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Tiefer Abend. Neun Stunden seit Mittag.
Die Stadt Schah Dschehans ist wach, saugt gierig die kühlere Luft ein; aber die Menschen sind ins Innere der Häuser gegangen, in die umschlossenen Höfe, die Gärten.
Draußen ist die uralte Nacht. Mit dem Tageslicht ist die Gegenwart verdämmert.
Am Tage ist diese Stadt das alte Delhi nicht mehr, der Ort der sagenumhauchten Ruinen, die Stadt Asokas und des guten Buddhas, die Stadt der Tempeltrümmer, der Hindugötter, des Traumes Vergangenheit. Der Mogul kam auf seinem Streitelefanten geritten. Er sah die Trümmer einer Stadt, er befahl: Dies ist nicht Delhi, dies ist Schah-Dschehan-abad! Hier pflanze ich mein Zelt. Sklaven herbei, kunstreiche Steinmetze, formt mir mein Zelt aus Marmor, daß seine Pfeiler die Erde überschatten, ein ewiger Palast! Hier breite ich meinen Teppich zum Gebet, wende mich gegen die gesegnete Kaaba. Aus Marmor sollt ihr meinen Teppich mir bilden, daß Tausende und Tausende sich auf ihm niederwerfen können, der Kaaba entgegen! Wölbt mir die Kuppeln, führt mir die Türme himmelwärts, wie ich jetzt meine Lanze himmelwärts hebe! Delhi nicht mehr, wie seit dem Urbeginn der Zeiten, Schah-Dschehan-abad ist diese Stadt, eine neue Stadt aus rotem Sandstein und weißem Marmor, aus Perlen, Kornalin und Lapislazuli, »Die Stadt-des-Königs-der-Welt« bis ans Ende der Zeiten, daß sie meinen Namen verherrliche bei den Enkeln und die Erde erleuchte mit meinem Ruhm!
So hat auch der Ahne Akbar einst vor Agras alten Mauern gesprochen; Akbar-abad die Stätte genannt, seine Feste gebaut, den Palast. So hat Schah Dschehan, Agras müde (ein zu sehr geliebtes Grab nimmt ihm dort die Lust zu leben), über die Trümmer Delhis sein Zelt gebreitet und seinen Gebetteppich, und da ward das Zelt zum Palast, der die Sonne überglänzt, der Teppich zur Moschee, die wie der Nabel der Welt ist; und was seit den grauen Urnebeln der Schöpfung Delhi hieß, trägt jetzt den Namen des übermächtigen, des glückseligen Königs, des Tempels des Glaubens und der Welt.
Bei Tag. Das ungeheuere Heer der Bauleute vollendet in diesem Monat das gewaltige Werk der Hauptmoschee; am Ufer des heiligen Dschamnaflusses leuchtet der Palast, der nicht seinesgleichen hat, durch endlose Straßen ziehen die Emire des Reichs mit fliegenden Standarten, in den Basaren kribbeln ameisengleich Hunderttausende, die Muselmanen mit erhobener Stirn und in sicherer Duldung die Heiden; der Muezzin ruft zum Gebet, der Kadi richtet, Schah Dschehan streckt sein Schwert aus, und im Schatten des Schwertes ist Friede und Gerechtigkeit – – –
Doch in der Nacht wächst über Schah-Dschehan-abad das uralte Delhi empor, wie der Dschungel nächtlings emporschlägt über Menschenhütten. In der Nacht vergißt diese Stadt, daß Allah Gott ist und Mohammed sein Prophet, und der erobernde Mogul der Herr von Hindustan. Wenn die Straßen still geworden sind, und dunkel, dunkel, dann erwacht, irgendwo in der Tiefe einer Tempelhalle mit tausend Pfeilern, erwacht Ganescha, der weise elefantenhäuptige Gott, und schattenhaft trabt er hinaus; und die entsetzliche Kali, blutbeschmiert, mit tausend Dolchen in tausend Händen, auf ihrem großen Tiger reitet sie hinaus. Hinter der Straßenecke lauert der Affe Hanuman; alle alten Götter sind unterwegs, im heißen Dunkel, stumm, zornige Schatten, unwillig unter dem Joch – – –
Die Finsternis ist mit Bangigkeit geladen wie eine Gewitterwolke mit der Unheilskraft des Blitzes. Das Schweigen ist entsetzlich; alles Blut, das diese uralte Erde getrunken hat, dampft leise auf. Furchtbar ist diese alte Stadt, ein Friedhof der Jahrtausende; unter den neuen Häusern liegen die Trümmer von unheimlichen Heiligtümern, liegen Gebeine und geborstene Waffen; die Nacht sprengt ihr Grab, sie wachsen grauenhaft hervor – – –
Da schrillt durch dieses schwangere Dunkel auf einmal Musik, Fackeln leuchten auf, grell, wirklich. Ein Pferd wiehert, ein wirkliches, aus warmem, lebendigem Fleisch, soldatische Schritte dröhnen im Takt.
