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Reuben Smith, der englische Puritaner, verdrießlich wegen seiner Heiligkeit und des argen Rauschs von gestern nacht, tut Dienst am Tor des Palastes. Er bedient das große Geschütz, das die »Elefantenkaiserin« heißt. Da steht es, auf die Stadt gerichtet, und auf der anderen Seite des zinnengeschmückten Tors der »Tyrann der Welt«, und weiterhin der »Grausame Töter«, der »Bestrafer«, der »Rebellenbesieger«, der »Schrecken der Erde«; hinter jedem ein Artillerist mit einer brennenden Lunte. Reuben Smith bedauert in seinem betrübten Herzen nur eins: daß das Geschütz nicht scharf geladen ist und daß er nicht mit Kartätschen auf den Böswilligen schießen kann, den Papisten, den Amalekiter, diesen Gesandten Nebukadnezars, den Feind der Kinder Israels. Statt dessen muß er ihn auch noch mit einem Salut begrüßen. Da kommt er unter dem Klang von Zimbeln und Pauken, dieser Lord Bellomont, um dem heidnischen König Lügen über Seine Hoheit, den Lord-Protektor, vorzutragen, über den guten Oliver Cromwell, ein auserlesenes Gefäß der Gnade. Da donnern sie, die Geschütze, und es ist wie das Brüllen des Löwen, der umgeht, das Volk Gottes zu verschlingen.
Mein Lord Viscount Bellomont ahnt nicht, daß ein Landsmann so nah ist und daß er erwägt, ob er die Kanone zum zweiten Salutschuß nicht doch scharf laden könnte. Mein Lord, im betreßten Staatsrock, mit Bandelier, Spitzenkragen, Federhut und Diamantagraffe, lehnt sehr würdig in der prunkvollen Sänfte und blickt um sich. Noch viel eifriger blickt Niccolò Manucci um sich, der zu Pferd hinter seinem Herrn einherreitet. Jetzt kommen sie an den beiden steinernen Elefanten vorbei, die das Tor flankieren. Auf den beiden Elefanten sitzen Statuen zweier berühmter Hindu, die zur Zeit Akbars die Stadt Tschitor gegen die ganze Heeresmacht des Moguls heldenhaft verteidigt haben; nicht bessere Hüter vermöchte man vor ein Burgtor zu setzen.
Vorbei an den Wachthäusern der diensttuenden Emire. Jedes dieser Quartiere ist auf das prächtigste mit Teppichen und Brokaten behangen, denn es ist eine Ehrenpflicht jedes Emirs, während der Woche, in der er auf der Zitadelle Wache hält, das Gebäude recht kostbar auszuschmücken. Auf offenen Plattformen sitzen sie, in ihren besten Kleidern, mit blinkenden Waffen, und blicken in die Blumengärten hinaus und auf die schimmernden Wasserflächen.
Weiter, vorbei an den großen Hallen, wo die Handwerker des Königs ihre Werkstätten haben. Hier sind die Goldsticker emsig bei der Arbeit, unter der Aufsicht eines kunstgeübten Meisters; dort die Goldschmiede, die Maler, die Lackierer, die Tischler, Schneider, Schuster. Hier werden Brokate gewoben, hier die feinen Musseline, aus denen man Turbane macht. Dort wirkt man Goldblumen in Gürtel. Monatelange Arbeit braucht es, um das leichte Gewand einer Prinzessin zu weben; und dann trägt sie es eine Nacht, und es ist dahin.
Ein neues Tor tut sich auf. Wie der Zug des Gesandten sich ihm nähert, beginnt auf der großen Plattform über dem Tor laute und feierliche Musik. Zwölf große Oboen ertönen auf einmal, zwanzig Paar Kesselpauken erdröhnen, drei Paar Zimbeln hallen, viele lange Kupfertrompeten werden geblasen. Es ist für das Ohr des Europäers ein barbarisch befremdlicher Lärm, zuerst kaum erträglich, daß Lord Bellomont sich am liebsten die Ohren zustopfen möchte, und doch ist, hört man länger zu, eine Melodie von einiger Majestät in dem gewaltigen Getöse.
