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Die Tänzerin.


1.

Lord Emil Flitmore an Charles Darnwall.

Paris.

Ist es möglich, Charles? Drei Monate lassen Sie mich ohne alle Nachricht? Krank verließen Sie, Ihrem Eigensinn folgend, Paris, versprachen, unverzüglich nach Ihrer Ankunft in London, zu schreiben, und noch immer keine Zeile? – Sie wissen, wie ängstlich ich bin um Alles was Sie betrifft, und beobachten kalt dieß räthselhafte Schweigen! –

Wie gern hätte ich Sie begleitet, wie gern wäre ich an Ihrer Seite in unsre Heimath zurückgekehrt, hielte mich nicht der Vater selbst, durch die eigenwillige Bestimmung meiner Lebensgefährtin, von England entfernt. –

Es ist Ihnen bekannt, wie verhaßt mir der Gedanke ist, im Vaterland eine Braut zu haben, die eigens für mich erzogen wurde, der man im zehnten Jahr schon sagte: »Miß Bella, in sechs Jahren werden Sie Lady Flitmore sein; wie wollen Sie sich alsdann benehmen?« – worauf die kleine blonde Puppe, sich steif verneigend, erwiederte: »Wie alle reichen Lady's, stolz, kalt, und anständig.« – Gott bewahre, wenn diese Altklugheit mit den Jahren wuchs, muß sie jetzt erstaunlich anständig sein! –

Ich hasse diese kalten Tugenden – deren Moral von Kindesbeinen an, wie die Füße der Chineserinnen, in eisernen Formen verkrüppelt und verdreht wird eben so sehr als das Laster, und um keinen Preis der Welt möchte ich eine von meinen steifen kühlen Landsmänninnen zur Gefährtin meiner luftigen Lebensreise, ich gemahnte mich wahrlich wie Arlequin im Reifrocke. – Sie schmählten immer, daß mich der lange Aufenthalt hier völlig nationalisirt habe; Sie hatten Recht, ich freue mich selbst nicht darüber, aber im Ganzen befinde ich mich doch sehr wohl dabei, obgleich ich so wenig mehr Engländer bin, daß ich oft meine Landsleute mit ihrer schroffen, seltsamen Außenseite wie Fremdlinge betrachte.

Wäre die verwünschte Bella nicht, ich säße längst wieder am väterlichen Herd, tränke meines Vaters Weine, jagte seine Hasen, ritte seine Pferde todt, und verwettete seine Guineen; und das möchte allerdings besser sein, als meine hiesige Aventüre, die nach gerade anfängt meine Kasse ein wenig zu derangiren, und die mich überdies noch zu einem tollen Streich verleiten könnte. – Wahrhaftig, ich wollte Sie verliebten sich in Bella, und gewönnen ihr Herz. – Wissen Sie wohl, daß Ihnen das gar nicht schwer werden dürfte? Sie sind – ohne Umstände – liebenswürdiger, geistreicher, hübscher als ich; Sie haben 10,000 Pfund Revenuen, ich nur die Hälfte – eine Eigenschaft, die Sie auf jeden Fall, selbst wenn Sie es nicht schon wären, in den Augen eines Mädchens interessanter macht, als ich es bin! –

Kurz, ich habe die beste Hoffnung meiner theuren Braut los zu werden, denn Ihnen widersteht sie nicht, wenn Sie anders Lust haben, sie zu erobern. Uebten Sie nicht sogar über mich die unwiderstehliche Macht Ihrer Liebenswürdigkeit, daß ich meine süße Ninon oft Tagelang vernachlässigte? Wie manche trübe Stunde ertrug ich um Ihrentwillen, und so lohnen Sie Ihrem treusten Freunde mit mondenlangem Schweigen? Schnell, bereuen Sie Ihren Fehler, verbessern Sie ihn, oder Sie kränken tödtlich

Ihren Freund Emil.

*

2.

Lord Charles Darnwall an Flitmore.

London.

Wohl mit Recht, mein Freund, beklagen Sie sich über mich, und glauben Sie mir, ich fühle mein Unrecht. Ich hielt Ihnen nicht Wort, und kann mich auch nicht einmal entschuldigen. Das nachfolgende treue Geständniß wird Ihnen den Schlüssel des Räthsels geben. –

Etwas unzufrieden mit Ihnen, verließ ich Paris. Erlauben Sie mir, mein Freund, da ich im Begriff bin Ihnen einen Fehler zu bekennen, den ich strenge richten werde, auch über eine Ihrer Schwächen mich schriftlich aussprechen zu dürfen, welche, mündlich zu berühren, ich mich niemals überwinden konnte. –

Ihr Verhältniß mit Ninon mißfällt mir. Ich war einen Abend mit Ihnen zum Souper bei ihr; ich gestehe es Ihnen zu, sie ist sehr reizend, aber wie ist es möglich, daß dieß Geschöpf Ihnen so theuer werden konnte, daß Sie nur in ihr leben? – Wie kann diese freie, seichte Unterhaltung, nur selten von einzelnen Witz-Funken belebt, Ihnen genügen? wie kann ein Gemüth, so ganz verschlossen für alles Edlere und Höhere, einen Geist, wie den Ihrigen, so umstricken, daß Sie in dieser Ninon das Ideal weiblichen Liebreizes erblicken?

Nicht der Abscheu vor einer Verbindung mit Arabellen, Ninon hält Sie von der Rückkehr in das Vaterland zurück, sie ist es, die diesen unverzeihlichen Haß hervorbringt. – Ich könnte Ihnen Vieles vergeben, wenn das Mädchen dem Privatstand angehörte; aber Ninon ist Tänzerin, eine der ersten Tänzerinnen der Pariser Oper. – Sie gehört nicht dem Geliebten, sie gehört der Welt an. Von Anbetern umringt, die ihre Reize, ihr Talent preisen, gewohnt täglich von Tausenden – oft in den freisten Kostümen – begafft und bewundert zu werden, muß das Gefühl nur Einem anzugehören, nur Einen entzücken zu wollen, längst von ihr gewichen sein, und dieß eben ist es ja, was der Geliebten in unsern Augen den höchsten Reiz verleiht. – Wahrlich, mich überläuft ein eiskalter Schauer bei dem Gedanken, ein Mädchen, das ich liebe, so vor mir zu sehen, wie ich Ihre Ninon als Zephyr sah, wo nur eine Scheidewand vom dünnsten Flor zwischen ihren Reizen und den verschlingenden Blicken der Menge flatterte. Ich bin fest überzeugt, daß meine heißeste Leidenschaft einen solchen Anblick nicht überleben würde. – Kann eine Liebe ohne Vertrauen bestehen, und ist es möglich unter solchen Verhältnissen zu vertrauen? – Nimmermehr! – Emil, wähnen Sie denn, die blütenreine Treue schlage ihren Wohnsitz in solchen Herzen auf? – und können Sie den Gedanken ertragen, zu theilen, was nur allein besessen, besel'gen kann? Doch was spreche ich! Es wird mir eben so wenig gelingen, Sie zu überzeugen, daß Ninon Ihrer unwerth ist, als es mir jemals möglich sein wird, Ihr Verhältniß mit ihr zu begreifen, und – zu verzeihen! – Noch einmal, eine Wallung Ihrer Sinne könnte ich vergeben, aber Ihr Herz müßte ein edleres Bild umschließen. –

Doch nun – zu meinem Geständniß. –

Die innige Freude meiner Mutter bei meiner Rückkehr zu schildern, dazu fühle ich mich zu schwach, Emil! Sechs volle Jahre sind verflossen, seit ich zum letztenmale an ihrem Herzen lag. Die Zeit ging nicht spurlos an ihrem ehrwürdigen Haupt vorüber; ihre weißen, vor der Zeit gebleichten Locken, sind mir dringende Mahner an die Summe von Freuden, welche ihr das Leben noch schuldet. –

Möchte es mir doch vergönnt werden, den Abend ihres Daseins mit all' den Blüten zu überschütten, an denen ihr Frühling so arm war. –

Meine Familie empfing mich herzlich, und machte aus meiner endlichen Heimkehr viel Aufhebens; die ersten Tage verflossen in einem Strom von Zerstreuungen. – Endlich kam eine Stunde der Ruhe, meine Mutter ward unpäßlich, hütete das Zimmer, und ich vermochte ungestört ihr die Plane für meine Zukunft mitzutheilen. – Sie erfuhr, daß mein Herz noch frei ist, und, ihre sichtliche Freude darüber zeigte mir, daß irgend eine Lieblingsidee in ihr verborgen liege. –

Sie lächelte sanft, sah heiter vor sich hin, und sprach, meine Ahnung bestätigend:

»Mein theurer Charles, du mußt wissen, daß ich schon für deine Zukunft geschäftig war. Ich kenne ein Wesen, welches so sehr alle Vorzüge des Geistes und Körpers in sich vereint, daß ich ihres Besitzes nur dich für würdig halte. – Es ist die liebenswerthe« – –

»Miß Arabella« – meldete der eintretende Bediente. Meine Mutter lächelte wieder, und sprach mit ihrer unnachahmlichen Freundlichkeit:

»Recht herzlich willkommen!« –

Dieß Lächeln, und der Zufall, welcher ihr den Namen von der Zunge nahm – den sie, wie ich wetten wollte, im Begriff stand auszusprechen, machten mich etwas bestürzt, ich zog mich an ein Fenster zurück, und betrachtete so ungestört Arabellen, welche eben hereintrat. –

Nun merken Sie wohl auf, Emil, und fühlen Sie an Ihr Herz, ob es nicht stärker pocht.

Denken Sie sich eine hohe Gestalt, nicht mager, aber auch nicht üppig gebaut; ein interessantes Gesicht, das im ersten Augenblick nicht durch Schönheit in Erstaunen setzt, das aber nach wenig Minuten der Betrachtung, einen unwiderstehlichen Reiz gewinnt. – Die hohe, ernste Stirne von lichtblonden Locken sanft beschattet, die großen, seelenvollen, tiefblauen Augen, die kaum merklich gebogene Nase, geben ihren Zügen etwas Stolzes; aber die sanfte Milde, die um den lieblichen Mund verbreitet ist, das süße Lächeln, welches leise Grübchen in die, von einem zarten Karmin nur angehauchten Wangen gräbt, verwischen jenen Zug, und sind so bezaubernd, daß die ganze Erscheinung einen tiefen Eindruck hervorbringt. –

Ich bin mir keines ähnlichen bewußt. –

Leise schwebend, als berühre sie kaum den Teppich, ging sie auf meine Mutter zu, drückte ihre Hand an die Lippen, und sagte mit einem Tone, der sehr anmuthig zwischen Besorgniß und Liebe schwankte:

»Meine theure Lady, wie schmerzt es mich, Sie unwohl zu finden, und dennoch – zürnen Sie mir nicht – wie danke ich dieser Krankheit, denn, ohne sie, träfe ich meine mütterliche Freundin heute gewiß wieder nicht, und müßte die Freude entbehren, mich mit Ihrem liebevollen Herzen berathen und bereden zu können.« –

In holder Traulichkeit zog sie den Stuhl näher zu dem Ruhebette, und faßte sanft ihre Hand. –

Die Blicke meiner Mutter ruhten mit Wohlgefallen und Liebe auf ihr. Nach einer Weile winkte sie mir näher zu treten, und sprach, uns gegenseitig einander vorstellend:

»Miß Arabella – mein Sohn Charles.« –

Sie erhob sich, ein ganz klein wenig erröthend, verneigte sich sehr anständig, und setzte sich dann wieder. – Ich begann nun ein Gespräch, und mußte – ich gestehe es – Anfangs zum Wetter meine Zuflucht nehmen, so befangen war ich. Endlich aber kam ich doch auf meine Reisen, auf Literatur, und am Ende auf Politik, weil es jetzt hier eben so sehr Mode unter den Damen ist, mit Enthusiasmus von den Zeitungen, als mit Abscheu von dem großen Byron zu sprechen. Ich will dennoch wetten, daß manche englische Dame viel darum gäbe, hätte Byrons: » fare thee well<« – ihr gegolten. – Anmerkung der Verfasserin. Da traf ich auch vollkommen das rechte Kapitel, die schöne Bella weiß wirklich alle Morning Chronicls auswendig, und spricht mit geziemender Verachtung von dem großen Wüstling unsrer Insel. – Der Ton ihrer Stimme war leise, wohlklingend und ruhig, sie sprach ohne Leidenschaft, und würdigte mich nur sehr selten eines Blickes; überhaupt wußte sie sich sehr strenge mit all' der kalten Zurückhaltung zu umgürten, die den Damen unsrer Nation so eigen ist. –

