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XIV

Buchschmuck Die Sonne ist schon hoch, und es ist alles grell. Die große Straße, die zur Zitadelle führt, ist weiß von durchsonntem, erhitztem Staub. Die Arkaden zu beiden Seiten, mit den vielen Kaufläden und Buden, sind voll Gefeilsch. Auf Teppichfetzen hocken die Kunden, trinken Kaffee und Tschibukrauch. – »Was kostet dieses Stück Musselin zu einem Turban?« – »Nichts, o Herr, nimm es als ein Geschenk!« – »Das kann nicht sein, wieviel?« – »Soviel!« – »O du Schamloser, Bruder einer Schwester, die nichts taugt!«

Auf der Straße der Silberschmiede Gewühl. Büffelkarren, plump, mit zwei hohen Rädern. Kamele. Palankine mit Trägern. Ein Hochzeitszug mit schriller Musik. Bettler, heilige, die stille dasitzen, mit ihrem Messinggefäß vor sich, und gräßlich Verstümmelte, die schreien:

»O Maharadscha, erbarme dich. O Mutter vieler Söhne, gib!« Und Aussätzige, mit gierigen, verdorrten Händen. Und schnüffelnde Hunde. Und eine summende Menschenmenge, in weißen und bunten Gewändern; verschleierte mohammedanische Frauen und schleierlose Hinduweiber, mit Schmuck behängt. Alles hell im erbarmungslosen Licht, und von stinkendem Staub umweht.

Und Kaffeebuden, voll Geschwätz. Man kennt schon die Geschichte, die heute nacht in der Mahal geschah, als der König nach der Zeit fragte. Und habt ihr schon gehört, was sich zu Radschmahal begeben hat? Nein? Fürchterliche Zeichen von unheilvoller Bedeutung! Eines Morgens, neulich, fand man die ganze große Ebene vor der Stadt voll von Kobraschlangen, großen und kleinen. Sie bedeckten das ganze Feld und krochen den ganzen Tag vorüber, bis zur Abenddämmerung, alle von West nach Ost. Es sah aus wie ein großes Meer mit vielen glitzernden Wogen. Die armen Dorfbewohner flüchteten auf die Dächer ihrer Hütten oder wie die Affen auf Bäume. Da sahen sie in der Mitte der zahllosen kleineren Kobras eine ungeheuere, die trug ein kleines Schlänglein auf ihrem Kopf. Am Abend verschwanden sie spurlos und hatten keinem Menschen ein Leid getan. Furchtbare Zeichen, von übler Bedeutung! Zwar Schah Dschehans Astrologen haben es wahrhaftig fertiggebracht, auch diesmal etwas Schmeichelhaftes für ihren Herrn herauszudeuten, als er sie befragte: »Wisse, glückseliger König, alles Üble zieht von deinem Reiche ab!« Aber die Wahrheit ist: die große Schlange in der Mitte war ein Schlangenelefant, und die kleine, weiße Schlange, die auf ihm ritt, war der König der Kobras. Sicherlich ist die Zeit dieses Königs nun um, und er zieht ab, um einem anderen Platz zu machen!

Oh, gewiß ist es so. Und jetzt wird bald Schah Schudscha sich empören und an Stelle von Schah Dschehan König werden. – Oder Aurangzeb. – Pfui, der Fakir. – Nein, Murad Bakhsch, der Löwe, der Leutselige. – Oder Dara. – Dara? Wißt ihr nicht, daß er ein Nazarener geworden ist? Nein! Ja! – Heute kommt der fränkische Gesandte in den Palast, um es dem König Schah Dschehan feierlich mitzuteilen. Sadullah Khan war eben bei ihm, um alles zu besprechen. Habt ihr seine Sänfte nicht gesehen?

