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X

Dann also stand er Toni Valler auf der Straße gegenüber.

Sie lächelte verwirrt, was ihm den Mut zu dem Versuche gab, in möglichst weltmännischer Form Herr der Lage zu bleiben. Dabei fiel er ins Deutsche:

»Das kann man wohl sagen, daß du es verstanden hast, mich zu überraschen, Kleiner. Komm, wir setzen uns ein Stündchen in die Teestube da drüben. Du hast mir gewiß viel zu erzählen.«

Dabei versuchte er, ihre Hand zu ergreifen, die sie ängstlich zurückzog.

»Sprechen wir englisch, Mr. Holzer«, sagte sie in sachlichem Tone, und er fühlte deutlich, daß sie damit die Schranke, die das deutsche Du niedergerissen hatte, wieder aufrichten wollte. »Trinken wir Tee zusammen! Gern … ich bin Ihnen ja allerhand Aufklärung schuldig.«

Schweigend ging sie neben ihm über die Straße.

Korbin hätte sich ohrfeigen können! Man stelle. sich einen jungen Mann vor, der in wilder Gebirgseinsamkeit mit einem Mädel in einem Zelte schläft – und dabei auch nicht im entferntesten auf den Gedanken kommt, daß es eines sein könnte. Der Vorwurf für einen schlechten Film! Er erinnerte sich, einen Roman gelesen zu haben, in dem ein Mädel mit großem Spannungserfolge eine Hosenrolle gespielt hatte. Welch köstliche Gelegenheit, weibliche Schamhaftigkeit und die natürliche Zurückhaltung des Geschlechts in Konflikt geraten zu lassen mit notwendig gespielter Keckheit, leichter Verdrängung des Schicklichen und dem endlichen Siege der Liebe über alle Hindernisse, die sich aus dem Zwange zur Wandlung der äußeren Erscheinung ergeben. Motto: Die Natur siegt zuletzt doch! – oder so ähnlich.

Und zugleich fühlte er, daß über dem Auftreten Tonios in den Bergen ein tragisches Geheimnis walten müsse. Gewiß, dieses Mädchen hatte seine Rolle aus Notwendigkeit, nicht aus einer bizarren Laune heraus gespielt, als es ihn vom Camp wegholte und in seine Höhle brachte – und dann allein ließ.

Er musterte Toni mit einem scheuen Seitenblick. Ich Esel, dachte er, wo habe ich nur meine Augen gehabt! Dieses zarte, rosige Profil – es war freilich durch den verdammten schmutzigen Pflasterstreifen entstellt – aber – zum Teufel auch! – für was für einen Trottel muß sie mich gehalten haben! Die Hände – ich Tor! Schon an den Händen hätte ich auf den ersten Blick sehen müssen.

Dann trafen sich ihre Augen, und Toni lächelte mit leichtem Erröten.

»Sie sind mir hoffentlich nicht böse, Mr. Holzer – Sie wissen schon, warum – werden bald begreifen« – sie setzten sich und bestellten Tee – »daß es wirklich nicht anders zu machen war.«

Und dann erzählte Miß Toni Valler, wie sie zu Mr. Hood nach San Franzisco gekommen war:

»Sie wissen, in welch grauenhafter Weise meine armen Eltern und Geschwister ums Leben gekommen sind: Ersparen Sie mir Einzelheiten. Ich kann noch immer nicht recht begreifen, wie ich das alles überwunden habe, aber – ich habe es überwunden, Mr. Holzer, und daß ich es überwunden habe, danke ich Mr. Hood. Vielleicht habe ich mein Herz auch nur betrogen. Es läßt sich ja so leicht belügen, und so gern. Die Tat ist zur Hälfte gesühnt, und seither bin ich wohl manchmal sehr traurig, aber mein Herz ist ganz ruhig geworden. Zuweilen zittert es noch ein wenig, wenn ich an diese Nacht des Grauens zurückdenke, aber es droht nicht mehr zu zerspringen.