Ich kann Ihnen nicht leugnen, Emil, daß dieses Benehmen, welches mir durch meinen langen Aufenthalt in Frankreich und Italien ziemlich fremd geworden ist, mir sehr imponirt, und eine wunderbare Macht über mich ausübt. – Ich fühle mich zu einer unwillkührlich ehrerbietigen Entfernung gezwungen, ja, ich bin sogar schüchtern in ihrer Gegenwart, doch diese Schüchternheit quält mich nicht; es ist die scheue Zurückgezogenheit eines – der sittlichen Ueberlegenheit eines zweiten Gemüthes weichenden Selbstgefühls. –

Arabella ist liebenswürdig und geistreich, das gewahrte ich in dem kurzen Gespräch mit ihr, daß sie gut und gefühlvoll sei, verbürgt meine Mutter; doch sie scheint auch stolz. – In die Würde ihres keuschen Geistes eingehüllt, im jungfräulichen Busen keinen Schmerz, keine Unruhe tragend, steht sie da wie eine höhere Erscheinung, und sieht ruhig auf das Leben und sein Treiben herab. – Die Männer sind ihr ganz gleichgültig, sie glaubt, ohne Ausnahme, Keinen eines tugendhaften Weibes würdig. –

Es ist ihr nicht unbekannt, daß Sie, Emil, in einem tadelhaften Verhältniß mit einer Tänzerin leben, und sie hat ihrem Vater mit großer Ruhe erklärt, daß sie Ihnen niemals ihre Hand reichen werde. Die Väter lachen zwar über ihre Weigerung, doch ich bin gewiß, Bella's fester Sinn wird sein Recht behaupten. Dieser Sorge sind Sie also überhoben; aber Emil – Sie kennen das Mädchen nicht, das Sie so leichtsinnig von sich stoßen, Sie haben in den Armen der Ninon nicht eine Ahnung von dem Glücke, das Sie verscherzen. –

Und nun mein Geständniß – Ihr Wunsch ist erfüllt – ich liebe Arabellen; ihre Schönheit besticht, ihre Liebenswürdigkeit umstrickt mein Herz, ihr Geist flößt mir Bewunderung, ihr edler Stolz hohe Verehrung ein. Sie ist die Gemahlin, die meine Mutter mir bestimmt.

Bella ist ein Engel! Ich habe Ihnen ihr Bild treu gemahlt, es ist sehr ähnlich, und dennoch ist's nur ihr Schatten, sehen Sie sie selbst, um zu erkennen, was Sie verlieren würden, wenn Sie auf Ihrem Eigensinn beharren. –

Ueberlegen Sie noch einmal wohl was Sie thun; noch können Sie Vieles gut machen, verlassen Sie Ninon, kommen Sie rasch hierher, oder rathen Sie mir was ich thun kann – was ich thun darf! –

Ihr Charles.

*

3.

Lord Emil Flitmore an Charles Darnwall.

Paris.

Was Sie thun dürfen? Heirathen, je eher je besser! O mein gewissenhafter Freund, wie tief beschämen Sie mich, wie viel edler und besser sind Sie als ich, wie viel! darum sollen Sie das reine, liebliche Wesen besitzen, ich verdiene sie nicht – bei Gott – ich nicht! Daß sie liebenswerth ist, dafür bürgt mir Ihr Wort, so wie Ihr Kennerblick für ihre Schönheit; daß sie Gefühl hat, wird sie dadurch beweisen, daß sie Ihre Liebe erwiedert, und daß sie sehr verständig ist, zeigt ihr Abscheu gegen mich, und ihre Erklärung, mich nicht zu heirathen. Sie hat wahrhaftig recht, wäre ich ein Mädchen, ich möchte mich um aller Welt Güter nicht zum Mann, denn ich bin einer von denen, die herrliche Liebhaber sind, und eben deßhalb schlechte Eheherrn werden; kurz, ich tauge nicht viel, und verhalte mich im Betracht zu Ihnen, mein wahrhaft verehrter Freund, ohngefähr wie meine Ninon – die übrigens trotz Ihrer Schmähungen ein Engel ist – sich zu Arabellen verhalten mag.

Doch ernsthaft. Heute noch schreibe ich an meinen Vater, daß ich Arabellen entsage. – Das wird Ihren Plan unterstützen, thun Sie Ihrer Seits das Nöthige, und laden Sie mich bald zur Hochzeit; ich gebe Ihnen mein Wort, ich komme. –

Und nun noch ein paar Worte über Ninon. Ich schreibe diesen Brief in ihrem Zimmer; sie schielt eben ein wenig nach mir herüber; wie reizend die kleine Amorette vor dem Spiegel steht, mit den niedlichen Händchen einen Brüßler Schleier in den dunkeln Locken befestigend, den ich ihr eben mitgebracht habe. Wie lose lacht der Schalk aus den rosigen Grübchen der runden Wangen, die schönen Zähne blitzen so glänzend hinter den Purpurlippen hervor, und wie neugierig lauscht das zarte Gesichtchen. Sie möchte gern wissen was ich schreibe; jetzt schleicht sie näher. Unglaublich, daß dieß unbegreiflich kleine Füßchen die Graziengestalt tragen kann; nun legt sie die eine Hand leise auf meine Schulter, die andere verliert sich in meinen Locken, sie kräuselt mir schmollend das Haar und flüstert:

»Heute sind Sie einmal gar nicht artig, Emil, Sie schreiben und schreiben, ohne an Ihre Ninon zu denken!« –

Nein Charles – wenn Sie sie sähen, wie liebreizend sie die warme Wange an meine legt, wie allerliebst tragikomisch sie seufzt, weil sie den abscheulichen englischen Brief nicht lesen kann – es wäre Ihnen unmöglich mit mir zu zürnen, daß ich ihr so ganz ergeben bin. Eben das, was Sie zurückstößt, fesselt mich – Ninon bewundert zu sehen von Tausenden, die mich um den Besitz dieses Engels beneiden, eben das zieht mich unwiderstehlich an. – Ich wiederhole es, Sie sind viel besser als ich – Sie verdienen Arabellen; werden Sie ihr glücklicher Gatte, und überlassen Sie seinem Schicksal

Ihren leichtsinnigen Freund Emil. –

*

4.

Miß Arabella an Miß Lony.

London.

Noch sind wir hier, meine theure Lony, und ich fürchte, meine Hoffnung, Sie dieses Jahr in Bath zu sehen, wird nicht in Erfüllung gehen; denn mein Vater will seine Güter in Nord-Wallis besuchen, und dann erschrecken Sie nicht – dann soll hier meine Vermählung mit Lord Charles Darnwall gefeiert werden. –

Ja, meine Freundin, Ihre Arabella hat sich endlich entschlossen, den stolzen Nacken unter das eiserne Joch des Herkommens zu beugen, und ihre Hand in die Rechte eines Mannes zu legen. – Sie kennen meinen Abscheu vor der gemeinen Alltäglichkeit des andern Geschlechts, und tadelten oft – vielleicht mit Grund die allzu hohe Meinung, welche ich von meinem geringen Selbst hege. Wie werden Sie erstaunen, wenn ich Ihnen sage, daß ich nicht nur den Willen meines Vaters, den Wunsch meiner mütterlichen Freundin erfüllend, jenes Bündniß schließe, das mich auf ewig der Willkür eines Mannes dienstbar macht, nein – daß ich dem eignen Triebe, dem unwiderstehlichen Drang meines Herzens folge, da ich mich dem liebenswürdigsten, dem achtungswerthesten Gatten vermähle. –

Charles ist an Körper und Geistesschöne der interessanteste Mann, den ich jemals kannte. – Seine Liebe für mich, so leidenschaftlich sie auch ist, trägt ganz das Gepräge seiner zarten, edlen Denkungsart; ich gehorche ihm, ohne daß es sein Wille ist, mich zu unterjochen; ich empfinde die Ueberlegenheit seines Geistes, ohne daß er sie mich fühlen läßt, mit einem Wort – ich liebe ihn, und gestehe mir dieß selbst, ohne darüber zu erröthen. –

Charles drang darauf, ich sollte ihm, ehe wir die Reise antreten, die Hand noch reichen. Auch mein Vater wünschte das. – Hätte ich dem Drang meines Herzens gefolgt, ich würde es gethan haben. Aber nicht wahr, Lony, dann könnte ja die Welt glauben, ich wäre in Mylord verliebt, wie tausend gewöhnliche Mädchen, in tausend gewöhnliche Männer, und dieß ist ein Gedanke, der mich recht im Innersten beleidigt! Nein, es ist so besser. –

Im Herbst ist uns're Vermählung, und wollen Sie mir das schönste Brautgeschenk bereiten, meine Lony – so kommen Sie mit Ihrer theuren Mutter den 12. September hier an, und geleiten dann zur Kirche

Ihre glückliche Arabella. –

*

5.

Lord Charles Darnwall an Emil Flitmore.

London.

Seit ich Sie benachrichtigte, wie unaussprechlich glücklich mich Ihre Großmuth machte, habe ich keine Zeile mehr von Ihnen. – Sollte es wahr sein, was mir gestern ein Franzose bei dem russischen Botschafter versicherte, der eben von Paris ankam? – Sie sind schwer verwundet?

Werfen Sie alle falsche Scham von sich, vertrauen Sie mir, und bedürfen Sie meiner Hülfe, so gebieten Sie über

Ihren Charles.

*

6.

Lord Emil Flitmore an Charles Darnwall.

Paris.

Mein edler Freund! Wem auf Erden könnte ich vertrauen, wenn Ihnen nicht? – Ja, fort mit aller falschen Scham! Was ist es auch, daß Sie recht hatten, daß Sie die Weiber besser kannten als ich, was liegt daran, daß ich mich täuschte?

Ich bin wieder im Stand zu schreiben, und meine erste Kraft wende ich an um Ihnen zu sagen, daß ich geheilt von einer Liebe bin, über die ich jetzt erröthen muß!

Doch was habe ich Ihnen zu erzählen? Alltägliche Dinge, die Hunderten schon widerfuhren, und noch Hunderten widerfahren werden. –

Ihr Brief hatte Gift in meine Seele gestreut, die Eifersucht schoß in vollen Halmen daraus empor. Seltsam genug, daß das, was ich mir so oft selbst gesagt hatte, mir erst auffiel, da ich es aus Ihrem Munde vernahm. – Nicht mehr so arglos, wie früher, genoß ich das süße Glück von Ninon geliebt zu sein, sie mein zu nennen. Ich bewachte ihre Blicke; da kommt mir's eines Abends vor, als fliegen ihre Augen, mehr als zufällig, in eine Loge des ersten Ranges, und verweilen dort mit scharfem Ausdruck. – Ich folge dieser Weisung, und finde einen bildschönen jungen Mann, in glänzender Uniform, der unverwandt auf einen Punct im Parterre starrt. Das Haus ist zu gedrängt voll, als daß ich den Gegenstand seiner Aufmerksamkeit herausfinden kann; so viel aber scheint mir gewiß, daß Eifersucht aus Ninons Blicken leuchtet. Das pas de deux< endet, jauchzender Beifall überschüttet sie – jetzt wendet sich der Officier der Bühne wieder zu, und Ninon entschwebt mit triumphirenden Blicken auf ihn. –

Was ich empfand, will ich Ihnen nicht enthüllen, denn ich schäme mich vor mir selbst darüber. –

Die Oper naht ihrem Ende; ich sehe den jungen Mann rasch die Loge verlassen, eile ihm nach, und finde ihn hinter einer der Säulen des Korridors aufgepflanzt, um, wie es schien, Jemanden zu erwarten. Entschlossen, ihn nicht aus den Augen zu lassen, von dem, mir selbst kaum gestandenen Argwohn gequält, er erwarte Ninon, stelle ich mich in seine Nähe.

Da wogt ein Strom von Menschen heraus, ein verschleiertes Mädchen mitten darunter; eine alte Frau mit einem sehr ehrwürdigen Gesicht begleitet sie. – Es ist Ninons Gestalt. – Der Officier drängt sich durch bis zu ihr, und ich folge, von Neugier und Eifersucht gespornt, auf die Straße. – Da sehe ich, wie der junge Mann leise, aber heftig auf sie einspricht; ich höre ihre Stimme – das ist nicht Ninon. – In den klangvollsten Tönen eines reinen mezzo soprans<, in Worten, die aus einem beängsteten Herzen zu kommen scheinen, sagt sie in fremdartig klingendem Französisch:

»Lassen Sie mich, mein Herr! lassen Sie mich. Ich verabscheue Ihre Anträge eben so sehr, wie Sie selbst; ich will nichts weiter hören, gehen Sie, und schonen Sie meiner Hülflosigkeit.«

Doch immer weiter drängt sie der Freche; das Mädchen eilt mit geflügelten Sohlen vor ihm her, die Alte keucht hinterdrein, und dennoch können sie ihm nicht entfliehen. – In mir kocht jetzt ein anderes Gefühl als früher, ich vergesse Ninon, und sehe nur das arme gequälte Geschöpf vor mir. –

Endlich kommen wir in eine enge Straße, ich sehe wie er den Schleier des Mädchens herabreißt, wie diese ängstlich flehend die Hände faltet, und wie der junge Mann sie fest umschlingt.

