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Das Florenz Lorenzos des Prächtigen

. In selben Jahre als Lorenzo der Prächtige zur Herrschaft kam, verläßt Benozzo Gozzoli Florenz, um auf den weiten Wänden des Pisaner »Camposanto« seine Kunst sich ausleben zu lassen. Wieder weht ein neuer, vollkommenerer Hauch durch die Gassen von Alt-Florenz. Auf den Großvater, der eifrig geschafft, folgt der Enkel, der freudig genießt. Und er genießt mit feinem Verstande! Denkt man sich jene ersten Vorläufer des Humanismus, einen Petrarca, der wie ein modernisierter Cicero erscheint, gern in die altrömische Toga des Brutus gehüllt, Lorenzo und seinen Kreis sehen wir im Gewande, in dem einst Alcibiades die Straßen von Athen durchwandelte. Die strenge Zeit, in der Sokrates gelebt, ist vorbei; seine Schüler wandeln heiter in Säulengängen umher, sich der lachenden, segenspendenden Sonne Griechenlands erfreuend. Der strenge Ernst des alten Philosophen, dem die Dinge der Welt nur dazu dienten, das Überweltliche, Übersinnliche zu ergründen, ist vorbei, das Leben wird Selbstzweck. Ohne Gedanken an Paradieseshoffnung will man den sonnenbeschienenen Glanz des Tages atmen, man verklärt ihn sich künstlerisch im Bilde, im Sonett; man genießt ihn an schöner Frauen Busen, und eine Freiheitsstimmung, die den letzten hemmenden Skrupel drückender Christenmoral abstreift, hebt den freien, edlen Menschen auf Jupiters Thron. Glanz und Herrlichkeit war ja hier in Florenz; der alte Cosimo hatte unermeßliche Reichtümer in eisernem Eifer gesammelt. Die Pazzi, Tornabuoni, Strozzi und Pitti stehen nur um ein Geringes seinem fürstlichen Mäcenatentum nach – und die jüngere Generation kommt und genießt. Es geht wie eine verheerende, sinnverwirrende Krankheit durch die ganze Stadt, dies Delirium des frohen Genusses; an Ecken und in Gassen sieht man von der ersten Künstlerhand die Gottesmutter im Marmor, im Robbiaschen Ton immer wiederkehren, überall schaut sie Venus ähnlicher, die ihren losen Cupido herzt, denn Maria, die aus den hellen Augen ihres Jungen das schmerzenreiche Martyrium liest. Während sich die »haute intelligence« draußen in luftigen Villen beim bastumflochtenen Fiascho ein Stelldichein gibt, freut sich das Volk an den greifbaren Genüssen der Kavalkaden und des Karneval. Und der Göttersohn Lorenzo, dessen blaublütige Hände mehr deuten als alle Fresken Ghirlandajos, macht den Führer und Belehrer »Das ist Bacchus und Ariadne ...«. So gibt er sich in seinen Karnevalsgesängen Mühe, das Volk zur Klassizität, zur Schönheit zu erziehen. Angelo Poliziano, sein Freund, den er einstens als armen Jungen von der Gasse aufgelesen, Luigi Pulci, der frühreife Pico della Mirandola helfen ihm dabei und mit ihnen singen und dichten Bernardo Bembo und Christoforo Landini, der als Gelehrter sein Steckenpferd, den »toten« Dante, reitet, und Marsilio Ficino, der neu zum Leben erwachte Plato. Wir stehen auf der Höhe der wiedergeborenen Antike: Athen in Florenz. Selbst in den Zeiten strengster Kirchendoktrin, da man schon auf Erden als »Epheben« dem Jenseits zuzustreben versuchte, hat auf italienischem Boden niemals der Frühlingshauch der Antike ganz aus den Geistern entschwinden können. Fast als Evangelium unter dem »Evangelium« hat man durch Jahrhunderte hindurch wie ein heimliches Mysterium das Gedenken an jene sonnenbeschienene Zeit fortgetragen. Leise munkelte man sich von Ohr zu Ohr, daß auf dem Platz, wo