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Ein paar Tage nach den im vorigen Kapitel geschilderten Vorgängen saß ich allein in meinem Büreau und versuchte, vielleicht zum zwanzigsten Male, für die ungewöhnliche Aufregung, in die Crawshaws Erscheinen Herrn Furst versetzt hatte, eine Erklärung zu finden.
Hätte ich nicht gewußt, daß er ein sehr geriebener Geschäftsmann war, so wäre ich wohl zu der Annahme gekommen, daß sein Geist gelitten haben müßte. Weswegen wollte er es nicht dulden, daß sein Sohn mit Jack Crawshaw verkehren sollte?
Mein zweiter Schüler war doch ein sehr netter Herr, gegen den sich nicht das geringste einwenden ließ. Er war für seine Jahre gesetzt, fleißig, rechtschaffen und von vornehmer Gesinnung, mit einem Wort ein Gentleman.
Und dennoch hatte mich Herr Furst gebeten, mein möglichstes zu tun, die beiden auseinanderzubringen!
Und was die Angelegenheit noch viel merkwürdiger erscheinen ließ, in anderen Fällen hatte der Vater sich doch nicht im geringsten um den Verkehr seines Sohnes gekümmert! Hätte er gegen den einen oder den anderen der jungen Herren, die Bob mit dem Namen seiner »lieben Kameraden« bezeichnete, Bedenken gehabt und es seinem Sohne verboten, mit ihnen weiter Umgang zu pflegen, so hätte ich das wohl verstehen können.
Um die Wahrheit zu gestehen, so hatte Herr Furst junior sich etwas auf die leichte Seite gelegt, und wenn er seinen jetzigen intimen Freunden weiter gefolgt wäre, so würde er statt als Anwalt oder Richter den Gerichtssaal vor der Schranke, ihn als angeklagter Trunkenbold oder Vagabund innerhalb der Schranke des Angeklagten kennen gelernt haben.
Crawshaw war aber ein Ehrenmann durch und durch. Er war zwar kein Genie, das die Welt einreißen wollte, aber andererseits ließ er es mich auch keinen Augenblick bedauern, daß ich ihn unter meine Schüler aufgenommen hatte. Auch die meiner Freunde, mit denen ich ihn bekannt gemacht hatte, wußten ihn zu ehren und zu schätzen.
Weswegen wollte ihn aber Herr Furst nicht als Gefährten seines Sohnes haben? Oder war es möglich, daß er dabei vielleicht an Florence gedacht hatte?
Wollte er vielleicht ihretwegen Crawshaw aus seinem Hause fern halten? Nein, das konnte kaum möglich sein. Crawshaw war in recht guten Verhältnissen, – viel reicher als ich selbst.
Von uns beiden wäre er sogar, nach dem allgemeinen Urteil der Welt, der bessere Schwiegersohn gewesen. Ich muß sagen, ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.
Als ich mich in meinem Geiste noch mit all diesen Erwägungen beschäftigte, wurde mir ein Herr gemeldet, der mich zu sprechen wünschte. Herr Zetland war es.
»Besten Dank,« sagte er, als er meiner Aufforderung gefolgt war und es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte. »Wie Sie sehen, habe ich mein Wort gehalten. Hier bin ich.«
»Freue mich sehr, Sie bei mir begrüßen zu können, Herr Zetland. Womit kann ich dienen?«
»Nun, mein lieber Herr Anwalt, mein Besuch ist halb amtlicher Natur, und wenn es nicht zu kühn von mir wäre, möchte ich auch sagen, daß er halb freundschaftlicher Natur ist. Sie sind doch nicht beleidigt, Herr Anwalt, wenn ich von einem halbfreundschaftlichen Besuche spreche? Gehören wir beide doch zu derselben Fakultät.«
»Ich hoffe sogar, daß es nicht nur ein »halb«, sondern vielmehr ein »ganz« freundschaftlicher Besuch ist,« antwortete ich lachend.
»Sie werden schon verstehen, was ich sagen will. Ich bin kein großer Gelehrter, und was ich meine, ist folgendes: Ich betrachte es nämlich als meine Pflicht, Sie einmal zu besuchen, und wenn ich nicht hoffen dürfte, Ihnen mit meinem Besuch einen großen Dienst zu erweisen, würde ich ihn nicht als meine Pflicht betrachten.«
»Ich begreife Sie vollkommen, mein lieber Herr Zetland, und danke Ihnen vielmals.«
»Da wir also einander verstehen, kann ich nun endlich auf mein Thema kommen. Sie erinnern sich doch wohl noch der rätselhaften Geschichte, die in Monte Carlo spielte, als –«
»Sie meinen den Tod des Kreolen?«
»Ganz recht, den meine ich. Sie tun auch vollkommen recht daran, nur von einem »Tode« zu sprechen, denn nach dem dortigen Gesetz war es ja kein »Mord«. Wir hatten dort auch Gelegenheit, einen Herrn kennen zu lernen, der sich uns als ein Doktor Atterbutt vorstellte.«
»Gewiß, er war ja der ärztliche Sachverständige.«
»Wiederum haben Sie sich sehr korrekt ausgedrückt! Er war der ärztliche Sachverständige. Gerade dieser Herr interessiert mich in hervorragender Weise.«
»Warum? Haben Sie etwas Neues aus Monte Carlo gehört?« fragte ich eifrig.
