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Historische Novelle aus dem funfzehnten Jahrhundert.
Vor dem prächtigen Venetianer-Spiegel, im stillen Closett, stand Fräulein Blanka von Fugger, und ihre Blicke ruhten ernst und fast fragend auf ihrem lieblichen Ebenbild, das sie aus dem treuen Glas anschaute, strahlend in Jugendschöne, mit glühenden Wangen und funkelndem Blick.
Schweigend stand Dorothea, ihre Lieblingszofe, hinter ihr, und weidete sich an dem Anblicke der stolzen Pracht, welche ihre Herrin umfloß. Beide Frauen schienen Bilder von Stein, und man vernahm in dem heimlichen Stübchen keinen Laut, als das Picken einer kolossalen Wanduhr, und zuweilen ein leises Knistern der flammenden Wachskerzen, welche auf dem Marmortische des Spiegels brannten. Eine Pracht, wie man sie zu Ende des funfzehnten Jahrhunderts selten fand, schmückte das Schlafgemach der einzigen Tochter des reichen Ulrichs Fugger, und kaum mochte eine Fürstin des deutschen Reiches ihr Bild in einem Spiegelglas beschauen, wie das, aus welchem eben Blanka's Züge lächelten. Kostbare Teppiche, prächtige Gemälde, ein Lager, bedeckt mit schweren indischen Seidenstoffen, Geräthschaften, die in hellem Golde funkelten, bildeten die Umgebung der Hauptfigur, die in immer ernstere Gedanken zu versinken schien. Wohl eine Weile hatte sie so gestanden, da hob der Zeiger der Uhr aus, Mitternacht summte mit dumpfem Schlage durch das Gemach, und eine sanfte Harmonie tönte aus dem kunstreichen Werk der kostbaren Uhr.
»Herr, mein Gott! da schlägt's gar zwölf!« rief Blanka erschrocken, und wandte sich zu der müßigen Zofe, »ei, sprich, Dore, was treibst Du, daß Du lässig da stehst, ohne mich zu entkleiden?«
»Liebwerthestes Fräulein,« sprach diese höchlich verwundert, »ich unterstand mich nicht, Eure Gedanken zu stören, denn Euer Antlitz sah wichtig genug aus. Ich dachte, Ihr wolltet noch nicht entkleidet sein, und so ließ ich's. Ihr flogt hier herein, als Ihr vom Geschlechter-Tanz kamet, und schautet Euch nach keinem Menschen um; Ihr tratet da vor den Spiegel hin, besahet Euer schönes Antlitz, und ich that desgleichen, und so stehen wir nun schon eine Viertelstunde.«
»Das ist seltsam genug,« meinte Blanka, und nestelte die schwere Goldkette los, welche das purpursammtne Mieder fest unter der jugendlichen Brust zusammenhielt. »Ich war doch so müde, als ich heim kam, und sehnte mich so herzlich nach meinem Lager, und doch stehe ich hier, und die eitle Pracht drückt mir die Schultern wund.«
Eben entsank ihr das sammtne Ueberkleid, und im weißen faltigen Atlasgewand, die runden Arme mit Brüßler Kanten geschmückt, stand die hohe Jungfrau da. Mit eigener Hand nahm sie das kleine Barett mit dem köstlichen Reiherbusch von dem Haupte, schob das Perlennetz zurück, das die blonden Locken hielt, und wie ein goldner Strom wogten diese nun in reizender Verwirrung auf die marmorweißen Schultern herab.
»Nimm all den schweren Schmuck,« fuhr sie fort, sich Ohrgehänge, Halsband und Spangen ablösend, welche mit feurigen Demantaugen aus dem Spiegel wiederstrahlten, »und öffne mir das Erkerfenster, daß die frische Nachtluft mir die Stirne kühle, denn mein Haupt ist heiß und schwer.«
Dorothea that, wie ihr geheißen; vor dem Fenster dufteten blühende Orangen mit der stolzen Centifolie um die Wette, und ein Strom von Balsamdüften durchdrang das Gemach.
»Ach, das ist schön, das ist herrlich!« seufzte Blanka aus tiefster Brust, zog mit Entzücken die süßen Düfte ein, und trat an's offene Fenster, sich weit hinaus neigend zu den Blüthen und dem herrlichen Garten, der in schweigender Pracht unter ihr lag, Die Nacht hatte ihren Sternenmantel über die weite Stadt gebreitet, und hielt auch den Park mit dunklen Armen umfaßt. Blanka's Blicke unterschieden nichts, als die riesigen Kastanien, welche die dichtbelaubten Aeste bis zu ihrem Gemache ausbreiteten. Schaudernd fuhr sie zurück.
»Was ist Euch?« fragte Dorothea erschrocken.
»Nichts,« sprach Blanka leise, und fuhr mit der Hand rasch über die weiße Stirne, »lache mich aus, Dore, aber mir war's, als strecke die alte Kastanie vor meinem Fenster die Arme nach mir aus, und als sei es ein riesiges schwarzes Todtengerippe, was da vor mir zittere in der dunklen Nacht.«
»Gott steh' uns bei!« rief Dore, sich bekreuzend, und schlug das Fenster zu, »das kommt von dem sündlichen Treiben. Wer wird in der Geisterstunde auch in einen Garten schauen, zumal, wenn er, wie der unsre, an einen Klosterkirchhof stößt.«
Rasch zog sie die Willigfolgende vor den Spiegel, und fuhr emsig plaudernd fort: »Kommt, laßt Euch vollends entkleiden, mein liebes Fräulein, und erzählt mir indessen, was sich Alles ereignet hat an diesem festlichen Tage. Vieles hat mir schon der alte Jakob gesagt: daß unser Herr Ulrich bei dem großen Mahl, welches die Geschlechter dem Herrn Kaiser Maximilian zu Ehren gaben, Seiner kaiserlichen Gnaden zur linken Hand gesessen hat, daß der Kaiser ihm die Rechte auf die Schulter legte, und » mein lieber Fugger!« zu ihm sprach, das weiß schon ganz Augsburg; daß Ihr das schönste und prächtigste Fräulein bei dem Geschlechter-Tanz waret, das braucht man mir nicht zu sagen, das weiß ich so; aber wer Euer Tänzer war, das, liebstes Fräulein, möchte ich von Euch hören.«
»Rathe!« sprach Blanka, die üppigen Locken aufrollend.
»Nun, kein anderer, als der schöne Herr von Langenmantel, der Geschlechter.«
»Ei bewahre,« lächelte Blanka, »höher, Dore, höher.«
Dorothea machte große Augen. »Nun, etwa gar des reichen Herrn von Welser Sohn?«
Mit einem heimlich triumphirenden Blick, der aber die Gutmüthigkeit ihrer schönen Züge nicht entstellte, sah jetzt Blanka auf. »Mein Kind, die Leute sind mir alle zu gering. Der Erzherzog Philipp hat mich zum Tanz begehrt.«
»Ei du meine Güte!« stammelte Dorothea, erblassend vor schnell sie überfallender Ehrfurcht, »Ihr habt mit des Kaisers Majestät christlich und ehlich erzeugtem, leiblichem Sohn den Tanz gehalten?«
Hell auflachend rief jetzt Blanka: »Ja, denke nur, Dore, Seine Kaiserliche Hoheit haben mich mit höchsteigner Hand zum Scheiterhaufen geführt, mir eine Fackel gereicht, auf daß ich das Simmetfeuer selbst anzünde in Gebrauch, der bei den Geschlechter-Tänzen der damaligen Zeit üblich war., haben dann mit mir den Reigen eröffnet, und drei Tänze mit mir gemacht.«
»Ja, nun begreife ich, warum Ihr so sonderbar waret, als Ihr heimkamt,« meinte Dore, »solche Ehre mag einem auch wohl den Kopf etwas verdrehen.«
»Denkst Du?« fragte Blanka halblaut, und eine dunkle Röthe flog über ihre Wangen. Lange stand sie schweigend, dann sprach sie rasch: »Gute Nacht, Dore!«
Dore löschte die Lichter, entzündete die Nachtlampe, und schlich schweigend von dannen, den Kopf voll seltsamer Gedanken. Blanka warf sich auf das seidene Lager, zog ein goldenes Medaillon aus der Brust, drückte es fest an die rosigen Lippen, und flüsterte zärtlich: »Zürnst Du, mein Antonio?«
Draußen aber vor dem Erkerfenster in den dunklen Aesten der Kastanien ward's jetzt lebendig; die Zweige flüsterten, beugten sich knarrend, und mit raschem Satz sprang eine lange, dunkle Gestalt zur Erde. Unten am Fuße des Baumes stand eine zweite, in einen braunen Regenmantel gehüllt, und schweigend schlichen nun Beide den Park entlang zur Mauer, eine kleine Eisenthüre führte sie auf den Klosterkirchhof, und vorsichtig schloß sich die Pforte hinter ihnen.
Jetzt richtete sich die Gestalt im Regenmantel auf, öffnete die Blendlaterne, und sprach triumphirend: »Nun, Bruder Hilarius?«
»Anna, Ihr hattet recht,« entgegnete der Mann im Mönchsgewande, und seine bleichen Züge, nur spärlich von der Lampe beleuchtet, strahlten im Wiederschein eines Gefühles, das er sich nicht bemühte, zu verbergen, aus den stechenden Augen blitzte ein wildes Feuer, und mit den Worten: »Diese oder keine Eva's-Tochter!« eilte er über die ruhigen Gräber hin; die Finstere aber rief ihm nach: »Der krähende Hahn findet mich an meinem Geschäft, seid wachsam und klug!« und schritt eilenden Flugs die Mauer entlang, durch eine zweite Pforte in's Freie schlüpfend.
Wenige Tage nach jener Nacht ward das heilige Frohnleichnamsfest gefeiert. Das prächtige Augsburg wimmelte von Fremden und Einheimischen, denn der allgeliebte Maximilian, der edle Kaiser, wollte in eigner Person das Fest verherrlichen, an seiner Seite sollte man seinen schönen Sohn sehen, den jugendlichen Erzherzog Philipp, dessen Lob von allen Lippen tönte; mit der Wohlgestalt des Vaters verband er Geist und Muth, und ermangelte auch sonsten keiner ritterlichen Tugend, welche die jungen Streiter des Mittelalters mit mancher anmuthigen Eigenschaft gewandter Hofherren zu vereinen wußten. Alle Fenster auf dem Weinmarkte waren mit köstlichen Teppichen und grünem Laubwerk geschmückt, aber die schönste Zierde der weiten Straßen waren die lieblichen Gesichter der holden Jungfrauen, welche im Festgewande, mit Augen die von Frohsinn und Erwartung leuchteten, von allen Fenstern nach dem herrlichen Anblicke ausschauten, der ihnen bald werden sollte.
Schöner und glänzender als alle ihre Mitbürgerinnen strahlte Blanka's Bild aus einem der hohen Erker ihres väterlichen Hauses herab. Sie schien in heiterm Gespräche begriffen, und sah oft lachenden Auges nach einem stattlichen Kaufherrn zurück, der hinter ihr stand, und wie es schien, ihr artige Scherzworte zuflüsterte.
»Die Fuggerin ist doch die schönste Jungfrau in der Stadt,« sprach jetzt ein junger Webermeister, der mit seiner Frau gerade dem Fugger'schen Hause gegenüber auf der Straße stand.
»O ja,« meinte die Frau naserümpfend, »es sieht's ihr so leichtlich Keiner an, daß ihr Herr Urgroßvater ein ehrlicher Leinweber war, wie unsereins.«
»Möge doch der Himmel unsern Fleiß segnen, wie der seine gesegnet ward,« fuhr der Mann fort, fromm die Hände faltend, »die Fuggers sind reich und mächtig worden, zu hohem Ansehen und Ehren gelangt, durch Fleiß und Redlichkeit, durch Sparsamkeit und frommen Sinn; zu allen Zeiten gaben sie Gott die Ehre und dem Nothleidenden Brod, dem Kranken ein Lager, den Waisen einen Vater, und deshalb hat sie auch Gott der Herr sichtlich begnadet. Sieh, Frau, das gefällt mir nicht, daß Du über solche Leute die Nase rümpfen magst, aus purem klarem Neid, weil Fräulein Blanka nun einmal schöner ist, als alle Weibsbilder weit und breit.«
»Neid, ich neidisch?« rief die Frau weinerlich, »das sagt mir ein Dummbart nach! Soll ich sie etwa darum beneiden, weil gestern der Erzherzog sie zum Tanz aufzog? Mir steht der Sinn nicht nach Erzherzögen.«
»Das ist Dein Glück,« sprach der Mann kalt, »denn es käme auch keiner, Dich zu holen.«
»Glaub's gern,« höhnte die Frau, »wenn die großen Herren Geld brauchen, lassen sie die Sonne scheinen. Die Fuggers haben dem Kaiser 70,000 Goldgulden geliehen auf die Grafschaften Kirchberg und Weißenhorn; ja, um die Summe kann man sich schon einen kaiserlichen Tänzer erkaufen.«
»Halt's Maul, Giftkröte,« brummte der Mann; »dort kommen die Herrschaften.«
Langsam und feierlich bewegte sich der prächtige Zug vom Perlachthurm heran, die Fahnen der Zünfte flatterten lustig im Sonnenscheine, die Glocken hallten durch die Stadt, Pauken und Cymbeln tönten melodisch darein, der Donner des Geschützes verkündete der Umgegend, daß der Held des Jahrhunderts, Maximilian, in ernster Verehrung dem Allerheiligsten folge, und der fromme Gesang der prächtig geschmückten Priester, die Weihrauchwolken und Orgeltöne vollendeten die Feierlichkeit des erhabenen Festes.
Mit festem Schritte folgte der Kaiser dem Hochwürdigen, und sein gesenktes Haupt, die ernste Andacht seiner edlen Züge bestätigte, was sein Handeln zu allen Zeiten dargethan, daß er Gott über Alles ehre, als den alleinigen Herrn der Herren auf Erden.
Ihm zunächst folgte sein ritterlicher Sohn, der in ernstem Sinnen, das weniger Andacht, als wichtige Gedanken seines Innern zu verrathen schien – starr vor sich niedersehend, seine Umgebung keines Blickes würdigte. Jetzt, am Fugger'schen Haus erhob sich sein stolzer Nacken, die schönen Augen streiften suchend an den hohen Fenstern hin, plötzlich flog ein angenehmes Lächeln über seine Züge, anmuthig grüßend neigte er zweimal das Haupt, und mit einer Morgenröthe bedeckt erwiederte Fräulein Blanka ernst und sittig den ehrenden Gruß.
»Hast Du's gesehen, Mann?« flüsterte das Weib des Leinewebers, »der hat kein kleines Aug' auf die Fugger'sche.« Ein tüchtiger Rippenstoß war seine freundliche Antwort, denn eben drängte sich ein Diener aus dem Fugger'schen Haus durch den Zug, und ging gerade auf den Meister los. »Seid Ihr nicht der Leineweber Zimmer, dem vor zwei Monden das kleine Häuschen am Werdachbrucker Thor verbrannte?«
»Ja wohl!« antwortete der Mann, und Thränen traten ihm in's Auge.
»Euer Webstuhl ist aber wieder im Gang?«
»Im Gang wäre er wohl, wenn ich Arbeit hätte.«
»Das Fräulein hat Euch hier gesehen, sie läßt Euch wissen, daß sie Arbeit auf den ganzen Sommer für Euch habe, kommt nur morgen hinauf!«
»Der Herr segne sie,« rief der freudig erschrockene Weber; doch seine Worte verhallten, denn schon waren alle drei, Frau, Mann und Diener, durch ein ungeheures, plötzlich entstehendes Gedränge von einander gerissen.
Den Zug beschließend schritt ein hohes Weib daher, in einem feinen blautuchenen Gewand, das in weiten Falten ihren Körper umfloß. Ihre Gestalt war von ungewöhnlicher Länge, aber schlank und wohlgebaut. Ihre Gesichtszüge mochten einst schön gewesen sein, doch hatten Gram oder Leidenschaften auf ihrer Stirn einen Stempel eingegraben, der die Schönheit der Formen sehr beeinträchtigte. Ihre Wangen waren eingefallen und bleich, ihr lichtblaues Auge erhob sich nur selten vom Boden, doch flog dann ein Etwas über die schmalen dunklen Braunen hin, und es schoß der Blick so scharf und treffend auf sein Ziel, daß es jedem Unbefangenen klar ward, in dieser Hülle hause ein kräftiger, männlicher Geist. Ein weißer feiner Schleier beschattete ihre Stirn, kein Haar war sichtbar, um ihren schlanken Leib wandt sich ein hänfener Strick, und die ob der Brust gefalteten Hände hielten einen kostbaren Rosenkranz von echten Perlen.
Die ganze Erscheinung war imposant und sogar noch schön zu nennen, obwohl die Frau an sechsunddreißig Jahre zählen mochte. Rings um sie und neben ihr drängte sich das Volk in Haufen, küßte ihr Gewand, flehte knieend um ihren Segen, und Hohe wie Niedere begrüßten die erhabene Gestalt mit Ehrfurcht und sichtlicher Scheu. Mit der Sicherheit, welche Gewohnheit giebt, und doch dabei mit einer Art demüthiger Unterwerfung, empfing die Gefeierte die Huldigung des Volks, und schritt dann festen Ganges dem Zug nach. Es war aber diese wunderbare Erscheinung eine Frau, Anna Laminit mit Namen, welche seit sechs Jahren zu Augsburg lebte, und im höchsten Ansehen stand wegen ihrer übernatürlichen Weissagungsgabe, wegen ihres scharfen Blickes, der Vergangenheit und Zukunft durchdrang; sie ward fast verehrt wie eine Heilige, denn ihr Leib bedurfte der Speise nicht, nie sah sie ein Sterblicher Nahrung zu sich nehmen, ein frischer Trunk Wasser täglich war die einzige Stärkung, deren ihr Körper bedurfte; mit frommer Ehrfurcht nannte sie das Volk nie anders, als: »die heilige Seherin!« und vornehm und gering fühlte sich glücklich, wenn es ihm vergönnt ward, Anna Laminit's Schwelle zu beschreiten.
»Was Ihr mir da sagt von dieser Anna Laminit, klingt seltsam, Pater Hilarius!« So sprach am andern Morgen der Erzherzog Philipp zu dem würdigen Dominikaner, der ihm eben von der heiligen Seherin erzählt hatte, was dem Leser bereits bekannt ist.
»Beliebt es Euer Kaiserlichen Hoheit, bei Höchstdero Herrn Vater anzufragen, so werdet Ihr in Erfahrung bringen, daß diese seltsame Frau mehr weiß, denn irgend ein anderes lebendes Menschenkind. Vor vier Jahren hat sie Seiner Majestät das Bündniß mit Maria Blanka Sforza von Mailand geweissagt, an welches damals noch niemand dachte, und jetzt ist Maria Blanka deutsche Kaiserin.«
»Seltsam genug, fürwahr!« sprach Philipp, mit raschen Schritten das Gemach messend.
Lauernden Blickes folgte Hilarius seinen Bewegungen; endlich stand Philipp still, wandte sich zu dem frommen Mann, und rief entschlossen: »Ich will sie sehen die wunderbare Frau, glaubt Ihr, daß auch für mich ihr Auge in die Zukunft dringt?«
»Ich werde sie fragen,« entgegnete Hilarius ernst.
»Nein, nein!« rief Philipp rasch, »das darf nicht sein, unvorbereitet soll sie mich sehen, mit verhülltem Antlitz und in einfacher Tracht; wie soll ich Vertrauen zu ihrer Prophezeihung haben, wenn sie den künftigen Kaiser in mir erkennt? Dann wäre meine Zukunft wohl leicht durchschaut. Nein, Pater, mein Wille ist, daß Ihr mich diesen Abend, sobald die Dunkelheit einbricht, zu ihr geleitet; Euer Name öffnet uns den Zutritt, das Uebrige wird sich finden, so lange aber werdet Ihr es Euch gefallen lassen, mein Begleiter auf der Wanderung durch Augsburg zu sein, wo ich das Merkwürdigste zu beschauen denke.«
Hilarius verbeugte sich schweigend; der schlaue Dominikaner kannte Philipps eignen Sinn, war er doch seit drei Jahren sein Beichtvater, und wußte daß er offenbaren Widerspruch nicht dulde; der Prinz ließ ihn nicht aus den Augen, und als endlich die Nacht einbrach, traten Beide, wohl verhüllt, den Weg nach Anna's Wohnung an.
Ein finsteres, aber geräumiges Haus nahm sie auf. Hilarius Stimme öffnete den Weg zu den Gemächern der Laminit; sie schritten durch eine Reihe schön verzierter Zimmer, welche alle von dem Wohlstande, wie von der Frömmigkeit der Besitzerin zeugten. In einem kleinen, festverschlossenen Closett befand sich die Gesuchte; erst nach wiederholtem Pochen öffnete sich die Thür, und sie traten ein in eine arme Klosterzelle, aller Bequemlichkeit, jeden Schmuckes entbehrend. In ihrem Sarge war Anna's hartes Lager, ihr Betschemel ein Stein, die einzige Zierde des Altars ein großes silbernes Cruzifix.
Ernsten Blickes trat sie den Kommenden entgegen, neigte kaum merklich vor Philipp das Haupt, und sprach dann mit feierlicher Stimme: »Warum so spät, Erzherzog Philipp? Dein Wille und Deine Gedanken sind schon seit diesem Morgen bei mir.«
Philipp fuhr zusammen, er zog rasch die verhüllende Kappe herab, und fragte mit schlecht verhehltem Staunen: »Seit wann ist mein Wille bei Dir, Anna Laminit?«
»Seit diesem Morgen zehn Uhr.«
»Woher ist Dir bekannt, wer ich bin, da ich Dir doch unter einer Verhüllung genaht?«
Anna lächelte mitleidig. »Mir ist nichts verborgen, was sich auf mich bezieht,« sprach sie in belehrendem Tone, »von der Sekunde an, wo sich eines Sterblichen Sinn mit ernstem Willen nach mir richtet, ist sein Wesen dem meinen nahe, seine Seele liegt offen vor mir, und ich lese aus seiner Brust das Schicksal seiner Zukunft, wie die Tage seiner Vergangenheit.«
»Nun denn, Du Gewaltige, zeige, daß Du keine Betrügerin bist; Deine kühnen Reden klingen wie Prahlerei, beweise mir, daß Deine geistige Kraft mit Deinen Worten stimmt.«
»Wenn Du ohne Vertrauen kommst, Erzherzog! warum bleibst Du nicht fern?« rief Anna, sich hoch aufrichtend, und trat dem schönen Jüngling einen Schritt näher. »Noch keinem, der mir in unehrerbietigem Mißtrauen nahte, hat diese Lippe sich geöffnet, seine Neugier zu stillen, und wahrlich, Prinz, auch Du zögest unverrichteter Sache von dannen, wärest Du nicht Maximilians Sohn, den allein ich achte, von Allen die da athmen; denn sein Kopf ist stark wie Salomons, und sein Herz weich wie das der schuldlosen Kinder Bethlehems; weil sein Blut in Deinen Adern rollt, spreche ich zu Dir, allzukühner Jüngling. Tritt heran!« befahl sie, ihm einen runden Stahlspiegel hinhaltend.
Von unwillkührlichem Schauer erfaßt trat Philipp hinzu, und legte auf ihr Geheiß die linke Hand mit der innern Fläche fest auf den Stahl. Eine eisige Kälte durchschauerte ihn, und nach wenig Sekunden drangen dicke Schweißtropfen aus den Poren seiner ausgestreckten Linken. Anna's Auge ruhte mit ernstem Blicke auf seinem Beginnen, indeß sie mit gefalteten Händen in italienischer Sprache ein Gebet flüsterte. Dumpfes Schweigen herrschte in dem Gemache.
»Fühlst Du noch die Kälte des Stahls?« fragte die Seherin jetzt.
»Nein!«
»So erhebe die Hand!« Philipp that, wie ihm geheißen. Seltsame unverständlich verworrene Bilder hatten sich auf der Fläche des Stahls von der heißen Hand gebildet; rasch, ehe sie verflogen, griff Anna nach dem Spiegel, sah lange hinein, und begann nun mit feierlichem Tone und begeistertem Blick: »Ich sehe auf dem Grund Deines Herzens ein leuchtendes Bild, das seine Strahlen aussendet in Deine Seele. Es ist eine Jungfrau mit goldenem Haar, und dunkelflammendem Blick, um ihren weißen Nacken spielt eine prachtvolle Kette mit Demanten, und ihre rechte Hand ruht in der Deinen. Ein leiser Druck dieser Hand hat ein Feuer in Dir entzündet, das nur die Liebe der Jungfrau löschen kann. Ich sehe diese Leidenschaft wachsen in Deiner Brust, zur mächtigen Flamme werden, die unbefriedigt das Mark Deines Lebens verzehren wird! Du gehst zu Grunde, wenn Dir nicht Gegenliebe wird!«
»Und wird mir Gegenliebe jemals werden«? fragte der Erzherzog mit bebender Stimme.
»Das Mädchen ist in heißer Sehnsucht entbrannt für Dich, doch strenge wird sie's bergen in der keuschen Brust, Du mußt beharrlich ihre Neigung Dir erringen. Blanka's Besitz muß Dir werden, oder Du wirst nimmer Kaiser sein!«
»Weib!« fuhr Philipp auf.
»Schweige, Vorlauter,« rief Anna drohend, »Du hast die Zukunft mir verscheucht! Mein Auge sah einen schöngeschmückten Sarg, doch nun vermag ich's nicht mehr, zu verkünden, wessen Hülle er umschließt!«
»Hinweg!« rief Philipp hinausstürzend, und eine schwere Goldbörse flog auf Anna's Lager. Hilarius folgte ihm schweigend, nur ein Blick noch fiel auf die Laminit zurück, es war ein glühendes Lob ihres Geistes, was aus dem Auge des Dominikaners sprach. Rasch schritt der Prinz durch die sinkende Nacht, athemlos folgte Hilarius seinen Fersen, endlich, auf einem freien Platz angelangt, stand Philipp plötzlich still. »Wie sprach die Seherin? Ohne ihren Besitz würde ich nimmer Kaiser sein?« sprach er jetzt, zu seinem Begleiter sich wendend, mit lauter Stimme.
»So war's!« entgegnete jener leiser; »mäßigt Eure Stimme, gnädigster Herr, mich däucht, es schleiche uns ein Schatten in der Ferne nach.«
Philipp fuhr sehr leise fort: »Was Ihr vernommen, Pater, verwahrt's auf dem Grund Eurer Seele, als sei es Euch unter dem Siegel der heiligen Beichte vertraut.«
Hilarius legte betheuernd die Hand auf die Brust: »Ihr kennt mich, erhabener Herr!«
»Weil ich Euch kenne, bin ich ruhig über das, was heute geschah; von nun an kein Wort mehr davon zwischen uns; für jetzt und immer sei diese Sache abgethan.«
»Wie Ihr befehlt!« entgegnete unterwürfig der Mönch. Doch seine Blicke zeigten klar, wie fest die Ueberzeugung in ihm wurzle, daß wohl noch manches Wörtlein in dieser Sache den Lippen seines fürstlichen Beichtkindes entschlüpfen werde.
