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Roggen, Weizen und Gerste sind eingefahren, die Luft schwingt vom Brummen der Dreschmaschine.
Bald wird der Wind über die Haferstoppeln gehen.
Lange war ich wütend auf Hurrle, aber wer kann denn diesem Sprüngemacher böse sein.
»Weißt du, Bierbrauer,« sagt er ruhig und grient, »das ist eben praktische Schauspielkunst; und jeder Mensch ist zu etwas Höherem geboren.«
»Du mußt dir angewöhnen, deine grauen Hirngespinste andern Menschen aufzuhängen. Ich bin kein Zigeuner und eigne mich nicht dazu, deine Bären zu führen. Du schwindelst Gott und die Welt an und ich wundere mich nicht, wenn der Teufel vor dir Reißaus nimmt.«
»Schwindeln, meinst du? Bitte, wer schwindelt denn? Laß dir enthüllen, daß du selbst ein geradezu abgefeimter Schwindler bist. Warum läufst du denn als Bierbrauer Flox durch deine landwirtschaftlichen Tage und verdrehst einem Baronsabkömmling den Kopf und mir den Magen?«
»Das weißt du ganz genau. Kilian Baudendistel, der Mann mit dem Hufeisenmagneten, die Zykade, die vom Wind davongetragen wird, hat mir diese Wiedergeburt verschafft, weil ich sie brauchte. Du hast selbst gesagt, daß ich als Stephan von der Wieden beim Tippeln wenig Glück haben würde.«
»Stimmt, jawohl. Wenn man so veilchenblau dahinwandelt, wirft einem kein Dorfmetzger einen Därmling nach. Du wirst im Leben kein rechter Fahrer.«
»Kümmere dich bitte nicht um meine Gefühle.«
»Na, faselst du nicht schon wochenlang von deiner strohgelben Kalle und – –« 244
»Du, das ist kein Ausdruck, ich verbitte mir – –«
»– – strohgelbe Kalle, sage ich, und jetzt, da du sie in der Nähe hast, leidest du an chronischer Appetitlosigkeit.«
»Bitte, sprich von etwas anderem.«
»Der Baron wird dich nächstens an die frische Luft setzen. Du hast ja auch den ganzen Brei mit Bettina und Brigitte angerührt. Und mit deiner falschen Fleppe kommst du noch in des Satans Küche; mein Lieber, den Elementenfärber glaubt dir kein Kopfschuster im vierten Stock.«
Damit geht er und läßt mich stehen.
»Hurrle!« rufe ich ihm nach, »du hast mir auf recht schofle Weise mein Kreidepünktchen aus der Tasche gestohlen, indem du den Tod auf dem Scheunendach zu Hilfe gerufen und dich noch am Jenseits versündigt hast. Schande über dich, der du heimtückisch hinter mein Ehrenwort geschlichen bist.«
»Die Pfeife mit Wassersack sollst du dennoch haben.«
»Ich pfeife auf die Pfeife.«
Ja, das ist heute ein kritischer Tag; außerdem haben wir Ostwind und jeder weiß, daß der Ostwind streitsüchtig macht und auf die Gallenblase wirkt.
Ich werde hinaus aufs Rübenfeld geschickt, um für die Pferde dicke Polizeifinger (Mohrrüben) zu holen. Mit wahrer Wollust reiße ich sie aus, sie fliegen nur so auf den großen Haufen. Die andern sind schon dabei, die Stoppelfelder umzupflügen.
Später treffe ich Bettina hinten im Garten bei dem kleinen Gartenhaus. Sie tut ein wenig geheimnisvoll und hat nicht die beste Laune.
»Vater hat mir eine Sonntagspredigt gehalten.«
»Warum denn?«
»Weil er schlecht aufgelegt ist und Witterung hat, daß zwischen uns beiden etwas nicht klappt.«
»Das ist der Ostwind, Bettina.«
»Er sagt, ich müsse bald daran denken, mich zu verheiraten.«
»Heiraten? Wen denn?«
245 »Das weiß er selbst noch nicht. Er hat sich doch in den Kopf gesetzt, es müsse ein Adliger sein. Verrückte Idee.«
Es durchfährt mich wie ein Blitz. Ein Adliger soll es sein, nur ein Adliger soll Bettina haben?
