sich im Herzen, es dem Feinde schon einmal zu gedenken, was er ihm gethan, da flog aus einem der ziemlich hohen Fenster eine weibliche Gestalt heraus, fiel unsanft auf den erschrockenen Steffen, und riß ihn vermöge ihrer nicht unbedeutenden Schwere mit sich zu Boden.

»Donnerwetter!« brummte der Bursche, sich im nassen Sande wälzend.

»Unmensch!« jammerte die Gefallne, und drückte das Gesicht fest auf die feuchte Erde.

Steffen raffte sich auf, ergriff die Person beim Arm, und wollte sie empor ziehen, sie aber weinte immer kläglicher, zerriß sich das Haar, zerschlug sich das Gesicht, und rief beständig: »Gott habe nie Erbarmen mit Dir, Du Unmensch, Du Barbar!«

Als Steffen endlich ihr Gesicht zu sehen bekam, machte er, trotz der einbrechenden Dämmerung, die Bemerkung, daß es ein junges, sehr hübsches Mädchen sei, welches so jämmerlich klage, und dies mochte nicht wenig zu der Wärme beitragen, mit welcher er sich bemühte, sie zu trösten.

Plötzlich sprang das Mädchen auf, ohne ihn zu bemerken, wie es schien, rannte sie das Hölzchen entlang, Steffen erst verdutzt, dann aber unaufhaltsam hinter ihr her – so kamen sie durch den ganzen Sommergarten, sie flüchtig wie ein Reh, der arme Steffen athemlos hinter ihr; jetzt traten sie aus dem Gitter, und das Mädchen flog wie ein Pfeil mit weit offenen Armen der Newa zu. Da merkte Steffen, wo das hinaus sollte, er beschleunigte seine Schritte, ergriff sie bei den aufgegangenen Flechten ihres Haares, das um sie herflog, und riß sie rückwärts nieder, in eben dem Augenblick, da sie den Fuß hob, um sich in den Strom zu stürzen.

»So, für diesmal wirst Du's wohl bleiben lassen,« sprach Steffen, und setzte sich schnaubend und schweißtriefend neben ihr nieder. Doch das Mädchen gab kein Zeichen, leichenbleich und gänzlich erschöpft lag sie da.

Steffen kratzte sich verlegen hinter den Ohren. »Hol's der Guckguck!« murmelte er endlich in den Bart, »hab' mein Lebtag keine ohnmächtige Weibsperson gesehen, was macht man nur mit ihr?«

Er schüttelte sie nach Kräften, also tüchtig genug, denn ein Kraftbursche war Steffen, doch dauerte es lange bis sie die Augen aufschlug, noch länger, bis er, der noch ziemlich wenig russisch verstand, anfing, zu begreifen, daß die Unglückliche Wasilowitsch's Braut sei, die er verführt, und nun, da sie die Folgen ihres Vergehens bald nicht mehr bergen könne, verlassen habe, daß sie ihr harter Vater heute aus dem Hause gestoßen, und ihr nun, da Wasilowitsch sie im Grimm aus dem Fenster warf, weil sie nicht gutwillig gehen wollte, nichts bleibe, als die Newa, die ihre Schande und ihr Leid, bedecken könne.

Steffen knirschte mit den Zähnen vor Wuth. »Und der Hund freit um meine Marie!« schrie er wüthend, »warte, ich will Dir's lehren! Du mußt den Schuft bei dem Kaiser verklagen.«

»Ach!« jammerte das Mädchen, »der Kaiser wird mir nicht glauben, denn Wasilowitsch hat seine volle Gnade, und läugnet, daß er mich je gekannt.«

»So geh' zum Fürsten Mentschikoff.«

»Ach, das ist ja eben das Unglück,« klagte Yarscha, so hieß die Arme; »Mentschikoff hat ihn an die gute Stelle gebracht, weil er ihm einst unter den Schweden das Leben gerettet, er war ja Soldat. Ihm thut Niemand etwas zu Leide; ich Aermste bekäme am Ende noch die Knute, als eine liederliche Dirne; d'rum laß mich sterben, so kennt doch Keiner meine Schande, als Du ehrlicher Bursche, und Du wirst die arme Yarscha nicht verrathen.«

Steffen wußte nicht, was beginnen; das Mädchen versicherte, sie gehe eher in die Newa, als zu ihrem Vater zurück: und ließ er sie allein, so war ihr Tod gewiß. Der arme Bursche wußte aber selbst nicht, wo er diese Nacht zubringen werde, und so war guter Rath theuer. Plötzlich fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf, er faßte das Mädchen kräftig an, hob sie auf, und sie ging nun, auf seinen Arm gestützt, wohin er sie führte, ohne zu fragen, was mit ihr geschehen sollte, denn Kummer und Schreck hatten sie betäubt und abgestumpft.

Es war Nacht geworden; Marie saß im einsamen Kämmerchen, und sah bald zum dunklen Himmel auf, bald die Straße hinab, denn der Vater blieb ungewöhnlich lange aus, und ihr fehlte der Geliebte, der sonst mit ihr diese heimliche Stunde vor dem Fensterchen verplauderte; ihr Herz war bang und schwer, und ihre Seele voll Leid und Kummer. Da pochte es plötzlich leise an die Scheiben. Marie horchte hoch auf, jetzt noch einmal, dann zum drittenmal. »Das ist Steffen!« jubelte sie, öffnete rasch das Fenster, und fuhr erschrocken zurück, denn draußen stand Steffen, und hielt ein Mädchen im Arm. »Um Gott, was soll's!« rief Marie, erröthend die Augen hinweg wendend. »Herr Vetter, was wollt Ihr mir?«

»Bring' die Lampe herbei, Marie!« flüsterte Steffen; »schau Dir das bleiche Ding da an, und wenn Du mich dann noch einmal per Ihr traktirst, so will ich morgenden Tages zu Deinem Geldsack von Vater wiederkehren, und es ihm auf den Knieen abbitten, daß er mich einen Bettler gescholten.«

Unschlüssig, was sie sollte, ergriff Marie die Leuchte, trat damit zum Fenster, und all ihr Aerger schwand, als sie das blasse, von Kummer entstellte Gesicht und die thränenvollen Augen der armen Yarscha sah, welche jeden Augenblick umzusinken drohte. In wenig Worten wußte sie was geschehen war; das Schlimmste, das, was Mariens reines Herz der Unglücklichen verschließen konnte, verschwieg der kluge Steffen, und so dauerte es nicht zehn Minuten, als schon eine reinliche stille Kammer im Hinterhause sie aufnahm, und Yarscha, ermüdet von Schreck und Thränen, auf das weiche Bett sank, welches ihr Mariens Güte zur Schlafstelle angewiesen hatte. Kaum sah diese, daß die Russin die Augen zum Schlafe schloß, so eilte sie pfeilschnell hinab in's eigne Kämmerchen, wo der treue Steffen noch immer am Fenster stand, und entdeckte ihm mit freudig pochendem Herzen, daß sie Yarscha nicht so bald wieder von sich lasse, daß sie schon irgend einen Vorwand ersinnen wollte, sie im Hause zu behalten; »denn,« so sprach das kluge Mädchen, »wenn auch der Vater sich durch Wasilowitsch's Schlechtigkeit nicht von seinem Starrsinn abbringen läßt, was leicht möglich ist, so weiß ich gewiß, daß ich vor den Zudringlichkeiten des Verhaßten geschützt bin, wenn er die verlassene Braut an meiner Seite sieht; so habe ich wenigstens zu dem Leid der Trennung von Dir nicht die Qual, täglich den Elenden sehen zu müssen.«

Herannahende Tritte scheuchten die Liebenden von einander, mit einem raschen Händedruck schied Steffen, und eilte die Straße hinab, immer noch nicht wissend, wo er die Nacht zubringen sollte, aber recht im Innern beruhigt, denn ihm war zu Muthe, als habe er nun doppelte Rechte auf Marie, da Wasilowitsch ein Nichtswürdiger sei. Sinnend, wie man den Bösewicht zur Erfüllung seiner Pflicht bei der armen Yarscha zwingen könnte, ging er die Straßen entlang, über die Brücke, nach Wasilei-Ostrow hinüber, aber je rascher und weiter er ging, je weniger wollte ihm einfallen, wie dem allzu begünstigten Haushofmeister beizukommen sei. Die Nacht war warm, aber finster, und eben wollte sich Steffen nach der einzigen Austerei hinwenden, welche damals auf Wasilei-Ostrow stand, als es ihm däuchte, er gewahre auf dem Dache der geheimen Kanzlei eine seltsame Helle, die bald deutlicher wurde, bald wieder ganz verschwand, so daß er nicht daraus klug werden konnte, was es sei.

Während er noch da stand, und das Ereigniß beobachtete, erhob, sich von der See herüber ein starker Wind, der das Räthsel schnell löste; denn plötzlich schlug eine kleine Flamme aus einer Dachluke hervor, die aber bald wieder zu erlöschen schien.

