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Die Maler des erwachenden Quattrocento

. Von nun an verwächst überhaupt die ganze Florentiner Kunst so eng mit dem Namen Medici, daß man nicht umhin kann, den Gründen nachzuspüren, die diese Fürsten des Volkes zu den großen, freien Mäcenaten machen. Denkt man an den alten Cosimo, man denkt auch unwillkürlich an seine Lieblingskirche San Lorenzo, wo er seinen Freund Donatello beschäftigte, man denkt gleichzeitig auch an San Marco, das er durch Michellozzo den Dominikanern erbauen ließ. Hier stellte er auch in einem eigenen Saale, den man heute mit nur wehmütigen Empfindungen betreten kann, die erste öffentliche Bibliothek aus. Denn wie bald sollten jene wertvollen Manuskripte, denen Männer wie Niccolo Niccoli ihr ganzes Leben, all ihr Vermögen geopfert hatten, durch die neuerfundene Buchdruckerkunst in ihrem Werte fast zusammensinken. Ein Hauch von wehmütiger Schwermut ist gerade über San Marco gebreitet; denn seine Mauern schließen nicht nur Namen wie Beato Angelico und Savonarola ein, Cosimo selbst ließ sich hier eine stille Klause erbauen, die man noch heute dem Fremden zeigt. Über all dem rauhen Getriebe des Tages blieb in all jenen Renaissancemenschen doch der Drang nach dem Göttlichen wach; das Herz, die Seele sehnte sich nach Sammlung, nach dem milderen Wehen göttlichen Odems. Zückte man schon den blanken Stahl im Angesicht der Hostie, man warf sich auch dem Gekreuzigten zu Füßen. Er war ja Mensch wie andere Menschen. Es ist ein intimer Zug, der uns all diese rauhen Gestalten, die die neue Zeit geboren, so sympathisch macht, wir treten ihnen auch in solchen Augenblicken scheinbarer Schwäche menschlich näher. Macchiavelli, der große Skeptiker, der am Ausgange jener glanzvollen Zeit steht, dessen Auge nun zurückschweifend das innerste Wesen all jener Großen zu erfassen sucht, hat auch über die Staatskunst der Medici weit und eingehend philosophiert. Wir müssen ihn in manchen Punkten ergänzen, eben weil sich uns als Angehörigen einer anderen Nation das Spezifische im Volkscharakter deutlicher ausprägt. Schon als der alte Cosimo Bauten auf Bauten aufrichten ließ, streute die böse Zunge aus, er tue es deshalb, um so das Wappen seines Hauses öfters zeigen zu können. Etwas wahres steckt gewiß in diesem »On dit«. Durch Glanz und Feste muß man das Volk seiner Freiheit vergessen machen, so ähnlich drückt sich an einer Stelle der große Staatsmann in seinem »Principe« aus. Aber wir erschöpfen damit nicht die innerste Natur eines Cosimo und Lorenzo von Medici. Es waren Italiener und durchaus Söhne ihrer Vaterstadt. Noch heute kann man auf Schritt und Tritt aus dem Munde des Gewöhnlichsten hören »Ma, come bello«, Ach, wie schön ist das! In Farben, in Schönheit geboren, war auch den Florentinern jener naive Hang an Kunst eigen. Daß die Medici ihn pflegten kraft ihres immensen Reichtums, entsprang eben so sehr einem inneren Bedürfnis wie einer klugen staatsmännischen Berechnung.