»So, nur ein Adliger soll es sein? Und du, Bettina, was sagst du dazu? Nimmst auch du nur einen Adligen?«
Sie senkt ein wenig den Kopf und rückt nicht gleich mit der Antwort heraus. Dann kommt es stockend von ihren Lippen: »Ich sage, daß ich nur den nehme, den ich gernhabe, mag er heißen, wie er will!«
Gott sei Dank, es kommt wie eine Erlösung über mich, weil sie diesen Satz gesprochen hat. Ganz leicht wird mir und froh zumute, am Ende wird der Ostwind sich drehen.
»Jawohl, das tue ich auch. Ich lasse mir keine Vorschriften machen. Und wenn ich einmal jemand gernhabe, dann gehe ich mit ihm durch dick und dünn. Glaubst du das nicht?«
»Doch, ich glaube es. Du siehst ganz danach aus.«
Ich fasse nach ihrer Hand, nur um irgend etwas zu tun.
»Bettina, ich glaube, der Wind raumt.«
»Adlig oder nicht adlig, ist mir schnuppe. Du bist ja auch nicht adlig. Jesus, wenn du ein Baron wärst! Knecht und Tagelöhner und früherer Kornhase. Gott im Himmel, was für verschraubte Ideen.«
»Man ist nie vor Überraschungen sicher. Das hast du ja an der Porzellanbrigitte erlebt. Hast du nichts gehört?«
»Nein, du?«
»Ich habe es doch eben hier im Gartenhaus krachen hören.«
»Die Katzen.«
Es sind keine Katzen, es ist der Herr Baron. Da steht er und kommt mir noch größer vor, als sonst. Ist er denn gewachsen?
»Ich habe gekracht!« sagt er, betont das ich und tritt aus dem Gartenhaus, »weil ich auf einen dürren Ast getreten bin.«
Sagte ich nicht, der Ostwind hat den Teufel im Leib? Da steht er nun, nicht der Ostwind, aber der Herr Baron und ich bin sicher, 246 er wird uns in der nächsten Sekunde vernichten und vom Erdboden vertilgen.
»Ich habe nicht nur gekracht, sondern auch gehört, was ihr geredet habt.«
»Gut so,« antwortet Bettina trotzig, »dann brauche ich es dir nicht erst zu sagen.«
Der Herr Baron geht einige Schritte rückwärts und kann sein Erstaunen nicht verbergen.
»Da trifft ja eine ganz neue Musik mein Ohr. Du redest sehr deutlich mit deinem Vater. Andererseits mußt du mir aber auch gestatten, daß ich ein wenig deutlich werde.«
»Das ist mir nur recht, Vater. Was ich gesagt habe, ist meine ehrliche Meinung und da es sich doch hier um mich handelt, wirst du nicht wollen, daß ich lüge oder heuchle. Es geht um mein Glück, um sonst nichts.«
»Es geht auch um das ganze große Gut und um allen Besitz.«
»Ich lasse mir keinen Mann kaufen.«
»Mann kaufen?! Was sind denn das für Ausdrücke? Ich habe als dein Vater die Pflicht, für dein Glück zu sorgen und weiß, daß du im Begriff bist, eine Dummheit zu machen, jawohl, eine faustdicke Dummheit.«
»Dummheit? Ich weiß von keiner Dummheit.«
»Aber ich! Indem du nämlich hier ein Techtelmechtel mit einem jungen Burschen meines Hofes anknüpfst, das ich nicht mehr länger dulden kann. Mag der Bierbrauer Fabian ein noch so origineller Kauz sein und mögen seinem Freund Hurrle auch die unglaublichsten Einfälle kommen, so kann ich doch nicht ohne Wimperzucken meinen Knecht zum Schwiegersohn nehmen. Hab' ich recht, Fabian, oder hab' ich nicht recht?«
»Er ist gar kein Knecht, er tut nur so!« Sie stampft mit dem Fuße auf und ich stehe da und sinne nach, wie ich entweichen könnte, um Bettina nicht weiterhin bloßzustellen.