»Nein, das nicht. Ich habe es indessen für meine Pflicht erachtet, über das Vorleben dieses Herrn Erkundigungen einzuziehen.«
»So! Ich kann mir schon denken, was Sie jetzt sagen wollen. Sie haben herausgefunden, daß, wenn auch der Doktor in wissenschaftlicher Beziehung ein sehr gescheuter und gelehrter Mann sein mag, sein Vorleben dunkel und nicht zweifelsohne ist.«
»Da täuschen Sie sich aber gewaltig. Nein; Herr Doktor Atterbutt genoß den besten Ruf und galt als hochachtbarer Mann. So lange er noch praktizierte, hielt man ihn für einen der tüchtigsten und gescheitesten Herren unter den jüngeren Aerzten im gesamten Königreich.«
»Was Sie sagen!« rief ich erstaunt aus, denn diese Auskunft hatte mich nicht wenig überrascht. »Und dennoch war sein Gutachten in Monte Carlo, drücken wir es gelinde aus, recht auffallend.«
»Auch hierin haben Sie recht. Es war sogar sehr auffallend. Wir wollen aber zunächst Herrn Doktor Atterbutt beiseite lassen und uns lieber an sein Gutachten halten. Sie wissen, daß, auch wenn ich nicht amtlich tätig bin, ich doch an allem, was in mein Fach schlägt, großen Anteil nehme. Sie werden sich wohl auch erinnern, daß ich Sie um die Liebenswürdigkeit bat, meinen Bericht über unsere zweite Untersuchung mit Ihrem werten Namen zu unterzeichnen. Das war Eifer, Herr Anwalt, nichts als Eifer. Ich hielt es damals für möglich, daß diese Aufzeichnungen mir eines Tages doch vielleicht würden nützen können.«
Er hielt einen Augenblick inne. Ich nickte ihm ermunternd zu.
»Sie müssen dort sehr unachtsam gewesen sein, daß sie es nicht bemerkt haben, daß vor der offiziellen Untersuchung wir bereits eine kleine Privatinspektion vorgenommen hatten,« äußerte ich. Ich hatte dabei wohl mehr die Absicht, die Unterhaltung nicht ins Stocken geraten zu lassen, als den Wunsch, eine Mitteilung von großer Wichtigkeit verlauten zu lassen.
»Wiederum sehr richtig bemerkt. Man kann aber nicht erwarten, daß Fremde, die doch im besten Falle ungebildete Leute sind, sich so benehmen sollten wie Engländer. Es hieße zu viel verlangt, wenn man in Monaco ebensoviel Verstand und Scharfsinn finden wollte, wie auf dem Londoner Polizeipräsidium.«
Ich gab ihm meine Zustimmung durch eine Verbeugung zu erkennen.
»Kommen wir aber lieber auf meine Bemerkung zurück,« fuhr Herr Zetland fort, indem er ein dickes Notizbuch aus seiner Tasche hervorholte. »Wir sprachen von dem ärztlichen Gutachten.«
»Das Herr Doktor Atterbutt abgab.«
»Von dem ärztlichen Gutachten,« wiederholte der Detektiv, der es vorzuziehen schien, sich an seine eigenen Worte zu halten, ohne dieselben kommentieren zu lassen. »Während der Zeuge befragt wurde, notierte ich mir seine Aussagen genau. Ich bin zwar kein Stenograph, vermag aber mit meiner Feder doch recht gut zu folgen. Als ich in früheren Jahren im Auftrage der irischen Polizei bei Gerichtsverhandlungen ab und zu als Reporter fungierte, habe ich das rasche Schreiben gelernt, doch das gehört nicht hierher. Es glückte mir auch, ein gutes Bild von der Beschaffenheit der Leiche zu erhalten. Nach Schluß der Untersuchung zeigte sich der Richter noch sehr liebenswürdig gegen mich, und durch seine Vermittelung durfte ich noch eine Photographie von dem Halse des Verstorbenen aufnehmen.«
»Nun und?«
»Sie werden gleich weiter hören. Ich bekam mit meiner Photographie genügendes Material, um es auch anderen Sachverständigen vorlegen zu können. Als ich mich auf dem Präsidium zeigte, wollten sie mich necken und hänseln, weil, wie Sie ja wissen, der Mann, hinter dem ich her war, Kehrt gemacht hatte und –«
»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach ich meinen Besucher, als ich merkte, daß er von seiner Erzählung zu weit abschweifte.