Vor diesem Tor erwartet ein Zeremonienmeister mit einem goldenen Stab in der Hand den Gesandten. Der steigt aus der Sänfte, geht mit seinem Sekretär Manucci und dem Zeremonienmeister durch das Tor, noch ganz betäubt von der Musik, die sich über seinem Haupt zu verdoppeln scheint. Und nun tritt er in den großen viereckigen Hof und bleibt einen Augenblick stehen. Ein Anblick ist vor ihm, wie er ihn noch niemals gehabt hat. Lichter, Farben, eine unendliche, schreiend bunte Menge, alles beherrscht von dem feierlichen Tosen und Dröhnen der Musik.
Der Hof ist auf der Seite des Tors von einem gewaltigen Arkadenbau begrenzt, dessen Galerien und Pfeiler mit herrlichen Teppichen behängt sind. Rechts schließen die königlichen Stallungen den Hof ab, links die kleine Palastmoschee, deren stark mit Goldplatten bedeckte Kuppel wunderbar funkelt. Den Hintergrund aber bildet eine gedeckte Halle, nach drei Seiten offen. Lord Bellomont sieht von weitem nur einen Wald von großen goldglänzenden Pfeilern und ein Flimmern und Schimmern, das ihm die Augen blendet.
Jetzt führt der feierliche Mann mit dem Goldstab den Gesandten und den Sekretär näher heran, zwischen den Blumenbeeten des Hofs, bis zu einem klar fließenden Bach, der den Hof in zwei Teile teilt. Hier winkt er Lord Bellomont, zu warten; erst wenn der Mogul von seinem Thron das Zeichen gibt, darf der Gesandte nähertreten. Aber jetzt vermag Lord Bellomont die ganze Szene zu überblicken.
Vor ihm, jenseits des Baches, ist eine Holzbarriere, purpurrot lackiert. Den Teil des Hofes, der nun folgt, überschattet ein ungeheueres Zeltdach, oben scharlachrot, innen weiß und mit tausend bunten Blumen bestickt, die wie frisch aussehen. Holzpfeiler, dick wie Schiffsmaste und ganz mit Silber bedeckt, stützen dieses Zelt, das mit dem Dach der offenen Säulenhalle verbunden ist. Unter dem Zeltdach im Hof stehen die geringeren Hofleute, vielfältig bunt, mit leuchtenden Turbanen. Sie drängen sich bis zu den Stufen, die zu der steinernen Halle hinaufführen; silberne Schranken trennen den Hof von der Halle, und an dieser Balustrade lehnen große Männer mit silbernen Keulen, die Gusberdare, die Ordnung halten und Befehle übermitteln.
Rechts und links an den Seiten des Hofs sind je vier erlesene Pferde aufgestellt, mit prunkenden Schabracken und goldbeschlagenem Zaumzeug. Hinter ihnen je vier große Elefanten, ganz schwarz bemalt, mit zwei Purpurstreifen, die den riesigen Kopf entlang laufen und einander auf dem Rüssel begegnen.
Die erhöhte Halle wird von zweiunddreißig Marmorpfeilern getragen, über ihnen wölbt sich die Decke in zweiunddreißig Bogen, in denen Blumen aus Lapislazuli und rotem Kornalin blühen, mit Blättern von grünem Serpentin. Die zweiunddreißig Pfeiler sind mit Goldbrokat behangen, der Marmorbogen der Halle ist mit den üppigsten Teppichen von Khorassan und Bokhara belegt, und über dem Ganzen ist ein Baldachin aus schwerer Seide mit Purpurschnüren und goldenem Quastenwerk. Im Hintergrunde, an einer schwarzen Wand, von der die bunten Edelsteinblumen glühen, ist die Marmorestrade, auf der der Thron steht, ein leuchtendes Wunder.
