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Mahabet Khan, Sohn Ghiyur Begs, Emir über Zehntausend, oberster Kriegsherr der ganzen Reiterei, sitzt in einem offenen Kiosk im mauerumschlossenen Garten.
Der alte Mahabet Khan ist ein richtiger Tatar, nicht einer von jenen, die sich jetzt prahlerisch Mogulen nennen, weil sie ein etwas helleres Gesicht haben als die schwarze Herde und weil sie aus Feigheit und Habsucht so tun, als wären sie Muselmanen, nicht ungläubige Kuhanbeter, wie ihre Urväter alle. Nein, Mahabets Ahnen sind vor zwei Jahrhunderten und einem halben hinter Timurs Heerpauken und Roßschweifen einher aus der großen Steppe gekommen, unter den Hufen ihrer Pferde dieses Hindustan zu zertrampeln.
Er hockt auf dicken Seidenkissen. Der Schädel unter dem kleinen, golddurchwebten, goldbefransten Turban ist eirund, die Augen sind klein, die Backenknochen straffen die gelbe greise Haut, der spärliche weiße Schnurrbart fällt rechts und links von den dünnen Lippen schlaff herab.
Der Kiosk, in dem der Emir sitzt, steht in einem inneren Garten, auf einem großen Blumenbeet. Seine Arkaden öffnen sich nach allen vier Seiten, jeden Wind aufzufangen, der etwa erfrischend wehen möchte. Flechtwerk aus den Wurzeln der Khaskhaspflanze hängt als Vorhang von den hohen Steinbogen; draußen spritzt von Zeit zu Zeit ein Sklave Wasser darauf, daß die Luft, frei hindurchstreichend, sich köstlich kühle.
Mahabet Khan trägt einen weißen Kaftan mit eingewirkten bunten Blumen, einen kostbaren Kaschmirschal als Schärpe, rechts geknüpft. Neben ihm liegt sein langes Schwert; eine große goldene Betelbüchse hat er vor sich stehen, einen Spucknapf und eine Wasserpfeife, an der er wollüstig saugt, während seine geäderten Hände mit den Korallenperlen des Rosenkranzes spielen, über seinem Haupt schwingt der große Windfächer, den draußen der Kuli bewegt. Ein paar sanfte Lampen erleuchten den Kiosk; es ist wunderbar frisch hier, man hört die Springbrunnen, und es riecht gut. Der alte Mahabet Khan träumt träge vor sich hin.
Er liebt es, diese Stunde der einsamen Erfrischung auszukosten, bevor er in die Frauengemächer hinübergeht. Er weiß, man wartet schon auf ihn, die langen Lauten, die Zithern und Querpfeifen werden gestimmt, der Kaffee ist bereit, oder, sollte es seine Laune befehlen, der Wein von Schiras. Aurangzeb ist nicht in der Stadt, der lästige Eiferer, so kann wohl ein alter Soldat ohne Angst vor Spionen ein Tröpflein trinken. Der alte Tatar grinst ein wenig, da er an die guten sündhaften Dinge denkt: an den Madeirasekt, den die Portugiesen aus Goa einschmuggeln, an den Arrak, den die ungläubigen Hunde so trefflich zu destillieren verstehen, die fränkischen Artilleristen in der Zitadelle, und an jene hohlen Tonkugeln, die man zwei Jahre lang in einem Weinbehälter schwimmen läßt, bis sie von dem edelsten Extrakt des Weins durchsickert werden und schwer und voll auf dem Boden des Gefäßes liegenbleiben, gefüllt mit allen Wonnen des Paradieses. Nicht unerfahren in solchen Dingen ist Mahabet Khan, der mit dem vorigen Kaiser Dschehangir fröhlich zu zechen pflegte; wie konnte es arge Sünde sein, wenn der Beschützer des Glaubens selbst seinen Dienern die Becher füllte?