Ich entging durch einen Zufall dem Tode. In dieser verhängnisvollen Nacht schlief ich nicht im Hause bei meinen Geschwistern, sondern im Stall nebenan. Eines unserer Pferde war gestürzt, und ich mußte ihm alle Stunden einen kalten Umschlag um die linke Hinterfessel erneuern. Das Tier war sehr unruhig und litt große Schmerzen. Vater dachte erst, die Fessel sei gebrochen. Man durfte der Schwellung nicht zu nahe kommen, und eine Untersuchung war schwierig. – So also hörte ich die Würfel des Todes wohl klappern, aber der Lederbecher wurde nicht über meinem Haupte umgestülpt.

Ich muß in dieser Nacht geschlafen haben wie tot. Jedenfalls bin ich erst erwacht, als die Flammen unseres Wohnhauses mit loderndem Schein den engen Raum erhellten, in dem ich neben den Pferden schlief und der etwa dreißig Meter vom Hause entfernt war. Er ist heute auch nicht mehr vorhanden. Ich habe ihn einige Wochen später selbst niedergebrannt, um alle Erinnerung an jene Nacht in mir auszulöschen.

Der heiße Atem des Brandes drang zu mir herein. Ich sprang auf und eilte zur Tür, um sie aufzustoßen – im ersten Schrecken. Da hörte ich Stimmen. Zwei Männer sprachen leise und erregt aufeinander ein. Ich weiß heute nicht mehr, ob ich den grausigen Zusammenhang der Dinge gleich erfaßte. Jedenfalls blieb ich wie erstarrt stehen und blickte durch den breiten Spalt in der Wand hinaus in die Flammen. Keine drei Schritt von mir entfernt saß ein Mann auf dem Boden und ließ wie geistesabwesend glänzende Nuggets durch die Finger seiner rechten Hand rieseln. Immer wieder nahm er sie auf mit einem blöden Lächeln, immer wieder ließ er sie langsam zurückfließen. Sein Gesicht war vom Feuerschein hell beleuchtet – das Weiße seines Auges konnte ich deutlich sehen. An der Stalltür lehnte ein Kleinerer, dessen Züge ich nicht erkennen konnte.

›Mußte das sein?‹ zischte der Kleinere. ›Mach dich schwach … die Nachbarn werden bald da sein. Mac'Phenor wohnt einen Katzensprung von hier entfernt, und wenn er den Feuerschein sieht, nimmt er die Büchse …‹

So glaubte ich zu verstehen. Dann aber erhob derselbe Mann, eben der, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte, die Stimme in befehlendem Tone:

›Am längsten Tag … hier! Merke dir das: Am längsten Tag!‹ …

›Keine Reden jetzt, Schweizer!‹ knurrte mürrisch der Große, und dazu ließ er die Nuggets immer wieder durch seine Finger gleiten. ›Es war nicht richtig … ist noch mehr Gold da? … Nun schmilzt es … Am längsten Tag … natürlich, und was ausgemacht ist, das gilt. Am längsten Tag …‹

Ich erkannte ihn an seiner Aussprache des Englischen unschwer als einen Norweger. Darin habe ich mich bestimmt nicht getäuscht.

Ich war ohne Waffe. Die Worte der Männer, hinter denen ich die grausige Wahrheit ahnte, hatten meinen Geist gelähmt. Daß Eltern und Geschwister tot waren, daran konnte ich nicht mehr zweifeln. Kein Schrei, kein Hilferuf war an mein Ohr gedrungen; nur das Prasseln des Feuers hörte ich. Wie lange ich so gestanden habe, keines Gedankens fähig, das weiß ich nicht mehr. Auch auf das, was der Kleinere nun tat, kann ich mich nicht mehr besinnen. Ich muß bald ohnmächtig geworden sein. Eine Bewegung des kranken Pferdes brachte mich ins Bewußtsein zurück, als der Tag graute.

Ich riegelte die Stalltüre auf und ging wie im Traume hinüber an die Brandstätte. Ein scharfes Schneetreiben war aufgekommen, das die Glut der glimmenden Balken erstickte. Dort stand Mac'Phenor, unser Nachbar, und starrte verständnislos in die sterbende Glut. Als er mich erblickte, wurde er kreidebleich. ›Du, Toni?‹ sagte er nur, und dann weinte er. Er fragte nicht, und ich war zunächst nicht fähig, zusammenhängend zu berichten, aber schließlich erriet er doch die grausige Wahrheit.