nun in byzantinischem Glanz die Täuferkirche stand, einst der Isis geopfert wurde – in den hehren Geistern, die den Fortschritt weisen, wagt sich zu frühen Zeiten antikes Leben schüchtern hervor. Schon Giotto in seinen Fresken zu Assisi weist es offen. Im Danteschen Zeitalter scheint es indessen gänzlich begraben. Als aber der freie Geisteshauch der Medici befruchtend über die Gefilde streicht, da wagt es sich kräftiger wieder hervor: Donatello, Benozzo Gozzoli, in seiner Architektur, sie sind die ersten, bei denen die verborgene Frucht von neuem Blüten treibt; der alte Cosimo in seiner platonischen Akademie versucht, ihr mit einem Anstrich spießbürgerlicher Schulgelehrsamkeit wieder einen kräftigen Boden zu bereiten; erst als der Enkel zum Herrschen kommt, ersteht frei und offen der Romantizismus des Hellenentums. Schon Dante hatte sich einst den alten Vergil zum Führer durch »Inferno« und »Purgatorio« ausersehen; es ist ein Pakt, den das mönchisch starre Mittelalter mit dem Wetterleuchten einer neuen Zeit hier schließt; da man die Nutzlosigkeit einsah, den letzten Rest antiken Glaubens zu vernichten, sucht man den alten Sänger der »Aeneis« zum Johannes Christi zu stempeln. – Bevor wir der Kunst dieser neuen Zeit inne zu werden versuchen, wollen wir nicht vergessen, auch kurz der äußeren Geschichte einige Gedanken zu widmen. War es ein Arkadien, in dem all diese modernen, freien Menschen wandelten, es war auch ein Arkadien, auf das nicht jeden Tag der Glanz der Sonne herniederlachte; es gab auch hier Herbsttage und unheilschwangere Gewitternächte. Denn es gab zu jeder Zeit wie heute eklige, kleine Seelen, die im Frühlingsmorgen wie der ewige Jude schielend und scheel am Kreuze des Erlösers vorbeiwallten; es gab Menschen, denen die Fülle alles Göttlichen zur Triebfeder ward, kleinen Neid durch gewaltsame Tat zu befriedigen. Hatte Cosimo der Republik allen Glanz, allen Reichtum zugeführt und das freie Menschsein erst recht eigentlich geweckt, seine Bürger mächtig gemacht, Pisa und Livorno zu unterwerfen, womit er ihnen eine neue Fülle des Reichtums erschloß, es gab auch Menschen, die schändlich geblendet waren vom Glanz des neuen Hauses. Und die versuchten immer wieder, durch blutige Gewalttat sich selbst an die Stelle jener Medici zu setzen. Es braucht hier nur kurz an die Verschwörung vom Jahre 1466, durch die Piero beseitigt werden sollte, und an die furchtbarere dei Pazzi vom Jahre 1478, dem der jugendfrohe Giuliano, Lorenzos schöner Bruder, bei Meßgeläute und Glockenklang zum Opfer fiel, an den daraus entstehenden Krieg gegen Papst und Neapel erinnert zu werden, um zu begreifen, wie auch der Adonis der phrygischen Einsamkeit zum grausamen Henker werden mußte, wie alles zarte, lyrische Liebeswerben an die schöne Lucrezia Donati in solchen Augenblicken verstummen mußte, ernsteren Zielen gehorchend. Nie wohnte Göttliches und Menschsein näher beieinander, als im Zeitalter Lorenzo des Prächtigen. Hier beraubt man die Staatskassen, um dem drohenden Bankerott zu entgehen, dort aber, in den Laubgehängen herrlicher Villen wie deren von Carregi und Poggio a Cajano, lustwandelt man in der heiteren Philosophie des Plato und atmet ganz die Fülle der Hinterlassenschaft griechischen Geistes. »Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust ...«, nie könnte man eine deutlichere Überschrift finden, um das Zeitalter des prächtigen Lorenzo zu charakterisieren.