»Sie haben recht, Herr Anwalt. Wir wollen uns nur an die bewußte Angelegenheit halten. Ich sagte also zu meinen Kollegen auf dem Präsidium: »Neckt mich, so viel Ihr wollt! Erst will ich Euch aber was zeigen, was ich von meiner Reise mitgebracht habe. Seht mal her!« Und ich zeigte ihnen meine Notizen und die Photographie.«
»Und was sagten sie?«
»Hallo!« rief einer von ihnen. »Solche Arbeit habe ich schon einmal gesehen. Damals handelte es sich um einen Mord, und der Mann wurde hingerichtet.« »Und ich auch,« meinte ein anderer, »auch in meinem Falle war es Mord, der Mörder ist aber entkommen.« Und so ging es weiter. Keinen einzigen gab es auf dem Präsidium, der glauben wollte, daß es ein Selbstmord war, – keinen einzigen.«
»Was taten Sie weiter?«
»Nach reiflichem Ueberlegen hielt ich es für geraten, meinen Bericht mit der Photographie unserem Doktor zu unterbreiten. Der versteht solche Sachen, und was Mordfälle anbetrifft, so hat er darin eine größere Erfahrung als irgend einer, der auf Gottes Erdboden lebt.«
»Und was sagte er dazu?«
»Er las meinen Bericht genau durch und sah sich die Photographie an. Dann legte er sie weg und bemerkte einfach: »Wer gesagt hat, daß das hier ein Selbstmord ist, ist entweder ein Schuft oder ein Esel! Ein Mord ist es, daran ist nicht im mindesten zu zweifeln.«
»Haben Sie jemand im Verdacht?« fragte ich ruhig.
»Soweit sind wir noch nicht, Herr Anwalt, und werden wir vielleicht überhaupt nicht kommen. Wir wollen immer noch beim ärztlichen Gutachten bleiben. Ich sagte darauf zu dem Doktor: »Es ist recht merkwürdig, was Sie da sagen, denn der Herr war seiner Sache sehr sicher.« »Welcher Herr?« »Nun, Herr Doktor Atterbutt.«
Der Detektiv machte in seiner Erzählung eine Pause und blätterte in seinem Notizbuch.
»Unser Doktor sah mich eine Weile scharf an und meinte dann: »Ich habe Herrn Doktor Atterbutt recht gut gekannt. Er war ein sehr tüchtiger und sehr gescheiter Arzt, ich bin im höchsten Grade überrascht, daß er eine derartige Meinung geäußert haben soll. Wann und bei welcher Gelegenheit soll er dieses seltsame Gutachten abgegeben haben?« Ich erzählte nun unserem Doktor die Mordgeschichte. »Ich glaube, hier muß ein Irrtum vorliegen,« erklärte der Doktor, »und es muß wohl auch einer sein, denn Herr Doktor Atterbutt ist schon seit drei Jahren tot!«
Vor Schreck fuhr ich von meinem Sitz auf und wiederholte die letzten Worte.
»Ja, Herr Anwalt, mich hatte es nicht weniger überrascht als Sie. Ich fragte mich, wenn der ärztliche Sachverständige nicht Herr Doktor Atterbutt war, wer war er denn sonst? Und wenn er überhaupt kein Arzt war, weswegen hat er sich dann für einen ausgegeben? Das war doch recht auffallend, nicht wahr?«
»Eine verbrecherische Absicht muß er dabei gehabt haben.«
»Es sieht wenigstens so aus. Außerdem aber war es meiner Auffassung nach eine kolossale Unverschämtheit. Ich hatte ja eigentlich damit nichts zu tun, ich war in der Sache nicht amtlich tätig, und die Geschichte lag übrigens in den Händen der Fremden, es gibt aber gewisse Fälle, in denen die Polizei aller Länder sich solidarisch fühlt, und ich meine, daß das hier ein derartiger Fall ist.
Solche Unverschämtheiten kann ich aber nicht leiden, und wer eine solche Unverschämtheit begeht, dem will ich das Handwerk legen. Ich nahm mir also vor, alles, was ich über unseren ärztlichen Gutachter in Erfahrung bringen konnte, ausfindig zu machen, und wenn ich etwas Verdächtiges hören sollte – und Gutes kann an einem Menschen, der solche Unverschämtheiten begeht, wohl nicht sein –, ihn festzunehmen.«
»Bitte, weiter!«
»Das erste, was ich tat, war natürlich, über den verstorbenen Doktor Atterbutt recht eingehende Erkundigungen einzuziehen. Sie werden sich noch erinnern, daß unser famoser Sachverständiger in Monaco dem Richter seine Karte überreichte. Ich schrieb also nach Monaco, und es glückte mir auch, ein Exemplar seiner Karte zu erlangen. Erinnern Sie sich vielleicht auch, daß der freiwillige Zeuge uns gegenüber selber Zweifel hegte, ob sein Name im Medizinal-Kalender zu finden sein würde?«
Ich strengte mein Gedächtnis an, und da fiel es mir auch ein, daß Doktor Atterbutt, wie ich ihn noch immer nennen will, ein paar Worte darüber sprach, er hatte aber auch bemerkt, falls wir an seiner Identität Zweifel hegten, möchten wir uns an den englischen Konsul wenden.