»Das ist Feuer!« rief Steffen erschrocken, »Feuer im Dache der Kanzlei!« Mit diesem Schrei stürzte er zu der verschlossenen Pforte, und hämmerte mit seinen kräftigen Fäusten aus Leibeskräften, um den Hausmeister wach zu bekommen. Doch sein Geschrei und Lärm war vergebens, der gute Mann war zwar nicht voll »süßen Weines,« aber das genossene Maaß Branntwein hatte ihn in einen Schlaf gewiegt, der selbst den Posaunen des Weltgerichts getrotzt hätte. Schon sammelten sich Menschen um Steffen, endlich gelang es ihm mit Hülfe dieser einen Laden zu erbrechen, das Fenster aufzustoßen, und so gelangten sie unter das Dach – da war alles in Rauch gehüllt, aber bald erkannte man, daß durch einen Sprung im Kamin sich ein dicker Tragbalken entzündet hatte, der dicht an einer Luke vorüberlief, und so das Feuer durch den Zugwind immer heftiger angeblasen wurde. Steffen stieg hinaus auf's Dach, und übersah mit einem Blick, daß mit einem Eimer Wasser der ganze Brand noch im Entstehen zu dämpfen sei. Doch vergeblich erscholl sein Ruf: »Wasser! Wasser!« in dem ganzen Gebäude war keines aufzufinden! Wüthend vor Aerger stieg er wieder herein, und befahl den Leuten, aufgeschichtete Holzkohlen, welche da lagen, wegschaffen zu helfen, aber keiner wollte in dem Rauch ausdauern, alles stürzte hinab, und ehe Hülfe kam, stand der ganze Dachstuhl in Flammen. Petersburg hallte wieder von dem Ruf des Feuerhorns; zu Tausenden eilten die Menschen heran, aber immer noch kam kein Wasser; ohne Sinn, und Verstand wogte die Masse durcheinander. Endlich kam der schlaftrunkene Hausmeister daher. Steffen riß ihm die Schlüssel vom Gürtel, öffnete im ersten Stock alle Thüren, und begann nun mit Entschlossenheit und Ruhe die Papiere zu retten, welche er überall vorfand. Bald gehorchten ihm alle Umstehenden, denn er kommandirte wie ein General auf dem Schlachtfelde, und, ehe man sich's versah, waren die Zimmer geleert. Steffen stellte auf den Straßen Wachen zu dem Geretteten, und begann nun die Löschanstalten zu kommandiren, wie vorher oben die Träger. Sein richtiger Sinn zeigte ihm überall den rechten Weg, und bald rief er: »das Gebäude ist nicht zu retten, der Wind aus Westen bläst zu heftig, dort das Nebenhaus löscht, das dampft und raucht schon.«

Aber da predigte er tauben Ohren. »Das Nebenhaus gehört einem Privatmann,« meinte der Feuerwächter, der bei einer Spritze stand, »aber das Kollegium ist des Kaisers, darum soll kein Wassertropfen auf ein anderes Gebäude fallen, so lange von dem Kollegium noch ein Stein steht.«

»Großer Gott!« schrie Steffen außer sich, »erleuchte doch diese höllischen Grützköpfe; dort wird gleich die Flamme aufschlagen. Siehst Du denn nicht ein, daß wenn die ganze Straße abbrennt, der Kaiser Dich knuten läßt?« x

»Wenn wir hier löschen,« antwortete der Andere mit unerschütterlicher Ruhe, »so mag die Straße in Gottesnamen brennen, ist doch des Kaisers Eigenthum gerettet.«

»Ei so hole Dich der Satan, Du kaiserliches Rindvieh!« schrie Steffen in Verzweiflung, und ehe sich's jener versah, faßten ihn Steffens nervigte Arme, hoben ihn auf, und drei Schritt weit flog er in den Koth.

Steffen aber war blitzschnell auf der Maschine, und wandte den Strahl nach dem Nachbarhaus, das eben zu rauchen begann. »Helft, Ihr Schurken,« rief er den umstehenden Leibeignen zu, doch starrsinnig ließen ihn die gewähren, ohne sich von der Stelle zu rühren. Da stand auf einmal eine große dunkle Gestalt neben Steffen, faßte mit gewaltiger Hand den Spritzenschlauch, und brüllte mit einer Stimme, vor der alle in den Staub sanken: »Thut, was Euch der Bursche sagt, faule Hunde – er hat recht, und wenn gelöscht ist, sollt Ihr alle für Eure Störrigkeit die Knute haben.«

Nun gings plötzlich wie mit einem Zauberschlag; der Kaiser selbst legte Hand an, und arbeitete, daß der Schweiß an ihm hinunterrann, er war überall, am meisten aber bei Steffen. Dieser machte nicht viel Umstände mit Petern; sein einziges Augenmerk war die Gefahr, in der die Straße schwebte. Kurz nur sagte er, als der Kaiser rief:

»Wo sind die Akten?«

»Gerettet; dort.«

»Und wie kam das Feuer aus?«

»Durch die Faulheit Eures Hausmeisters im Kollegium, Herr Kaiser,« rief Steffen, »hätte der Kerl einen Eimer Wasser auf dem Dach gehabt, so stünde das Haus noch.« Und immerfort arbeitend, brummte er dazwischen: »Eure Anstalten sind so schlecht, so grundschlecht, daß wenn Ihr nicht bessere Vorsichtsmaßregeln einführt, so brennt Euch einmal das Petersburg vor der Nase weg! – Rechts hinüber, ihr Stockfische, dort kommt eine neue Flamme auf – frisch – schnell – Donner und's Wetter! in Glogau ist's gewiß schlecht, aber doch golden gegen Euren Witz.« Schweigend sah und hörte ihm der Kaiser zu, endlich sagte er in sich hinein: »Es ist zwar ein tüchtiger Kerl, der Bursche; sind aber doch Flegel die Deutschen!«

Das geheime Kanzleigebäude war gänzlich abgebrannt, aber die übrige Straße gerettet worden. Der Kaiser stand am andern Tage mit finstrer Stirn in seinem Kabinet, und murmelte in sich hinein: »der Glogauer hat recht, unsre Anstalten sind schlecht genug.« Augenblicklich ließ er den Polizeimeister kommen, entwarf Plane zur Verbesserung, und nach wenig Stunden war aus Peters reichem Geiste eine zweckmäßige, weise Löschordnung hervorgegangen.

»Bringt mir den deutschen Handwerker herbei, der bei Meister Willmer, dem Seiler, arbeitet!« befahl er, und sein Wink ward erfüllt, nach einer halben Stunde ward Steffen gemeldet.

»Nur näher!« rief der Kaiser, ohne sich vom Schreibtische zu bewegen.

Steffen trat ein, die Mütze in der Hand und etwas verdutzt, denn er wußte wohl, daß es Sitte sei, sich vor dem Kaiser niederzuwerfen, und doch wollte ihm das durchaus nicht behagen; halb aufrecht, halb gebückt stand er da.

Der Kaiser, ohne darauf zu achten, sprach, immer fort schreibend: »Bist Du gern Seiler?«

»Es geht an, Euer Majestät,« stotterte Steffen, noch verdutzter, als vorhin, »'s ist zwar ein ehrliches Gewerbe, und nährt seinen Mann, aber –«

»Nun?«

»'s ist gar so friedlich, so langweilig, mit einem Wort, so ein ewiges Einerlei, daß es mich schon oft gewaltig versuchte, was Anderes zu werden, wo sich ein braver Bursche auch hervorthun kann.«

»Aha, das ist der Punkt,« meinte der Kaiser, »Du hast Anlagen zum Kommandiren und Dreinschlagen, das habe ich in der kurzen Zeit unsrer Bekanntschaft bald weggehabt. Du bist ein tüchtiger Arbeiter, hast Muth, und wirst einmal Deine Leute wacker zusammenhalten. Sieh,« der Kaiser stand auf, und trat vor den staunenden Steffen hin, »ich habe da eine neue Feuerordnung gemacht, da heißt es unter Anderm: §. 12. In jedem Hause zu St. Petersburg sollen unter dem Dache Wasserfässer aufgestellt werden, und nach Maßstab der Größe des Hauses sollen von 20 bis zu 60 Eimer Wasser auf jedem Dachboden von heute an zu finden sein, es möge das Gebäude Kaiserlich oder Privat-Eigenthum sein; wessen Haus nach drei Tagen ohne besagte Fürsorge befunden wird, hat sich auf strenge Ahndung gefaßt zu machen. – Zur Aufrechthaltung besagter Ordnung ernennen wir einen Feuer-Offizier, der mit vier Mann die beständige Inspektion in allen Stadttheilen hat, und zu diesem Feuer-Offizier erwählen wir den –« der Kaiser sah von dem Papier auf, und unterbrach seinen Ton mit den Worten: »Wie heißt Du?«

»Steffen Langer, aus Glogau in Schlesien.«

»Erwählen wir,« fuhr jetzt der Kaiser fort, »den Steffen Langer aus Glogau, zu welchem Ende wir ihm 300 Rubel Gehalt und freie Station in der Feuer-Kaserne anweisen.«

»Euer Majestät!« rief Steffen, halb versteinert vor Freude.

»Nur zu, nur zu, Bursche! für den Posten taugst Du besser, als zum Seiler, denn Du hast Muth, Ausdauer und kaltes Blut im entscheidenden Augenblick. Gleich fort in die Feuer-Kaserne, hier ist die Anweisung, man wird Dich uniformiren; morgen beginnt die Inspektion; sei streng, das sage ich Dir, denn Du kennst ja die Russen,« hier lächelte der Kaiser ein klein wenig; Steffen wurde blutroth; »das ist störrisches Volk, denen muß man gleich Ernst zeigen.« Mit diesen Worten winkte Peter nach der Thür, und Steffen ging schwindelnd von dannen.

 

Er stand schon lange in der stattlichen Uniform mitten in seinem neuen freundlichen Quartier, und konnte noch immer sein Glück nicht begreifen, ja, es fiel ihm nicht einmal bei, daß er mit dem festen Entschlusse vor den Kaiser getreten war, für Yarscha zu sprechen, und daß er vor Staunen und Freude Alles vergessen hatte. Als aber nach einer Weile die vier tüchtigen Bartrussen eintraten, über welche er künftig den Oberbefehl hatte, und ihn mit Unterwerfung begrüßten, da fing er an, die Wichtigkeit seiner Rolle zu begreifen; vier Männer standen unter seinem Kommando, seinem Muthe vertraute der Kaiser die Sicherheit von ganz Petersburg, das war mehr, als dem armen Seiler selbst die kühnsten Träume geweissaget hatten, und außer sich vor Freude machte er sich an der Spitze seiner Leute auf, um befohlener Maßen der kaiserlichen Ukase in allen Häusern persönlich Nachdruck zu geben. Als er aus dem Thore der Feuer-Kaserne schritt, die vier Russen hinter her, da war ihm zu Muthe als müsse er gleich Petersburg an allen vier Ecken in Brand stecken, um dem Kaiser schnell beim Löschen Proben seines Muthes und seiner Dankbarkeit geben zu können.