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Palazzo Ricardi
(Medicäer Palast)

Und die Kunst wird ganz und gar zur Interpretin dieser neuen Zeit. Vom rauhen, kraftstrotzenden Naturalismus eines Donatello und seiner Schule bis hin zum mystischen Zauber, zur sensitiven Reflektion eines Botticelli durchzieht sie ein großer Akkord, der uns den inneren Charakter jener wunderbaren Zeit weist. Und die Kunst wird durch den klassischen Präzeptor Lorenzo ganz zur Lehrmeisterin des Volkes. Man mag schwerlich auf der Welt eine andere Stadt finden, wo sie sich überall an stillen Plätzen, an Straßenecken so offen zeigt wie in Florenz. Dort bringt man herrliche Marmorreliefs der Madonna mit ihrem Knaben an, hier prangt sie an öffentlichen Gebäuden selbstbewußt als Symbol des reichen und mächtigen inneren Lebens. Und ein Grundton klingt in wundervollem Wohllaut aus ihr hervor, eine gewaltige Harmonie durchzittert sie, alle Stimmungen des menschlichen Herzens, in dem ewig Finsternis mit lachendem Sonnenglanze wechselt, findet in ihr einen nie geahnten intimen Ausdruck. Vom einfachen Zeitporträt, das sich in innerer Charakteristik immer mehr vervollkommnet, wie es schon Benozzo Gozzoli vorwies und nach ihm Filippino Lippi und Ghirlandajo künstlerisch vollendeter geben, bis hin zur tiefen Gedankenmalerei des Botticelli, dessen Gemälde man sich zum Teil im Augenblick aus einer gewissen Impression, die er im Kreise jener »Hellenen« empfangen, impulsiv geschaffen vorstellen könnte – alles durchwebt ein unendlicher, großer Akkord. Wir begreifen, sind ergriffen – und plastisch greifbar steigt die Vergangenheit vor uns empor, wundervoll reizend in all ihren Nüancen. All jene Schaffenden waren ja Menschen mit der ganzen Skala ihrer Stimmungen; der eine träumt in Bukolien, in des anderen Herz schlägt zündend der Funke des Gewissens. Weil man in keiner Zeit offener sein ganzes Menschsein mit einem gewissen Stolze proklamierte, wird selbst die leibhaftige Sünde in der Kunst zur wundervollen Grazie. Ein neues Evangelium geht durch die Welt, das Evangelium der Schönheit; ach, daß es eines Tages zur Übersättigung führen mußte! Vielleicht trug die weltverneinende Philosophie des Christentums den größten Teil der Schuld daran, vielleicht? Denn man denkt auch ans Jenseits. Der göttliche Lorenzo selbst hat schwache Augenblicke, wo sein Geist die Schranken des Irdischen übersteigt und in Resignation versinkt.

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Palazzo Pitti und Giardino Boboli

Verzweifelnd am Throne Jupiters wendet er sich zurück zum Gnadenborne Christi. Ein Prometheuszug geht durch diese ganze Zeit. Trotzig will man den Himmel stürmen und kann doch nicht los von den Fesseln der Vergangenheit – verzweifelnd opfert man die hehre Venus am Kreuze Golgatha. Wir Menschen von heute fühlen mit jenen Gestalten von damals; hätte doch Nietzsche am Tische Lorenzos gesessen! Savonarolas Stimme wäre niemals ertönt. –