»Aufschneiderei! Nichts als Aufschneiderei war das. Er war fest überzeugt, daß wir uns nicht die Mühe nehmen würden, das zu tun. Und wie Sie sehen, hatte er sich hierin auch nicht getäuscht.«
»Waren Ihre späteren Bemühungen, seine Persönlichkeit festzustellen, von Erfolg gekrönt, Herr Zetland, und was noch viel wichtiger, haben Sie etwas über seine Absichten in Erfahrung gebracht?«
»Nun ja, das Glück war mir dabei ziemlich günstig. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Anwalt, wollen wir uns zuerst mit seiner Persönlichkeit befassen, seine Absichten wollen wir auf nachher lassen. Ich habe oft gefunden, daß das Leben eines Menschen seine Absichten und Pläne genügend erklärt.
Sie können sicher sein, daß ein Kind, das im Zuchthause geboren und auf der Straße und in Zirkushöhlen aufgewachsen ist, Ihnen eines Tages, vorausgesetzt, daß sich ihm Gelegenheit dazu bietet, einen berufsmäßigen Besuch als Einbrecher abstatten wird.«
»Mag wohl sein.«
»Ich fuhr also nach Nettleford, wo Doktor Atterbutt praktizieren soll. Es war so, wie unser Doktor gesagt hatte: Vor drei Jahren ist er gestorben. Viele der Dorfbewohner hatten ihm die letzte Ehre erwiesen, und auf dem dortigen Friedhöfe ist zu seinem Gedächtnisse ein Denkmal errichtet worden.«
»Und haben Sie in Nettleford noch Angehörige von ihm angetroffen?«
»Leider nicht. Doktor Atterbutt war unverheiratet gewesen. Etwa achtzehn Monate vor seinem Tode hatte er sich mit einem anderen Arzte assoziiert. Ich habe auch seinen Sozius kennen gelernt, – ein närrischer, alter Herr, der mit seinen Gedanken immer in höheren Regionen schwebt. Viel war aus ihm nicht herauszubekommen.«
»Wie heißt er?«
»Schwink. Als er erfuhr, daß er einen Detektiv vor sich habe, quälte er mich mit einer langen Reihe von Morden, die vor vielen Jahren in Ungarn vorgekommen sein sollen. Als ob ich davon etwas wüßte! Ich sagte ihm, daß Ungarn nicht in meinem Revier gelegen wäre, und daß ich mit den kleinen Geschichten, die in einem engeren Umkreise sich zutrügen, gerade genug zu tun hätte.«
»Wußte er etwas über unseren ärztlichen Sachverständigen?«
»Nein. Er konnte nur sagen, daß er vollkommen überzeugt war, er würde solche Fälle schon aufklären, wenn man sie ihm überließe. Was mir das ausmacht, ob er es tun würde oder nicht! Ein netter Mann für einen Doktor! Ich sollte meinen, die Sarglieferanten und Totengräber könnten ihm nicht genug dankbar sein, daß er ihnen soviel Beschäftigung zuweisen mag.«
»Schwink! Schwink!« wiederholte ich. »Ich kann mich nicht besinnen, den Namen schon jemals gehört zu haben.«
»Ich auch nicht,« versetzte der Detektiv. »Ein häßlicher Name, der von einem verrückten Menschen geführt wird. Doktor Schwink ist der richtige alte Schwätzer.«
»Ist es nicht auch möglich, daß Herr Doktor Atterbutt vielleicht früher einmal einen Assistenten gehabt hat?«
»Das hätte Doktor Schwink wissen müssen. Darauf gehe ich jede Wette ein.«
»Haben Sie ihn deswegen gefragt?«
»Nein, das tat ich freilich nicht. Seine Dummheit hatte mich so furchtbar erregt, daß ich ganz aufgebracht von ihm weglief.«
»Daran haben Sie aber meiner Meinung nach sehr unrecht getan,« erwiderte ich. »Wenn der Zeuge in Monte Carlo, der sich als Arzt ausgab, Karten von Doktor Atterbutt besaß, so muß er doch irgendwann einmal Gelegenheit gehabt haben, zu Doktor Atterbutts Karten Zutritt zu finden, zum mindesten muß er doch eine besessen haben und über Doktor Atterbutts Verhältnisse sehr genau orientiert gewesen sein.«
»Das muß wohl so gewesen sein.«
»Ja, das denke ich auch, daß das wohl so gewesen sein muß, und ich halte es auch für einen Fehler, daß Sie diese Spur nicht weiter verfolgt haben.«
»Vielleicht haben Sie hierin recht, Herr Anwalt. Wie gesagt, ich war so furchtbar aufgeregt, und genug, – ich habe die Frage nicht gestellt und bin zurückgefahren.«
»Es ist für mich noch nicht zu spät, die Angelegenheit bei dem Punkte wieder aufzunehmen, falls es not tun sollte. Soviel ich weiß, liegt Nettleford nicht weit von Chelmsford?«
»Nur eine oder zwei Meilen liegen die beiden Dörfer auseinander. Um aber dorthin zu gelangen, müssen Sie über Land fahren. Und wenn Sie sonst weiter nichts zu tun haben, so wäre es gewiß nicht das Schlechteste, wenn Sie zum Doktor Schwink hinunterführen, um mit ihm ein Plauderstündchen zu haben. Vielleicht würden Sie aus ihm mehr herausholen können, als es mir glücken wollte.«
Ich notierte mir Namen und Adresse in meinem Terminkalender.
