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Ihr wißt, liebe Kinder, daß es unter den Menschen Faulenzer gibt. Obwohl sie gesund und kräftig genug sind, auch Arbeit genug fänden, geben sie den Menschen vor, krank und elend zu sein, betteln sie an und verdienen sich ihr Brot mit Lüge und Heuchelei. Andere Faulpelze werden frech und stehlen oder rauben dem arbeitsamen Mitbürger, was sie zum Leben brauchen. Bisweilen rotten sie sich zu einer Räuberbande zusammen, holen den fleißigen Landwirten die Früchte vom Felde und von den Bäumen, dringen in die Häuser der Leute ein und rauben den Bauern das Vieh aus dem Stalle, dem Kaufmann das Geld aus der Kasse. Wenn sich jemand den Räubern widersetzen will, werden sie frech, mißhandeln die Guten und schlagen sie tot. So macht die Trägheit aus den Menschen Diebe und Räuber. Ganz ähnliche Verhältnisse findet man auch bei den Insekten. Eine schlimme Diebs- und Räuberbande sind die Roten Ameisen. Wild, roh, zu ersprießlichem Schaffen unfähig, haben sie allen ordentlichen Ameisen den Krieg erklärt, sich zu richtigen Räuberhorden vereinigt, greifen ruhige Arbeiterfamilien an, dringen in ihr Haus ein, rauben alles, was sie finden, sogar das Vieh, die Blatt- und Gallenläuse, und tragen alles fort in ihre Höhlen. Ganz unerhört aber ist es, daß sie auch Eier und Larven der Arbeiterameisen wegschleppen. Wißt ihr warum? Sie lassen diese Arbeiter bei sich zu Hause ausschlüpfen und halten sie als Sklaven. Diese als Kinder geraubten Ameisen müssen, wenn sie groß geworden sind, den Räubern alle häuslichen Geschäfte besorgen, ihnen dienen und sie sogar waschen und kämmen. Daher sagt man von den blutroten Raubameisen, sie seien ein gemischtes Volk. Außer der eigenen Sippe findet man bei ihnen eine fremde Art als Sklaven. Die Roten selbst sind Krieger. Als Sklaven suchen sie sich mit Vorliebe die dunklen Rasenameisen, weil diese sehr geschickt und fleißig sind.
Ihr könnt euch vorstellen, mit welch wilder Gier sie vor dem Ameisenstaat standen, in dem Max und Fuska die Verteidigung leiteten. Sie konnten kaum den Augenblick erwarten, in den Bau einzudringen. Dann wollten sie als Sieger die Einwohner vernichten und ihre Habe an sich reißen. Aber urplötzlich ertönte über ihnen das Kriegsgeschrei: »Schlagt sie tot, die Räuber!« Mit seiner ganzen Schar brach Max seitlich in die feindlichen Marschreihen ein. Die Roten, die eine derartige Überrumpelung keineswegs erwartet hatten, stoben auseinander. Vergeblich versuchten sie sich wieder zu sammeln. Max mit seinen Getreuen zögerte nicht, den Feind in zwei Haufen zu trennen; so verhinderte er sie, geordneten Widerstand zu leisten. Wo immer er erschien, brachen Schrecken und Verwirrung los bei den Roten. So vorzüglich gelang der Überfall, daß der Feind an nichts anderes als an Flucht denken konnte.
»Verfolgt die verfluchten Räuber! Schont mir keinen!« so feuerte Max die Seinen an.
Während das siegreiche Regiment die Flüchtigen verfolgte, sprang er selbst rasch zu dem Eingang des Hauses und verdeckte ihn sorgfältig mit einem dürren Blatt, so daß nur eine winzige Öffnung blieb, durch die mit Mühe eine einzelne Ameise sich durchzwingen konnte. Denn die Feinde, die in den Gang eingedrungen waren, befanden sich noch immer drinnen. Sie hatten noch nicht bemerkt, daß ihr draußenstehendes Volk bereits eine schwere Niederlage erlitten hatte, und suchten den Durchbruch zu erkämpfen.
