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Das Florenz des frühesten Mittelalters

. Das heutige, moderne Florenz gibt uns nur noch in wenig Punkten das Bild jenes antiken, das einst so eng, in seinen grauen Häusermassen so melancholisch in die Welt hineinschaute. Wir müssen unsere ganze Phantasie zu Hilfe nehmen, um aus den wenigen erhaltenen Resten das Bild des trecentistischen Florenz zu rekonstruieren. Und doch gelingt es leicht. Im ganzen Mittelalter gibt es zwei Gewalten, die in den damals modernen Staaten immerfort im Kampfe liegen: Das sind auf der einen Seite jene alten, feudalen Adelsgeschlechter, in Italien meist von den deutschen Kaisern in Macht und Besitz investiert, auf der anderen die Städte, in denen sich das freie, mutig emporstrebende Bürgertum repräsentiert. Daß das letztere siegreich aus dem Jahrhunderte langen Streite hervorgehen mußte, erscheint als die einfachste Logik des Weltenlaufes, die immer dem Fortschritt den Sieg zuweist. Jener Umschwung aber, bei dem der Feudaladel selbst in gewissem Sinne das bürgerliche Gewand anlegt, vollzieht sich nicht plötzlich; er ist die Frucht langer, unseliger Kämpfe. Die Florentiner Geschichte des frühesten Mittelalters bietet ein treffliches Beispiel. Dem unendlichen Kampfesrufe zweier höherer Prinzipien, wodurch Kaisertum und Papsttum stets ihre Getreuen unter ihre Fahnen scharten, ging ein für die städtische Entwickelung viel hartnäckigerer und wichtigerer Kampf parallel, der der mauerumgürteten Stadt gegen jene drohenden Herren dort oben auf den trotzigen Kastellen, die Gebieter über die Landstraßen sind, die in heimtückischem Überfall die friedlichen Kaufleute ausplündern und so der Quelle aller Macht, einer materiellen Besitzzunahme, übermütig täglich frische Wunden schlugen. Wenn man auf den Ausweg kam, jene stolzen Herren zu Bürgern des in der Ebene sich ausdehnenden städtischen Gemeinwesens zu machen, so legte man sich damit gleichzeitig eine gefährliche Pulvermine in die friedlichen Gassen. Sie mußte explodieren; denn das Prestige stolzer Macht wohnte jenen Herren inne; davon konnten sie nichts abgeben. So ergeben sich die blutigen mittelalterlichen Geschlechterkämpfe fast von selbst. Daß man dabei rein äußerlich späterhin den Namen der Guelfen und Ghibellinen, oder der Schwarzen und Weißen annahm, will gar nichts sagen. Es waren Benennungen, die im Augenblick noch eine gewisse Bedeutung hatten, die späterhin zu typischen Bezeichnungen zweier feindlicher Parteien wurden.

So ist auch das älteste Bild von Florenz das einer trutzig dräuenden, unbarmherzigen Festung. Es hat langer Zeit bedurft, die traurigen Spuren, die der germanische Völkerschwarm, nach ihm der Hunneneinfall in der italischen Erde hinterlassen, zu verwischen. Unter den immerwährend wechselnden Ereignissen war der Gedanke an die Vergangenheit völlig verloren gegangen. Der große Pan war tot; die Überreste der Antike waren fast völlig vergessen oder verloren. Bei dem ersten, zelotisch sich breit machenden Christeneifer durfte man der alten freundlichen Götter nicht mehr gedenken, und doch konnte man sie nie ganz los werden. Die Sage hat bis auf unsere Tage hindurch berichtet, wie auf der Stelle der ersten christlichen Kirche von Florenz, dem Battistero, vordem ein säulengeschmückter Isistempel gestanden. Das Baptisterium in seiner ältesten Form, ein roh gemauertes Achteck – erst in später Zeit erhielt es die Marmorbekleidung –, ist für uns heute noch der typische Ausdruck jener ersten, unfreundlich strengen Zeit. Wie sehr man aber ganz der Antike und seiner eigenen Vergangenheit vergessen, beweist fast in komischer Weise jener neben dem Taufbecken eingemauerte römische Sarkophag, in dem der Bischof Johannes von Florenz ruht. Vormals hatte er den zarten, gar zu sündhaften Leib einer römischen »Fioraja«, einer Dame von zweifelhaftem Ruf, umschlossen.