»Ich muß um Hülfe rufen, wenn Sie mich nicht lassen!« jammert sie im vergeb'nen Streben, sich von ihm los zu winden; jetzt zieht er sie mit starkem Arm der Pforte eines kleinen Hauses zu.

»Zu Hülfe, zu Hülfe!« ruft sie mit heller Stimme.

Ich eile herbei, stoße den jungen Herrn so kräftig vor die Brust, daß er rücklings auf's Pflaster stürzt, ergreife die Hand meiner Geretteten, und frage:

»Wohin soll ich Sie bringen?«

»Nach der Vorstadt St. Germain« – antwortet sie noch immer bebend, und legt den Arm, der heftig zittert, in den meinen. – Rasch eilen wir vorwärts. – Nach mehreren Minuten erst steht sie still um Athem zu schöpfen; ihr armes bedrängtes Herz schlägt fühlbar an meinem Aermel. –

»Fassen Sie sich, Sie haben nichts mehr zu fürchten« – tröste ich – »in dieser Straße ist es zu lebhaft, als daß man es wagen könnte Sie zu verfolgen. Auch kann Madame« – ich wandte mich zu der Alten »uns kaum mehr nachkommen.« –

»O mein Herr« – flüsterte jetzt das Mädchen – »wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig.«

Da fällt der helle Lichtstrahl einer Laterne auf sie, ich sehe ein paar dunkle Augen, ein Gesicht, dessen Schönheit mich sprachlos macht. – Nun begreife ich erst die Tollkühnheit des jungen Mannes, denn dieses Wesen ist wahrlich dazu geschaffen, dem Klügsten den Kopf zu verrücken. –

Ich selber wagte es nicht mehr sie anzuschauen. Ich bringe sie, unter Ablehnung allen Dankes, ziemlich verlegen nach ihrer Wohnung. – Die Alte eilt voraus, und kehrt bald mit Licht zurück, das Mädchen hinauf zu geleiten. –

Jetzt habe ich Gelegenheit, die wunderschöne Gestalt meines allerliebsten Schützlings zu betrachten; sie ist größer als Ninon, üppiger. Die Eifersucht hatte mich vorhin geblendet; ihre Kleidung einfach, ärmlich fast, aber rein und geschmackvoll. Ihre Art fremd, höchst anständig, bezaubernd. –

Mit tief gefühlten, herzlichen Worten nimmt sie Abschied von mir, und bald stehe ich in der Dunkelheit, ohne zu wissen, wer die reizende Erscheinung war. –

Zwei Tage vergehen, ich hatte mein liebliches Abentheuer fast vergessen, aber nicht den Officier, der mir die Stirne heiß machte. –

Ich ging nach dem Theater, wo Ninon eben Hauptprobe eines neuen Balletes hatte, fest entschlossen sie nicht aus den Augen zu lassen. – Ich trete auf die Bühne, und Ninon, im kurzen seid'nen Tanzkleid, einen leichten persischen Shawl um die Brust gebunden, steht da, und macht während der Ouvertüre ihre Uebungen. Der Balletmeister tritt vor sie hin und spricht auf sie ein – sie probirt ruhig fort, und sagt wiederholt:

»Nein, nein, sage ich Ihnen, ich will einmal nicht; ich dulde sie durchaus nicht.«

Er zuckt die Achseln und geht nach dem Hintergrund. Ich trete hinter eine Coulisse, mir selbst kaum bewußt, ob ich Lust habe ihr Benehmen zu belauschen, oder nicht. – Da höre ich dicht neben mir, in der andern Coulisse, eine Stimme sagen:

»Geben Sie acht, Claire, sie setzt es durch.« –

»Das wäre aber doch abscheulich« – antwortet eine Andere. – »Das Mädchen ist so anständig, so schön, und hat so viel Talent.« –

Ich trete noch näher, und erkenne zwei Figurantinnen, die, sich unbemerkt glaubend, eifrig fortfahren:

»Mademoiselle Ninon ist klug und boshaft, vermag Alles über den Balletmeister, und ihre Eifersucht auf D'Antole ist wüthend.« –

»Was sagen Sie« – ruft Claire – »hat er der Cecile gar Anträge gemacht?«

»O er ist wahnsinnig in sie verliebt« – versichert diese – »er hat ihr sein Palais in der Straße Rivoli, und 40,000 Francs Revenuen geboten.« –

»Ach die Glückliche« – seufzt Jene – »so Etwas wird uns nicht zu Theil! Und das hätte sie ausgeschlagen?«

»Ja wahrhaftig, ich weiß es mit Bestimmtheit; verächtlich sogar wieß sie ihn von sich« – betheuerte die Gefragte. –

Sie können sich denken, mit welcher Aufmerksamkeit ich diesem Gespräch lauschte. Also D'Antole war der Erklärte, von mir sprach Niemand mehr. Ich knirschte mit den Zähnen; da rauscht ein seidnes Gewand in meiner Nähe, ich wende mich – und meine Unbekannte, in Thränen gebadet, eilt an mir vorüber.

Ich folge ihr natürlich, und bestürme sie, mir den Grund ihres Leids zu sagen. Sie erzählt mir, daß sie seit mehreren Monden auf der Ecole tanze, daß der Balletmeister, der sie früher sehr gelobt, ihr plötzlich heute alles Talent abgesprochen, und ihr verboten habe, die Ecole ferner zu besuchen. –

»Das ist die Rache von Mademoiselle Ninon« – schloß sie trostlos – »denn es war ihr erklärter Anbeter, von dessen Zudringlichkeiten Sie mich vor wenig Tagen retteten.« –

Ich unterdrückte meinen Zorn, und frug, ›was sie nun zu thun gedenke?‹ –

»Ach, mein Himmel« – seufzte sie – »wir müssen, da meine Hoffnungen hier vernichtet sind, so schwer es uns auch in diesem Augenblick wird, nach London zu einem Verwandten meines Vaters reisen!« –

Kummervoll sah sie vor sich nieder; das Mädchen war beim Himmel unendlich reizend, sie verwirrte mich so, daß ich lange recht einfältig vor ihr stand. –

»Ich bin ein Engländer« – nahm ich jetzt das Wort – »kann ich Ihnen vielleicht mit Etwas behülflich sein?« –

»O mein Herr« – rief sie mit leuchtenden Blicken, »wenn Sie mir eine Empfehlung an den Balletmeister P****** geben wollten?«

»Mit Freuden« – entgegnete ich – »zufällig ist er mein Freund. Doch – könnte ich Ihnen vielleicht sonst – Sie scheinen so gedrückt, so – unglücklich.« –

Ich griff verlegen nach meiner Brieftasche, um einen Wechsel heraus zu holen. Sie sah mich eine Secunde lang mit großen fragenden Augen an, dann, als begriffe sie plötzlich was ich wollte, fuhr sie erschrocken zurück; eine Purpurröthe flog über ihr Gesicht, Thränen traten in ihre Augen. Stolz maß sie mich mit einem langen Blicke, als ich ihr bebend das Blatt hinhielt.

»Sie verkennen mich, mein Herr!« – sprach sie so ernst, daß ich davor erschrack, und eh' ich mich's versah, war sie verschwunden.

Ich stand und ärgerte mich über meinen Mangel an Takt, über ihren Stolz, über alle Welt. Da schwebte Ninon, von allen Grazien umringt, auf die Scene, und unwillkührlich folgte mein Auge ihren Bewegungen.

Ich trat auf das Podium, und mitten im Tanz warf sie mir einen zärtlichen Blick zu. Mein Nebenbuhler ist im Saal, das entdecke ich sogleich; wahrscheinlich um meinen Argwohn zu vernichten, tritt sie, nach geendetem Tanze, zu mir heran, legt ihre Hand auf meine, und sagt mit einem honigsüßen Lächeln:

»Guten Abend, Emil.« –

Ich gewann es über mich ihr kalt den Rücken zu drehen, und, ohne sie einer Antwort zu würdigen, die Bühne zu verlassen. Erstaunt starrte sie mir nach. –

Ich hatte mich bis nach Elf in den Tuilerien herumgetrieben, mein Herz pochte doch gewaltig, und ich wollte mir nicht gestehen, daß mir ganz weinerlich zu Sinne sei. Endlich suchte ich den Weg nach meiner Wohnung, und kam – zufällig oder nicht – bei Ninons Haus vorüber; die Zimmer waren noch erleuchtet. Wenn sie doch schuldlos wäre! – flüsterte die Liebe – du bist ein Narr! die Vernunft. Das Resultat war, daß ich die nur angelehnte Thüre öffne, und in zwei Sprüngen im Speisezimmer stehe. –

Ich höre laut sprechen; ohne Bemühen mein Kommen verbergen zu wollen, schreite ich durch die Reihe von Zimmern, man hört mich nicht. Ich trete in ihr Boudoir und finde Ninon im reizendsten Negligée neben D'Antole auf dem Kanapee, der ihr eben eine äußerst komische Beschreibung von mir macht, worüber sie sich todtlachen will. Endlich ruft Ninon:

»Es ist mir übrigens doch sehr unlieb, wenn er unser Verhältniß entdeckte, ich bin so an das gute Thier gewöhnt, daß ich ihn ungern bei der Toilette vermissen werde.«

»Wie können Sie sich mit dem Tölpel langweilen!« meint D'Antole. In diesem Augenblick packe ich ihn ganz ruhig bei den Schultern, und werfe ihn zur Thüre hinaus. Ninon fällt sehr malerisch in Ohnmacht, ich lasse sie liegen, und eile nun, um Vieles reicher an Erfahrung, nach meiner Wohnung. –

Daß ich mich schlug, daß ich dem eitlen D'Antole das zierliche Gesicht mit einem ärgerlichen Circonflex bezeichnete, daß er mir den linken Arm fast vom Leibe hieb – das sind Kleinigkeiten, die sich bei solcher Lagen der Dinge von selbst finden. –

Somit ist mein Verhältniß mit Ninon, das Ihnen so viel Kummer machte, zu Ende. Sie versuchte zweimal mich zu sprechen, und ward abgewiesen. An der Leere in meinem Herzen fühle ich nur zu schmerzlich, daß ich die Unwürdige – geliebt habe. – Doch das ist vorüber, und ich wundre mich nur darüber, daß mich etwas so Alltägliches befremden kann. –

Von meinem schönen Schützling erfuhr ich Nichts weiter. –

So sehr ich mich noch freuen kann, erfreut mich Ihr Glück, mein theurer Freund. – Ich trage meine leidenden Glieder in die Bäder von Pisa, und hoffe an Ihrem Vermählungstage Sie gesund und – heiter im Vaterhause zu begrüßen.

Ihr Emil.

*

7.

Lord Charles Darnwall an Emil Flitmore.

London.

Sie trafen nicht, wie sie versprachen, am zwölften September ein, ich fürchte, daß Ihre Gesundheit noch immer nicht hergestellt ist, und das beunruhigt mich sehr. Mein theurer Emil, unsre Herzen sind sich so nah, sollen wir denn noch lange getrennt bleiben? –

Ich hätte Ihnen so Vieles zu sagen, in Ihrer treuen Brust so Manches niederzulegen, was auf dem Papier vielleicht eine andere Gestalt annehmen wird. –

Auch ich bin nicht glücklich! Ich liebe, ich bin geliebt – geliebt von dem schönsten Mädchen Londons – und bin nicht glücklich. Der zwölfte September ging vorüber, und wir sind nicht vermählt!

Können Sie sich denken, daß Arabella sichtlich vor dem Augenblick zittert, der ihre jungfräuliche Freiheit bedroht? Ohne irgend einen andern Grund, als den, ihrer mich marternden Laune, ist die Vermählung bis Weihnachten verschoben.

»Ich werde nie glücklicher werden als im Brautstand« – ruft sie mit einem bezaubernden Lächeln – »Charles, verlängern Sie mir diese Seligkeit!« –

Und ich muß knirschend nachgeben, will ich nicht ihr schönes Auge in Thränen gebadet sehen. Vergebens versichere ich ihr unzähligemal, daß das Glück der Gattin, der Mutter, alle Träume der Braut weit überfliege – sie erröthet bis an die Fingerspitzen, schüttelt trotzig das Haupt, wendet sich ab, und schmollt einen ganzen langen Tag mit mir. –

Ich sehne mich mit glühendem Verlangen nach Vereinigung, sie gefällt sich als Braut. – Bin ich nicht unglücklich? –

Eilen Sie also nicht, Emil, Sie kommen immer noch zu unsrer Hochzeit.

