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Begegnung

Ein trüber Tag braut um den Stephansdom. –
Die Menschen eilen hastig durch die Kälte,
die scharfer Märzwind auf den Lippen trägt.
Allein zu Füßen des gewalt'gen Baus
blüh'n aus den Körben erste Frühlingsboten:
Palmkätzchenzweige, Schneeglöckchen und Primeln
und setzen helle Lichter in das Grau.
Und drüber schlingen sich die Wunderblumen
der Kunst zum Kranz und reichen Ornament.

Ich steh' versunken in das Steingerank,
das uns're alten Meister ausgesponnen
als Zierrat ihres ewigen Gedankens,
der in dem Turm zur höchsten Spitze stieg.
Da stürzt mir meine Kindheit jäh entgegen
und schlägt die Flügel wie ein wilder Schwan.
Was ist es nur? … Dort aus der Kirchenpforte,
aus der gedämpfter Orgelton erschallt
und wo der rote Schein der Kerzen flimmert,
kommt müden Schritts ein Greis in der Soutane.
Und seine Züge, die ich wiederfinde,
ob auch die Jahre sie verändert haben,
sind stumme Grüße aus dem Kinderland.

Er sieht mich nicht … Er würde mich nicht kennen -
Es wallt der breite Strom des Straßenlebens
laut zwischen uns, – und nicht nur dieser Strom.
Zu viele Jahre sind dahingeflossen,
seit ich zu seinen Füßen horchend saß,
zu viele Wellen trennen einst und jetzt.
Es brandete die Zeit an uns vorbei,
seitdem mein Kahn von seinem Eiland stieß,
den blauen Lebensfluten sich vertrauend,
den Kiel nach immer neuem Licht gewandt. …
Mein Blick umfasst den vielgeliebten Dom,
das Bild des Greises und die Frühlingsblumen
und durch die Seele klingen leise Worte,
ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wo gehört,
und heben sich vom Hintergrund der Zeiten
wie Kerzenflammen aus dem Kirchendunkel,
wie dieses Frühlingsbunt vom grauen Stein:

             »Ein jeder Weg führt aufwärts, wenn wir wollen.
            Es sind der Straßen auf den Gipfel viel.
            Und keiner soll dem Bruder darum grollen,
            dass einen andern Pfad er suchen will.
            Es steigt in hundert wechselnden Gestalten
            der Wille zur Vollendung auf ans Licht,
            gleichwie mit hundert wechselnden Gewalten
            der Lebensfunke aus den Hüllen bricht.
            Der eine geht mit aufgeschlossnen Sinnen,
            der andre tastet sich durchs Dunkel hin …
            Was gilt der Weg? … Die Höhe zu gewinnen,
            ist alles Wanderns Zweck und letzter Sinn …«

So klingen leise Worte durch die Seele,
ich weiß nicht wann, ich weiß nicht wo gehört:
Doch ist's, als müsste ich die Hände breiten
nach diesem Gruß aus der Vergangenheit
und müsste über Strom und Zeiten winken
und müsste über Strom und Zeiten sagen:

             »Der Pfade viele führen zur Vollendung!
            Ich - geh' nur einen andern Weg zum Licht …«

So grüß' ich stumm von meinem andern Ufer
den Greis in der Soutane, dessen Blick
und dessen Schritt vom Leben müd' geworden,
den hohen Dom, an dessen grauem Fuß
Palmweidenkätzchen, Schneeglöckchen und Primeln
die hellen Lichter ihrer Freude zünden,
und grüß' dich, goldne Jugend jedes Frühlings,
und grüß dich, ew'ge Größe der Gedanken,
und grüße dich, – mein grünes Kinderland …


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