Mahabet Khan verfinstert sich für einen Augenblick. Er liebt es nicht, daran zu denken, daß er den fröhlichen König Dschehangir dann selbst gestürzt hat und Dschehangirs rebellischen Sohn, Schah Dschehan, auf den Thron der Mogulen gesetzt.
Allah schenke Vergessen! Heute ist ein Abend für angenehme Träume. Es ist nicht zu heiß. Aus den Frauengemächern kommt schon das erste Klingen der Musik; zwei neue Sklavinnen sind da, eine schwarze Abessinierin und ein Hindumädchen mit einem Gesicht wie ein Vollmond – – –
Der alte Mann lächelt; angenehme Gelüste kitzeln ihn, er bleibt aber noch sitzen, raucht seine Wasserpfeife.
Auf einmal sieht er, daß er nicht mehr allein ist. Wie eine große schwarze Schlange ist der Fakir in den Raum gehuscht, hat sich lautlos und ungeladen auf den seidenen Teppich niedergekauert, dem Hausherrn gegenüber. Der spuckt ganz erschreckt das juwelenbesetzte Mundstück der Wasserpfeife aus, da streckt der ungebetene Gast ruhig einen langen haarigen Arm aus, eine garstige Klaue mit langen Nägeln, zieht den Schlauch der Pfeife gemächlich zu sich herüber, steckt ihn, der Freche, in die stinkende Höhlung seines gierigen Mauls. Jetzt, da ihn die Lampen bescheinen, sieht man, wie schmutzig er ist, wie erschreckend häßlich, eine von roten und bleichen Narben durchfurchte Haut über einem Gerippe, ein paar verdächtige Lumpen darauf, böse, leidenschaftliche Augen unter langen Haarsträhnen.
»Alle Macht und Kraft ist bei Allah!« seufzt der entsetzte Emir. Er ist sehr zornig über die Störung, aber Furcht überwindet ihn wie eine Fessel, hält ihn auf seinen Polstern fest. O Hundesohn, o Unreiner! Wahrlich, die Frechheit der Fakire ist ohne Maß! Dem Mir Bakhsch des Reiches die Pfeife aus dem Mund zu reißen! Groß ist die Kraft, die Allah diesen Wahnsinnigen gibt, und sie sind voll von Geheimnissen! Ob er wohl geht, wenn man ihm rasch seine Bettlerschale mit Almosen füllt?
Der Fakir bläst mit tiefer Befriedigung den gekühlten duftenden Rauch von sich. Dann sagt er auf einmal mit einer erstarrten, unpersönlich kündenden Stimme:
»Ich bin der geringe Mund. Aus mir spricht der Hauch des höchst Erhabenen, der Zierde des Throns, des Herrn Aurangzeb.«
Wie er den Namen des Prinzen ausspricht, berührt er mit der flachen Hand grüßend die gesenkte Stirn. Halb unwillig wiederholt Mahabet Khan die Zeremonie.
»Ich höre!« sagt der Emir. Schah Dschehans dritter Sohn ist in der letzten Zeit ein zu mächtiger Mann geworden, als daß man einem seiner Boten achtungsvolles Gehör verweigern könnte, wäre man auch ein Emir über Zehntausend, und der Bote ein von Läusen zerfressener Fakir.
Der Fakir hat jetzt das Mundstück der Pfeife von sich gelegt, die gehöhlten Hände nach oben gekehrt, fängt in einem rezitierenden Singsang an, Koranverse vorzutragen:
»O Kinder Adams, wenn zu euch Gesandte kommen, die euch meine Zeichen verkünden, dann soll, wer da gottesfürchtig ist und sich bessert, keine Furcht über sie kommen und nicht sollen sie traurig sein.
Diejenigen aber, welche unsere Zeichen der Lüge zeihen und sich in Hoffart von ihnen abwenden, sie sind des Feuers Gefährten und sollen ewig darin weilen.«
Der alte Emir hört verblüfft zu; auf einmal wird sein Kopf ganz rot, Ärger entflammt ihn. Es wäre wahrlich angenehmer, zu den Frauen zu gehen! Eine abwehrende Hand gebietet dem frommen Vortrag Einhalt.
