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»Meine erste Liebe hatte weder Anfang noch Ende. Mein Geliebter kam vom Mond, zum Mond kehrte er zurück, und ich weiß nicht einmal seinen Namen. Freilich gab er einen an und obendrein einen sehr hochadligen, aber ich weiß nicht recht, warum er sich gerade in der Frage des Namens an die Wahrheit gehalten haben sollte.
Mein Vater war ja Beamter, und als er pensioniert wurde, brach eine schwere Zeit für mich an. Er war furchtbar pedantisch und hatte jetzt nur mich zu kommandieren. Ich mußte so all die Vorschriften und Rügen über mich ergehen lassen, die sich früher aus ein halbes Dutzend Kanzlisten und Amtsdiener verteilt hatten. Das war zuviel für ein junges Mädchen. Mein Sinn wurde trotzig, und ich war nicht weit davon entfernt, einen Haß gegen meinen armen Vater zu fassen. Ich hätte mich sicherlich aufgelehnt und irgendein Malheur angerichtet, wenn nicht meine erste Liebe dazwischen gekommen wäre und mich in meinen eigenen Augen schuldig und infolgedessen unterwürfig gegen meinen Vater gemacht hätte.
An einem Mondscheinabend, als ich von einer Freundin heimkehrte und das Herz mir bis in die Halsgrube schlug – denn ich hatte mich um fünf Minuten verspätet –, stand plötzlich mein Geliebter vor mir. Er war nur um einige Jahre älter als ich, die ich eben sechzehn geworden war; sein Aussehen war romantisch und machte einen starken Eindruck von Unzuverlässigkeit. Er erklärte mir sofort seine Liebe. Mir war dies eine zwar angenehme, aber überraschende Neuigkeit, da ich ihn nie zuvor gesehen hatte und er mich ebensowenig. Er beachtete meine Verlegenheit gar nicht, sondern begann von sich selbst zu erzählen. Er deutete an, daß er eine stürmische Vergangenheit hinter sich habe und sich eine noch stürmischere Zukunft erwarte. Der Gemütsart nach war er düster und erheblich bitterer und haßerfüllter als ich; er lebte eigentlich mehr aus Trotz, als weil es ihm irgendein Vergnügen bereitete. Schließlich wollte er Zeit und Ort für eine wirkliche Liebeszusammenkunft bestimmen. Ich hatte mit steigendem Interesse zugehört, aber nun fand ich, daß ich auch einmal den Mund aufmachen könnte. Ich erklärte, daß diese Zusammenkunft auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen würde; denn mein Vater, der fürchtete, daß man mich entführen könne, hielt mich so gut wie in gefänglichem Gewahrsam. Ich gab ihm zu verstehen, daß ich keineswegs das unbeschriebene Blatt sei, für das er mich hielt, und daß gewisse Erfahrungen mich skeptisch und kalt gemacht hätten. Kurz, ich flunkerte ihm ungefähr ebensoviel vor, wie er mir aufgebunden hatte, und wir schieden, zufrieden mit uns selbst und miteinander.
Am folgenden Tage, als mein Vater und ich unserem Morgenspaziergang machten, begegneten wir meinem Geliebten. Mein Herz klopfte heftig, aber es wäre fast stehengeblieben, als er, gerade als er an uns vorüber war, sich umdrehte und mir einen Brief reichte, indem er sagte: ›Die Dame hat etwas fallen lassen.‹ Vater dankte ihm artig und tadelte mich wegen meiner unglaublichen Unachtsamkeit. Ich war vor Gemütserregung machtlos, und noch matter wurde ich, als ich endlich Gelegenheit fand, den Brief zu lesen. Er enthielt etwas Schreckliches: Wenn ich nicht zu einem bestimmten Glockenschlag meinen Geliebten vor unserem Hause träfe, würde er sich auf unserer Treppe erschießen. Da ich wisse, wie heiß er mich liebe und wie gering er sein Leben einschätze, dürfe ich nicht daran zweifeln, daß er Wort halten werde. Ich zweifelte auch keinen Augenblick, und meine Angst war ungeheuerlich, bis mir einfiel, daß der bestimmte Glockenschlag tatsächlich höchst günstig gewählt war. Gerade zu diesem Glockenschlag begab sich mein Vater mit gewohnter Regelmäßigkeit an einen Ort, der dazumal in Provinzstädten im Hinterhof gelegen war. Hier verbrachte er eine Viertelstunde, weder mehr noch weniger, und der Weg hin und zurück nahm fünf Minuten in Anspruch. Zwanzig Minuten standen also zu unserer Verfügung. Wir nützten sie an diesem Tage und den folgenden mit einer Pünktlichkeit aus, die nicht einmal von der meines Vaters übertroffen wurde. Und unsre Liebe wuchs.