Wer erräth nicht, wohin sein Gang gerichtet war? An der Moika ging er hinab in die dritte Perewedenzi So hießen 1796, die drei kleinen Straßen am linken Ufer der Moika, dort wohnten alle die Arbeitsleute, welche aus der Fremde kamen, und zum Schiffsbau verwendet wurden; Perewedenzi heißt: die Herübergeführten., und trat festen Schrittes in Meister Willmer's Werkstätte. Der Vetter saß wie ein Stein, und starrte den hohen, schlanken Feuer-Offizier an, in der stattlichen Uniform, mit Steffens Zügen. Dieser aber las mit fester Stimme den kaiserlichen Befehl ab, empfahl augenblickliche Folge desselben, und ging wieder hinweg so stolzen Ganges, als hätte er seinen steinreichen Herrn Vetter nie gekannt. Am Fensterchen stand Marie, und sah gleichfalls erstarrt in das frische Gesicht des verwandelten Geliebten; der drückte ihr rasch die Hand, versprach, am Abend zu kommen, und folgte dann eilig seiner Pflicht. Marie faltete die Hände, und sprach in sich hinein: »Gewiß hat der Kaiser so was Vornehmes aus ihm gemacht, er will ihm vielleicht noch mehrere Zähne ausreißen, was nun einmal seine Freude ist, und denkt, ihn durch den Tand zu entschädigen. Ach, ich Aermste, nun wird er mich am Ende nicht mehr kennen. Ich wollte, er säße in der Werkstätte, und drehte Stricke.«

»Um Dich damit durchzubläuen,« kreischte jetzt die gellende Stimme des Meisters, in das Ohr des erschrockenen Mädchens, »wenn Du die Gedanken an den buntgescheckten Taugenichts nicht fahren läßt! Nun bekommst Du ihn erst gar nicht, weil er mich zu verblüffen denkt, hörst Du? nun gar nicht!«

Es war noch im Laufe desselben Tages; Marie stand in der Küche, und bereitete des harten Vaters Lieblings-Speise, der sie, statt des Gewürzes, gar manche bittere Thräne beimischte. Dicht an der Küche lag das freundliche Wohnzimmer des Hauses, und durch ein spiegelklares Fensterchen, mit einem weißen Vorhänglein zierlich versteckt, übersah man, vom Heerde aus, die ganze wohnliche Stube, ohne bemerkt zu werden. Drinnen auf der Fensterbank saß die arme Yarscha, bleich und leidend, ein stummes Bild des tiefsten Jammers. Sie spann an Mariens Rädchen, und wie diese die Speise, netzte Yarscha den Faden mit stillen Thränen.

Da sah plötzlich ein buschigter Lockenkopf durch die Thür, und bald darauf trat Wasilowitsch ganz herein, in der Meinung, Marien allein zu finden. Diese aber ließ den eben ergriffenen Kochlöffel in die heiße Asche sinken, und schlich voll Neugierde zum Fensterchen, denn um diese Stunde pflegte Wasilowitsch nie zu kommen.

Er flog auf Yarscha zu, und stand wie versteinert, als diese den Kopf wandte, und sein Blick ihre bleichen Züge traf.

»Was machst Du hier?« fragte er nach einer Pause des Staunens mit herrischem Ton.

»Das frage ich Dich!« entgegnete Yarscha kalt, ohne die durchbohrenden Augen von ihm zu wenden.

»Wo ist Marie?« fragte endlich der Bösewicht, ihren Blick nicht ertragend.

»So ist's also doch wahr?« rief jetzt Yarscha aufspringend, »Du freiest um die reiche Holländerin, und willst mich, der Du im Angesicht Gottes ewige Treue schwurst, verlassen?«

»Es ist wahr,« lachte Wasilowitsch mit teuflischer Bosheit, »ich will Marien heirathen.«

»Und Dein Schwur?« rief Yarscha entsetzt.

»Närrin, warum hast Du ihm geglaubt, 's ist nicht mein erster falscher Eid, und wird nicht mein letzter sein.«

»Ungeheuer!« jammerte Yarscha, »und meine Ehre, Dein Kind?«

» Mein Kind? ha, ha, ha! ich schwöre es ab; geh' zum Kaiser, und verklage mich, ich schwöre Dich ab und das Kind.«

»Großer Gott!« jammerte Yarscha, und sank noch bleicher als früher auf die Bank.

»Wärest Du weniger nachgiebig gewesen, Yarscha,« höhnte der Unmensch, »so hättest Du jetzt weniger Thränen zu vergießen. Jetzt aber gieb Rechenschaft, was machst Du in diesem Hause, wie kommst Du herein?«

Yarscha, unfähig zu sprechen, verbarg das weinende Gesicht in beide Hände. Mit einem fürchterlichen Blick sah Wasilowitsch rings um sich, dann trat er dicht vor das wimmernde Mädchen hin, hob beide geballten Fäuste auf, und sein Gesicht flammte hochroth vor Zorn.

»Antworte,« knirschte er, »mache mich nicht toll, oder Du fliegst, wie gestern, durch das Fenster!« Er rüttelte sie heftig, immer rufend: »Antworte, oder ich lasse Dich mit Hunden. von dannen hetzen.«

»Das werdet Ihr bleiben lassen!« rief jetzt Mariens zitternde Stimme hinter dem Wüthenden, und hoch aufgerichtet, bebend vor Schreck und Abscheu stand das Mädchen da; aber Zorn flammte aus ihren Augen, und Entschlossenheit klang in dem Tone ihrer Stimme, als sie fortfuhr: »Hier, in unserm Eigenthume sind wir Herr, und das denke ich Euch bald zu zeigen. Hinaus, elender, verächtlicher Bösewicht, hinaus, schnell, ohne Zögern, oder so wahr ich Marie heiße, und eine freie Holländerin bin, ich helfe unsern Gesellen selber Hand anlegen, Euch aus der Thür zu werfen!«

»Was,« stammelte Wasilowitsch, vor Wuth und Ueberraschung fast keines Tones mächtig, »was, einen kaiserlichen Haushofmeister willst Du elende Handwerkers-Dirne aus dem Hause werfen lassen?«

»Ich, Handwerkers-Dirne, den Kaiser selbst, wenn er ein Ungethüm ist, wie Du! In unserm Hause sind wir Haushofmeister, d'rum hebe Dich von hinnen, und komm' niemals wieder, Wasilowitsch, dem schmutzigsten Muschick reiche ich meine Hand eher, als Dir! das glaube dem Wort einer freien Dirne, der Du zu niedrig bist, denn all Deine Pracht deckt den goldenen Ring um Deinen Hals nicht, Du leibeigner Schurke

Schäumend und den Tod im Herzen stürzte Wasilowitsch hinweg; Yarscha aber lag zu Mariens Füßen, und umschlang flehend ihre Kniee. Marie wandte sich bei der Erinnerung an das, was sie gehört hatte, hoch erglühend ab, und ging, schnell verstummt, in die Küche zurück. Ihr fester, gebildeter und reiner Sinn konnte sich nicht in die Seele der unerzogenen rohen Russin denken, die es für kein Vergehen hielt, dem Mann ihres Herzens Alles zu gewähren, was Marie dem Bräutigam bis zum Tode verweigert hätte. Ihr Herz war eben so voll Abscheu, als Mitleid gegen die Unglückliche; doch als diese endlich tief gebeugt und in stummer Ergebung zu ihr trat, ihr die kalte Hand hinreichte, und mit thränenlosem Blicke ihr »Lebewohl« sagte, da siegte ihr weiches Herz, das voll Erbarmen und Liebe für jeden Unglücklichen schlug, sie schlang die Arme um sie, und rief weinend: »Bleib', arme Verlassene, ich will Dich schützen, so lange ich kann, und will mein Haupt nicht ruhig legen, bis Dir geholfen ist.«

»Mir ist nicht mehr zu helfen, denn er wird mir nicht gehören,« seufzte Yarscha verzweifelnd.

»Ei, Mädchen,« fragte Marie, halb sprachlos vor Staunen, »liebst Du denn das Ungethüm noch

»Ich kann nicht von ihm lassen!«

»Den Menschen, der Dich gestern aus dem Fenster warf?«

»Er that's im Zorn, ich küsse die Hand, die mich schlägt, denn sie schlägt aus Liebe.«

Eine Weile stand Marie schweigend, besah das hübsche Mädchen mit großen Augen, dachte sich Wasilowitsch, den sie für grundhäßlich hielt, daneben, und schlug endlich die Hände zusammen, indem sie rief: »Nun Gott erhalte Dir diesen Köhlerglauben; meinetwegen, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und Russin und Holländerin zweierlei, das sehe ich jetzt. Laß uns denn überlegen, ob's kein Mittel mehr giebt, den Gegenstand Deiner Wünsche wieder zu gewinnen.«

Damit führte sie Yarscha auf ihre Kammer, und sie saßen eine gute Weile in ernstem Gespräche.

 

Acht Tage waren verstrichen, und obgleich es Marien nicht gelungen war, den Vater von Wasilowitsch's Schlechtigkeit zu überzeugen, hatte sie doch wenigstens die Erlaubniß von ihm erlangt, Yarscha zur Aufsicht der Leinwand Vorräthe im Hause behalten zu dürfen. Marie wähnte noch immer, den Vater des Mädchens zu versöhnen, und durch ihn dann auf Wasilowitsch einzuwirken; doch noch zeigte sich keine Hoffnung. Steffen hatte das arme Mädchen in dieser ewig langen Woche nicht gesprochen, er war am dritten Tage da gewesen, hatte sich seiner Pflicht gemäß überzeugt, daß das vorschriftmäßige Quantum Wasser im Hause sei; doch alles dies geschah in Gegenwart des Meisters, der ihm mit finsterer Stirne das Geleite gab, und ihm nicht von der Seite ging, ja, er verließ jetzt sogar wegen einer Erkältung das Haus nicht, und so konnte die gequälte Marie nicht einmal des Abends mit dem Geliebten kosen.

Steffen verfolgte indeß getrost seine Pflicht, und hatte es bald durch Ernst und festen Willen dahin gebracht, daß in allen Häusern die vollen Wasserfässer zu finden waren. Nur im kaiserlichen Sommer-Palais wollte ihm sein Bemühen nicht gelingen; zweimal schon hatte er Wasilowitsch die Ukase vorgelesen, zweimal hatte dieser ganz kurz geantwortet: »Es wäre schon gut!« aber noch war kein Wasser auf dem Dach zu finden, und am Morgen des achten Tages, da Steffen zum drittenmale inspizirt hatte, trat er hochroth vor Aerger in die Wohnung des kaiserlichen Haushofmeisters.

»Wo ist Dein Herr?« rief er einem Burschen entgegen, der Wasilowitsch zu bedienen pflegte.

»Nicht da!« antwortete dieser kurz.

»Ich habe nicht Zeit, Deinem Herrn nachzulaufen, und denke, ihn deshalb selbst aufzusuchen.«

Mit diesem Wort trat Steffen zur Thüre, und öffnete mit gewaltigem Drucke den Eingang in ein schön verziertes Zimmer, worin der Haushofmeister im seidenen Schlafgewande nachlässig auf e einem Ruhebett lehnte.