Luca della Robba ist einer jener wenigen glücklichen Menschen gewesen, die den Ausdruck höchster Harmonie geben. Ich möchte ihn den »Phidias« des Christentums nennen. Seine Kunst ist ein Hymnus auf die Madonna. Durch seine billige und schöne Technik der glasierten Tonskulpturen, dessen Erfinder er war, und dessen Geheimnis leider mit den Seinen ins Grab sank, hat er häufiger als andere Künstler seinen Gedanken Luft machen können. All diese süßen, zarten Madonnengesichter, die so wundervoll rein hinunterschauen auf das bunte, wechselnde Getriebe des Lebens! Diese feinen, zarten Hände; sie sprechen lauter als all die wilden Pantomimen der Barockkunst. Es ist nicht der Eindruck unnahbarer Göttlichkeit, den man vor seinen Reliefs empfängt. Man möchte diese feinen Lippen küssen, man möchte im Dufte dieser weichen, gescheitelten Haare vergehen vor irdischer Seligkeit. Es liegt etwas Hohes in seiner Kunst, etwas, dem man sich in Anbetung mit stammelnden Lippen nahen möchte, bittend, flehend, daß sich der Mund öffne und zu sprechen beginne. Es ist dieselbe reine Seligkeit, die man empfindet, wie sie Faust beim Anblick der griechischen Helena empfand, eine Seligkeit, die nicht imstande ist, den heißen Drang des Herzens ganz zu ersticken. Es muß ein Idealmensch gewesen sein, dieser Luca, in dem die ganze milde Frühlingsstimmung jener neuerwachten Tage in lieblichen, harmonischen Tönen anklingt; war er über jede Sünde erhaben? Auch als Meister in Marmor lernt man ihn lieben; jubilierend klingt es aus den Reliefs seiner tanzenden Knaben auf der berühmten Cantoria im Dommuseum. Man vergleiche sie nur mit der ähnlichen Arbeit Donatellos, und man hat die Vorahnung kommender schönheitstrunkener Zeit. Auch in Bronze hat er gearbeitet; denn es war ja Mode in jenen Tagen, universell zu sein. Eine Sakristeitür im Dom nennt seinen Namen. Es war ein Auftrag, wie man eben Aufträge ausführt, mit gezwungenem Wollen und der besten Absicht. Auf seinen Neffen Andrea vererbt sich noch der reine Geist des Onkels; wir nennen ihn gerne als den Schöpfer jener Medaillons der Wickelkinder am Florentiner Findelhaus, dem Bau von Brunelleschi, weil sie vielleicht am besten seinen naiven Geist offenbaren. Nach ihm setzt die große »Fabbrica Robbia« ein, die kaum die vielen Aufträge fabrikgemäß zu erfüllen vermag. –

Dem gestrengen Naturalisten Donatello gegenüber hatte einst Ghiberti, gefangen von der neuen Ausdrucksweise Masaccios, die er aufs Relief zu übertragen versucht, in seiner Paradiesespforte des Battistero den Weg zarter Schönheit gewiesen. Seine Fortsetzung bedeutet Verrocchio, einer der Größten, den die Florentiner Kunstgeschichte zu verzeichnen hat, gleich geschätzt als Goldschmied, Bildhauer und Maler. Wie einst Donatello für den alten Cosimo gearbeitet, so steht Verrocchio in den Diensten Lorenzos, in dessen Auftrag auch er in San Lorenzo tätig ist. Wir begegnen bei ihm einem Zuge, den wir deutlicher bei Michelangelo später ausgeprägt finden; denn auch er ist schon in gewissem Sinne der Plastiker der Malerei. Seine immense Größe liegt allein auf dem Felde der Plastik. Jene »Taufe Christi« in der Academia würde zu dem minderwertigsten zählen, was die Florentiner Kunst gezeitigt, hätte Verrocchios großer Schüler Lionardo nicht den linken Engel und einen Teil der Landschaft gemalt. Verrocchios »David« im Bargello, das Gegenstück zu dem des Donatello, ist ein anmutiger Junge im welligen Haar. Er ist die knospende Blüte reifender Knabenschöne. Wie fein und graziös sind diese Glieder, die sich durch das dünne Panzerhemd hindurchzwängen, wie elastisch leicht der Junge über seinen »ersten Mord« hinwegkommt! An gleichem Orte befindet sich ein Madonnenrelief von seiner Hand; der »Bambino« steht auf einem weichen Seidenkissen. Maria aber ist die liebliche Florentinerin mit Morgenhaube und Morgenrock, die nach dem ersten »Wochenbett« in verschämter und doch stolzer Schönheit ihren nackten Knaben präsentiert. Gegen Luca della Robbias süße Innigkeit ist das fast ein Rückschritt. Aber wir würden dem Meister Verrocchio Unrecht tun, wollten wir ihn allein danach beurteilen. Seine berühmte Bronzegruppe des ungläubigen Thomas an Or San Michele mutet mich an wie der heitere Dialog zweier Schüler des Plato. Marsilio Ficino unterweist mit erhobenem Zeigefinger den frühreifen, altklugen Pico della Mirandola. – Ehrenpflicht ist es, Verrocchio auch an dieser Stelle als Meister des Colleoni in Venedig zu nennen.