Am dichtesten ist das Gewühl auf dem großen Platz vor dem Tor der Königsburg, in den die beiden langen Hauptstraßen der neuen Stadt münden. Ihn umsäumen hölzerne Marktbuden und die vielen bunten Zelte der Radschputen. Die Radschas der zahllosen kleinen Hindufürstentümer sind treue Vasallen Schah Dschehans und kommen zur bestimmten Zeit mit ihren waffenerprobten Kriegern in seine Stadt, um am Hofe Wachtdienst zu tun. Aber in den Mauern einer Mogulfestung wohnt ein Radschpute nicht, er fürchtet Verrat und schläft nur im Freien. Da sitzen sie im Schatten ihrer Zeltleinwand, stattliche Männer mit den roten und weißen Zeichen der Götter auf ihren Stirnen, die Augen trüb von Opium, schwere Gehänge in ihren Ohren, Dolche mit trapezförmigen Griffen im Gürtel, jeder mit seinem Lieblingsfalken auf der Faust, und sehen voll Spannung zu, wie in der Mitte des Platzes die königlichen Pferde getummelt werden. Der Kobat-Khan ist da, der Pferdemusterer, und sieht genau die neuen Remonten an, ob die Stallmeister keine minderwertigen Pferde eingestellt haben und ob jedes ordnungsgemäß auf der rechten Flanke mit der königlichen Brandmarke gestempelt ist. Sie haben ihr Morgenfutter bekommen, Brot mit Butter und Zucker, und sind glatt und glänzend und voll von Feuer. Die Radschputen sind ganz begeistert von dem Schauspiel. So herrliche arabische, persische und turkmenische Pferde, alle mit kostbarem Sattelzeug!

Hier auf dem Platz sitzen auch, unter großen Sonnenschirmen, auf staubigen Teppichfetzen, die gelehrten Astrologen, sehr umdrängt von Hindus und Muselmanen. Jeder hat geheimnisvolle mathematische Instrumente vor sich und ein großes Buch, in dem die Zeichen des Tierkreises abgemalt sind. Für eine ganz kleine Kupfermünze weissagen sie jedem Vorübergehenden soviel Glück, wie er nur will, betasten sein Gesicht und seine Hände, blättern gravitätisch in dem Buch nach, berechnen lang den Stand der Gestirne, und sagen dann, ob der Augenblick günstig ist, ein Geschäft zu beginnen. Frauen, vom Kopf bis zu den Füßen in weiße Tücher gehüllt, beugen sich über den schmutzigen alten Ziegenbart und flüstern ihm alle Geheimnisse ihres Lebens zu; vielleicht ist der Erleuchtete so gütig, den Lauf der Sterne ein wenig zu beeinflussen. Den allermeisten Zuspruch findet, wegen der Seltenheit, ein christlicher Astrologe, ein davongelaufener, olivengrüner Halbportugiese aus Goa. Er sitzt noch würdevoller da als die übrigen, hat alte katholische Gebetbücher vor sich, die er übrigens nicht zu lesen versteht, und einen alten Schiffskompaß, der großes Aufsehen macht. Er grinst ganz unverschämt in sich hinein und findet diese Heiden furchtbar dumm. Er macht glänzende Geschäfte.

»Kauft Melonen, zuckersüße, wie aus dem Paradies!«

»Gangeswasser, frisch und gesund!«

»Zuckerzeug, das das Leben verlängert! Kauft, o Wohltäter!«

Das Gewirr ist so groß, daß sich die Emire und Mansebdare, die jetzt zur Zitadelle ziehen, schwer Platz verschaffen können. Aber sie haben ja Diener mit Peitschen und Stöcken, da hageln die Schläge auf die Turbane. »Maharadscha!« wimmern die Bettler und drängen sich trotzdem hinzu.

Am schwersten ist es am Rande des Platzes hindurchzukommen, bei den Marktbuden. Hierher fließt von den beiden Hauptstraßen ein dicker, lauter Strom von Fußgängern, Reitern, Karren; wie große Schiffe schwanken über ihm die schwarzen Rücken der Elefanten mit ihren Holztürmen und grellbunten Satteldecken und glitzernden Messingbeschlägen. Jetzt entsteht in der dichten Masse eine Bewegung, und die Pferde wiehern entsetzt auf, und es besteht die große Gefahr, daß ein Elefant scheu wird und alles niedertrampelt, denn auf einmal kommen zwei seltsam gepaarte Tiere gemächlich die Straße herab; ein riesiger, schwarzmähniger Löwe in vergoldeten Ketten, und friedlich neben ihm ein schneeweißer Ziegenbock. Sie sind von ihrer frühesten Jugend auf im Palast nebeneinander erzogen worden, haben die Milch der gleichen Büffelkuh getrunken und sind innige Freunde. An jedem Morgen vor der Audienz läßt man sie nebeneinander durch die Straßen gehen, um zu beweisen, daß in Schah Dschehans glückseligem Reich Löwe und Ziege fröhlich nebeneinander werden. Immerhin drücken sich Schah Dschehans beglückte Untertanen ängstlich zur Seite. Vielleicht hat der Löwe heute vergessen, daß in Schah Dschehans glückseligem Reich die Löwen so fromme Tiere sind.