Aber mein Vater erkrankte, und der Umstand, daß diese Krankheit sein ganzes System von Gewohnheiten umwarf und seine Zeiteinteilung änderte, hätte mir sagen können, wie ernst sie war. Das verstand ich jedoch nicht, und mein ganzes Sinnen und Trachten war nur darauf gerichtet, meinen armen Vater zu überlisten und mich zu den Zusammenkünften mit meinem Geliebten zu stehlen. Ich bildete mich rasch zu einer geschickten Lügnerin aus. Andrerseits suchte ich meine Sünden dadurch wettzumachen, daß ich meinem Vater außerordentliche Dienstfertigkeit bewies, und ich wäre sicherlich nicht halb so aufopfernd gewesen, wenn ich ihn nicht betrogen hätte. Schließlich konnte er sich nicht länger aufrechthalten; und da er niemand anderen als mich in seinem Zimmer dulden wollte, war ich so gut wie den ganzen Tag an sein Bett gefesselt.
Ich suchte ihn zu zerstreuen, so gut ich konnte, und dies wäre eine leichtere Aufgabe gewesen, wenn er sich für etwas anderes interessiert hätte als den Amtskalender. Er unterhielt sich mit mir über die Beförderungen in den verschiedenen Ressorts; ich mußte bald diesen, bald jenen Beamten nachschlagen, und wir berechneten zusammen seine Dienstjahre und seine Aussichten.
Unterdessen saß ich da und dachte an meinen Geliebten, mit Sehnsucht natürlich, aber noch mehr mit Angst, denn ich war überzeugt, daß er eines schönen Tages zu uns hereinstürzen oder das Haus in die Luft sprengen oder irgendeine andere Verzweiflungstat begehen werde. Ich wußte mir nicht zu raten und lebte in großer Unsicherheit. Aber Vaters Pünktlichkeit kam bald zu ihrem Recht; er richtete sich neue zuverlässige Gewohnheiten ein. Ich beobachtete, daß er Schlag neun Uhr jeden Abend einschlummerte, um wieder aufzuwachen, wenn die Uhr elf schlug. Zwischen diesen Glockenschlägen brauchte ich nicht zu befürchten, gerufen zu werden. Es gelang mir, meinem Geliebten das mitzuteilen, und ich forderte ihn auf, sich um neun Uhr in unserem Hof einzufinden, um zwei Stunden meine Gesellschaft zu genießen. Vaters Schlafzimmer ging nämlich auf den Hof; es war Sommer, und er schlief bei offenem Fenster. Ich konnte also auch vom Hof aus über ihn wachen und hören, wenn er rief.
Dieses Arrangement entsprach in hohem Grade meinen Anforderungen an ein vollkommenes Glück. Ich durfte meinen Geliebten treffen und lebte in tödlicher Angst vor der Entdeckung. Ich betrog meinen Vater und wurde von nagender Reue gepeinigt. Das Leben war von Spannung erfüllt.
Mein Geliebter sah unser Verhältnis mit nicht weniger tragischem Blick an als ich. Er schlug vor, wir sollten Vater vergiften. Ich weigerte mich bestimmt; hingegen erklärte ich mich bereit, mit meinem Geliebten wann und wohin immer durchzugehen. Denn ich wollte wahrlich nicht, daß er glaube, ich sei irgendein braves Haustöchterchen, wenn ich auch vor einem Vatermord zurückscheute. Der Gedanke, durchzugehen, sagte auch ihm zu, und wir saßen auf der Bank unter Vaters Fenster, und der Mond leuchtete auf uns, und Vater schnarchte, und wir umarmten und küßten uns und schmiedeten unsre Pläne.