Der Prinz aber warf sich noch gegen Morgen ruhelos auf seinem Lager hin und her, und die Worte: »Blanka's Besitz muß Dir werden, oder Du wirst nimmer Kaiser sein!« hallten wie dumpfe Donner durch seine geängstete Seele.
Ulrich von Fugger war der thätigste Schützer aller Künste und Wissenschaft in Augsburg; mittellose junge Leute, welche Anlagen zeigten, wanderten mit seinem Gelde in die Fremde, um als nützliche Staatsbürger, als Künstler und gelehrte Leute wieder heimzukehren.
Alles, was von Künstlern in damaligen Zeiten irgend Namen hatte in Deutschland, wandte sich an die Fuggers, und besonders an Ulrich, welcher von den drei Brüdern am meisten Schönheitssinn zeigte. So geschah es, daß die Bilder Albrecht Dürers häufig durch Ulrichs Hand gingen, besonders in der ersten Zeit seines Wirkens, und daß er, was er nicht selbst behielt, nach Italien sandte, um dem Meister den höchstmöglichen Preis dafür zu verschaffen.
Eben waren zwei prächtige Bilder Dürers angekommen, und in Ulrich Fuggers Gemäldesammlung aufgestellt; die Kunstfreunde Augsburgs strömten zusammen, um Dürers Werke zu schauen, und das Fugger'sche Haus ward nicht leer von Neugierigen und Kunstverständigen. Nur immer gegen die Mittagsstunde zertheilte sich der Schwarm, und dies war die Zeit, wo Blanka hinüber ging nach dem prächtigen Saal, um sich an dem Anblicke der Bilder zu weiden.
Es war um die zwölfte Stunde Vormittags, als Blanka, in tiefe Gedanken versunken, auf einem der seidenen Tabourets des Bildersaals saß, und unverwandten Blickes an einem Gemälde hing, welches das stolze Venedig in all seiner Pracht dem Auge enthüllte. Ein starkes Geräusch, welches sich jetzt im Vorgemach erhob, weckte sie aus ihren Träumen, sie wandte das Haupt nach der Thür, und herein trat mit fürstlichem Anstande Erzherzog Philipp im Geleite ihres Vaters und zwei stattlich geputzter Herren vom Hofe.
Nur einen Augenblick lang sah Blanka verwirrt zur Erde, dann erhob sie sich, und schritt mit all dem Anstande, der ihre hohe Gestalt schmückte, dem fürstlichen Jüngling entgegen.
»Verzeiht, mein holdes Fräulein,« sprach Philipp, mit anmuthiger Verbeugung ihr näher tretend, »verzeiht, daß wir Eure Einsamkeit stören. Euer Herr Vater versprach uns in die heitre Welt einzuführen, welche sein Kunstsinn um sich schuf, und wir erwählten diese Stunde, um uns ungestört all der Herrlichkeiten freuen zu können.«
Blanka verneigte sich tief, ohne zu antworten, und wollte sich entfernen.
»Wie, Ihr gedenkt uns zu verlassen,« sprach Philipp, rasch ihre Hand ergreifend. »Nicht doch, Fräulein, weilt noch,« fügte er flehend hinzu, und die sanfte, wohlklingende Stimme, mehr aber noch der glühende Blick der schönen Augen drang bis in Blanka's Herz. Sie stand unentschlossen still, da trat auch der Vater hinzu, und gebot ihr, zu verweilen.
»Bist Du doch in der Kunstwelt zu Hause, mehr denn irgend ein Maler dieser Stadt, und so magst Du diesen edlen Herren zur Führerin dienen.« So sprach der Herr von Fugger.
Blanka begann nun unbefangen ein heiteres Gespräch, in welches sie nach und nach die ganze Gesellschaft verwickelte, mit weisem Sinn und großer Sachkenntniß führte sie den Erzherzog von einem Bild zum andern, aber immer so, daß der Eindruck des früher Gesehenen dem Folgenden nicht schaden konnte. Allmählig entwickelte sich, während sie sprach, ihr gebildeter Geist, die Klarheit ihrer Seele, und der tiefe, durchdringende Verstand, welcher, ohne sich prunkend zu zeigen, dennoch unwillkührlich jedes Wort durchstrahlte. Ihre Rede war einfach und bescheiden, ohne falsche Ziererei und geheuchelte Sittigkeit, welche man in den damaligen Zeiten nur allzu häufig fand; ihr dunkles feuriges Auge suchte nicht den Boden, so oft es einem männlichen Blick begegnete, wie es der Gebrauch eigentlich von einer ehrbaren Jungfrau forderte, es schaute festen Blickes jedem in's Antlitz, ja es strahlte oft in mildem Feuer, wenn die Flamme der Begeisterung in ihr aufschlug, und dennoch war das ganze Wesen so jungfräulich, sittsam und zart, daß die Männer in ehrerbietiger Scheu der schönen Führerin folgten.
Jetzt plötzlich ergriff Blanka des Erzherzogs Hand, zog ihn vor ein Gemälde, und rief mit glänzendem Blick: »Beliebt es Euer Kaiserlichen Hoheit, so richtet Euer Auge auf dies Bild von Leonardo da Vinci, es ist der größte Schatz, den unser Haus zu zeigen hat.«
Ein fester Druck seiner Hand, und die halb leise gesprochenen Worte Philipps: »Der herrlichste Schatz dieses Hauses steht an meiner Seite, und mein Auge sieht ihn mit Entzücken!« überströmte Blanka's Antlitz mit einer dunklen Schaamröthe, welche ihre Stirn bis unter die lichten Goldlocken bedeckte, leise zog sie ihre Hand aus der des Prinzen, ihre Unbefangenheit, das arglose Vertrauen war hin, sie sprach von nun an wenig mehr, ihr Blick hing fest an den Bildern, und nur selten flog er im Gespräch nach ihrem Vater hinüber, ohne den Prinzen zu berühren.
Dieser stand in düstrem Schweigen versunken, und mühte sich nur wenig, seine Verstimmung zu verbergen; allzu tief empfand er es, daß er zu weit gegangen war, und als sich nun Blanka mit einer ehrerbietigen Verbeugung entfernte, geleitete er sie bis zur Thüre des Saals, und flüsterte nur ihr verständlich: »Zürnt nicht, Blanka!« Noch einmal verbeugte sie sich tief, ihr Auge begegnete dem seinen, und es war, als sage ihm der Blick: »Ich zürne nicht!«
Sie war verschwunden, und den Stachel tiefer in der Brust als je, verließ der Prinz das Haus.
Blanka schwebte leichten Schrittes nach ihrem Closett hinauf. Noch lagerte die Morgenröthe der Schaam auf ihrem holden Antlitze, ihr Herz pochte hörbar, und athemlos sank sie auf einen Stuhl, die heiße Stirn in die Hand bergend.
»Herr Gott!« rief Dore, in's Zimmer stürzend, »heute kommt Glück und Ehre in's Haus. Der allergnädigste Erzherzog war hier, zu Haufen standen die Leute auf der Straße und gafften unser edles Haus an, dem solche Ehre widerfährt; ach, es ist aber auch ein bildschöner junger Herr, der brauchte beim Himmel kein Erzherzog zu sein, um mir zu gefallen. Nein, und wie Ihr so dahin schrittet durch den Bildersaal an seiner Seite, da saht Ihr so stolz und gleichgültig zu der hohen Ehre aus, als wenn Ihr zu so was geboren wäret; wir standen alle oben auf der Gallerie, und lugten in den Saal, da meinte die alte Annamarei, Eure Amme, das wäre ein recht stattliches Paar.«
»Ihr seid wohl alle verrückt geworden hier im Hause,« fuhr Blanka unwillig auf, »daß Ihr solche Thorheit schwatzt. Und Du, Dore, solltest Dich schämen, so vom Erzherzog zu reden, Dir soll kein Mann gefallen, als Dein wackerer Bräutigam, der redliche Tischlergeselle Anton.«
»Ja, Ihr habt gut reden,« entgegnete Dore weinerlich, »der ist jetzt weit von hier auf der Wanderschaft, und ganz und gar kann man doch nicht für andere Mannsleute erblinden, wegen des vielleicht hundert Meilen entfernten Herzliebsten. Glaubt Ihr, solches Männervolk denkt tagtäglich an unsereins?«
Blanka erglühte auf's Neue, und trat rasch zu ihrer Arbeit, um den allzu treuen Spiegel ihrer Seele, die funkelnden Augen, zu verbergen. Eben hatte sie die Nadel erfaßt, als Dore geschwätzig fortfuhr: »Ach Herr Jemine, das hätte ich bald vergessen, das Wichtigste kommt erst nach; denkt, vor einer Stunde ist ein Bote aus Venedig eingetroffen, der Nachrichten bringt von dem abenteuerlichen Unternehmen in die neue Welt.«
»Wie,« rief Blanka aufspringend, und in raschem Stoß flogen Stickrahmen und Seidenröllchen bunt nach allen Winkeln, »wo, wo ist der Bote?«
»Gott steh' uns bei,« schrie Dore erschrocken, den Rahmen aufnehmend, der auf eine Stuhlecke gefallen war, »da seht, die heilige Blanka, Eure Schutzpatronin, hat ein Loch in den Kopf bekommen.«
Doch Blanka hörte und sah nicht, geflügelten Schrittes eilte sie hinaus, die Treppen hinab, und trat nach wenig Sekunden athemlos in die goldene Stube. Ulrich Fugger's Schreibstube war zu Augsburg wegen ihrer prächtigen Ausstattung und des ungeheuern Verkehrs in Gold nie anders genannt, als die goldene Stube, ein Name, welcher ihr über ein Jahrhundert blieb.
Die Schreiber und Buchführer des Hauses sprangen in scheuer Ehrerbietung auf, und trauten ihren Augen kaum, die herrliche Tochter ihres Prinzipals mitten unter sich zu sehen, ein Ereigniß, dessen sich Keiner von ihnen versehen hatte. Blanka schritt durch den Saal auf das vergitterte Behältniß zu, worin der Hauptbuchführr hauste.
»Herr Simmerlein,« sprach sie rasch eintretend, »ist's wahr, sind Nachrichten über unsre Schiffe eingetroffen, die nach der neuen Welt gingen?«
Blanka war so eilig, daß der zierliche Hagestolz in seinem Schreck das Ohr vergebens suchte, hinter welches er die Feder postiren wollte. Fassungslos erhob er sich von seinem Sitze, und stammelte: »Welch ein seltenes Gl–«
»Ach, lieber Herr Simmerlein, werthgeschätzter Freund,« flehte Blanka, »antwortet mir doch, denkt, daß ich aus meinem mütterlichen Vermögen auch 2000 Dukaten zu dem Unternehmen hergegeben habe.«
»Nun ja doch!« schmunzelte der redliche Buchführer, und sein altes Antlitz strahlte wie in hochzeitlicher Wonne, »ja doch, es sind Nachrichten da, gute, köstliche Nachrichten, die Augsburger sind schon alle in Venedig eingetroffen, unser Haus gewinnt mehr denn 20,000 Dukaten mit diesem einzigen Streich, und Ihr mit, verehrtes Fräulein.«
»Und die Venetianer?« fragte Blanka gespannt.
»Die sollten höchstens drei Wochen später eintreffen,« entgegnete Simmerlein kopfschüttelnd, »sind aber noch nicht da!«
»So?« hauchte Blanka? kaum vernehmlich, ihre Wange war verblaßt, sie sah nach der Seite, da fiel ihr Blick auf einen prächtigen Käficht. Ein herrlicher Vogel, geschmückt mit allen Farben des Regenbogens, in der Größe einer Henne, mit gebogenem Schnabel, und einem glänzend rothen Schweif, spreitete gemächlich die breiten Fittiche, und mit einem Ausruf des Erstaunens flog Blanka zu dem Käficht.
»Ja, das ist für Euch, edles Fräulein; der Bote aus Venedig gab das Thier hier für Euch ab, es ist auf den Augsburger Schiffen mitgekommen aus Amerika, und ward eigens dort für Euch erkauft, es ist ein Papagei, wie Ihr seht, und der erste Vogel solch' seltener Art, den man in unserer Vaterstadt lebendig erblickt.«
Blanka ließ das schöne Thier sogleich nach ihrem Gemach bringen; ohne weiter eine Sylbe zu sprechen, verließ sie die goldne Stube, und stand in ihrem Closett noch lange mit bleichen Wangen und trübem Blick vor dem prächtigen Vogel.
Dieser sah mit klugen Augen zu der hehren Jungfrau auf, drehte den bunten Kopf zehn Mal hin und her, fing endlich an leise mit der Zunge zu schnalzen, und rief plötzlich mit lauter Stimme: »Antonio!«
Blanka fuhr entsetzt zusammen, und starrte scheu das wunderbare Thier an, dieses aber ließ sich nicht stören, sondern schrie in einem fort: »Antonio, Antonio!«
»Antonio!« rief endlich Blanka, tief erschüttert, »Antonio, wo bist Du, wo weilest Du?« Und gewaltsam stürzte Strom glühender Thränen aus ihren Augen, das gepreßte Herz wohlthuend erleichternd.
»Ich muß es wissen, was mit ihm ist, ich muß meine gefolterte Seele erleichtern, muß Licht erhalten über den Widerspruch, der mein Herz zerfleischt!«
So sprechend hüllte sich Blanka am Abend dieses Tages in einen dunklen Schleier, löschte die Lichter in ihrem Gemach, und befahl Doren, ihr zu folgen. Dore wußte schon, wohin der Weg ging, öfter hatte sie ihr Fräulein auf diesem Pfad geleitet, und schweigend trippelte sie hinter der Eilenden her.
Unaufhaltsam flog Blanka dahin; bald war sie am Ziel, und das finstere Haus der Laminit nahm sie auf, nach wenig Minuten stand sie vor der geheimnißvollen Frau. »Blanka von Fugger, was führt Dich zu mir in finstrer Nacht?«
»Ach, heilige Seherin,« rief Blanka, ihre Hände mit Küssen und Thränen netzend, »ich fürchte, die Tage des Trübsals, welche Du mir zeigtest im Spiegel meiner Zukunft, sie sind angebrochen!«
»So hast Du Dein schwaches Herz nicht losgerissen von den Banden einer sündigen Liebe?« Blanka's Augen hoben sich mit langem fragendem Blick, und weilten auf den strengen Zügen Annens.
»Sündig?« fragte sie endlich, und eine hohe Röthe überzog ihr Gesicht, »die Liebe, welche ich im Herzen trage, ist rein, rein, wie der Sonnenstrahl, den die ewige Liebe zur Erde sendet; die Sünde hat noch keine Bahn gefunden in meine Brust.«
»Und dennoch,« wiederholte die Laminit, »ist eine Liebe sündig, die Du verbergen mußt vor dem Blick eines gütigen Vaters. Wenn Deine Seele rein, warum verbirgst Du ihren Grund?«
»Ich bin nicht gekommen, Euch Rechenschaft über die Gefühle meines Herzens zu geben,« sprach jetzt Blanka stolz, in plötzlicher Veränderung von Miene und Ton, »ich wollte Euch auffordern, mir noch einmal Eure Augen zu leihen, die Nacht der Zukunft und der Vergangenheit zu durchdringen; zweimal habt Ihr mir diese Gunst gewährt, und immer war Wahrheit auf Euren Lippen – wollt Ihr's zum drittenmal?«
Anna kannte diesen Geist, aus Stolz und Milde, aus Herzensgüte und Eigensinn wunderbar gemischt, zu gut, um ihren Zorn zu reizen.
»Nur einmal noch kann ich die Zukunft Dir verkünden. Du weißt es, kein Sterblicher darf mir zum viertenmal mit dieser Bitte nahen – überlege.«
»Ich habe überlegt! Nur jetzt verlangt mich's nach Gewißheit, ich fordere sie zum letztenmal in meinem Leben.«
»Wohlan, so tritt herein!«
Knarrend öffnete sich eine verborgene Thüre in Annens Zelle, und sie traten ein in ein finsteres, schwarzbehängtes Closett. In weiten Falten rauschte ein dunkler Vorhang von der Decke nieder, eine kleine Lampe erhellte kaum merklich den unheimlichen Raum, und mit leisem Frösteln ließ sich Blanka auf einem Tabouret nieder, das inmitten des Gemaches stand. Anna legte ihre Hände auf Blanka's Brust, und sprach ein Gebet über sie, dann flüsterte sie leise: »Lege Dein Haupt an mein Herz, Blanka Fugger, und richte Deinen Willen fest auf den Wunsch, Deine Zukunft zu schauen.« Blanka that, wie ihr geheißen. Jetzt durchdrang ein betäubender Wohlgeruch den kleinen Raum, eine sanfte Musik ertönte, und die Hände fest auf Blanka's Stirne pressend, sprach Anna leise: »Sieh!«
Blanka starrte nach einer Stelle an der Wand, die sich nach und nach wunderbar erhellte; es war ein großer Spiegel, von dessen Mitte das Licht auszugehen schien. Immer heller und heller ward's auf seinem Grund, jetzt erkannte Blanka schaudernd die eigene Gestalt. Ein Purpurmantel umfloß ihre Schultern, in fürstlicher Pracht glänzte ihr Gewand, sie saß auf einem Thron, und zu ihren Füßen kniete eine männliche Gestalt; die Züge wurden immer deutlicher, es war Erzherzog Philipp; er zog einen Ring vom Finger und schob ihn an Blanka's Hand, in selbem Augenblick erhob sich hinter der Gruppe Maximilians Gestalt, und drückte eine Krone auf Blanka's Haupt. Diese aber schrie in wildem Entsetzen laut auf: » Die Kaiserkrone?«
Und schnell war das Bild verschwunden, dunkle Nacht umhüllte das Gemach.
»Unvorsichtige!« sprach Anna verweisend.
»Was war das?« fragte Blanka, wie aus einem Traum erwachend.
»Ich stehe staunend, wie Du selber. Blanka Fugger!
zu großen Dingen bist Du ausersehen, denn in der Zukunft strahlet Dir ein Thron, und eine Kaiserkrone wird Dein Haupt einst zieren.«
»Unmöglich!« rief Blanka in zweifelndem Erstaunen.
»Bei Gott ist nichts unmöglich; er macht Könige aus Hirten, er kann die Tochter Ulrich Fuggers auf den Kaiser-Thron erheben; wenn dies sein weiser Rathschluß also hat beschieden, muß Philipps Herz in Liebe für Dich entbrennen, und alle Hindernisse müssen schwinden.«
Wie von einem Blitzstrahl berührt, saß Blanka lange regungslos. Tiefe Stille herrschte in dem Gemache, Anna's Blicke ruhten unverwandt auf ihrer Stirne, und unverhüllt, wie in einem Spiegel, zogen die Gedanken der Jungfrau ohne Worte an ihrem scharfen Auge vorüber; sie sah, wie die giftige Saat Wurzel schlug in dem aufgeregten Gemüth, wie sie wuchs und üppig wucherte, wie die gereiften Halme emporschossen zur Erndte, und schon griff sie im Geiste nach dem Eisen der mähenden Sichel, als sie Blanka's leidenschaftlicher Ruf: »Die Vergangenheit laß mich schauen!« aus ihren Träumen weckte.
Und wieder begann sie das vorige Spiel, wieder betäubte Wohlgeruch die Sinne der Jungfrau, und der Grund des geheimnißvollen Spiegels begann sich zu lichten. Doch es war ein anderes Licht, als das vorhin; es war das alles verklärende Auge der Sonne, welches auf eine paradiesische Gegend niederlachte. Breitblättrige Palmen spreiteten schattend die grünen Aeste, Blumen, wie sie Blanka's Auge nie erschaut, wucherten in köstlichem Farbenspiele auf dem lichten Plan, auf Tamarinden und Kokoszweigen wiegten sich bunt befiederte Vögel, im hohen Grase ringelte sich die glänzende Schlange, Affen hüpften von Ast zu Ast; mit klugen Augen schaute die Gazelle hinter blühenden Sträuchern hervor, stolzen Schrittes zog der prächtige Strauß Der Vogel Strauß ist allerdings nur in Afrika und auf der arabischen Halbinsel zu finden, nicht jedoch in der »neuen Welt«. [ D.Hrsg.] einher, und tief versteckt aus dem Gebüsche hervor funkelte das Auge des grimmigen Tigers. Ein breiter Fluß wälzte lautlos seine frischen blauen Wellen durch das grüne Leben rings um, und in staunendem Entzücken sah Blanka's Auge dies nie gesehene Schauspiel sich mehr und mehr entfalten. » Die neue Welt!« flüsterte sie kaum hörbar in sich hinein. Da erhob sich im Vorgrunde ein grüner Hügel, sich mehr und mehr zu einem Grab formend. Eine wohlbekannte Gestalt kniete weinend am Fuße desselben, aus der Mitte des Hügels wuchs langsam ein Kreuz empor, ein Name ward sichtbar, immer heller flammten die Zeichen, mit weit vorgebeugtem Körper starrte Blanka danach hin, jetzt schrie sie plötzlich laut auf: »Antonio!« und sank besinnungslos auf den Estrich des unheimlichen Closetts.
Acht Tage waren verstrichen seit jenem Abend bei der Laminit. Mitternacht des neunten Tages war vorüber, als auf der Domprobstei, wo der Kaiser Hof hielt, eine finstere Gestalt mit flüchtigen Sohlen durch die vielverschlungenen Gänge schlich, sich achtsam nach allen Seiten umsah, und nun plötzlich vor einer Thür stehen blieb. Lauschend neigte sie hier das Ohr zum Schloß, endlich faßte sie die Klinke, und trat rasch ein in ein beleuchtetes, schön verziertes Gemach.
»Wer da?« rief Pater Hilarius, von seinem Studiertische aufspringend.