Als Bildhauer hat Verrocchio zahlreiche Schüler wie Simone Ferrucci und Angelo di Polo gehabt; äußerst geistesverwandt erscheint ihm vor allen Bernardo Rosselino. Es ist bezeichnend, daß man die Madonna mit dem Kinde auf seinem Grabmal des Staatsmannes Lionardo Bruni in St. Croce lange Zeit für das Werk seines Meisters gehalten hat. Durch seine Wandgrabmäler ist er ja der Begründer der modernen Camposanto-Kunst geworden; aus seiner Empfindung aber lesen wir eine tiefe Inbrunst und nach ihr schon den ersten Ausdruck inneren Unfriedens. – Da wir einmal bei der Plastik sind, wollen wir noch auf einen Augenblick bei ihr verweilen, um kurz zwei Meistern gerecht zu werden, von deren Werken Florenz voll ist: Desiderio da Settignano und Mino da Fiesole. Besonders der letztere ist einer der fruchtbarsten Künstler seiner Zeit gewesen. Der »Bargello« weist von ihnen zahlreiche Stücke auf, aber auch an den Florentiner Straßenecken begegnen sie uns auf Schritt und Tritt. Es sind die nachgeborenen Söhne Donatelloschen Geistes; denn es sind Realisten wie jener, zu dem weicheren Verrocchio kann man sie schlecht in Beziehung bringen. Neben Aufträgen, die sie zahlreich ausführen, ist ihre Kunst vornehmlich dem Madonnenkult gewidmet. Sie nehmen den letzten schwärmerischen Liebreiz vom Antlitz der Maria und geben ganz die Florentinerin ihrer Tage. Schön ist sie gerade deshalb und das ungezogene Christkind hat oft genrehafte Züge. Es sind kalte, fast nordische Naturen, die uns eben in ihrer tadellosen Vollkommenheit nur wenig vom Geiste ihrer Zeit mitzuteilen haben. Die Sonne von Florenz erwärmt sie hie und da, aber oft auch weht uns ein herbstliches Frösteln entgegen. Mehr entnehmen wir der geringeren Kunst von Bernardos Bruder Antonio Rossellino, der als Plastiker und Maler in jener Gruppe des Hydra mordenden und des Antäus würgenden Herkules wohl ohne seinen Willen die mächtige florentinische Republik glücklich symbolisiert hat. Den Abschluß dieser Richtung aber bedeutet durchaus Benedetto da Majano, der vielleicht größer als Architekt denn als Plastiker ist. Er hat die schönste Kanzel von Italien in St. Croce geschaffen, und gerade sie hat ihre höchste Bedeutung als dekoratives Prachtstück. Durch das ganze Zeitalter aber geht ein Zug des Dekorativen; die Menschen lebten mehr in Schönheit, als daß sie auch in ihr fühlten. Darum ist auch ihre Sünde Grazie. Schon als Lorerizos Mutter, jene wunderbare poetische Lucrezia Tornabuoni, für ihren Sohn auf Brautschau ging, deren Resultat jene Verlobung mit Clarice Orsini von Rom war, faßt sie ihre Kritik der jungen »Fidanzata« ungefähr in den Worten zusammen: »Sie ist keine vollkommene Schönheit, aber von schlanker Figur; ihr Busen scheint wohlgebildet, doch konnte ich von ihm nichts bemerken, da die hiesige Mode denselben verhüllt ...«.