»Wasilowitsch,« begann Steffen mit mühsam verhaltener Wuth, »ich bin heute zum drittenmal hier, und noch ist kein Wasser auf den kaiserlichen Dächern! Ich werde Fässer kaufen, das Wasser hinauf transportiren lassen, auf Deine Kosten, und noch obendrein 50 Rubel Strafgeld von Dir erheben, wie es die Ukase befiehlt.«

»Ha, ha, ha!« lachte Wasilowitsch in frechem Uebermuthe, »Du wirst, Du wirst – nichts von allem dem wirst Du Dich unterstehen, elender Handwerksbursche, aber zum Fenster dort wirst Du hinausfliegen, wenn Du's noch einmal wagst, solche unverschämte Redensarten in Gegenwart des kaiserlichen Haushofmeisters Wasilowitsch zu führen.«

»Zum Fenster hinaus?« rief Steffen mit vor Zorn zitternder Stimme, und die Ader auf seiner Stirne schwoll drohend an, »zum Fenster hinaus? Du denkst wohl, ich sei ein wehrloses Mädchen, das Du erst verführen, und dann aus dem Fenster werfen kannst? Komm' einmal an, Freund Russe, versuch's, wer von uns Beiden zuerst hinausfliegt.«

Wasilowitsch war bleich geworden bei der Anspielung auf Yarscha, doch faßte er sich schnell, sprang auf, und ging mit geballten Fäusten auf Steffen zu. »Ich sage Dir,« schrie er zitternd vor Zorn, »hebe Dich von hinnen, denn wagst Du's noch einmal, mir zu drohen, so sollst Du erfahren, was einem deutschen Hund, wie Du bist, gebührt.«

»Ich stehe hier in Kaisers Namen,« sprach Steffen mit mühsam erkämpfter Ruhe, »rührst Du mich an, so schlägst Du wider Kaisers Gebot, und ich sage Dir, das könnte Dir schlecht bekommen.«

»Ha, ha, ha,« höhnte Wasilowitsch, »der Kaiser wird sich um solch eine Bestie von Fremdling viel bekümmern! Geh' hinaus, oder –« seine Faust hob sich, er holte aus, Steffen stand wie ein Fels ihm gegenüber. »Ich gehe nicht, bis Du die gesetzte Strafe zahlst!« sprach er eiskalt. Da fiel der Schlag, Wasilowitsch traf ihn mit einem Fauststreich in's Gesicht.

Als hätte man einen gereizten Löwen losgelassen, brüllend vor Wuth, mit funkensprühendem Blick stürzte jetzt Steffen auf den überraschten Wasilowitsch; mit der Linken faßte er ihn bei der Kehle, und indeß er rief: »Elender, leibeigner Knecht, bis jetzt kennst Du nur die Knute, nun aber magst Du erfahren, wie die Faust eines freien Mannes schmeckt!« fiel seine Rechte in furchtbaren Streichen unermüdet auf Gesicht und Schädel des erstarrten Gegners, der, betäubt von Feigheit und den hageldichten Hieben, nicht den geringsten Widerstand wagte; endlich, als Steffen sich satt an ihm geprügelt hatte, schleuderte er den Herrn Hofmeister mit einem verächtlichen Fußtritt in einen Winkel seines zierlichen Gemaches, ging ruhig von dannen, und murmelte in sich hinein: »Es ist doch eine schöne Sache um ein Paar tüchtige Fäuste und um schnellen Entschluß; so hätten mir den Hund drei gedungene Drescher nicht durchgewalkt, wie meine eigene Kraft, und dort hätte es mir noch obendrein Geld gekostet, während meine Fäuste mir umsonst dienen, und ich noch dazu die Wonne der Rache genieße.« Eilends ging er nun hin, um auf Wasilowitsch's Kosten Fässer und Wasserträger zu bestellen. –

In allen Ecken und Enden von ganz Petersburg suchte man nach zwei Stunden den Feuer-Offizier Steffen, konnte ihn aber nirgends auffinden, weil er in einer Faßbinder-Werkstatt stak, wo man ihn freilich nicht vermuthete. Es war gegen Mittag, als in Mariens Küche ein kaiserlicher Leibdiener trat, und mit verdrüßlichem Gesicht nach Steffen fragte.

Marie sagte ihm, daß er schon lange nicht mehr im Hause sei.

»Ist's doch, als hätte er sich in die Erde verkrochen, der Teufelskerl,« brummte der Russe, »der Guckguck finde den aus!«

»Was giebts denn, daß man ihn so sorgfältig sucht?« fragte Marie mit ängstlichem Gesicht.

»Der Bursche hat unsern Haushofmeister unbarmherzig durchgebläut, dieser ist zum Kaiser gelaufen, hat ihm seine Püffe gezeigt, und der Kaiser wüthet nun, daß Steffen sich an einem kaiserlichen Diener vergriffen hat. Er soll zur Stelle geschafft werden, und Wasilowitsch schwört, er wolle nicht leben, wenn er dem deutschen Hund nicht die Knute verschaffe.« Bei diesen Worten verließ der Berichterstatter das Haus, um fernere Nachsuchungen anzustellen, die arme Marie aber sank leichenblaß auf ihr Küchenschemelchen, denn sie kannte den Kaiser, und wußte besser, als Steffen, was seiner warte.

Dieser ward endlich nach mehreren Stunden vergeblichen Suchens aufgefunden, und eilte mit festen Schritten, aber nicht ohne Unruhe, nach dem kaiserlichen Palais, denn sein Gewissen flüsterte ihm zu, der Haushofmeister könnte doch am Ende geklagt haben, obgleich er die Prügel nur in Folge einer verletzten Pflicht gegen den Kaiser bekommen.

Als er in das Sommer-Palais trat, stand Wasilowitsch an der Treppe, fletschte grimmig die Zähne wie ein toller Bär, und rief mit höhnischem Gelächter: »Nur zu, nur zu, freier Mann, Du sollst es erfahren, wie die Knute schmeckt!« Mit einem verächtlichen Blick stieg Steffen ruhig die Marmortreppen hinan, doch in seinem Herzen sah es nicht ganz so still aus, denn die Knute war ihm ein Donnerwort, und er verspürte denn doch, daß er nicht vollkommen wohl gethan, sich selbst Rache an seinem Feinde zu nehmen. So kam er in's Vorzimmer. Ein Leibdiener ging dort hin und wieder, der Steffen mit einem grimmigen Gesicht empfing.

»Ist der Bursche endlich da,« brummte er, »wo stak Er so lange?«

»Ich wußte nicht, daß Seine Majestät nach mir verlangt hatten.«

»Verlangt? ja wohl! Seine Majestät verlangen sehnlich nach Dir, oder vielmehr nach Deinem ungeschlachten Rücken. Der Kaiser hat sich schon seinen schwersten Knotenstock mit dem eisernen Knopf geben lassen, der mag Dir als Vorgeschmack zur Knute dienen, die Dich erwartet.«

Steffen sah bestürzt in das Gesicht des Sprechenden, als wolle er erkennen, ob er im Spaß oder Ernst rede; dieser aber nahm ihn beim Arm, schob ihn durch eine Seitenthüre, und indem er ihm nachrief: »Hier sollst Du warten, bis der Kaiser von der Tafel kommt,« schloß er vernehmlich genug hinter dem armen Steffen ab. Lange stand er, und sah sich um, doch die Aussicht auf den kaiserlichen Knotenstock ließ ihn vor der Hand noch nicht Alles deutlich erkennen. Er war lange genug in Petersburg, um zu wissen, daß, wem die Ehre werde, von allerhöchster Hand durchgeprügelt zu werden, der trage die Spuren noch lange mit sich herum, und endlich war ihm der Gedanke, sich schlagen zu lassen, ohne wieder schlagen zu dürfen, unerträglich; seine einzige Idee war: »Wie entgehst Du den kaiserlichen Hieben.« Er betrachtete endlich seine Umgebung genauer, und sah bald, daß hier kein Entrinnen sei. Er befand sich in einem kleinen Kabinet, das nur zwei Fenster und einen Eingang hatte. In einer Ecke stand ein schmales Bett mit einer Lederdecke, einem ledernen Polster und einem kostbaren Zobelfell halb gedeckt, an der enormen Länge desselben erkannte Steffen sogleich, daß dies das Bett des Kaisers sei. Die Einfachheit der Möbel kontrastirte seltsam mit den marmornen Wänden und dem prächtigen holländischen Kamin, der die Zierde des Zimmers ausmachte, und zu den Hauptliebhabereien Peter des Großen gehörte. In der Mitte des Kabinets stand ein riesengroßer runder Eichentisch, der mit seinen künstlich geschnitzten Füßen wie angeschmiedet schien, und die Hälfte des Gemaches einnahm. Mehrere eichene Stühle, mit Leder gepolstert, vollendeten das Geräth.

Steffen stand lange, und sann hin und her, was hier zu thun, endlich däuchte ihm, er vernähme die Stentorstimme des Kaisers auf der Treppe. »Wenn ich nur dem ersten Wuthanfall entkommen könnte, dann wäre schon viel gewonnen,« meinte Steffen. Da fiel sein Blick auf den holländischen Kamin, draußen ertönte des Kaisers Stimme, der Schlüssel drehte sich im Schloß, blitzschnell war Steffen im Kamin, kroch muthig empor, und als der Kaiser in's Zimmer trat, war keine Spur mehr von ihm zu hören und zu sehen.

»Donnerwetter!« schrie Peter der Große, sich rings umschauend, »wo ist der Bursche?«

Steffen rührte sich nicht in seinem beschwerlichen Verstecke.

»Steffen Langer aus Glogau! Schwerenöther, wo steckst Du?« rief der Kaiser, umhergehend, und suchte bald unter dem Eichentische, bald unter seinem Bette, doch als er sich endlich überzeugte, daß der Deutsche nirgends vorhanden, stellte er sich mitten in's Kabinet, und schrie noch einmal, halb rasend vor Zorn: »Bestie von einem Seiler! gieb Antwort, wo Du steckst, oder Du sollst Deinen Kaiser kennen lernen!«

»Hier, Eure Majestät, zu dienen,« tönte jetzt eine Stimme aus der Höhe herab.

Erstaunt sah der Kaiser umher. »Wo zum Teufel?«

»Hier!« klang es zum zweitenmal im Kamin, und einige Steine, welche herabrollten, zeigten plötzlich dem Kaiser den Weg; er eilte zum Kamin, bückte sich hinein, sah in die Höhe, und, rief nun, die baumelnden Beine des versteckten Steffen bemerkend: »Daß Dich das höllische Wetter! Wirst Du gleich herabkommen?«

»Nein!« rief Steffen kurz und bündig.