»Ich möchte aber glauben, Herr Zetland, das ist noch nicht alles, was Sie mir zu sagen haben?«
»Sie täuschen sich nicht, Herr Anwalt. Ich habe mich auch bei dem Medizinalkollegium erkundigt und dort die Auskunft erhalten, daß es nur einen Doktor Atterbutt gegeben hat. Wer also auch unser ärztlicher Gutachter in Monte Carlo gewesen sein mag, Doktor Atterbutt war es nicht.«
»Sicherlich nicht.«
»Sie können sich wohl vorstellen, daß nach dieser Entdeckung ich ein wachsames Auge auf diesen Menschen hielt, und ich kundschaftete auch aus, daß er hierher gekommen sein soll. Wie Sie ja wissen, bin ich in dieser Mordgeschichte von Monte Carlo nicht amtlich tätig, sondern ich arbeite nur, so wie Sie, als eine Art Amateur, darin. Also, um auf unseren Freund zurückzukommen, die Namensänderung sieht verdächtig aus, und es mag wohl ein Betrug oder eine andere hübsche Sache dahinter stecken.«
»Haben Sie etwas über sein Vorleben in Erfahrung bringen können?«
»Etwas wohl, aber nicht viel. Ich glaube, seine Wiege muß in Australien oder irgend einer anderen Kolonie gestanden haben. Er gilt als ein verdächtiges Subjekt, und wir lassen ihn beobachten. Vor kurzem hat er sehr viele Briefe erhalten.«
»Als Doktor Atterbutt?«
»Nein, als X. Y. Z. Das mag weiter nichts oder aber auch sehr viel zu bedeuten haben. Entweder hat er nach irgend einer Stellung annonciert oder er sucht Gimpel zu fangen. Ich glaube eher das letztere, denn er scheint mir doch ein viel zu schlauer Fuchs, als daß er sich mit ersterem bemühen sollte.«
»Habe ich recht gehört, so sagten Sie doch, Herr Zetland, daß Ihr Besuch einesteils auch einen freundschaftlichen Charakter trüge?«
»Sie haben recht gehört, Herr Anwalt, und mit gutem Grunde können Sie sagen, daß ich lange Zeit gebraucht habe, ehe ich zur Erledigung dieses Teils meines Programms gekommen bin. Aber jetzt endlich bin ich so weit. Dieser Doktor alias Atterbutt scheint gegenwärtig furchtbar knapp an Geld zu sein, und wenn solches Gelichter keinen Pfennig Geld im Beutel hat, dann beweisen seine Besuche nichts Gutes. Der Kerl hat aber in den letzten Tagen öfters Ihren Freund, den Herrn Furst, besucht.«
»Herrn Furst!«
»Jawohl, Herrn Furst. Ich erlaube mir, Sie daran zu erinnern, daß der Pseudo-Doktor in Monte Carlo nicht gerade auf bestem Fuße mit Herrn Furst stand, und ich glaube nicht, daß er aus reiner Freundschaft nach Richmond Gardens gegangen ist.«
»Aber weswegen sollte er wohl Herrn Furst besucht haben?«
Einen Augenblick sah mir der Detektiv fest ins Gesicht und schlug dann die Augen nieder.
»Haben Sie wohl schon einmal von solchen Sachen wie »Schweigegelder« gehört?«
»Schweigegelder!« rief ich empört. »Ich glaube, Sie vergessen sich, Herr Zetland. Ich bin mit Herrn Furst befreundet, verkehre in seiner Familie und, von ihnen behaupten zu wollen, daß sie fähig wären, jemand Schweigegelder zu zahlen, hieße sie beleidigen.«
»Mir liegt selbstverständlich nichts ferner, als das tun zu wollen, Herr Anwalt, ich wollte Ihnen bloß einen freundschaftlichen Wink geben. Dieser falsche Doktor Atterbutt ist ein falscher Hund, und wenn ich an Stelle der Furst wäre, so möchte ich weit lieber ihn zum offenen Feinde als zum gefährlichen Freunde haben.«
Wir versprachen uns noch gegenseitig, daß wir uns über die weiteren Schritte auf dem Laufenden halten würden, und der Detektiv verabschiedete sich sodann.