»Diese Schufte«, so überlegte Max, »haben den Eingang und einen Teil unseres Hauses kennengelernt. Es wäre gefährlich für uns, wenn sie am Leben blieben, denn sie hätten für ein zweites Mal unsern Festungsplan!« Er setzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf das vorgeschobene Blatt, belauerte mit gezückten Kieferzangen die kleine Öffnung und schrie mit mächtiger Stimme hinein:
»Hier stehe ich, Fuska; jage die Halunken heraus!«
Im Innern des Ganges entstand sofort eine grenzenlose Verwirrung. Die Roten, entsetzt, eine feindliche Stimme von dorther zu vernehmen, wo sie ihre eigenen Leute zur Rückendeckung glaubten, machten in nie gesehener Eile kehrt und stürzten dem Ausgange zu, verfolgt von Fuska und ihren Tapfern. Geschoben und gedrängt, drückten sie sich am Eingang zu einem Knäuel zusammen, bis sie mit Not und Mühe die winzige Öffnung fanden, die Max für sie offengelassen hatte. Einer nach dem andern mußten sie sich herausdrücken. Das war es gerade, was Max beabsichtigte. Lauernd stand er schon bereit. Mit offener Zange stürzte er sich auf jede herauskrabbelnde Rote und zwickte ihr ohne Umstände blitzschnell den Kopf ab. Bei dem blutigen Handwerk erfaßte ihn eine berauschte Stimmung. Er kam sich vor wie ein Rasierer, in dessen Stube die Leute auf Behandlung warten, und wie ein solcher rief er jedesmal, wenn ein feindlicher Kopf in den Sand rollte:
»Fertig! Der nächste Herr!« Elf Feinde waren schon auf diese Weise erledigt, und eben schickte er sich an, das Dutzend vollzumachen, da tönte es ihm entgegen:
»Halt, oho, was fällt dir ein!?«
Es war Fuska.
»Ums Himmels willen!« rief Max zum Tode erschrocken, – grauenhaft! – er mochte es gar nicht ausdenken, welch schauerliches Unheil er in seinem wilden Eifer beinahe angerichtet hätte.
»Ach, verzeihe«, stammelte er entschuldigend, »ich war so im Zuge, und schau dich hier nur mal um!« Mit Staunen und Grauen betrachtete sie die Köpfe der Feinde. Nicht einer war entkommen.
»Laß mich nur machen«, fuhr Max eifrig fort; dann lief er suchend umher und sammelte vor dem Eingang elf feste Tannennadeln. Auf jede spießte er einen abgebissenen Kopf und pflanzte sie wie Pfähle nebeneinander vor dem Tore auf.
»Künftighin«, meinte er, »werden sich's die Raubritter überlegen, uns anzugreifen, wenn sie diesen Gartenzaun vor unserem Hause betrachten.«
»Sie werden trotzdem wiederkommen«, sagte Fuska ernst; »die Roten sind unversöhnliche Feinde. Morgen erleben wir einen neuen Angriff.«
Aus der Ferne hörte man schon seit einiger Zeit Rufe. Sie kamen näher und wurden immer lauter. Es war Maxens siegreiches Heer, das von der Verfolgung zurückkam. Als diese Tapfern ihren Führer neben den aufgespießten Feindesköpfen sahen, brachen sie in hellen Siegesjubel aus, der kein Ende nehmen wollte.
»Hurra! Hurra! Es lebe der Held mit der weißen Fahne! Butziwackel lebe hoch! Unser General Butziwackel dreimal hoch!«
Wie ein Donner rollte das Freudengeschrei der Sieger über das Schlachtfeld. Max legte heute zum erstenmal mit hoher Genugtuung sein rechtes Vorderbeinchen an seine Fahne, dachte dabei an seine Mutter und murmelte leise und tiefbewegt:
»Gutes, liebes Mütterlein! Wie glücklich wärest du wohl, wenn du es wüßtest:
Heute ist dein Max bei den Ameisen General geworden!«