›Komm mit zu uns herüber, Toni‹, sagte er erschüttert. ›Ich reite nach Cerdova und hole die Polizei.‹

Ich hatte nichts auf dem Leibe als einen dünnen Rock und ein wollenes Tuch um die Schultern. Alle meine Kleider waren verbrannt. Mac'Phenors Frau wollte mir mit Kleidern aushelfen, aber sie ist groß und stark, nichts wollte mir passen. So zog ich eine alte Hose ihres Jungen an und knöpfte eine Lederjacke darüber. Es ist nichts Besonderes dabei, wenn ein Farmermädel in Burschenkleidung reitet.

Als Junge ritt ich mit Mac'Phenor nach Cerdova.

»Aber das Gold?« warf Korbin lebhaft ein. »Hat Ihr Vater prospected, und wie kam es, daß er so töricht war, Gold im Hause aufzubewahren, anstatt sich von der Miners-Bank in Cerdova Dollars dafür geben zu lassen?«

»Ach ja, das Gold – natürlich, das habe ich ganz vergessen, Ihnen zu erzählen. Mein Vater war – nun, meinetwegen ein Sonderling. Er kannte nicht nur die Umgebung unserer Farm, sondern die ganze Landschaft ringsum genau – wußte jede Stelle, an der Gold zu vermuten war – hat mir diese Stellen oft genug bezeichnet und die Gründe für seine Vermutung ausgesprochen. Aber er ließ es liegen. Es bringt keinen Segen! pflegte er zu sagen – und wie wahr ist dieses Wort an ihm selbst geworden! Er hatte in seiner Jugend erschütternde Erfahrungen gemacht – ging achtundneunzig mit den ersten, die der Goldrausch packte, nach dem Yuson, als der Winter und der Skorbut die Goldgräber zu Tausenden hinwegraffte. Vielleicht erzähle ich Ihnen später einmal davon. Kurz, eines Tages fand er ganz in der Nähe unseres Hauses ein Goldnest im Bach und konnte der Versuchung nicht widerstehen, es auszubeuten. Er entnahm ihm etwa fünfzig Kilo in wenigen Tagen. Dann schüttete er die Grube mit Sand zu. Das Gold versteckte er zum größten Teil unter der Diele unserer Wohnstube. Den Rest, etwa fünf Kilo, bewahrte er in einem alten Pistolenkasten auf, der ihm einmal von einem Jugendfreunde geschenkt worden war. Etwa fünfundvierzig Kilo mußten also noch unter der Brandstätte liegen.

Die berittene Polizei in Cerdova nahm meine Aussagen kühl zu Protokoll. Der Sheriff schüttelte traurig den Kopf.

›Ein Norweger und ein Schweizer! Wie viele von diesem Gesindel im Distrikt sind, wissen Sie ja selber, Miß Valler‹, sagte er. ›Es wird schwer sein, die Burschen zu fassen, noch schwerer, sie vor den Richter zu bringen. Den Norweger, sagen Sie, würden Sie erkennen? Nun ja, immerhin etwas, aber er wird ein glänzendes Alibi haben, wenn es zur Verhandlung kommt. Das kennt man. Ja … sehr schlimm …‹

In mir war der leidenschaftliche Wunsch, dieses Verbrechen zu sühnen, so übermächtig, daß ich auf diese Worte des Sheriffs nur mit Tränen und ohnmächtigen Verwünschungen antworten konnte. Mitleidig führte mich Mac'Phenor ins nächste Gasthaus.

Dort traf ich Mr. Hood.

Er war in Cerdova, um einem Betruge nachzugehen, der in den Staaten verübt worden war. Mac'Phenor erzählte ihm meine traurige Geschichte.

Erst schwieg er lange. Dann sagte er:

›Sie haben das Gesicht des einen der beiden deutlich gesehen, Miß Valler?‹

›Ich kenne ihn wieder, und wenn er sich in die Hölle flüchten sollte – ich kenne ihn wieder!‹ rief ich aus, und Mr. Hood nickte befriedigt.