Es entging mir nicht, daß die Art, wie ich seine wohlgemeinte Warnung aufgenommen hatte, ihn verletzt hatte. Es war aber eine starke Zumutung, ohne daß einem das Blut in das Gesicht steigen sollte, eine solche Verdächtigung anhören zu müssen, daß jemand, der dem Weibe, das ich liebte, so nahe stand, fähig sein sollte, »Schweigegelder« zu zahlen!
Fort mit dem Gedanken!
Und doch, der Gedanke drängte sich mir immer von neuem auf.
In welcher Absicht mochte dieser Mann mit dem angenommenen Namen wohl Herrn Furst besuchen?
Und warum nahm mein zukünftiger Schwiegervater seine Besuche an?
Und weswegen ließ sich Herr Furst so sehr von seiner trübseligen Stimmung überwältigen, daß er seine ganze männliche Würde vergaß und seinen Tränen freien Lauf ließ?
Diese Gedanken quälten mich und nagten an mir, und wenn ich auch am Abend in der angenehmen Gesellschaft meiner süßen Florence die Sorgen vergaß, so lebten sie am folgenden Tage um so kräftiger in mir wieder auf.
Seitdem Herr Furst mir Kenntnis gegeben hatte, daß er es entschieden nicht wünsche, daß sich zwischen seinem Sohne und Jack Crawshaw ein freundschaftliches Verhältnis entwickle, tat ich mein möglichstes, die beiden auseinander zu halten.
Wenn ich auch zu verschiedenen Zeiten und mit jedem einzeln arbeitete, konnte ich doch nur sehr wenig tun, um meine Absicht zu erreichen.
Indessen hielten sich die beiden jungen Leute aus eigenem Antriebe von einander fern.
Bob nahm immer mehr rohe und pöbelhafte Manieren an, und Jacks Schweigsamkeit verwandelte sich schließlich in eine Melancholie, die die Erscheinung des jungen Mannes nicht zu seinem Vorteil veränderte.
Inzwischen sollte ich einen unerwarteten Besuch haben. Seitdem Herr Zetland bei mir vorgesprochen hatte, war noch keine Woche vergangen, als kein Geringerer als der Mann, den wir in Monte Carlo als den »ärztlichen Sachverständigen« kennen gelernt hatten, meine bescheidenen vier Wände mit der Gegenwart seiner Erscheinung beehrte!
»Sie sind wohl überrascht, mich bei sich zu sehen,« begann er mit einem süßlichen Lächeln und strich sich dabei seinen langen Schnurrbart, so daß sein dicker Hals dadurch noch mehr zur Geltung kam.
(Es war nahe an Weihnachten, und er trug einen langen, mit echtem Astrachan besetzten Pelz, der ihm mehr als je das Aussehen eines Theaterdirektors aus der Provinz gab. Er war noch so korpulent wie früher, nur im Gesicht etwas blasser.)
»Ich hoffe, ich störe Sie doch nicht in Ihrer Arbeit?«
Mit einer gewissen kriechenden Unverschämtheit sah er auf meinen Schreibtisch, der nicht gerade mit Akten überhäuft war.
Ich nenne seine Unverschämtheit deswegen »kriechend«, weil sie derart war, daß, wenn man ihm mit der nötigen Energie entgegengetreten wäre und ihm vielleicht mit Prügel gedroht hätte, er seine Unverschämtheit sicherlich aufgegeben hätte; würde man sie sich aber andererseits ruhig gefallen lassen haben, dann würde sie bald keine Grenzen gekannt haben.
»Ich habe keine Ahnung, was Sie zu mir führen mag,« erwiderte ich. »Ich für meine Person habe nicht das geringste Verlangen gehabt, Sie wiederzusehen, Herr Wie-Sie-auch-heißen mögen.«
»Sie haben wohl meinen Namen vergessen?« fragte er, und wiederum spielte das süßliche Lächeln um seinen Mund.
»Den habe ich überhaupt nie gewußt.«
»Doch, mein Herr. Ich bitte um Verzeihung, als ich zum ersten Male das Vergnügen hatten Ihnen zu begegnen, erlaubte ich mir, Ihnen meine Karte zu überreichen. Mein Name ist Doktor Atterbutt.«
»Diesen Namen zu führen, haben Sie gar kein Recht. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Herr, für den Sie sich ausgeben, schon seit Jahren tot ist.«
»Ist es möglich!« rief er lachend. »Sie haben das also in Erfahrung gebracht! Diese Täuschung hat Ihnen gewiß recht großes Vergnügen bereitet?«
»Wenn der Betrug in diesem Lande vorgekommen wäre, so würde ich Sie der Staatsanwaltschaft angezeigt haben.«
»Da er nun aber nicht in diesem Lande vorgekommen ist, so werden Sie mir zugeben müssen, daß wir uns über diese Geschichte nicht weiter zu ereifern brauchen.«
Er hatte in einem Sessel Platz genommen und es sich darin recht bequem gemacht. Er lachte vor sich hin, während er mich beobachtete.