Es dröhnen Paukenschläge. Sie künden die Stunde der großen Audienz. Jeden, der Unrecht erlitten hat, lädt der Schall der Pauke vor das Antlitz des Königs, daß er Gerechtigkeit finde.

Immer häufiger tauchen in der Menge der Nackten und Zerlumpten die prächtigen Sänften großer Herren auf. Die Mansebdare, kleinere Edle (ihr Sold ist hundertfünfzig bis siebenhundert Silberrupien im Monat), kommen in hellen Massen. Sie sind bunt und stattlich angetan und liegen in grellfarbigen Palankinen oder reiten auf geschmückten Pferden; und vor jedem und hinter jedem sind Diener mit Stäben und prügeln den Weg frei. Aber das sind nur kleine Kometen mit kleinen Schweifen; anders zieht ein Emir zu Hof, der Sold für fünftausend oder achttausend Reiter erhält. Platz für den Großmächtigen, den Gewaltigen, den Tapferen! Die Prügel fliegen wie Regentropfen im Monsun; und doch bleibt das Volk stehen und gafft.

Jetzt wendet sich eine ganze lange Prozession durch die Straße der Silberschmiede. Kein Geringerer als der Mir Bakhsch der gesamten Reiterei begibt sich zur Audienz. Voran sechs große langbärtige Lakaien mit wirbelnden Stöcken; dann einige Reiter mit Bogen und Pfeilen, mit runden Schilden und mit silberbeschlagenen Keulen in ihren Händen; die Gusberdare, Keulenträger, die den Großen des Reichs als Vorreiter dienen und als Boten. Dann die Abzeichen. Ein großes Banner und zwei buschige Haarbündel auf hohen Stäben, die wie Roßschweife aussehen, aber Schweife von tibetanischen Jak-Ochsen sind. Dann sechs schwitzende Kulis, die auf ihren Schultern den großen, geschnitzten und mit vergoldeten Silberplatten bedeckten Palankin tragen, in dem der Würdenträger ruht, umglänzt von Juwelen und Seide und Waffen. Reich gekleidete Diener umringen die Sänfte; die einen schrecken mit großen Wedeln von Pfauenfedern die Fliegen weg, fächeln den Staub fort, die anderen tragen kostbare Gefäße. Einen großen Spucknapf, einen silbernen, weil der Rang dieses Emirs ein so hoher ist. Ein geringerer Herr hat nur das Recht, einen Spucknapf aus Porzellan zu benützen. Und eine Betelbüchse, und für den Fall, daß der Gebieter Durst bekäme, eine zinnerne Flasche voll Gangeswasser, in roten Flanell gehüllt. Dieses Tuch ist angefeuchtet, und der Diener, der die Flasche trägt, schwingt sie unausgesetzt, um sie recht kühl zu erhalten.

Und dann kommt die Eskorte. Bärtige Musketiere mit Steinschloßgewehren, Säbel im breiten Gürtel, mit kleinen Turbanen, in vielfarbigen, weißen, bunten, geblümten Kaftanen. Sie tragen ihre Gewehre mit einer gewissen Vorsicht, denn sie können leicht losgehen, wenn dies Allahs Wille wäre. Ihre Füße, nackt in roten und grünen Lederpantoffeln, rühren martialisch den Staub auf. Dann kommen Reiter, die erlesensten aus der Schar des Emirs; die Mähnen der Pferde sind in Zöpfchen geflochten, die Satteldecken mit Gold gestickt. Die Reiter tragen Lanzen und Rundschilde aus Büffelhaut.

Der Emir Mahabet Khan sitzt in der offenen Sänfte, unter dem geschwungenen Bogen, der die vordere Tragstange mit der hinteren verbindet. Er hat sein edelsteinfunkelndes Schwert auf dem Schoß und lehnt sich an ein mit Goldbrokat überzogenes und mit kleinen Perlen besticktes Prunkpolster an. Er ist sehr schlechter Laune, Mahabet Khan, und das Goldtuch in der Mitte seines Turbans läßt sein faltiges Tatarengesicht noch gelber erscheinen. Er sieht die ganze Welt gelb, hat heute in aller Frühe seinem Lieblingsfalkner die Bastonade geben lassen, wegen eines ganz unbedeutenden Versehens. Das Gift, das ihm gestern abend dieser verfluchte Fakir eingespritzt hat, ist in seinen alten, schlaffen Adern. Er ist unzufrieden und gallig, das Gedränge in den Straßen reizt ihn, und er befiehlt seinen Dienern, die heute vor ihm zittern, kräftiger um sich zu schlagen, den Pöbel doch beiseite zu stoßen, daß man endlich einmal vorwärts komme.