›Das ist gut, mein Kind. Und nun gebe ich Ihnen einen Rat: Lassen Sie die Finger von der Sache. Gehen Sie nach den Staaten und vertrauen Sie auf Gott, den letzten Rächer aller Übeltaten. Die Polizei, schätze ich, wird nichts schaffen.‹

In diesem Augenblicke trat ein Mann in die niedrige Gaststube, schritt langsam an den Schanktisch und gab dem Wirte die Hand.

›Zurück aus den Bergen, Mr. Häberlin?‹ fragte der Wirt mit wohlwollendem Lächeln, das auf gute Bekanntschaft schließen ließ. ›Was geschafft?‹

Der Mann wendete mir den Rücken zu, und – ich weiß nicht recht, wie ich das beschreiben soll – er erinnerte mich in seiner ganzen Haltung an den Mörder, dessen Gesicht ich nicht gesehen hatte. Wenn er doch sprechen wollte! dachte ich in zitternder Erregung.

›Gold genug‹, antwortete der Mann, indem er das Wiskyglas zum Munde führte, das der Wirt ihm gefüllt hatte. ›Man bekommt langsam einen Blick für goldführendes Gestein in dieser Küstenlandschaft. Aber ohne fachmännischen Abbau ist nicht mehr viel zu wollen. Die Goldförderung im Distrikt wird erst wieder auf die Beine kommen, wenn das Kapital aus den Staaten sich dazu bequemt, heraufzusteigen in dieses unwirtliche Land. Die Prospectors nehmen halt, was im Sande liegt. Nachher müssen Maschinen 'ran. Wir Schweizer haben darin ja besondere Erfahrungen. Unser Urgestein führt auch Gold, und nicht einmal in geringen Mengen. Aber die sekundären Lagerstätten sind schon im Altertum erschöpft gewesen, und an eine bergmännische Ausbeutung traut sich niemand so recht heran. Das Verlustrisiko ist zu groß, und Kapital kann an anderen Stellen nutzbringender angelegt werden. Immerhin – ich habe ein gutes Claim erschlossen. Wenn die Rechte eingetragen sind – für einen Mann mit entsprechenden Mitteln wäre das zweifellos ein günstiges Objekt.‹

Die Selbstbeherrschung, die ich verloren zu haben schien, kehrte in der Sekunde zurück, in der er sich als Schweizer zu erkennen gab. Es war mir, als sei mein Hirn mit einem einzigen leuchtenden Fleck erfüllt, auf dem die Bilder der Schreckensnacht lebendig wurden. Ich blieb schweigend sitzen und berührte leise Mr. Hoods Hand. Merkwürdig, der verstand sofort, daß etwas Außergewöhnliches sich ereignet hatte, und er erriet unschwer, daß es mit dem Manne zusammenhängen müsse, der eben ins Gastzimmer getreten war.

›Dieser?‹ fragte er leise, fast ohne seine Lippen zu bewegen.

Ich nickte.

›Welcher?‹

›Der Schweizer.‹

›Es ist gut. Bleiben Sie zunächst ruhig sitzen, und dann gehen Sie mit Mr. Mac'Phenor, wohin Sie wollen. Ich nehme den Mann auf mich. Morgen um diese Zeit wieder hier. Good bye!‹

Mac'Phenor hatte Mühe, mich von einer unüberlegten Handlung zurückzuhalten. Natürlich wollte ich gleich zur Polizei eilen und den Mörder festnehmen lassen. Aber schließlich mußte ich einsehen, daß ich gegen den Schweizer keinen Beweis in der Hand hatte – nicht einmal die Behauptung, ihn wiederzuerkennen, konnte ich mit gutem Gewissen aussprechen. Er würde natürlich ein vorzügliches Alibi haben – und das Gold hatte er sicherlich längst verkauft. Nicht bei der Miners-Bank, sondern an einen der zahlreichen Privatwechsler, wenn auch zu einem niedrigeren Kurs, die niemals nach der Herkunft des Goldes fragen.