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Die Kathedrale

Wie die Plastik vom harten Material abhängig, so schwelgt die Malerei in Farben. Sie ist die zarteste und vornehmste der bildenden Künste. Erst sie wird zur wahren Offenbarung des innersten Herzens. In innigem Farbenschmelz fließen die Töne dahin, jubilierend und klagend, selbstbewußt und verzweifelnd; Beato und Penigino; Ghirlandajo und Botticelli.

Als Epigone wirkt in Florenz Alesso Baldovinetti. Er hat uns wenig mitzuteilen; denn er ist in der Malerei noch in einer schon fortgeschritteneren Zeit vom strengen Condottierengeist eines Castagno erfüllt. Darum wirken seine Figuren, wie auf dem Fresko der »Anbetung« im Vorhof der St. Annunziata steif und schwerfällig. Sie gehören in die Tage des ernsten Cosimo; unter dem Scepter lieblicher Grazie aber wirken sie fast wie Verneinung und Reaktion. Fortsetzer der gleichen Richtung in der Malerei sind noch die beiden Pollajuolo und Verrocchio. Das in der Academia befindliche Bild des Tobias mit den drei Erzengeln ist ein altes Streitobjekt zwischen Verrocchio und Botticelli (von einem Manne wie Botticini schon gar nicht zu reden). Ich kann mich unmöglich an den Gedanken gewöhnen, daß es dem großen Plastiker Verrocchio und nicht dem Meister der Grazie, dem wunderlieblichen Botticelli gehören soll. Wie keiner von allen Quattrocentisten hat uns dieser letztgenannte Meister mitzuteilen. Ein Stück von der großen Seele seines Freundes Lorenzo lebt in seiner Kunst; man hört ihn, man hört auch den Dichter Polizian, man fühlt einen Hauch von schönheitsbebenden Lippen; ein Gestammel wie das selige Geständnis erster Liebe. Ein helles Glockenklingen durchzittert die Luft, eine Frühlingssehnsucht, die keine Weiten kennt, eine Trauer, wie sie eben nur dieser Künstler fühlen konnte. Mit Schauern nur, die tief in unsere Seele greifen, kann man vor diesen wunderbaren Botticelli hintreten. Man müßte seine Kunst in Musik umsetzen, um sie verständlich zu machen; alle Worte reichen da nicht aus. Wir fühlen uns als unendliche Stümper, wie eine Entweihung klingt jedes Wort, das vor einem seiner Werke aus profanem Munde kommt: Gotteslästerung!

Um seine Schönheit zu begreifen und zu fühlen, muß man selbst schön sein, man muß seine Seele auf Augenblicke ganz den unendlichen tiefen Stimmungen erschließen können, die in himmlischen Äolsharfen ganz – ganz leise hier anklingen. Leise erzittert, erbebt unser Herz; denn in einem Augenblicke werden wir einer furchtbaren Tragödie inne; dann jubiliert es wieder laut; denn kosender Frühlingszauber umweht uns; unsere Augen sind gebannt im Schauen all dieser fließenden, schwebenden Grazie; die Hände strecken sich aus, sie zu fassen, wie man am frühen Morgen erwachend noch ein liebes Traumbild erhaschen möchte. Anstatt dessen grinst uns das kalte Dasein an. Löst man sich erst los von dem reinen Schönheitszauber Botticellischer Gestalten, man hat das tiefe, schmerzdurchwehte Abendrot der Sonne »Lorenzo«. Eben saß man noch beim bastumflochtenen Fiascho an einfach gedeckter Tafel zusammen. Lorenzos dunkles Auge schweifte von der Höhe seiner Villa herab sorgenschwer über die erglühende Stadt des Lebens dort unten. Eben erst hat der jugendfrohe Polizian eins seiner wunderbaren Tanzlieder den Ohren seines Malerfreundes anvertraut, und vor dessen Augen beginnen sichtbar drei wundervolle Grazien Gestalt zu nehmen, die sich in losen Schleiergewändern rhythmisch nach dem Takt der Dichterverse zu drehen beginnen. Grazie und Harmonie!

