Alice Berend
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel
Alice Berend

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Eines Tages fühlte Sebastian Wenzel wirklich den Schlüssel zum eigenen Heim in der Tasche.

Es lag in keiner der Straßen, durch die nur Gummiräder rollen, auch nicht in einem jener Häuser, wo hinter den vornehm verhängten Fenstern niemand zu ahnen schien, daß man Brot auch ohne Butter essen kann.

Um diese Gegenden war die Sehnsucht Sebastians nie gestrichen.

Er erinnerte sich noch zu deutlich der Sonntagsspaziergänge seiner Kindheit. Wenn sie in den ungewohnten Feiertagskleidern, die immer irgendwo drückten oder preßten, durch diese ruhigen, baumbeschatteten Straßen gingen, sagte die Mutter: Hier wohnt das Geld. Aber auch das Laster und die Sünde. –

Sebastian hatten von frühauf die kurzen, belebten Straßen gefallen, wo ein kleiner Laden mit unterhaltenden Auslagen neben dem andern lag. Wo man Menschen hinter den Fenstern sah, wo sich jeder zu kennen schien.

Eine jener Straßen, die eine Kleinstadt für sich im Getriebe der Großstadt ist.

Hier hatte Sebastians Traum die behaglichsten Parterrewohnungen mit den von Pelargonien rot umsäumten Balkonen umschwebt. Er kannte nur die Fenster der Hinterhäuser, wo man Schornsteine zählen konnte von früh bis spät, ohne fertig zu werden. Welch ein Vergnügen müßte es sein, aus niederem Fenster das Leben der Straße beobachten zu können:

Da saß er nun wirklich.

Er begann, sein neues, geregeltes Leben zu führen. Langsam durchdrang ihn die Würde des Besitzenden. Seine Person wurde eine Wichtigkeit. Nicht für die Welt, die ihn übrigens nichts anging, aber für die Welt, die die seine war. Für diese kleine, tätige, lebhafte Straße. Hier war er nicht ein reicher Herr, sondern der reiche Herr. Jeder kannte ihn. Man wußte genau, um welche Zeit der reiche Herr an seinem Platz am Fenster oder auf dem Balkon saß oder nicht saß.

Der Bäckerjunge versuchte einen leutseligen Gruß zu erwischen, der Milchmann mit den klappernden Blechkannen schob an seiner Mütze, wenn er vor dem Hause hielt. Der Schutzmann, der auf der andern Seite der Straße von einem Bein auf das andere trat, wußte, wenn der reiche Herr spazierenging, wurde er bald abgelöst. Wenn Herr Sebastian Wenzel in Gummischuhen ausging, sagte man: Es wird heute regnen.

Kurzum, was dem Südländer die Sonne, dem Fischer der Polarstern, dem Wetterpropheten der Frosch, das war Sebastian Wenzel für seine kleine Straße.

Man sah zu ihm auf und richtete sich nach ihm. Er ahnte dies, und es tat ihm wohl.

Mit dem liebenswürdigsten Lächeln, das je eines Wenzels Lippen umspielt hatte, schritt er durch seine Straße und ließ jedem Ladeninhaber Zeit zu einem ehrerbietigen Gruß.

Täglich wuchs er mehr hinein in seinen neuen Beruf. Sein Gaumen wurde immer geübter und verwöhnter. Als er das erstemal den gediegenen Zobelpelz trug, fühlte er sich selbst als der reiche Herr. Einen Pelz zu besitzen war ihm schon zu der Zeit, in der er als Schulkind an grauen Wintermorgen fröstelnd zur Schule eilte, als etwas Ungeheuerliches erschienen.

Aber das wußte er jetzt nicht mehr. Ebensowenig wie vieles andere, von dem er nicht mehr zu sagen vermochte, ob er es erlebt oder vor vielen Jahren einmal in der Zeitung gelesen hatte.


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