»Ein Schakal kann den Koran aufsagen, wenn er beim Mullah in die Schule gegangen ist! Woran soll ich erkennen, daß du wirklich Aurangzebs Bote bist und nicht ein Lügner, der mir ein größeres Almosen entlocken möchte?«
Der Fakir fletscht die Zähne, die vom Betelkauen schmutzig rot geworden sind. Er will etwas sagen, aber Mahabet Khan spricht weiter:
»Die Erkenntnis ist nur bei Allah! Behauptet nicht ein jeder Landstreicher in Mogulistan, Aurangzebs Wesir zu sein oder sein vertrauter Blutsbruder? Wisse, man kennt euch und hat erfahren, daß selbst Aurangzeb euere Heuchelei durchschaut hat und euere Laster. Die ganze Stadt wiederholt die Geschichte von dem Gastmahl, das Aurangzeb euch Derwischen gegeben hat. Kennst du sie auch?«
»Vielleicht kenne ich sie«, sagt der Fakir ganz kalt.
Der Emir schmunzelt boshaft: »So kennst du also euere Schande! Da er auf seinem Heereszug gegen Golkonda nach Burhanpur kam, gebot Aurangzeb, alle Bettler dieser Stadt zu versammeln, da er Almosen unter sie verteilen wolle. Auch wolle er, als ein Opfer für seine Sünden, jedem von ihnen ein neues Ehrengewand geben.
Eine große Zahl von Fakiren und Bettlern kam zusammen, denn wie könntet ihr die Gelegenheit versäumen, euch euere leeren Bäuche zu füllen?
Man gab auf Befehl des Padischah-Sohnes den Bettlern zu essen; dann befahl man ihnen, die neuen Gewänder anzulegen, jedem gab man eine vollständige Serapa, Turban, Kaftan und Unterkleid. Die alten Lumpen aber sollten auf einen Haufen geworfen werden und dableiben.
Höre nun, was deinen Brüdern da geschah, Fakir! Warst du auch dabei? Sie fingen an zu schreien: ›Nein, bei dem gesegneten Namen, meine alten Kleider kann ich nicht dalassen, wisset, es steckt zu große Heiligkeit in ihnen!‹ ›Nein, von diesem Gewand kann ich mich nicht trennen, ich habe gelobt, mich in ihm begraben zu lassen!‹
Aber Aurangzeb, der euch kennt, weil er selbst ein Fakir ist, hatte streng befohlen: die alten Kleider bleiben da! Der Serâi, in dem die Bettler gespeist hatten, war von Soldaten umstellt, es gab kein Entweichen. Kurz, die Fakire mußten abziehen, wohlgefüttert, in prächtigen neuen Gewändern, aber betrübt in ihren Herzen.
Wisse, daß sodann Aurangzeb den Haufen der alten Gewänder durchsuchen ließ und daß diese kläglichen Lumpen gottseliger Asketen, frommer Selbstkasteier und Weltverächter voll waren von goldenen Rupien und Mohuren. Der hatte sie im Turban gehabt, der im Gürtel, der in den Sandalen. Wie aus schmutzigem Schlamm das Gold gewaschen wird, so gewann man aus eurem Dreck einen Schatz. Leugne es, wenn du kannst. Ganz Hindustan kennt die Geschichte!«
Der Fakir schießt einen kurzen Blick aus seinen Augen, dann senkt er sie. Wieder nimmt er die lebhafte Pose von früher an, beginnt, sich wiegend, Koranverse zu rezitieren:
»O ihr, die ihr glaubt, vermeidet sorgfältig Argwohn; siehe, ein gewisser Argwohn ist Sünde. Und spioniert nicht, und keiner verleumde den andern in seiner Abwesenheit. Würde etwa jemand von euch gern seines toten Bruders Fleisch essen? Ihr würdet es verabscheuen. Und fürchtet Allah; siehe, Allah ist langmütig und barmherzig.« Auf einmal bricht er den näselnden Singsang ab und sagt mit seiner natürlichen Stimme:
»O Mahabet Khan, der du tausend Ohren hast und gerne geheime Geschichten hörst, weißt du auch, was dann geschah, als Aurangzeb die vielen Goldstücke auf diese Weise gewonnen hatte?«
Mahabet Khan weiß es nicht und gibt Neugierde zu erkennen. Eine gute Geschichte könnte ihn sogar mit der lästigen Gegenwart dieses Fakirs aussöhnen. Von dem gesteinigten Satan selbst würde er sich gute Geschichten erzählen lassen.
