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Eine Tatsache muß zunächst festgestellt werden: Wenn Maximilian Butziwackel I., Kaiser des Einzelstaates der Rasenameisen und Thronanwärter des allgemeinen Ameisenweltreiches, sein ehrgeiziges Ziel nicht erreichen konnte, geschah es nicht aus Mangel an hervorragender Geisteskraft oder entschlossener Willensrichtung. Sogar jetzt, wo er schon auf der Zunge eines Vogels klebte und gefangen saß im Schnabel eines unbarmherzigen Ameisenwürgers, kam ihm ein rettender Gedanke. Er kauerte sich, so klein er konnte, in seinen Hanfpanzer zusammen, und der Vogel, der statt Max nur mehr das Hanfkörnlein spürte, spuckte dies mißachtend aus, ahnungslos, welch eine gute Ameise da drinnen steckte. Der Wendehals begnügte sich also mit drei statt mit vier Opfern. Max fiel zur Erde, und diesmal segnete er seinen Absturz. Der Wendehals schüttelte gewohnheitsmäßig seinen Kopf und flog weiter, aber Max rief ihm voll heiligen Zornes nach:
»Elender Vernichter unseres edlen Volkes! Mögen die drei Mexikaner dir lebenslang schwer im Magen liegen bleiben!«
Er wandte sich hierhin und dorthin, um die Gegend zu besichtigen und sich zurechtzufinden. Wo war er? Das wußte er, vom Hause der ausländischen Ameisen war er noch nicht weit entfernt, und dies lag ja nahe bei der wellblätterigen Eiche. Diese wieder war dem Hause benachbart, von dem er losgerissen war, und in das er sich unendlich zurücksehnte. Trotz aller dieser richtigen Schlußfolgerungen gelang es ihm doch nicht zu bestimmen, wohin er sich zu wenden habe, um sein Ziel zu erreichen. So lief denn Max ratlos hin und her und kam zu einer Hecke wilder Rosen.
»Da hinauf will ich klimmen, denn von solch hohem Standpunkt aus läßt es sich weit ins Land schauen.«
Gesagt, getan. Er stieg und stieg, schaute von Zeit zu Zeit angelegentlich umher, ohne aber irgend etwas Genaues auszukundschaften. Als er die höchststehende Rose erreicht hatte, hielt er an und atmete den süßen Duft ein, der seine Seele mit lindem Trost erfüllte.
Doch was spielte sich denn im Innern der Rose ab? Max vergaß die Lust am Dufte, denn seine ganze Aufmerksamkeit wurde von einer schönen Biene gefesselt, die im Schoße der Blume mit geschäftiger Emsigkeit arbeitete.
Die Biene leckte mit sichtlichem Vergnügen an den Staubfäden der Blume und steckte dabei ihren Kopf tief in den duftenden Kelch. Dann sammelte sie den Blütenstaub und sang eine fröhliche Weise dazu:
»Summ, summ, summ, summ!
So treu wie Gold,
Ein Blümchen klein,
So rein und hold,
Läßt grüßen fein.
Summ, summ, summ, summ!
Sei du ihm gut!
Dein Herz allein
Gefallen tut
Dem Blümelein.
Summ, summ, summ, summ!
Ich trag' davon
Den Gruß von dir,
Als Botenlohn
Gib Honig mir!