»Wer sonst, als ich?« sprach Anna Laminit mit gedämpfter Stimme, und warf den dunkeln Mantel von sich, der sie umhüllte, »wer naht wohl in der Geisterstunde, als Eure treu ergebene Magd?«
Raschen Trittes eilte der Pater auf sie zu, zog sie zu einem Tabouret, und in einem Blicke, in einem Tone all die Neugier zusammendrängend, welche ihn peinigte, fragte er eilig: »Nun?«
»Nun?« entgegnete Anna Laminit gedehnt. »Nun, Herr Pater? Ihr begreift meinen Besuch nicht? Ich komme, meinen Lohn von Euch zu fordern!«
»Das wäre es allein? Um schnödes Gold hättet Ihr es unternommen, mich hier aufzusuchen, wo Ihr Alles wagt? Wie stünde es um den Ruf Eurer Heiligkeit, wenn man Euch hier fände, Anna?«
»So schlimm als um den Ruf Eurer Ehrbarkeit, Pater, wenn das geschähe.«
Rasch trat sie zur Thür, und schob mit kräftiger Hand den Riegel vor, dann ging sie zum Tabouret zurück, ließ sich nieder, und fuhr fort: »Doch dies wird nicht geschehen. Erstlich ist der Hof bei dem großen Mahl, welches die übermüthigen Patrizier in toller Verschwendung Euren Fürsten auftischen; vor drei Uhr Nachts kehren sie nicht heim, und zweitens denke ich, daß Ihr, hochwürdiger Herr, zu dieser Stunde keinen andern Besuch erwartet, als den Meinen.«
»Nun denn, was bringt Ihr mir?«
»Ich wiederhole es Euch, ich bringe nicht, ich gedenke zu holen!«
»Doch nicht den Lohn?« fuhr jetzt der Hochwürdige in schlecht verhehltem Aerger auf. »Ist das Werk gethan? geht es nicht so langsam von statten, daß die Räder bald ganz stille stehen werden, findet sich nicht schnell eine kräftige Hand, sie in neue Bewegung zu setzen! Ihr seid beim Himmel lässig genug.«
»Ich bin lässig, Pater? Laßt doch die scherzhaften Redensarten in dieser Stunde, welche Ernst verlangt. Wer hat Euch das schöne Werkzeug zu Euren Planen gezeigt, wer das Gift in Philipps Herz geworfen, wer die stolze Seele des kühnen Mägdleins mit riesigen Gedanken erfüllt, die bald jede andere Idee in ihr verdrängen werden, wer als ich? Langsam ginge das Werk? O Ihr Kurzsichtigen, so wenig kennt Ihr Weiberherzen! Hängt nicht Blanka's Auge in stillem Sinnen an dem Erzherzog, senkt es sich nicht zu Boden, so oft sein Blick den ihren trifft? Sobald das Weib das Auge senkt, hat der Mann gewonnen Spiel, dann sitzt sein Bild auch schon in ihrem Herzen!«
»Doch sie flieht den Erzherzog, durch vier Tage sah man sie nicht, und als sie endlich wieder zum Vorschein kam, mit bleichen Wangen und ernster Stirn, da schien sie den fürstlichen Bewerber kaum zu gewahren; was ist in dieser Zeit mit ihr geschehen?«
»Das ist mein Geheimniß,« sprach Anna fest, »und Euch gleichgültig, wenn's nur zum Ziele führt; nicht also?«
» Wenn, ja dies ist die Frage! Uebermorgen reisen wir, und findet keine Erklärung statt, die ihn bindet, so haben wir nutzlos ein Feuer angeschürt, das am Ende uns allein verzehrt.«
»So schlimm soll's, wie ich denke, nicht werden! Doch,« so meinte Anna schlau, und ein lauernder Blick flog über des Paters Züge hin, »müßt Ihr allerdings die Gefahr besser kennen, wie ich, da Ihr das Werk begonnen, in welchem ich Euch dienen muß, ohne den Zweck des Spiels zu kennen.«
»Ich habe Euch entdeckt, was Euch zu wissen nöthig.«
»Nicht vollkommen so! Oftmals habe ich dem Orden gedient, Ihr kennt mich, und so sandtet Ihr mir aus Wien ein heimliches Schreiben zu, des Inhalts: daß Ihr nächstens mit dem Hof nach Augsburg kämet, daß ich Euch eine Jungfrau nachweisen möge von guter Herkunft, untadelichem Ruf, von seltener Körperschöne und ungewöhnlichem Geistesreichthum. Dies leichte Freundschaftswerk vertrautet Ihr meiner Hand; es sollte ein Weib sein, mächtig genug, Euer fürstliches Beichtkind in süße Liebesbande zu verstricken und festzuhalten. Solch eine Jungfrau war allein die reizende Blanka Fuggerin, ich schaffte Euch ein Mittel, sie zu sehen, wie sie noch keines Mannes Auge erblickt, im vollen Zauber all der Reize, die Unschuld im Bund mit Schönheit erzeugt, und seit jenem Augenblick fördere ich das Werk nach Eurem Willen, mit all der Kunst, die meinem Geiste zu Gebote steht! Dies ist es, was ich weiß.«
»Nun, ist es nicht genug?« fragte stolz der Pater, »Ihr thut nach meinem Willen, und meine Hand leitet die Fäden des Gespinnstes.«
»Mit majestätischem Anstand erhob sich jetzt Anna von dem Tabouret, ihre rechte Hand stützte sich auf den Tisch, an welchem Hilarius saß, ihre Linke faßte kräftig die Seine, und mit einem Blick, vor dem der stolze Geistliche erbebte, sprach sie nun: » Eure Hand soll das Gewebe leiten, und ich nichts sein, als das Weberschifflein, dessen Ihr Euch bedient, bis all die Grabesblumen dem Gespinnste eingeflochten, um es alsdann zu anderem überflüssigen Gerülle in irgend einen Klosterkeller zu werfen? Nein, Hochwürdiger, solches ist nicht nach meinem Behagen; wozu Anna Laminit die Hand reicht, dabei will auch ihr Kopf sein. Wißt, noch niemals diente sie fremden Planen, stets waren es die Eingebungen des eignen Geistes, denen sie Folge leistete. Auch diesmal denke ich anders nicht zu thun. Ich kann viel Pater, sehr viel; laßt mich wissen, zu welchem Zwecke ich handle, und ich bin Eure Mitverschworne, die Euch sicherlich zum Ziele leitet, wo nicht, so seid gewärtig, daß ich mein Werl zerstöre, so künstlich wie ich es begann. Oder – haltet Ihr Anna's Seele zu klein, ihr zu vertrauen?«
Mit Blicken, in denen Scheu vor der Ehrfurchtgebietenden und Zweifel lagen, was er beginne, sah Hilarius zu dem Weibe auf, das noch immer vor ihm stand, hoch aufgerichtet, gleich einer Fürstin, die Erfüllung ihres Befehls erharrend. Endlich sprach er unschlüssig: »Anna, Ihr wißt, ich kenne Eure Lebensgeschichte, ich weiß, welch ein Verbrechen Eure Bahn bezeichnet; wie mögt Ihr's wagen, also zu mir zu sprechen?«
»Ich weiß,« entgegnete Anna kalt, »Ihr kennt meine Bahn; doch will mich's bedünken, Hochwürdiger, Ihr wißt nicht, daß ich gar pünktlich unterrichtet bin, an welcher Krankheit Euer würdiger Vorgänger im Amte, der wackere Erzieher Philipps, starb.«
Der Pater erblaßte sichtlich, seine Züge veränderten sich, unwillkührlich winkte er ihr, zu schweigen. Eine lange Pause entstand, endlich klärte sich seine Stirne auf, er faßte Anna's Hand, zog sie wieder auf's Tabouret, und begann geheimnißvoll also: »Nun denn, so möge jeder Schleier fallen zwischen uns, so mögt Ihr es denn durchschauen das Werk, das wir zum Heil der Kirche unternommen, Euer Geist ist männlich und stark, Ihr könnt der Sache nützen, und so soll sie für Euch nicht länger im Dunkel schweben. Ihr kennt des Kaisers Sinn, er geht eigensinnig, selbstständig seinen Weg, verachtet die Rathschläge des heiligen Ordens, wenn sie ihm nicht frommen, die Kirche ist nicht seine Mutter, die ihm gebeut, wie sie es andern Fürsten war, sie ist ihm eine Tochter nur, ein unmündiges Kind, das er leiten will, statt geleitet zu werden. Und indeß Ferdinand und Isabella die Hauptstütze des ersten Thrones der Christenheit in dem edlen Torquemada suchen, und der Glanz des Ordens in Spanien täglich steigt, sinkt hier unser Ansehen durch die Hoffarth Maximilians. Vergebens versuchten wir Alles, er bleibt in stolzer Verirrung seinen gottlosen Grundsätzen treu, und in Philipps eignem Sinn erwächst der Kirche, wenn man ihn gewähren läßt, noch eine schwächere Stütze, als im Vater. Deshalb kommt alles darauf an, ihn mit einem starken Band an den Orden zu fesseln, ihn ganz in unsre Hand zu bringen. Welches Werkzeug aber wäre dazu geeigneter, als ein reizendes Weib? Zum Wahnsinne muß seine Liebe gesteigert werden, zum höchsten Punkt der Raserei, dann zeigt man ihm die Möglichkeit des Besitzes, man traut ihm heimlich die Geliebte an, das fürchterliche Geheimniß liefert ihn in unsre Hände, unsre Macht und List allein vereitelt dann jede Verbindung, die der Kaiser für den Sohn zu knüpfen denkt; so in ewiger Angst erlahmt sein Geist, seine Kräfte erschlaffen, er überläßt es uns, den schweren Kampf für ihn zu kämpfen; der Orden siegt, die Zügel fallen nach Maximilians Tod in unsre Hand – und wird uns einst die bürgerliche Gattin zu viel, so mag sie sanft hinüber schlummern in ein besseres Leben.«
»Ja, jetzt begreife ich Euch,« sprach Anna mit funkelndem Blicke, »dieser Plan lohnt wohl der Mühe, er ist groß und kühn; einen Kaiser einst am Gängelband zu leiten, ist ein schönes Ziel; Ihr sollt's erreichen, hier ist meine Hand, und auch mein Vertrauen, hört! – Ich hatte von Blanka's Stolz, der weiblichen Eitelkeit der Jungfrau allzuviel gehofft. Wohl beendete sie der Glanz, der aus der Zukunft ihr entgegen schimmert, doch schwerer ist das Werk, als ich je geahnet, denn die Seele des Mädchens ist groß! Wißt, sie liebt.«
»Wie?« rief der Pater erschreckt.
»Bleibt ruhig,« fuhr Anna beschwichtigend fort, »es ist nicht die erste Liebe, welche meiner Macht weichen mußte, auch hier will mich's bedünken, die rechte Bahn erwählt zu haben. Es war zu Anfang des verflossenen Jahres, als ein junger Mann, mit Namen Antonio Volteggi, aus Italien hier ankam. Er war eines reichen Handelsherrn Sohn zu Venedig, und von seinem Hause an die Fuggerischen abgesandt, um diese zum Antheil an einem großen Unternehmen aufzufordern, das, wie Euch ja bekannt, mehrere Kaufleute nach der neuen Welt wagten. Die Fuggers und andere reiche Patrizier hier gaben große Summen, und nach vier Wochen Aufenthalt zog der Antonio nach seiner Heimath, um die Schiffe auszurüsten, selber an die Spitze der Unternehmung zu treten, und muthig hinüber zu segeln nach dem wunderbar herrlichen Lande. Mit stolzen Hoffnungen verließ er Augsburg, denn der feurige Italiener, in jugendlicher Manneskraft blühend, hatte den größten Edelstein allhier errungen, Blanka's Herz. Wohl kannte die Jungfrau den eisernen Sinn ihres Vaters, doch die Liebe kennt kein Gesetz, als ihr eignes. Unter jenem Kastanien-Baume, wo Ihr sie zuerst erblicktet, stand ich manche Viertelstunde lang tief verhüllt, und das liebende Paar ahnete nicht, daß es belauscht wurde. Leicht wie ein Vogel hing Antonio in den dunklen Zweigen, und die Jungfrau streckte sehnsüchtig die weißen Arme zu ihm hinüber, sich weit aus dem Fenster neigend. Da vernahm ich's, wie er mit glühenden Hoffnungen ihr Herz in süße Träume wiegte; er wollte mit hinüber ziehen in die neue Welt, Schätze wollte er auf Schätze häufen, daß er rückkehrend einst vor den stolzen Fugger hintreten möge, sprechend: Sieh, ich bin reicher, als Du, ich kann werben um die Hand Deiner Tochter. Wenn nun die Jungfrau bänglich an des Vaters Stand erinnerte, so meinte Antonio: Hat ihn der Kaiser auch in den Adelstand erhoben, ist auch seine Schreibstube die goldene benannt, so ist und bleibt's doch immer eine Schreibstube, und Dein Vater ist Kaufherr, wie der meine. – Mit solchen und ähnlichen Redensarten täuschten sich die jungen Leute, und Antonio's Bild blieb zurück in Blanka's Seele. Die reichsten Freier wies sie kalt von sich, und der Vater sah es geduldig an, denn ihn verlangte nicht sehr darnach, seine einzige Tochter zu verlieren. Ein langes Jahr verstrich, von Antonio kam keine Kunde, wohl aber Euer Auftrag; wie ich ihn befolgt, ist Euch bekannt. Viel rechnete ich auf des Mädchens Jugend, viel auf den Glanz des Freiers, am meisten aber auf ihren festen Glauben an meine Seherkraft. Ein Gefühl, das Anker schlägt in einer siebzehnjährigen Brust, erfaßt noch allzu weichen Grund, und ein Jahr der Trennung ist sehr lange, besonders wenn's das achtzehnte ist. Dazu kam noch des Prinzen schnell erwachte Neigung, der Zufall spielte meisterlich mit uns dasselbe Spiel, ja selbst das Mägdlein fing an, die verschlossene Seele zu öffnen, und es zogen gereizte Eitelkeit und geschmeichelter Stolz mit vollen Segeln ein. Da kommt, was ich längst gefürchtet, Botschaft von den Augsburger Schiffen, die alle reichbeladen in Venedig eingetroffen, doch die Venetianer waren noch nicht zurück. Die Angst um den Geliebten facht das Feuer der schon halb erloschenen Liebe auf's Neue an, sie eilt zu mir, und findet in meiner Zelle eine Zukunft von Eurer, eine Vergangenheit von meiner Erfindung; dort eine Kaiserkrone, hier Antonio's Grab. Mit der Gewißheit, daß ihr der Geliebte todt sei, verläßt sie mein Haus; ohne diese List wäre uns nie das Werk gelungen.«
»Vortrefflich, Anna,« sprach der Pater heiter, »Ihr verdient die Ehre, ein Werkzeug des Ordens zu sein, mehr noch, Ihr verdient unser Vertrauen. Doch nun?«
»Nun ist alles verloren, wenn der Arm des Ordens nicht bis Valencia reicht.«
»Er reicht dorthin, er reicht noch weiter, Kurzsichtige,« sprach der Pater triumphirend, »berichte mir aber erst, zu welchem Zweck?«
Mit einem kaum merkbaren Lächeln, in welchem die Gewißheit lag, mit der Anna diese Antwort erwartet hatte, fuhr sie fort: »Umstände, die zu weitläufig sind, um sie Euch jetzt zu enthüllen – genug, daß ich sie kenne, bestimmten Antonio auf seiner Rückkehr nach Europa im Hafen von Gibraltar seine Schiffe vor Anker zu legen, indeß er selber auf einem kleinen Fahrzeug längs der spanischen Küste hinauf segelte. Von zwei Matrosen und einem treuen Diener nur geleitet, kam er nach Valencia, in welcher Gegend er einige Wochen zu verweilen denkt. Dort muß ihn der Arm des Ordens greifen, denn wiederkehren darf er nimmermehr. Und findet sich kein milderes Mittel, mag der Orden meine Weissagung wahr machen, ihm ein verborgenes Grab bereiten.«
»Der Orden vergießt kein Blut,« entgegnete mit fester Stimme Hilarius, »wenn es andere gelindere Mittel giebt, seine Zwecke zu fördern. Es giebt Kerker, die sicherer bergen als das Grab. Die Gewölbe der Inquisition, welche Torquemada in diesem Augenblick bevölkert, vertilgen spurlos, und dies ist ein großes Wort – spurlos! faßt Ihr es, Anna Laminit?«
»Wohl, wohl,« sprach sie, das Haupt neigend, »ich ehre und kenne das heilige Gericht der Inquisition, Gott wolle uns beide gnädiglich vor seinem väterlichen Schutz bewahren!«
»Amen!« sprach mit größerem Ernst der Dominikaner, als er dies Wort vielleicht je gesprochen.
»Doch,« fuhr er jetzt bedächtig fort, »wißt Ihr auch mit Gewißheit, daß Antonio dort lebt?«
»Ich weiß es!« rief Anna, und ein wildes Feuer funkelte aus ihrem Blick; sie zog eine Pergamentrolle aus dem Busen, und hielt sie dicht vor die Augen des staunenden Mönches – »seht, hier ist mein Beweis; vor wenig Stunden ward mir diese Nachricht, die ich jahrelang ersehnt, für die ich gelitten, gegeizt, betrogen – für die ich Alles, Alles that. Les't!«
Der Pater entfaltete das Blatt, und las in italienischer Sprache:
»Längst hatte ich ihre Spur, doch vergebens verfolgte ich sie, Dein reichlich gespendetes Gold gab mir Mittel aller Art an die Hand, ich forschte dennoch umsonst. Da kommt ein junger Abenteurer mit zwei Matrosen und einem Diener nach Valencia; ich schleiche mich in des Letztern Vertrauen, ich höre den Namen Antonio Volteggi, es durchzuckt mich wie ein Blitz; er muß ihren Aufenthalt kennen! Ich folge seiner Spur, er hat sie gefunden, ich mit ihm! Beide leben, noch bist Du nicht gerächt. Ich erwarte Deine Befehle, das Messer schwebt ob ihrem Haupt.
Francesco.«
Eine dunkle Röthe hatte sich auf Anna's Stirne gelagert, es war der Widerschein einer gräßlichen Freude; »glaubt Ihr nun, Pater?« rief sie triumphirend.
»Ihr seid fürwahr ein wunderbares Weib,« sprach dieser, mit einem heimlichen Grauen ihr in's Auge blickend. »Ihr könnt Alles. Ihr wißt Alles. Doch wer sind diejenigen, deren Spur Ihr mit so vielem Goldaufwand verfolgen laßt?«
»Es sind die Elenden, welche mich auf die Bahn stießen, die ich jetzt gehe, auf die Bahn des Verbrechens, es sind meiner Rache verfallene Opfer, ihr Maaß ist voll; in den Flammenarmen der Inquisition sollen sie den Lohn finden, den sie an mir verdienen. O könnte ich doch das Feuermeer sehen, das an ihren Gliedern nagen wird, wie einst der Schmerz an meinem Herzen; könnte ich die Flammen fesseln, daß sie langsam zehren mögen an der Brust des Elenden, seine Qual vertausendfachend, wie meine Leiden es waren! das wäre die einzige Seligkeit, die mir noch werden könnte, denn Jenseits ist's ja doch Nacht für uns beide, nicht wahr, Mönch?«
»Ihr seid fürchterlich,« stammelte der Pater schaudernd, und Anna's verzerrte Züge, die Raserei, welche aus ihren Blicken sprach, machte ihm das Mark in den Gebeinen erstarren; da schlug die Uhr Zwei. »Herr Gott!« rief er jetzt, »zwei ist die Glocke schon, Anna, geht hinweg, wollt Ihr uns nicht beide in's Verderben stürzen.«
»Zitterst Du vor meinen Blicken schon, feige Pfaffenseele,« lachte Anna wild auf, »so halte fest an mir, verletze nie unsern Bund, laß Dich auf keinem Doppelsinn betreffen, denn die Laminit sieht scharf, und vergißt nie, ihre Rache schläft nicht zur Mitternacht, sie sucht ihr Opfer, und es fällt, hat sie es einmal erfaßt. Gute Nacht, Mönchlein, werde nicht so bleich, bebe nicht, wie Espenlaub, noch ist ja Dein Verrath nur ein still verborgener Gedanke, ich aber strafe nur die That.«
»Gott schütze uns! Ihr seid wahnsinnig« – stotterte in seiner Angst der Pater.
»Der Satan bewahre mich davor,« rief Anna noch wilder, »warum ruft Ihr den klugen Geist nicht auch an? Glaubt mir, der weiß mehr von uns beiden, als Gott der Herr.«
Ein dumpfer Schlag dröhnte jetzt durch das Gemach. Beide standen regungslos und horchten; Todtenstille folgte.
»Was war das?« fragte Anna, schnell nüchtern werdend.
»Es war hier nebenan, in der Kapelle,« stöhnte der erschrockene Mönch, »Gott erbarme sich. Eure frevelnden Reden wecken die Todten auf.«
»Oder die Lebenden!« rief Anna entsetzt, »wenn man uns belauscht hätte, wenn –«
»Ihr seid von Sinnen,« entgegnete der Pater, »dies Gemach ist das einzige, welches ich inne habe, es stößt an die kleine Hauskapelle hier, deshalb erwählte ich's, und die Kapelle hat keinen Ausgang, als in dies Gemach.«
»Seht nach!« sprach Anna befehlend.
Hilarius eilte nach der schweren eichenen Pforte, sie war nur angelehnt, er öffnete sie, und rief erbleichend: »Heilige Mutter Gottes, die ewige Lampe ist verlöscht!«
»Laßt doch Eure Heiligen aus dem Spiel,« rief Anna unwillig, und eine Lampe erfassend, schritt sie entschlossen an ihm vorüber in die Kapelle.
Es war ein enger, gewölbter Raum mit einem Beichtstuhle, einem Altar und zwei Betschemeln. Auf dem Altar stand eine lebensgroße Gestalt, die Mutter Gottes vorstellend; sie hielt ein liebliches Christuskind auf den Armen, dessen Hände und Füße aber, so wie die Seite mit den klaffenden Kreuzeswunden bemalt waren. Ein weiter Brokat-Mantel umfloß, rechts und links in breiten Schößen endend, die Mutter und das Kindlein.
Anna leuchtete rings umher, der Raum war leer, keine menschliche Seele konnte sich hier verbergen; sie schritt vorwärts, die ewige Lampe lag zerschmettert auf den Steinen, das heilige Oel glänzte verschüttet auf dem Marmorboden. Erstaunt trat sie nun zum Altar, hob die Leuchte zu der Heiligen empor, starrte einen Augenblick darauf hin, und stürzte dann geisterbleich, wie von einem panischen Schreck erfaßt, in's Gemach zurück.
»Was ist Euch?« rief noch bleicher, als sie, der erschrockene Geistliche.
»Saht Ihr das nackte Kindlein mit den Todeswunden?« stöhnte die Laminit aus tiefer Brust, faßte eilig den dunkeln Mantel, hüllte sich zähneklappernd ein, und floh rasch, aber schwankenden Fußes von dannen. Der Pater stand wie erstarrt, und horchte lange, bis der Wiederhall ihrer Schritte in dem gewölbten Gang verklang, dann schlug er bebend ein Kreuz, und seufzte aus tiefer Brust: »Herr, wenn ich ein Sünder bin, so bin ich's geworden zur Ehre deiner heiligen Kirche; doch vor dem Schwefelpfuhl dieser Seele wolle mich deine Gnade bewahren ewiglich.«
Von Frost gerüttelt, suchte er sein Lager, und bald erbarmte sich der Schlaf seiner Angst. Düster brannte die flackernde Lampe, gräßliche Träume folterten den Verbrecher, sein Athem tönte schauerlich durch das öde Gemach. Da fuhr er plötzlich empor, ihm war, als hätte ein Geräusch ihn erweckt; er starrte in grausige Dunkelheit hinein, die Lampe war verlöscht; wie ein leiser Luftzug strich es über sein kahles Haupt hin, und ächzend drehte sich die Thüre in ihren Angeln. Der Pater rief schaudernd alle heiligen Schutzengel an, sank auf's Lager zurück, hüllte sich tiefer in die Decken, und harrte in Todesgraun des kommenden Tages.
Es war am Abend des andern Tages, als Ulrich Fugger mit freudestrahlendem Antlitz in die Gemächer seiner Tochter trat. Sein festlicher Anzug von schwarzem Seidenzeug, die goldene Kette um seinen Hals, und das stattliche schwarzsammtene Barett zeigten an, daß er von einem feierlichen, hochwichtigen Geschäft komme.
Blanka trat dem Vater mit herzlicher Freude entgegen, bot ihm die Hand, und das Gefühl, daß sie jetzt nichts mehr vor ihm zu verbergen habe, gab ihrem Ton einen so wehmüthig herzlichen Klang, daß der Vater sie gerührt in die Arme schloß.
»Fehlt Dir etwas, mein herzliebes Kind?« fragte er besorgt. »Seit einiger Zeit bist Du verändert, die Rosen Deiner Wangen verbleichen, der kühne Muth ist aus Deinen Blicken entflohen. Hegt Deine Seele irgend einen Wunsch? Lege ihn an das Herz des Vaters, Du weißt, daß ihm kein Opfer zu groß ist für die einzige Tochter.«
»Mein Vater,« sprach Blanka mild, »welch' einen Wunsch laßt Ihr mir denn wohl übrig? Ihr habt Euer Kind mit fürstlicher Pracht umgeben, jedweden, auch den eitelsten Gedanken, sehe ich in Erfüllung gehen, ehe ich ihn ausspreche, was sollte mir fehlen? Es ist nichts, als eine schwermüthige Sehnsucht nach der Mutter, wie sie mich zuweilen unwillkührlich überfällt.«
Beruhigt ließ sich Fugger nun neben der Jungfrau nieder, um ihr zu erzählen von all' den Herrlichkeiten, welche der Magistrat beim Abschied heute dem Kaiser überreichte. Nicht genug konnte er Maximilian's Gnade rühmen, mit welcher er dem freien Augsburg zugethan, nicht genug die leutselige Herablassung, mit der er sich gegen ihn selber benommen habe.
»Gedenke nur, Blanka,« so schloß er seine Rede, »des Kaisers Majestät riefen mir noch vor allen Leuten nach: ›Herr von Fugger, grüßt mir Euer holdseliges, ehrbares Töchterlein.‹ Diesen ehrenden Gruß wollte ich Dir künden, meine Blanka, und nun will ich das Festgewand von mir thun, denn ich habe heute noch wichtige Briefschaften mit Simmerlein zu berathen.«
In tiefen Gedanken saß Blanka noch lange, als der Vater längst hinweg war, diese auffallende Gnade des Kaisers mußte ihren Ideengang noch mehr verwirren.
Es ging eine alte Sage im Fugger'schen Haus, welche sie sich erst vor wenig Tagen von dem gelehrten Herrn Simmerlein neuerdings hatte erzählen lassen, und welche nur allzu gut zu Anna Laminit's Prophezeiung paßte.
Die Sage aber lautete: Johannes Fugger, Webermeister in Graben, einem Dorfe auf dem Lechfelde, saß eines Tages mit seinem Weibe, Anna Mießnerin aus Kirchheim, vor seiner Hausthür, und freute sich eines schönen Sommerabends; der Mann war dazumalen schon durch Ordnung im Haushalt, großen Fleiß und Wirthlichkeit seiner wackern Ehehälfte, ein wohlhabender Meister, und lebte sorgenfrei und froh. Da kam des Wegs daher ein armer alter Mann im Pilgerkleid, der sehr krank aussah, und nicht fern von Fuggers Häuslein stürzte er zur Erde, und lag für todt. Niemand von den Nachbarn wollte den Unglücklichen einnehmen: dieweilen diese Krankheit vom bösen Feind herrühre, meinten die Menschen; da sprach Fuggers Hausfrau: Laß uns des Armen erbarmen, Mann, ist er doch ein leidender Bruder in Christo! »Und ein Mensch,« verbesserte Johannes Fugger. Und so trugen sie den Mann in ihr Haus, thaten ihm Gutes, pflegten sein bis er genaß, gaben ihm dann einen reichlichen Zehrpfennig und einen Sack voll Nahrung auf viele Tage. Der Pilgrim aber schied weinenden Auges, sie geleiteten ihn bis zur Thüre. Doch auf der Schwelle des Hauses blieb der Mann stehen, faßte Johannes Hand, und begann mit feierlicher Stimme und leuchtenden Blicken also: Johannes Fugger, Du hast an mir gethan, wie ein redlicher Mann und guter Christ, mir aber ist vergönnt, so oft ich von meinem Uebel genese, mit meinen leiblichen Augen die Zukunft zu erschauen, und so höre denn, was ich sah, in der ersten Stunde, als ich aus meinem Leide erwachte. Johannes Fugger, Dich wird der Herr segnen mit Gesundheit und Reichthum, mit unermüdetem Fleiß, mit frommen Kindern und langem Leben. Du wirst der Stifter werden eines glänzenden Geschlechts, die Gnade des Herrn wird mit Dir und Deinen Enkeln sein, Könige und Kaiser werden sie dereinst Freunde nennen, und die Fürstenkrone wird leuchten auf den Häuptern Deiner Kindeskinder.«
»Nach dieser Weissagung verschwand der Pilgrim aus ihren Augen, und sie sahen ihn niemals wieder; aber der Segen seiner Worte pflanzte sich fort, und ist bis dato wörtlich in Erfüllung gegangen; denn,« so schloß Herr Simmerlein seine Erzählung, »sind unser Herr Prinzipal und seine verehrten Brüder nicht bereits in den Adelstand erhoben, haben sie nicht zwei Lilien in dem Wappen, und nennt nicht Seine Kaiserliche Majestät unsern Herrn: Lieber Fugger? Ist nicht unser Haus das erste zu Augsburg, und kommandirt unser Herr nicht ungeheure Summen? Nun fehlt noch die Fürstenkrone allein, und die wird sicherlich auch noch kommen.«
»Die Kaiserkrone!« flüsterte Blanka in sich hinein, als sie allein war. Und ihr Auge ruhte wieder im Geist auf Maximilians Heldengestalt, der ihr den verhängnißvollen Reif auf's Haupt drückte, und ihre Brust hob sich höher bei dem Gedanken, der sich fest und fester in ihr gestaltete, daß sie erlesen sei, den Glanz ihres Hauses auf den höchsten Gipfel zu tragen, daß es ihr Haupt war, welches die verheißene Krone schmücken sollte. Sie erhob sich, und maß mit raschen Schritten das Closett, dann trat sie an das Erkerfenster, und sah hinaus in die dunkle Kastanie; die Dämmerung senkte sich leise auf den schattigen Garten, und ihr Auge schwamm in Thränen.
»Die Liebe ruht in blumenreicher Erde, das treueste Herz zerfällt in Staub,« sprach Blanka mit leiser, bebender Stimme. »So schlaf denn wohl, du theures Leben, Blanka's Liebe schlummert in deinem frühen Grab!« Lange noch stand sie schweigend. Endlich trat sie zurück vom Fenster und ernsten Blickes vor den Spiegel. Fest ruhte ihr Auge auf ihrem Bilde.
»Wird die Kaiserkrone diesen trüben Augen Glanz, wird sie diesen bleichen Wangen Glut verleihen – wird sie die Wunden eines liebenden Herzens heilen?« so flüsterte die Jungfrau in sich hinein. Langsam und zweifelnd schüttelte sie wie unwillkührlich das Haupt.
Da trat Dore mit Licht herein, und verkündete ihr, daß dem Kaiser zu Ehren ein großer Fackelzug nach der Domprobstei ziehe, und daß das ganze Haus hinlaufe, die Pracht zu sehen.
Schweigend ließ sich Blanka entkleiden, warf ein Nachtgewand über, und sprach dann gütig: »So, Dore, nun magst Du auch hingehen, Dich der Pracht zu erfreuen.«
Dore sprang seelenvergnügt davon, und nach einer halben Stunde war's so still im Hause, als wäre Alles ausgestorben; denn außer in der goldenen Stube, wo Herr Ulrich und Simmerlein in wichtiger Berathung saßen, war es in allen Zimmern todt und leer.