Auf der hohen Plattform über dem Torweg dröhnen und toben die Pauken und Zimbeln, schrillen die Trompeten und Oboen, ein Zeichen, daß der Mogul sogleich erscheinen wird. Mein Lord Bellomont steht da, außerhalb des Zelts, in der Sonne, und wartet, ein wenig ungeduldig. Jetzt steht noch jemand da, ein stattlicher, weißbärtiger Emir mit großem Gefolge. Er ist ganz weiß gekleidet, mit einem großen Diamanten vorn am Turban. Er trägt ein goldenes Kästchen in den beringten Händen; sein Gesicht sieht böse und zornig aus. Niccolò Manucci tritt an seinen Herrn heran, um ihm zuzuflüstern, daß das der berühmte Emir Dschumla ist, der große Feldherr des Moguls, der Mann, der den König von Golkonda verraten hat. Er ist jetzt an den Hof gekommen, um dem König ein Geschenk von unendlichem Wert zu Füßen zu legen, den größten Diamanten, den man je in den Minen Golkondas gefunden hat, einen wahren Berg des Lichts. Lord Bellomont, schlecht gelaunt, weil er hier außen warten muß, ein Gesandter des Königs von England und Schottland, denkt sich: dieser Diamant müßte in der Krone meines Königs glänzen, Gott erhalte ihn! Wenn ich nur ein paar Schwadronen guter englischer Panzerreiter hier hätte, ich wollte ihn schon gewinnen, mich schreckt dieser ganze heidnische Pomp nicht!
Jetzt verzehnfacht die wilde Musik ihr Getöse; und wie wenn der Wind ein buntes Blumenbeet bewegt, beginnen sich all die hunderte Turbane zu neigen, tief, tief; und nun hält die Musik plötzlich inne, und auf dem weiten Platz wird es ganz still, erschreckend still. Die Hunderte von bunten Menschen wogen auf und nieder, beugen sich, erheben sich, beugen sich wieder. Der König hat sich auf seinem Thron niedergelassen.
Jetzt bewegt sich über den freien Platz hinter dem Zelt eine feierliche Prozession von Tieren. Dem Zug voran schreitet gewichtig der Mir Schikar, der Oberfalkner, dem die Dressur der Jagdvögel obliegt. Dann kommen schöne junge Pagen in golddurchwirkten Gewändern. Sie tragen edle Falken, deren Köpfe mit brokatenen Kappen bedeckt sind und an deren Flügeln goldene Glöckchen klirren, Falken von vielen Arten: weiße königliche Schahim-Falken, schwarzäugige Schanquar-Falken und kleine Bascha-Sperber. Sklaven aus Kaschmir tragen Käfige, in denen Lockvögel sitzen, abgerichtete Schnepfen, und unschätzbare Flugtauben, Geschenke vieler Könige und Emire in Iran und Turan. Am liebsten ist dem König die weiße Taube, die Parizad heißt, »die Fee«, und die kluge bläuliche, die er Mohna nennt. Oft spielt er mit ihnen und läßt sie durch die Lüfte fliegen.
Nach den Vögeln kommen die Hundewärter mit Koppeln usbekischer Jagdhunde, deren jeder eine Purpurdecke auf dem Rücken trägt; dann werden Jagdleoparden vorbeigeführt und gleich darauf zahme Rehe, graublaue Nilgau-Antilopen, gewaltige bengalische Büffel, vor deren ungeheueren Hörnern selbst der Tiger sich fürchtet, und plumpe Rhinozerosse. Und nun die königlichen Elefanten, tiefschwarz gemalt, mit gestickten Decken behangen und mit massiven Silberketten, an deren Enden silberne Glocken schwingen; von den Ohren hängen weiße tibetanische Jakschweife herab, wie buschige Bärte. Jedem der großen Elefanten folgen zwei ganz kleine, köstlich aufgezäumt, gleichsam als dienende Sklaven. Ganz zuletzt kommt ein riesenhafter Elefantenbulle, volle zwölf Ellen hoch, von Gold und Purpur strahlend, mit goldenen Ketten und goldenen Decken. Ihn begleiten Spielleute, Sklaven mit Pfauenwedeln und Standartenträger, denn er hat Emirsrang, er ist der General über alle Elefanten Hindustans, Kaliqdad, »der vom Schöpfer Gegebene«, der getreue Liebling Schah Dschehans.