Summ, summ, summ, summ!«
Bei diesem fröhlichen Liedchen erzitterte die Rose leise, und freigebig reichte sie dem goldigen Insekt gerne ihre Staubfäden dar. Als ein schöner Vorrat gesammelt war, stieg die Biene aus dem Blumenkelch heraus und widmete sich, aus einem Rosenblatt stehend, mit höchster Sorgfalt einer Arbeit, der Max mit Verwunderung zusah. Geschickt streifte sie mit den zwei Vorderbeinchen den Blütenstaub ab, der sich an den dichten Härchen ihres Körpers eingepudert hatte, nahm ihn mit den beiden mittleren Beinen auf, um ihn von diesen auf das dritte und hinterste Beinpaar zu befördern. Diese waren ein Wunder an Feinheit und Zweckmäßigkeit des Baues. Sie waren dicht behaart und gestalteten sich in ihrer Mitte zu einem kleinen Körbchen. Darein sammelte das emsige Tierchen die ganze Ernte des Blütenstaubes, um ihn nach Hause zu tragen. Der entzückte Beobachter rief nun laut aus:
»Frau Biene, Sie haben wunderbare Beine! Wissen Sie das?«
Die Biene aber wandte sich dem Störenfried ärgerlich zu und herrschte ihn an:
»Hast du sonst nichts zu tun, als zu gaffen?«
Bei dieser Zurechtweisung fühlte Max, wie sein Blut kochte. Er vergaß allen Anstand und erwiderte gereizt:
»Ich tue, was ich will! Und du? Was machst du?«
»Ich tue jedenfalls Besseres, ich tue meine Pflicht. Ich bin übrigens erstaunt, daß eine Ameise sich erkühnt, auf zarten Blumen herumzutrampeln. Blumen sind unser Bereich!«
Bei solchen Verweisen konnte Max nicht mehr ruhig bleiben. Er schrie die Biene an:
»Dein Bereich? Ich möchte doch sehen, ob du andern Insekten verbieten kannst, an den Rosen zu riechen! Herumtrampeln? Da hört sich doch alles auf! Wie? Ich stehe da und bin niemand im Weg und soll Blüten zertrampeln? Und du? Du kommst her, um alles aufzulecken und auszusaugen, schleppst fort, was du schleppen kannst, noch dazu in verborgenen Körben an den Hinterbeinen! Eine schöne Geschichte! Du Hamsterer du!«
Die Biene hatte während dieses Zornausbruches ihren Stachel mehrmals in der Scheide spielen lassen und leicht zu verstehende Zeichen damit gemacht. Schließlich aber bemeisterte sie ihren Verdruß und bemerkte kühl:
»Eine so einfältige Ameise habe ich noch nirgends getroffen, wie du bist.«
Ehe unser Freund antworten konnte, fuhr sie fort:
»Schwätzen hat keinen Sinn. Beweise will ich dir geben. Weißt denn du, was eine Blume eigentlich ist? Kennst du ihr geheimes Leben? Weißt du, daß sie atmet, schläft, leidet, sich freut, liebt und lebt wie wir?«
In seinem Ameisendasein hatte Max viele Wahrnehmungen gemacht, die ihm als Kind ferne lagen. Er hatte längst in den Kräutern, über die er lief, ein gewisses Leben und Bewegung entdeckt, die ein Mensch nie erfaßt; Lebenszeichen, für Menschenaugen allzu fein. Max hatte sich überdies nie gerne mit Pflanzen abgegeben. Darum war auch er an den feinen Äußerungen des Pflanzenlebens achtlos vorübergegangen. Die Worte der Biene eröffneten ihm eine neue Welt.
»Siehst du«, fuhr die Biene fort, »nun stehst du so einfältig da wie zuvor. Du weißt nicht einmal, daß die Blumen, wie du, Vater und Mutter haben; daß die Blumeneltern sich Blumenkinder wünschen, die so schön und duftend sind wie sie selbst. Aber die Blumen stehen festgewurzelt. Sie lieben sich und möchten einander viel erzählen und können es nicht. Wer trägt nun zum einen und andern die liebevollen Gedanken von Duft und die süßen Botschaften von Nektar, die reinen Küsse aus Blütenstaub? – Wir geflügelten Insekten sind es, wir Bienen. Wir kennen sie alle, wir wissen ihre Geheimnisse, und wir sind die Liebesboten der verlobten Blumenpaare. Und sie sind froh und öffnen uns für diesen Liebesdienst ihre Blumenkelche, empfangen uns in ihrem Schoß und geben uns ihren Honig, den wir unsern Angehörigen heimbringen.«
Die geschäftige Biene summte von neuem ihr Liedchen, die Rose aber erbebte in froher Lust:
»Summ, summ, summ, summt
So treu wie Gold
Ein Blümchen klein,
So rein und hold,
Läßt grüßen fein.
Summ, summ, summ, summ!
Du sei ihm gut,
Dein Herz allein
Gefallen tut
Dem Blümelein.
Summ, summ, summ, summt
Ich trag' davon
Den Gruß von dir,
Als Botenlohn
Gib Honig mir!
Summ, summ, summ, summ!«