Mein Geliebter hatte, wie er sagte, ein Gut in Schoonen, und zwar eines der allergrößten und prächtigsten, das man sich nur denken konnte. Mit diesem Gut war ein tragisches Geheimnis verknüpft. Die Stiefmutter meines Geliebten hatte seinen Vater vergiftet und lebte nun auf dem Gut mit ihrem Liebhaber zusammen. Sie hatte auch versucht, ihren Stiefsohn zu vergiften, und wenn er sich im Schlosse einfände, konnte er seines Todes so gut wie sicher sein. Um das Recht auf das Gut geltend zu machen, brauchte er jedoch gewisse Papiere, die das böse Weib an einem unbekannten Ort verwahrte. Er schlug nun vor, wir sollten durchgehen, ich sollte verkleidet eine Stelle auf dem Gut annehmen, mich in das Vertrauen der Stiefmutter einschleichen und ihr die Papiere rauben.
Das war der ursprüngliche, recht simple Plan. Doch mit jedem Abend wurde er immer komplizierter. Neue Schwierigkeiten tauchten auf, neue Feinde stellten sich unserm Glück in den Weg. Namentlich ist mir eine Tante in lebhafter Erinnerung, die mit überaus markanten Zügen ausgestattet war. Es war eine unheimliche Alte, bösartig für zwei und mit etlichen Verbrechen auf dem Gewissen; aber sie war dabei listig wie der Teufel. Ihr Scharfsinn nötigte uns, unseren Plan immer verwickelter zu gestalten. Ich wollte sie durch Gift oder Ersticken töten; denn mein Geliebter hatte mich gelehrt, ein Menschenleben nicht allzu hoch einzuschätzen. Aber er lächelte geheimnisvoll und erwiderte: ›Glaubst du, das hätte ich nicht schon versucht?‹ Er geriet immer in heftigen Aufruhr, wenn er nur an diese entsetzliche Tante dachte, und ich mußte ihm oft die Hand auf den Mund legen, damit er meinen Vater mit seinen Ergüssen nicht wecke.
Wenn ich des Morgens zu meinem Vater hineinging, hatte ich immer entsetzliches Herzklopfen. Ich erwartete, daß mein Geheimnis früher oder später entdeckt werden würde, und ich war auf etwas Furchtbares gefaßt. Vater sah auch oft sehr gequält und betrübt aus, aber das kam wohl von der Krankheit. Sein Zustand verschlimmerte sich. Eines Tages sagte der Arzt zu mir: ›Du wirst deinen Vater nicht mehr lange behalten.‹ Ich glaubte es nicht. Aber am selben Tage ließ mein Vater ein paar Freunde zu sich rufen. Ich lauschte an der Tür und hörte, wie Vater sich mit ihnen beriet und Bestimmungen über sein Begräbnis traf. Da war ich ganz verzweifelt, und mein erster Gedanke war: nie mehr werde ich ihn auch nur für einen Augenblick verlassen. Doch als die Uhr neun geschlagen und Vater eingeschlummert war, schlich ich mich doch in den Hof hinaus. So machte ich es an diesem Abend, und so machte ich es an den folgenden.
Da saßen wir, und dort drinnen lag mein Vater, der bald sterben sollte. Mein Geliebter sprach oft so laut, daß seine Stimme Vater sehr leicht hätte wecken können; und ihn zum Schweigen zu mahnen, nützte nicht viel wegen seines lebhaften Temperaments. Aber mehr als die Angst quälte mich doch die Scham. Ich log Vater an, ich betrog ihn. Mein Herz war gequält. Ich träumte nachts, daß wir auf der Bank saßen und Vater plötzlich aus dem Fenster hervortrat, blauweiß und mit verzerrtem Gesicht, übrigens geradeso, wie ich ihn dann im Todeskampf sah. Ich war schließlich so überreizt, daß das kleinste Geräusch mich am ganzen Körper zittern ließ.
