Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

22. Letztes Lebewohl.

Nach und nach beruhigte sich die Wespe ein wenig, aber sie hörte nicht auf zu brummen:

»Alle Mühe umsonst! Alle Arbeit weggeworfen! Nun muß ich wieder von vorn anfangen!«

»Verzeihe!« sagte Max, dessen Neugier über die Furcht Meister wurde, »erkläre mir doch, was haben denn deine Kinder und die Kinder der grauen Fliege zusammen mit der armen Raupe zu tun, die so friedlich schlummert, als ob ihr nichts geschehen wäre?«

»Wie, was? Ich habe doch diese Raupe einzig meiner eigenen Kinder wegen erobert!«

»Warum bringst du sie nicht endlich in dein Haus?«

»Weil die graue Fliege sie jetzt für ihre Kinder weggenommen hat.«

»Langsam, langsam, mir schwindelt im Kopf! Wie kann sie dir genommen worden sein? Die Raupe liegt ja noch hier!«

»Du weißt doch gar nichts! … Nun wohl, so höre, ob ich nicht recht habe, gegen dieses elende Fliegenweib aufgebracht zu sein. Wir Wespen erjagen gewisse Tiere, lähmen sie und tragen sie heim, einzig deswegen, um in ihren Körper unsere Eier abzulegen; nach einiger Zeit kommen aus den Eiern die Larven – unsere Kinder, verstehst du? Diese finden sogleich ihre Nahrung bereit, indem sie das Innere des Tieres aufessen, in das ihre Mutter sie vorsorglich hineingelegt hat. Die Speise reicht so lange, bis die Larven ein Knäulchen spinnen und sich in Puppen verwandeln, aus denen sie dann als vollkommene Insekten hervorgehen, um im Lichte der Sonne zu leben. Einige Wespen meiner Art erjagen sich Spinnen, andere Grillen, ich ziehe Raupen vor, weil sie mehr Fleisch besitzen. So weit wäre alles gut! Allein da gibt es auch in der Insektenwelt herumziehende Stromer, wie diese graue Mücke, die das Leben ihrer Kinder auf dieselbe Art sichern müssen; doch haben diese Feiglinge weder die Kraft noch den Mut, Spinnen und Raupen zu jagen, wie wir es machen. Was tun sie also? Diese Gauner schleichen um unsere Häuser herum, spitzeln alles aus, und sobald sie sehen, daß wir die Mitgift für unsere Kinder heimbringen, leise, leise – hast du nicht gesehen, siehst du nimmer – legen diese Diebe geschwind ihre Eier in unsere Beute! Begreifst du es jetzt? Hättest du mich nicht benachrichtigt, so hätte ich jetzt mein gutes Ei in die Raupe gelegt, in der Meinung, für das Fortkommen eines meiner Kinder gesorgt zu haben. Und was wäre statt dessen erfolgt? Die Eier der grauen Fliege hätten sich rascher entwickelt als meines, und ihre Larven hätten die ganze Raupe aufgegessen, während meine an den leeren Tisch gekommen wäre und elend hätte verhungern müssen. – Nun sage, ist das nicht eine gemeine Schurkerei von diesen schmarotzenden Insekten, die ihren Kindern mühelos die Früchte unserer Arbeit zukommen lassen? Siehst du, jetzt kann ich die ganze Geschichte von vorn anfangen; ich muß eine andere Raupe erjagen und sie hierher schleppen. Aber in Gottes Namen! Was tut eine Mutter nicht für ihre Kinder! – Arbeiten und nur den Mut nicht verlieren!«

Bei diesen letzten Worten schien es, als ob aller Zorn bei ihr verraucht wäre.

»Auf Wiedersehen«, sagte sie in entschiedenem Tone. »Jetzt gibt es kein besseres Mittel, als die verlorene Zeit wieder einzuholen.«

Sofort breitete sie ihre Flügel aus und summte in ihrer fröhlichen Weise davon.

Max rief ihr noch nach: »Auf Wiedersehen, liebe Sandwespe!«

Er fühlte wirklich etwas wie Freundschaft für dies Tierchen. Es war wohl eine Mordwespe, und ihre Jagdgebräuche waren geradezu grausam. Aber nicht die Bosheit machte sie mordsüchtig und blutgierig. Sie tat alles nur für das Leben ihrer Kinder, wie auch die graue Fliege nur ihren Kindern zuliebe eine Diebin wurde. Die eine, stark und kühn, nahm andern Tieren das Leben, um es ihren Kindern zu geben; die andere, unfähig zum Raube, stahl zu dem gleichen Zweck dem Räuber seine Beute.

Max begann zu verstehen, daß alle Sorge und Arbeit der Insekten ohne Ausnahme auf ein hohes, edles Ziel hinstrebt. Mochten sie es erreichen, wie sie wollten, auch durch List und Mord suchten sie einzig ihrer Nachkommenschaft das Leben zu sichern. Alles Streben dieser Tierchen ging darauf hinaus, daß das Ei befruchtet wurde, daß der ausgeschlüpften Larve ihre Nahrung zur Verfügung stand, daß die Jungen noch beschützt seien gegen alle Feinde, bis sie in ihrer Vollendung als fertige Tiere auftreten konnten. Dann fängt das wunderbare Spiel von vorn an. Das neue Geschlecht sorgt mit gleicher Fürsicht und mühender Liebe, wie sie ihm selbst zuteil geworden war, für seine Nachkommen.