Da plötzlich schrillt ein gellender Schrei in diese atmende Frühlingslust ohrverletzend hinein. Lorenzo ist zusammengefahren, Botticelli erschüttert, Polizian entweicht, seine Musik zu retten. Die Abendsonne versinkt. Gewitterwolken steigen am nächtlichen Himmel empor; Sturmesgebrause erfüllt die Luft. Blitze zucken rötlich auf; einer trifft zerschmetternd die bleiche nackte Venusstatue dort mitten im Garten – sie wankt, sie fällt. Am Himmel leuchtet blutrot das Schwert göttlicher Rache für die Sünden der Völker. »Gladium dei super terram«. Ein gellender Ruf aus tausend Kehlen: Madonna! Und die Gottesmutter hört den Schrei des Erbarmens und sie steigt in himmlischem Ornate herunter von ihrem Thron und tausend angstgepeitschte Seelen drängen sich an sie und sie sieht die entsetzliche Verwüstung, sie wendet leise das Haupt und eine Träne entrinnt ihrem Auge: »Was hat man dir, du armes Kind getan«. (Magnifikat.) War der Drang nach Schönheit wirklich Sünde? Botticelli vermag es nicht zu fassen – er malt die Verleumdung – und doch muß er's glauben. Blutleer sind die Lippen seiner Madonnen; ihre Wangen sind blaß geworden in durchweinten Nächten; wehmütig lächelt sie über all den unschuldigen Kindesglanz, der sie umgibt. »Selig, o selig, ein Kind noch zu sein –«.

Der warme Frühlingsabend war so schön gewesen, man hatte sich erzählt von den griechischen Göttern und ihren losen Streichen, von Perseus und Cupido, dem lockeren Schelm, von der Verliebtheit Aphroditens, vom Girren bocksfüßiger Satyrn und den elastischen Tänzen der Waldesnymphen. Pulci hatte Szenen aus seinem »Morgante maggiore« vorgetragen, die den phantastischen Piero di Cosimo ergriffen. Sein Pinsel lebt in dieser Zauberwelt; Ritter befreien gefangene Prinzessinnen; Nymphen finden den hübschen Jungen Hylas und ein Faun trauert bei der toten Prokris. Und dann kommt der nächtliche Sturm, der sein phantastisches Zauberreich zusammenschmeißt. Und der gellende Schrei nach der erbarmenden Gottesmutter tönt auch ihm ins Ohr und zerstört den Frieden und die Harmonie seiner Seele. Und auch er versucht wie Botticelli Madonnen zu malen.