»Nein?« wiederholte der Kaiser, halb versteinert über diese Frechheit, »warum nicht?«

»Weil ich nicht Lust habe, mich von Euer Majestät durchbläuen zu lassen.«

»So, Spitzbube, aber Du hast Lust, meine Leute durchzubläuen?«

»Wenn's Schurken sind, wie Wasilowitsch, allerdings,« rief Steffen kecker, als vorher.

Der Kaiser schlüpfte jetzt in seiner Wuth ganz in den Kamin, und rief, sich streckend: »Warte, Kerl, die Lust verspüre ich eben auch!« und somit angelte er nach Steffens Beinen; dieser aber, die Gefahr erkennend, zog sich zusammen wie ein Frosch, huschte schnell um einige Fuß höher im Kamin, und bedeckte durch seine rasche Bewegung den wüthenden Kaiser mit einer dichten Wolke von Ruß. »Daß Du beim Teufel wärest!« schrie der große Peter pustend, bog die mächtige Riesengestalt zusammen, so gut es gehen wollte, und kroch aus dem Kamin zurück in's Zimmer.

»Geh' herunter, Schurke, oder ich lasse ein Feuer unter Dir anzünden, das Dich braten soll, wie einen Aal.«

»So lange werde ich nicht warten,« rief Steffen zurück, »ich krieche durch bis zum Dach, und werde von dort aus meinen Weg schon finden.«

»Das ist ein Satan!« knirschte Peter. »Wenn Du zum Dach kriechst, laß ich Dich erschießen, Bestie!« schrie jetzt der Kaiser, immer zorniger werdend.

»Meinetwegen,« antwortete Steffen, »das kann ich nicht hindern; auch fürchte ich mich nicht!«

»Elender Prahlhans, er fürchtet sich nicht, und verkriecht sich vor seinem Kaiser in den Kamin.«

»Habe ich geprahlt, daß ich mich nicht vor Prügeln fürchte? Sterben kann ein ehrlicher Kerl mit allen Ehren, wenn's auch nur einmal geschehen kann; Prügel kann ich freilich hundert Mal bekommen, aber nicht mit Ehren, selbst wenn der Kaiser von Rußland seine allergnädigste Hand erhebt, mich durchzubläuen.«

»Verfluchter Kerl!« brummte der Kaiser, »geh herunter, ich befehle es Dir!«

»Ich ginge schon gerne,« kapitulirte Steffen, »aber wahrlich, ich wage es nicht, aus Gefälligkeit für Eure Majestät.«

»Aus Gefälligkeit für mich? Nun, das bin ich begierig, zu hören.«

»Wenn ich gutwillig hinunter komme, werdet Ihr mich erst durchprügeln, und dann verhören; nicht wahr, Herr Kaiser?«

»Könnte sein!«

»Nun, wenn Ihr mich aber geprügelt hättet, und dann seht, daß ich unschuldig bin, habt Ihr eine Ungerechtigkeit begangen, welche Euch reuet; diese Reue will ich Euch ersparen, drum gehe ich nicht.«

»Du bist verdammt besorgt um mein Gewissen, Bursche, sieh zu, daß das Deine rein sei, sonst soll Dir bei Gott diese Fopperei schlecht bekommen. Zum letzten Mal, Kerl, steig' herab!«

»Wenn Ihr die Gnade haben wollt, mir Euer kaiserliches Wort zu geben, daß Ihr mich erst hören, und dann, wenn's Euch noch nöthig dünken sollte, durchprügeln wollt, so will ich kommen.«

Der Kaiser schwieg einen Augenblick, endlich sagte er: »Meinetwegen, das will ich Dir allenfalls versprechen.«

Jetzt fing es an zu rasseln im Kamin; Peter machte sich in eine Ecke, ergriff mit starker Hand den Eichentisch, zog ihn mit einem Ruck nach sich, so daß er zum Bollwerk zwischen ihm und Steffen ward, und erwartete nun, gewaltsam seine Wuth und die fast unüberwindliche Lust, den Burschen durchzubläuen, niederkämpfend, den Ankömmling, dessen Beine bereits sichtbar wurden, um ihn zum seltsamsten Verhör zu tragen, das wohl je statt gefunden.

Das Gesicht, bis zur Unkenntlichkeit mit Ruß bedeckt, die geschwärzten, besonders auf der Rückseite seltsam bemalten Kleider und der kecke Sturmschritt, mit dem Steffen nach dem entgegengesetzten Ende des Gemaches wandelte, um so fern als möglich von dem verschanzten Kaiser zu stehen, dessen Stock in gewaltigen, weit ausgreifenden Streichen fortwährend durch die Luft summte, dies Alles bot einen so possierlichen Anblick dar, daß Peter nur mit Mühe den fürchterlichen Ernst erhielt, der allmählich dem mächtig erregten Lachreiz zu weichen begann.

»Warum stehst Du hier vor mir, undankbarer Bursche?« fuhr jetzt der Kaiser auf.

»Weil ich den Wasilowitsch durchgeprügelt habe.«

»Ganz richtig, Du hast Dich an einem meiner Diener vergriffen, aus schnöder Eifersucht, weil er Deinem Mädchen besser gefällt, als Du.«

»Besser, als ich?« fuhr jetzt Steffen auf, »der russische Pavian? Sehen Euer Majestät mich einmal man, kann er meiner Marie besser gefallen, als ich?«

Der Kaiser betrachtete das schmutzige Gesicht, mit der rabenschwarzen berußten Nase, schon wieder kam ihm der ärgerliche Lachreiz, er sagte aber kalt: »freilich, wenn man Dich so sieht, sollte man's kaum glauben.«

»Nun also, nicht aus Eifersucht – mein Mädchen mag ihn gar nicht, das wissen der Herr Kaiser noch von damals her, sondern weil er ein nichtswürdiger Schurke ist, habe ich ihn gebläut!«

»Kerl, wenn Du mir dies nicht beweisen kannst, so will ich nicht Peter heißen, wenn ich nicht zehn solche Knotenstöcke auf Deinem verleumderischen Schädel entzwei schlage.«

»Dazu haben ja Eure Majestät meine Erlaubniß bereits erhalten, aber erst müssen Sie mich hören.«

Und nun begann Steffen dem Kaiser alles zu berichten, von jenem Abend an, wo ihn der Vetter aus dem Hause wies, wo er dann Yarscha fand, bis zu der Stunde, wo er zum dritten Mal vergebens nach dem Wasser unter dem Dach des kaiserlichen Sommerpalastes suchte, und endlich durch Wasilowitsch gereizt, welcher den ersten Schlag führte, zu der Prügelei kam.

Der Kaiser hörte ihm aufmerksam zu, als er aber zum Schluß kam, schrie er ungeduldig: »Wie – was? Kein Wasser in meinem Schlosse? Das lügst Du, Bursche!«

»Steigen Euer Majestät nur Allerhöchst selbst zum Dachstuhl hinauf, da werdet Ihr schon lernen, daß ein ehrlicher Deutscher sich nicht so gut auf's Lügen versteht, als mancher kaiserlich russische Leibdiener.«

»Da soll ihn ja das schwere Wetter« – schrie Peter wüthend, sprang hinter dem Tisch hervor, und fuhr rasch wie der Sturmwind aus dem Gemach. –

Steffen sah ihm triumphirend nach, nickte vergnügt mit dem Kopfe, legte endlich die Hände auf den Rücken, und begann langsam auf und nieder zu gehen, fest entschlossen, die versprochenen Prügel zu erwarten.

Nicht zehn Minuten waren verstrichen, da stürzte der Kaiser schon zurückkommend in das Kabinet.

»Höre, Bursche, wenn Du in allem so recht hast, wie mit den Wasserfässern, so ist mein Haushofmeister ein Ausbund von Spitzbube.« – »Den Wasilowitsch!« rief er zur Thüre hinaus. Steffen stand schweigend in ehrerbietiger Ferne, der Kaiser schritt mit großen Schritten auf und ab.

»Kein Wasser in meinem Palast! Der Schwerenöther! Das Haus soll mir wohl über dem Kopf herunter brennen? Ja, ja, sind wackere Leute, die mir der Mentschikoff« – hier hielt Peter der Große inne, und sah rasch nach Steffen hinüber, der aber that, als sehe und höre er nicht, und der Kaiser setzte seine Promenade unter häufigen Stockhieben durch die Luft fort.

Jetzt trat Wasilowitsch ein, mit triumphirendem Lächeln im Gesichte, denn er war überzeugt, daß der verleumdete Steffen bereits ungehört seine Portion Prügel von dem Kaiser empfangen habe, und ihm nun übergeben werde, um ihn seiner weitern Bestimmung zu überantworten; kriechend warf er sich vor dem Kaiser nieder, doch sein Gesicht ward ellenlang, als dieser ihm entgegendonnerte: »Weshalb hat sich Steffen an Dir vergriffen, Herr Haushofmeister?«

Wasilowitsch schwieg betroffen.

»Weshalb?« donnerte Peter.

Sich fassend, antwortete er rasch: »Weil ich ihm meine Braut nicht gutwillig abtreten wollte, die nun einmal von ihm nichts wissen will.«

»Wer ist Deine Braut?« fuhr Steffen heraus.

Ein einziger fürchterlicher Blick des Kaisers machte den vorlauten Burschen schnell verstummen, erschrocken trat er zurück.

»Du lügst,« fuhr Peter fort, und sein Gesicht fing an sich zu umziehen, wie der Horizont, wenn ein Hagelschlag droht, »Du hattest Deine Pflicht versäumt, meine Ukase verlacht, kein Wasser auf das Dach des Palastes geschafft, deshalb mahnte Dich Steffen, und Du sollst Dich an ihm vergriffen haben. Schlag um Schlag, sagt der Deutsche, Du hast Deine Prügel mit Recht bekommen, es ist kein Wasser da.«

»?Gnädigster Kaiser,« stammelte Wasilowitsch, »der Deutsche belügt Dich.«

»Ich habe mit eignen Augen mich von der Wahrheit überzeugt; Du bist ein Lügner, Du wolltest mich zu einem Unrecht verleiten, darum gehören Dir die Prügel, welche ihm zugedacht waren.« Und somit hob der Kaiser den Stock und traf auf den erbleichenden Wasilowitsch zu, der aber rief, seine Knie umfassend: »Gnade, Herr, Gnade!«

»Tropf!« sprach Peter verächtlich, und schleuderte ihn mit einem Fußtritt auf den Estrich hin, »gestehe, was hast Du mit Yarscha, des braven Kaufmanns Tochter, vorgehabt?«

Keck hob Wasilowitsch den Kopf vom Boden auf: »Yarscha? Welche Yarscha?«

»Nun, dieselbe, die Du verführt, verlassen, und dann aus dem Fenster geworfen hast?«

»Ich?« fragte Wasilowitsch, und das höchste Erstaunen spiegelte sich in seinem Gesicht. »Kaiserlicher Herr, Du willst Spaß mit mir Armen treiben?«

»Du weißt also nichts von dem Allen?« schrie Peter, mit einem grimmigen Blick auf Steffen.