Ihr Charles.

*

8.

Miß Lony an Arabellen.

Bath.

Aber theuerste Freundin, was machen Sie denn? – Gestern stehe ich vor den geöffneten Koffers, und helfe meiner Betty mit Eifer das Kleid packen, welches eigens zu Ihrer Hochzeit verfertigt wurde – da vernichtet Ihr unglücklicher Brief mit einem Schlag meine ganze Freude.

Also von Weihnachten auf Ostern ist Ihre Vermählung verschoben, zum zweitenmale schon? –

Seltsames Geschöpf! Sie sagen, daß Sie den Lord lieben, und zittern doch seine Gattin zu werden, Sie wünschen seine Frau zu sein, aber vor der Vermählung schaudern Sie! Das ist doch beim Himmel sehr seltsam!

Wissen Sie denn auch, Arabella, was Sie thun? Wenn Sie Charles wahrhaft lieben, fürchten Sie denn nicht ihn zu verlieren? –

Wenn ihm nun der Gedanke aufstiege, daß verkappte Eitelkeit, dem Glanz der Jungfrau – auf dem so manches Auge noch mit Hoffnung haftet – entsagen zu müssen, daß heimlicher Stolz, als Gattin dem Willen des Mannes unterworfen zu sein, daß Furcht vor den ernsten Pflichten der Mutter, Sie antriebe, die heißen Wünsche seiner Liebe so eigensinnig zu verzögern; – wenn solche Gedanken in ihm aufstiegen, wie dann, Arabella? Glauben Sie wohl, daß er Sie dann noch lieben könne? Und wünschen Sie eine Hand ohne Herz?

Widerrufen Sie diesen Aufschub; ich lasse die Koffers gepackt, und harre sehnlichst Ihrer Antwort. Hören Sie die Worte ihrer treusten Freundin

Lony.

*

9.

Lord Charles Darnwall an Emil Flitmore.

London.

Sie haben wahrscheinlich Entschädigung für Ninon gefunden, sonst ließen Sie sich nicht so lange erwarten. – Nun, ich wünsche Ihnen Glück, wenn dem so ist. –

Noch bin ich Bräutigam, und wenn das so fort geht, werde ich es Zeit Lebens bleiben. Von Weihnachten soll die Hochzeit auf Ostern verschoben werden, weil uns dann »die Natur das Brautlied bringt!« –

Das schöne Räthsel »Weib« kostet mir viel Kopfzerbrechens. – Ich weiß was Sie sagen werden – »Arabella liebt Sie nicht!« Und da möchten Sie wohl am Ende Recht haben.

Meine Mutter ist trübe, Bella's Vater verdrießlich, und ich – weiß selbst nicht recht was ich bin. – Und so will ich Ihnen von andern Dingen sprechen, die Sie vielleicht mehr interessiren werden.

Es ist mir etwas Seltsames begegnet, lächeln Sie nicht darüber, Emil, ich fühle, daß es sehr ernsthaft werden könnte. –

Sie wissen, daß mein leichtsinniger Vetter, John Steens, schon zum drittenmal in der Kings-Bench Der Court of King's Bench< (bzw. Queen's Bench<) war bis 1880 nach dem Parlament der höchste Gerichtshof in England bzw. in Großbritannien. Der Zusammenhang im Text legt allerdings nahe, dass die Autorin an ein Gefängnis denkt. [ Anm.d.Hrsg.] sitzt. Zweimal hat ihn die Familie ausgelöst, jetzt aber ist sie unerbittlich.

Ich erhalte einen kläglichen Brief von ihm, worin er mich anfleht ihn zu besuchen, weil er mir eine wichtige Entdeckung zu machen habe. Da ich ihn kenne, und wohl wußte, daß es auf meinen Geldbeutel abgesehen war, so ließ ich ihn einige Zeit warten. –

Vor ein paar Tagen komme ich, empört von Bella's Eigensinn, nach Hause, und finde einen zweiten Brief von ihm. In meiner Verstimmung beschließe ich augenblicklich zu ihm zu gehn, um einen Menschen zu sehen, der verdrießlicher und niedergeschlagener sei, als ich es war. –

Ich werfe mich in meine Batarde Mischung von zwei Kutschengrundtypen, dem offenen und dem steifgedeckten Wagen. Das ist von dem französischen Begriff »Bastard« abgeleitet, der somit auf diese Mischform hinweist. [ Anm.d.Hrsg.], und komme in demselben Augenblick vor der Kings-Bench an, wo eine verschleierte Dame aus dem Wagen steigt, und sich nach einem Zimmer erkundigt, das auf demselben Gang ist, den mein armer Vetter bewohnt. Da sie französisch spricht, versteht sie Keiner, und ich biete mich an sie zu begleiten. Wir gehen zusammen, und ich bringe sie, durch alle die labyrinthischen Gallerien, nach dem gesuchten Ort. –

»O ja« – ruft sie, als wir in den Gang treten – »jetzt finde ich mich schon wieder zurecht. Ich danke Ihnen, mein Herr.« – Ihre Stimme klingt sonor und wohlthuend in mein Ohr. Sie eilt mit einer leichten Verbeugung voraus, und klopft an die Thüre des Aufsehers. Sie mußte schon hier gewesen sein, weil sie sich augenblicklich zurecht fand. – Nach wenig Secunden eilt sie mit Jenem den Gang hinab. –

Es dämmerte schon zu stark, ich konnte kaum noch die Umrisse der Gestalt erkennen, aber leicht wie eine Grazie schwebte sie dahin, und ein seltsam beengendes Gefühl regte sich in meiner Brust. Ich mochte wohl unwillkührlich langsamer gegangen sein, denn ich sah den Aufseher öffnen, sie hineintreten, und war noch immer zehn bis zwölf Schritte von der Thüre entfernt.

– Da höre ich plötzlich ein herzzerschneidendes Jammergeschrei; ich stehe erschrocken still. Der Aufwärter stürzt heraus, und ich frage:

»Was giebts?« –

»Ein Unglück, Mylord, ein Unglück, ich muß nur schnell Licht herbeischaffen« – damit eilt er an mir vorüber – und ich durch die geöffnete Thüre in das Zimmer, wo sie verschwunden war. –

Ich sah nicht, ahnete nur, daß die Dame über einen menschlichen Körper hingeworfen lag, der eben sterbend stöhnte:

»Meine Cecilia, mein armes Kind, fasse dich!« –

»O mein Vater« – wimmerte jetzt die wohlbekannte Stimme – »mein Vater, was haben Sie gethan?« –

»Mich von der Qual eines Geschenks befreit, das mir aufgedrängt ward« – hauchte mühsam der Sterbende hervor – »Euch von der Last erlöst, die verderbend an Euch hing! – Mein Unstern erlischt mit mir, du wirst dereinst in's Vaterland wieder kehren, der Allmächtige wird die Schuldlosen schützen.« –

Da trat der Aufseher mit Licht herein, und beleuchtete die Scene, welche ewig vor meiner Seele schweben wird.

Ein schöner Mann, von ohngefähr fünfzig Jahren, mit dem edelsten Römerkopf, lag, mit Blut bedeckt, auf einem Bette: aus einer breiten Brustwunde floß die rothe Quelle seines Lebens, und seine Seele schien mit Ungeduld den letzten Tropfen zu erwarten, um hinüber zu eilen, zur Rechenschaft. –

Verzweifelnd kniete die Tochter vor seinem Lager, vergebens bemüht das unaufhaltsam strömende Blut zu stillen. Dunkle Locken wogten um ihr Haupt, und als sie jetzt das Gesicht mir zukehrte, und um einen Arzt flehte, da ward mir's klar, daß ein Blick oft das Schicksal eines ganzen Lebens entscheiden kann; ich sah einen Engel, und werde ihn von nun an ewig sehen.

Der Aufseher flog hinaus, um einen Arzt zu suchen, ich aber stand, von Schauern durchströmt, unbeweglich der Gruppe gegenüber. Die Unglücklichen schienen mich nicht zu bemerken; der Tochter Jammer, und des Vaters letzte Seufzer vermischten sich. –

»O warum – warum verlassen Sie uns!« rief sie, seine kalte Stirne, seine bebenden Hände mit den zärtlichsten Küssen bedeckend – »wie bald vielleicht hätte ich Sie retten können!« –

»Aus der Kings-Bench wohl, mein Kind, doch nicht aus der Gewalt meiner Verfolger, nicht aus dem Ruin meiner Ehre, meines Hauses, meiner Plane, nicht aus dem Untergang meines Vaterlandes! Glaubst du, England hätte den unglücklichen General Ch***** noch lange beschützt, nachdem es ihn erkannt hat?« –

Ich bebte zusammen bei seinem Namen. Daß ich Spanier vor mir sah, davon hatte mich schon längst das Gespräch, welches sie im reinsten Accent ihrer Muttersprache führten, überzeugt – aber diesen, diesen Mann in der Kings-Bench zu finden, sterbend durch seine eigne Hand, nicht auf dem Feld der Ehre, wie er es verdiente, den ruhmvollen Tod des Helden, dieser Gedanke erschütterte meine Seele. –

»Der Tod schützt« – hauchte er sterbend – »der Tod versöhnt – ich segne deine Mutter, ich segne dich – Gott!« –

Er war nicht mehr. Mit einem Schrei, der mein Herz zerriß, umklammerte ihn die verzweifelnde Tochter, drückte dann mit letzter Kraft die erloschnen Augen des Leichnams zu, und sank, plötzlich verstummt, an dem Bett zur Erde. –

Ich eilte herbei, und trug sie pfeilschnell auf meinen Armen aus dem Zimmer, die Treppen hinab, nach meinem Wagen, ohne daß ich selbst recht wußte was ich wollte. Nur der eine Gedanken war mir klar: daß ich sie vor allen Widerlichkeiten des Gerichts sichern müßte. –

»Fahr zu« – rief ich dem erstaunten James hinauf – und dahin rollte ich, wie ein Dieb die schöne Beute fest umschlingend. Ich weiß nicht was ich that, nur daß meine Lippen heiß auf ihrer weißen Stirne ruhten, als sie endlich matt Athem schöpfte und die himmlischen Augen aufschlug. –

»Wohin?« – frug sie in ihrer Muttersprache, nachdem sie eine Weile staunend um sich geblickt hatte, und wand sich sanft aus meinen Armen.

»Wohin Sie befehlen,« antwortete ich spanisch, und mein Herz pochte höher im Triumph des Entzückens, als sie sichtlich erfreut, die wohlbekannten Töne vernahm. –

Sie nannte eine Straße, zu der wir fast zwei Stunden zu fahren hatten; ich erschrak über die Freude, mit welcher ich das hörte, rasch ließ ich das Glas herunter, und befahl James, den bezeichneten Weg einzuschlagen. Noch immer schien sie wie von einem Traum umfangen. »O meine Mutter!« jammerte sie, plötzlich sich besinnend, und schlug beide Hände vor die weinenden Augen. –

Ich neigte mich zu ihr, und versuchte es, sie mit sanften Worten zu trösten. Die Gaslampen der Straßenbeleuchtung warfen hellen Schein durch die Spiegelfenster des Wagens. Sie sah zu mir auf, und ihr Blick hing lange an meinen Zügen.

»Sie sind ein edler Mann, Mylord,« sprach sie nach einer Pause sanft – »Ihr schönes Antlitz ist der Spiegel einer reinen Seele, ich vertraue Ihnen unbegrenzt, aus Ihren Blicken strömt Trost in mein krankes Herz. Ach, wie verlassen, wie elend muß ich sein« – seufzte sie, die weißen Hände über die wogende Brust faltend – »daß ich das einem fremden Manne so sagen kann, ohne Erröthen, daß ich mich allein mit ihm sehe, ohne an meine Ehre zu denken.«

»Ihre Ehre ruht sicher an meiner Brust« sprach ich, ihr bleiches Haupt sanft an meinen Busen lehnend – »ich bin verlobt und liebe meine Braut.« –

Warum ich das sagte, und ob ich es überhaupt sagen wollte, weiß ich nicht – doch schien mir's, als hätte ich in diesem gefährlichen Augenblick selbst einen Schild nöthig, hinter dem sich mein pochendes Herz verbergen konnte. –

Mit einem seltsamen Blick sah mir Cecilie jetzt in die Augen, es war, als wollte sie fragen: belügst du mich auch nicht? so zweifelhaft war der Ausdruck ihres Gesichts. –

Wir saßen lange schweigend neben einander. Es war indeß ganz Nacht geworden, und ich sah, wie fest sie sich in die Ecke des Wagens drückte, um meinen Körper nicht zu berühren. – Wir bogen in kleinere Straßen, und hier, wo die Beleuchtung minder prächtig als in Downing-Street war, und zuweilen eine wohlthuende Dunkelheit uns umfing, begann mein Herz ruhiger zu werden; ich fühlte mich freier, es war, als sänke ein Schleier zwischen mich und die Außenwelt, und ich wagte es endlich sogar ihre weiche Hand zu fassen, und sie fest an meine Lippen zu pressen.