Blanka's Brust erfüllte dies Schweigen mit einem wehmüthig wohlthuenden Gefühl; sie sank auf's Ruhebett, die gefalteten Hände im Schooße, das schöne Haupt hintenüber gelehnt, die dunklen Augen fest geschlossen. Da schreckten sie seltsame Träume, die immer verworrener durch ihre Seele zogen. Es waren Träume der Liebe und des Ruhm's, und wunderbar vermischten sich darin Philipp's und Antonio's Bild, beide schmolzen am Ende in eine Gestalt, es war Philipp, den Blanka's Herz mit der vollen Liebe zu Antonio umfaßte. Ein leises Geräusch verscheuchte das Traumbild, ihr Auge öffnete sich, sie fuhr empor, und zu ihren Füßen lag Erzherzog Philipp mit einem Ausdruck von Liebe und Schmerz in den flehenden Blicken, der Blanka mehrere Augenblicke der Sprache beraubte. Traum und Wachen verschwammen seltsam ineinander, sie wußte nicht, habe sie vorher geschlafen, oder schlafe sie jetzt.
»Blanka, nicht diesen Blick des bleichen Schreckens, nicht diese finstere Stirn, auf welcher eine Wolke gerechten Unwillens ruht,« flüsterte Philipp, ohne sich vom Boden zu erheben, »ich weiß, was ich verschuldet, da ich hereindrang in das stille Gemach der fleckenlosen Reinheit, doch ich kann nicht anders. Blanka, noch in dieser Nacht muß ich meinem Vater folgen, ich sehe Euch vielleicht in Monden nicht wieder, und ich soll scheiden ohne ein Wort des Trostes von Euren Lippen, ohne zu wissen ob Euer Herz die Sprache des Meinen versteht, ob Ihr die Leidenschaft erwiedert, die unauslöschlich in meiner Seele flammt. Blanka! mein Leben, meine Zukunft, meine ganze Glückseligkeit hängt an einem Wort von Euch; o seid mild, seid barmherzig, laßt mich nicht ohne dies Wort von dannen gehen!«
»Ist's möglich!« rief Blanka, »diese Schmach muß mir werden von Euch, dem ritterlichen Erzherzog Philipp, den der Ruf als einen Mann schildert, der Frauenehre über Alles schätzt! In dunkler Nacht dringt Ihr in das Schlafgemach einer unbeschützten Jungfrau, deren guter Name auf ewig befleckt ist, wenn Euch ein Auge sah? Womit habe ich diese Beschimpfung verdient, ungroßmüthiger Fürst?«
Ihre Stimme brach in Thränen, ihre Knie wankten, sie wandte sich um, um das Gemach zu verlassen, aber Schreck und Ueberraschung hatten sie betäubt, ihre Füße versagten den Dienst, unfähig, weiter zu schreiten, sank sie halb entseelt in Philipps sie umfangende Arme, ein finsterer Nebel deckte ihre Sinne; sie fühlte sein Herz krampfhaft an dem ihren schlagen, seine zitternden Arme schlangen sich fester um ihren schlanken Leib, und heiße Tropfen fielen aus seinen Augen auf ihre bleiche Stirne. Diese Beweise von inniger Liebe ergriffen die Jungfrau tief; unfähig, sich ihm zu entwinden, duldete sie, daß er sie nach dem Ruhebett brachte, und erst nach einer langen Weile vermochte sie auf sein stürmisches Flehen: »Vergebt mir Blanka, vergebt!« zu entgegnen: »Es sei –, wenn Eure Hoheit sich unverzüglich entfernt.«
»Ich will es ja, Blanka, ich will Eurem Befehle Folge leisten,« rief Philipp, »doch hören sollt Ihr mich erst. Wir haben keine Ueberraschung zu fürchten, ein würdiger Mann hütet diese Stunde. Nicht Euch zu beleidigen, noch zu beschimpfen kam ich her, Blanka; die Jungfrau, welche ich dereinst zu mir zu erheben denke, muß rein sein, rein von jedem Makel, und kein Hauch darf den Spiegel ihrer Ehre trüben. Blanka, Ihr seid das erste Weib, das mich der Liebe mächtiges Gefühl gelehrt, sagt mir, daß Ihr mein gedenken wollt, mich nicht vergessen, und an keinen Andern Euer süßes Selbst verschenken, dann, Blanka, habt Ihr alle heißen Wünsche erfüllt, die mich jetzt Ritterpflicht, Schonung – und den Vater vergessen ließen. Blanka, nur dies gelobt mir, daß Ihr Eure Hand nicht vergeben wollt, bis ich Euch wiederkehre, und ich verlasse Euch so glücklich, als verzweiflungsvoll ich kam.«
Geängstet von seiner Nähe, gedrängt durch sein Flehen, bestochen durch die Schönheit der ritterlichen Gestalt, schwankte Blanka's Herz in peinlichen Zweifeln, da trat bei seinen letzten Worten das Bild der Weissagung vor ihre Seele, es war ihr, als riefe ihr das Verhängniß selber zu: »du mußt sein werden,« und entschlossen rief sie: »Ja, Philipp, ich gelobe es Euch bei meiner jungfräulichen Ehre, diese Hand soll frei bleiben, soll keines Andern sein, bis Ihr mich selber dieses Eides entbindet.«
»Blanka,« rief Philipp außer sich, »Blanka, so bist Du mein!«
Eine dunkle Gestalt trat jetzt unter die Thür des Gemaches, rief mit dumpfem Tone: »Die Zeit ist um!« und schritt wieder hinaus.
Blanka aber fühlte sich umfaßt, ein glühender Kuß brannte auf ihren Lippen, ein Ring glänzte an ihrer Hand, und mit den Worten: »Auf Wiedersehen, süße Braut! Sei treu und schweige!« floh der Erzherzog aus dem Gemache; eine Strickleiter aus einem Fenster des Ganges führte ihn zurück zum Garten, und bald war er spurlos verschwunden.
Blanka stand regungslos und starrte auf den blitzenden Ring an ihrer Hand. »Braut eines Andern,« flüsterte sie in sich hinein, »Philipps Braut!« und immer finsterer ward's in ihrer Seele, auf ihren Lippen glühte der Kuß des kaiserlichen Jünglings, und sie sank hin, in langer Ohnmacht sich selbst und ihr glänzendes Geschick vergessend.
*
Es war um die Stunde der Mitternacht, hell glänzten Valencia's Thürme im Mondscheine, in tausend Lichtfunken strahlend, tanzten die Wellen des Meeres an der Küste hin, und verkündeten mit leisem Geplätscher, es schlumm're der müde Ocean, und auf seinem willigen Rücken schaukelte sanft ein sicheres Boot, seine Last erharrend. Im Boote ruhten zwei Männer, und schauten mit unterschlagenen Armen hinüber nach dem dunklen Cypressenhain, der sich längs der Küste hinzog, und dann und wann bewies wohl ein rascher Ruderschlag des Einen, daß ihre Ungeduld den höchsten Grad erreicht habe. Jetzt schritten zwei verhüllte Gestalten aus dem Walde hervor, und mit dem Rufe: » Dio e fortuna!<« eilten sie dem Ufer zu. » Dio e fortuna<« tönte ihnen aus dem Boote entgegen, und lustig schlugen die Männer mit den Rudern in die See.
»Es ist Alles bereit, und sogleich kommen die Andern,« sprach der eine der Angekommenen, indem er den Mantel zurückschlug. Eine hohe schlanke Gestalt ward sichtbar; er nahm das Barett herab, strich sich das dunkle Haar aus der Stirne, und ein Antlitz von seltener Schönheit, Augen, welche in kühnem Muthe unter der edlen Stirne hervorblitzten, ein Mund, dessen Lieblichkeit seltsam genug mit dem Ernst des jugendlichen Gesichts kontrastirte, der gebieterische, erwartende Blick, mit welchem der Jüngling um sich sah, Alles gab Zeugniß, daß er hier der Gebietende, der Herr sei.
»Sie könnten längst schon hier sein,« sprach jetzt ungeduldig der Zweite, »der Wind ist uns günstig, jeder Augenblick Zögerung ist unwiederbringlicher Verlust.«
Es mochte ein Mann von vierzig Jahren sein, der sich eben vernehmen ließ, sein rundes freundliches Antlitz verkündete auf den ersten Blick die Gutmüthigkeit, welche ein Hauptzug seines Charakters war, denn trotz seines Unwillens wich der freundliche Zug nicht von seiner Stirne.
»Gieb Dich zufrieden, Pietro,« entgegnete der Jüngere, »das wird Fiametta's Schuld sein; bis sie Abschied nimmt von all ihren Blumen und Blüthen, von dem Himmel ihres Vaterlands, von der Erde, die sie geboren – doch, horch', man naht!« Er griff rasch nach dem Dolche in seinem Gürtel, auch der Aeltere zeigte durch seine Bewegung nach dem Schwerte, daß es eben kein Spaziergang war, welcher sie an diesen einsamen Theil der Küste gebracht.
Aus dem Walde hervor trat jetzt eine hohe weibliche Gestalt, ein weißer Schleier flatterte um ihr schönes Haupt, Thränen glänzten an den dunklen Wimpern der gesenkten Augen, ihre rechte Hand trug ein schweres Bündel, ihre linke ruhte gleichsam besänftigend auf dem pochenden Herzen; neben ihr schritt ein kräftiger Mann einher, der zwischen dreißig und sechsunddreißig Jahren sein mochte, er trug einen lieblichen, schlummernden Knaben auf seinem Arme, ein Mägdlein von sechs bis acht Jahren sprang lustig neben ihm her.
»Hier sind wir, Bruder!« rief er dem früher Gekommenen entgegen.
»Endlich,« entgegnete dieser rasch und legte mit Hülfe des Zweiten ein Brett von dem steilen Ufer in's Boot, »nun, keinen Augenblick besonnen, schnell, Alles ist bereit.«
»Das war ein schwerer Kampf, Antonio,« sprach der Aeltere, indeß Antonio das Bündel in's Boot warf, und das Mägdlein hinunter trug. »Die Mutter wollte heute gar nicht schlafen gehen, sie war wie von einer Ahnung gequält; Fiametta hat viel gelitten.«
Ein neuer Thränenstrom, der ihren Augen entstürzte, bezeugte, daß er Wahrheit spreche.
»Davon nachher,« bat Antonio, indem er den schlummernden Knaben hinab trug; Fiametta folgte; eben stand sie auf der Brücke, welche hinabführte, als ein lautes Geschrei und die Worte: »Halt, halt, im Namen der heiligen Inquisition!« gleich Donnern in ihr Ohr drangen.
»Gott erbarme sich!« schrie Fiametta auf, und ohne den rettenden Arm ihres Gatten wäre sie von dem Brette in's Meer gestürzt.
»In's Boot, in's Boot!« rief Antonio fürchterlich, »Manuel, schnell, rette Dein Weib, Deine Kinder.«
Mit einem gewaltigen Stoß schleuderte dieser sein Weib in das Boot. Eine grimmige Faust faßte in diesem Augenblicke nach Antonio's Brust, mit einem kräftigen Fußtritte hinter sich stieß Manuel das Brett in das Meer. Antonio rief mit lauter Stimme: »Segel auf, in See!« Es geschah, wie er befahl; pfeilschnell flog das Boot dahin, und mit gräßlichem Rufen sahen sich Antonio und Manuel von zwölf vermummten Gestalten umringt. Wüthend war ihre Gegenwehr, wohin Manuels Schwerdt traf, floß Blut, zwei der Vermummten lagen schon regungslos am Boden. Antonio hieb wacker um sich, da ward eine Lücke um beide Kämpfer, ihr Rücken war frei; »die Uebermacht erdrückt uns,« rief Manuel entschlossen, »rette Dich,« und das Meer nahm den rüstigen Schwimmer auf; Antonio folgte ihm, und mit starken Armen theilten sie die aufspritzenden Wogen. Angstvoll liefen die Knechte des Blutgerichts an der Küste hin. Manuel hatte einen großen Vorsprung. Da sah man einen der Männer das Mönchsgewand von sich schleudern, welches ihn deckte, einen Strick ergreifen, und hinunter sprang auch er in die kalte See; mit riesiger Anstrengung verfolgte er die kühnen Schwimmer, zweimal hatte er Antonio erreicht, zweimal diesen ein kräftiger Stoß von dem Verfolger befreit, da fühlte plötzlich Antonio einen Schlag und einen brennenden Schmerz auf der Schulter, darauf einen starken Zug – jetzt war er verloren. Es war seinem Verfolger gelungen, ihm einen scharfen eisernen Haken auf den Rücken zu werfen, der an dem Strick befestigt war, das fürchterliche Eisen hatte nicht allein das Gewand, auch die Schulter des Unglücklichen ergriffen, und so allen Widerstandes beraubt, wie den Fisch an der Angel schleppte ihn der fürchterliche Mönch nach sich. Leben und Besinnung waren der Gewalt des Schmerzes gewichen, halb todt zog ihn die Schaar der blutdürstigen Knechte an's Land, und indeß das Boot, ihrer ohnmächtigen Wuth unerreichbar, den geretteten Manuel aufnahm, und längst aus ihrem Gesichtskreise entschwunden war, trugen sie Antonio und seinen gleichfalls gefangenen Diener triumphirend nach Valencia zurück, um aus den geheiligten Händen ihres würdigen Obern den wohlverdienten Lohn zu empfangen, denn es waren, nach dem Bericht des edlen Mönchs Francesco, arge Ketzer, und die Hoffnung auf ein erfreuliches Auto da fe< also sehr nahe.
Nicht um die Schrecknisse eines spanischen Inquisitions-Kerkers zu schildern, nicht um die schmerzlichsten Saiten in der menschlichen Brust ertönen zu lassen, ward dies Kapitel geschrieben; denn wer kennt nicht das scheußlichste Erzeugniß mißverstandenen Religionseifers, blutigen Fanatismus's und verkappten Eigennutzes, die gräßliche Inquisition, bei deren Nennung sich das Auge jedes Gebildeten mit Schauder von einer Nation abwendet, in deren Mitte sie ungescheut und ungestraft ihre Gräuel durch drei Jahrhunderte verüben konnte.
Was auch Ferdinand von Arragonien im Vereine mit Isabellen von Kastilien Gutes und wahrhaft Großes für Spanien gethan, es wird vernichtet durch das Andenken des Fluches, den sie über ihr herrliches Land gebracht, eines Fluches, der allen Segen überlebte, welchen je ein Herrscher Spaniens schuf, denn er vernichtete Generationen in der Blüthe, vergiftete den Keim kommender Geschlechter, und liegt noch jetzt in seinen Nachwirkungen wie ein giftiger Mehlthau auf dem unglückseligen Lande; dafür zeugt die Verfolgung der Protestanten bis auf die neueste Zeit.
Vor dem schrecklichen Tribunale dieses Gerichts, in einer der Höhlen des blutigen Drachen, stand Antonio Volteggi mit ernster Ruhe, und sah gefaßt seinem Verhöre entgegen. Wohl wissend, daß die Fußstapfen in diese Gewölbe nur herein, keine aber zurückführen, war er entschlossen, die letzten Stunden seines Daseins mindestens nicht mit Lügen zu beflecken.
Mehrere Schlachtopfer ihres Glaubens, ihres Reichthums oder irgend eines andern Vortheils, den ihr Untergang dem heiligen Gerichte gewähren sollte, waren bereits verhört, und entgeistert, hoffnungslos wieder zurückgekehrt, den Tod oder die Verzweiflung im bleichen Antlitz tragend, als endlich Antonio's Name ertönte, und der Geforderte furchtlos vor die Schranken trat.
»Wer bist Du?« tönte ihm eine Stimme entgegen, milder, als er sie in diesen Gewölben zu vernehmen gehofft hatte.
»Mein Name ist Antonio Volteggi, ich bin der Sohn eines reichen Handelsherrn aus Venedig.«
»Dies ist uns allbereits bekannt; wir befehlen Dir, uns die Geschichte Deines Lebens mitzutheilen, gewissenhaft, daß nicht ein Wort betrüge, wir kennen Alles, wissen Alles, sprich!« p
»Ich war der einzige Sohn meines Vaters,« so sprach Antonio ruhig, »und wußte es bis in mein zwölftes Jahr nicht anders. Damals starb meine Mutter. Sie vertraute mir auf ihrem Krankenlager, daß mir ein Bruder lebe, der wohl zehn Jahre älter sei, als ich; mein Vater habe ihn erzeugt in heimlicher Liebe mit der Gattin seines Oheims, und dies Kind des Verbrechens schon in zarter Jugend einem Franziskanerkloster übergeben, um den Knaben im Schooße des Ordens zu bilden, damit er einst zur Sühne des Vergehens der Aeltern alldort im Mönchsgewande dem Herrn dienen möge. Die reichen Schenkungen meines Vaters waren immer Manuels beste Fürsprecher bei den frommen Vätern, und mein Vater hörte lange Jahre nichts denn überströmendes Lob von dem Sohne. Eines Tages, ich mochte damals sechszehn Jahre zählen, stürzte mein Vater in mein Gemach, und sank weinend in meine Arme. ›Es ist an der Zeit, mein Sohn‹, so rief er verzweifelnd, ›Dich zum Vertrauten meines Verbrechens, meines Elends zu machen;‹ und nun erfuhr ich mit Schaudern, daß mein Bruder, der kaum zwei Jahre Mönch gewesen, plötzlich aus dem Kloster verschwunden, und aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer entlaufenen Nonne entflohen sei. Vergebens blieben alle Nachforschungen, nach zwei Jahren erst vernahm mein unglücklicher Vater die Nachricht, daß Manuel unter der großen Räuberbande lebe, welche ihr blutiges Handwerk längs der Küste von Sardinien trieb. Diese Nachricht brachte den unglücklichen Greis dem Grabe nahe, er verfluchte seinen Sohn, und gebot mir, nie mehr, in keiner Beziehung seinen Namen vor ihm auszusprechen. Als mein Vater genesen war, versuchte ich oft, seine Seele milder zu stimmen, aber ein unvertilgbarer, unauslöschlicher Haß war an die Stelle der frühern Liebe getreten, und mit einem furchtbaren Eid gelobte er sich selbst, den verbrecherischen Sohn, wo er seiner habhaft werden könnte, dem rächenden Arm des Ordens zu überliefern. Von nun an ließ ich jede Hoffnung, ihn mit Manuel zu versöhnen, schwinden. Aber ich fand nirgends Ruhe; mein Herz zog mich unwillkührlich zu dem nie Gekannten. Ich besuchte heimlich das Kloster, in welchem er erzogen war, Alles, was ich dort von ihm erfuhr, diente nur dazu, meinen Schmerz zu vergrößern. Manuel war ein blühender Jüngling, voll Lebenskraft und Lebenslust, Körperschönheit und Geist, ja ein wilder Drang nach Thaten bestimmte ihn zum Helden, nicht zum Mönch. Dem ungezähmten Trieb des kochenden Blutes folgend, beschritt er die Bahn des Lebens – wehe ihm, daß es für ihn ein Pfad des Verbrechens werden sollte. – Trostlos kehrte ich nach Venedig zurück. In der Dämmerung eines warmen Sommerabends saß ich an der Seite meines Vaters auf dem Balkon unsers Hauses, und schaute in die Lagune hinab, die sich vor unsern Fenstern ausbreitete; da gewahrte ich ein Weib in kalabresischer Bauerntracht, das inmitten eines Nachen stehend, scharf nach uns herauf sah. Ihr Gesicht war schön, doch von großen Leiden entstellt, ihr Auge wild, ihre Züge verzerrt. Mein Vater hing aufmerksam an ihrem Blicke, da erhob sie plötzlich die Stimme, und rief in schrillendem Tone: ›Pietro Volteggi! Dein Sohn Manuel lebt, und daß Du wissest, wie, so vernimm: Die geheiligte Jungfrau, die mit ihm floh in rasender Verblendung, hat der Bösewicht verlassen, gleich ihr, seine Bande, die treu an ihm hing; einem maurischen Heidenweib hat er sich ergeben, und kreuzt nun räuberisch an der Küste von Spanien. Seines Kindes Blut schreit um Rache über ihn, und seines Weibes Jammer verklagt ihn vor Gott. Sieh, Pietro Volteggi, das sind die Früchte, welche Dein böses Gelüsten gereift!‹ Unter lautem, fürchterlichem Lachen ergriff die Schreckliche mit kräftiger Hand das Ruder, und flog die Lagune hinab, mein Vater aber sank mir für todt in die Arme.
Als er sich wieder erholt hatte, ließ er vergebens nach jenem Weibe forschen, sie war verschwunden. Dies war die letzte Botschaft, welche wir von Manuel vernahmen.
Als mich nun vor einem Jahre meines Vaters Wille nach der neuen Welt sandte, um unsern Reichthum durch wohlerlaubten Tauschhandel zu vermehren, war mein erster Gedanke: ›Er kreuzt an der Küste von Spanien.‹ Mein Herz zog mich noch immer zu dem Verirrten, und die Hoffnung, ihn vielleicht aufzufinden, war der mächtigste Beweggrund, der mich zu dem Antheil an diesem gefährlichen Unternehmen trieb. Vergebens war jedoch mein Forschen, als wir an der Südküste Spaniens hinsegelten. Die Gewässer waren sicher, von einem Korsaren hörte man nichts; und so betrat ich die neue Welt, ohne eine Ahnung, daß mir dort eine Nachricht werden sollte, welcher ich in der alten vergebens nachgestrebt.
Unter den Besiegern des Heidenvolkes, welches dieses wunderbar herrliche Land bewohnt, fand ich einen Mauren, der mit wahrer Freudigkeit, mit echt christlichem Sinn, fern von Grausamkeit und Blutgier die Bekehrung der Unglücklichen zum christlichen Glauben förderte. Dies fiel mir auf, ich schloß mich näher an ihn an, und erfuhr bald aus seinem Munde, daß eine liebliche Schwester, welche er besitze, an ihm zur Bekehrerin geworden sei, und aus dem hartnäckigsten Ungläubigen einen wahrhaften Christen geschaffen habe. Mit Begeisterung erzählte er mir von dieser Schwester, ihrer Seelengröße und ihren Reizen; ich vernahm mit Staunen, daß ihre Schönheit einen wilden Räuber bezwungen, ihn zurückgeführt habe von seiner blutigen Bahn, zum Weg des Heils. Ein Blitz durchleuchtete meine Seele, ich forschte ernstlicher, und endlich blieb mir kein Zweifel, Manuel Volteggi, mein Bruder, war der Gatte Fiametta's, war zurückgekehrt auf die Bahn der Tugend, und mein sollte das Werk sein, ihn dem Leben ganz wieder zu geben. Der Maure entdeckte mir, daß Manuel zwölf Meilen von Valencia landeinwärts, im Schooße eines stillen Thales tief verborgen lebe, dort besaß Fiametta's Amme eine Hütte, dorthin waren sie geflüchtet vor den tausend Augen, welche den Seeräuber Manuello kannten und suchten. Als Weingärtner lebte er in tiefer Armuth, und jeder Tag bedrohte ihn mit Entdeckung. Mein Entschluß war gefaßt, ich kaufte ihm einen Erdstrich Landes, wie die alte Welt keinen ähnlichen aufzuweisen hat, erbaute ihm eine Hütte, und legte meine rückkehrenden Schiffe in Gibraltar vor Anker. Mit höchster Vorsicht umsegelte ich die Küste, bald fand ich seinen Aufenthalt – nicht so schnell sein Vertrauen. Doch endlich erschloß sich mir das Herz des tiefgesunkenen und doch so großen Mannes! Es gelang mir ihn zur Flucht in die neue Welt zu bereden; ich wollte ihn geleiten bis nach Gibraltar, dort liegt das Schiff, das ich ihm als Eigenthum bestimmte, dort wollten wir scheiden; er sollte hinübersegeln nach der jungen Welt, ein neues Leben der Tugend beginnen auf ihrer gesegneten Erde und durch Verbreitung unsres heiligen Glaubens seine frühere Schuld sühnen; ich aber wollte heimkehren in's Vaterland, wo süße Bande meiner warteten; das ist nun vorbei. Ihr wißt, wie es geschah, ich stehe gefesselt vor Euch, aber ich klage nicht, denn mein Bruder ist gerettet, und so der schönste Zweck meines Daseins erreicht.«
Antonio schwieg, und sein begeistertes Auge ruhte auf den milden Zügen des Erlösers, der von der schwarzen Tafel niederlächelte. Seine Richter saßen stumm umher; dumpfes Schweigen herrschte in der weiten Halle, und es schien, als harre der Tod schon zähnefletschend auf das Opfer, welches seine Offenheit in den Flammen büßen sollte.
*
Im verborgensten Gemache der alten Burg zu München saß Frau Kunigunde, Herzogin von Baiern, in ernsten Gedanken verloren, wie es schien, und rings um sie war Alles still und heimlich. Zu ihrer Rechten befand sich ein prächtiges Tischlein von Ebenholz, mit Perlmutter reich verziert, darauf lag eine Rolle Pergament, mit lateinischen Worten gar zierlich bemalt; zu ihrer Linken stand ein Mann in der Tracht eines kaiserlichen Leibdieners, und schien der Befehle zu harren, welche auf den Lippen der gebietenden Frau schwebten.
Es mochte der Mann zwischen funfzig und sechzig Jahre zählen, sein Haar spielte stark in's Graue, und seine Züge, obgleich festen Gepräges, trugen dennoch unverkennbar die Spuren des Alters und mancher überstandenen Noth und Fahrniß.
»Ihr sollt mir melden, wackerer, Heribert, was Ihr zu Augsburg erspäht, als meines Bruders Majestät vor sechs Monden alldort sich befand.« So sprach, die Herzogin, und legte, gleichsam das bekräftigend was sie sagte, die Rechte fest auf das Pergament.
Heribert trat überrascht zwei Schritte zurück.