»So, von dem kommen die Lügen?« rief Wasilowitsch listig, »ja die Eifersucht kann viel. Ich bekenne es, mein Kaiser, ich war nachlässig in Erfüllung meiner Pflicht, und bin sehr strafbar, aber glaube dennoch diesem bösen Menschen nicht, der mich haßt, weil mir Willmer die Tochter zugesagt. Ja, mein Herr und Kaiser,« so schloß er, beide Hände über der Brust kreuzend, »befiehlst Du es, so will ich vor jedem Popen mit allen heiligen Eiden erhärten, daß dieser Mensch ein Verleumder ist, und ich niemals ein Mädchen mit Namen Yarscha gekannt habe?«

Die Treuherzigkeit des Bösewichts, die Ruhe und Wahrheit, mit der er sprach, besänftigten den Zorn des Kaisers, er wandte sich zu Steffen, dem die Stirnader schon wieder mächtig schwoll, und rief: »Wem von diesen Gaunern kann man glauben? Geht mir Beide aus dem Gesicht, Ihr seid Einer so viel werth, als der Andere. Aber Du, Langer aus Glogau, Du hast mir schon längst Deinen Haß gegen meinen Haushofmeister deutlich genug gezeigt, Du bist mir sehr verdächtig. Mit dem Wasser hast Du Recht, aber mit dem Mädchen ist's gelogen, und das ist schlecht; geht mir Beide, hört Ihr? – Beide

Wasilowitsch wandte sich eben dem Ausgange zu, und das triumphirende Lächeln auf seinem Gesichte begann schon den Schreck zu verdrängen, da hörte man draußen eine weibliche Stimme, und bald darauf stürzte Marie im Sonntagsstaat, aber bleich wie der Tod, herein, warf sich vor dem staunenden Kaiser nieder, und rief: »Und wenn mich Eure Majestät gleich umbringen lassen, ich kann nicht anders, ich muß meinen Steffen retten, die Wahrheit soll an den Tag kommen!«

»Was willst Du, Marie?« fragte der Kaiser, mehr verwundert, als böse; »wie kommst Du hier herein?«

»Ach, sie wollten mich nicht lassen,« klagte das arme Mädchen; »aber ich dachte, mehr als den Tod kann ich mir nicht holen, und bekomme ich meinen Steffen nicht, so ist's doch mit dem Leben vorbei.«

»Ich denke ja, Du heirathest den Wasilowitsch, Deinen Bräutigam?« fragte der Kaiser sanft.

»Mein Bräutigam, der Wasilowitsch?« wiederholte Marie, und in ihren großen schwarzen Augen spiegelte sich der tiefe Abscheu ihrer Seele, »da sei Gott vor und alle Heiligen! Solchem Ungeheuer soll mein junges Leben nicht verfallen, eher steige ich lebendig in's Grab.«

»Oho!« rief der Kaiser.

»Ja, Ihr Herr Kaiser, Ihr seid angeführt,« meinte Marie, »Ihr wißt nicht, wie Euch der Bösewicht zum Besten hält, aber deshalb kam ich her, Euch ein Licht anzuzünden. Man sagt, mein Steffen solle die Knute bekommen, weil er den schlechten Menschen dort durchgebläuet hat; das that er gewiß mit gutem Rechte, und deshalb flehe ich Euch auf meinen Knien an, Majestät, begeht kein solches schweres Unrecht an zwei rechtschaffenen Menschen. Seht, wenn Steffen die Knute bekommt, kann er mein Mann gar niemals werden, denn wir Deutsche sind freie Leute, bei uns haut man keinen Hund mit der Knute, und ob Eure Leibeigenen sich weniger daraus machen, als unsre Pudel, so hält sich doch ein Freier für entehrt durch solche hündische Züchtigung. Steffen und ich sind auf immer getrennt, wenn Ihr dergleichen an ihm thun laßt, und die Schmach, wie der Gram werden uns Beide umbringen. Ist's wohl aber der Mühe werth, daß Euer Majestät zwei junge, brave, hübsche Leute, wie wir, aufopfern für eine nichtswürdige Sklavenseele, wie Wasilowitsch, dessen Gleichen an Schlechtigkeit in ganz Petersburg nicht aufzutreiben ist?«

»Höre, Kleine,« meinte der Kaiser, »Du hast eine Zunge, wie ein Pfeil; was hat denn Wasilowitsch Dir gethan, was so schlecht ist?«

»Mir?« fragte Marie keck, »Gott sei Dank, mir gar nichts; ich lasse mir von Niemand etwas thun, mich muß man wohl zufrieden lassen. Ein armes Mädchen, die Tochter, des Kaufmanns Chernikov, hat der Bösewicht,« sie wurde blutroth, »beschwatzt nun – kurzum, sie wollte in's Wasser springen, da rettete sie Steffen, und brachte sie zu mir, und ich schützte die Unglückliche. Da saß sie eines Tages in der Stube, ich aber sah durch mein Küchenfenster, wie Wasilowitsch zu ihr eintrat, wie er ihr in's Gesicht lachte, als sie ihn an seine Schwüre mahnte; wie er sagte, er wolle sie und ihr Kind abschwören vor dem Kaiser, es wäre nicht der erste falsche Eid, und würde nicht der letzte sein. Als sie sich darauf verzweifelt geberdete, drohte er ihr, er wolle sie zum Fenster hinauswerfen, wie er schon einmal gethan! Das arme Mädchen wollte vergehen vor Jammer; da riß mir die Geduld, ich versprach dem Herrn Haushofmeister, ihn aus der Thüre zu werfen, wenn er nicht ginge, und seit dem sah ich ihn, aber auch meinen Steffen nicht wieder. Als ich nun hörte, Steffen habe sich an ihm vergriffen, da dachte ich gleich, es sei wegen der armen Yarscha, packte das Mädchen auf, und eilte hierher, denn, wenn Ihr auch heftig seid, Herr Kaiser, und mich, armes Ding, mit einem Wink vernichten könnt, seid Ihr doch ein großer, ein gerechter Mann, das hat Euch noch Keiner abstreiten können, und wo Gefühl für Recht ist, hat die Unschuld nichts zu fürchten.«

Marie schwieg, ihre funkelnden Augen, voll Thränen, waren fest auf den Kaiser gerichtet, dessen Blicke bald wohlgefällig auf der entschlossenen und doch so züchtigen Jungfrau weilten, bald durchbohrend nach Wasilowitsch hinüberflogen, der leichenblaß dastand.

Plötzlich rief er: »Yarscha herein!«

Und schwankend, mit bleichen, von Angst und Kummer entstellten Zügen sank nach wenig Sekunden die arme Verführte vor den mächtigen Alleinherrscher in den Staub, zu dem die ächte Russin das geblendete Auge so wenig, als zur Sonne zu erheben wagte.

»Ist's wahr, was Marie mir erzählte?« fragte der Kaiser mild, um die Unglückliche nicht noch mehr zu verschüchtern; »hast Du Wasilowitsch's Wort, ist er Dein Mann?«

»Vor Gott!« stammelte Yarscha, und eine Purpurröthe ergoß sich über ihre Züge, aber ihr großes Auge flog betheuernd gen Himmel, als sei dort ihr Zeuge, und ihre Hände falteten sich in frommer Ergebung über der bebenden Brust.

Ihr Anblick wirkte sichtlich auf den Kaiser, eben so aber auf Wasilowitsch, der am ganzen Körper zu zittern begann.

»Ist's wahr, hat Dich mein Haushofmeister aus dem Fenster geworfen?«

»Es ist wahr, Vater,« sprach Yarscha leise, »aber es war nicht hoch, und es konnte mir kein Leides dabei geschehen; das wußte er wohl.«

Staunend hing der Blick des Kaisers an dem tief gekränkten Mädchen.

»Ist's wahr, daß er Dich und Dein Kind abschwören wollte?«

Yarscha beugte das Haupt tiefer zur, Erde, und lispelte kaum hörbar: »Er drohte wohl im Zorn, er hätte es aber sicherlich nimmer gethan.«

»Kennst Du das Mädchen?« fragte jetzt Peter kalt, zu Wasilowitsch gewendet.

Wasilowitsch, bebend wie das entlarvte Verbrechen, antwortete dennoch stotternd: »Nein, ich kenne sie nicht.«

Da flammte eine Purpurröthe über Peters Stirne.

Er deutete auf die beiden Mädchen. »Sieh, diese Augen lügen nicht, Verworfener!« donnerte Peter; »und wenn Du jetzt gleich alle Eide auf den heiligen Leib gelobtest, so sagte ich doch, Du lügst, Bösewicht!« Mit einem fürchterlichen Blick trat jetzt der Kaiser zum Fenster, öffnete beide Flügel, und rief in einem Ton, vor dem einst die halbe Welt zitterte: »Nun mache Du die Reise durch's Fenster, Haushofmeister, oder ich lasse Dich in der nächsten Stunde zu Tode knuten!«

Leichenblaß stand Wasilowitsch; Yarscha starrte mit weit offenen Blicken durch's Fenster in die Tiefe, und ihre Seele schien an Wasilowitsch's Bewegungen zu hängen. Der Kaiser stand da, fürchterlich, wie ein rächender Gott. Wasilowitsch wußte wohl, daß hier nur die Wahl zwischen sicherm Tod unter der Knute oder einer starken Verletzung durch den Sprung sei, und als Peter ungeduldig rief: »Nun?« stürzte er verzweiflungsvoll nach dem Fenster. Eben wollte er sich auf die marmorne Brüstung schwingen, als Yarscha ihn ereilte, ihn krampfhaft umschlingend zurückriß, und mit herzzerschneidenden Tönen schrie: »Kaiser, ich habe Dich betrogen, er ist unschuldig, er kennt mich nicht, laß ihn leben, laß ihn leben!« Ohne Bewußtsein lag sie zu den Füßen des Bösewichts.