*

10.

Fortsetzung.

Ich habe ein paar Stunden geruht, mein Freund, denn das Nachempfinden alles dessen, was seit wenig Tagen störend in mein Leben trat, erschöpft mich. Es ist drei Uhr Morgens, und die Ungeduld treibt mich auf, um dieß Packet zu enden, das noch heute an Sie abgehen soll. –

Ich fühlte, daß ihre Hand heftig in der meinen bebte. –

»Was ist Ihnen?« frug ich beklemmt. –

»Ach, Mylord – das Schicksal hat Sie mir zugeführt; Sie sahen das schaudervolle Ende meines unglücklichen Vaters, können Sie noch fragen?«

»Cecilie,« sprach ich mit Ernst – »Sie haben einen Freund in mir gefunden, vertrauen Sie mir.« –

»Was soll ich Ihnen vertrauen? Mein Unglück kennen Sie, mein Schicksal ist so einfach und doch so trübe, daß ich Ihnen nur wenig davon sagen kann. Sie kennen meinen Namen – ich vermuthe auch den meines Vaters.«

Ich bejahte schweigend. –

»Sie wissen also, daß ich aus einem der ältesten kastilischen Geschlechter stamme. Im Ueberfluß erzogen, innig geliebt von einer sanften Mutter, wenig beachtet von meinem – stets mit hochstrebenden Planen beschäftigten Vater, wurden wir schuldlose Opfer der letzten traurigen Unruhen des Vaterlandes. Wir verloren unser Vermögen, flohen nach Frankreich zu einem Verwandten meiner Mutter, und als wir uns dort nicht mehr sicher glaubten, nach England. Seit zwei Monden harrten wir auf Gelder, sie blieben aus – hartherzige Gläubiger warfen meinen unglücklichen Vater in den Kerker, und er selbst vergönnte nur einmal, daß ich ihn besuchen durfte. Seit wenig Tagen liegt auch meine Mutter krank darnieder, und heute quälte uns eine so unerträgliche Bangigkeit und Sorge um ihn, daß ich die müssigen Abendstunden dazu benützen wollte, ihn zu sehen. – Wie ich ihn fand, wissen Sie. –

Was soll ich Ihnen weiter sagen? – Das Gefühl, die letzten Seufzer meines theuren Vaters, seinen letzten Segen empfangen, seine Augen zugedrückt zu haben – mildert meinen Schmerz, und giebt meiner Seele Stärke, der Schwere meines Schicksals nicht zu unterliegen.«

Stolz hob sie jetzt das Haupt empor. »Ich traure nicht über den Tod meines Vaters« – sprach sie mit sanfter Stimme, »sein Geist war zu erhaben, seine Plane zu groß für den engen Raum, der ihm auf Erden angewiesen war – er konnte hier nicht leben – ich traure nur, daß er so starb, nicht dort, wo er so oft Sieg fand, und wo der Tod schadenfroh an ihm vorüberzog. So sollte er nicht enden – nicht auf dem Strohlager der Kings-Bench sollte dieser Held sein edelstes Herzblut selbst verspritzen!«

Ihr Haupt sank wieder auf die Brust, ihre Thränen strömten unaufhaltsam, und ihr krampfhaftes Schluchzen schnitt mir in die Seele. Das schmerzlichste Mitleid ergriff mich – ich – lächeln Sie nicht, Emil – ich weinte mit ihr, und ich schäme mich dessen nicht. Ich zog sie sanft an mich, und meine Thränen rollten auf ihre Stirne. Da drückte sie plötzlich die bebende Hand auf meine nassen Augen, und flüsterte kaum hörbar: »Mein Gott – Sie weinen – Sie weinen!« – Und heftiger schluchzend, als hätte sie nun erst ein Recht, ihrem Jammer freien Lauf zu lassen, sank sie an mein Herz, und zerfloß in Thränen. In diesem Augenblick empfand ich die ganze Größe der Gefahr, welche Schmerz und Unglück fühlenden Seelen bereitet; – die süße Vertraulichkeit, welche die Gewalt des Elends zwischen uns hervorbrachte, hätte die Hand der Liebe in Monden nicht erschaffen, und ohne Beben umschlang ich sie, und empfing ihre Klagen in meine tiefbewegte Brust.

Der Wagen hielt vor dem bezeichneten Hause – wir begriffen beide die Möglichkeit kaum, schon an Ort und Stelle zu sein.

Ich hob sie heraus.

»Mylord,« sprach sie jetzt, und ihre Stimme zitterte vernehmbar – »ich werde Ihnen undankbar erscheinen, aber ich bitte Sie, heute mich nicht weiter zu begleiten. Ich muß meine Mutter sehr langsam auf diesen neuen und schrecklichsten Schlag des Unglücks vorbereiten.«

Sie faßte meine Hand, und fuhr mit thränenerstickter Stimme fort:

»Ich kann Ihnen nicht danken für Ihre menschenfreundliche Güte! Sie haben die fürchterlichste Stunde meines Lebens sanft an mir vorüber geführt – hier – hier – Mylord« – sie verstummte, fest preßte sie meine Hand an ihr klopfendes Herz, große Thränen rollten über ihre Wangen; auch ich war keines Wortes mächtig, stumm neigte ich meine Stirne auf ihren Arm. Da trat eine alte Frau aus der Thüre, sie folgte ihr ins Haus, und ich – kam träumend nach meiner Wohnung, und saß bis zum frühen Morgen angekleidet auf meinem Sopha.

Daß ich sie am andern Tag aufsuchte, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen; daß ich sie – nicht mehr fand, daß sie ausgezogen war, Niemand wußte wohin, daß ich sie vergebens in ganz London suchte – ist alles sehr gewöhnlich, und für mich und sie vielleicht auch sehr gut – aber – es erscheint mir dennoch in einem ganz andern Gesichtspunkt. –

Arabellens Eigensinn fängt an mir Langeweile zu machen, London ist mir widerlich, und meine theure Mutter quält mich mit Fragen über mein verfallendes Aussehen.

Kommen Sie, kommen Sie recht bald, theurer Emil, und erlösen Sie von allen diesen Qualen Ihren Freund

Charles.

*

11.

Miß Lony an Arabellen.

C*****

Die wenigen Tage, welche meine Mutter mir vergönnte, bei Ihnen zu sein, flogen wie ein schöner Traum an mir vorüber, meine Arabella, und ich hatte kaum Zeit, mich des Wiedersehens zu freuen, wieviel weniger Ihnen meine Besorgnisse um Sie mitzutheilen. Jetzt, da mich die Stille unsers einförmigen häuslichen Lebens wieder umfängt, da ich so recht Muße habe, über das Vergangene nachzudenken, kann ich nicht umhin, Ihnen mein Herz zu öffnen, das nur für Ihr Wohl schlägt.

Es sind bittere Wahrheiten, Arabella, welche Ihnen die Freundin Ihrer Jugend sagen wird, aber daß sie ans ihrem Munde kommen, wird Ihnen der sicherste Beweis sein, daß es Wahrheiten sind.

Als ich Sie wiedersah, gestand ich mir – erröthen Sie nicht, Arabella – daß Ihre Schönheit sich vervollkommt, und Ihre Gestalt, seit wir uns trennten, unendlich gewonnen habe. Aber – ich fand auch Ihr Benehmen verändert, ich fand Ihr Gespräch nicht mehr arglos heiter wie sonst; eine seltsame Unruhe, das Bestreben, Ihre Umgebungen mit Ihren Launen zu versöhnen, das – vielleicht sich selbst nicht gestandne Gefühl Ihres Unrechts gegen Charles – giebt Ihrer Unterhaltung, Ihrem ganzen Benehmen, etwas Unstätes – ja – zuweilen Unnatürliches, was Sie nicht kleidet, und Ihnen den höchsten Reiz ihres Wesens, die schöne Klarheit und Ruhe der Seele raubt. Gestehen Sie nur – ich begegnete oft Ihren Blicken, die lauernd an Charles Zügen hingen – es fängt an, Ihnen bange zu werden, und ich fürchte, nicht ohne Grund.

Bella – ich bin vier Jahre älter als Sie, unschön, ohne Ansprüche auf Lebensglück, und zum ehelosen Stand entschlossen; Sie kennen mein Herz, und ich darf Ihnen, ohne mißverstanden zu werden, meine Ansichten mittheilen.

Charles ist ein Engel! Nie fühlte ich mich von der Trefflichkeit eines Mannes so durchdrungen. Welch ein geistreiches Auge, welch eine interessante Stirne! Das Gesicht, der Körper so edel geformt, so schön gehalten, und diese ruhige Würde in all seinem Thun, dieser Stempel der strengsten Sittenreinheit auf seinem ganzen Wesen – ja Arabella, Sie verdienten diesen Mann, Sie mußten ihn lieben, aber ich fürchte – er hat aufgehört Ihnen anzugehören; Ihr Eigensinn, Ihre unverzeihliche Laune hat seine Liebe für Sie gebrochen – und Sie verdienen es.

Mit welchen düstern Blicken ruhte sein Auge oft auf Ihnen; bemerkten Sie denn nicht, daß ihm Ihr holdseligstes Lächeln keinen freundlichen Blick abgewann? – War er immer so bleich, oder ist sein Aussehen die Folge innerer Kämpfe? Er wird, als Mann von Ehre, sein Wort halten, aber Bella prüfen Sie wohl, eh Sie handeln; so eigensinnig Sie sich jetzt vor der Ehe sträuben, eben so eigensinnig werden Sie als Gattin auf den Alleinbesitz des Geliebten bestehen – und wie, wenn Sie sich dann getäuscht fänden? Noch ist es Zeit. Beugen Sie Ihren, einem Weibe ganz unnatürlichen Sinn, überraschen Sie Charles mit einem Zeichen Ihrer Liebe, bitten Sie Ihren Vater um die Erlaubniß zu schleuniger Vollziehung Ihrer Verbindung – oder lernen Sie entsagen.

Einst werden Sie erkennen, wie wahr meine Worte sind, wenn sie Ihnen auch jetzt Schmerz verursachen, doch nie werden Sie aufhören zu lieben

Ihre treue Lony.

*

12.

Miß Arabella an Lony.

London.

Ihre Worte sind hart – aber es ist möglich, daß sie viel Wahrheit enthalten. Ich mußte lächeln über Ihren Vorschlag, Lony, meinen Vater um Beschleunigung der Hochzeit zu bitten! Glauben Sie mich wirklich einer solchen Schwäche fähig? Und glauben Sie im Ernst, daß mein fester Sinn die Quelle von Charles Erkalten – wenn dieß anders der Fall sein sollte – ist? Das, was ihn zwingen müßte mich noch höher zu achten, sollte mir seine Liebe rauben? Dann hat er mich nie geliebt, und ich verliere nichts an ihm. –

Doch eben diesen Punkt wollte ich berühren, und obgleich ich es nicht ohne Erröthen kann, so will ich Ihnen dennoch meine Ansichten mittheilen. Was kann die Ehe Charles bieten, was einen Liebenden höher beglücken könnte, als das Verhältniß, in welchem wir jetzt zusammen stehen? – Täglich sieht er, spricht er mich, täglich genießen wir irgend ein Vergnügen zusammen; er reitet, er fährt mit mir; wir besuchen Theater, Concerte, Assembleen zusammen, natürlich nie ohne seine Mutter; aber wir schwelgen jeden Tag in der Wonne uns zu sehen, unsre Blicke verständigen die Seelen, wo Konvenienz uns die Lippen fesselt, und das Bewußtsein, uns für immer anzugehören, erhöht den Reiz des zartesten Verständnisses. – Warum denn so heftig, so wild nach dem Augenblick streben, der unsre Hände vereinen soll, unsre Herzen sind es ja schon? Und genügt dieß dem Manne nicht, den ich vor Tausenden mir erwählt, dem ich meine Seele aufschloß, der mir Alles ist, so ist seine Liebe nicht die Liebe, die ich fordre, so ist es rohe Sinnlichkeit nur, die mich begehrt. Und dieser sollt' ich mein reines Selbst hinopfern, um dann mit Schaudern in festen Banden zu erwachen, während ich voll Seligkeit vom Sonnenflug' geträumt? Sie haben Recht, Lony – ich will prüfen – prüfen muß ich, soll mich nicht fortan der Zweifel martern, und mein Leben vergiften. Verläßt er mich darum, weil ich unser Bündniß verzögre, so grollt nur gereizte Sinnlichkeit in ihm, und ich verliere nichts an einem Mann, der mich nie beglückt hätte. – Doch, Sie werden sehen, daß Sie sich täuschten, daß Charles mich liebt, wie ich ihn, und daß er dennoch mein bleibt.