Endlich merkte mein Geliebter, daß ich mich verändert hatte; er fragte, was mir sei. Ich erzählte, was der Arzt über meinen Vater gesagt hatte. Mein Geliebter ließ mich los und sah zu der dunklen Fensteröffnung auf. Dann wendete er sein Gesicht mir zu, aber sah wieder weg und rückte ein Stück von mir ab. So saßen wir im Mondschein, stumm. Ich weiß nicht, wie lange, aber lange war es. Endlich erhob sich mein Geliebter, und ohne mich anzusehen, sagte er: ›Hier sitzest du, und drinnen liegt dein Vater. Wer weiß? Vielleicht stirbt er gerade jetzt.‹
Mein Geliebter ging, und ich dachte: ich sehe ihn nie wieder. So war es auch. Er verschwand ganz einfach, ließ nie mehr von sich hören. Vom Monde kam er, und zum Monde kehrte er zurück. Ich aber hatte damals nur einen Gedanken und einen Wunsch: ich wollte Vater alles gestehen. Bevor er starb, mußte ich ihm alles sagen, sonst würde ich nie Frieden finden. Den ganzen folgenden Tag ging ich herum und suchte nach einer Gelegenheit, aber der Mut verließ mich. Vater schlief wie gewöhnlich um neun Uhr ein, und diesen Abend blieb ich an seinem Bett sitzen. Nach einem kleinen Weilchen erwachte er wieder. Er sah mich an und zog die Augenbrauen zusammen, wie er es zu tun pflegte, wenn er sich über etwas wunderte und nachdachte. Er sagte: ›Willst du heute abend nicht ausgehen?‹ Ich murmelte etwas und eilte in mein Zimmer. Ich konnte nicht einmal weinen. Wußte mein Vater etwas? Und was wußte er? Ich dachte: Er weiß alles, aber er kann es nicht einmal über sich bringen, mich zu tadeln. Es ekelt ihm vor mir, weil ich eine Dirne bin, die ihren sterbenden Vater betrügt. Und ich wußte, daß ich nicht die Kraft haben würde, meine Schuld zu gestehen, und ihn um Verzeihung zu bitten.
Den ganzen nächsten Tag saß ich stumm an seinem Bett und vermochte kein Wort zu sagen. Vater war auch stumm. Um neun Uhr schlummerte er ein und schlief etwa zehn Minuten. Dann hob er plötzlich den Kopf und sagte: ›Gedenkst du heute abend auch nicht auszugehen?‹
Da brach mein Herz in zwei Hälften, und mein Herzblut verströmte in Tränen. Und mit den Tränen das Geständnis. Ich lag auf den Knien vor seinem Bett und erzählte alles. Vater ließ mich reden und weinen, und ich tat beides recht lange. Endlich verstummte ich und wartete auf mein Urteil.
Vater sagte: ›Es wird wirklich Zeit, mir das zu erzählen, nachdem ich schon seit Wochen daliege und euch zuhöre.‹ Und er grübelte ein wenig nach. Denn sein ganzes Leben lang hatte er nie eine übereilte Handlung begangen oder ein unbedachtes Wort gesagt. Endlich streichelte er mir die Wange, was Verzeihung bedeutete. Und er sagte:
›Eigentlich sollte ich dir sehr böse sein und noch mehr diesem jungen Lümmel, der mich vergiften wollte. Das sollte ich. Aber andrerseits hat er mir viele schwere Stunden vertrieben, und du hast mir gerade keinen Gefallen getan, wenn du ihn zum Schweigen gemahnt hast. Ich hätte doch gerne gewußt, wie er schließlich mit dieser gräßlichen Tante fertig werden wollte. Ja, es tut mir wirklich leid, daß ich das Ende der Geschichte nicht hören soll, denn sie war spannend...‹
Seither«, fuhr Betty fort, »habe ich mir gedacht und es zuweilen auch bestätigt gefunden, daß wir vielleicht die Bedeutung unserer Handlungen übertreiben, der bösen nicht weniger als der guten. Vielleicht schläft auch der liebe Gott bei offenem Fenster, und wenn wir einmal auf zitternden Beinen unsre Sündenlast vor seinen Thron schleppen, wird er vielleicht sagen: ›Eigentlich sollte ich dir sehr böse sein, aber andrerseits hast du mir so manche lange Stunde vertrieben...‹«
