Roland Betsch
Die Verzauberten
Roland Betsch

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Als Pennbruder habe ich das erste Erlebnis

Durch eine Hintertür verlasse ich das Gebäude der Tränen. Draußen herrscht noch ein recht erregtes Treiben. Ich gehe um den alten Bau herum zum Portal. Die Lampen brennen; Autos stehen wartend in einer Schlange. Der Brei Publikum, rufend, schimpfend und überhaupt in angeregter Laune wird vom Haus ins Freie gequetscht. Ich stehe mitten unter der unruhigen Masse, habe mir einen alten, aus dem Fundus gestohlenen Lodenmantel umgehängt und schaue mir nun mit satter Befriedigung die kleine Theaterrevolution an. Was habe ich mit all diesen Dingen zu tun? Nichts, der Himmel weiß es, gar nichts. Ich bin ein Vagabund, ein Landstreicher. Fahrender Geselle zwischen Aufgang und Niedergang. Einmal war eine Zeit, da hatte auch ich dunkle Beziehungen zu diesem groben Steinkasten, zu dieser Höhle der Enttäuschungen. Einmal habe auch ich die nimmersatten Träume des Mimenruhmes gesponnen. Das ist lange her; am Ende schon Jahre. Oder erst Minuten? Ich habe den Maßstab verloren. Da stehe ich, ihr alle könnt mich anschauen; ich bin nichts als ein Vagabund mit geflickten Hosen und einem zweifelhaft duftenden Manchesterwams. Meine Stiefel, armselig und verbogen, sind mit Nägeln beschlagen und mein Filzhut hat manchen Sturmwind erlebt. Bitte, schaut mich genau an! Ich bin das Kind der endlosen Landstraße. Ein Bruder durch die Welt. Der liebe Gott ist mein bester Freund.

O wie weit sind jetzt meine Hoffnungen gespannt. Jede Minute schon können sich ungeahnte Wunderdinge ereignen. Das Abenteuer wird mir aus allen sieben Himmeln fallen; ich bin gesegnet von Anbeginn.

Ich will einmal unter die feinen Leute gehen. Mitten unter die noblen Herrschaften will ich mich drängen und meine geniale Bettelhaftigkeit unter sie tragen. Dort ist der Platz, wo die Autos 11 parken; Menschen mit Geld und Besitz und Vermögen; Menschen in guter, gesicherter Stellung, in Gehaltsklassen und mit Versorgungsberechtigung kann man dort treffen. Ein Wagen nach dem andern startet mit blitzenden Scheinwerfern und blauem Gestank.

Ich bin jetzt mitten unter ihnen und denke darüber nach, daß diese Menschen alle im Theater waren und über die albernen Tiraden der Schauspieler gelacht, an munterem Spiel sich toll ergötzt haben. Was wurde doch gleich gespielt? Richtig, ein Vagabundenstück; eine alte, verstaubte, aus Verzweiflung einstudierte Wiener Posse. Der Teufel mag sie holen.

Da will ein schöner Mercedes abfahren; ein blitzblankes, dunkelblaues Sportkabriolet. Am Steuer sitzt eine Dame und ihr zur Seite der Chauffeur.

»Die Motorhaube ist offen, gnädige Frau,« rufe ich bescheiden.

»Wie bitte?«

»Die Motorhaube.«

Der Chauffeur will den Schlag öffnen und aussteigen, da bin ich aber schon dabei, die Haube zu schließen.

Ich will jetzt der Dame sagen, daß alles in Ordnung sei und sie nunmehr getrost in den Lichterglanz der Stadt hineinfahren könne, da schaue ich ihr von ungefähr ins Gesicht und mir wird ein wenig schwindelig vor den Augen. Es ist das strohgelbe junge Fräulein aus der vorderen Parkettreihe. Hier nun wird sie mir plötzlich vor die erstaunten Sinne gezaubert. Eine Weile stehe ich da, als ob man mich verprügelt hätte. Nach einem Wort, nach einem Satz suche ich, aber mir fällt bei Gott und allen Gerechten nichts ein. Meine Kehle ist verschlossen; ich stehe da mit hängenden Armen und fühle, wie ihr Blick auf mir ruht. Oh, wenn nur alle Lichter jetzt verlöschen möchten; Nacht um mich; Dunkel. Eine Höhle, in die ich kriechen könnte!

»Kommen Sie doch mal her!« höre ich sie sagen. Ich kann nicht einmal widerstreben; ich taumle vor sie hin, ich armseliger Tölpel. Ich verbitterter, verkommener Narr.

Sie schaut mich forschend an; ihr Blick dringt tief in mich hinein; ihr Blick brennt wie Feuer. – »Wer sind Sie denn?«

12 »Oh, nichts,« sage ich, »nur ein armer Handwerksbursche. Bitte tausendmal um Entschuldigung.«

Sie beugt sich aus dem Wagen. Ich fühle, das kann ich beschwören, ich fühle ihren Atem, so nahe bin ich ihr.

»Sie kommen mir so bekannt vor. Nein, wirklich, merkwürdig bekannt sind Sie mir.«

»Nein, nein. Das ist ein Irrtum, mein Fräulein; es ist wirklich nur ein Irrtum.«

»Mir ist aber doch, als ob ich Sie schon irgendwo gesehen hätte.«

»Die Welt ist groß; die Welt ist weit. Man begegnet so vielen Menschen. Denken Sie nicht darüber nach! Da stehe ich vor Ihnen. Bald wird es vorüber sein.«

»Merkwürdiger Mensch.«

Ich will gehen, da hält sie mich zurück, öffnet ihre Handtasche und reicht mir ein Geldstück. – »Da, nehmen Sie!«

Ich bin in einem Nebel. Das Geldstück, was soll mir das Geld! Ich will etwas ganz Unsinniges sagen, da höre ich, wie der Wagen anzieht, und nun rollt er davon. Das Fräulein sehe ich noch am Steuer sitzen; auch die gelben Haare kann ich noch erkennen. Schaut nur hin, wenn sie jetzt davonfährt mit mutigem Gas, sind diese Haare wie kleine Flämmchen.

So stehe ich da und starre dem Wagen nach. Dort fährt er immer noch. Nein, er ist ja schon längst im Trubel der Großstadt verschwunden.

Ich aber stehe im Lichtergewühl und halte das Geldstück in der Hand. Es ist eine Mark. Eine silberne Mark.

Immer halte ich das Silberstück in der Hand. Angenommen, es käme jetzt jemand auf mich zu; ich meine ja nur, angenommen; es wäre durchaus möglich, daß jemand auf mich zukäme, den Hut zöge und zu mir sagte: mein Herr, wollen Sie mir nicht das Silberstück verkaufen? Ich gebe Ihnen zehn Mark dafür. Nein, ich gebe Ihnen hundert Mark.

Ich würde ihm antworten: entschuldigen Sie gütigst, mein Herr; aber ich verkaufe nicht. Nein, ich verkaufe wirklich nicht! 13

 


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