Arabella.

*

13.

Lord Charles Darnwall an Emil Flitmore.

London.

Beklagen Sie mich, mein theurer Emil – aber haben Sie Geduld mit Ihrem unglücklichen Freunde, und hören Sie, willig seine Leiden. Seit zwei Monaten haben Sie keine Zeile von mir erhalten. – Ihr letzter Brief verkündete mir, daß Sie nach Paris zurückgekehrt sind, um Ihren noch immer leidenden Arm operiren zu lassen, und daß Sie binnen vier Wochen hier eintreffen würden. – Noch immer erwarte ich Sie vergebens, und mein gepreßtes Herz sucht Beruhigung in einer Mittheilung, welche alle meine Wunden auf's Neue bluten machen wird.

Der Winter war sehr trübe. – Ein liebenswürdiges Mädchen, Miß Lony, Bella's Jugendfreundin, brachte einige Tage in London zu, und ihr geistreiches Auge weilte oft forschend auf mir. – Einige Zeit nach ihrer Entfernung schien es mir, als beobachtete mich Arabella oft mit seltsamen Blicken, und ich weiß nicht, war es Lony, oder ein innerer Instinkt, der ihr sagte, daß sie mir nicht mehr das sei, was sie mir früher war. Ich selbst wollte mir dieß kaum gestehen, und bemühte mich, durch mein Betragen sie vom Gegentheil zu überzeugen. Ich fühlte, daß ich ihr dieß schuldig sei. Sie schien auch nach und nach ruhig zu werden, und selbst meine Mutter war wieder mit mir zufrieden. –

Die Zeit unsrer Verbindung rückte heran, und ich sah Bella mit vieler Wichtigkeit beschäftigt, ihre Ausstattung zu betreiben, ein Zeichen, daß doch endlich Ernst aus unsrer Heirath werden sollte. – Zufällige Abhaltungen verhindern uns durch acht Tage Drury-Lane zu besuchen; ich komme eines Mittags nach Hause, und finde – wie gewöhnlich um diese Stunde – Arabella und Miß Thomson, ihre Gesellschafterin, bei meiner Mutter.

Bella tritt, mit ganz ungewöhnlicher Freundlichkeit, mir entgegen, legt die schöne Hand auf meinem Arm – eine Vertraulichkeit, die mir sehr selten zu Theil wird – und sagt mit niedergeschlagenen Augen: »Was meinen Sie, Charles, wenn wir heute nach Tisch anfangen wollten – Visiten zu machen? es dauert doch vierzehn Tage bis wir damit zu Stande kommen.« So reizend als sie jetzt vor mir stand, von einem sanften Roth übergossen, hatte ich sie noch nie gesehen. Ich vergaß Alles, was mich bis jetzt bedrückt hatte. »Endlich, meine Bella« – rief ich froh, ihre Hand an meine Lippen pressend, »endlich!«

Meine Mutter war sehr heiter, da sie uns Beide so vertraut und glücklich sah; ich trat mit Arabellen an den Schreibtisch, und wir besannen uns auf alle die Namen, die wir zu beachten hatten. Ich schrieb, sie lehnte sich an meinen Stuhl, doch wir waren Beide so zerstreut, daß uns durchaus die nächsten Freunde nicht beifallen wollten. –

»Kommen Sie, Miß Thomson« – sprach meine Mutter, sich erhebend, »führen Sie mich in mein Boudoir, ich muß den Kindern helfen; dort habe ich einige hundert Karten, es wird das Klügste sein, diese herbei zu holen.« –

Die Damen gingen hinaus und ich war mit Arabellen allein. Ich sah zu ihr empor – und wie sie so da stand, von allen Reizen einer glücklichen Braut umflossen, konnte ich mich nicht enthalten, sie sanft umschlingend auf meine Knie zu ziehen. –

»Glauben Sie mir, Bella« – flüsterte ich, die sich Sträubende mit festem Arm in ihrer Stellung haltend – »Sie werden fühlen lernen, wie mächtig die Natur, wie beseligend es ist, sich liebend dem liebenden Gatten zu schenken.« Bei diesen Worten – nun mein Himmel, wir sind doch auch Menschen mit Fleisch und Blut – konnte ichs nicht lassen sie an mein Herz zu drücken, und meine Lippen sogen sich zum erstenmal fest auf den rosigen Mund, in einem langen, langen Kuß. – Da riß sich Arabella mit Gewalt aus meinen Armen; mit Purpur übergossen trat sie von mir weg an das Fenster, und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen.

Ich eilte ihr nach und wollte sie beruhigen, sie aber blickte mich mit einem Ausdruck von Zorn an, vor dem ich erschrack, und rief mit bebender Stimme: »Lassen Sie mich, Mylord, Sie erniedrigen mich – ich kann Sie nur verachten!« –

»Verachten?« – wiederholte ich, zur Bildsäule erstarrt – »verachten, weil der Bräutigam, von seinen Gefühlen überwältigt, die Braut an die Brust schließt?« – Ein kalter Schauer rieselte über meinen Rücken. Ich wandte mich schweigend von ihr ab; schweigend gingen wir zu Tisch, und meine Mutter betrachtete mich mit fragenden Blicken, denn Bella geberdete sich, als hätte ich sie aufs Tödtlichste beleidigt.

Das aber war mir zu toll! Ich achte gewiß Tugend und Sittenreinheit, wie vielleicht wenige Männer, aber Narrheit empört, und erkältet mich. – Ich schlug vor, Drury-Lane zu besuchen, um den Abend nicht genöthigt zu sein, meiner tugendsamen Braut gegenüber, meine Blicke hüten zu müssen. – Meine Mutter war es zufrieden, Bella gab schweigend ihre Einwilligung, und nachdem wir einige unerträglich langweilige Visiten abgemacht hatten, wo ich eine schlechte Bräutigamslaune entwickelte, fuhren wir alle zusammen nach dem Theater.

Das Haus war gedrängt voll, so daß man kaum durch den Andrang zu seiner eigenen Loge gelangen konnte. Ich war so verstimmt, daß ich auch nicht einmal gefragt hatte was man gebe. Als ich meine Damen gut placirt sah, trat ich zur Seite, um Lord Willmanns darum zu befragen.

»Wie,« rief dieser – dessen Loge dicht an die Bühne stößt – »Sie sind hier, und wissen nicht, daß heute die göttliche Cecilie tanzt?«

»Wer ist das« – fragte ich zerstreut, denn ich betrachtete eben Bella's wunderschönen Nacken, und dachte dabei: Schade, daß ich ihn nicht küssen, sondern nur aus der Ferne in Demuth verehren darf.

»Eine junge Spanierin, aus einer der ersten Familien des Landes. Sie soll viel Unglück erlebt haben; um eine alte Mutter zu ernähren hat sie sich der Kunst gewidmet, heute tanzt sie zum drittenmal, und der Enthusiasmus für sie gränzt an Raserei – ganz London ist voll von ihrer Schönheit, ihrem Talent und ihrer Tugend.«

Ich starrte ihn schweigend an. Eine junge Spanierin? – Cecilie? hieß meine unvergeßliche Unbekannte nicht Cecilie? – war nicht auch sie eine Spanierin? doch nein – es ist nicht möglich, sie sollte ich hier hier finden? – Der Gedanke marterte mich, und dennoch wünschte ich, sie wieder zu sehen. –

Man gab Nina, ou: la folie par amour<. Ballett-Pantomime (1813) von Louis Milon, Musik von Louis Persuis, basierend auf einer komischen Oper (1786) von Marsollier des Vivetières und Dalayrac. [ Anm.d.Hrsg.] Der Vorhang schwebte auf, mit Herzklopfen harrte ich des Augenblicks, wo Nina erscheinen mußte. Die Unruhe, die Erwartung des Publikums verkündete ihr Nahen – jetzt schwebte sie hervor – alle Herzen flogen der himmlischen Erscheinung unter lautem Jubel entgegen – das meine stand still, denn sie war's, es war Cecilie, zum Engel verklärt, im Brautschmuck strahlend, von Zephyren getragen, von der erhebenden Stimme des Entzückens Tausender begrüßt – es war die Verlassne, welche ich vor wenig Monden ohnmächtig in Kings-Bench auf der Leiche eines selbstmörderischen Vaters gefunden hatte.

Furchtbarer Abstand, ungeheure Kluft zwischen damals und jetzt! –

So sah ich sie denn wieder! Das schönste Gesicht, das je Raphaels Pinsel gemalt, von üppiger Jugendkraft umflossen; die wunderherrlichen Augen, von dem Roth der Schminke gehoben, in mächtigen Freudestrahlen leuchtend – die herrlichste Gestalt, die edelste Form der Glieder, welche je unter Canova's mächtiger Hand entstand, dem Postament entstiegen – in Lebensfülle, von Grazien geleitet, von unnennbarem Liebreiz umflossen, so stand sie jetzt vor mir.

Nicht üppige Verdrehung des Körpers, darauf berechnet Reize zu enthüllen, die das Weib aus Instinkt verbirgt, sah ich hier – ich lernte zum erstenmal die Keuschheit Terpsichorens Terpsichore, eine der neun Musen, die Muse der Chorlyrik und des Tanzes. [ Anm.d.Hrsg.] begreifen, in der Anmuth des schönsten Tanzes, den jede Jungfrau ohne Erröthen sehen konnte. – Ich sah Anstand mit Leichtigkeit, Grazie mit sittlicher Würde verbunden, und nach und nach schwand das drückende des Gedankens von mir, sie als Tänzerin wieder zu finden.

Doch als die erschütternden Scenen des Wahnsinns eintraten, als sie nun rein als Mime erschien, da trat auch die Großartigkeit ihres Talents und dieser ganzen Kunst in den erstaunungswürdigsten Wirkungen hervor. – Todesstille herrschte in dem ungeheuren Saal, er schien von leblosen Wachsbildern angefüllt; und als sie nun – im Aufdämmern des Gedankens den Geliebten nie wieder zu sehen, das bleiche Haupt wild verneinend schüttelt, so daß die dunkeln Locken wie schwarze Schlangen ihr um die weiße Stirne fliegen, als sie die bebenden Hände fest auf die bewegte Brust preßt, mit den großen Augen bewußtlos vor sich hinausstarrt, und nun plötzlich ein Thränenstrom über ihre Wangen stürzt – da hörte ich lautes Schluchzen – und ohne der Thränen zu denken, die mir an den Wimpern hingen, sah ich zu Arabellen hinüber, die mich schweigend anstarrte, und dann still weinend das Gesicht in ihr Tuch verbarg. Also auch auf die Kalte hatte der Zauber dieser Erscheinung gewirkt. – Es ist mir unmöglich Ihnen zu beschreiben, welche Gefühle sich diesen Abend in meiner Brust entfalteten. Ich hörte kaum den Beifall, der, gleich einem tobenden Sturm das Mädchen überschüttete, ich erschrack nur vor dem glühenden Schmerz der mich durchbebte, als ich sie, von den Armen eines Mannes umschlungen, zum Bewußtsein, zum Glück erwachen sah. Sie hatte mich durch ihre Kunst so aus der Wirklichkeit herausgezaubert, daß ich mir den Mann nicht anders, als ihren Bräutigam denken konnte.

Das Ballet war zu Ende, ich saß schweigend, und erinnerte mich erst an meine Damen, als Arabella mit lauter Stimme sagte: »Wir werden doch wohl endlich aufbrechen müssen.«

Ich sprang empor und bemerkte, daß meine Mutter mich erstaunt ansah, da ich ihr den Arm bot. »Wo bist du, Charles?« – sprach sie verweisend, als wir hinaustraten, und ich Bella in den Wagen gehoben hatte.