Jetzt auf ein Zeichen erhebt jeder von den Mahauts, die auf den Rücken der Elefanten sitzen, seine eiserne Harpune und stachelt seinen Elefanten an; da bricht jedes der Ungetüme, dem Throne zugewandt, ins Knie, hebt den Rüssel und trompetet dreimal einen Gruß dem König entgegen. Man hört die Fanfare des Elefantengenerals aus dem ungeheueren Getöse heraus, sie übertönt den lauten Ruf der Menschen, die jetzt alle in den Königssalut einstimmen: »Padschah Salamet!« Heil dem Großherrn!
Schah Dschehan ist durch das offene Fenster geschritten, das die Audienzhalle mit den inneren Gemächern verbindet, und hat sich auf der erhöhten und überdachten Marmorplattform auf den Pfauenthron niedergelassen.
Der Thron sieht aus wie ein goldenes Bett. Er steht auf vier massiven Füßen, auf denen vier Balken ruhen, mit Gold bedeckt und mit vielen Diamanten, Rubinen und Smaragden eingelegt.
Die vier Stufen, die zum Thron hinaufführen, strotzen von Edelsteinen, und ebenso die drei Kissen, an die der Mogul sich lehnt. Zwölf hohe Säulen tragen das Throndach, eine wunderbare Girlande von großen schönen Perlen, eine jede wie eine große, weiße, schimmernde Schlange.
Eine hohe goldene Kuppel ruht auf den Säulen. Innen ist sie wie ein Stück Himmel gestirnt mit Diamanten und Perlen, oben auf der Kuppel aber, zwischen zwei ungeheueren Blumensträußen aus Gold und bunten glitzernden Steinen, steht ein großer goldener Pfau und spreizt seinen Schweif, dessen Augen blaue Saphire sind und grüne Smaragde; auf seiner Brust aber ist ein großer blutroter Rubin.
Durch die Maueröffnung, aus der Schah Dschehan gekommen ist, treten nun sein Sohn Dara Schikoh und dessen Sohn Sipihr Schikoh, beide mit königlichen Reiheragraffen auf den Turbanen und mit großen Halsketten aus Perlen. Das Gesicht immer zum König gewandt, kommen sie am Thron vorbei. Sipihr Schikoh stellt sich, mit sklavisch gekreuzten Händen und zu Boden gesenktem Blick, zur Linken des Großvaters auf, in das von der Goldbarriere umgrenzte Quadrat. Dara aber, als der anerkannte Thronfolger, genießt von allen Untertanen allein das Recht, in der hohen Gegenwart zu sitzen; für ihn ist zu den Füßen des Königs ein niederer runder Goldthron aufgestellt; auf dem sitzt er, hat sein Schwert vor sich, die goldene Betelbüchse, den juwelenbesetzten goldenen Spucknapf. Zwei Sklaven fächeln ihn mit Pfauenfedern; und er sieht in seiner Herrlichkeit recht gelangweilt drein. Nicht weit vom König, auf einer erhöhten Marmorplatte unter dem Thron, steht der Wesir-Khan Sadullah.