Mit Bewunderung sah der große Mann auf das bleiche Mädchen herab. Marie eilte, in Thränen zerfließend, der Aermsten zu Hülfe, indeß Peter, den Blick fest auf Wasilowitsch heftend, rief: »Wahrlich, solcher Anhänglichkeit wäre ein Besserer werth gewesen! Kennst Du das Mädchen noch nicht?«

»Ach, tödte mich, Czar, ich bin schuldig!« schluchzte jetzt Wasilowitsch, neben der Bewußtlosen in die Knie sinkend, »sie ist mein Weib vor Gott!«

»So gehe Augenblicks zum nächsten Popen, und mache sie zu Deinem Weibe vor den Menschen, dann sollst Du Dein Urtheil hören.«

Wasilowitsch faßte die regungslose Yarscha in seine Arme, und trug sie auf einen gebieterischen Wink des Kaisers hinweg. Marie wollte ihr folgen, doch Peter rief sie mit den Worten: »Nun, hast Du denn keine Augen für Deinen Steffen?« zurück.

»Wo?« fragte das Mädchen, ringsum blickend; sie hatte in ihrer Angst und Bedrängniß früher Niemand beachtet, als den Kaiser, nun erst sah sie den rußigen Burschen. »Der schwarze Essenkehrer, mein Steffen?« schmollte sie verdutzt.

»Da hast Du's nun,« lachte der Kaiser, »sieh, die Jungfrau mag Dich, trotz Deiner Großsprecherei von vorhin, nun doch nicht.«

»Das glaube ich nicht, Herr Kaiser!« sprach Steffen, sich den Ruß aus den Augen wischend, »sieh mich an Marie, bin ich Dein Steffen noch, um den Du vorhin sterben wolltest?« Marie ward roth, bot ihm dann stillschweigend die Hand, und sah lächelnd zur Erde. »Nun,« meinte Peter, »die Redensart versteht ein Jeder, auch der nicht holländisch spricht, wie wir. Nun gehe mit Gott heim, von der Knute hast Du ihn nicht gerettet« – Marie sah erschrocken auf, ruhig fuhr Peter fort: »denn die war ihm nie zugedacht; aber mein Vertrauen hast Du ihm wieder gewonnen, mir einen großen Dienst erwiesen, und der armen Yarscha einen Mann verschafft, nun magst Du zufrieden nach Hause wandern.« Marie seufzte tief. »Du denkst wohl, wäre ich auch schon so weit, nicht?« lächelte der Kaiser. »Ach nein,« sagte Marie betrübt, »das dachte ich nicht, denn ich weiß, daß ich nie einen bekomme; der Vater hat sein Wort gegeben, ich soll nun einmal kaiserliche Haushofmeisterin werden, und ich will als eine alte Jungfer sterben, wenn ich nicht Frau Langer heißen darf, aber damit ist's, wenn ich's beim Licht betrachte, nur eine eitle Hoffnung! Aber der Mann, den die arme Yarscha durch mich bekommen, der kostete mich den Seufzer.«

»Laß gut sein,« sprach der Kaiser, »die will keinen Mann wie Du; sie wird ihren Russen bald genug zum Pantoffelbruder gemacht haben. Laß Du sie nur erst Frau sein, mit dem Wasilowitsch wird sie schon fertig, dergleichen Bestien werden zahm, hat man sie nur erst im Käfig!« Damit ging der Kaiser hinaus und lächelte still vor sich hin, denn er sah im Spiegel des Vorgemachs, wie der rußige Steffen das reinliche blühende Mädchen fest an die Brust drückte, und wie dann Marie mit dunkelrothen Wangen sich zur Heimkehr anschickte.

 

Es war in den Morgenstunden des andern Tages, Marie saß mit rothgeweinten Augen auf ihrem Stübchen, und gelobte sich im Herzen, sie wolle sich so lange aushungern und abgrämen, bis ihr Jammerbild des harten Vaters Herz rühre. Dem war zu Ohren gekommen, seine Tochter habe bei dem Kaiser einen Fußfall gethan, um Gnade für den deutschen Glückspilz zu erbitten, den der Kaiser erst zum Feueroffizier machte, und dann ihm die Knute geben lassen wollte. Dann hatte er auch gehört, der Wasilowitsch hätte über Hals und Kopf geheirathet, und über alle diese ärgerlichen Fälle war er so in Wuth gerathen, daß er der armen Marie, nach einem fürchterlichen Auftritte, mit Fluch und Enterbung gedroht hatte, wenn sie noch einmal nur den Namen des verhaßten Landstreichers aussprechen würde. Alle ihre Hoffnungen, so tief versteckt sie auch in ihrem Herzen geruht hatten, waren vernichtet, und sie suchte vergebens nach irgend einem Trost in diesem schwersten Leid ihres Lebens. Da glitt ein großer dunkler Schatten an ihrem Fensterchen hin, sie sah rasch auf die Straße und mit höchstem Erstaunen, wie ein Mann in das Haus trat, den sie an seiner riesenmäßigen Länge, so wie an dem festen stolzen Schritte, ohne sein Gesicht zu sehen, augenblicklich für den Kaiser erkannte. Mit lautklopfendem Herzen schlich sie hinaus auf die Flur, und bemerkte mit steigender Verwunderung, wie der Monarch gerade auf die Werkstatt im Hofe losging.

Nach wenig Augenblicken lagen die Gesellen rings im Staube, doch auf Peters Wink ging die Arbeit bald ihren gewohnten Gang fort. Er besah dies und das; Marie konnte durch die offen stehende Thüre Alles wahrnehmen, was vorging, und obgleich sie nicht verstand, was gesprochen ward, sah sie doch bald, wie ihr Vater, der tief gebückt da stand, die Mütze in der Hand, vergehend vor Unterthänigkeit und Ehrfurcht, schnell nach dem Wohnhause. hinübersah, und ein Strahl von Freude über sein Antlitz flog; darauf wandte sich der Kaiser zum Ausgang, und Marie schlüpfte rasch in ihr Kämmerchen zurück, ergriff mit bebender Hand ihr Rädchen, und dachte, fest auf die Arbeit sehend: »Was mag nur das zu bedeuten haben?« Da klangen tüchtige Kraftschritte draußen, des Vaters Stimme rief laut, aber nicht unwirsch: »Marie, Marie!« und noch war sie nicht vom Fenster weg, so trat schon der mächtige Herrscher Rußlands tief gebückt durch ihre niedrige Kammerthüre. »Ei da ist's hell und freundlich,« sprach der große Mann, und ein wohlgefälliges Lächeln spielte um seine edlen Züge; »da ist Reinlichkeit und Ordnung zu Hause, kann's meinem Haushofmeister nicht übel nehmen, daß er gern eine solche Wirthschafterin unter seinem Dache hätte; Du könntest die unnützen Mägde und Knechte in meinem Palais tüchtig zusammenhalten, nicht?«

Marie sah mit großen, fragenden Augen zu dem Kaiser auf, dieser aber fuhr fort, ohne sich stören zu lassen: »Weißt Du auch wohl, daß ich als Brautwerber hier bin, flinke Dirne? Mein Haushofmeister will Dich in seine zierliche Wohnung einführen, Du sollst das Regiment haben über ihn und das ganze Sommerpalais nebst allen Kreaturen, die es enthält, mich ausgenommen, und zwar noch heute sollst Du Deinen Einzug halten. Deines Vaters Wort habe ich, nun hoffe ich, Du wirst Dich auch nicht lange bitten lassen.«

Marie stand da wie versteinert, sie sah bald den Kaiser, bald ihren Vater an, und brachte kein Wort hervor; letzterer aber trat zu ihr, und sprach mit einem grimmigen Seitenblick: »Gegen diesen Brautwerber wird die Jungfrau wohl nichts mehr einzuwenden haben, und so gebe ich Euer kaiserlichen Majestät in unser Beider Namen mein Wort, der allergnädigst bestimmte Bräutigam, der hochwohlgeborne Herr Haushofmeister, sollen eine willige, geschmeidige Braut finden.«

Der Kaiser lächelte zufrieden vor sich hin, wandte sich mit einem freundlich ermuthigenden Wink zu Marien, und sprach im Hinausschreiten: »Mache Dich hübsch schmuck und blank, Jungfer Braut, um die vierte Stunde kommt der Haushofmeister, Dich zu holen, und alle meine Leibdiener mit; auf Eurer Hochzeit soll es flott hergehen, der Kaiser richtet sie aus, und will sich einmal einen lustigen Tag machen, sieh Du nur hübsch freundlich, und denke: daß, wenn der Peter auch heftig ist, und manchmal unbesehen tüchtig d'rein schlägt, ist er doch ein gerechter Mann, das hat ihm noch Keiner abgestritten

Damit war der Kaiser verschwunden; Marie stand noch immer wie eine Bildsäule, und konnte nicht begreifen, was das Alles bedeuten solle; der Meister aber kam zurück von seiner Begleitung des Kaisers, sprang, wie besessen, im Zimmer umher, schrie laut vor Freude und Jubel, und vermaß sich hoch und theuer: solches Glück, solches Heil und solche Ehre sei noch keinem Sterblichen widerfahren, seit die Welt stehe, seit es Seiler und Potentaten gebe. Damit fuhr er wie toll in seinen Geldkasten, holte einen schweren Sack hervor, hielt ihn Marien vor die Augen, und schrie: »Sieh, Du Ungerathene, Du verdienst zwar Prügel eher für Deine Halsstarrigkeit, aber mit all dem Geld kaufe ich Dir jetzt Ketten und Spangen, Du sollst dem Wasilowitsch und mir Ehre machen. Eine reichere Bürgersbraut soll hier noch nicht vor dem Altar gestanden haben. Ich gehe jetzt – und prangst Du nicht, bis ich heimkomme, im Sonntagsstaat, und lächelst Du nicht in hochzeitlicher Wonne dem Herrn Haushofmeister entgegen, so drehe ich Dir Angesichts des Kaisers den Hals um, und jage Dich dann mit Schande und Spott aus dem Hause.« Wie eine Windsbraut sauste er zur Thür hinaus auf den Hof, warf im Vorbeigehen den Gesellen eine Handvoll Rubel in die Werkstatt, schrie: »Bursche! weg von der Arbeit, kauft Euch neue Mützen, wascht und bürstet Euch, werft Euch in Sonntagsstaat; aber besauft Euch nicht, das sollt Ihr erst am Abend thun!« und eilte nun mit solchen Schritten die Moika hinab, wie er sie seit seinem achtzehnten Jahre nicht mehr versucht hatte.