»Verlassen Sie sich nicht darauf, mein kleines Fräuleinchen!« schnauzte der Pastor sie unwirsch an. »Denn sonst könnten Sie seinerzeit unangenehm überrascht sein. Die Hölle schluckt, die da sündigen, so sicher, als die Sonne den zergangenen schmutzigen Schnee auftrocknet. Das steht so ziemlich felsenfest. Und für die Sünder gegen das sechste Gebot brennt ein besonderes Feuer, dessen Flammen schon über die Erdrinde schlagen. Denn sicherlich sieht man sie bereits im irdischen Leben brennen. Wer die schwere Pflicht gehabt hat, Jan-Petter Janselius die letzte Ölung zu geben, weiß wohl, wie heftig die Hitze schon diesseits des Grabes zu werden beginnt.«
Die Andeutung, wo man den verblichenen Herrn von Larsbo gegenwärtig zu suchen habe, rief keinerlei Erregung hervor, außer bei der Witwe, die sich hastig abwandte, und bei Ludwig, der schrie:
»Herrjegerle! Jetzt fängt der Herr Pastor wieder an, gemütlich zu werden. Aber hier hat einer nach dem anderen schlagende Beweise für die Wichtigkeit und Bedeutung der Liebe in ihren verschiedenen Wandlungen und Gestalten angeführt; und ich will mich, weiß Gott, meiner Pflicht nicht entziehen, sondern jetzt müssen die Zwillinge dran! Ich werde die Geschichte mit solchem Anstand erzählen, daß weder der Herr Generalagent noch Tante Sara ein Haar in ihr finden werden.
Es war einmal ein männliches Zwillingspaar von edelster Gestalt und vollkommenster Ähnlichkeit. Diese Ähnlichkeit erstreckte sich auch auf Neigung und Geschmack, sodaß sie dasselbe Mädchen liebten.
Da sagte der eine zu dem andern: ›Das mit uns zweien ist solch ein Fall, wo die Braut die Wahl treffen muß.‹
Und sie gingen zu dem Mädchen und freiten um sie und baten sie, zu wählen, ohne sich zu genieren. Sie betrachtete sie von vorn und von hinten, und drehte sie und befühlte sie und bat sie, die Zunge herauszustrecken, ließ sie traben und galoppieren und drückte sie auf die Flanken und sah ihnen in den Mund – kurz, ging ebenso gewissenhaft vor wie bei einem Pferdekauf. Aber es war glatt unmöglich, auch nur den leisesten Unterschied zu entdecken.
Da legte sie aufs Geratewohl die Hand auf den einen und rief: ›Dich nehme ich, denn sonst werde ich verrückt. Aber dein Bruder muß sofort nach einem anderen Weltteil fahren, denn die Liebe ist ewiglich und unwandelbar und währet das ganze Leben, und ich will nichts mit Verwechslungen oder anderen Scherereien zu tun haben.‹
Das waren kluge Worte, und so geschah es. Aber die Zwillinge waren Seeleute, und das Schicksal wollte es, daß sie sich doch noch einmal treffen sollten, und es blies so pfiffig auf ihre Schiffe, daß sie irgendwo ganz weit weg in denselben Hafen einliefen. Man denke sich ihre Freudentränen!
Als sie sich gegenseitig ihre Abenteuer erzählt hatten, sagte der Unverheiratete: ›Bruder, eine Frage: Bist du glücklich in deiner Ehe?‹ – ›Da kannst du Gift drauf nehmen‹, versetzte der andere. ›Meine Ehe ist die glücklichste auf der Welt, und wir lieben uns Tag und Nacht das liebe lange Jahr, so daß wir Blasen auf den Lippen kriegen. Aber überdies haben wir einen heiligen Eid geschworen, zusammen zu sterben und einander auch nicht um einen Tag zu überleben.‹ – ›Herrjegerle!‹ rief der Zwilling. Und in seiner tiefen Bewegung wollte er den Bruder umarmen, aber er stellte sich dabei so ungeschickt an, daß er ihn vom Ufer hinunterstieß ins Meer. Es wäre eine Kleinigkeit gewesen, ihn herauszuziehen, aber der Zwilling hatte sein Sonntagsgewand an, und während er es ablegte und zusammenfaltete, wie seine Mutter es ihn gelehrt hatte, kam ein Hai und fraß den unglücklichen Bruder auf.