Der Zug ist jetzt auf dem freien Platz angelangt, schon sieht Mahabet Khan die Zinnen der Palastmauer. Da bleiben die Träger auf einmal stehen. Der Emir flucht, beugt sich vor, um das Hindernis zu sehen; und sieht, daß ihm ein anderer Zug entgegenkommt, so prächtig wie der seine, mit fliegenden Bannern und Jak-Schweifen, mit Reitern und Fußsoldaten, die einen hohen Elefanten umringen. In dem Turmgehäuse auf dem Elefanten sitzt ein junger Mann, ganz mit Juwelen und kostbaren Stoffen behängt. Er ist sehr schön, hat ein braunes Gesicht, ein wenig geschminkt, trägt das Götterzeichen des Hindus auf der etwas schmalen Stirn.

Mahabet Khan zieht sein Schwert an sich heran. Er ist ganz in der Laune, Händel anzufangen, sich den Vortritt mit blanker Waffe zu erkämpfen. Wer wagt es, dem Mir Bakhsch in den Weg zu treten? Wer ist, wenn es nicht ein Prinz des Hauses Timur ist, verwegen genug, einen Emir über Zehntausend so zu kränken? Diesen jungen Laffen kennt Mahabet Khan nicht. Offenbar ein übermütiger Radscha. Glaubt er, weil er irgendwo ein lausiges kleines Fürstentum hat, sich gegen einen Großen des Mogulheeres etwas herausnehmen zu können? Wer ist der verdammte, ungläubige Hund denn? Mahabet Khan winkt einen seiner Keulenträger heran, der springt herzu, verbeugt sich auf dem Pferd.

»Großmächtiger, wir können nicht weiter, sie machen uns nicht Platz, es ist Dulera, der Musikant der Herrin-Königin. Er zieht zum Palast der Begum!«

Und nun bekommt Mahabet Khan einen Wutanfall. Zieht seinen Säbel aus der Scheide. Wie? Was? Ein niedrig geborener Sklave? Der verfluchte Sohn einer Dirne, den Dschehanara begünstigt! Mit Fahnen, mit Standarten, mit Infanterie und Kavallerie, der Schamlose, der Unzüchtige! Schwerter heraus, reißt ihn von seinem Elefanten, haut alles in Stücke! – –

Der Keulenträger ist gleich dabei, will den Befehl weitergeben. Aber Mahabet Khan besinnt sich, macht ein Zeichen, innezuhalten, lehnt sich röchelnd in der Sänfte zurück. Nein, ich beschmutze meinen guten Säbel nicht an diesem Schakalblut! Er soll vom Henker auf einen Pfahl gespießt werden und nicht auf die Lanzen meiner Reiter! Bei der Kaaba, wir wollen doch sehen, ob das Reich der Mogulen schon so weit herabgekommen ist, daß die niedrigen Buhler leichtfertiger Weiber einen großen Heerführer beleidigen dürfen! Schah Dschehan muß Genugtuung gewähren, und wenn nicht – – zur Audienz, zum König! – – Aber halt, zuerst nach Hause. Wenn Haremssklaven mit Fahnen und Standarten aufziehen, ist es eines großen Emirs nicht würdig, ebenso zu erscheinen.

Ein Blick der Wut hinauf zur Höhe des Elefanten. Der junge Dulera sitzt lässig dort. Dort oben, unter einem roten Sonnenschirm, den ein Sklave hält. Dulera lächelt ein wenig spöttisch, spuckt scharlachroten Betelsaft aus. Blut und Mord! Pfählen! Von Hunden zerreißen lassen, ihn seinen eigenen Elefanten zum Zertrampeln vorwerfen. Mahabet Khan befiehlt seinen Leuten, umzukehren. Es ist schwer, man muß die drängende, schreiende Menge rücksichtslos beiseite peitschen.

Buchschmuck

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