»Wie ich sehe, haben Sie ja jetzt nichts zu tun, sonst müßte ich der Störung wegen um Entschuldigung bitten,« fuhr er fort. »In zweierlei Absicht bin ich zu Ihnen gekommen: erstens habe ich einen kleinen Auftrag auszuführen, und zweitens möchte ich Sie um eine kleine vertrauliche Unterredung bitten.«
»Ich trage kein Verlangen nach Ihren Vertraulichkeiten.«
»Das kann ich nicht gut verstehen. Sie werden andererseits auch mir glauben, daß nicht gerade der Wunsch, Ihnen persönlich dienen zu wollen, mich hierher geführt hat. Im Gegenteil, da Sie nicht gerade gegen mich allzu höflich sind, so würde es mir auch nichts ausmachen, Ihnen einen Schabernack zu spielen. Sie sehen, ich bin Ihnen gegenüber vollkommen offen.«
Unterdessen hatte ich nun auch meine Fassung vollständig wieder erlangt, und ich fühlte mich nun auch in der Lage, ihm mit derselben Unverfrorenheit antworten zu können.
Ich konnte erkennen, daß der Mann darauf ausging, mich aus meiner Ruhe zu bringen, und gerade deswegen gab ich mir die größte Mühe, besonnen zu bleiben.
»Auch ich will offen mit Ihnen reden,« erwiderte ich. »Wenn ich Ihnen raten darf –«
»Danke, lieber nicht. Ich habe Sie nicht in Ihrer Eigenschaft als Anwalt besucht und wollte Sie nicht konsultieren.«
»Wenn ich Ihnen raten darf,« wiederholte ich, »verlassen Sie sofort dieses Zimmer.«
»Warum?«
»Nun, weil, wenn Sie nicht selber gehen, ich Sie hinauswerfen werde.«
Das schien doch ein wenig Eindruck auf ihn zu machen. Zwar lächelte er noch immer, sein Gesicht war aber blasser geworden und er sah mich ängstlich an.
»Nein,« antwortete er endlich und schien sich mit seinen Worten selbst ermutigen zu wollen, dort zu bleiben, wo er war, »nein, das werden Sie nicht tun, sollte ich meinen. Wir sind hier in Ihrem Büreau, Ihr Name steht draußen an der Tür, und die Herren, die in diesem Hause ihre Büreaus haben, sind zweifellos mit Ihnen bekannt oder befreundet.
Nein, ich glaube nicht, daß Sie sich einer Gewalttätigkeit gegen mich schuldig machen werden, denn die Folge würde eine öffentliche Gerichtsverhandlung gegen Sie sein. Ich würde nämlich durchaus keinen Anstand nehmen, Sie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu denunzieren. Und Ihren Freunden und dem großen Publikum würde es vollständig gleichgültig sein, ob Sie im Rechte wären oder nicht, nur das eine würde in der Erinnerung bleiben, daß Sie in eine Schlägerei verwickelt waren, mit der sich das Gericht zu beschäftigen hatte.«
Ich mußte mir sagen, daß der Kerl recht hatte. Und es fiel mir ein, daß es das beste wäre, diesem Halunken gegenüber die gleichen Waffen zu gebrauchen.
Während dieser Gedanke mir durch den Kopf schoß, beobachtete er mein Gesicht mit der größten Aengstlichkeit.
Zweifellos, in physischer Beziehung war der Kerl ein Feigling. Wiederum lächelte er und holte seine Zigarettentasche hervor.
»Dessenungeachtet schmeichle ich mir doch mit der Hoffnung, daß unsere Unterredung schließlich noch einen angenehmen Verlauf nehmen wird. Darf ich hier rauchen? Ich kenne die Etikette nicht, die in Anwaltsbüreaus herrscht, und es mag immerhin sein, daß verschiedene Ihrer Herren Klienten den Tabaksduft nicht vertragen können und darüber die Nase rümpfen mögen. Wenn es verboten ist, sagen Sie es mir gefälligst, selbstverständlich unterlasse ich dann das Rauchen. Um alles in der Welt möchte ich Ihre Praxis nicht schädigen.«
Statt zu antworten, schrieb ich an einem Briefe weiter.
»Schweigen nehme ich als Zustimmung. Und jetzt zur Sache: Weswegen glauben Sie wohl, habe ich in Monte Carlo einen falschen Namen angenommen?«
»Wahrscheinlich, um der Aufmerksamkeit der Polizei zu entgehen.«
»Wäre immerhin möglich gewesen, aber doch haben Sie sich mit Ihrer Vermutung getäuscht. Nein, das war's nicht, aber der Titel eines »Doktors« ist ein sehr achtbarer und verleiht stets ein gewisses Ansehen. Um die Polizei kümmere ich mich indessen keinen Pfifferling.