Schah Dschehan ist jetzt ein anderer als in der Nacht und am Morgen, weder der kranke Mensch, noch der Weltmann und Staatsmann, er ist ein starres Idol, ein Götze. Das ist sie, die Macht, um die er leidet. Dies ist die Stunde, für die er alles Menschliche opfern muß. Der Mogul trägt jetzt ein langes Kleid aus dem schwersten Satin, in dem grüne Blätter und feine Goldblumen eingewirkt sind. Auf dem Kopf trägt der König einen enggewundenen schneeweißen Turban, mit Goldblumen, um den sich ein purpurnes und goldenes Band windet. Eine Aigrette aus Diamanten vom reinsten Wasser, mit einem eigroßen orientalischen Topas in der Mitte, hält die schwarze Agraffe aus den kostbaren Federn des kandiotischen Reihers fest; wo sie endet, sind mit Perlengelenken zwei kleine Federagraffen darangefügt, die senkrecht über den Hinterkopf hinabfallen. Den Hals des Königs umschlingt eine Kette der größten Perlen, die je ein Fischer aus dem Meere holte; sie reicht bis zum Unterleib hinab. In der von Juwelen funkelnden Hand hält Schah Dschehan eine rote Rose (sie gibt ihm den Vorwand, an seiner Hand riechen zu können). Auf seinen Knien liegt das Schwert Alamgir; über seinem Kopf bewegt sich fortwährend ein buntschimmernder Fächer.
In dem Augenblick, da sich der König gesetzt hat, wird eine neue Musik vernehmbar, jetzt ist sie ganz sanft, ganz leise. Sie begleitet alle Vorgänge der Audienz mit ihren milden Tönen.
Schah Dschehan sitzt auf dem Pfauenthron, starr, gerade, ein Abbild vergöttlichter Majestät. Sein Antlitz ist wie die Sonne, von der alle diese blendenden Strahlen ausgehen, aber es ist eiskalt. Er blickt vor sich hin. Über die gebeugten Häupter seiner Sklaven hinweg ragen die Banner und Sinnbilder seiner unbegrenzten Gewalt: Die grüne Mogulfahne mit dem goldenen Löwen, der an der Sonne vorbeischreitet. Drei silberne aufgereckte Hände auf einer Querstange, die bedeuten: Wahrer des muselmanischen Glaubens. Eine Kupfertafel mit den arabischen Schriftzeichen: Gott ist einer und Mohammed ist gerecht. Eine große goldene Wage, Schah Dschehans bevorzugtes Symbol, das kündet: ein König, der gerecht abwägt. Das Haupt eines Krokodils mit einem ausgestopften Leib aus weißem Stoff, zum Zeichen, daß der König Herr über die Flüsse ist. Ein ähnlich hergerichteter Fisch, das Zeichen, daß dem König die Meere gehorchen.
Die Blicke Schah Dschehans schweifen zum Dach der Halle, zu den maurischen geschwungenen Bogen und den glitzernden Kassetten. Sie lesen am Fries fromme Sprüche aus dem Koran, lesen zwei Verse in persischer Sprache, die stolze Devise, die der Schmeichler Sadullah für diese unvergleichliche Audienzhalle gedichtet hat:
»
Agar fardaus bar rue zamin ast,
Hamin ast, wa hamin ast, wa hamin ast!«
»Wenn es ein Paradies auf Erden gibt,
Dann ist es hier, dann ist es hier, ist hier!«
Und nun wendet Schah Dschehan seinen Blick der Versammlung zu, den Hunderten, die dastehen, zitternd (es ist strenge Etikette, Angst zu zeigen), mit über dem Bauch gekreuzten Händen, zum Zeichen, daß sie nur gefesselte Sklaven sind, mit niedergeschlagenen Augen, die in die königliche Sonne nicht zu blicken wagen. Es ist fast zuviel für einen Menschen, sich so mächtig und so gefürchtet zu sehen.
Schah Dschehans Gesicht ist geschminkt, daß man ihm nicht ansehe, wie sehr er leidet; und er drängt seine geheimen Schmerzen königlich zurück, er ist hier nicht Mensch und Privatperson, sondern ein Sinnbild wie jene Banner und Abzeichen und empfindet es so, und öffnet seine Seele weit den Strahlen seines eigenen Glanzes.
Er blickt um sich; Häupter, Häupter, alle gesenkt. Ja, noch ist Allah Gott, Mohammed sein Prophet und Schah Dschehan Kaiser von Hindustan. Noch hält er das Schwert Alamgir.