Nachdem der Unverheiratete den Verheirateten bitterlich beweint hatte, sagte er zu sich selbst: Wie wird das nun mit der kleinen Schwägerin? Das ist eine fatale Geschichte für sie. Namentlich in Anbetracht dieses heiligen Schwurs, ihren Gatten nicht zu überleben. Es wäre jammerschade um das Frauenzimmer.
Er grübelte ein Weilchen nach und ging dann an Bord von seines Bruders Schiff und sagte: ›Hier habt ihr mich wieder, ihr Halunken! Na, kennt ihr mich nicht?‹ Die Kerls antworteten: ›Dich kennt man schon, du Schweinehund, und wenn's stockfinstre Nacht wäre!‹ Da fühlte er sich sicher vor Entdeckung und segelte mit seines Bruders Schiff heimwärts. Zu Hause ging es ebenso, niemand bezweifelte, daß er der verheiratete (und nunmehr verstorbene) Zwilling sei. Allerdings war ihm etwas flau zumute, als er vor die prüfenden Blicke des geliebten Weibes trat; allerdings war er etwas unruhig, nicht allen Erwartungen voll zu entsprechen. Aber das waren unnötige Sorgen. Denn die Wissenschaft lehrt uns, daß Zwillinge dieser Sorte einander bis in die kleinste Einzelheit gleich sind. Er bestand die Probe, und die Folge war, daß sie viele, viele Jahre froh und zufrieden lebten.
Bis sie die goldene Hochzeit feiern sollten. Da kam es zum Krach und ging in die Brüche, wie man so sagt. Da saß auf ihrem Salonsofa die feine, zarte, alte Dame mit schneeweißem Haar und neben ihr der wettergebräunte Greis und hielt ihre Hand in der seinen. Und die Alte dankte dem Höchsten, der sie in einer langen glücklichen Ehe ohne Verwicklungen und Schwulitäten hatte leben lassen. Fein und wie geschmiert war es immerzu gegangen und hatte in keinem einzigen Punkt versagt. Bald lobte sie ihren Gott, bald ihren Mann und die ganze Zeit sich selbst. Sie wühlte in ihren Erinnerungen, tat dem Alten schön und sagte zu ihm, er sei heute noch ganz derselbe wie vor fünfzig Jahren. ›Und immer bist du mein lieber, guter Alter gewesen‹, sagte sie, ›und dir gleich einen Tag wie den anderen. Ausgenommen damals, als du von jener Reise in fernen Gewässern heimkamst. Da hattest du dich ein klein bißchen verändert. Aber nur zu deinem Vorteil, so daß du noch flotter und forscher warst und du mir nach dieser Reise fast noch besser gefielst.‹
Da dachte der falsche Zwilling: Jetzt ist der richtige Augenblick für einen Gentleman, Farbe zu bekennen und die Karten auf den Tisch zu legen. Ich will nicht mit einer Lüge auf dem Gewissen in die Grube fahren. Und in schonenden Ausdrücken, mit schönen Denksprüchen gespickt, schilderte er das betrübliche Ereignis und beteuerte, daß er gern dem Haifisch seinen besten Schnupftabak in die Augen geworfen hätte, wenn er damit seinen unglücklichen Bruder hätte retten können. Aber weder seine schonende Art noch seine edle Denkungsweise halfen im allergeringsten. Die Alte geriet außer sich, weinte und schlug um sich, kurz, gebärdete sich, als ob sie das ganze Haus einreißen wollte. Und die ganze Zeit rief sie: ›Das wurmt mich! Das wurmt mich!‹ Der Zwilling war beinahe ein bißchen beleidigt. Er hatte immer sein Bestes getan, um ihr alles recht zu machen. Und daß sie Witwe geworden, war ja nicht seine Schuld, sondern die des Hais. Übrigens hatte sie weniger Nachteile davon gehabt als sonst Witwen insgemein. Und er rappelte sich auf und sagte: ›Was wurmt dich denn, du närrische Trine? Hast du nicht selber gesagt, daß du gar keinen Unterschied zwischen mir und meinem Bruder gemerkt hast, sondern daß wir uns sozusagen das ganze Leben hindurch gleichgeblieben sind?‹