Marie kämpfte wohl ein Paar Stunden mit sich selbst, was sie thun und lassen sollte, als aber die Glocke drei Uhr ward, als die Hausmagd hereinstürzte, und erzählte, wie es im Sommergarten lebendig sei, wie der Kaiser lange Tische aufrichten lasse für die Schiffsarbeiter und alle Leute von den Werften, welche zur Hochzeit seines Haushofmeisters geladen seien, wie er alle Seilermeister und Gesellen von ganz Petersburg zu dem Feste, entboten habe, da dachte Marie, in deren Brust sich eine selige Ahnung zu regen begann: »der edle Kaiser, der allen Menschen wohl will, thut mir gewiß nichts Uebles, ich will mich einmal, ohne zu fragen, seinen Befehlen fügen,« und somit begann sie, das dunkle Haar in breite Flechten zu legen, holte den silbernen Brautkranz ihrer seligen Mutter aus dem verborgenen Schrein, langte das gelbe Atlas-Jäckchen und den feinen purpurrothen Casimirrock hervor, der in Holland ihre höchste Zierde war, schlüpfte hastig in das nette Brusthemdchen von weichem Mousselin, mit breiten Brüßler Kanten geschmückt, so daß sie nach wenigen Augenblicken dastand, zierlich wie die feinste Gräfin, frisch wie eine knospende Rose, und, in der Reinheit ihrer Seele, würdig von dem ersten Fürsten der Welt heimgeführt zu werden. Mit jedem Stücke ihres Anzugs legte sich ein beruhigendes Gefühl um ihre Brust, ihr Vertrauen auf des Kaisers Güte stieg von Minute zu Minute, und bald wußte sie sich nicht mehr zu lassen vor freudig kühnen Hoffnungen und Träumen, die in ihrer Seele immer mächtiger aufstiegen.

Jetzt trat der Meister ein, und sein Gesicht verklärte sich wie die aufgehende Sonne, da er Marie vollkommen fix und fertig, in der schönsten Pracht fand, welche ihr Stand erlaubte. Rasch schlang er einen frischen Myrthenzweig durch die alte silberne Brautkrone seiner Seligen, darauf packte er gar köstliche Ketten aus, mit welchen Marie das seidne Mieder nesteln mußte, um die weißen kräftigen Arme schlang der eitle Vater goldne Spangen, prächtige Schaumünzen prangten an ihrem Halse, und an ihrer Seite, über der kostbaren Brüßler Schürze, hing ein breiter Gürtel herab, mit Scheere und Bisamapfel, alles eitel Silber, Gold und bunte Steine.

Wohlgefällig betrachtete er die Jungfrau, eben schmunzelte er in sich hinein: »Stellt jetzt alle Eure russischen Klötze neben meine Marie, behängt sie mit Perlen und Edelsteinen, mein Mädel ist und bleibt doch die schmuckeste Dirne in ganz Petersburg!« – da tönte eine lärmende Musik durch die Straße, und an der Moika herab kam ein stattlicher Zug von kaiserlichen Leibdienern in ihrer prächtigen Livree, von Musikanten, Meistern und Gesellen im Sonntagsstaat, und vor ihnen her, mit einem silbernen Stab in der Hand, glänzend geschmückt mit kaiserlicher Pracht, schritt der Haushofmeister, im Vollgefühle seiner Würde, gerade auf das Haus zu.

»Herr Gott steh' mir bei!« schrie der Meister entsetzt, »da kommt der Zug, der Bräutigam holt die Braut, die halbe Stadt ist Zeuge meines unaussprechlichen Triumphs, und ich, der Brautvater, habe weder ein hochzeitlich Kleid an, noch einen Strauß vor der Brust! Steffen! Iwan! Donnerwetter! Gott verzeih' mir die Sünde, Martha, Lisinka, verdammtes Gesindel, wo steckt Ihr? Kommt, helft, oder der Satan soll Euch das Licht halten!« Unter diesem Geschrei lief der geängstete Mann nach seiner Kammer, einen Schweif von sechs Gesellen und vier Mägden hinter sich her schleppend, welche er unaufhörlich beim Namen rief, ohne in der Noth ihre Antwort zu hören. Indeß stand Marie mit hochfliegender Brust, zitternd an allen Gliedern, und vermochte nicht, das Auge zu erheben, um hinauszuschauen auf die Straße, noch einen Fuß vorwärts zu setzen.

Da ertönte ein lauter Tusch vor dem Hause, Marie blinzelte ein wenig hinaus, in Reih und Glied stand der Zug; jetzt trat Jemand in ihre Kammer, noch immer vermochte sie nicht aufzublicken, da ertönte eine liebe, wohlbekannte Stimme in ihrer Nähe, sie erhob das gesenkte Haupt, und gegen ihr über an der Thür stand der Haushofmeister in seiner ganzen Pracht, aus der hohen Pelzmütze und dem herrlichen Zobelkragen aber lachte Steffens vergnügtes, frisches Angesicht, und das vor Entzücken verstummte Mädchen mit einem seligstolzen Blick messend, rief er voll Ehrfurcht: »O Marie, wie schön bist Du!«

»Steffen!« stammelte sie bebend.

»Magst Du denn den abscheulichen Schläger zum Manne?« fragte der hübsche Bursche, halb beschämt, halb ängstlich lächelnd; statt aller Antwort flog Marie an seine Brust, umschlang ihn fest, und brach in einen Strom von Thränen aus. Lange hielten sich die jungen Leute sprachlos umfaßt, da trat – noch zitternd vor Angst und Eile, aber stattlich geschmückt, der Meister ein, betrachtete die Gruppe wohlgefällig von hinten, und rief endlich jubelnd und in die Hände klatschend: »So ist's recht, Kinder, so ist's recht!« Doch Loth's Weib als Salzsäule war beweglich gegen den versteinerten Mann, als nun Steffen das Haupt wandte, und freudig rief: »Ist's Euch so recht, Herr Vetter? Nun Gott Lob und Dank, daß Ihr zur Vernunft gekommen, uns Beiden ist's auch recht, wie Ihr seht, und dem Kaiser auch, das hat er Euch schon gesagt.«

»Betrug, schändlicher Betrug!« stammelte der Meister, sich mühsam von seinem Entsetzen erholend, »dem kaiserlichen Haushofmeister versprach ich mein Kind.«

»Der bin ich seit gestern,« sprach Steffen stolz, »und seht, ich trage schon Kaisers Livre.«

»Aber Wasilowitsch?« fragte der Vetter schwach, und sank erschöpft auf einen Stuhl.

»Den hat der Kaiser gezwungen, die verführte Yarscha zu heirathen,« referirte Steffen ziemlich ruhig, »und sein Glück war, daß ihn das Mädchen noch haben mochte, sonst wäre er, seiner schlechten Streiche halber, nach Sibirien gewandert. Nun ist er als Aufseher des Baues und des Schlosses nach Orienbaum kommandirt, aber ausdrücklich nur so lange, als Yarscha mit ihm zufrieden ist; sobald sie Klage führt über ihren Mann, ist er abgesetzt, sie wird bei der Leinwandkammer angestellt, und er geht – nach Sibirien. So hat es der weise Kaiser beschlossen, und dies ist auch wohl das einzige Mittel, in Jahr und Tag einen bessern Menschen aus dem Burschen zu machen, den nur das ungewohnte Wohlleben verdarb. Ich bin nun, was man sein muß, um Eurer Tochter Hand zu verdienen – Haushofmeister, ich werde sie einführen unter das kaiserliche Dach, und hoffe, Herr Vetter, daß Ihr uns tagtäglich im Sommerpalais besuchen werdet, um zu sehen, wie meine kleine Frau den russischen Schmutz alldort austreiben, und holländische Ordnung und Reinlichkeit einführen wird.«

Jetzt ertönte ein zweiter Tusch vor dem Hause, den Bräutigam zum Aufbruche mahnend. Marie sank mit bittendem Auge vor ihrem Vater nieder, der aber, besiegt vom Augenblick, lächelte bittersüß, legte die Hände der Flehenden ineinander, murmelte: »ich segne Euch!« und trat nun mit aller Gravität eines ehrbaren Seilermeisters hinaus, mitten in den jubilirenden Zug.

Rasch ging es nun in die Kirche, wo alles bereit war, dann zum kaiserlichen Sommergarten, wo Speisen und Getränke aller Art auf unzähligen Tischen der Ankommenden warteten, und als nun der Kaiser, umgeben von einem glänzenden Gefolge mitten unter die lustigen Hochzeitsgäste trat, als die sittsam erröthende Maria, überströmend von Dank und Seligkeit, seine Kniee umfaßte, da meinte mancher der reichen Sarmaten: »Solch' eine Braut wäre jedem von ihnen zu wünschen.« Der Kaiser aber hob das schöne Mädchen lächelnd auf, und sagte, zu seinem Gefolge gewendet: »Die Kleine hat mir eine tüchtige Lehre gegeben, aber Ihr müßt gestehen, daß ich im ganzen Reich keinen hübschern Lehrmeister hätte auftreiben können, darum mußte sie auch nach Würde belohnt werden. Gott gebe all' Euern Weibern und Mädchen so viel Muth und so viel Liebe für Euch, wie die Hexe für ihren Steffen hat.« Und leise, sich zu Steffen neigend, sprach er: »Nun denke ich, habe ich den schönen Zahn und die Prügelangst wett gemacht, jetzt aber gieb die Schlägereien auf und werde ein ordentlicher Haushofmeister, wie sich's gebührt.«

»Dafür lassen Euer Majestät nur meine Marie sorgen,« jubelte Steffen, »wem Gott und der Kaiser solch ein Weib, und solch ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand.«

»Nun, wir werden ja sehen!« lachte Peter, nahm die frische Braut am Arm, und eröffnete mit ihr den Hochzeitstanz; bald flog alles dahin im lustigen Reigen, und feierte die fröhlichste Hochzeit, welche in Petersburg statt gefunden, seit es erbaut war.

Steffen aber ward wirklich ein eben so tüchtiger Mensch und Diener seines Kaisers, als glücklicher Gatte und Vater. Yarscha hat nie Klage über Wasilowitsch geführt, und im ganzen kaiserlichen Sommerpalast ward keine Stelle so vorzugsweise von der blühenden Hausmeisterin gepflegt, wie der holländische Kamin; vor dem stand Marie gar oft mit dem reinigenden Staubbesen stundenlang in froher Betrachtung, und meinte: »so ein Kamin ist doch eine unbezahlbare Erfindung.«

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