Plötzlich verdüstert sich das Gesicht des Moguls. Er beginnt unruhig den Kopf zu wenden; er sieht unter all den vielen Häuptern ein wichtiges Haupt nicht: Mahabet Khan ist nicht zur Audienz erschienen. Was heißt das? Was bedeutet das? Es ist, als begännen die zweiunddreißig goldbehangenen Pfeiler der großen Audienzhalle leise zu wanken. Mahabet Khan nicht hier! Heute nicht! Schah Dschehan blickt zu Sadullah hin, der hat verstohlen die Augen vom Teppich erhoben und erwidert den fragenden Blick des Königs mit einer fast unmerklichen Geste der Ratlosigkeit; er hat längst bemerkt, daß der Mir Bakhsch der Reiterei gegen allen Brauch ausgeblieben ist und zerbricht sich die ganze Zeit seinen klugen Kopf, um zu erraten, was denn geschehen sein kann. Seine gerunzelten Brauen sagen: Nichts Gutes, o Herr! Schah Dschehan sieht, daß der Getreue seine Frage verstanden hat und fühlt sich nicht mehr gar so allein in dieser lauernden Menge, und die Säulen hören sachte wieder auf zu wanken. Aber Schah Dschehan führt die Rose zum Gesicht, an seinem langen gepflegten weißen Bart vorbei zur Nase und riecht nicht an der Rose, sondern an seiner Hand. Duftet sie, o duftet sie noch ein wenig nach frischen Äpfeln? Er weiß es nicht, er ist nicht sicher.
Er schließt eine Sekunde lang die Augen; jetzt fühlt er den Schmerz in seinen Eingeweiden stecken wie einen Dolch. Aber dazu ist jetzt keine Zeit. Der fränkische Gesandte wartet. Und Emir Dschumla. Wer zuerst? Ach, der Ungeduldige soll nur warten. Der Emir ist wichtiger; man muß ihn durch Liebenswürdigkeit täuschen, um ihn desto sicherer zu verderben. Es muß geschehen, er darf Delhi nicht verlassen.
Unterdessen ist im Hintergrunde des großen Arkadenhofes der Zug der Tiere vorbeidefiliert. Schah Dschehan hat heute nur flüchtig hingeblickt und nicht, wie sonst, nach der Dressur eines Falken gefragt oder die Gangart eines Pferdes geprüft. Jetzt macht er mit der Hand, die die Rose hält, eine steife Geste und richtet, alle sehen es, seine Augen auf die kleine Gruppe von Audienzheischenden jenseits des Wasserarms. Der Wesir Sadullah Khan gibt einem Gusberdar einen Befehl, der hebt seine goldene Keule hoch, daß ein Licht von ihr ausgeht, und bahnt sich einen Weg durch die Menge der Höflinge. Lord Bellomont sieht den Boten kommen und rückt mit spitzen Fingern sein Bandelier zurecht. Aber der Gusberdar wendet sich an den Zeremonienmeister, der mit dem weißbärtigen Emir gekommen ist, und sagt ihm einige laute Worte; der Zeremonienmeister stößt einen feierlichen Ruf aus, hebt den goldenen Stab und geleitet Emir Dschumla zum Thron.