Der Kotwal macht seine Runde durch die nächtliche Stadt, der Profos. Er ist hoch zu Pferde, im eisernen Panzerhemd, das blanke Schwert in der Hand. Seine Leute sind um ihn mit Lanze und Keule, mit Dolch und Schwert. Der trägt die Fackel, der die lange Peitsche. Wehe dem Übeltäter, den der Kotwal in den Straßen aufgreift! Furchtbar ist die Justiz des Moguls und ohne Verzug.
Neun Stunden seit Mittag. Dreimal in der Nacht macht der Kotwal die Runde. Dies ist sein erster Gang. In jeder Straße hält er, und die Spielleute treten vor, die ihn begleiten. Zwei hauen auf kleine Pauken los, einer hält die lange kupferne Trompete und bläst, daß das gespenstische Schweigen der Nacht mit Fledermausflügeln entflattert.
Da lösen sich überall aus dem Schatten Gestalten los, die bis zu dieser Stunde stumm herumschlichen, Wächter mit großen Stöcken, überall aufgestellt, um die Stadt zu behüten. Sie hören den Ruf der Trompete, und aus ihren Herzen weicht das Bangen der einsamen Wacht. Sie legen die hohlen Hände an den Mund, antworten auf den Trompetenruf mit einem langgedehnten Schrei:
»Kaberdar!« schreien sie. »Kaberdar!« »Sieh dich vor!«
Ka–ber–dar! Ka–ber–dar! Von West und Süd und Ost und Nord, überall der befreiende Ruf.
Kaberdar! Wisse, Welt, es lebt die Wirklichkeit, der Tag, die neue Stadt, Schah Dschehans Macht und Gerechtigkeit!
Kaberdar! Kaberdar! Wir wachen, o Meister der Peitsche, o Kotwal dieser Stadt. Kaberdar! Der Übeltäter mag zittern, die Gespenster mögen sich ins Dunkel ducken, Allah ist noch Gott, Mohammed noch sein Prophet und Schah Dschehan der Gebieter von Hindustan!
Kaberdar! Kaberdar! Die Trompete ruft, die Pauken hallen, auf seinem Pferd zieht der Kotwal von Straße zu Straße; die Waffen blinken blutig im Fackelschein, die Peitsche ist drohend erhoben. »Kaberdar!« antworten die Wächter. Auf einmal ist die Nacht voll von Klängen, von Lichtern, von menschlichem Willen und bewaffneter Kraft. Kein Gespensterdschungel mehr, nein, eine lebende, atmende Stadt, Schah-Dschehan-abad wieder, Gegenwart, ein Ort geordneter Gewalt, im Schatten eines machtvollen Schwertes, das den Tod bedeutet, aber auch Ordnung und Frieden.
Kaberdar! Kaberdar! Die alten Götter hören es und huschen in die tiefen Pfeilerhallen ihrer grotesken Tempel zurück, gebändigt, machtlos, doch ewig und unsterblich.