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Eine Biene von majestätischer Haltung schritt einher. Sie war umgeben von einer Anzahl junger Bienen, die ihr tausend Freundlichkeiten erwiesen und ihr immer wieder den Rüssel boten, um sie mit süßer Honigspeise zu erquicken.
»Das sind die Gesellschaftsdamen der Königin!« flüsterte Süßchen.
Vor jeder Zelle hielt die Königin an und legte ein winziges Ei hinein. Umstehende sangen dabei begeistert für die fruchtbare Mutter ihres Volkes das Königslied:
»Heil unsrer Königin,
Mutter und Herrscherin,
Summ, summ, summ, summ!
Lebensquell! Dienstbereit
Neigen wir allezeit
Dir uns in Ewigkeit.
Summ, summ, summ, summ!«
Da hielt die Königin in ihrer Beschäftigung inne.
»Ich hoffe«, sprach sie, »daß mein Volk mit mir zufrieden ist. Mit dem Ei, das ich eben gelegt habe, sind es heute zweihundert geworden.«
Max machte einen etwas unkaiserlichen Sprung vor Staunen und rief:
»Zweihundert Eier an einem Tage! Wie lange geht diese Arbeit so weiter?«
»Je nachdem«, erwiderte Süßchen, »gewöhnlich dauert es drei Monate, bis ungefähr fünfzehntausend Eier gelegt sind.«
»Fünfzehntausend Eier! Liebe Zeit, damit könnte man für alle Leute Pfannkuchen backen!«
Während die beiden noch die wunderbare Bienenmutter bestaunten, die so vielen Jungen Leben gibt, hatte sich Süßchen ehrfürchtig der Königin genähert. Sie sprach einige Worte mit ihr allein und wandte sich dann an die beiden Gäste:
»Die Königin teilt mir mit, daß sie sich freuen würde, euch kennenzulernen. Sie wünscht eure Vorstellung.«
Dem Kaiser der Ameisen lief ein Ehrfurchtsschauer über den Rücken.
»Adjutant!« flüsterte er Großzang zu, »der Augenblick, mich zu melden, ist gekommen. Denke genau an alle Unterweisungen, die ich dir für diese große Stunde gegeben habe.« Auf dies trat er etwas in den Hintergrund zurück. Großzang aber schritt wie ein ritterlicher Schildknappe vor die Königin und meldete mit Gesang den Herrscher an:
»Der Kaiser kommt, der Kaiser kommt!
Tralallala! Tralallala!
Gebt alle Ehre, die ihm frommt!
Tralallala! Tralallala!«
Alles schwieg. Jeder schaute erstaunt auf Max, der mit feierlichem Schritt vortrat, sich tief vor der Königin neigte und mit bewegter Stimme sprach:
»Wir, Maximilian Butziwackel I., Kaiser aller Ameisen, sind erfreut, der mächtigen, weisen Bienenkönigin Unsere Huldigung darzubringen. Wir versichern sie Unserer Freundschaft und geben Unserer Verwandtschaftstreue gebührenden Ausdruck!«
Die Königin war höchst erstaunt über dieses ihr fremdartige Gebaren der Gäste. Aber um sich die Unkenntnis der neuen Sitte nicht anmerken zu lassen, wandte sie sich mit liebenswürdigen Worten an beide Ameisen:
»Wer immer ihr seid, es ist meine Pflicht, euch vor meinem ganzen Volke meine Dankbarkeit auszusprechen für die Rettung des Bienenstaates vor einem seiner schrecklichsten Feinde. Betrachtet dieses Haus als das eure!«
Max dankte mit überströmendem Herzen und einer tiefen Verneigung. Als die Hofdamen um die Königin in respektvoller Entfernung einen Halbkreis bildeten, gab der Kaiser seinem Adjutanten ein Zeichen, wie diese zurückzutreten. Die Königin begann die Unterhaltung:
»Ich bin sehr zufrieden«, sagte sie mit gütigem Lächeln, »daß diese Gelegenheit die Ameisen und die Bienen, die beiden edelsten und verständigsten Arten der Hautflügler, einander nähergebracht hat!«
»Gewiß!« erwiderte Max, »wir haben viele Gewohnheiten und manche Instinkte gemeinsam. Wie die Bienen leben auch wir in Gesellschaft, und diese Gesellschaft ist wie die eure aus Weibchen, Männchen und Geschlechtslosen oder Arbeitern zusammengesetzt. Bei dieser Gelegenheit möchte ich jedoch feststellen, daß weder mein Adjutant noch ich zu den Geschlechtslosen gehören, wie es wohl den Anschein hat. Wir sind vielmehr Männer.«
»Wie sonderbar«, erwiderte ihm die Königin; »ich dachte, die Ameisen töten wie wir ihre Männchen?«
Max hielt es nun für nützlich, dem Gespräch eine Wendung zu geben. Ohne auf die Bemerkung der Königin einzugehen, sprach er:
»Majestät, ich hatte das Vergnügen, Ihr Reich zu besuchen … Ich war erstaunt, ein Reich von außergewöhnlicher Größe zu finden.«
»Jawohl! Aber auch ihr Ameisen bildet große Staaten. Ist Euer Reich vielleicht kleiner als meines?«
»O viel kleiner!« erwiderte Max ein wenig verlegen. »Und wie zahlreich müssen erst Ihre Untertanen sein?« beeilte er sich, weiter zu fragen.