Er sagt: »Bismillah! Sprich, im Namen Gottes!«
Der Fakir fängt an:
»Und wisse ferner: als Aurangzeb, Sohn des Padischahs, aus den Kleidern der Bettler eine große Summe Goldes gesammelt hatte, wollte er damit eine Schnur kostbarer Perlen kaufen. Und er fragte Schech Mir, seinen weisen Lehrer: ›O Vater der Weisheit, soll ich um hunderttausend Rupien diese Schnur kostbarer Perlen kaufen?‹ Da sprach der Quell des Wissens, Schech Mir – – –«
Auf einmal rutscht der Fakir mit der weichen Bewegung einer Schlange ganz nahe zu Mahabet Khan hin, flüstert das Weitere eng an seinem Ohr:
»– – Sprach Schech Mir: ›O Zierde des Throns, wenn du nicht größere Perlen erlangen willst, so kaufe diese; wenn du aber für dieses Geld tapfere Krieger anwirbst, wirst du Herr werden über viel größere Perlen und unendliche Schätze!‹«
Der Emir wird bei diesen Worten blaß. Schweiß rinnt über seine Stirn. So ist es wahr, Aurangzeb hält die Zeit für reif; er ist dort unten in seiner Statthalterschaft stark geworden und will sich empören.
Mahabet Khan fragt langsam: »Und was tat Aurangzeb? Hat er neue Truppen angeworben?«
Der Fakir, geschmeidig: »Ja. Um die schiitischen Rebellen zu bekämpfen, die Könige von Golkonda und Bidschapur. Er gehorcht, ein treuer Sohn, Schah Dschehans Gebot, und kämpft für den Glanz seines Namens.«
Jetzt spricht er wieder laut, jeder Lauscher vor dem Kiosk kann es hören: »Wisse, nur die Ausbreitung des Glaubens ist Aurangzebs Begehr. Für sich selbst strebt er nach nichts, er will arm sein und ein Büßer. Nichts wünscht er, als allem Glanz und der Macht zu entsagen und nach Mekka zu ziehen, ein demütiger Pilger.«
Der Fakir schweigt. Mahabet Khan schließt die Augen. Der schlaue alte Tatar sieht durch den Schleier von Worten. Aurangzeb rüstet. Schah Dschehan hat in der letzten Zeit Dara Schikoh, seinen ältesten Sohn, gar zu offenkundig bevorzugt und unbegreiflicherweise nicht zugleich die anderen drei Söhne in der Felsenfeste Gwalior eingesperrt, wo man nach altem Brauch unbequeme Prinzen mit Mohnwasser zu tränken pflegt, bis sie nicht mehr wach genug sind, um gefährlich zu sein. Er wird alt und sonderbar, Schah Dschehan. Läßt diesen Heuchler Aurangzeb im Dekkhan Krieg führen, Siege erringen, seine Armeen vermehren. Der schmutzige Fakir da ist mit einer wichtigen Botschaft gekommen. Was will er, warum sitzt er hier in diesem Haus?