Aber die Alte schrie: ›Das wurmt mich doch eben. Wenn das Schicksal mich nun schon zur Witwe gemacht und mich verlockt hatte, den heiligen Eid, den ich meinem armen Manne geschworen habe, zu brechen, so hätte ich doch wenigstens ein bißchen Abwechslung davon haben können!‹
»Das ist eine gute Geschichte«, schloß Ludwig seine Erzählung. »Und wenn ich auch Tante Saras wegen die feinsten Pointen durch Blinzeln und Räuspern ersetzen mußte, werdet ihr wohl alle das Gefühl haben, daß dies eine tragische Geschichte aus dem wirklichen Leben ist. Will der Herr Pfarrer sie vielleicht Sonntags einlegen, und darf ich die Reklame besorgen, so garantiere ich ein ausverkauftes Haus!«
Dieser grobe Scherz mit dem würdigen Seelsorger wurde von vielen Seiten mit Unwillen aufgenommen, aber der leibliche Sohn des Pastors brach in ein leises, wieherndes Kichern aus, das nebst dem Mienenspiel deutliche Bewunderung für den humorvollen Geist des jungen Grafen ausdrückte. Und Ludwig war betroffen. Er sagte zu Brita:
»Was ist denn in den Esel gefahren? Schau, wie er grinst, wenn ich seinen Vater gröblich beleidige! Hat der Zorn die Fackel seines Verstandes ausgelöscht?«
Er stand auf, ging zu dem Pastorssohn hin und sagte:
»Hört der Herr? Hat der Herr mich nicht vorhin hinter dem Stall sprechen wollen?«
»Ich weiß nicht recht«, murmelte der Pastorssohn und lächelte verlegen. Aber Ludwig runzelte grübelnd die Stirn und kehrte zu Brita zurück, die sagte:
»Ruhe, mein Engel! Der wird kein Haar auf deinem Kopfe krümmen, wenn ich so weiter tun kann.«
»Weiter tun?« wiederholte Ludwig.
»Geliebter Ludwig«, sagte Brita, »glaubst du, ich werde es zulassen, daß dieser Flegel dich verprügelt und vielleicht dein schönes Kinderantlitz verunstaltet? Seit einer halben Stunde habe ich ihn in Behandlung, obwohl du blinder Maulwurf nichts gemerkt hast.«
»Wieso Behandlung?« fragte Ludwig.
Und Brita antwortete: »Ich wärme ihn an. Ich werde schon zeigen, daß ich diese Kunst ebensogut verstehe, wie Betty und Lizzy. Schau, wie er rot wird! Der Flegel wird sich nicht schlagen, sag' ich dir, es sei denn meinetwegen.«
Nun erblaßte Ludwig, und als er sah, wie sein geliebtes, treues Mädchen einen anderen aufs Korn nahm, es auf ihn anlegte und ihn mit blitzenden Blicken beschoß, murmelte er leise zu sich selbst:
»Gibt es ein größeres Gesindel als die Weiber? Wird bezweifelt!«
Aber Lotte Brenner sagte:
»Das war die Geschichte von einer goldenen Hochzeit, und ihrem Gehalt nach war sie ebenso dumm und nichtsnutzig, wie der Erzähler selbst. Aber ich denke daran, wie es mit mir armen Mädchen sein wird, wenn ich gealtert irgendwo ganz allein sitze, wenn kein Freund meine Wange streichelt, wenn ich ganz aufgehört haben werde zu gefallen. Dieser Gedanke bringt mich zur Verzweiflung.«
Sie kraute sich lebhaft im Haar und nahm – zur schlecht verhehlten Verwunderung des Generalagenten – ihr kleines Pfeifchen hervor, stopfte es, zündete es an, machte einige kräftige Züge und spuckte dann weit in den Park hinaus.
»Übrigens«, fuhr sie fort, »bin ich selbst als kleinwinziges Mädchen hier auf dem Gut auf einer goldenen Hochzeit gewesen. Und die fiel merkwürdig aus. Das war zu Lebzeiten meiner Tante, der Gräfin, vor Jan-Petters Zeit. Wollt ihr hören?«
Und sie erzählte die Geschichte von: