Alice Berend
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel
Alice Berend

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Zimmer, die lange Zeit kein Mensch betrat, müssen erst wieder lebendig werden.

Schränke, die im lautlosen Dunkel das Aus und Ein und Auf und Zu ihres Daseins verschliefen, gähnen kreischend in den Angeln, wenn sie wieder ihrem Zweck erschlossen werden. Uhren, die stillstanden, finden sich nicht gleich in dem Lauf der neuen Zeit zurecht, wenn man ihren Pendel wieder in Schwingung versetzt.

Der ganze Haushalt mußte erst wieder die Hand des Herrn zu fühlen bekommen.

Herr Sebastian Wenzel hatte viel zu tun.

Fast in jedem Laden der Straße war eine kleine Anschaffung zu machen. Überall war man erfreut, den alten Herrn gesund wiederzusehen. Die sonst so fest verschlossene Tür der Wohnung blieb am ersten Tage nur leicht angelehnt. Handwerker, Werkzeug in den Händen, gingen ein und aus.

Mitten in das vorsichtige Gehämmer und Geklopfe, womit die kleinen Schäden von Herrn Sebastian Wenzels Reise ausgebessert wurden, schlich sich Amalie Zwink lächelnd ein.

Die Freundschaft der Nachbarn war vor Herrn Wenzels Abreise allerdings sehr maßvoll gewesen. Aber Entfernung verschönt, und daher, dachten beide jetzt freundlicher voneinander.

Fräulein Zwink war froh, ihren alten schweigsamen Zuhörer wieder hierzuhaben, und für Herrn Sebastian Wenzel gehörte Fräulein Amalie Zwink ein wenig mit zu den vertrauten Möbeln, dem behaglichen Fenster und der freundlichen Straße.

Als sie nun lächelnd vor ihm stand und fragte:

»Störe ich?« – antwortete Herr Wenzel freundlich:

»In diesem Augenblick nicht besonders« – bot ihr einen Platz am Fenster an, setzte sich ihr gegenüber und sah sie prüfend an.

Sie schien sich gar nicht verändert zu haben. Nur oben auf dem Kopf saß ein hellgrünes Schleifchen, das Herr Wenzel früher niemals bemerkt zu haben glaubte. Er irrte sich nicht. Das Schleifchen war ein Zeichen des jungen Frühlings, der jeden kahlen Fleck mit neuem Grün bedeckt.

Amalie Zwink fand ihren Nachbarn etwas verändert. Vornehmer geworden. Er war ein weitgereister Mann, der ein großes Stück Welt gesehen hatte.

Herr Sebastian Wenzel fragte, ob sie den Kampfergeruch noch sehr stark fände, und was man dagegen tun könne. Dann erzählte er von dem unangenehmen Quietschen der Schranktüren, dem die Arbeiter jetzt Abhilfe schaffen sollten. Auch daß er sofort zwei Uhren zu Heinrich Siebenlist hatte hinüberschaffen müssen. Die eine wäre nicht pünktlich gewesen, und die andere hatte noch nach dem Schlagen lange vorwurfsvoll gebrummt. Als wäre sie verstimmt, weil sie nun wieder arbeiten mußte. Unwilligkeit will man aber nicht um sich dulden.

Dann erkundigte er sich, ob es schon neuen Spargel gäbe und wie die Preise der großen Edelkrebse stünden. Letzteres interessierte ihn sehr.

Fräulein Zwink hatte ihn erstaunt angehört. Mit demselben gewaltsamen Lächeln, das sie früher für ihre besten Kundinnen bereitgehalten hatte, wenn sie durch unnützes Reden den Abschluß des Kaufes hinauszogen. Endlich aber durchbrach sie doch die Fragenreihe Herrn Wenzels und rief:

»Aber Ihre Reise? Erzählen Sie doch, wie war es denn?«

»Sie wissen doch, wo ich war«, sagte Herr Wenzel erstaunt. »Sandte ich Ihnen nicht auch eine Karte mit der Abbildung des Hotels?«

»Gewiß, aber – Sie sprechen, als wären Sie überhaupt nicht fortgewesen. Ganz unverändert sind Sie zurückgekommen.«

Trotz aller Gegenbestrebungen merkte man der Stimme des alten Fräuleins die Enttäuschung an. Man hört gern etwas Neues. Ein heiteres oder schauerliches Reiseabenteuer, wenn man selbst immer zu Haus ist. Man will das bißchen Buntheit haben, das zum Leben gehört.

»Ganz unverändert sind Sie zurückgekommen«, wiederholte sie.

»Ja, was dachten Sie denn?« sagte Herr Wenzel ärgerlich. »Niemand kann aus seiner Haut. Und wenn er die Welt umreist, was übrigens sehr überflüssig ist, denn ein Hotel gleicht dem andern. Und keins kann uns die eignen Zimmer ersetzen. Ja, dachten Sie, ich komme als Italiener zurück, weil ich in Italien war?«

»Nein, durchaus nicht«, versicherte Fräulein Zwink. Sie fürchtete, daß die neu gekittete Freundschaft schon wieder in die Brüche gehen wollte.

»Aber Sie müssen doch an Riesenbergen, großen Strömen, fremden Städten vorübergekommen sein?«

»Sie müssen bedenken, daß man an vielen bei Nacht vorüberfährt«, erwiderte Herr Sebastian Wenzel.

Aber Fräulein Zwink war nicht so recht getröstet.

»Ist der Himmel da unten wirklich so blau?« fragte sie aufs neue.

»Haben Sie richtige Apfelsinen wachsen sehen?«

Herr Wenzel nickte.

»Ja, das wohl. Aber Sie haben gewiß schon Äpfel an Zweigen beobachten können. Es ist genau dasselbe. Nur, daß es eben Apfelsinen sind. Der Himmel ist bei gutem Wetter unstreitig sehr blau. Aber schließlich spaziert man doch nicht als Hans Guckindieluft in der Welt herum.«

Es entstand ein kleines Schweigen. Beide sahen zum Fenster hinaus.

Fräulein Zwink dachte an den Himmel, der bei gutem Wetter unstreitig sehr blau ist. Herrn Wenzels Augen folgten einem mit Koffern bepackten Wagen.

»Es würde nicht soviel gereist werden, wenn die Menschen weniger übertreiben wollten. Das Eisenbahnfahren ist etwas durchaus Übles. Ich werde mich jedenfalls nicht mehr dazu hergeben.« – Ein Handwerker klopfte an die Tür. Er wollte mitteilen, daß die Flügel des Schrankes sich jetzt geräuschloser schwangen als die eines Schmetterlings.

Fräulein Zwink erhob sich, indem sie sagte:

»Nun störe ich aber.«

Herr Wenzel widersprach nicht und folgte dem Tischler ... Als der erste Spargel auf dem Tisch stand, reihten sich die ruhigen Tage wieder ordnungsmäßig und gesundheitsdienlich aneinander.

Und als die Wirtschafterin beim ersten stärken Regenguß wieder das feuchte Zeitungsblatt gebügelt, abgekühlt auf einem Tablett in das Zimmer hineingetragen hatte, wußte auch sie, daß hier das Leben wieder seinen geregelten Gang gehen würde.


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