Mein Lord Bellomont beginnt mißmutig mit der Schaumünze an seiner goldenen Kette zu spielen. Er ist voll Unruhe und Zorn. Da steht er, der Abgesandte des rechtmäßigen Königs von England und Schottland, aus so weiter Ferne unter solchen Mühen hierhergekommen, und man heißt ihn warten, läßt diesem Höfling den Vortritt, mit seinem weißen Vollbart und dem Kästchen, in dem freilich ein großer Diamant ist. Die Anmaßung dieser Heidenhunde erscheint dem Viscount unerträglich. Er denkt sich in eine wahre Wut hinein, um die schleichende Angst abzuwehren, die ihm ganz heimlich ans Herz tastet. Ist dies alles nicht von sehr übler Vorbedeutung? Soll es hier wirklich wieder ausgehen wie in Ispahan? Heiliger Georg, Patron Altenglands, stehe mir bei! Der Gedanke ist nicht auszudenken. Hier schlecht behandelt, vielleicht verhöhnt werden, und unverrichteterdinge heimkehren müssen zu Karl Stuart, der Erfolglose nicht liebt, zu seinen hochmütigen Ratgebern, die immer gegen diese Gesandtschaft nach dem Osten waren, müde, krank, ruiniert, denn der letzte Penny wird dahin sein – – Heiliger Georg! Verdamm' die Augen dieser Heiden! Aber nein, es ist nur ihre verfluchte prahlende Art, es schmeichelt ihnen, einen Pair des englischen Oberhauses als Bittsteller warten zu lassen, es muß sonst nichts Schlechtes zu bedeuten haben; man muß die Kränkung herabschlucken und Geduld üben; welche Demütigungen hat nicht König Karl selbst zu erdulden gehabt, seitdem er an den Höfen der Christenheit bittet und wirbt, ein heimatloser Verbannter! So geziemt es seinem getreuen Diener nicht, durch Ungeduld oder übertriebenen Stolz der großen Sache zu schaden. – Oder ist es wirklich Absicht? Haben die Anhänger des verruchten Usurpators, haben Emissäre der Ostindischen Kompagnie vielleicht die Ratgeber des Moguls bestochen, diesen Emir Sadullah, den braunen Schleicher, dem so wenig zu trauen ist? Hunde, verdammte Hunde! Muß ein weißer Mann, ein Engländer, wirklich die Überhebung dieses schwärzlichen Gesindels dulden?
Mein Lord Bellomont folgt mit grimmigen Augen dem weißbärtigen Emir, der hinter dem Keulenträger und dem Stabträger drein durch die Menge schreitet, sein goldenes Kästchen in der Hand. Das Gesicht des Lords ist bleich, sein Knebelbart sträubt sich, seine Finger umkrallen den Griff des langen Rapiers. Nur ein paar Schwadronen guter europäischer Dragoner hier haben, und dieses ganze juwelenstrotzende Gesindel flöge auseinander und dieser Diamant von achthundert Karat würde sehr bald in der einzigen Krone glänzen, die seiner würdig ist, in der Krone Altenglands.
Der Brite beißt granitene Kiefer aufeinander; steht da, ein Bild eigenwilliger Zähigkeit. Sein ganzes Denken strömt in einem Strahl zusammen, der sich auf diesen Diamant in diesem goldenen Kästchen richtet. Da steht er voll Angst und Ärger und gedemütigt, mit dem Gefühl des Scheiterns, des Untergehens. Er weiß in seinem Innersten, daß alles aus ist, seine phantastische Mission verunglückt, sein Leben am Ende, denn er wird nach dem Mißerfolg in Persien diese neue Enttäuschung schwerlich überleben. Er flucht diesem verhaßten, heißen Land, diesen fremden und minderwertigen Menschen, ihrem schreienden Putz, ihrer dunklen Haut, ihrer unangenehmen Ausdünstung; er möchte so gern daheim sein, im grünen Middlesex, wo die Sonne mild ist und die Brise kühl, und er weiß immer deutlicher, daß er den alten gotischen Kirchturm nie wiedersehen wird, daß sie ihn hier in diese stinkende heiße Erde scharren werden, unter schwarzen Heiden, und da steht er und malt sich die ehrwürdige Krone der Plantagenets aus, wie sie dieser ungeheuere Diamant wohl zieren wird, dieser Berg des Lichts, und er sieht im Geist die Facetten funkeln, und will und will diesen Stein erobern, als ein weithin strahlendes Sinnbild Indiens, er beißt granitene Kiefer zusammen und hat nur diesen einzigen Gedanken, er will den Berg des Lichts. Gut, daß diese Emire und Mansebdare und Maharadschas, dieses dunkelhäutige, beturbante, juwelenglitzernde Volk die Gedanken dieses einsamen Mannes nicht lesen kann, sie würden des verrückten Franken spotten.