»Verwundert Euch nicht, redlicher Diener, daß ich Euch in Kaisers Namen zur Schwatzhaftigkeit auffordere; aber wenn ich zur Helferin werden soll in einer schlimmen Sache, muß ich doch erst wissen, mit wem und mit was ich zu thun habe; das ist wohl billig, nicht also, Heribert? Ihr seid ein felsenfester Diener, dessen Treue der Kaiser wohl zu schätzen weiß, so mögt denn auch wissen, daß mein edler Neffe, Erzherzog Philipp, im Unfrieden von seinem erlauchten Vater ging. Dieselben gedenken einige Wochen bei uns in München zu verweilen, und in dieser Zeit wollen wir versuchen, dem ritterlichen Neffen andere Gesinnungen beizubringen. Mein kaiserlicher Bruder beabsichtigt ein glorreiches Bündniß für dessen Sohn, und Philipp trotzt des Vaters Willen. Ihr nun sollt mir verkünden, was Ihr in Augsburg erspäht, auf daß ich erwäge, was in dieser Sache zu unternehmen.«
»Seine Majestät,« begann Heribert, »stets ängstlich besorgt, ob auch die Schritte Ihres erlauchten Sohnes nie von der rechten Bahn gleiten, gaben mir zu öftern Malen den Auftrag, des Prinzen Wege sorgfältig zu hüten, ohne daß derselbe mein gewahre, auf daß ihn nimmermehr ein Unglück betreffen möge. Kaum waren wir ein paar Tage zu Augsburg, so sah ich eines Abends den Erzherzog, vermummt in unscheinbarem Gewande und im Geleite seines Beichtvaters, aus dem Hause eilen. Dem listigen Pfaffen traute ich ohnedies nie weiter, als meine Augen sehen, und so schlich ich, eingedenk meiner Pflicht, hinter den Herren her. Bald verschwanden sie in ein Haus, und, wie ich am andern Tage inne ward, in die Wohnung der Anna Laminit, welche das Volk für eine Heilige hält. Nicht lange dauert's, so stürzt mein Prinz heraus, als jagte ein Gespenst hinter ihm her, und der Dominikaner läuft ihm keuchend nach. Mir kam die dunkle Nacht zu statten, ich wich keinen Schritt von ihm. Plötzlich steht der Erzherzog still, wendet sich um, faßt den Mönch bei der Hand, und ruft laut: › Ohne ihren Besitz werde ich niemals Kaiser sein‹, so sagte sie, nicht wahr?«
Ich stehe wie versteinert, und horche, doch leise sprechend eilen nun Beide die Straße hinab. Offenbar hatte die Laminit diesen Ausspruch gethan. Von diesem Augenblick an war der Prinz nicht mehr zu kennen, ernst, träumerisch, wortkarg, unstät und ruhelos. Tagtäglich ritt oder ging er an den Fenstern der schönen Fuggerin vorüber, und ich sah es wohl, daß ihm die Liebe hart zusetze. In der letzten Nacht ging er wieder einen heimlichen Gang mit Pater Hilarius, ich folgte, aber sie verschwanden mir in der Nähe einer Klostermauer plötzlich aus den Augen. Der Prinz blieb lange aus, und als er wieder kam, glänzten seine Blicke von Wonne und Liebeslust. Seit jenem Tage kommt Pater Hilarius nicht mehr von seiner Seite, der schlaue Dominikaner hat sich seiner ganz bemächtigt, auch werden zum öftern heimliche Boten gen Augsburg gesendet. Dies ist Alles, Frau Herzogin, was Euch mein Mund zu künden weiß.«
Also schloß Heribert mit einer tiefen Neigung des grauen Hauptes, und trat ehrerbietig ein paar Schritte zurück. Die Herzogin aber schüttelte leise den Kopf, lehnte dann das Kinn auf die weiße Hand, und schien eine Weile nachzudenken.
»Hat mein Neffe viel Glauben an diese Anna Laminit?« fragte sie nach einer Weile.
»Gewiß, gnädigste Frau!« sprach Heribert ernst, »denn sie ist eine große Seherin, und eine von Gott geliebte Heilige, welche nicht, wie wir andern Sterblichen, der irdischen Speise bedarf. Auch Seine Majestät unser kaiserlicher Herr hält die fromme Frau in hohen Ehren.«
Ein kaum merkliches Lächeln spielte um die Lippen der klugen Fürstin. »Ja, ja,« sprach sie, »ich habe davon gehört, überhaupt ist mir der Name: Anna Laminit, so oft schon in's Ohr geklungen, daß ich wohl Lust hätte –«
Ein Trompetenstoß unterbrach das Gespräch, im Schloßhofe wurde es laut, die Herzogin erhob sich, warf einen raschen Blick durch's Erkerfenster, und rief dann, nach einer Seitenthür zeigend: »Da hinein, Heribert, die kleine Stiege hinab, der Erzherzog darf Dich nicht sehen, nie hatte ich sein Vertrauen nöthiger als eben jetzt.«
Heribert verschwand, die Herzogin aber schüttelte wiederholt das ehrwürdige Haupt, denn bleich sah Philipp zu ihren Fenstern auf, finsterer Trotz lag auf seiner Stirn, und nicht mehr war es der harmlose, heiter blühende Jüngling, auf den die Tante einst mit Stolz geblickt. Gleich einem Geiste der Nacht schritt Hilarius sorglich hinter ihm her, und leise sprach die Fürstin, indem sie sich anschickte, dem Neffen entgegen zu gehen: »Dies ist die Schlange im Paradiese; möchte sie doch in ihrem eignen Gifte verderben!«
*
Ganz München war voll von der seltsamen Mähr, daß die berühmte Heilige von Augsburg, die fromme Anna Laminit, zur Frau Herzogin berufen sei, um Deroselben mit ihren Sehergaben die Zukunft zu lichten. In der alten Burg lief das Hofgesinde verwundert durch einander, und nicht selten blieben ein Paar befreundete Diener stehen, und sprach einer zum andern, aber nicht ohne erst sorglich zu prüfen, ob er auch unbelauscht sei: »Ei, ei, was nur unserer klugen Frau beifällt, mit einer wildfremden Person solche Umstände zu machen! Das muß etwas Seltsamliches bedeuten.« Und kopfschüttelnd gingen die wackern Leute aus einander.
»Das bedeutet,« meinte ein Anderer, »daß der Herr Herzog auf dem Landtag zu Speyer, und die Frau Herr im Hause ist.«
Uebel zu nehmen war ihnen das gerechte Staunen nicht. Die Herzogin selber war im Geleite des Erzherzogs der ankommenden Anna Laminit entgegen gegangen bis zum Burgthor, hatte sie mit ehrfurchtsvoller Scheu begrüßt, und sie mit eigner Hand hinaufgeleitet nach einem ihrer schönsten Prunkgemächer. Das geheimste Closett, prächtig geschmückt, und früher von der Herzogin bewohnt, ward der Seherin zum Schlafgemach angewiesen, und der Erzherzog selbst nahte sich nie ohne Zeichen der entschiedensten Verehrung dieser wunderbaren Frau.
Zwei Tage waren so verstrichen, Niemand im Schlosse bemerkte die Anwesenheit des Gastes weniger, als der Küchenmeister, denn die fromme Frau verschmähte Speise und Trank, und die Ehrfurcht, ja das scheue Staunen der Menge vermehrte sich durch diese wunderähnliche Enthaltsamkeit von Stunde zu Stunde.
In der Burggasse standen die Menschen haufenweis, um die würdevolle Erscheinung Anna's, welche sich zuweilen an einem Fenster zeigte, zu begaffen. Es war am Abend des zweiten Tages, eben hatte Anna Laminit der Herzogin ihre Zukunft eröffnet, und diese kehrte mit Philipp und Hilarius, welche dabei zugegen waren, nach ihrem Gemach zurück: da stand Kunigunde an der Schwelle still, gab dem Dominikaner einen Wink, sie zu verlassen, und als dies geschehen, und sich der Mönch mit einem sorgsamen Blick auf die kluge Frau entfernt hatte, winkte diese dem Prinzen freundlich zu, sich an ihrer Seite niederzulassen.
»Sagt mir, mein edler Neffe,« also begann sie, liebevoll ihre Hand schmeichelnd auf die seine legend, »sagt mir, ist es also, wie ein dunkles Gerücht erzählt, daß Euch die Laminit geweissagt: Ihr müßtet eine Jungfrau zu Augsburg ehelichen, oder Ihr würdet nimmer Kaiser sein?«
Eine dunkle Röthe flog über Philipps Züge, der eine schnelle Blässe folgte, er wollte sprechen, doch unfähig zu antworten, suchte sein scheuer Blick den Boden, schweigend saß er da.
»Nicht Euch zu verwirren, oder gar – wovor mich der Herr bewahre, meinen theuren Neffen zu beleidigen, that ich diese Frage,« fuhr die Herzogin mit unwiderstehlicher Milde fort, »zürnt mir auch nicht, daß ich so mit rascher Hand das geheimste Fach Eures Herzens öffne, ohne Euch zuvor um Erlaubniß zu fragen! Denkt, ich sitze hier an der Stelle Eurer lieblichen zu früh verblichenen Mutter, und spräche zu Euch aus der Tiefe einer schwer beängsteten Seele: Mein Sohn, ist Dir nicht bekannt, daß die spanische Johanna, Tochter Ferdinands von Arragonien und Isabellens von Kastilien, eine der schönsten, und zugleich die reichste Prinzessin Europa's ist? Weißt Du nicht, daß sie beim Anblick Deines Bildes so in Liebe entbrannte, daß ihre jugendliche Seele vergeht in Qualen der Sehnsucht? Bedenkst Du nicht, daß der reichste Thron der Christenheit, die Krone Spaniens durch Johanna auf Dich und Deinen Stamm übergeht, und kannst Du Dich weigern, den Willen eines gerechten, weisen und liebevollen Vaters zu erfüllen, bethört durch den Ausspruch eines Weibes, welches ich als eine schlaue Betrügerin erkannt habe?«
» Betrügerin!« rief der Erzherzog aufspringend, »Anna Laminit, die Ihr selbst mit der höchsten Auszeichnung behandelt, deren Wandel rein ist, wie das Sonnenlicht, deren Leib besteht ohne irdische Nahrung, und deren Auge eben deshalb geschärft, weiter dringt, als jeder andere Blick – diese Frau eine Betrügerin?«
Mit leiser Stimme sprach jetzt die kluge Fürstin: »Still, mein theurer Neffe, alles Ding, soll man's erkennen, will mit klarem Blick betrachtet sein. Versprechet mir lautlos zu folgen, und dem eignen Auge nur zu vertrauen, nicht meinen Worten.«
Philipp sah sie staunend an. Sie erhob sich vom sammtnen Polsterstuhle, ergriff bedächtig einen der silbernen Armleuchter, und sprach, durch das Gemach zu einer Tapetenthür schreitend: »Es ist Nacht geworden, die Burg geschlossen, und die ringsum herrschende Stille kündet uns, daß das Hofgesinde anfängt, seine Lagerstätte zu suchen – so ist unser Weg frei.«
Und dahin gingen sie schweigend durch eine lange Reihe von Prunkgemächern: endlich in einem kleinen Stübchen angekommen, stellte die Herzogin den Leuchter auf einen Marmortisch, öffnete dann leise die Thür eines großen Schreines, blies darauf rasch die Lichter aus, ergriff die Hand des Erzherzogs, und zog ihn behutsam mit sich in den geöffneten Schrein. Ohne zu begreifen, was es hier geben sollte, sah Philipp staunend das Treiben seiner würdigen Tante. Jetzt zog sie leise einen kleinen Schieber zurück, der hinter einer künstlich in Messing gearbeiteten, durchsichtigen Blume angebracht war, so daß er im Nebengemache nicht bemerkt werden konnte, und ein prächtig verziertes Closett lag vor ihren Blicken.
Auf einem Ruhebette, leicht hingeworfen, lehnte Anna Laminit, mehr sitzend als liegend. Ein weißes, faltiges Gewand von feinem Leinenzeug umfloß ihren Körper, der Schleier, der sie sonst umhüllte, war herabgenommen, und in dicken Flechten zog sich ein Kranz rabenschwarzer Haare, halb um ihren Scheitel, halb fiel es auf die Schultern herab. Ihre Arme, nur wenig verhüllt, so wie der weiße Hals zeigten noch jetzt die schönsten Formen; ihr Gewand und ihr ganzes Wesen aber war so weltlich, so des ehrwürdigen Scheines beraubt, der sie sonst umgab, daß Philipp kaum seinen Augen traute, ohne Worte sah man auf den ersten Blick, sie habe eine lästige Larve abgeworfen, und sei jetzt sie selbst.
Vor ihr stand ein Tischlein, darauf ein Fläschchen köstlichen Weins und ein Kelchglas. In langsamen Zügen schlürfte sie behaglich das Glas aus, füllte es aber nicht zum zweitenmale, sondern winkte ihrer alten Dienerin, die neben ihr saß, die Flasche wieder zu bewahren.
Darauf trat diese zu Annas Bett, und versteckte darin sorgfältig den Wein. Dann ging sie einen Augenblick zum Fenster, sah hinab, und flüsterte rückkehrend: »Alles ist ruhig, in den Fenstern der Herzogin brennt kein Licht mehr, sie schläft wohl schon.«
»Nun denn, so eile, ich habe Hunger!« unterbrach Anna die Alte ungeduldig.
Diese zog nun eine köstliche Lade hervor, welche, mit dem heiligen Kreuz bezeichnet, der Aufbewahrungsort für Reliquien vom heiligen Grab war; noch heute hatte die Laminit in Gegenwart des Erzherzogs der Herzogin einen Kreuzessplitter daraus gereicht. Die Alte öffnete, hob ein Schubfach mit den Reliquien heraus, und darunter ward ein großer Raum sichtbar, angefüllt mit allerhand feinem Gebäck, Honigkuchen und eingemachten Früchten. Auf kleinen silbernen Tellern setzte nun die vertraute Dienerin das Mahl auf, und Anna Laminit verzehrte mit sichtlichem Wohlbehagen ihr leckeres Abendbrod.
Philipp bebte in wüthendem Zorn. »Ha, schändliche Gauklerin!« murmelte er in sich hinein.
»So recht, mein Neffe!« sprach jetzt die Herzogin laut, öffnete mit raschem Drucke die Tiefe des Schreins, welche eine Pforte verbarg, und trat in das Closett der Verbrecherin.
»Hier soll das schändliche Spiel enden, welches diese Freche seit Jahren mit den edelsten Geschlechtern, wie mit dem arglosen Volk treibt,« rief Kunigunde in edlem Unwillen; »seht die elende Betrügerin in ihrer ganzen Blöße, Bethörter, und hört auf, zu glauben, daß solch unreinen Mund der Herr erwähle, um sein ewig reines Wort zu künden.«
Zornglühend stand Philipp da, mit vernichtenden Blicken die Entlarvte messend; diese aber, obgleich zu Schnee verbleicht, erhob sich, und trat festen Schrittes der Herzogin entgegen.
*
»Es läßt Euch wohl, herzogliche Frau, Gäste zu belauschen, die Ihr listig erst in Euer Haus gelockt. Fürwahr, echt fürstlich dünkt mir diese Handlungsweise,« lachte Anna höhnisch auf, und ihre Blicke flogen wild und trotzig von dem staunenden Prinzen zu der, über diese Frechheit verstummten Fürstin.
»Betrügerin!« stammelte endlich Kunigunde, sich fassend.
»Betrügerin,« wiederholte Anna schneidend, »so nennt Ihr mich mit Recht, ich bin's, da ich Euch vorheuchelte, mein Körper bedürfe der Nahrung nicht. Doch wollt Ihr Wahrheit? Wollt Ihr nicht betrogen sein, Ihr Großen, wie Ihr Kleinen? Euern Blödsinn scheltet, der große Geister zur elenden Larve zwingt, wenn Euch begreiflich werden soll, was Gott Euch künden will. Hättet Ihr mir geglaubt und meinem wunderbaren Seherblick vertraut, wenn ich mit einfach klarem Wort zu Euch getreten wäre? Nein, erst mußte ich das Volk gewinnen, damit seine tausendstimmige Zunge so lange meinen Namen rufe, bis ein Blick aus Euern Höhen zu dem Staube der Seherin hernieder fiel; das Volk aber will den Schein, will nicht begreifen, will betrogen sein, darum schlug es einst den Wahrhaftesten und Reinsten an's Kreuz.«
»Halt ein, Weib!« rief Philipp, dem allmählig die Fassung wiederkehrte, »lästere nicht länger, treibe Deine Frechheit nicht auf's Aeußerste. Höhnend stehst Du hier vor Deinen Richtern, und statt demuthsvoll Dein Vergehen zu bereuen, schmähst Du die würdige Herrin dieses Schlosses. Doch meine Langmuth ist zu Ende. Befehlt, Tante, was mit dieser kühnen Gauklerin geschehen soll!«
»Geschehen, mit mir?« rief Anna erglühend, und trat stolz auf den Erzherzog zu, »Ihr Beide habt keine Macht an mir!«
»Das wirst Du wohl erfahren,« rief jetzt die Herzogin empört – »Macht genug, um eine freche Verbrecherin der gerechten Strafe zu überliefern.« Raschen Schrittes eilte die Fürstin nach der Thür.
»Haltet!« rief Anna gebietend, »hört noch ein Wort, ehe Ihr mich Euern Trabanten überliefert. Ich will Euch meinen Namen nennen, und weil Ihr mich ob dieses kleinen Truges, den ich verübt, Verbrecherin nennt, so will ich Euch bekennen, weshalb ich eine Verbrecherin bin, daß Ihr einst in Wahrheit sagen mögt, Ihr habt Anna Laminit gekannt.«
Die Herzogin stand unwillkührlich still, um zu erwarten, wie weit es dies Weib noch treiben werde. Anna aber stützte sich auf den Tisch, vor welchem sie stand, hob das Haupt hoch empor, und sprach mit Stolz und Würde: »Philipp von Oesterreich und Ihr Kunigunde, Maximilians Schwester, erkennt, daß Ihr keine Macht an mir habt. Mein Name ist Anna Leonita Sforza, Galeazzo Maria Sforza war mein Vater, und Deine zweite Mutter, Erzherzog, Blanka Sforza, ist meine Schwester.«
Ein Ausruf des Staunens und Schreckens entfloh Philipps Lippen; die Herzogin aber ließ sich verwunderungsvoll nieder, und schien nicht ohne Neugier dem weitern Bericht entgegen zu sehen. Auf ihren geistreichen Zügen malte sich Unglaube und eine Art von Laune, welche diese seltene Frau nie verließ, besonders wenn ihr Geist etwas tief Verstecktes zu erspähen glaubte.
»Meine Mutter,« so fuhr Anna fort, »war eine edle Römerin, aus einem der ältesten Geschlechter. Galeazzo Sforza, der Wüstling, ward ihr Verführer! Grausam und ewig nach neuer Beute lüstern, verließ er die Unglückliche bald, nachdem sie mich geboren, der er selber in der Taufe seinen Namen beizulegen befahl. Das einzige Gefühl, das meine stolze Mutter noch an das Leben fesselte, war der Durst nach Rache an dem Nichtswürdigen. Mich hatte sie zur Buße ihrer Sünden für's Kloster bestimmt, und schon in meinem funfzehnten Jahre, blühend in Jugendkraft, stieß man mich Unschuldige lebendig in's Grab, um die Schuld zu sühnen, welche mir das Leben gab. Zwei Jahre des strengen Klosterlebens zogen wie eine marternde Ewigkeit an mir hin, doch sie vermochten nicht, mein glühendes Blut zu beruhigen, noch meine Sehnsucht nach Welt und Leben zu dämpfen; mein unablässiges Trachten war: Freiheit. Da hörte ich von einem jungen Franziskaner sprechen, der gottlos genug gewesen, bei seiner öffentlichen Aufnahme in den Orden vor aller Welt es auszusprechen: Er leide Zwang, und wolle nicht Mönch werden. Pater Giuseppe, unser Beichtvater, erzählte uns unter frommen Bekreuzigungen von diesem jungen Manne, von seinem unerhörten Frevelmuth, von seiner Verstocktheit, und daß er nach zweimonatlichen Bußübungen, nach schwerem Kerker und strengem Fasten mit demselben Starrsinn aus seiner Haft hervorging, der ihn in's Gefängniß gebracht; ja, der arme Mensch müsse von einem bösen Geist besessen sein, denn er habe seinen Obern erklärt, sie möchten ihn nur wohl hüten, er gedenke ihnen bei erster Gelegenheit zu entfliehen. Ich fühlte die Leiden des Gemarterten tausendfach, fanden sie doch ihr Echo in meiner Brust, ich lockte den Pater aus: bald wußte ich, daß Manuel ein schöner Jüngling sei, von hohem Wuchs, dunklen Augen, einer edlen Stirn und gebietenden Blicken. Von diesem Augenblicke an war der Jüngling das Ziel meiner Wünsche, und meine glühende Seele hing mit grenzenloser Neigung an dem Ungekannten! Meine Plane und Gedanken, wurden kühner, denn die Liebe schuf sie, und nicht ohne einen heimlichen Wonneschauer vernahm ich, daß meine Mutter krank liege, und mich zu sprechen verlange. Ich sollte wieder die freie Welt sehen, Menschen und Thiere, Bäume und Blumen – hier war mir alles Lebende todt und Grauen erweckend. Im Geleite zweier Nonnen begab ich mich nach Bergamo, wo meine Mutter in tiefer Verborgenheit lebte. Ich fand sie sterbend; mit ihrem letzten Athemzug entdeckte sie mir das Geheimniß meiner Geburt; übergab mir die Beweise derselben, und mit diesen einen Schmuck von ungeheurem Werth, das einzige Andenken meines Vaters. Nicht ohne Grauen vernahm ich das Bekenntniß, daß unter den Dolchen der Verschwörer, die meinen Vater 1476 durchbohrt hatten, einer war, welchen ihre Rache schliff. Sie reichte mir das blutige Eisen, und beschwor mich, es heilig zu halten, als ein Zeichen, wie sie sich gerächt. ›Rache ist süß‹, stammelte sie mit ihrer letzten Kraft; ›mein Herz fand erst Ruhe, seitdem ich gerächt bin.‹
Sobald sie verschieden war, trennte man mich augenblicklich von der Leiche, und führte mich nach meinem Kerker zurück. Als die Pforte hinter mir zufiel, schwur ich es mir mit tausend Eiden: Ich will den Weg zurückfinden, oder nicht länger leben! Das einzige Band, das mir Fesseln anlegte, der Gehorsam gegen die Mutter, war zerrissen. Geliebt hatte ich sie nicht seit dem Augenblick, wo sie mich in's Kloster stieß; aber ich heuchelte eine an Wahnsinn grenzende Traurigkeit, welche zu meinem Plan höchst nöthig war. Mein Trübsinn scheuchte alle Schwestern von mir, es gelang mir, minder beachtet als sonst, eine Bauersfrau zu bestechen, welche jeden Morgen Lebensmittel nach dem Kloster brachte, sie verkaufte mir einen meiner Steine. Alles gelang, sie brachte mir eine große Summe Geldes dafür, und ich erkannte nun erst, welchen Schatz ich in Händen hatte. Ich gab ihr reichlich, und beredete sie, mir ein Bauernkleid zu kaufen, und in ihrer Hütte verborgen zu halten. Habsucht und Zuneigung für mich machten sie zu meiner Retterin.
Eines Tages rief man mich in den Konvent. Man war versammelt, eine Schwester zum Tode zu verdammen, welche auf dem Versuch zur Flucht mit einem jungen Manne ergriffen worden war. Mit Eiseskälte sprach unsere fürchterliche Domina das Wort: › Lebendig begraben!‹ aus, und die Schwestern stimmten alle ruhig für ihren Tod. Mich durchrieselte ein Todesschauer; das gräßliche Beispiel schreckte mich nicht; ich sah mich unter Ungeheuern, und jeder Athemzug, der mich umwehte, schien mir Grabesluft und Mord.
Ein schwüler Abend folgte diesem fürchterlichen Tag. Beim Nachtmahl hatte ich vernommen, die Pförtnerin liege krank auf ihrer Kammer, und der Gedanke zuckte wie ein Blitz durch mein Gehirn: jetzt ist es Zeit. Eine gewitterschwere dunkle Nacht brach an, und nur mit Mühe widerstand ich dem Schlaf, der sich betäubend auf mich niedersenkte. Bald herrschte Todtenstille im Kloster; aller Sinne waren gefesselt durch die drückende Schwüle der Luft. Da erhob ich mich vom Lager, band den Schmuck und meine Pergamente in einen Gürtel fest um meinen Leib, ergriff den Dolch, das blutige Andenken an den gemordeten Vater, und trat entschlossen auf den Kreuzgang. Die Lampe warf einen matten Schimmer, alles war todtenstill. Mit flüchtigen Schritten floh ich den Gang hinab, die Treppe hinunter, und eben bog ich mit leichterem Herzen nach dem letzten Gang, der an der Kirchthür vorüber in's Freie führte – da trat die Domina, in der Rechten eine Lampe, in der Linken das Brevier, aus dem Seitenpförtchen der Kapelle hervor, mir gerade entgegen schreitend. Das Blut in meinen Adern ward zu Eis, meine Füße wurzelten auf dem Marmorboden fest, jetzt stand sie vor mir und fuhr entsetzt zurück. ›Was suchst Du auf dem Weg in's Freie?‹ fragte sie mit einem fürchterlichen Blick, der mir plötzlich die Besinnung wieder gab. ›Die Freiheit!‹ hauchte ich, wie von einer innern Macht getrieben, unwillkührlich hervor. Sie zuckte zusammen, die erdfahle Blässe ihrer Wangen verwandelte sich in dunkles Roth, und vor Wuth stammelnd, kreischte sie: ›Freiheit magst Du finden im Reich des Todes!‹ Lebendig begraben! tönte es durch meine Seele, eine Wuth, die ich bis jetzt nie gekannt, ergriff mich; sie hatte die Lampe nieder gesetzt, ihre Rechte faßte nach mir, ihre Linke griff nach einer Glocke an der Mauer, ich war verloren, wenn sie sie erreichte. Da hob sich mein Arm – der Dolch zuckte nach ihrem Herzen, und mit einem dumpfen Schrei sank sie durchbohrt zur Erde.
Ich nahm die Lampe auf, floh, von finstern Mächten getrieben, den Gang hinab, und trat in die Zelle der Pförtnerin. Vom Fieber gerüttelt, halb sinnlos lag sie auf ihrem Lager, die Schlüssel neben ihr auf einem Stuhl. Ich griff darnach, mechanisch faßte die Hand der Kranken nach den Schlüsseln, mit Riesenkraft entriß ich ihr das Werkzeug meiner Rettung. In wenig Minuten trat ich aus den finstern Mauern, fest verschloß ich die Klosterpforte von außen, warf die Schlüssel in den vorbeirauschenden Strom, und floh, wie vom Sturm gejagt, in den Wald.
*
Bald erreichte ich die Meierei der Bäuerin. Dort fand ich die Kleider, und für einen zweiten Diamanten, den ich ihr gab, überließ sie mir auch ihr Maulthier. So gelang es mir, unentdeckt nach Rom zu kommen, dort verhandelte ich die Hälfte meines Schmucks, und trat nun meinen Weg nach dem Kloster an, welches meinen Manuel verbarg. Wohl hörte ich gräßliche Dinge erzählen von einer jungen Nonne, welche entflohen sei, die Domina ermordet, und die Pförtnerin so in Wahnsinn gestürzt habe, daß sie nimmermehr genesen werde, aber ruhig hörte ich den schrecklichen Bericht; lag doch die dunkle Vergangenheit weit hinter mir, und that sich doch das Leben in rosigem Lichte vor mir auf.