»Nicht wo ich sein sollte, meine theure Mutter,« stammelte ich, unfähig zu lügen. – Sie seufzte tief. – »Ich folge Ihnen bald,« versicherte ich, wickelte mich fester in meinen Mantel, und ging, ohne zu wissen, was ich eigentlich wollte, nach dem hintern Theil des Gebäudes. – Wagen an Wagen standen dort. Ich stellte mich an die Thüre des Ausgangs von der Bühne herab, und wartete – ich wußte nicht auf was. Ein Wagen um den andern fuhr vor, fremde Gesichter traten aus dem Eingang, fröhliche Mädchen hüpften hinein, unter losen Scherzen und lautem Lachen – doch ich wich noch immer nicht von der Stelle – eine Lampe nach der andern erlosch in dem Gebäude, nur ein Wagen stand noch harrend; ich konnte nicht hinweg. Da bemerkte ich zwei Gestalten, die verhüllt, wie ich, ungeduldig auf und nieder schritten. – Das eiserne Fußgestelle einer Straßenlaterne verbarg mich, ich hörte mit Erstaunen den Einen ziemlich laut und heftig in spanischer Sprache sagen:

»Aber, Don Rodrigo, wozu soll das führen? Sie folgt Euch nicht, und Ihr setzt Euch vergebens der Gefahr aus, entdeckt zu werden.« – »Sie soll mir folgen« – entgegnet dieser verständlich genug – »und will sie nicht, wohl, besser den Tod, als solche Schande auf die älteste Familie in Spanien gehäuft.« –

In diesem Augenblick tritt eine alte Dienerin heraus, und ruft nach dem Wagen – drei Schritte hinter ihr, in einen seidenen Mantel gehüllt, schwebt die wohlbekannte Gestalt die Treppe herab. – Ich sehe die beiden Männer auf sie zueilen, sehe, wie der Eine sie fest umschlingt und sie mit dem Ausruf: »Rodrigo!« bewußtlos an ihm niedergleitet. – Beide ergreifen sie jetzt, um sie fort zu bringen. – Die Alte ruft nach Hülfe, ich stürze hinzu – falle sie wüthend an, und die Kraft meiner Verzweiflung bringt sie zum weichen; mit fürchterlichen Faustschlägen gelingt es mir, sie zur Selbstvertheidigung zu zwingen, und die schöne Beute an mich zu reißen. – Plötzlich sehe ich ein Stilett funkeln, und mein linker Arm ist durchbohrt, eh ich es verhindern kann. –

»Mörder!« rufe ich mit lauter Stimme – sie eilen nach dem Wagen, springen hinein, und befehlen dem Kutscher zu fahren – bald sind sie verschwunden, und ich stehe allein, fast bewußtlos, die noch immer ohnmächtige Cecilie in meinen Armen haltend. –

Zum zweitenmal hatte ich sie gefunden, und war es nicht, als risse mich mein Schicksal selbst in die seltsamsten Situationen hinein, um meinem Interesse für sie einen Grund zur Entschuldigung zu leihen?

Die alte Dienerin, welche Hülfe zu suchen, in das Theater geflohen war, kam jetzt, von einem Manne begleitet, zurück; wir brachten Cecilie wieder nach der Garderobe, welche sie eben verlassen hatte, und nach wenig Minuten schlug sie die Augen auf. –

»Sie lebt!« – rief die Alte froh. – »O nun kommen Sie, Herr Inspector, helfen Sie mir einen Wagen herbeischaffen, daß wir sie nach Hause bringen.« –

Wir standen uns allein gegenüber; nur eine Lampe brannte noch, das Zimmer matt erleuchtend, und lange starrte sie mich an, ohne mich zu erkennen. –

»Cecilie! habe ich das um Sie verdient?« fragte ich leise, mich zu ihr herabbeugend. »Ach mein Gott!« – rief sie zusammenzuckend »Mylord – Sie sinds – Sie selbst! O zu viel, zu viel!«

Ich verstand sie nicht, ich sah nur, daß sie Etwas heftig bewege. –

Ich faßte ihre Hand, sie riß sie ungestüm aus der meinen – ich sah sie mit einem Blick voll Vorwurfs an, da drückte sie das Gesicht, heftig weinend, in die Kissen des Sopha's, und winkte mir zu gehen. –

»Nein, Cecilie,« rief ich – »ich bin entschlossen, Sie nicht eher zu verlassen, bis ich weiß, warum Sie mich fliehen, warum Sie mich hassen. – Ich habe heute, da ich Sie wiederfand, fühlen gelernt, daß von Ihrem Ausspruch mein Leben abhängt. – Zum zweitenmal macht mich ein seltsames Geschick zu Ihrem Vertrauten, sein Sie nicht grausamer als der Zufall, stoßen Sie mich nicht in die Nacht der Zweifel zurück, durch welche eben ein Strahl des Lichts brechen will.« –

»Gott! Gott!« – jammerte sie, Beide Arme zum Himmel emporhebend – und der seidne Mantel fiel zurück; ein weißes, leichtes Gewand umhüllte sie, die schönen Arme, die blendend weißen Schultern umwogte das aufgelöste Haar, das Auge funkelte in Thränen, und der Ausdruck des bleichen Gesichts führte Nina's Bild vor meine Seele. Meiner Sinne nicht mehr mächtig, beugte ich zum erstenmal meine Knie vor einem Weibe, ich sank vor ihr nieder, und drückte mein Gesicht in die Falten ihres Kleides.

»Mylord!« – flehte sie jetzt – »stehen Sie auf, ich kann den edelsten Mann nicht zu meinen Füßen sehen! – Ach, ich darf Ihnen ja nicht sagen, warum ich Sie fliehe, ich kann es Ihnen nicht sagen.« –

»Sie sollen, Cecilie! – Sie sollen!« – rief ich. »Wer war der Mann, den Sie Rodrigo nannten?« –

»Mein – vom Vater mir bestimmter Gatte« – sprach sie, und ihre Blicke hafteten am Boden – »er war entflohn, gleich uns, wohin, wußten wir lange nicht. Der Tod meines Vaters löst sein Wort – ich will nicht sein werden. – Vor wenig Tagen sah er mich hier auf der Bühne und fand unsere Wohnung. – Ich sagte ihm, daß ich seine Gattin nicht werden kann. Er verließ uns knirschend, und sein Anblick, da er mich vorhin so unvermuthet überraschte, die Gewißheit, daß in seiner Seele ein finstrer Vorsatz gegen mich brüte, wohl auch die furchtbare Anstrengung dieses Abends, raubte mir das Bewußtsein.« –

»Hassen Sie Rodrigo?« frug ich gespannt. –

»Ich hasse ihn nicht, ich glaubte sogar einst, ihn zu lieben aber ich kann seine Gattin nicht werden.« –

»Warum? Warum?« flehte ich zitternd – »o sprechen Sie, Cecilie.« –

»Sie foltern mich!« jammerte sie; die weißen Hände ringend. Doch plötzlich ward sie ruhig; ein Entschluß schien in ihr aufzusteigen, eine dunkle Röthe flog über ihr Gesicht, mit fester Stimme sprach sie: »Ich liebe, und will meine Hand nicht ohne mein Herz verschenken.«

» Sielieben?« stammelte ich, und mir war's, als bebe der Fußboden unter mir – »ja, dann – allerdings – dann ist's ein Anderes!« –

»Und Sie befremdet dieß? Sie, der verlobt ist, und seine Braut liebt?« entgegnete sie mit einem Ausdruck, der mich in jedem andern Moment entzückt hätte.

»Sie haben Recht!« – sprach ich auftaumelnd, und griff nach meinem Hut. –

Da blickte Cecilie an sich herab, ihr weißes Gewand war mit Blut bedeckt. »Mein Gott, was ist das?« – fragte sie, sich nach mir wendend – doch plötzlich sprang sie auf, stürzte zu mir hin, und rief, meine Hände fassend: »Sie sind bleich, Sie zittern, Ihre Kleider mit Blut bedeckt! Großer Gott – Sie sind verwundet?«

»Nur leicht!« – hauchte ich, in Schmerz vergehend. »Verwundet? – um mich? – o, Mylord!« stieß sie in einzelnen Lauten hervor – und plötzlich schlang sie die Arme um mich, sank an mein Herz und rief, ihr Gesicht mit heftiger Leidenschaft an meine Brust pressend: »O mein einz'ger Freund, willst auch Du mich verlassen?«

Ich traute meinen Sinnen nicht; in süßem Taumel umschlang ich sie, meine Lippen sanken auf ihre Augen, die in Thränen schwammen, und, als könnte sie mich nun nimmer lassen, umklammerten mich ihre Arme fester und fester, bis ich endlich, vergehend in Seligkeit, mich überzeugte, daß ich wache, und daß Cecilie, aufgelöst in Zärtlichkeit und Schmerz, an meiner Brust hing. –

Was kann ich Ihnen noch sagen? – Sie liebt mich mit aller Glut ihres südlichen Charakters! Sie floh mich, weil sie mich, wie ich sie – vom ersten Augenblick an liebte, da sie mich sah, und weil sie, aus meinem eignen Munde, mein Verhältniß kannte. Schon seit einem Jahr hatte sie den Entschluß gefaßt, sich der Bühne zu weihen, und ihr Genie leitete sie den richtigen Weg. – Die Noth zwang sie, nach dem Tod des Vaters eilig ihren Vorsatz auszuführen. – Ihre Mutter liegt seit jener Zeit kränkelnd darnieder, und sie ist entschlossen, nur so lang, als diese ihrer Hülfe bedarf, ihr Talent für Geld zu verkaufen. Daß eine so seltene Erscheinung Aufsehen erregen mußte, daß man ihr von allen Seiten ermunternd entgegen kam, ist natürlich. – Ihre Laufbahn ist mit Rosen, bestreut, und meine Hand ist es, die die verletzenden Dornen dazwischen säet. – Der Gram nagt an ihrem Herzen, ihr von Tausenden beneidetes Glück erfreut sie nicht. Rodrigo, der ihr einst nicht gleichgültig war, ist ihr schrecklich geworden – und ich – stehe da, unauflöslich an die kalte Arabella geschmiedet, die es sehr wohl versteht, jedes herzliche Gefühl in mir zu vernichten. –

Was werden Sie nun thun, höre ich Sie fragen? Beklagen Sie mich, Emil, mein Loos ist geworfen – Cecilie selbst zeigte mir den Pfad, den ich wandeln muß! Unter tausend Thränen, unter glühenden Küssen haben wir uns getrennt – für ewig! – Ich weiß nun, daß ich geliebt bin, ich habe geschwelgt in dem Gefühl, zu lieben, und diese Erinnerung wird mich tröstend durch ein ganzes trübes Leben geleiten. –

Cecilie wandelt fort auf dem Weg, der ihr Ruhm und Reichthum bereitet – ich werde der Gemahl der tugendhaften und anständigen Miß Arabella – und das ist der Schluß der romantischen Geschichte, die ganz alltäglich endet mit zwei gebrochenen Herzen. Nur an Ihrer Brust werde ich zuweilen leise seufzen, Flitmore – und nur Sie werden verstehen

Ihren Charles.

*

14.

Miß Thomson an Lony.

London.

Meine verehrte Miß! Indem ich mich Ihrer steten Wohlgewogenheit empfehle, und im Voraus wegen des Schreckens um Vergebung bitte, welchen ich Ihnen pflichtschuldigst einflößen muß – bitte ich, sobald Sie diesen Brief erhalten, sich schleunig aufzumachen, um zu uns zu kommen. – Ihre Frau Mutter wird Ihnen die Erlaubniß, uns zu besuchen, nicht versagen, sobald sie erfährt, daß Lady Arabella mit dem Tode ringt. –

Ja, ja! Hochmuth kommt vor dem Fall. – Sehen Sie, ich dachte immer, dabei kommt nichts Gutes heraus. Ich bin doch auch ein Frauenzimmer in den besten Jahren, und weiß, was Anstand und Delikatesse fordern, aber Miß Arabella hat es wahrhaftig zu weit getrieben! –

Seit acht Tagen schon machte das Brautpaar Hochzeitvisiten. Miß Bella nahm sich vortrefflich aus. Sie trug eine weiße Atlas-Robe, und ein Kleid von echten weißen Blonden darüber, Mylord hatte es aus Paris kommen lassen, und ich weiß von seinem Kammerdiener, daß es 200 Pfund gekostet hat. – Nun, daß ich nicht Eines ins Andere rede – sie trug also eine Guirlande von Rosen und Marabouts auf dem Kopf, und den schönen Brillantschmuck vom Papa, sie sah wahrhaftig reizend genug aus. Mylord waren sehr blaß, ganz schwarz angezogen, von den à jour< Strümpfen an bis auf die Sammetweste; nahmen sich aber wahrlich auch interessant aus. Nun – sie sprachen Beide nicht viel, und blickten, das Eine rechts, das Andere links aus dem Wagen. Ich bin daran schon gewöhnt, daß Miß Bella nicht spricht, und dachte mir weiter nichts dabei –

Wir kommen nach Hause – es war gerade der Tag, wo wir bei Mylord's Mutter speisen – und setzen uns zu Tische.