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Chiesa Di S. Miniato

Bevor wir im Bilde von Alt-Florenz der Monumente des strengen realen Lebens gedenken, wenden wir uns zu den Kultstätten, in denen der finstere Weltenrichter, der auf Golgatha das freudige Lächeln verlernt, byzantinisch starr, seines strafenden Richteramtes waltet: Des Baptisteriums, auf dem heutigen Domplatze, wurde schon gedacht; es lag dicht an der nördlichen Mauer der Stadt. Daß seine Form einem antiken Tempel nachgebildet, ist unzweifelhaft; die Mehrzahl seiner Pfeiler und Säulen sind ja gleichfalls antiken Ursprunges. – An der Südseite der Stadt bildete die Grenze nach dem Arno zu der heutige Borgo SS. Apostoli. Eine alte Legende berichtet, Karl der Große, der übrigens in der Florentiner Überlieferung eine unnatürlich prächtige Rolle spielt, habe jenes kleine Kirchlein mit dem gleichen Namen des Borgo gegründet. Ob es tatsächlich erst einige sechzig Jahre nach Karls Anwesenheit in Florenz entstanden, spielt für uns keine Rolle; wichtig ist, daß jenes Kirchlein die älteste Form der spezifisch florentinisch-romanischen Basilika, wenn auch heute etwas verändert, repräsentiert. Wie im Baptisterium ist der Schmuck seiner Porphyrsäulen noch antiken Ursprungs. Nächst diesem Gotteshause mag St. Trinità, nicht unweit gelegen, wenn wir seine Barockfassade abziehen, als Typus jener ersten Kirchen von 800 bis 1100 gelten. Etwas prächtiger, weil schon einer um ein Geringes fortgeschritteneren Zeit angehörend, offenbart sich, dort oben auf dem Berghügel gelegen, San Miniato. Es ist die Kirche, die dem einzigen, echten Lokalmärtyrer von Florenz geweiht ist. Sie offenbart in ihrer Stilreinheit vielleicht am wunderbarsten den Zauber jenes florentinisch-romanischen Basilikenstiles. Daß der zierlichen Marmorfassade der streng byzantinische Mosaikchristus gewissermaßen als Dekoration beigegeben ist, mag als ein Beweis für die vollkommen verstockte Unselbständigkeit der Malerei in dieser Epoche gelten. Alle diese Kirchen haben oder hatten ursprünglich unter dem Hochaltar eine Unterkirche, eine Krypta. Das sind Beispiele für das kirchliche Leben jener Zeit, das das an Sorgen gebundene weltliche Dasein in Formenschönheit, ja schon primitiv künstlerischem Empfinden weit überragt. Es entspricht der Bedeutung, die es vor jenem in diesen Zeiten einnimmt. Kirchen im Stile dieser ältesten Basiliken gibt es in Florenz noch genug; gerade in jenen Gäßchen, die heute noch so charakteristisch und greifbar das damalige Leben vor Augen führen, trifft man noch öfters auf sie.