Der Fakir, wie aus einer religiösen Verzückung erwacht, seufzt schwer. Jetzt wispert er wieder ganz leise:
»So spricht Aurangzeb, Sohn Schah Dschehans, aus dem Hause Timur: Ich begehre nur das Kleid eines Pilgrims und ehrenvolle Wallfahrt. Aber mein Vater, der König, ist krank, und der Glaube ist in Gefahr. Mein Bruder Dara ist ein Ungläubiger. Hat er nicht fränkische Priester um sich, hört auf ihre Lehren? Er ist ein Unreiner, ein Weinsäufer, unwürdig des Throns. Auch mein Bruder Schah Schudscha ist ein Feind der Gläubigen. Bekennt er sich nicht selbst als ein Ketzer? Aber ich liebe meinen Bruder Murad Bakhsch, der ein Held ist, obgleich ein wenig dem Becher ergeben. Gefiele es unserem Vater Schah Dschehan, der krank und müde ist, freiwillig zu ruhen, vor Murads Thron wollte ich mit gekreuzten Händen stehen, ihn bitten, mich nach Mekka zu entlassen, seinen gehorsamen Sklaven.« –
Mahabet Khan lauscht gespannt. Plötzlich starren ihm die heißen Augen des Fakirs ins Gesicht:
»So spricht, o Emir, Aurangzeb: Gibt es noch Muselmanen in Hindustan? Kennen sie noch den Pfad derer, denen Allah gnädig ist? Dies verheißt ihnen der gesegnete Prophet:
»Wer von euch Allah und seinem Gesandten gehorcht, dem geben wir zwiefältigen Lohn.
Für ihn sind Edens Gärten, durcheilt von Bächen. Geschmückt werden die Gerechten darinnen mit Armspangen von Gold und gekleidet in grüne Kleider von Seide und Brokat, sich lehnend darinnen auf Diwanen. Ein herrlicher Lohn und eine schöne Ruhestätte!«
So, denkt Mahabet Khan in das Koranzitat hinein, da haben wir den Antrag und die Versprechungen. Was sagen, was tun? Ist Schah Dschehan noch stark genug? Er ist der Gefährte meiner Jugend, ich liebe ihn. Dieser hier aber ist ein widerwärtiger Heuchler und falscher Heiliger. Wie er den Prinzen Murad Bakhsch gegen Dara ausspielen will! Dara ist ein Schwächling, und Schah Dschehan kränkelt; wenn ihm morgen etwas geschieht, ist es besser, auf dem stärkeren Elefanten zu reiten. Ich verstehe wohl, daß Aurangzeb sich meiner versichern will, ich bin der Mir Bakhsch, der oberste Kriegsherr der gesamten Reiterei. Oh, kann man mich nicht in Frieden meinen kühlen Abend genießen lassen?
Der Fakir liest im Gesicht des alten Kriegsmannes, weiß um sein Schwanken. Vorsichtig tastend sucht er nach Argumenten, die Einfluß haben könnten:
»Den Heiligen Krieg gilt es zu führen gegen die Ungläubigen. Ist es nicht ein Greuel, daß ihre Tempel unzerstört stehen?«
Mahabet Khan macht ein kaltes Gesicht. In seiner Jugend war man duldsam gegen die Hindus. Nicht umsonst hat der große Akbar in seinem Reich den Glaubenshaß gebrochen. Erst die Jungen, die um Aurangzeb, geraten in frommes Rasen, wenn sie einen Hindutempel sehen.
Der Fakir bemerkt, daß er auf ein Krokodil getreten ist, da er auf einen festen Balken den Fuß zu setzen meinte. Er verzieht leicht das Gesicht, verschluckt einen wilden Fluch, fährt fort:
»Das Antlitz Hindustans ist von stinkenden Pusteln verunreinigt. Die Ketzer der Schia, daß sie der gesteinigte Satan – –«
Die Schiiten sind dem alten Emir offenbar noch weniger verhaßt als die Hindus. Der Fakir gleitet über die Unebenheit hinweg:
»– – Und diese Unreinen, die Weintrinker – –«
Er verstummt, denn er sieht, daß er den Emir erzürnt hat. Das Gesicht des alten Mannes färbt sich dunkelrot. Noch immer würgt der Fakir an der giftigen Schlange, die aus seinem Mund zischen möchte, aber es gelingt ihm, ruhig zu bleiben, ja, ganz milde und versöhnlich. Der gesegnete Koran hilft ihm wieder aus. Er sagt schnell:
»Doch denen, die glauben und gute Werke tun, ist ja verheißen – –«
(Er wiegt sich, er näselt Singsang:)
»Siehe, die Gottesfürchtigen kommen in Gärten und Wonne,
»Genießend, was ihr Herr ihnen gegeben hat. Und befreit hat sie ihr Herr von der Strafe des Höllenpfuhls.