Der Donatello der Malerei ist Andrea del Castagno. Wie bei jenem Meister der Plastik ist der Grundakkord, den seine Kunst durchklingt, Kraft und herber Realismus. Wie jener, so wird Castagno mit hellen, leuchtenden Farben der Interpret jener selbstbewußten Zeit. Im Dom hat er »al fresco« das Reiterbild des Niccolò da Tolentino auf einen Teil der Eingangswand gemalt; es ist der trotzige Gatamelata des Donatello hier in Farben wiederholt. Das Kloster von S. Apollonia umfaßt heute ein kleines Castagnomuseum. Jene »uomini famosi«, die man aus der Villa Carducci hierher verbracht, sie weisen wie die weiblichen Sibyllen eine unermeßliche Kraft. Breitbeinig steht jener Farinata degli Uberti, das Schwert in der Rechten da, den ernsten Feldherrnblick seitwärts gerichtet. Ihn preist Dante als den »Hochherzigen«, der einst nach dem Sieg der Ghibellinen bei Montaperti Florenz vor der Zerstörung der rachedürstenden Sieger mit seinem Machtwort bewahrt. Wie weist ihn uns Meister Castagno? All diese Jünger, die uns Castagno in seinem berühmten »Cenacolo« am selben Orte vorweist, sind das die Vorläufer jener Märtyrer, die um Christi Evangelium von der höchsten Liebe willen in den römischen Arenen freudig ihr Blut um ein erhofftes Heil geopfert? Liegt nur ein Hauch schwärmerischer Empfindung über seinem grandiosen Fresco der Dreieinigkeit in der Kirche der S. Annunziata? – Andrea del Castagno hat einen zeitgenössischen Doppelgänger in jenem wunderbaren Kauze Paolo Uccello, von dem uns Vasari so köstliche Geschichten berichtet. Nichts galt ihm schöner Frauen Gunst gegen seine geliebte Perspektive. In seiner inneren Zerfahrenheit, womit er diese zu ergründen sucht, berührt er uns wie der »Fliegende Blätter«-Typus des zerstreuten Professors. Weil man ihm zu viel Käse zu essen gab, entflieht er eines Tages den Mönchen von S. Miniato, bei denen er beschäftigt war. Die Wände im Klosterhof von St. Maria Novella, auf die er die Sündflut, Noahs Trunkenheit und Dankopfer malt, sind ihm gerade gut genug, unsinnige Experimente für die Perspektive auszuführen. Man betrachte das große Tafelbild einer Reiterschlacht in den Uffizien, das in der Farbe, in Gestaltung geradezu Unmögliches bietet, mit seinen grünen und roten Pferden, aber perspektivische Kunststückchen sind hier gegeben, die geradezu verblüffen. Sein Reiterbildnis des John Hawkwood im Dom ist das Gegenstück zu Castagnos Condottiere. Wie dieser der »gemalte« Gatamelata. In einer »Geschichte der Malerei« muß man diesen beiden Künstlern und auch einem Domenico Veneziano, der als Techniker und Kolorist und Entdecker der Ölmalerei, weshalb ihn Castagno ermordet haben soll, hohe Bedeutung hat, mehr Raum widmen wegen ihrer eminenten Bedeutung, die sie für die Technik haben – dem Gedanken unseres Buches genügt die Andeutung, daß sie dem großen Plastiker Donatello geistesverwandt sind. Denn nun drängt sich eine Fülle wundervoller Gestalten in lieblichem Wirrwarr an uns heran, denen wir lauschen wollen mit weit geöffneter Seele; sie alle haben uns etwas zu erzählen, der eine dies, der andere das, und alle singen nur das Lied göttlicher Schönheit, mit dem Namen Medici auf den Lippen.