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Palazzo del Podestà

Um diese Kirchen aber, die auch in der bürgerlichen Verwaltung den Mittelpunkt der Stadtquartiere bezeichnen, gruppiert sich in engen Straßen und Gassen das Getriebe des Alltags. Offenbart es sich weniger rein, so steckt doch in seiner Hinterlassenschaft eine Fülle von trotziger, ringender Kraft, von Fleiß und zähem Wollen. Und auch hier hat sich fast nur erhalten, was auf Reichtum und Macht gegründet war, die strotzigen Städteburgen angesehener Geschlechter. Für die historische Kunst von Florenz bedeuten die neunziger Jahre des entschwundenen Jahrhunderts einen geradezu verbrecherischen Mord. Wo sich heute die »Piazza Vittorio Emanuele« plump und unkünstlerisch breit macht, war einst das antike Zentrum der Stadt. Noch aber gibt es einige wenige, enge, winklige Straßenzüge, Plätzchen und Gäßchen, in denen wir das Vernichtete und Entschwundene deutlich greifbar vor uns haben. Jene Gegend um die Piazza San Biagio herum, die »via delle Terme«, all die kleinen Gassen und Plätze, die sich vor dem Ponte vecchio von der Via Por Santa Maria nach beiden Seiten abzweigen. – Die Longobarden haben eine Eigentümlichkeit ihres Städtebaues unter einem gewissen Verhängnis in Toskana hinterlassen. Ich denke an den »Gardingus«, den longobardischen Wartturm. Auf der Nordseite des heutigen »Palazzo vecchio« soll sich – wie der vortreffliche Forscher der ältesten Florentiner Stadtgeschichte versichert – solch ein »gardingo« erhoben haben. Das frühmittelalterliche Florenz aber war ein Wald von solchen Türmen, die in graubraunem Gestein in stattlicher Höhe zum blauen Himmel emporragten. Sind sie jedes künstlerischen Idiomes bar? Ich möchte das keineswegs behaupten. Noch gibt es in jener von mir oben näher umgrenzten Gegend mehrere solcher Türme; einige sind geköpft, d. h. man hat ihnen ihre stattliche Höhe beizeiten beschnitten, aber andere, wie die »torre Gherardini«, die »torre dei Girolami« an der Piazza S. Stefano, wo auch eine jener ältesten Basiliken liegt, ragen heute noch trotzig auf. Geben sie uns nicht das vollkommene Bild vergangener Tage? Sturmbewegt war diese Zeit, in innere Bürgerfehden und äußere Kämpfe verquickt, siegesfreudig der Mut jener Geschlechter, die hinter diesen schier unbezwingbar deuchenden Quadermassen ihr Recht und ihren Vorteil verteidigten. So grausam und unempfindsam war die Zeit, daß man für zartere, poetischere Regungen, wie sie später sensitiv in der Malerei widerklingen, noch keine Muße fand. In ihrer einfachen Starrheit scheinen mir diese Geschlechtertürme eine unendliche Schönheit zu besitzen; wie sie sich aufrecken gen Himmel wie unbezwungene Helden! Mehr als hundert hat es um die Wende des zwölften Jahrhunderts schon in Florenz gegeben. Um sich einen unvollkommenen Eindruck von dem Bilde der damaligen Stadt zu verschaffen, denke man vielleicht an das kleine, »türmereiche« San Gimignano, das sich als »città morta« noch am vollkommensten in unsere Tage hineingerettet. Und neben diesen Türmen oder durch Brücken und Gänge wenigstens mit ihnen verbunden, standen die vollständig aus rohem Material gefügten Paläste. Auch sie sind Festungen, eine jede für sich, im unteren Stockwerk vermauert, erst oben in niedrigen, vergitterten Fenstern das Licht des Tages in die Wohnungen der Menschen einlassend. Noch Dante kam in solch einer Festung zur Welt, wenn wirklich das vom Stolz der Florentiner als seine Geburtsstätte bezeichnete Haus das echte Dantehaus ist. Man sehe neben der alten Kirche San Biagio den starren Palast von der Guelfenpartei, wie ihn Zinnen überragen, oder neben ihm den Palagio dei Canacci. Ja, eine heitere, sonnenbeschienene, frieden- und poesieumglänzte Schönheit spricht nicht aus diesen Bauten, aber trotzige Kraft erzählt uns staunend Märchen von den Wegen, die sie gewandelt, wie sie selbst Stärkere bezwungen und unter Waffengeklirr und Kampfesliedern die eigene Vaterstadt groß und herrlich gemacht. Düster schauen sie drein; denn ihre Mienen scheinen Spuren von Blut zu weisen; düster war auch die Zeit, in Gefahren geboren, düster die Menschen, die in diesen Tagen voll ungeheuerer Widersprüche gelebt, über die Kaisermacht, Papsttum, Feudalgewalt und Geschlechterkämpfe dahingerast und die dennoch stündlich ihrem Ziele, das auf glanzvolle und sinnenfreudige Macht hindeutet, näherkommen. Bis dahin freilich war der Weg noch weit. Viele Fesseln hatten jene Menschen abzuschütteln realer, sinnlicher und übersinnlicher Natur, bis sie zu der Vollkommenheit gelangten, die die Grundlage einer höheren Kunstentwickelung war. Für uns aber sind jene ragenden Geschlechtertürme und die trutzigen, quadergefügten Paläste des mittelalterlichen Florenz künstlerisch der vollkommenste Ausdruck ihrer Zeit; sie sind die Vorläufer jener Florentiner Palastarchitektur des 14. und 15. Jahrhunderts, eines Strozzi- und Pittipalastes, die selbst nur erst weitere Glieder in einer höheren Entwickelungskette bedeuten.

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