»Ob ich recht habe oder nicht? Nun rede mal!«
Ich mache einen Anlauf, wische beide Hände am Schilfleinenen 247 ab und beginne tapfer: »Oh, Herr Baron, wer weiß um die Konflikte des menschlichen Herzens. Ich weiß es nicht und wir alle wissen es nicht. Ich bin nur ein einfacher und armseliger Kerl. Fluch über mich, daß ich Ihr Vertrauen so sehr mißbrauchte, aber glauben Sie mir, der Himmel hat es so gewollt. Ich stehe da und bin wie in einem Traum. Wenn ich Ihnen eine Erklärung geben soll, ich kann es nicht. Vollkommen begreife ich es, daß Sie, Herr Baron, sich einen Mann von Adel wünschen, einen Herrn Baron, das ist allzumenschlich und ich, der ich hier nur Rüben schnitzle und in den Feldern arbeite, bin ein schlechter Ersatz für einen solchen auserwählten Herrn. Das beste vielleicht, Sie kündigen mir die Arbeit auf und lassen mich meines Weges ziehen. Sie sehen selbst, wir haben Ostwind und ich schleppe das Verhängnis im Busen mit mir herum.«
Jetzt muß man Bettina sehen, wie sie aus sich herauswächst und wie ihre Augen funkeln. Der junge Körper zittert und bebt.
»Das sage ich dir, Vater, wenn du Fabian fortschickst, dann gehe ich mit. Jawohl, das tue ich! Ich laufe davon, so wie du einmal als Junge mit einer Schießbude davongelaufen bist, weil bei ihr eine gewisse Charlotte mit Kräuselhaaren Flinten geladen hat.«
Bums, jetzt hat sie es ihm aber gegeben; da steht er jetzt und mir scheint, er hat die Sprache verloren. Eine rote Welle flutet über sein Gesicht.
»Was – – wann – – woher weißt du denn das?«
»Das hat mir Großvater mal erzählt. Vierzehn Tage warst du ausgerückt.«
»Du redest keck mit deinem Vater.«
»Wenn du mich dazu zwingst.«
»Warum sagst du mir das jetzt, Bettina?«
»Ich will damit nur beweisen, daß wir alle keine Engel sind. Gott sei Dank, es wäre greulich langweilig, wenn nur Engel auf der Welt herumliefen. Man möchte nicht mehr leben vor lauter Bravheit.«
»So habe ich dich ja noch nie reden hören. Du entpuppst dich 248 prächtig. Gib doch wenigstens zu, daß ich mich dagegen wehren muß, wenn du einem meiner Angestellten Baßgeigen an den Himmel hängst.«
»Du weißt und siehst es selbst, daß er kein gewöhnlicher Mensch ist; vielleicht ist er ein Baron und weiß es gar nicht.«
»Was für Unsinn redest du?«
»Kein Unsinn. Wenn man's genau nimmt, ist doch die Porzellanbrigitte auch eine Baronesse und hat es nicht gewußt.«
Jetzt ist der Herr Baron buchstäblich geschlagen. Mit der Porzellanbrigitte hat sie ihm einen Hieb versetzt, der ihn halb aus dem Kampf wirft. Es ist ein gefährlicher Augenblick, das wittere ich deutlich. Das beste, ich mache mich zu den Polizeifingern.
»Verzeihen Herr Baron, ich hätte drüben noch Polizeifinger auszumachen.«
»Was? Polizeif – –?«
»Wollte sagen Rüben. Darf ich wohl gehen?«
»Du bleibst. Nur nicht aus dem Gefecht rennen! Wir wollen die Sache schon irgendwie ins Reine bringen; das müßte doch mit dem Teufel zugehen. Ich werde ja hier von meiner Tochter buchstäblich überrannt.«
Bettina, die schlaue Bettina, fühlend, daß sie Oberwasser hat, beutet den Vorteil strategisch aus und schlägt einen raffinierten Haken.