Ähnlich, wie wir eines Paolo Uccello gedachten, müssen wir hier noch die Namen zweier Männer nennen, die, ob sie schon zu Beginn des »Quattrocento« gewirkt, ihren vollen Einfluß erst auf die Meister des »Cinquecento« auszuüben vermögen: Masolino und Masaccio. In der Brancacci-Kapelle von St. Maria del Carmine haben sie gemalt: Zwei Fresken von Adam und Eva, das Zinsgroschenbild und die Legende des hl. Petrus. Ist es wirklich nur ein Meister gewesen, der, wie viele annehmen, diese beiden Namen zusammenfaßt? Ich kann mich nicht an den Gedanken gewöhnen; denn so gleichgestimmt in vieler Beziehung ihre Kunst ist, so verschieden ist sie auch. Masolino, obwohl technisch unbeholfener, in der freien künstlerischen Empfindung überragt er meines Erachtens seinen sonst sehr gelehrigen Schüler. Man vergleiche nur seinen Petrus mit dem des Masaccio und wem wird es nicht klar, wie sich zwei verschiedene Individualitäten aussprechen? Malerisch lebt unzweifelhaft der Fortschritt in Masaccios Pinsel; man betrachte nur seine von leidenschaftlichem Schmerz und Bewegung durchzuckte Gruppe der »Vertreibung aus dem Paradiese« mit dem porträtgemäßeren »Sündenfall« des Masolino. Hier webt noch der idyllische Zauber des Schöpfungsmorgens; Giotto, wenn er sich schon an das Nackte herangewagt hätte, hätte nicht anders gemalt; dort hat man die ganze reiche Schmerzensskala schon zu erschöpfen versucht, und dann diese Bewegung! Masolino kann man ohne Bedenken den letzten großen Ausläufer der Giottoschule nennen; Masaccio aber leitet über viele Jahre hinweg über zur grandiosen Kunst des Michelangelo und seiner Schule. In dieser Kapelle strömte ja später bewundernd Jung-Florenz zusammen mit Skizzenbuch und Zeichenstift; hier schlug jener Torrigiani aus gehässigem Neide dem großen Michelangelo die Nase platt, dessen Leben er vielleicht im tiefsten Grunde dadurch zu einer schaurig-schönen Tragödie gestaltete; denn von dem Tage an war dem Häßlichen, Strengen das erwärmende, erfrischende Kosen von zarter, schöner Frauenhand versagt. Nun verschloß sich der Mißgestaltete in Einsamkeit, rastlos schaffend, während den jugendschönen Raffael, der auch an dieser Stätte kopiert, ein von holder Liebe golden beschienener Pfad auf den Gipfel des Ruhmes führte.

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Lorenzo de Medici

Donatello, Castagno und Masaccio kann man als den März der Florentiner Kunst begreifen, wie den alten Cosimo als den trotzigen Wintergott, in dessen Augen sich schon kräftig das Leuchten einer warmen Mittagssonne abspiegelt. Sein Enkel Lorenzo war Phöbus Apoll; er breitet seligen Glanz über ein ganzes Volk. Auch die Kunst erwärmt sich mehr und mehr in seinem Schein. Die Entwicklung vollzieht sich langsam; fast erst als Botticelli seine »Primavera« malt, lacht schönheitstrunkener Maienglanz auf allen Fluren. Eine sonderbare Zwittergestalt ist Fra Filippo Lippi. Man denkt ihn sich im Mönchsgewand, seine schöne Nonne als Madonna porträtierend. Eines Tages macht er sich mit ihr auf und davon. Er ist in Klostermauern zum frohen, genießenden Menschsein erwacht. Sein Nönnlein wird ihm zur Liebesgöttin und Muse, sie gibt seinem Pinsel unendlichen Reiz. Wir sehen sie überall als Madonna mit dem Bimbo, ihrem seligen Knaben. Nie schaut sie ganz heiter, ganz offen in die Welt; empfand sie den Stachel der bitteren Reue? Es ist, als hörte man Filippos mahnende Stimme: »Lucrezia sei lustig, was geschehen ist, ist geschehen ...« Und Lucrezia lacht auf Augenblicke und lacht in seliger Verklärung zu ihrem losen Gemahl empor und drückt den Jungen, die liebe Frucht ihrer Sünde, ans Herz und sie betet ihn an und kniet vor ihm, wie sie als Nonne vordem vorm Kruzifix gekniet; dann fühlt sie das Evangelium opferfreudiger, irdischer Liebe vernehmbar in ihrem Herzen widerklingen, und Lucrezia ist glücklich.