»Es sind ungefähr dreißigtausend Einwohner.«
»Dreißigtausend Bienen! Das ist eine überwältigende Zahl!«
»Wie groß ist Euer Ameisenvolk?«
»Ach, Majestät!« antwortete Max immer verlegener, »meine Untertanen! … Da stehen sie alle.« Er wies auf seinen Adjutanten und rief:
»Großzang, Graf aller Hautflügler, mein letzter Untertan und Flügeladjutant.«
Großzang verneigte sich tief.
Max bemerkte, daß die Königin ihn nicht recht verstand. Er hielt es also für nötig, ihr die bemerkenswertesten Taten seines Lebens zu erzählen; so fing er denn an:
»Teuerste Majestät! Unter uns können wir ja ohne Umstände reden. Ich bin ein armer, entthronter Kaiser, ein Fürst ohne Volk und Land, und ich kann nicht umhin, dich in der glücklichen Lage einer wahren Königin zu beneiden. Bedient, geachtet und angebetet lebst du inmitten deines Volkes!«
Bei diesen Worten verzog die Königin den Mund, neigte sich zu Max und sagte ganz vertraulich:
»Königin? Ich bin es und bin es nicht!«
»Du bist es! Ich wollte, ich könnte so wie du regieren!«
»So, so? Was würdest du dazu sagen, wenn du den lieben langen Tag Eier legen müßtest?«
Bei dieser Bemerkung wurde Max trotz seiner schwarzen Haut ganz rot vor Entrüstung.
»Bedenke doch«, fuhr die Biene fort, »daß ich in meinem Reich zugleich etwas mehr und etwas weniger bin als Königin. Ich bin die gemeinsame Mutter, die Lebensquelle des Volkes. Ich sichere ihm den Bestand, weil ich allein für die Nachkommenschaft sorge. Dies Volk ist mein, weil ich es schuf, es zur Welt brachte; es ist mein Kind, und ich bin seine Mutter. Aber glaubst du, daß ich zu meinem Vergnügen Königin geworden bin? Ich bin Königin, damit ich Eier lege, viele Eier! Bin es nur unter der Bedingung, daß ich das Volk erhalte, und Königin bin ich nur, solange ich dem Volke Mutter sein kann. An dem Tage, an dem ich mein Reich nicht mehr vergrößere, höre ich auf, Königin zu sein. Wie du siehst, ist meine Stellung sehr hoch von einem hohen Gesichtspunkt aus betrachtet, sehr erbärmlich von einem niederen aus gesehen.«
An Maxens langgezogenem Gesicht konnte man nicht ergründen, welchen der beiden Gesichtspunkte er vertrat und welche Auffassung von der Würde einer Bienenkönigin er bekommen hatte, aber jedenfalls machten die edle Sprache und das würdevolle Auftreten der hohen Frau einen tiefen Eindruck auf ihn. So viel erfaßte er sicher, daß man, um bei den Insekten etwas zu gelten, erst etwas Ordentliches leisten mußte.
Mit wehmütigem Ton setzte die Königin ihr Gespräch fort.
»Wenn ich wenigstens nach all meiner Sorge und Mühe ruhig altern könnte! Aber im Handumdrehen kann es geschehen, daß … nun, ich will nicht weiter davon reden!«
Max hätte gern auf der weiteren Aussprache dieses begonnenen Gedankens bestanden, allein er fürchtete, als taktlos zu gelten, und sagte nur:
»Hoffentlich erlaubst du mir, manchmal zu kommen, um mit einer Ebenbürtigen zu plaudern.«
»Mit Vergnügen, mein Lieber!«
Max verneigte sich, küßte der Königin ritterlich das Vorderbeinchen und verabschiedete sich von ihr, während ringsum lauter Jubel über das festliche und noch nie erlebte Ereignis widerhallte:
»Hoch die Königin!«
»Es lebe die Ameise mit dem Wackelfähnlein!«
Freudestrahlend wandte sich Max an seinen Adjutanten:
»Dieser Freundschaftsbund berechtigt zu großen Hoffnungen! Wer weiß, ob nicht doch noch meine Stunde schlägt!«
»Ach, alles recht!« flüsterte Großzang ihm zu, »aber mein Magen brummt, und ich hoffe nur auf die Stunde, in der es was zu essen gibt!«