Die Unterhaltung war sehr einsilbig, und Mylady sahen mit ängstlichen Blicken bald auf ihren Sohn, bald auf Miß Arabella. – Endlich fragt sie diesen wie folgt. – Ich werde Ihnen jedes Wort hersetzen, damit Sie eine recht genaue Uebersicht der Sache haben. – Sie fragt also:

»Dein Aussehen ängstet mich, mein Sohn, ich sehe, daß Du mit Mühe nur den linken Arm bewegst – bist Du krank?«

Mylord entgegnet etwas verlegen: »Ich bin nicht wohl, verehrte Mutter, ich fühle heftige Schmerzen im Kopf und Arm; ich habe mich wohl erkältet.«

Da schiebt Miß Arabella gleichgültig das goldne Dessert-Messer auf ihren Teller, legt sich im Stuhl etwas zurück, und sagt kalt: »Ich fürchte, Sie werden krank werden; ich denke, wir verschieben die Hochzeit um einige Wochen.« –

Mylord dreht rasch das Haupt nach ihr hinüber, sieht sie mit einem Blick an, daß es mir eiskalt über den Nacken läuft, und fragt kaum vernehmbar:

»Ist das Ihr Ernst, Miß?« –

»Warum nicht?« – sagt Arabella, noch kälter als vorhin. »Im Juli ist der Geburtstag meines Vaters – ich glaube, an einem solchen Tage wäre diese Feier passender, als in der Osterwoche, wo doch jedes Christenherz mit Wehmuth der Erinnerung erfüllt sein muß.« –

»Wie Sie wünschen, Mylady« stammelt Lord Charles, erhebt sich leichenblaß, schiebt den Stuhl zurück, küßt seiner Mutter die Hand und stürzt hinaus. –

Schweigend sehen wir ihm nach. Mylady so erschrocken, daß sie sich nicht vom Fleck bewegen kann – Arabella zu Schnee verbleicht, und ich in Todesangst, von was ich in einer so kitzlichen Situation sprechen soll. Wohl zehn Minuten saßen wir so. – Auf einmal rollt ein Wagen aus dem Hause – Bella springt auf, ich folge ihr – da lehnt Mylord in seiner Reisekalesche, tief in einen Mantel gewickelt, niemand bei ihm, als sein alter Kammerdiener.

In demselben Augenblick tritt sein Bedienter in den Saal, und reicht Arabellen ein Billet. – Sie öffnet es, so heftig zitternd, daß sie kaum das Blatt halten kann; ich nehme mir die Erlaubniß über ihre Schultern zu schauen – das Billet enthielt weiter nichts, als die wenigen Worte:

Sie sind frei.

Charles Darnwall.

Arabella stößt einen furchtbaren Schrei aus, und sinkt ohnmächtig in meine Arme.

Im heftigsten Fieber erwachte sie, und lebt nun schwerkrank bei Lady Darnwall, die, obgleich sie ihr so großes Herzeleid bereitete, sie dennoch wie eine liebende Mutter pflegt. – Mylord ist verschwunden, und man sagt – doch dies ganz unter uns – er sei mit einer Tänzerin davon gegangen. – Wie dem auch sei, so sehr ich Miß Bella bedaure, sie hat sich ihr Schicksal selbst bereitet, und kann niemand anklagen, als ihren Starrsinn.

Eilen Sie, ihr beizustehen, denn mich liebt sie nicht, mir vertraut sie nicht, also kann meine Gegenwart ihr durchaus keinen Trost geben. –

Ich fürchte, sie entdeckt zu spät, wie sehr sie den Lord liebte. Leben Sie wohl, empfehlen Sie mich Ihrer hochverehrten Frau Mutter und verbleiben Sie gewogen

Ihrer ergebensten Dienerin
Charlotte Thomson.

*

15.

Charles Darnwall an Emil Flitmore.

Gretnagreen.

Hier bin ich – Alles ist vorbei – von mir abgewälzt die Felsenlast, mein Herz schlägt frei und glücklich.

Hören Sie, Emil, und staunen Sie über die Macht der Leidenschaft in einem so ruhigen Gemüth, als das meine bis jetzt war. –

Sie wissen, wie fest mein Entschluß, wie gefaßt ich auf ein freudenloses Dasein an der Hand einer Gattin war, die mich nicht liebte. – Zum drittenmal forderte Arabella Aufschub einer Verbindung, die sie nur als ein Spielwerk ihrer Laune zu betrachten schien, mit einer Kälte, mit einer Gleichgültigkeit that sie dieß, als ob es sich um einen Ball oder eine Promenade handelte. Zum erstenmal stieg die entscheidende Gewißheit in mir auf, daß sie mich nicht liebt, und daß ich das blutende Opfer zweier Herzen dem Götzen ihrer Eitelkeit zu bringen im Begriff war. –

Da erfaßte mich ein innerer Grimm, vor dem ich mich nicht retten konnte. Empört durch die Erinnerung dessen, was ich schon gelitten hatte – außer mir bei dem Blick auf das, was ich an der Seite dieser Herzlosen noch leiden würde – schrieb ich ihr: Sie sind frei – warf mich in den Wagen, und fuhr bei Cecilien vor.

Mit welchen Gefühlen trat ich in ihre einfache Wohnung. – Mit verweinten Augen kam mir die ehrliche Alte entgegen. – »Wo ist Cecilie?« frug ich erschrocken. – »Sie kämpft mit ihrem Herzen und der Pflicht einen harten Kampf, Don Rodrigo bedrängt sie eben, von der Mutter unterstützt, ihm die Hand zu reichen, und morgen nach Nord-Amerika mit ihm abzugehen. – Die alte Dame will sie lieber an der Hand eines ungeliebten Gatten, als auf der Bühne sehen.« –

»Rufen Sie Cecilien unter irgend einem Vorwand heraus, werfen Sie ihr einen Shawl um, und verhindern Sie, daß man uns störe; ängstigen Sie sich nicht um sie, in zwei Tagen ist sie wieder da« – sprach ich leise, der Alten eine Börse in die Hand drückend. –

Nach zwei Minuten stand Cecilie vor mir – fast hätte sie bei meinem Anblick laut aufgeschrien, doch ich verschloß den lieblichen Mund mit Küssen. – Erschrocken trat sie zurück.

»Cecilie« – drängte ich – »halten Sie mich für einen Mann von Ehre?« –

»Gewiß!« betheuerte sie, meine Hand an ihre Brust drückend. –

»So folgen Sie mir« – rief ich, die Ueberraschte umschlingend – zog sie die Treppe hinab, in den wartenden Wagen, und wieder rollte ich an ihrer Seite dahin – aber mit welchen Empfindungen!

»Aber mein Gott« – seufzte Cecilie, »was haben Sie mit mir vor?« –

»Sprechen, allein sprechen mußte ich Dich und schnell handeln.« Sie sah mich erstaunt an.

»Cecilie – ich bin frei, frei ohne irgend einen Vorwurf meines Innern, ich kann Dir meine Hand bieten. Du kennst meinen Namen, meine Familie – ich bin ein Mann von Ehre – ich kann nicht leben ohne Dich – willst Du meine Gattin sein?« –

Da sank sie aufgegeben an meine Brust, schmiegte das glühende Gesicht fest an meine Wange, und flüsterte zärtlich:

»Ich will!« –

»Nun denn, nach Gretnagreen« – rief ich meinem erstaunten James zu – und da sind wir. –

Seit gestern ist Cecilie mein glückliches Weib. Meine Brust faßt kaum die Fülle der Seligkeit, womit mich das Gefühl durchdringt, sie mein zu nennen. So habe ich denn, im Arm einer Tänzerin die höchste Wonne meines Lebens gefunden! Aber Emil – triumphiren Sie ja nicht – denn zwischen einer Cecilie und einer Ninon liegt ein Raum, wie zwischen Himmel und Hölle.

In einer Stunde kehre ich nach London zurück, um meine süße Frau den erstaunten Müttern vorzustellen; sie verläßt die Bühne, und wird künftig mir – mir allein gehören.

Nun werden Sie doch endlich kommen, mein unaussprechliches Glück zu theilen.

Charles.

*

16.

Lord Emil Flitmore an Charles Darnwall.

Paris. (Sechs Wochen später).

Daß Ihre engelschöne Gattin keine andere, als Mademoiselle Cecilie, meine reizende Schützlingin aus Paris sei, wußte ich sogleich, als Sie mir sie beschrieben, denn es existirt nur ein solches Wesen auf Erden, und D'Antole, der gestern von einer Geschäftsreise nach London zurück kam, bestätigte meine Vermuthung. –

Halb verrückt vor Neid erzählte er mir, daß er Sie im Theater an der Seite dieses Engels sah, daß Sie die schönste Frau in London besitzen, und daß es blindes Glück sei, welches solch eine Perle einem Engländer zuschleud're, da eigentlich das Schönste auf Erden nur den Franzosen gebühre. –

Wir sind jetzt gute Freunde, und ärgern uns Beide unbändig, daß wir, der verworfenen Ninon zu Liebe, uns gegenseitig zu Krüppeln gehauen haben; denn D'Antol's Gesicht ist für immer entstellt, und meinem linken Arm zu gefallen werde ich am Auferstehungstage eine Reise aus meiner Familiengruft nach Paris unternehmen müssen, denn der liegt seit vier Wochen auf dem Kirchhof zu St. Denis begraben.

So schnell als Sie hoffen, kehre ich nicht nach England zurück, denn Sie können Ihr Glück immer allein genießen, ich mag Ihre gefährliche Cecilie sobald nicht wiedersehen, ihr Bild spukt ohnedieß noch zuweilen in meinen Träumen – auch muß ich hier in Paris trösten – das ist denn doch auch eine heilige Pflicht. –

Ich finde hier auf der Kunstausstellung eine schöne, unendlich bleiche und unendlich anziehende Landsmännin – ich frage – und – es ist die arme Arabella, die, dem Bild Ihres Glückes zu entfliehen, halb genesen, England verließ, um in Frankreich und Italien die Ruhe des Herzens wieder zu finden, die sie selbst so leichtsinnig verscherzte. – Ihre Freundin Lony, die sie begleitet, hat mir versichert, daß die Unglückliche Sie wirklich geliebt, und den letzten Aufschub nur verlangt habe, weil sie ein Zweifel über die Reinheit Ihrer Liebe quälte. – Nun, sie hat ihren Eigensinn theuer gebüßt. –

Die redselige Miß Thomson hat mir eine lange Schilderung von der fürstlichen Pracht gemacht, mit welcher Sie Ihre Gattin bei Hofe präsentirten, von der Anmuth und Bescheidenheit Ceciliens, und von der Freude und Liebe Ihrer Mutter für sie – der unwillkommene Bräutigam soll spurlos verschwunden, und die stolze Spanierin mit ihrem Schwiegersohn sehr zufrieden sein. – Gut ist's doch, daß ich von der Plaudertasche etwas erfahren, denn Sie haben in Ihrem Glück keine Feder mehr für den Freund, der die langen Sermone Ihres Unglücks geduldig las, und Sie wahrhaft beklagte. – Adieu, Beneidenswerther! Ich werde Arabellens Vater nach Italien begleiten, und so, die schöne Zeit unseres Aufenthaltes dort, noch einmal durchleben.

Auf Wiedersehen im Vaterland.

Emil Flitmore.

*

17.

Emil Flitmore an Lord Charles Darnwall.

(Ein Jahr später).

Neapel.

Gestern empfing ich Ihren Brief, und freute mich mit Ihnen über die Geburt Ihres kleinen Emil, den Sie so gütig waren, nach mir zu nennen. – Grüßen Sie die reizende Mutter, und sagen Sie ihr, es sei Zeit, nach einem ganzen langen Jahr den Kopf des Liebhabers in das Haupt eines Ehemanns zu verwandeln – noch immer stolziren Sie ja in den Wolken einher. Nun – Glück zu!

Gestern ward ich mit Arabellen vermählt, und wir lieben uns wenigstens so innig, als Sie Ihre Gattin. –

Ehen werden im Himmel geschlossen – und so mußte meine Arabella erst die Leidensschule der Liebe durchwandeln, und ich einen Arm verlieren, ehe dieser Himmelsbeschluß an uns in Erfüllung gehen konnte. – Wir sind über jeden Ausdruck glücklich, und ich schmeichle mir, Arabellens ausschließende Liebe zu besitzen, da sie nicht ein einziges Mal Aufschub der Vermählung verlangte. – Künftige Woche treten wir die Reise nach der Heimath an, und freuen uns Beide, Sie gesund und glücklich wieder zu sehen.

Ihr Emil.

 

Ende des ersten Bandes.

* * *


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