Am nächsten Tage wußte Mr. Hood eine ganze Menge höchst merkwürdiger Dinge. Er hat eben eine eigene Art, an die Menschen heranzukommen. Machte sich ihm als Geldmann bekannt, der ein Claim zu kaufen sucht, und damit sprang er dem Schweizer ins Schwarze seiner Seele. Der Norweger und der Schweizer gehörten offenbar zu der Sorte Prospectors, die Goldvorkommen aufmachen, sich das Schürfrecht durch gerichtliche Eintragung sichern und gelegentlich verkaufen. Sie haben gewiß schon Geschichten erzählen hören von Leuten, die durch solche ›gekaufte Rechte‹ um ihr Geld geprellt worden sind. Man belegt einen toten Bachlauf mit Goldspuren, läßt den Käufer probeschürfen und verkauft zu einem relativ mäßigen Preise. Ein paar Tage später erkennt der Käufer, daß er betrogen wurde; aber der Betrug ist kaum nachzuweisen, da der Kaufpreis, gemessen am Ergebnis der Probefunde, von jedem Gerichte als angemessen betrachtet werden muß. Inwieweit der Schweizer und der Norweger zu den Leuten gehörten, die mit Betrug arbeiten, ist unerweislich. Jedenfalls besitzen sie noch heute eine ganze Reihe in Cerdova verbriefter Rechte, und da der Norweger keinen Anspruch mehr erheben wird, dürfte der Tatsache nichts im Wege stehen, daß der Schweizer das Erbe antreten kann, ohne daß von irgendwelcher Seite Einspruch erfolgt. Halten Sie gerade diesen Punkt im Gedächtnis fest; er ist wichtig für das Verständnis dessen, was weiterhin geschah.

Der Schweizer erkundigte sich also nach der Höhe des Kapitals, das Mr. Hood anzulegen bereit wäre, und als dieser eine sehr hohe Summe nannte, blieb er eine Weile schweigsam. Dann sagte er:

›Ein so großes Objekt habe ich zur Zeit nicht an der Hand. Sie wissen, die marktgängigen Claims werden um fünf- bis zehntausend Dollar abgegeben. Ich würde Ihnen auch nicht dazu raten, verschiedene kleinere Anteile zu kaufen. Mit der von Ihnen genannten Summe können Sie besser arbeiten, wenn Sie ohne Partner mit ein paar zuverlässigen Männern an die Arbeit gehen, denen Sie eine bescheidene Gewinnbeteiligung zusagen. Aber mein Teilhaber am Geschäft, der jetzt noch im Distrikt arbeitet, hat im kommenden Sommer sicherlich etwas für Sie Passendes an der Hand. Er untersucht die Verhältnisse in einem Claim bergfachmännisch, das gar nicht weit von der Küste entfernt ist, und wenn die Vorarbeit geleistet ist, können Sie sich ja die Sache einmal in Ruhe ansehen. Ich werde Ende Juni voraussichtlich wieder in Cerdova sein. Dann können Sie mit uns hochgehen. Im Winter ist die Reise immerhin beschwerlich, und überdies ist der Boden überall so hart gefroren, daß jedes Probeschürfen mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft ist. Das Claim ist bis jetzt auch noch nicht eingetragen. Das würde ich bei meinem nächsten Aufenthalt in Cerdova in Ordnung bringen, so daß dem Verkauf zu einem mäßigen Preise nichts mehr im Wege stände. Sie machen bei uns sicherlich ein Geschäft, Sir. Wir sind Fachleute.‹ Er nannte bei dieser Gelegenheit auch seinen Namen, den wir ja schon bei der Begrüßung durch den Wirt erfahren hatten. Den Namen seines Partners verschwieg er.

Mr. Hood erzählte das alles mit einer gewissen Zurückhaltung. ›Wer weiß, ob er hier seinen richtigen Namen angegeben hat und ob die Sache mit dem Claim nicht ein aufgelegter Schwindel ist. Aber über den Treffpunkt brauchen wir wohl kaum noch im Zweifel zu sein, wenn Sie sich die Ereignisse der Schreckensnacht ins Gedächtnis zurückrufen. Können Sie sich denken, was die beiden in der Nähe Ihres Hauses zu suchen haben?‹

Ich wußte es plötzlich!

›Sie suchen das Gold, das noch unter der Brandstätte liegt. Es sind noch annähernd fünfundvierzig Kilo dort. Was sie nahmen, war das Gold aus dem Pistolenkasten!‹

Mr. Hood lachte grimmig.

›Kein schlechter Gedanke, Zeit zwischen den ersten und den zweiten Raub zu legen!‹ sagte er. ›Sie werden dafür sorgen müssen, daß dieses Gold so bald wie möglich auf die Bank kommt.‹ Und nachdenklich fuhr er fort: ›Die beiden fühlen sich ganz sicher; glauben, ganze Arbeit verrichtet zu haben, ahnen bisher nicht, daß noch ein Glied der Familie am Leben ist. Aber sie werden die Wahrheit bald erfahren. Man wird im Distrikt über diesen Fall sprechen, und dabei werden sie hören, daß noch eine Tochter lebt. So etwas sickert durch. Ich rate Ihnen daher: Bleiben Sie zunächst, wozu die traurigen Umstände Sie gemacht haben, ein Junge. Mac'Phenor, Ihr guter Nachbar, wird schweigen und dafür sorgen, daß Sie sich bald noch besser in diese Rolle finden.‹

›Und die Polizei? Was wird sie tun?‹ fiel ich erregt ein.

Mr. Hood blickte traurig in sein Glas.

›Die Polizei wird diesen Mr. Häberlin und seinen Partner vorladen und befragen – wenn Sie nämlich eine Anzeige erstatten – und dann kommt es zu einer jener traurigen Verhandlungen, wie wir sie nur zu oft in diesem Lande der Freiheit erleben. Die Mörder werden ein lückenloses Alibi beibringen und sehr empört darüber sein, daß Sie die Behauptung aufstellen, einen von ihnen wiederzuerkennen. Die Beisitzer werden die grauen Köpfe schütteln und ihr Urteil auf Freispruch mangels Beweis abgeben, obwohl sie in ihrem Innern fest davon überzeugt sind, daß – na, und so weiter. Die Mörder aber werden hocherhobenen Hauptes den Verhandlungssaal verlassen und wenige Tage später in den Staaten untergetaucht sein. Nie wird man sie in diesem Lande wieder sehen.‹

Ich war fassungslos.

›Gibt es denn gar keine Möglichkeit, dieses grauenhafte Verbrechen zu sühnen?‹ rief ich leidenschaftlich aus.

Mr. Hood schwieg lange. Dann fragte er leise:

›Sie haben Gold, wie Sie erzählen.‹

›Gold, soviel Sie wollen. Ich kann reich sein, wann es mir gefällt.‹

›Gold ist gut. Und Sie können mit einer Büchse umgehen?‹

›Wie jeder Mann dieses Landes!‹

›Noch besser. Wenn Sie nun wissen, daß Mr. Häberlin Ende Juni eine Zusammenkunft in Cerdova verabredet und daß sich die Mörder ›am längsten Tag‹ in der Einsamkeit Ihrer Berge treffen wollen – werden Sie dann wissen, was ich meine?‹«

Korbin war der Erzählung Tonis mit gespannter Aufmerksamkeit gefolgt. Er sah, daß ihre Hand zitterte, als sie jetzt die Tasse zum Munde führte, und ihre Erregung sprang auf ihn über. Dem allem zum Trotz vermochte er gewisse Zweifel am logischen Zusammenhang der Ereignisse nicht zu verscheuchen. Warum hatte sich Miß Valler nicht klarer darüber ausgesprochen, wie die Stimme des Mannes auf sie gewirkt hatte? Der Tonfall, die Melodie einer Männerstimme haftet im Ohre. Nur vier Tage lagen zwischen dem ersten und dem zweiten Klangeindruck, und das Ohr ist zuverlässiger als das Auge. Ein Klangbild prägt sich oft mit einer geradezu unheimlichen Kraft in die Windungen unseres Gehirns, ein, und seine Wiederkehr läßt die Erinnerungsplatte sofort anlaufen. Sogar Geruchseindrücke können in gewissen Fällen den optischen an Treue und Zuverlässigkeit überlegen sein! Dies alles ging ihm in ziemlicher Unordnung durch den Sinn, und er vermied es daher, eine Frage zu stellen. Miß Valler fuhr in ihrem Berichte fort:

»Sie ahnen wohl nicht, Mr. Holzer, was für einen Entschluß es kostet, Richter und Henker in einer Person zu sein. Ich war von diesem Gedanken zunächst völlig niedergeschmettert. ›Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!‹ so hatte meine Mutter mich gelehrt, und ›Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen!‹ Mr. Hood legte seine Hand zart auf die meine und sagte weich:

›Sie müssen die Ruhe Ihrer Seele wiederfinden, Miß Valler. Wer so viel Einblick in das Leben dieses Landes gewonnen hat wie ich, der weiß, daß dies eine unerbittliche Forderung ist. Es gibt wohl einen andern Weg, aber der ist lang und dornenvoll. Vertrauen Sie auf den Spruch des ewigen Richters, kommen Sie mit mir nach den Staaten. Ich werde Sie dort einer Tätigkeit zuführen, die im Dienste der irdischen Gerechtigkeit steht. Vielleicht gibt Ihnen dieses Leben mit der Zeit die Ruhe Ihrer Seele zurück. Aber ohne diese Ruhe vermögen Sie nicht weiterzuleben. Morgen um diese Zeit werde ich wieder hier sein. Denken Sie einen Tag und eine Nacht lang über die Sache nach. Aber denken Sie ganz allein darüber nach. Mr. Mac'Phenors Rat, so wohlmeinend er ist, kann Ihnen nicht zu einer Entscheidung helfen!‹ –

Die auf diesen Tag folgende Nacht war die schwerste meines Lebens. Aber als ich am andern Tage nach einem kurzen Schlaf in den Morgenstunden erwachte, da war mein Entschluß gefaßt. Ich allein kannte die Wahrheit über die grausige Tat. Keine Geschworenenbank würde meine Aussage, die Mörder mit Sicherheit wiederzuerkennen, zur Grundlage eines Todesurteils machen. Wenn aber dieser Mord ungesühnt blieb, würde ich nie mehr eine ruhige Stunde im Leben haben. Es blieb mir keine Wahl.

›Ich wußte, wie Sie sich entscheiden würden, Miß Valler‹, sagte Mr. Hood am nächsten Tage zu mir, und seine Augen leuchteten dabei in einem seltsamen Lichte. ›Wir leben in einem rauhen Lande, und wenn ein gerechter Richterspruch nicht nach den Regeln des Gesetzes vollzogen werden kann, dann tragen nicht wir die Schuld daran, sondern die Mängel der menschlichen Gesellschaft, die bisher noch keinen Weg gefunden hat, dem Rechte zum Siege zu verhelfen.‹ Dann drückte er mir ergriffen die Hand. Am gleichen Abend war er bereits auf dem Wege nach den Staaten.‹«

»Wir waren am einundzwanzigsten Juni in der Nähe Ihres Hauses, und …«

»Ja, Mr. Holzer. Der Norweger starb in der Nacht vor unserm Abzug aus der Höhle.« –

Korbin saß wie gebannt auf seinem Stuhle. Dieses Mädel hatte also nicht in einer leidenschaftlichen Aufwallung ihres Blutes gehandelt, sondern es hatte mit kühl rechnendem Verstände eine Tat gesühnt, die – immerhin, er kam von dem Gedanken nicht los, daß das, was Miß Valler begangen hatte, ein Meuchelmord war. Hier in Frisco empfand man so etwas wohl deutlicher und – schmerzlicher als droben in den Bergen. Jene dunkle Stelle aus Rousseaus »Emile« fiel ihm ein, mit der dieser Revolutionär des Geistes den Meuchelmord zu rechtfertigen scheint. Aber war Toni Valler in jener verhängnisvollen Nacht ihres Gesichtseindruckes völlig sicher gewesen? Gab es nicht noch immer die Möglichkeit, daß ihr Handeln auf einer tragischen Täuschung über das Motiv der Tat am Kern der Wahrheit vorbeigegangen war?