Es war an einem Fest des Heiligen Franziskus, als ich in die Kirche trat, wo ich ihn zu finden hoffte. Alle Räume waren voll von Gläubigen, und kaum konnte die Prozession von Mönchen, welche aus dem Innern des Klosters kam, sich Bahn durch den Kreuzgang machen. Mein Auge flog suchend die Reihe auf und ab. Da, ganz zuletzt gewahrte ich einen jungen Franziskaner, dessen hohe Gestalt, dessen jugendlich schönes Antlitz, dessen Feuerauge mir auf den ersten Blick den Gesuchten verkündete. Ich drängte mich durch das Volk dicht in seine Nähe, unsere Augen begegneten sich, und wie durch Zauber angezogen haftete Blick in Blick. Es gab einen Stillstand von wenig Sekunden, ich flüsterte leise mit niedergeschlagenem Blick und wie im Gebet gefalteten Händen: › Ora pro nobis!< Bist Du Manuel Volteggi?‹
Er neigte bejahend das Haupt, ohne einer Antwort fähig zu sein.
›Diesen Abend‹, sprach ich jetzt kaum hörbar, ›dort im Beichtstuhl harre ich Dein!‹
Zum zweitenmale neigte er das Haupt, und der Zug ging vorüber.
Ich verließ die Kirche nicht mehr, mein Körper bedurfte keiner Nahrung, mein Geist keiner Zerstreuung. In dem Beichtstuhl verborgen, dachte ich sein. Sein Bild hatte alle früheren Vorstellungen in mir verdrängt. Einen Halbgott, wie sie die Dichter unserer Ahnen malten, hatte ich erblickt, und er erfüllte meine Seele so ganz und gar, daß ich fühlte, es werde nichts auf Erden mehr Stätte finden in meinem Herzen, als nur er!«
Anna schwieg, ihr Haupt sank auf die Brust, ihr Auge glänzte in ungewohntem Naß, der Wiederschein einer schönen Erinnerung lagerte sich auf ihren bleichen Wangen. Nicht ohne Bewegung harrte der Erzherzog auf das, was ferner kommen sollte. Die Herzogin überwand das Grausen vor der Mörderin, ihr Blick, der vor wenig Minuten schaudernd ihren Anblick floh, kehrte aufmerksam zurück zu der merkwürdigen Verbrecherin, und man sah es ihr an, daß sie sich von diesem Bekenntniß keine Sylbe wolle entschlüpfen lassen.
Nach einer kleinen Pause fuhr die Laminit, sich ermannend, fort:
»Der Abend kam, mit ihm Manuello. Unsere Herzen fanden und verstanden sich. Ich verschwieg es ihm, daß ich Nonne war, ich wollte seinen Muth, mit mir zu fliehen, nicht schwächen, und dann hielt mich unwillkührlich eine innere Warnungsstimme von dem Bekenntniß ab, ich trug das Bewußtsein eines Mordes auf der jungen Brust, mußte er mich nicht als jene Mörderin erkennen, sobald ich ihm gestand, daß ich dem Kloster entsprungen sei? Ich schwieg, ich war ihm eine Waise, die das Vermächtniß ihrer Mutter mit ihm zu theilen kam, sein Leiden hatte mich gerührt, der Zwang, den man ihm auferlegt, empört, und so war ich gekommen, ihn zu retten. Bald war das Werk gethan, ich wußte einen Bündel mit andern Kleidern in den Beichtstuhl zu verbergen, und schon am Abend des folgenden Tages fand uns der aufsteigende Mond im dicksten Orangenwald, und Herz an Herz dankten wir dem Himmel für unsere Rettung.
Manuels männlicher Sinn, die Ueberlegung, welche seiner Jugend sich wunderbar gesellte, ließ ihn die Gefahr, die uns bedrohte, nicht verkennen. Einen entlaufenen Mönch konnte keine Stätte sichern, als eine solche, wohin die Gesetze, der fürchterliche Arm des Ordens, nicht reichten. Wir flohen in's Gebirge zu den Räubern, die gleich freien Fürsten die Gegend rings beherrschten. Manuello trat unter sie, nicht wie ein Flehender, sondern wie ein ernster Gebieter, er bot ihnen unsere Schätze an, und forderte dagegen ihren Schutz, allein seinen freien Willen sich bedingend. Jubelnd nahm man uns auf. Der blühende Jüngling, den Thatkraft und Heldensinn adelten, machte sich bald die rohen Gesellen unterthan, nach kurzer Frist war er ihr Hauptmann. Da ich Euch nur Wahrheit verkünde, so will ich auch dem gerecht sein, den ich hasse; Manuello war edel. Nie sah ich ihn morden, nie vergoß er nutzlos Blut, er beherrschte mit unerklärlicher Gewalt seine Untergebenen, und wenn unschuldig Blut floß, kommt es nicht auf sein Haupt. Die Geistlichkeit nur fühlte seinen Grimm, furchtbar, mit schweren Summen mußte jeder, der in seine Hand fiel, sein Leben erkaufen, denn nie konnte er es vergessen, daß dieser Stand es war, dem er sein Unglück dankte; unglücklich war er stets, sein Geist lechzte nach einem ehrenvolleren Thatenkreis.
Jahre verstrichen so, wir liebten uns, ja, wir liebten uns! Denn selbst als Manuello durch einen Zufall entdeckte, ich sei jene mörderische Nonne, die man vergebens durch ganz Italien suchte, blieb er liebevoll gegen mich, wie sonst.
Ich war eines holden Mägdleins genesen, das Kind war seine einzige Freude auf Erden. ›In diesen Zügen‹, also sprach er oft, ›wohnt der Himmel der Unschuld, der uns auf ewig ausstieß, und die Gnade des Herrn, der seine Sonne auch dem Bösen sendet, strahlt mir aus dem segenvollen Blicke des milden Auges.‹ Das Kind war sein Liebstes auf der Welt.
Um jene Zeit zog Manuello nach den Küsten hinab, und segelte später nach Korsika hinüber, das Meer als Seeräuber durchkreuzend. Es geschah aber, daß es unsern Leuten gelang, ein kleines Fahrzeug zu entern, welches von Algierischen Corsaren bemannt und mit Schätzen beladen war, bestimmt für den Dey, darunter eine schöne maurische Jungfrau, welche man an der spanischen Küste, in der Nähe von Valencia geraubt hatte. Manuel warf nur einen Blick auf die gewonnenen Schätze, denn sein Auge wollte nicht lassen von den Reizen der schönen Heidin. Ich sah es im ersten Augenblicke, die Todesstunde meiner Liebe sei gekommen. Ich vermag es nicht zu künden, wie die Verhaßte den Verräther erst mit Abscheu von sich stieß, dann ihn mit heuchlerischen Thränen um den ›Verlornen‹, so nannte sie Manuel, wieder anzog. Einst, in dunkler Mitternacht, wo mich Wuth und Verzweiflung vom Lager trieben, schritt ich lautlos durch das Pinienwäldchen der Küste, wo unser Haus zwischen Felsenklippen verborgen lag. Gräßliche Gedanken, wilde Plane kreuzten sich in meinem Sinne. Da gewahre ich eine Gestalt, welche leise und behutsam mit einem Bündel aus der Thür tritt, und die Stufen hinabschleicht, welche zu der Bucht führen, wo unsre Fahrzeuge versteckt waren. Ein Schauder durchrieselt mich. Ich werfe mich zur Erde, verberge mich hinter einem Felsstück, und bald sehe ich, wie die Gestalt vorsichtig wieder zurückschleicht in's Haus. Zum zweitenmal erscheint sie jetzt, der Mond tritt aus den dunklen Wolken, und beleuchtet mit seinem Strahle das Verbrechen. Manuel schreitet daher, an seine Brust schmiegt sich das heidnische Weib, auf seinem Arme trägt er unser Mägdlein, und raschen Schrittes eilen sie dem Boote zu.
›Halt!‹ rief ich dem erbleichenden Verräther entgegen, und weithin schallte im Echo die Stimme meiner Verzweiflung die Küste entlang. ›Halt, Bösewicht, oder morde mich, ehe Du mit der heidnischen Cyrce das Boot betrittst.‹
Manuel trat mir mit blitzenden Augen entgegen.
›Leonita‹, rief er, ›dies Weib ist eine reinere Christin nach Gottes Sinn, als Du und ich je gewesen; schmähe nicht sie, noch mich, ich suche die Bahn des Heils an ihrer frommen Hand. Du aber, Leonita, thue Buße und kehre heim zu den Deinen.‹
›Zu den Meinen?‹ jammerte ich, ›wer sind die Meinen? Ich habe nichts, was ich mein nenne auf Erden! Gieb mir mein Kind, Ungeheuer! dann geh', wohin Dein frevelhaft Gelüst Dich treibt; Du hast mich elend gemacht, mein Fluch begleitet Dich.‹
›Ich habe Dich elend gemacht? Ich?‹ rief Manuello mit grausigen Tönen: ›Entsetzliche! hast Du nicht meinen Frevel zum unversöhnlichen gemacht? Mörderische Nonne, soll ich mein reines Kind an Dein beflecktes Herz legen, damit Du die schuldlosen Hände morden lehrest, und die Seele vergiftest, die jetzt eine Perle ruht in unentweihter Brust? Mein Herz blutet, Leonita, aber ich kann Dir das Kind nicht geben; Keines von uns soll diesen Engel sein nennen, hier‹, er legte mein Mägdlein an die Brust der Heidin, ›hier, an dieser heiligen Stelle soll es reifen zum Preis des Herrn. Du aber kehre zum Hause, Du findest Schätze in Fülle, bereue, und laß mich ungestört den Weg verfolgen, den ich erwählt.‹ Unaufhaltsam wandte er sich, und stieg die Stufen hinab, lösete das Boot vom Strande, und rief befehlend: ›Fiametta, komm'!‹ Da faßte mich der finstere Geist sinnloser Wuth, die Hand zuckte nach dem blutigen Dolch der Mutter, welcher nie von meiner Seite kam; wohl wissend, wie ich ihm die Todeswunde schlage, riß ich das Kind aus den Armen der Verhaßten. ›Nicht Dein, nicht mein soll es sein!‹ rief ich im Wahnsinn, und mit einer Todeswunde in der Brust schleuderte ich das Kindlein dem erstarrten Vater zu. Noch sah ich sein geisterbleiches Antlitz, das blutbedeckte Opfer, dann von Verzweiflung erfaßt, floh ich, bis mich undurchdringliches Waldesdunkel verbarg.«
*
»Ungeheuer!« rief Kunigunde, das erbleichende Gesicht in beide Hände verbergend. Von Schauder durchrieselt wandte der Erzherzog den Blick von der Fürchterlichen, denn mit weit offenen Augen starrte sie vor sich hinaus, in ihren verzerrten Zügen spiegelte sich das Bild des sterbenden Kindleins, ihre Glieder bebten, vom Frost geschüttelt, sie vermochte nicht länger sich aufrecht zu halten, und sank matt auf, das Ruhebett zurück. Die Kraft, mit welcher sie sich sonst beherrscht, war den Furien der Reue gewichen, die Erinnerung vernichtete sie.
Nach langem Schweigen sprach sie mit gebrochener Stimme: »Diese einzige Handlung meines Lebens bereue ich, und dafür werde ich einst blutig büßen; alles Andere kann ich vor mir selbst vertreten. Das Kindlein, mein reines Lamm, hätte ich verschonen sollen! War's doch so hold, und dies einzige Wesen auf der weiten Welt liebte mich! Dafür giebt's Jenseits keine Gnade!«
Ihre Gesichtszüge arbeiteten mächtig, ein ungewohnter Ausdruck der Empfindung machte seine Rechte gelten, und plötzlich schoß ein Thränenstrom über ihre Wangen. Rasch verhüllte sie das Haupt, und saß so, leise schluchzend.
Jetzt erhob sich die Herzogin. Mit Mühe ihre Erschütterung bezwingend, sprach sie ernst: »Genug vernahm mein Ohr, ich will nichts weiter hören. Verbrechen, deren Ahnung meine Seele nie beschlich, sind hier verübt, und ein Menschenarm ist hier zu strafen zu ohnmächtig und zu schwach. Auf Dieser da liegt Gottes Hand!« Sie schritt dem Ausgange des Gemaches zu.
Da fuhr Anna plötzlich empor, vertrat der Herzogin den Weg, und rief mit fester Stimme: »Höret mich zu Ende; nicht um Euch zum Richter über meine Thaten zu machen, habe ich zum erstenmal mein fest verschlossenes Herz geöffnet – Euch zu beweisen, daß Ihr keine Macht an mir habt, gab ich Euch mein Vertrauen. Geduldet Euch nur wenig Augenblicke, rasch wird's zu Ende sein.
Als Bettlerin kam ich nach Mailand. Nichts war mir geblieben, als mein Dolch und die Beweise meiner unglückseligen Geburt. So trat ich vor Maria Blanka Sforza. Zwei Stunden dauerte die Unterredung, deren meine fürstliche Schwester mich würdigte, und nimmermehr wird ein Sterblicher erfahren, was Blanka zu mir sprach, es wäre denn, daß sie selber mich dazu zwänge.
Darauf verließ ich Italien, und zog gen Augsburg, wo dazumalen oft der edle Maximilian hauste. Dort weihte ich mein sündiges Dasein der tiefsten Reue und dem Anschauen Gottes, ich kehrte zu meiner frühern Bestimmung wieder, geißelte meinen Körper, fastete, ja ich genoß jeden Tag nur einmal Nahrung, und nur so viel als nöthig war, mein elendes Dasein zu fristen. In einer Nacht sank ich, müde von Gebet und Thränen, auf mein Lager. Da öffnete sich meinem innern Auge eine neue, lichte, ungekannte Welt. Es war die Zukunft, die ich schaute. Ich sah Kaiser Maximilian auf mein Haus zuschreiten, ich sah ihn nach der Hand meiner Schwester Blanka fassen, und plötzlich umzog ein goldener Reif vereinend ihr Haupt. Am andern Tag erschien der Kaiser wirklich bei mir, ich zeigte ihm die Zukunft, und kaum war ein Jahr entflohen, erfüllte sich das Bild. Von dort an begnadigte mich der Herr, und mir ward's vergönnt, hellen Blicks in die Zukunft zu schauen; und mein sündiger Mund ward oftmals erwählt, des Herren Willen zu erfüllen.«
Stolz das Haupt erhebend trat sie nun vor den Erzherzog hin und schloß also: »Nun Philipp, hast Du Macht an mir? Nur Dein Vater, nur Deine Kaiserin kann mein Urtheil sprechen, nur diese können meine Richter sein, und ihrem Ausspruche unterwerfe ich mich! Ihr, Frau Herzogin, pflichtet nun wohl meiner Meinung bei?«
»Vollkommen!« sprach Kunigunde, sich erhebend. »Der Erzherzog hat keine Macht an Euch, und ich wollte ihn geziemend belehren, wenn er sich des in meiner Gegenwart vermäße.«
Mit ernster Miene trat sie jetzt in die Mitte des Closetts, ihr geistreiches Auge blitzte, ihre ehrwürdige Gestalt erhob sich sichtlich, mit lauter Stimme fuhr sie fort: »Hier in unsrer Herzoglichen Burg zu München steht keinem Sterblichen Macht zu, als den Herzogen von Baiern, und nicht Erzherzog Philipp, nicht des Kaisers meines Bruders Majestät soll dergleichen sich zu Sinne steigen lassen; wir kennen unser gutes Recht, und haben es stets bewahrt, wie wir's zu wahren denken allezeit. Ich, Herzogin von Baiern, gedenke meine Macht zu handhaben, und so halte ich Dich in strenger Haft, zweifache Mörderin, tausendfache Verbrecherin, heuchlerisches, trügerisches Weib. Meine klaren Blicke haben Dich längst durchschaut, und wahrlich, die Rolle, die Du im Gewand der Heiligen spieltest, macht dem Orden, in dessen Dienst Du stehst, so große Ehre, als Dir selber, doch sie sei ausgespielt, die schmähliche Täuschung ist am Ende.«
»Trabanten!« rief zum zweiten Mal die entschlossene Fürstin – und kaum hatte sie den Glockenzug berührt, so ward es im Vorgemach laut von eisenschweren Tritten, die Unheil kündend, Anna's Ohr berührten. Sie erbleichte, und ihre Blicke schossen durchbohrende Blitze auf die erhabene Frau.
Da faßte Philipp bittend die Hand der Herzogin, zog sie rasch nach einem Fenster, und sprach leise und dringend zu ihr. Kunigunde schien ernstlich nachzusinnen, eine Todtenstille herrschte im Gemach, man konnte die Herzensschläge der Verbrecherin zählen; endlich sprach Kunigunde: »Gut denn, mein edler Neffe, ich will Eurem Wunsch in sofern Gehör schenken, als es sich mit meiner Pflicht als Christin und Fürstin verträgt. Ich werde sie in diesem Zimmer verwahrt halten, bis uns Nachricht aus Insbruck kömmt; ist sie Blanka's Schwester, wofür meine kaiserliche Schwägerin die heilige Jungfrau schützen möge, so mag des Kaisers Ausspruch ihr Schicksal bestimmen. Ist sie es nicht, was ich hoffe und wünsche, so ist sie unserm Gericht verfallen, und unser abwesender Herr und Ehgemahl wird dann der Christenheit beweisen, daß der Schutz keines Ordens in der Welt vom Schandpfahl retten kann, wo Verbrechen laut zum Volk um Gerechtigkeit schreien!«
Bei diesen Worten verließ die Herzogin das Gemach, ohne die verblaßte Sünderin eines Blickes zu würdigen, der Erzherzog folgte ihr ebenso, und zähneknirschend hörte Anna Laminit, wie die Thür sich schloß; ein Riegel klirrte, und die Schritte der wachehaltenden Trabanten verkündeten weithin im Schloß: die gepriesene Heilige Augsburgs sei zur wohlgehüteten Gefangenen Kunigundens von Baiern geworden.
*
»Antonio Volteggi liegt in sicherm Gewahrsam, nicht, weil es Euer Wille ist, Bruder Hilarius, sondern weil er dem heiligen Gerichte frevelnd eine Beute entzog. Euer schlau gesponnenes Spiel mit dem Erzherzog mißbilligen wir, es behagt uns nicht, denn unser Blick dringt weiter, als Eure kurzsichtige Klugheit. Laßt sogleich ab von dem fürstlichen Jüngling, führt ihn zurück auf den rechten Weg, denn unser mächtiger Oberherr, Torquemada, hat in seiner Weisheit das Loos des Prinzen schon bestimmt. Johanna von Arragonien wird seine Gattin, und durch diesen Bund wird die wankende Kirche, beschützt vom heiligen Gericht, fester stehen, als es je durch die Ränke der deutschen Mitglieder des Ordens, deren ehrgeizige Plane nur dem eigenen Vortheil dienen, bewerkstelligt werden könnte.
Der Geheimschreiber Torquemada's,
Pater Zirillus.«
Diese Zeilen in Händen, die Stirn in finstre Falten gelegt, die Augenwimpern tief herabgesenkt über den stechenden Blick, ging Hilarius schon eine Stunde im einsamen Gemache auf und nieder, und man sah es ihm an, daß seine Seele nach Erleichterung der gepreßten Brust verlange. Endlich öffneten sich die festgekniffenen Lippen, und ein Strom von leise gesprochenen Worten begann sein Herz zu entladen: »So schlau, Du feiner Torquemada, Du großer Menschenkenner, so schlau bist Du? Die Kirche befestigen? Ja wohl, die spanische; doch der Orden in Deutschland sei vernichtet, nicht wahr? Euch unterthan, der Gnade Torquemada's leben, erwarten, was die spanische Geistlichkeit dem Orden läßt, was sie uns gebieten, was sie erlauben wird? Nein, so weit soll Eure Macht nicht wachsen, so sollt Ihr den Orden nimmer unterjochen. Laß sehen, stolzer Tyrann, ob Deine Weisheit oder unsere Ränke zum Ziele leiten werden!«
Mitternacht war längst vorüber, da kamen eilende Tritte den Gang herauf, die Thür öffnete sich, und bleichen Angesichts trat Philipp ein. Ruhig legte der Dominikaner das verhängnißvolle Pergament zur Seite, trat dem Fürsten entgegen, und fragte nicht ohne Staunen: »Zu dieser Stunde und noch in voller Hoftracht? Was ist geschehen, erlauchter Herr!«
Mit finstern Blicken maß Philipp den Vertrauten.
»Ist Dir bekannt, wer Anna Laminit ist?«
Kein Zug, keine Miene verrieth das Geheimniß des schlauen Mönchs, und mit argloser Offenheit entgegnete er: »Sie ist eine fromme Schwester aus Ankona, welche eines Gelübdes halber in strenger Buße lebt. Ihr Wandel war sündig, wie sie selber mir gestand, doch glaubt sie den Herrn durch tiefe Reue gesühnt zu haben.«
»Solche Thaten, wie sie auf ihrer Seele lasten, sühnt nur der Tod. Doch sprecht, haltet Ihr sie wirklich eines Blickes in die Zukunft fähig?«
Betheuernd legte der Pater die Rechte auf die Brust, und schwur mit lauter Stimme: »Ja, sie kündet Wahrheit, durch unzählige Proben hat sich dieser Glaube mir bestätigt.«
Philipp schwieg einige Sekunden, dann fragte er leise, gleichsam als wagte er die Frage vor sich selbst nicht auszusprechen: »Also glaubst Du auch, ich werde ohne Blanka's Besitz nimmer Kaiser sein?«
»Gott ist mein Zeuge, daß ich's glaube, edler Herr, wie hätte sich sonst der redliche Hilarius zum Helfer Eurer Liebe hergegeben? O laßt Euch durch nichts irre leiten, mein Fürst, man will Euch mit der spanischen Johanna verbinden, um Euch und Eure Länder der Geißel der Inquisition zu überliefern; Ihr werdet nimmer zum Kaiserthron gelangen an ihrer Seite, denkt an den Sarg, den Anna Laminit in jener Nacht sah – o warum verscheuchtet Ihr damals durch Euren Ruf das Bild, so wüßten wir gewiß, was jetzt wie eine bange Ahnung nur mich unablässig quält – ich sehe Euch im frühen Sarg, wenn Ihr das ernste Wort nicht hört. Fragt Euer Herz, es ist der einzige wahre Freund – was Euch dies befiehlt, das thut.«
»Nun wohl,« rief Philipp aufspringend, »mein Herz gebeut mir, die Geliebte heimzuführen, und an ihrer Brust die Lösung aller dieser Zweifel zu finden.«
»Wohl, so sei es,« rief Hilarius freudig, »ich bin mit Euch, faßt sie in die Arme, meine Hände segnen Euren Bund, und wird mir auch der Tod deshalb, so scheide ich ruhig, denn ich scheide mit der festen Überzeugung vom Leben: mein Fürst wird dennoch Kaiser sein, und eine mächtige Stütze seines Volkes und der heiligen Kirche.«
Philipp faßte begeistert seine Hand und rief: »Das will ich auch, Hilarius, ich gelobe es Dir!« Dann aber sprach er rasch und leise: »Diesen Morgen reiten wir gen Inspruck zu dem Kaiser, so heißt es; die Herzogin sendet ohnedem einen Boten ab, dann, Hilarius, begleite mich.«
Der Erzherzog eilte nach seinem Schlafgemach, und Hilarius rief tückisch lächelnd hinter ihm her: »Nun, Torquemada, meinst Du wohl, die Frucht sei reif genug, und werde bald fallen? Was nun auch mit Anna Laminit geschehe, ihre Rolle für uns ist ausgespielt, mag sie denn zu Grunde gehen, je schneller, je besser für uns.« Und völlig beruhigt suchte nun auch er sein Lager.
Es war am Abend des folgenden Tages, als Fräulein Blanka von Fugger, von einem Gastmahl heimkehrend, in ihr stilles, dem Leser wohl bekanntes Stübchen trat. Wie einst war sie umhüllt von prächtigen Gewändern, mit Schmuck und Edelsteinen geziert, aber es war die Jungfrau nicht mehr, die wir vor Monden an eben diesem Spiegel belauschten, der jetzt ihr Bild getreulich, wie damals, zurückwarf.
Wohl trat die edle Gestalt hoch aufgerichtet einher, wohl trug sie kühner das schöne Haupt, und nichts an ihr verkündete Kummer und Leid, im Gegentheil war eine ernste Ruhe, eine stolze Sicherheit über ihr ganzes Wesen verbreitet. Aber das Inkarnat der einst so vollen Wangen war verbleicht, das edle Oval des lieblichen Gesichts hatte sich um ein Merkliches verlängert, die einst so feurig blitzenden Augen schauten trübe, und schienen tiefer zu liegen als sonst, und der blühende Körper hatte nicht an Schönheit, wohl aber an Fülle der einst üppigen Formen sichtlich verloren.
Wie sie es auch verhehlte, sah man's doch deutlich, ein Wurm nage an dieser köstlichen Blüthe, und mit sorglichen Blicken nahm ihr heute Dore das prächtige Gewand ab, ihr das Nachtkleid überwerfend. Nicht wie sonst wechselte die Herrin freundliche Worte mit der gutmüthigen Dienerin, ihre Lippen waren verschlossen, nur, was nöthig, vermochte ihr die arme Dirne zu entlocken, und schnell, sobald ihr Geschäft beendet war, sah sie sich zu ihrer großen Betrübniß entlassen.
Blanka war nicht mehr die heitere, lebenslustige Jungfrau, wie einst; das Liebste hatte ihr der Tod entrissen, und ernst und feierlich war das Geschick zu ihr getreten, ihres Lebens Bahn bezeichnend. Die Liebe war todt, selbst die Erinnerung an das theure Grab mußte sie gewaltsam bannen aus der verarmten Brust: war sie doch Philipps Braut, und einstens Deutschlands Kaiserin. Dieser riesenkühne Gedanke stählte das stolze Herz, und obgleich darbend an jeder süßen Lebensfreude, wähnte die Fürstenbraut sich abgefunden zu haben mit den Wünschen der leichtgesinnten Jungfrau.
So stand Blanka auch jetzt kalt und schweigend an ihrem verborgensten Schrein, und ihr Auge ruhte ernst auf den Zügen des fernen Verlobten. Zwei Pergamentblätter in ihrer Linken, das Bild des Erzherzogs in der Rechten haltend, so traf sie die Gestalt, welche jetzt rasch, aber behutsam eintrat in das stille Gemach. Lange stand sie regungslos hinter der in tiefen Gedanken verlornen Jungfrau, jetzt endlich schlang sich ein Arm um ihren schlanken Leib, und warme Lippen hemmten den Ausbruch des Hülferufs, der sich ihrer Brust entwinden wollte.
»Philipp!« rief endlich Blanka, sich aus seinen Armen windend. »Ihr hier, und wieder zur Nachtzeit, wieder auf verborgenen Pfaden?«
»Blanka, geliebtes Leben!« flüsterte der Erzherzog dringend, »der Augenblick ist kostbar, höre mich! Ich komme, Dich an Dein Wort zu mahnen! Gedenkst Du Deines Schwures?«
»Ich gedenke seiner,« sprach Blanka feierlich.