»Genau genommen ist Brigitte also eine Baronesse, denn du bist doch ihr Vater. Und ich sage dir, daß es mir weh tut, weil sie so auf der Landstraße umherzieht. Ihre Mutter ist tot und jetzt gehört sie doch eigentlich hierher zu uns.«
»Es ist dir ja mit weiblicher Diplomatie gelungen, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Ich bekenne mich offen zu ihr, jawohl, das tue ich; kein Mensch soll sagen, daß ich sie verleugne.«
»Bravo, Vater. Du bist eben ein hochanständiger Mensch.«
»Danke! Auch soll mir niemand nachsagen, daß ich einen Adelsdünkel hätte. Man muß aber verstehen, daß es mir Sorgen macht, was die Zukunft bringt. Unser großes Gut ist schon 249 zweihundert Jahre in unserem Besitz. Ich habe keinen Sohn und darum sollst du begreifen, daß ich ein wachsames Auge habe. Was mit Brigitte geschehen soll, das habe ich mir schon oft durch den Kopf gehen lassen. Ich habe die Absicht, sie zu uns zu nehmen und je schneller dies geschieht, um so lieber ist es mir. Und du, Bierbrauer, bleibst hier und arbeitest weiter. Die ganze Bagatelle wird sich schon von selbst zum Guten wenden. Wenn ich mir eine Brauerei einrichte – –«
»Bitte keine Brauerei, Herr Baron; das Bier macht streitsüchtig, und ist auch sonst bei den teuren Hopfenpreisen zur Zeit wenig zu empfehlen. Man sollte sich mehr auf die Fruchtsäfte verlegen.«
»Einerlei, du sollst zu deinem Recht kommen, und außerdem wirst du mir helfen, Brigitte aufzusuchen, damit wir sie nach Hause holen können. Du kannst dich dann ihrer ein wenig annehmen.«
»Auf dem Jahrmarkt in Wiesental, Herr Baron; nächste Woche auf dem Jahrmarkt.«
»Und jetzt sieh zu, daß du zu deinen Polizeifingern kommst!«
Bettina flammt das Feuer aus den Augen. Die Nasenflügel zittern.
»Was meinst du denn damit, Vater? Was heißt das, er soll sich ihrer ein wenig annehmen?«
»Nun, er kennt sie doch schon von früher her und wird ihr am Ende über die plötzliche Veränderung etwas hinweghelfen können.«
»Hinweghelfen? Wie soll er denn das machen? Was verstehst du darunter?«
»Ich verstehe vorläufig gar nichts darunter. Warum kriegst du denn einen roten Kopf?«
»Ich kriege keinen roten Kopf! Du mußt dir aber doch etwas drunter vorstellen!«
»Gar nichts! Was stellst du dir denn drunter vor?«
»Wie man's nimmt! Glaube nicht, daß ich eifersüchtig bin. Pah, 250 was mir überhaupt dran liegt. Ich weiß mir schon zu helfen. Ich laufe euch doch noch davon.«
Sie wendet sich und geht. Der Herr Baron lacht hinter ihr her.
Krachend schlägt sie das Scheunentor ins Schloß. Noch lauter lacht der Herr Baron und klatscht sich auf die Schenkel.
»Ho ho hei ha ha! Wie ihre Mutter. Ganz wie ihre Mutter! Fabian, sei vernünftiger, als meine Tochter. Ich hoffe, daß an einem Bierbrauer nicht Hopfen und Malz verloren sind!«
Ich lege einen Schuß Pathos auf die Walze.
»Hier steht Ihr Knecht, sonst niemand! Das walte Gott!«
Der Knecht dreht sich auf den Hacken um und stelzt ins Rübenfeld. Welche Überraschung: wir haben Südwind. 251