»Esset und trinket und wohl bekomm's – für euer Tun!
»Und reichen sollen sie einander darinnen einen Becher, in dem weder Geschwätz noch Versündigung ist –«
Aber Mahabet Khan rührt sich nicht. Es scheint ihm doch nicht gut, mit diesen Eiferern zu gehen.
Da schnellt der Fakir auf ihn los, daß ihm sein glühender Atem das Gesicht sengt:
»Gefällt es Mahabet Khan, daß die Töchter aus dem Hause Timurs der Scham vergessen?«
So stürzt der Jagdfalke auf den Reiher, schlägt plötzlich die Klauen in ihn, reißt ihn hernieder. Mahabet Khan taumelt auf seinem Sitz. Dieses letzte Wort des Fakirs hat ihn getroffen.
Man weiß, warum Mahabet Khan sich mit Schah Dschehan gegen dessen Vater Dschehangir empört hat, dem er so lange ein treuer Diener gewesen war. Eine Tochter des Großherrn ist ihm verweigert worden, denn nach Akbars Gesetz heiraten die Töchter des Moguls nicht. Es ist genug an den Söhnen, die sich gegen ihre Väter empören und einander ermorden, immer wieder, von Generation zu Generation. Ein Schwähersmann des Padischahs wäre zu mächtig, zu gefährlich im Staat.
Die Töchter Timurs sind schön wie Vollmonde und von stolzem Blut. Sie wollen nicht verdorren wie Rosen, die kein Regen tränkt. Die Basare sind voll von bösem Wispern, gedenkt man der Töchter Timurs, von Generation zu Generation – –
Dschehangirs Tochter konnte Mahabet nicht erringen. Er hätte es vielleicht überwunden, sich dem Gesetz, dem unbeugsamen, gebeugt. Doch da begann man heimlich von einem georgischen Gartensklaven zu sprechen – Noch ist in dem alten Mann die schmerzhafte Erinnerung nicht vernarbt. Alle seine Wunden haben sich geschlossen, diese nicht.
Schön ist auch Dschehanara Begum, Schah Dschehans bevorzugte Tochter. Ehelos muß sie bleiben. Und wieder wispern sie in den Basaren – – –
Mahabet Khan sitzt jetzt kerzengerade, hat seine rechte Hand auf das lange Schwert gelegt, das vor ihm ruht. Er ist plötzlich ganz voll von Bitterkeit. Dieser Fakir hat ja recht, Mogulistan ist erfüllt von Schamlosigkeit, die Zucht und Sitte der Vorfahren ist dem Gespött preisgegeben – – –
Der Fakir bemerkt seinen Vorteil, er steht auf, verschränkt demütig die Arme über seinen mageren Rippen, harrt eines Bescheides.
Mahabet Khan sieht ihn an: »Ich will denken, o Vater der Heiligkeit! komme morgen wieder zu mir!«
Er klatscht in die Hände. Ein Diener erscheint, macht einen tiefen Salaam. Mahabet Khan befiehlt ihm, die messingene Schale des Fakirs mit reichlichem Almosen zu füllen.
Unterdessen wickelt der Emir mit seinen eigenen Händen ein grünes Betelblatt um ein Stück Arekanuß und reicht den gewürzten Bissen dem Besucher, zum Zeichen höflich huldvoller Verabschiedung.
Der Fakir berührt mit der rechten Hand seine Brust, seine Lippen, seine gesenkte Stirn. Er wendet sich ab, geht. Sein häßliches Gesicht unter den langen Haaren ist hell von einem Lächeln des Triumphs.