»Nun denn,« rief Philipp stürmisch, »man reißt mich von Dir los, man will mich vermählen mit einer Gattin, die ich hasse; laß uns der Gewalt die Macht der Liebe entgegen setzen, werde mein, noch jetzt, in dieser Stunde. Drüben in der Klosterkirche steht der Geistliche bereit, er vereinigt unsre Hände auf ewig, und noch diese Nacht, Blanka, eile ich fort, meinem Geschicke muthig zu trotzen, denn nichts mehr auf Erden, nicht des Kaisers Macht, noch der Grimm des Papstes vermag uns dann zu trennen! Komm, folge mir, Alles ist bereit!«
Ein heftiges Zittern befiel Blanka's Körper, sie mußte sich an den Schrein halten, um nicht nieder zu sinken.
»Zur Trauung wollt Ihr mich führen, jetzt, in dieser Stunde?« stammelte sie endlich, kaum hörbar, »und mein Vater?«
»Blanka,« flehte der Ether, »stürze mich nicht in Verzweiflung! Du weißt, daß Dein Vater nimmermehr es wagen würde, gegen den Willen des Kaisers Deine Hand in die meine zu legen; ist es geschehen, so bleibt ihm keine Wahl. Wie, Blanka, ist Deine Liebe nicht stark genug, um Deinen Muth so zu stählen, daß Du es wagst, nach meiner Hand und nach der Kaiserkrone zu greifen? Es giebt nur dies eine Mittel, in wenig Tagen ist es zu spät. Komm, Geliebte, zögre nicht! Dein Vater wird uns danken, wenn wir ihn unwissend lassen, bis es geschehen; denn welcher Vater sieht nicht gern seine Tochter auf einem Thron? Sobald wir getraut sind, kehre ich mit Dir zurück, wir treten vereint vor ihn, und bekennen unsre That; er wird, er muß vergeben, komm, Blanka, komm!«
Während dieser Worte hatte er die Kraft- und Willenlose mit starkem Arm erfaßt und zog sie der Thüre zu, deren Schloß er bereits ergriffen hatte, als Blanka zusammenzuckte, und sich gewaltsam von ihm losreißend stammelte: »Um Gott, hört Ihr nicht? Stimmen auf dem Gang – eilige Schritte – immer näher – das gilt mir!« und starr vor Entsetzen die Hände ringend, flog ihr Blick wie Hülfe suchend umher. »Kein Ausweg, keine Rettung; man findet Euch, und Eure Gegenwart entehrt die Frau, die Ihr zu lieben vorgebt. O heilige Mutter Gottes! Du kennst meine Unschuld, rette mich und laß mich sterben, ehe diese Schmach mich tödtet.« Mit diesem Ausruf sank Blanka auf das Ruhebett; Philipp aber flüsterte – athemlos horchend: »Nicht Tod und Schande soll Dir diese Stunde bringen, in welcher ich ein ganzes Leben voll Glück und Ehre Dir bereiten werde – sei gefaßt – Du bist ja mein!« Bei diesen Worten verschwand der Erzherzog hinter den schweren Damastgardinen ihres Lagers; in demselben Augenblick rief Dorens Stimme von außen: »Wichtige Kunde, Fräulein, erlaubt um Gotteswillen, daß wir eintreten!« Blanka, zitternd wie eine Verbrecherin, wankte zu der Thür, und hatte kaum die Kraft, sie zu öffnen.
*
Erstaunt und unwillig fuhr Blanka zurück, denn herein trat der Leineweber Zimmer, dessen wir schon einmal im Verlauf dieser Erzählung erwähnt, und sein bleiches Gesicht, seine bittende Miene ließen eher einen Flehenden gewarten, als einen, mit wichtiger Kunde Beschwerten.
»Was sucht Ihr bei mir zu solcher Stunde, Meister?« fragte Blanka mit schlecht verhehltem Unmuth.
»Ach, zürnt nicht, mein hochgeehrtes Fräulein,« bat der gutmüthige Mann, »aber die Sorge für Euch, die Angst um mein eigen Seelenheil, wenn ich schwiege, und die Hoffnung, daß vielleicht doch noch Rettung möglich ist, ließen mich alle Sitte vergessen, so daß ich in also später Stunde mich aufmachte, allhier in's Haus drang, und Jungfer Doren beredete, mir noch heute eine Unterredung mit Euch allein zu verschaffen: es werden gar vornehme Namen fallen bei der Geschichte.«
»Was ist geschehen?« fragte Blanka, aufmerksamer werdend.
»Noch weiß ich es selber nicht recht, und wolle Gott, es sei noch nichts geschehen, dann segnete der Herr diesen Gang. Vergönnt, daß ich mich niederlasse, der Weg vom Werdachbrucker Thor ist weit, ich habe ihn in großer Eile gemacht, und der Schrecken setzte mir wohl auch ein wenig zu; denn Schande erlebt ein ehrlicher Mann nicht ohne Schauder, Ihr glaubt's mir wohl auf's Wort.«
Blanka's Blicke flogen ängstlich von dem bleichen Weber nach ihrem verhüllten Lager, und von dort wieder zurück.
»Setzt Euch,« sprach sie endlich befehlend, »und sagt mir so schnell als möglich, was Ihr bringt?«
»Erst schickt die Dore fort,« begann nun der ehrliche Weber, »denn das ist nicht für sie.«
Dies geschah.
»Ja, seht, da muß ich weit ausholen. Ich habe eine Schwester, sie nennt sich Anneliese, und ist, was man sagt, recht eine kernhafte Dirne, mit rothen Wangen und feurigen Schalksaugen. Das Mägdlein faßte schon vor ein Paar Jahren eine heftige Neigung für einen Menschen, dessen Stand und Namen sie uns durchaus nicht gestand. Es schrieb sich aber diese Neigung von dem letzten Reichstage her, den des Kaisers Majestät hier gehalten, und dachten wir's uns gleich, es sei einer von des Kaisers Leibgesinde. Ich sagte ihr, daß dies Volk fast sämmtlich loses Gesindel sei, und es mit braven Dirnen nicht ehrlich meine, aber sie sprach: ›Wenn mein Schatz kann, wird er mich schon heimholen‹, und ließ nicht von ihm, obgleich er fern war, und sich viele gute Freier zeigten. Als vor einem Jahre der Kaiser allhier durchkam, traf ich die Anneliese eines Abends vor der Hausthür mit ihrem Liebsten. Ich nahm den Burschen bei der Hand, zog ihn in's Zimmer, und besah mir sein glattes Antlitz, also sprechend:
›Guten Abend, Herr Schwager, ist's mir doch lieb, Ihn einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen.‹
Der Bursche war schön und schmuck angethan, aber die höfische Hoffahrt blitzte ihm aus den Augen.
›Schwager?‹ raunzte er kurz und verächtlich, ›so weit sind wir noch nicht, Gevatter Leineweber.‹
›Nicht‹, sprach ich ernst, ohne zornig zu werden, ›so denkt Er meine ehrliche Schwester nicht zu ehelichen?‹
Verlegen sah der Bursche vor sich nieder.
›Ist das Mädel zu schlecht für Ihn, Herr Hofspeichellecker?‹ fragte ich zornig werdend, ›antworte Er!‹
›Noch erlauben es meine Verhältnisse nicht‹, stotterte er endlich, ›auch sieht mein kaiserlicher Herr die verehelichten Leute nicht gern im Dienste um sich.‹
›Nun denn‹, rief ich, auf die Thür weisend, »so packe Er sich da hinaus, wo der Zimmermann den Weg gemacht. Denkt Er, eines Bürgers Tochter zu Augsburg sei gut genug für seines gleichen zum – Schatz? Lasse Er sich nimmermehr in meinem Hause erblicken, sollen nicht die Fäuste des Leinewebers Zimmer seinen kaiserlichen Galarock ausklopfen.‹
Der Bursche wollte grob werden, da warf sich die Anneliese zwischen uns, bat mit tausend Thränen, wir sollten doch um Gott friedlich aus einander gehen. Sie versprach, den Liebsten nicht wieder zu sehen, und ich meiner Seits versprach ihr, sie aus dem Hause zu jagen, wenn sie solches ferner thun werde. Darauf reiste der Kaiser ab, und obgleich die Anneliese verblühte, wie eine Blume ohne Regen, so war doch Alles sonst friedlich im Hause. Nach wenig Monden kam der Kaiser zurück, und sein schöner Prinz der Erzherzog Philipp mit ihm, nun Ihr wißt's ja wohl. Mir war bange, denn ich sah gleich am ersten Abend den verwünschten Burschen um das Haus scharwenzeln. Da sagte ich der Schwester: ›Du, der kaiserliche Speichellecker ist mit den Herrschaften gekommen, sieh zum Guten, und schlage Dir die Gedanken an den Taugenichts aus dem Sinn, sonst sollst Du Deinen Bruder und Vormünder kennen lernen.‹
Aber es ging Alles gut, und ich hatte nicht über die Anneliese zu klagen. Da kehrte auch Eure Wohlthat bei uns ein, Ihr gabt mir Arbeit und Brod, und tausendmal am Tage gesegneten wir Euch und Euer Haus. Wir waren fleißig und froh, und freuten uns der hohen Ehren, die Euch widerfuhren während der Anwesenheit des Kaisers. Anneliese blieb still und bleich, und arbeitete fleißig; aber von dem Tage an, wo die Herrschaften abreisten, war die Dirne plötzlich wie verwandelt. Tag und Nacht quälte sie eine sichtbare Angst, sie aß und trank nicht, oft hörte sie meine Ehefrau Stunden lang in ihrem Kämmerlein auf und ab wandeln, seufzen und bitterlich weinen; oft trafen wir sie an hellen Werkeltagen im Sonntagskleide, als wollte sie einen wichtigen Gang thun, aber schnell legte sie das Gewand wieder von sich, sobald sie sah, daß man sie bemerkte, und blieb dann Wochen lang auf ihrem Stübchen. Meine Frau meinte, ich sei zu hart gegen das Mägdlein, und Liebe lasse sich nicht zwingen, aber ich dachte immer: Besser mit Ehren unter der Erde, als in Schande ein lustig Leben führen. Und so ließ ich die Dirne gewähren, obgleich mir das Herz zerbrechen wollte ob ihres elenden Aussehens.
Heute Abend nun war sie zur Vesper gegangen, und wollte nachher bei den Barfüßern den heiligen Rosenkranz mit beten. Da begegnet sie dicht vor der Kirche einer Freundin, welche ihr die seltsame Mähr berichtet, daß die Frau Herzogin die weltberühmte Anna Laminit gestern zu München in gefängliche Haft genommen, dieweil es sich dargethan habe, daß diese Laminit eine schlaue Betrügerin und große Verbrecherin sei. Die Frau Herzogin habe geschworen, die Sünderin sollte zur Warnung aller Welt auf dem Hochgericht enden. Diese Mähr versammelte bald eine Menge von Leuten, die eben in den Rosenkranz wollten; bald wußte jeder etwas Verdächtiges von der gottlosen Person, was ihm längst aufgefallen wäre, und nach zwei Stunden kam meine Anneliese heim halb erfroren, kreideweiß, zitternd an Armen und Beinen, und sank für todt auf die Ofenbank. Ich legte rasch ein paar Scheiter zu, daß die Erstarrte sich erwärme, und rief meinem Weibe, ihr einen warmen Trunk Weines zu bereiten, denn ich dachte, die Dirne wolle mir im Arm verscheiden.
Kaum aber war meine Frau hinaus, so glitt sie von der Bank herab, sank mir zu Füßen, und rief schluchzend: ›Bruder Andreas, ich muß Dir ein Geständniß thun, es drückt mir das Herz entzwei; sei barmherzig, und verspreche mir, daß Du mich nicht aus dem Hause jagen willst, denn die Schmach überlebe ich nicht!‹
Ich war so erschrocken, daß ich ihr alles versprach; ich war auf das Aergste gefaßt, und betete zu Gott um Stärke. Da erzählte mir Anneliese, was sie im Rosenkranz von der Laminit erfahren, und daß sie nun erst, da die böse Zauberin gefangen sitze, den Muth habe, zu reden. Unter vielen Thränen gestand sie mir Folgendes: Wilhelm – so hieß ihr Liebster – habe ihr, als der Kaiser zum letzten Mal hier war, oft heimlich gewinkt, wenn sie zur Kirche ging, oder er habe ihr Sträuße geschickt durch einen kleinen Buben, oder gar schöne bunte Bänder, und einmal ein silbernes Herz mit einem feinen Kettlein. Daran nun hatte sie erfahren, daß er sie noch immer liebe, und die alte Liebe in ihrem schwachen Herzen machte ihr Recht geltend. Vergebens hatten beide versucht, sich zu sprechen, die Dirne kannte mich, und wagte nichts in meinem Hause. Eines Tages sprachen sie sich in der Frühmetten, wohin meine Frau, eines Fieberanfalls wegen, sie allein gehen ließ, und da gelang es dem Wicht, die Dirne zu beschwatzen, daß sie ihm versprach, sich den andern Abend aus dem Hause zu stehlen, wenn wir sie in ihrer Kammer glaubten, und zu ihm an den großen Fischbrunnen zu kommen. Wie gesagt, so geschehen; es sollte der Abschied sein, denn am morgigen Tage wollte der Kaiser Augsburg verlassen. Wilhelm schwor dem Mädchen zu, bis in einem Jahr wolle er kommen, und sich in Augsburg ankaufen, dann solle sie seine Frau werden. Weinend lag die Dirne an seinem Hals, da stellte sich ein heftiger Regen ein, die Vorübergehenden lachten und spotteten ob des zärtlichen Paars, ja einer leuchtete gar der Anneliese mit einer Laterne in's Antlitz, weil er sie für ein loses Jüngferlein hielt. Da gelang es dem Burschen leichtlich, das Mägdlein zu bereden, daß sie ihm nach der Domprobstei folge, wo jetzt Niemand daheim sei, weil die Herrschaften zu einem großen Nachtmahl geladen wären, von wannen sie vor früh drei Uhr nicht heim kämen. Dort in den Gängen wollten sie Abschied nehmen. Zitternd schlich das Mädchen, zum ersten Mal in ihrem Leben auf unrechten Wegen, neben dem schmeichelnden Liebsten die Treppen in der Probstei hinan, und sie traten in einen langen, von einer Lampe matt beleuchteten Gang, dessen eine Seite nach dem Hof zu offen, indeß an der andern Wand Thür an Thür zu sehen war.
*
Wohl eine halbe Stunde hatten sie vertraulich kosend auf dem Gang gestanden, denn die Anneliese ging um's Leben nicht auf seine Kammer, wohin er sie führen wollte; da hörten sie Jemand die Treppen herauf steigen, und keuchend in den Gang einbiegen.
›Gott schütze uns!‹ rief die erschrockene Dirne.
›Sei still, um Jesu willen‹, flehte der Bursche, ›das ist Pater Hilarius, des Prinzen Beichtvater; führt den der Satan so früh schon heim!‹
›Wilhelm!‹ tönte jetzt die Stimme des Dominikaners durch das Gewölbe.
›Die vierte Thür links ist meine Kammer‹, flüsterte der tödtlich erschrockene Leibdiener; ›verbirg Dich, ich bin verloren, wenn man Dich hier findet.‹ Mit diesen Worten eilte der Leichtsinnige dem Ende des Ganges zu, dem Geistlichen entgegen, der schon zum zweitenmal rief; Anneliese aber zählte, halb todt vor Schreck, die Thüren, glaubte die vierte erreicht zu haben, und trat in ein finsteres Gemach. Aengstlich tappte sie umher; mit Schrecken hörte sie Stimmen dicht vor der Thür, sie bemerkte einen Lichtschein, eilte zu dem Seitenpförtlein, woher das Licht kam, öffnete – und sah sich mit Entsetzen in einer kleinen Hauskapelle, die unmöglich zu Wilhelms Kammer gehören konnte; sie wollte zurückeilen, doch wie ward der Aermsten, als sie im Gemach draußen eine befehlende, ihr ganz fremde Stimme vernimmt, darauf durch den Thürspalt nach wenig Augenblicken Wilhelm dem Pater voran mit Licht eintreten und kurz darauf das Zimmer wieder verlassen sieht! Der Mönch blieb allein zurück, und sie sah mit starrendem Blut, daß sie in das Gemach des Beichtvaters gerathen sei.
Ruhig setzte dieser sich hinter seinen Tisch, stellte sich die Lampe zurecht, und begann zu schreiben. Händeringend stand die Unglückliche, und die Gewißheit, daß bei einer Entdeckung nicht allein Wilhelms Glück zerstört, sondern auch ihr ehrlicher Name auf immer vernichtet sei, ward ihr mit jedem Augenblick klarer. Jetzt stand der Pater auf, und wandte sich nach der Kapelle. Pfeilschnell sprang Anneliese auf den Altar, auf welchem eine lebensgroße Mutter Gottes, mit einem weiten Brokatmantel bekleidet, stand; dies war ihr Glück, sie schlüpfte hinter die Figur, und nach wenig Sekunden trat der Mönch in die Kapelle. Ohne sich vor dem heiligen Altar zu verneigen, ging er gleichgültig zu einem kleinen Wandschränklein, nahm ein Pergament heraus, und kehrte dann eben so zu seinem Arbeitstisch zurück. Kaum hatte er wieder seinen Platz eingenommen, so öffnete sich die Thür des Gemachs, und nach wenig Augenblicken vernahm die Dirne eine Weiberstimme, die gedämpft, aber in gebietendem Tone mit dem Geistlichen sprach. Die Stimme schien Anneliesen bekannt, sie horchte, horchte immer gespannter, nach und nach ward die Stimme lauter, und sie erkannte plötzlich die Laminit. Mit Schaudern vernahm nun die arglose Dirne Schlechtigkeiten, von denen ihr einfach stiller Sinn nie eine Ahnung gehabt hatte. Nur zu bald sah sie, daß diese beiden nächtlichen Geister ein Netz höllischen Truges gesponnen, um den edlen Erzherzog und Euch Fräulein darin zu fangen.«
Eine heftige Bewegung hinter dem seidenen Vorhang und die dunkle Röthe, welche sich auf Blanka's Wangen lagerte, hätte dem ehrlichen Weber zeigen können, was hier vorgehe, aber er fuhr unbekümmert also fort:
»Der Mönch klagte ob des Kaisers freiem Sinn, und meinte, den Sohn müsse man in sündhafte Liebesbande verstricken, damit er sich zu einer heimlichen Verbindung beschwatzen lasse, und sich so zeitlebens dem Orden in die Hände liefere. Er belobte die Laminit, welche ihm Euch, edles Fräulein, zu diesem schmählichen Zweck vorgeschlagen habe, und freute sich, daß ihre Gaukelkünste und Eure Schönheit schon so sehr auf den erhabenen Prinzen gewirkt hätten. Die Laminit aber sagte, – nehmt's nicht übel, liebstes Fräulein, – Ihr hättet schon einen Geliebten, Antonio Volteggi mit Namen, eines venetianischen Kaufherrn Sohn, und der sei in die neue Welt gezogen, viel Geld zu suchen, und Euch dann zu freien. Nun aber, obgleich Ihr stolz und ehrgeizig, sei doch Eure Liebe stärker, als Alles, und der Erzherzog würde nimmer zum Ziel gelangen; deshalb haben sie Euch glauben gemacht, der Antonio sei todt, der aber lebe zu Valencia, und dort solle ihn der Pater durch die blutige Inquisition ermorden lassen!«
Blanka sprang auf und wollte sprechen, doch zu Schnee verbleichend sank sie wieder auf den Stuhl zurück. Der Webermeister erschrak so, daß er nicht gewahrte, wie hinter seinem Rücken sich die Bettvorhänge theilten, eine hohe Mannsgestalt mit blassem Antlitz erst einen Schritt vorwärts that, doch sich besinnend, langsam in sein Versteck zurückkehrte.
Blanka hauchte kaum hörbar: »Weiter, weiter!«
»Nun, darauf meinte der Dominikaner, ermorden wollte er ihn nicht lassen, denn der Orden vergieße kein Blut, aber die Kerker der Inquisition sollten ihn schon so tief verwahren, daß er nimmermehr das Tageslicht sähe, und Ihr, Fräulein, ihn ewiglich als todt betrauern solltet. Darauf sprach das gräuliche Weib noch viel von Rache und andern furchtbaren Dingen, und stieß zuletzt so gräßliche Gotteslästerungen aus, daß Anneliese entsetzt nach dem Schlupfwinkel zurück eilen wollte, aus dem sie die Neugier hervor gelockt; sie stieg wieder vom Betstuhl auf den Altar, stieß aber im Schreck und in der Eile an die ewige Lampe, welche dicht vor der Mutter Gottes hing, und diese stürzte mit lautem Geprassel auf der Marmorboden. Kaum gelang es ihr noch, sich zu verbergen, als die fürchterliche Laminit eintrat und mit einem Lichte auf den Altar zuschritt, Anneliese befahl sich schon allen heiligen Schutzengeln; da schrie das Weib plötzlich laut auf, stürzte hinaus, und bald ward es still in dem Gemach. Der Mönch suchte sein Lager, doch dauerte es lange, bis seine lauten Athemzüge festen Schlaf verkündeten. Jetzt befahl die Dirne ihre Seele Gott, schlich mit stockenden Pulsen in das Gemach, löschte die hellbrennende Lampe, und huschte dicht an dem Schlafenden vorüber nach der Thür; sie war verschlossen, leise schob sie den Riegel zurück und entfloh. Noch weiß sie nicht, wie sie auf die Straße kam, die Wache schlief, und nirgend ward sie angehalten. Sie stieg durch das zufällig offene Küchenfenster in unser Haus, und wir hatten keine Ahnung von dem nächtlichen Ereigniß. Ihren Liebsten sah sie nicht mehr; er hatte vermuthlich geglaubt, das Mädchen sei ihm entflohen. Nun begann der schrecklichste Kampf in ihrer Seele, zwanzigmal war sie auf dem Weg zu Euch, um Euch zu warnen, aber das schreckliche Gefühl, dann auf immer ihren guten Namen zu verlieren, und die Furcht vor der gräßlichen Laminit hielten sie stets zurück, »Was für Beweise habe ich gegen die angesehene Verbrecherin, welcher der Kaiser selbst mehr traut, als dem ersten seiner Räthe?« so rief sie oft, und in steter Verzweiflung verging der Aermsten die Zeit; nun aber, da sie die Laminit entlarvt sah, nun erwachte ihr Muth und das Pflichtgefühl für unsere Wohlthäterin, sie gestand mir Alles, und ruhte nicht, ich mußte fort. ›Noch diesen Tag, ehe die Glocke Mitternacht schlägt, muß sie es wissen, oder ich komme von Sinnen!‹ So schrie das Mädchen so lange, bis ich mich zu Euch auf den Weg machte. Sie liegt daheim, und kann kein Glied mehr regen, so ist sie von dem Geständniß wie vernichtet.«
»Morgen mit dem Frühsten bringt mir die Dirne!« sprach jetzt: Blanka, rasch sich erhebend. »Meister, ich kann Euch diesen Gang nie lohnen, und wenn ich Euch auch alle Schätze unsers Hauses gäbe! Aber kommt morgen wieder, morgen sollt Ihr mit mir zufrieden sein.«
Mit leuchtendem Gesicht entfernte sich der ehrliche Weber, und noch waren seine Tritte im Gange nicht verhallt, so stand schon der Erzherzog mit finsterm Blicke vor der Jungfrau, die nicht wußte, wie sie das Gefühl nennen solle, was ihre Brust durchströmte.
Schweigend sahen Beide sich in's Antlitz. Es war ein Schweigen, beredter, als jedes Wort, das in diesem Augenblick ihren Lippen entfliehen konnte.
Endlich sprach Philipp, fast tonlos: »Ihr liebt, Blanka?«
»Ich – habe geliebt,« sprach Blanka mit mildem Ernst, die thränenvollen Blicke zu ihm erhebend, »und wenn es ist, wenn er noch lebt, wenn ihn die giftige Kerkerluft noch nicht getödtet hat, so liebe ich – noch!«
Ein schmerzliches Lächeln zuckte um Philipps Lippen.
»O Weiber, Weiber!« knirschte er kaum hörbar, dann schritt er finster das Gemach entlang.
Blanka erhob sich, trat zu ihm, legte leise die warme Hand auf seinen Arm, und sprach in weichen wehmüthigen Tönen, die besänftigend sein Herz durchdrangen: »Es ist ein unwürdiges, unverzeihliches Spiel, was man mit unsern Herzen trieb; doch ich, mein edler Herr, bin ohne Schuld.«
»Das seid Ihr, Blanka!« rief jetzt Philipp, und gewaltsam drängte er die Thräne zurück, die ihm glühend in's Auge stieg. »Blanka!« rief er, sie an's Herz schließend, »leb' wohl, ich entbinde Dich Deines Worts, Du bist frei!«
Und ohne ihren Dank zu erwarten, stürzte er hinaus. Das lockende Bild der Kaiserkrone zerrann im Morgenroth der aufsteigenden Hoffnung; in heißer Andacht sank die Jungfrau auf die Knie, und rief unter stürzenden Thränen: »Ich danke Dir, Herr! Laß ihn leben, laß mich ihn einmal, einmal noch wiedersehen, dann nimm mich hinauf zu Dir!«
Ihr Haupt sank auf die gefalteten Hände, und die Engel des Trostes zogen lächelnd in ihre Brust.
*
Kaum dämmerte der Tag herauf im Osten, so schlug Blanka einen wärmenden Schleier um das Haupt, und eilte hinab nach dem Schlafgemach des geliebten Vaters. Ihr Entschluß war gereift im Laufe dieser fürchterlichen Nacht, es schien ihr, sie habe nichts mehr auf Erden zu verlieren, als ihn, den ihre Seele mit der glühenden Heftigkeit lang zurückgedrängter Leidenschaft auf's Neue umfaßte, um ihn nimmer zu lassen.
Mit leisem Finger pochte sie den Vater aus dem Schlaf, und bebend trat sie ein, denn Tod oder Leben ihrer Liebe sollte sie zurück von dieser Schwelle tragen.
Mit Entsetzen sah Ulrich Fugger die Veränderung, welche seit gestern mit der Jungfrau vorgegangen, und das Mitleid, die Vaterangst schon stimmten ihn milder und nachgebend. Da öffnete sich Blanka's Herz, und alles lang Verhehlte strömte unaufhaltsam in des staunenden Vaters Ohr.
Zwei Stunden hatten sie so gesessen, oft hörte man laute Worte im Vorgemach, dazwischen flehende Töne sanften Weinens. Endlich klang die Glocke dreimal durch's Haus, ein Zeichen, daß der Prinzipal nach seinem Faktotum, dem wackern Simmerlein, verlange. Bald trat dieser ein, und fand nicht ohne Staunen Vater und Tochter fest umschlungen, und in Beider Augen glänzten Thränen. Darauf eilte Blanka in ihr Gemach, und kramte dort eiligst in Kisten und Kasten, denn sie wollte Anneliesen eine Aussteuer herstellen, wie sie keine Gräfin hatte, und dem ehrlichen Weber sollte ein Säcklein vollwichtiger Dukaten einen goldnen Grund in's Handwerk legen.