Botticellis zartes Gemüt war von den Donnerworten des fanatischen Savonarola mächtig durchzittert worden, aber er hatte die Kraft gefunden, wieder zu glauben wie in den Tagen seiner Kindheit. Und dieser reine, schmerzensreiche Glaube adelt das neue Stoffgebiet seiner Kunst, die »Madonna«. Als aber die unbarmherzige Politik die Summe der Staatskunst jenes Mönches zieht und ihn, der einst den Christus in Person zum Könige von Florenz vor versammeltem Volke ausgerufen, den Flammen preisgibt, da zündet sie auch seiner Kunst die Todesfackel an. Der Mönch von San Marco wird zur Tragödie dieser zarten Künstlerseelen. Savonarolas Einfluß auf die Kunst seiner Tage ist unermeßlich. Man kann sich nicht vorstellen, wie Lucca della Robbias, wie Verrocchios Madonnen ausschauten, wenn sie in den Jahren dieses Mönches entstanden wären. Wir hatten dann wohl keine liebe Florentinerin mit ihrem putzigen Jungen im Relief geschaut. Filippino Lippi, der Sohn des verliebten Fra Filippo Lippi, zeigt zum erstenmal die Wandlung, die sich unter Savonarolas Worten in der Madonnenkunst vollzogen. Wieder zieht wie in der Moral Dantescher Geist, so in der Kunst das »Trecento« ein. Wieder müssen wir von einem Andachtsbilde reden. Maria ist zwar die Gottesmagd, aber Engel singen ihr zum Ruhm den Preis ihrer »umilitas«. Alle Stoffe des Trecento, Kreuzigung, Kreuzabnahme, Grablegung – das Marienleben, die Taten der Märtyrer, halten von neuem ihren Einzug in die Kunst. Allein in der Empfindungsart ihrer Schöpfer sind sie voneinander unterschieden.

Lorenzo di Credi ist einer der liebenswürdigsten, aber auch einer der oberflächlichsten und unselbständigsten Meister seiner Tage. Seinem Lehrer Verrocchio entlehnt er die plastische Ader, dem großen Botticelli sieht er ein wenig die Empfindung ab. Aus dem von der Goeschen Portinarialtar lernt er wie all die anderen die Pracht koloristischer Wirkung. Es ist etwas Sonderbares um diese gemütsflachen Renaissancemenschen. Sie lauschen den Reden Savonarolas mit dem Bewußtsein ihrer inneren Überlegenheit, und während die Menge in Tränenschauern erzittert, ziehen sie Stift und Papier aus ihrer Westentasche und beginnen mit ironischem Lächeln zu skizzieren. So wissen wir es von Lionardo da Vinci. Im Stofflichen läßt man sich wohl durch die Mönchsreden gelegentlich beeinflussen – im übrigen aber ist man der selbstbewußte Grandseigneur, da man in der großen Gefühlsschatulle nichts vorrätig hat, kopiert man wie Ghirlandajo künstlerisch meisterhaft das Florentiner Leben von anno dazumal. Und hat man ganze Wände mit zeitgemäßen Szenen und Porträts gedeckt, so schreibt man darüber »Leben der Maria«, »Leben des Täufers« usw.

Im Rahmen unseres Buches können wir Meister wie Filippino Lippi, Cosimo Roselli, Lorenzo di Credi und Domenico Ghirlanddajo keiner eingehenderen Betrachtung unterziehen. Teils liebenswürdig, teils weniger weich, der eine künstlerisch vollkommener als der andere, dienen sie uns hier dazu, im Gegensatz zum tiefen Gefühlsleben eines Botticelli den Geist anders gearteter Menschen, ja oft geradezu den Typus des Durchschnittsmenschen von dazumal zu deuten. Sie weisen auf kommende Meister. wie Fra Bartolommeo und Andrea del Sarto, die schon durchaus etwas von der Müdigkeit des Epigonentums haben, sich hin und wieder wie del Sarto in seinem berühmten Scalzocyklus, zu künstlerisch Grandiosem aufraffen können, es aber lieber vorziehen, durch weichen Farbenschmelz den Mangel tiefsten künstlerischen Empfindens zu ersetzen. Nach den großen Erfindern kommen die Ausbeuter, die leichtfertig die Frucht jener zu tausendfältiger Saat auspflanzen. Nur noch zwei einsame Gipfel ragen leuchtend im letzten Sonnenglanz des Abends hoch über das schon in Dämmerung versunkene Tal, wo eine wunderbare Stadt weithin ausgedehnt schläft und den Traum einer großen Vergangenheit träumt: Lionardo und Michelangelo.


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