Toni schien von der Erregung Korbins nichts zu spüren.

»Und nun«, so fuhr sie mit einem befreienden Aufatmen fort, »sollen Sie auch das vorläufige Ende meines Berichtes hören. Sie haben ein Anrecht darauf. ›Nur, wer alles weiß, kann richten!‹ sagen die Chinesen, und sie haben ja eine ganze Menge alter Weisheit im Blute rollen. Sie sollen alles wissen!

Ich ritt noch am Abend des Tages, an dem ich meinen Entschluß gefaßt hatte, mit Mac'Phenor in die Berge zurück. Das Gold unter der Diele des Hauses war bald aufgefunden; es war zu einem dicken Klumpen zusammengeschmolzen. Von den Toten war kaum noch eine Spur zu entdecken. Das Feuer hatte ganze Arbeit geleistet. Der schwere Holzstapel auf dem Boden des Hauses war in den Flammen niedergebrochen und bildete einen schwarzen Aschenhaufen, den wir durchgraben mußten, um zum Golde zu gelangen. Ich kannte ja die Stelle genau. Das Metall übergab ich Mac'Phenor zu treuen Händen, der es in Cerdova einwechselte und allerhand Einkäufe für mich machte. Mit einer Prospectorausrüstung ging ich in die Berge und machte mir die Höhle wohnlich, die Sie ja gesehen haben. Mac'Phenor errichtete ein Kreuz auf der Stelle, wo die Opfer der Morde umgekommen waren. Ich wäre damals zu dieser einfachen Handlung der Kindesliebe nicht fähig gewesen. Der Gedanke an die Rache erfüllte mein Herz so vollkommen, daß kein Raum blieb für irgendeine andere Regung, nicht einmal für die des Schmerzes über den Verlust der Meinen. Sie und dieser Mr. Henne waren die ersten Menschen, die ich nach langen Monaten der Einsamkeit wieder sah, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, wenigstens ein fühlendes Herz in meiner Nähe zu wissen im Augenblicke der Tat. So – kamen Sie zu Ihrem bescheidenen Erfolge, so in meine Höhle.

Am längsten Tage des Jahres, das war zu vermuten, würden sich der Schweizer und der Norweger an der Brandstelle treffen in der Absicht, das Gold zu heben, das beide noch unter dem Schutt des Hauses vermuteten. Ich will's kurz machen. Am Abend des zwanzigsten Juni – es war der Tag, an dem wir beide nach der Höhle ritten – kam der Norweger das Flußbett herab und zeltete in der Nähe der Brandstätte. Sie schliefen bereits fest, als ich dicht hinter ihm im Gebüsch lag, entschlossen, ihn auszulöschen. Ich kam nicht dazu. Sein Mordkumpan, der Schweizer, kam mir zuvor!«

»Und dieser – der Schweizer?«

»Mein Schuß ging fehl – er entkam. Jetzt ist er hier in Frisco. Mr. Hood wird ihn vor den Richter bringen, und Sie sollen uns dazu behilflich sein!«

Korbin Holzer blickte erstaunt auf.

»Aber – da ist doch alles beisammen … ein Augenzeuge für beide Mordtaten – man geht zum Sheriff und erzählt ihm die Geschichte, und eine Stunde später hat ihn die Polizei geschnappt!«

Toni Valler seufzte.

»So geht es eben leider nicht. Es hat sich noch etwas ereignet, was uns diesen Weg versperrt. Aber das wird Ihnen besser Mr. Hood auseinandersetzen!«

»Und worin würde meine Aufgabe bestehen?«

Toni Valler erhob sich.

»Darüber sprechen wir erst, wenn Sie sich bedingungslos zur Mitarbeit entschlossen haben. Entscheiden müssen Sie sich ganz allein. Man soll derart ernste Entschlüsse nicht durch rosenrote Redensarten fördern wollen. Gehen Sie ein Stück allein und denken Sie nach. Wir sehen uns um fünf Uhr bei Mr. Hood wieder.«

Sie verabschiedete sich kurz und ging mit raschen Schritten hinüber ins Jefferson-Building.


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