Nach zwei Tagen hieß es in ganz Augsburg, Herr Ulrich Fugger habe gar ein hochwichtiges Geschäft in Spanien vor, denn sein felsenfester treuer Simmerlein sei mit großen Summen versehen dahin abgereiset. Aus Herrn von Fugger selbst war nichts zu bringen, und so mußte man sich denn mit Muthmaßungen begnügen.
Fräulein Blanka, zwischen Furcht und süßer Hoffnung schwebend, schien eine Andere geworden zu sein; ihr Gang war schneller, ihr Ton lauter, ihr Auge glänzte wieder, und ihre Wangen rötheten sich allmählig. Sie sprach mit Dorotheen, ja sie gelobte sogar, auf ihre Hochzeit mit dem wackern Tischlergesellen zu kommen, die nächstens gefeiert werden sollte. Jeden Abend lag sie in der Barfüßer-Kirche auf ihren Knien, dankte dem Herrn, der sie aus schwerem Irrthum gerettet hatte, und flehte um Segen für Simmerleins Bemühen.
So lag sie am achten Abend nach jener verhängnißvollen Nacht in frommem Gebet vor dem Altar; es war leer geworden rings um sie, die Kälte hatte die Frömmsten selbst verscheucht, da fühlte sie eine Hand, die sanft ihre Schulter berührte, verwundert wandte sie, das Haupt und sprang entsetzt empor, denn Anna Laminit stand vor ihr, in ihrer gewöhnlichen Tracht, mit völlig ruhigen Zügen und mildem Ernst in dem sprechenden Blicke.
»Was ist Dir, Blanka Fugger, was fährst Du entsetzt zurück vor der Stifterin Deines Glücks, Fürsten-Braut?«
»Hebe Dich hinweg, unwürdige Gauklerin, verbrecherisches Weib,« rief Blanka mit tiefem Abscheu, und die Röthe des Unwillens färbte ihre Wangen; »wie wagst Du's noch, vor mich hinzutreten, und wie bist Du Deiner Haft entkommen? Giftiges Gewürm, so sollst Du noch ferner die Menschheit mit Deinem Athem verpesten?«
»Also sprichst auch Du?« klagte Anna mit schmerzlichen Tönen, und tiefe Wehmuth beschattete ihr Gesicht. »Herr, die Gerechten leiden, dein Wille geschehe.« Doch gefaßt und mit Stolz fuhr sie jetzt fort: »Thörichte Jungfrau, Undankbare, wisse, nicht bin ich meiner Haft entronnen; diese schlaue, boshafte Herzogin von Baiern selbst mußte mir es künden im Namen Maximilians, daß sie keine Macht habe an mir! Frei und in Ehren zog ich hinweg aus der Burg dieser Ränkespinnenden. Also auch Dich haben sie bethört, Blanka? Weißt Du denn nicht, daß Anna Laminit verfolgt wird, um Dich? Weil ich Dir und dem Erzherzog die Zukunft gezeigt, so daß er es verschmäht, der stolzen Johanna von Arragon seine Hand zu reichen, darum mußte ich als eine Gauklerin erscheinen; weil ich ihm weissagte, er werde ohne Deinen Besitz nie Kaiser sein; weil sein Glaube fest hielt an dieser Ueberzeugung, darum mußte man ein Mährchen ersinnen, das mich zur verworfenen Betrügerin stempelt; so nur konnte man ihm die Furcht vor meiner Prophezeihung und den Abscheu vor Johannen rauben. Aber, ich sage Dir,« rief sie jetzt laut und feierlich, sich hoch aufrichtend, »ohne Dich wird Philipp nimmer Kaiser sein!«
Ihr Ton hallte schauerlich wieder durch das Gewölbe, und unwillkührlich beugte sich Blanka's Seele vor der wunderbaren, unerklärlichen Macht, welche dieses Weib auf ihre Umgebungen übte. Nur schüchtern wagte sie die Frage: »Sprecht, schmachtet mein Antonio noch in den Kerkern der Inquisition?«
Mit der Schnelle eines Gedankens nur zuckte ein Zeichen der Ueberraschung durch Anna's Züge. Doch rasch rief sie: »Dein Antonio? Armes Kind, dies Mährlein bricht Dir zum zweitenmal das schwache Herz! So haben sie Dich umgarnt, um Dir Philipps Herz und jeden Gedanken an die Rechte, welche Du auf ihn hast, zu rauben? Blanka Fugger, Du bist betrogen. Mein Mund nur ist wahrhaft, ich aber sage Dir's, Dein Antonio schläft unter blumenumkränztem Rasen, ihn deckt die duftige Erde der neuen Welt, und Du wirst ihn nimmer wiedersehen! Ich aber ziehe hinweg aus diesem Lande des Undanks und Verrathes! Blanka Fugger, Du warst mir lieb vor Vielen, was der Herr Dir bestimmt, muß Dir werden; doch schlingt sich einst die Krone um Dein Haupt, dann denke meiner, Thränen werden Deinem Auge entströmen, Thränen der Reue ob Deines schwarzen Unrechts gegen Anna Laminit.«
Mit majestätischem Anstand wandte sie sich, und schritt hinaus in die dämmernde Nacht.
Blanka stand vernichtet; finstere, marternde Zweifel zogen ein in ihre Seele. War sie dort betrogen, war sie es hier? Hatte man sie und den Erzherzog getäuscht? War Antonio wirklich dahin? Wenn Anna eine Verbrecherin, woher kam ihr die Freiheit plötzlich, da sie in Kunigundens Haft, die nicht so leicht zu täuschen, und da man sie schon auf dem Blutgerüst zu sehen glaubte? Sie wußte nicht, daß der Kaiser ihr freien Abzug von München bewilligt hatte, und zwölf Stunden Aufenthalt in Augsburg, unter der Bedingung, daß sie ihre Pergamente in die Hände der Herzogin liefere, und dann auf immerdar die deutschen Lande meide. Sie wußte nicht, daß, indeß sie zerrissen von allen Qualen bittern Zweifels nach Hause schwankte, Anna triumphirend ihre tief verborgenen Schätze zusammenraffte. Sie hatte den Eindruck allzuwohl gewahrt, den ihre Worte auf die arme Blanka machten, und die Hoffnung, vielleicht dennoch den Lieblingsplan der Herzogin in der Blüthe zu vernichten, rief seit Jahren das erste frohe Lächeln auf ihre Wangen.
Tief in der Nacht kam sie am Fugger'schen Haus vorüber, und es war, als flüstre ihr ein böser Engel zu, wie sich Blanka schlaflos in Thränen auf dem seidenen Lager wälze; denn ihre stechenden Blicke hingen fest an den dunklen Fenstern, und sie murmelte höhnisch in sich hinein: Reife nur, reife Giftsaat der blut'gen Rache!
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Und sie reifte, die Saat der Rache, aber ihre Früchte fielen dem zu, der sie gesäet.
Es war am Morgen eines heitern Frühlingstages, als drei Reisende auf rüstigen Maulthieren dem stattlichen Freiburg zueilten, das im Glanze der aufgehenden Sonne mit seinen Thürmen winkend vor ihnen lag. Die Erde hatte das Winterkleid von sich geworfen, um sich mit frischem Grün zu bekleiden, und indessen rings die Gletscher die beschneiten Häupter erhoben, prangten Wald und Flur zu ihren Füßen in junger Pracht. Feierliche Stille lag auf dem Plan, und mit Blicken, die von Entzücken und Andacht glänzten, hing das Auge des jüngern der Reisenden an dem labenden Anblick. Es war aber dies ein Mann von vier- bis sechsundzwanzig Jahren, und obgleich seine bleichgelben, verfallenen Züge schweres Leid zu verkünden schienen, war das Antlitz dennoch von rührender Schönheit. Das dunkle Haar fiel in langen Ringen um Stirn und Nacken, und ein schwarzer, lichter Bart flaumte anmuthig um Mund und Kinn. Er war in einen wärmenden Mantel gehüllt, sich zu schützen vor der Gletscher-Luft, und schien überhaupt von leidender Gesundheit. Der Zweite, der dicht neben ihm ritt, war ein kleines vertrocknetes Männlein von ohngefähr funfzig Jahren, er war auf's sorgfältigste gekleidet, und, obgleich im Reisehabit, war dennoch Alles an ihm zierlich und nett. Auf seinem schmalen Angesicht thronte die herzlichste Gutmüthigkeit, und seine kleinen Augen blitzten von Scharfsinn und Schlauheit, ohne dabei den Ausdruck des Wohlwollens zu verlieren, mit welchem er im Gespräche nach dem jungen Manne hinüber sah. Der Dritte, welcher in ziemlicher Entfernung folgte, schien ein Diener zu sein. Sein Gesicht trug Spuren überstandener Leiden, ohne deshalb eines Anstrichs von Heiterkeit zu entbehren, mit welcher seine Blicke sich an der freien Aussicht weideten; er schien vergnügt und wohlgemuth, nur hing sein Auge von Zeit zu Zeit mitleidig an dem bleichen Gesicht des jungen Reisenden.
»Wären wir gestern Abend schärfer geritten, so hätten wir, statt in der elenden Sennerhütte auf Stroh, in einer behaglichen Schenke zu Freiburg übernachten mögen,« sprach jetzt der Alte mit leisem Vorwurf.
»Da habt Ihr Recht,« entgegnete der Jüngere lächelnd, »aber wir entbehrten den Genuß, Freiburg im Glanze der Morgensonne vor uns liegen zu sehen.«
»Ach,« sprach der Andere, sich dehnend und reckend, »ich vermag nichts zu genießen von dem anmuthigen Anblick, denn mir sind alle Glieder zerschlagen von dem harten Nachtlager.«
»Ei,« lachte der Junge, »hättet Ihr nur erst eine halbe Ewigkeit frei Quartier gehabt, wie ich, wo jede Nacht Schlangen und niedliche Eidechslein meine Bettgenossenschaft waren, dann käme Euch ein Lager, wie das heutige, so weich vor, als ruhtet Ihr in Abrahams Schooß im Paradies.«
Ein Trupp rasch heranschreitender Landleute aus dem Kanton Freiburg machte dem Gespräch ein Ende. Mit freundlichem Morgengruß zogen sie vorbei.
»Wohin so eilig?« rief ihnen der Aeltere neugierig nach.
»Zur Stadt!« antwortete einer, »gebt dem Maulthier die Sporen, sonst kommt Ihr zu spät, und das wäre schade, denn so was sieht man nicht alle Tage.«
»Was ist denn heute los in Eurem ehrlichen Freiburg?« fragte der Junge freundlich.
»Das wißt Ihr nicht?« sprach der Bauer verwunderungsvoll. »Da, seht hin,« er deutete auf die Gegend rings um, von allen Seiten her gewahrte man Landleute, welche in Haufen nach der Stadt strömten – »alles zieht hinein, denn heute verbrennen sie eine Hexe zu Freiburg, desgleichen sich noch keine Zweite in der Schweiz gezeigt.«
Schaudernd wandte sich der Jüngere ab, der Aeltere aber fragte weiter: »Was Ihr da sagt, ei! Erzählt uns doch, wie sich das verhält.«
Der Mann schlenderte nun gemächlich neben dem Maulthier hin, und erzählte bereitwillig: »Noch im Winter kam eine Person hierher, welche sich Frau Leonika nannte, und gar bald in der Gegend weit und breit bekannt ward, von wegen einer merkwürdigen Weissagungsgabe, und allerhand andrer übernatürlichen Künste, welche sie inne haben sollte. Man scheute sich vor ihr, aber viele der Reichen und Vornehmen benützten ihren Rath, und suchten sie deshalb heimlich auf zur Nacht. Sie trieb auch ihr Wesen ziemlich versteckt und ungestört.
Nun begab es sich aber, daß allhier eine reiche Patrizier-Wittwe lebt, welche eine einzige Tochter hatte. Das Mägdlein war bei Lebzeiten des Vaters noch mit einem alten Edelmann aus der Nachbarschaft versprochen, den sie nicht leiden mochte, denn sie liebte den Sohn eines Küffnermeisters zu Freiburg, der jung, hübsch und brav ist, und von aller Welt geachtet wird.
Darob ergrimmte die stolze Mutter schwer, und da das Mägdlein sich nicht zwingen ließ, dem alten Freier die Hand zu geben, so schmiedete die Rabenmutter mit der Leonika einen Plan, zahlte ihr eine große Summe, und diese versprach, die Widerspenstige schon geschmeidig zu machen.
Sie führte die Jungfrau in eine finstere Stube, dort befahl sie dem Geist ihres Vaters unter gräßlichen Beschwörungen, die Nacht des Grabes zu sprengen und heraufzusteigen, daß die sündige Tochter seinen Willen erfülle. Das Mägdlein, leidend und von Liebesgram schon fast verzehrt, hörte mit Zittern diese fürchterlichen Worte, als aber endlich der Geist ihres Vaters mit zürnendem Blick wirklich erschien, da stürzte sie wie sinnlos nieder. Als sie wieder erwachte, fiel sie in Raserei, der Schreck und das Entsetzen hatten ihr das Herz gebrochen, und nach drei Stunden verschied sie in gräßlichen Zuckungen, ein Anblick des Grausens für Alle, die sie umgaben. Jetzt wollte sich die unnatürliche Mutter die Haare ausraufen, aber es war zu spät. Der junge Küffner erfuhr kaum ihren schrecklichen Tod, so stürzte er wie wahnsinnig zum Gericht, und klagte gegen die Leonika auf Leib und Leben, als eine schwarze, gräuliche Zauberin. Sie soll sich ganz ruhig haben fangen lassen von den Häschern, und als man sie vor Gericht brachte und zur Folter schleppen wollte, sagte sie kalt: ›Es braucht keine Martern, ich bin des Treibens müde! Ja, ich bin eine Zauberin und Hexe, verbrennt mich, und macht der Sache ein Ende, damit mir mein Recht geschehe, auf Erden ist so für mich weder Glück noch Ehre mehr zu holen.‹ Nun ist alle Welt neugierig, ob sie ihren Starrsinn bis zum heutigen Tag treiben wird, denn sie verschmäht es zu beichten, noch sonst sich eines Zuspruchs der Religion zu getrösten. Es soll dies Weib ein eingefleischter Teufel sein. Heute wird sie verbrannt, und seht, dort fängt wohl gar der Zug schon an, denn alles strömt dem Stadtthor zu.«
Bei diesen Worten des Bauern waren sie dicht zum Thor gekommen, und plötzlich, wie von einem Strudel erfaßt, wurden die Reisenden mit hineingezogen, sie wußten nicht, wie es geschah, und ehe sie sich's versahen, waren sie an einer Ecke des Marktplatzes, und wie festgekeilt konnten ihre Maulthiere im Menschenknäul weder vor noch zurück.
Mitten auf dem Platze war der Holzstoß errichtet, und blutroth gekleidete Nachrichter umstanden ihn mit brennenden Fackeln in den Händen. Eine Todtenstille herrschte rings umher, denn die Gasse herauf nahte schon der Zug mit der Verbrecherin. Kreideweiß ward das Antlitz des jungen Reisenden, da er die fürchterlichen Vorbereitungen sah.
»Laßt uns von hinnen gehen,« flüsterte er seinem Gefährten zu, »ich halte es nicht aus, mich tödtet der Anblick!«
»Aber um Gott, so faßt Euch doch,« sprach der Andere begütigend, »wir können nun einmal nicht vor und nicht zurück.«
Der junge Mann schwankte auf seinem Sitze, und legte die Hand verhüllend vor die Augen. Da kam der Zug näher; inmitten von Stadt-Trabanten und Schaarwächtern schritt ein hohes Weib daher, von schlankem Wuchs und bleichen, einst schönen Gesichtszügen, ein feuerfarbenes Gewand, mit Flammen bemalt, umfloß ihren Körper, ein hanfener Strick wand sich um ihren Leib, dessen Enden aber hielt der Henker gefaßt, der hinter ihr einherging. Ernst und festen Blickes schaute sie auf die gaffende Menge um sich, und keiner, der sie sah, vermochte es, ein Wort des Spottes über die Lippen zu bringen; denn sie ging zum Tode nicht wie eine Verbrecherin, sondern wie eine für ihren Glauben leidende Märtyrin.
Jetzt kam sie in die Nähe der Reisenden, da erwachte der Jüngere aus seinem Brüten, denn der Aeltere rief mit lautem Tone, den ihm unwillkührlich die Ueberraschung erpreßte: » Anna Laminit!«
Aller Augen wandten sich nach dem Reisenden, vor allen aber die Blicke der zum Tode Verdammten, sie hielt an in ihrem Gange, lange weilte ihr Auge auf dem Manne, dann flog es nach seinem Gefährten hinüber; eine Weile starrte sie ihn an, und plötzlich rief sie: »Antonio Volteggi! bist Du den Klauen der Inquisition wirklich entronnen? Haben sie Dich nicht den Weg geführt, den ich jetzt wandle?«
Versteinert schaute der Jüngling nach ihr hinüber, das Wort erstarb auf seinen Lippen.
»Ja, ja,« lächelte sie schneidend, »das heilige Inquisitions-Sigill ist Deinen Zügen eingedrückt, und Du wirst's wohl nimmer los. Doch sage mir,« rief sie jetzt, und ein Strahl von wilder Freude spielte um die erstorbenen Lippen – »haben sie den Manuello festgefaßt, und hat er's überstanden, wie ich es überstehen werde? Sieh mich nicht so an, ich habe ein Recht zu fragen, ich bin die unglückliche Leonika!«
»Leonika!« rief jetzt Antonio, neu belebt – »Ha, Ungeheuer, so soll ich Dich denn auf dem Wege der Vergeltung treffen! Verzweifle! Deine Rache ist zertrümmert. Dein Söldling Francesco liegt in den Ketten der Inquisition, mein Bruder Manuello ist mit Weib, Kindern und Schätzen nach der neuen Welt entkommen, woher mich noch vor Kurzem die Kunde seines Glückes traf.«
Wie ein Blitzstrahl zuckte dies Wort durch die Seele der Verbrecherin, ihr Auge schloß sich, ihre Kniee brachen ein, sie sank einen Augenblick wie gänzlich vernichtet an den Henker hin, der sie seiner Pflicht gemäß unterstützte.
In einem dichten Haufen hatte das Volk sich um die seltsame Gruppe gedrängt. Neugier und Theilnahme erregten die Gemüther, alles murmelte ringsum: »Was ist das, was wird das?«
Nur wenige Sekunden dauerte dieser Zustand der Laminit, dann bemühte sie sich, sich aufzurichten, und ihr Auge hob sich zum Himmel. »O, dies ist der bitterste Leidenskelch,« rief sie – »ich sterbe den Tod des Verbrechens, und keine Rache, keine, keine Rache!« Ihre Hände ballten sich, knirschend sah sie zur Erde.
»Wie?« donnerte Antonio, »an der finstern Todespforte sinnst Du noch Rache, statt Deinen sündigen Geist der Gnade des Ewigen zu empfehlen?«
»Für mich giebt's keine Gnade jenseits,« sprach Anna mit dem Starrsinn der Verzweiflung, »das Blut meines Kindes klebt an meinen Händen, ich habe das fromme Herz durchbohrt, das ich unter meinem Herzen trug, ich habe das reine Lamm erwürgt, d'rum will ich sterben, für mich ist keine Pforte offen, als die der ewigen Verdammniß.«
Schaudernd ob diesem gräßlichen Bekenntniß trat das Volk weit hinweg von der verstockten Sünderin, selbst der Henker zog die stützenden Arme von ihrem verruchten Leib zurück. Da sprach Antonio: »Nein, so sollst Du nicht zum Martertode schreiten; Du sollst aufwärts blicken zu dem Sitze des ewigen Heils, der grenzenlosen Gnade. Bete an im Staube, die schwerste Sünde ist von Dir genommen. Nicht tödtlich war der Stoß, den Deine frevelnde Hand in dunkler Nacht geführt, Dein Mägdlein lebt an einer reinen Mutter Seite, und täglich steigt ihre Gebet zu Gott empor, um Gnade für die Verlorne, die sie gebar.«
Jetzt brach die Rinde um Anna's Herz, nieder sank sie in den Staub, und die Stirne zur Erde neigend, rief sie: »Herr Gott! ich darf Deinen heiligen Namen wieder nennen, ich darf zu Dir aufschreien um Gnade und Erbarmen, ich habe mein eignes Blut nicht vergossen!«
Und viele aus der Menge sanken unwillkührlich mit ihr zur Erde, und beteten um Gnade für die Sünderin, deren Herz sich jetzt der Reue geöffnet.
Als der Büttel Annen erhob, und sie mahnte, daß es Zeit sei, zum Tode zu gehen, glänzte ihr Gesicht von Thränen, die stromweis über ihre Wangen schossen, und das frevelhafte sündige Herz im letzten Augenblick wohlthätig von seiner eisernen Hülle befreiten. – Noch einmal wandte sie sich zu Antonio: »Ich danke Dir,« sprach sie mild, »ich habe Dir viel Uebles gethan, und Du hast mir die erste Wohlthat erwiesen, die mir auf Erden ward. Hier – – nimm den Dolch,« sie zog ihn aus dem Busen, »ich wollte damit meine Qualen enden, ehe mich die Flamme erfaßte, jetzt will ich büßen, denn mir kann Vergebung jenseits werden, ich will enden im Feuertod, wie es meine Thaten verschuldet. Und siehst Du einst die Kaiserin, so reiche ihr dies Eisen und sprich: ›Es ist das Vermächtniß Eurer Schwester Anna Leonika Sforza, sie büßt für die sündige Lust Eures Vaters, aber sie starb würdig des Blutes, das ihre Adern durchströmt.‹«
Staunend sah Antonio ihr nach; sie schritt dahin, stolz und freudig wie eine Königin, eben so übergab sie sich den Flammen, und hatte bald vollendet. Mit trüben Blicken wandten die Reisenden die Maulthiere, und ritten rasch zum nächsten Stadtthor wieder hinaus, denn sie hatten keine Lust zu weilen. »So nahe war's auch mir,« sprach Antonio, und schaudernd gab er dem Thiere die Sporen, rascher flogen sie dem Ziele zu.
Wenig Tage nach diesem Ereigniß finden wir Fräulein Blanka von Fugger an der Seite ihres Vaters in dessen stillstem Gemach, und auf dem Antlitz Beider lesen wir Sorge und schweren Kummer.
Monde waren verstrichen, vom Herrn Simmerlein erharrte man vergebens Nachricht, und die letzten Worte der Laminit nagten wie giftige Scorpione in Blanka's Brust. Ganz Europa war voll von der Kunde, daß Philipp von Oesterreich sich mit der spanischen Johanna verbinde. Der Erzherzog war längst nach Arragon abgegangen, alles freute sich ob der segensreichen Nachricht, nur im Fugger'schen Hause blieb alles still und trübe. Wohin Blanka sah, traf ihr Auge heitere Gesichter; erfüllte Wünsche lachten ihr aus Dorens und Anneliesens Blick, die beide nun vereint waren mit dem Liebsten – die reiche Fuggerin nur stand einsam, und konnte nicht genesen von ihren Zweifelsqualen; denn sie traute Niemandem mehr, Alles schien ihr falsch, die ganze Welt war ihr eine große Lüge geworden.
In dieser Stimmung finden wir sie wieder, an der Seite ihres Vaters; da tönte ein leises Pochen durch das Gemach, und nicht ohne Unwillen rief der Herr von Fugger: »Herein!«
Die Thür öffnete sich, und herein trat, zierlich geschmückt, in hochzeitlichem Staat der ältere von unsern Reisenden, und blieb mit einer schlau lächelnden Miene, nachdem er sich erst tief verbeugt hatte, zunächst der Thüre stehen.
»Herr Simmerlein!« schrie Blanka laut auf, und stürzte außer sich dem lächelnden Manne entgegen.
»Wo, wo habt Ihr ihn?« Diese Frage drängte sich kaum verständlich aus der bis zum Zerspringen vollen Brust hervor.
»Simmerlein, mein Gott, wo stakt Ihr?« rief Ulrich von Fugger eben so, »was bringt Ihr uns?«
»Ich stak auf Befehl Seiner kaiserlichen Hoheit des Erzherzogs zu Valencia, und durfte, Kraft eines Gelübdes, so ich ihm geleistet, keine Meldung an Euch gelangen lassen. Was ich aber bringe, ist folgendes Schreiben.«
Der alte Mann entfaltete nun mit vieler Sorgfalt ein Pergament, und las mit lauter Stimme:
»Wir Philipp, Erzherzog von Oesterreich, entbieten dem Fräulein Blanka von Fugger unsern freundlichsten Gruß, und thun ihr zu wissen: daß es Uns nach mancher Mühe und Kampf so mit Unserem eigenen Herzen, als auch mit böswilligen Menschen, gelungen ist, demselben Fräulein ein unschätzbares Juwel zu verschaffen, welches Wir ihr denn als ein kostbares Geschenk zusenden, zur Erinnerung an die Stunde, wo Philipp von Oesterreich sie ihres Schwures entband, und zugleich als ein Zeichen seiner hohen Achtung, die dauern wird, so lange sein Herz schlägt. Möge Fräulein Blanka Fugger ihm um seines Geschenkes willen vergeben, was sie durch ihn litt.«
Mit fliegender Brust sah Blanka auf den alten Buchhalter, dessen Augen in Freudenthränen schwammen; dann that sich die Thür zum zweitenmal weit auf, und im Festgewand trat Antonio Volteggi ein, der bebenden Jungfrau entgegen; diese aber schrie laut auf, starrte ihn eine Sekunde lang zweifelnd an, schlug dann plötzlich beide Arme fest um den Nacken des Geliebten, und hing wie leblos an seiner Brust. Eng hielten sich die Wiedergefundenen umfaßt, um sich für's ganze Leben nimmer zu lassen.
Mit unsäglicher Mühe war es dem Erzherzog gelungen, den zum Feuertod verdammten Antonio den Klauen der Inquisition zu entreißen, und das Andenken seines Edelmuthes erlosch nie in der Seele des glücklichen Paares.
Anna Laminits Worte aber erfüllten sich; Philipp starb in der Blüthe seiner Jahre, und ward von seinem erhabenen Vater lange überlebt. Obgleich er niemals seiner ersten Liebe vergaß, lebte er dennoch beglückt mit seiner Gattin, die ihm mit so ausschweifender Leidenschaft ergeben war, daß sie nach seinem Tod in Wahnsinn gerieth, und seine Leiche niemals von sich ließ, bis sie selbst nach einer langen Reihe von Jahren dem Tode verfiel. Blanka sah nicht ohne Schaudern ihr Loos, und weihte dem Tod des fürstlichen Freundes heiße Thränen, Thränen der innigsten Theilnahme und des wärmsten, unvergänglichen Dankes! Denn sie ruhte beseligt an der Brust eines theuern liebenswerthen Gatten, und die eitlen Träume von Hoheit waren längst untergegangen in der schönen Wahrheit reinen häuslichen Glückes.
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