Max erinnerte sich von neuem an die Herzlichkeit, mit der ihn die gute Fuska einst ausgenommen und in das Leben eingeführt hatte, als er aus seinem Knäulchen schlüpfte. Fuska, die liebevolle Pflegerin, die seinetwegen hatte sterben müssen!

In so traurigen Gedanken vertieft, war er wieder auf den Grabenrand hinaufgeklettert. Nun wandte er sich gegen sein einstiges trautes Ameisenhaus, das für ihn Heimat, leider auch der Schauplatz großen Unglücks gewesen war. Da sah Max zwei Untertanen seines einstigen Reiches, die mühsam einen Kürbiskern schleppten, und sein Herz wurde ihm weit.

»Freunde!« rief er sie tiefbewegt an, »kennt ihr mich nicht mehr?«

»Da schau!« sagten sie ohne jegliche Gemütsbewegung und hielten ein wenig an; »was und wo arbeitest denn du jetzt?«

»Ach, ich führe das Leben eines Verbannten«, klagte er bitter. »Wie geht es euch? Wohin tragt ihr den Kürbissamen?«

»O du liebe Zeit! In unser Dorf, wo unsere Herren wohnen.«

»Wie? Eure Herren? Und nennt es doch noch euer Dorf?«

»Warum denn nicht? Wir sind ihre Knechte, so wollte es das Schicksal. Wir arbeiten und quälen uns für sie, aber wir dürfen dort wohnen bleiben.«

Max war empört über den Stumpfsinn, mit welchem die Brüder ihre schmähliche Knechtschaft ertrugen. Er mußte sie verachten und rief ihnen nach:

»Schmutzige Sklavenseelen, pfui!«

Dann setzte er seinen Weg fort und dachte nicht im geringsten daran, daß die einzige Ursache ihrer traurigen und unverschuldeten Sklaverei sein ungezügelter, unvernünftiger und herzloser Ehrgeiz gewesen war. Was half es, wenn er auch jetzt gerade von einem guten Gedanken erfüllt war? Er schaute hin und her, als ob er etwas suche. Wenige Schritte vom Ameisenhaus entfernt blieb er lauschend stehen, denn er hörte ein Geräusch, wie wenn ein Hund Knochen zerbisse. Max wandte sich dem Lärm zu und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Vor ihm lagen die traurigen Überreste seiner verstümmelten Mitgefangenen, die, unglücklicher als er, ihr Leben lassen mußten. Die Köpfe vom Rumpfe abgerissen, lagen sie da, und inmitten dieses jammervollen Haufens zerrissener Körper saßen drei Ameisen – es ist entsetzlich zu sagen – beim Mahl. Sie verschlangen unter unpassenden Scherzen die Überreste ihrer Schwestern und Brüder.

»Ihr Elenden«, schrie Max »so fehlt es denn auch unter Ameisen nicht an schändlichen Hyänen und Schakalen!?«

Wirklich gibt es einige Ameisenarten, die so tief gesunken sind, Leichen zu verzehren. Beispiele solcher Schande sind ja zum Glück äußerst selten, aber sie genügen, um den guten Namen des ganzen Volkes zu schänden, den es sich durch seine vielen Vorzüge und Tugenden unter allen Insekten erworben hat.

So tragen die Schlechten, abgesehen von dem Schaden, den sie durch ihre Missetaten den Guten zufügen, sehr oft die schwere Schuld, den unbefleckten Namen einer ganzen Familie, ja selbst des ganzen Landes zu beschmutzen, das diese Schädlinge hervorbrachte. Deshalb tat Max gut daran, auf die drei kannibalischen Schwelger so grimmig loszugehen, daß sie keine Zeit hatten, sich von ihrer Überraschung zu erholen und Widerstand zu leisten. Alle drei fielen unter seinen Streichen.

Nun erst beschaute er genauer die Überreste der tapfern Gefährten. Vor dem schauerlichen Bilde krampfte sich sein Herz zusammen.

Weinend warf er sich inmitten dieser Ärmsten auf die Knie, und in seinem Schmerze rief er:

»Verzeihung! Verzeihung! Hätte ich doch auf die Mahnungen des Professors gehört! Wäre ich bescheiden und fleißig geblieben wie ihr Teuren! Wieviel Unglück habe ich über euch gebracht! Fuska, liebe Mutter und Lehrerin, auch du bist tot! Wäre es bei den Ameisen üblich, so würde ich dir das schönste Denkmal aufstellen, daß alle Welt es bewundern müßte. Darauf ließe ich mit goldenen Buchstaben die Inschrift setzen:

Fuska.
Seiner guten Ameisenmutter
der entthronte Kaiser
Butziwackel I.


 << zurück weiter >>