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Und Filippo? Auch er hat schwache Augenblicke, wo ihn Unmut faßt, daß sich Menschen von den toten Versprechungen der Kirche irre machen lassen können; dann weicht der zarte Hauch der Anmut von seinen Bildern, und der Stil wird »ernster und feierlicher«. Beato Angelico war sein Lehrer; nur in den Stoffen sehen sie sich ähnlich; denn noch immer war ja, wie noch das ganze Quattrocento hindurch, die Kirche die vornehmste Auftraggeberin, und wenn auch der gesetzte, strenge Cosimo über die verliebten Streiche dieses Mönches herzlich gelacht haben soll, innerlich waren die beiden nimmer verwandt. Wie sich Filippo Lippi uns als Mensch in seiner Kunst offenbart, empfinden wir deutlich, daß er der erste war, der mutvoll eine hemmende Fessel gelöst, die düsterstarre Kirchendoktrin des Trecento; mit ihm verschwindet für immer der letzte Hauch jener grübelnden, sich selbst zermarternden Infernostimmung aus der Kunst. Wie Filippo aber auf der neuen Bahn des Realismus fortschreitet, zeigt er auf dem Bilde der Anbetung. (Kopie in der Academia, das Original von Cosimo für seine Hauskapelle bestellt.) Der ganze Wald mit seinen Blumen, seinem Bach und Felsen gibt, noch technisch unvollkommen, den Abglanz der draußen atmenden Gottesnatur. Seine Gottesmutter mit dem feinen Spitzentuche, mit den graziösen, ringbedeckten Fingern gibt das Bild einer Florentinerin seiner Zeit. Donatello und Cosimo verband die Harmonie der Seele; daß der lose Mönch Filippo auch einen Auftrag vom Hause Medici erhielt, will wenig sagen. Nach dreißigjähriger »Regierung« senkte man den Alten ins Grab; er ruht neben seinem Freunde Donatello in San Lorenzo. Im Kleide des Privatmannes war er ein sorgenvoller »Vater des Vaterlandes« gewesen. Über seinen Sohn Piero, der nur für kurze Zeit die Zügel des Regimentes in Händen hielt, wissen wir wenig. Aber wir lesen seine Art gerne aus der seines Sohnes Lorenzo. In den von Michellozzo eben vollendeten Palast seines Hauses berief er Benozzo Gozzoli zur Ausschmückung der Hauskapelle. Was Bocaccio für das »Trecento«, bedeutet Gozzoli künstlerisch genommen für das folgende Jahrhundert. Er ist der Novellist, dem ohne Überlegen die Sprache von dem Pinsel fließt. Was er in seinen Wandfresken, im Zug der heiligen drei Könige gibt, ist Zeitporträt. Er ist der Modemaler par excellence, das ganze zeitgenössische Florenz, Philosophen und Künstler vereinigt er auf seinem Bilde, er ist ein Heereszug im Glanze der neuen Zeit durch die toskanische Landschaft. Nicht nur, daß er auf seinen farbenprächtigen Bildern seinen Auftraggeber und dessen Familie verewigt, auch den morgenländischen Kaiser Johannes, der zum großen Konzil in Florenz weilt, bringt er inmitten von Roß und Reisigen an. Um innerlich den Geist seiner Zeit in gedankenvollen Werken wiederzugeben, dazu ist Benozzo viel zu oberflächlich, viel zu sehr Novellist. Er schwelgt in Farbe und Landschaft, und das macht fast sein ganzes Künstlertum aus. Im Rahmen unseres Buches nehmen wir ihn gerne als Porträtist seiner Zeit hin; denn er erspart uns die Mühe, tiefere Gedanken zu lesen. Konnten sich noch im liebedürstenden Mönche Filippo zwei miteinander ringende Welten offenbaren, Benozzo Gozzoli pflückt, unbesorgt um den tiefen Drang der Menschenseele, heiter und oberflächlich die sonnenbeschienene Frucht seiner Tage.

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