Wie Sie wohl selber einsehen werden, war Ihr Verdacht vollständig grundlos, und wenn ich zu Ihnen gekommen wäre, um Ihren Rat als Rechtsverständiger in Anspruch zu nehmen, so würde ich Sie sogar gefragt haben, ob die Aeußerung einer derartigen Verdächtigung nicht den Begriff der »Beleidigung« oder »Verleumdung« involviert und als solche strafbar ist. Aber ich bin ja nicht als Klient zu Ihnen gekommen, und deswegen brauchen wir uns bei diesem Zwischenfalle nicht weiter aufzuhalten. Nein, mein lieber Freund, die Polizei ist mir so gleichgültig wie nur irgend etwas.«
»Auch mir ist es sehr gleichgültig, wie Sie über die Polizei denken mögen. Ich wünsche nur –«
»Daß ich gehen soll; sehr natürlich! Gedulden Sie sich nur ein paar Minuten, dann gehe ich auch, dieser Gedanke mag Ihnen Trost geben. Sie können sich also wirklich nicht denken, weswegen ich mich bei einer bestimmten Gelegenheit in Monte Carlo eines falschen Namens und Titels bediente?«
»Ich sage Ihnen ja, ich weiß es nicht und es interessiert mich auch nicht.«
»Sie sind aber sehr wenig neugierig. Aber dessenungeachtet will ich es Ihnen doch sagen. Bei einer bestimmten Gelegenheit in Monte Carlo bediente ich mich eines falschen Titels und Namens, weil ich, wenn ich unter meinem richtigen Namen aufgetreten wäre, den Zweck, den ich im Auge hatte, nicht hätte erreichen können.
Sie werden sich wohl noch erinnern, daß meine Aussage den Schluß der Untersuchung zur Folge hatte. Der Tod Ihres Zimmernachbars im Hotel wurde einem Selbstmorde zugeschrieben; ich gab mein Gutachten als Sachverständiger ab, und das ging dahin. Wäre aber ein Arzt vernommen worden, so hätte er ohne jeden Zweifel die Erklärung abgegeben, daß Ihr Nachbar ermordet wurde. Obwohl ich nur Laie bin, hätte ich hierin sogar beipflichten müssen, denn, wie Sie auch wohl schon gemerkt haben werden, ein wenig von Medizin verstehe ich doch auch.«
Der Mensch war unausstehlich. Meine Ungeduld verriet sich unwillkürlich durch eine Bewegung, infolge der er erschreckt zurückfuhr und nach einer Waffe griff, die er anscheinend in einer Tasche seines Pelzes versteckt gehalten hatte.
Als er aber merkte, daß es bei meiner unwillkürlichen Bewegung blieb, gewann er seine, bisherige Ruhe wieder, und sein Lächeln zeugte jetzt von einer nur noch größeren Frechheit.
»Es tut mir recht leid, daß meine Gegenwart Ihnen so widerwärtig zu sein scheint, ich kann das aber leider nicht ändern. Ich habe heute gerade Lust zum Plaudern, und wenn Sie nicht wollen, brauchen Sie sich weiter keine Mühe zu geben, mir zu antworten.
Fahren wir also fort: Ich habe Ihnen bereits erklärt, daß ich mir einen Namen und Titel anmaßte, der mir nicht zukam, jetzt will ich Ihnen auch sagen, warum ich das tat. So seltsam es Ihnen auch erscheinen mag, einen Scherz hatte ich mir damit nicht machen wollen. Von Natur bin ich auch gar nicht humoristisch veranlagt, im Gegenteil, ich habe vielmehr einen ernsten als einen heiteren Charakter. Wenn ich jetzt lache, so geschieht es nur deswegen, weil Ihre Anstrengung, mit der Sie die in Ihnen aufsteigende Empörung niederkämpfen wollen, mir so überaus possierlich vorkommt.«
Ich hätte den Kerl erwürgen können und ich mußte mich bezwingen, daß meine Hände nicht seinen dicken, weißen Hals umklammerten.
»Wenn ich mir also keinen Scherz damit machen wollte, was war sonst meine Absicht dabei, werden Sie begreiflicherweise fragen? Nein, Sie reden nicht? Ach, ich habe vollständig vergessen, daß ich das Reden allein besorgen wollte. Nun also, ich hielt es damals für geraten, die Untersuchung vorläufig zu schließen, die Zeit würde schon kommen, dachte ich, wo ich sie, dann aber zu meinem eigenen Vorteil, von selber würde aufnehmen können. Ein kluger Gedanke, nicht wahr?«
Er schwieg, und recht gemächlich holte er sich seine Zigarettentasche hervor.
Er steckte sich eine zweite Zigarette an, derem Genuß er sich eine Zeitlang schweigend hingab.
»Sie bleiben ja auffallend stumm. Die Zeit ist jetzt da, in der ich die Untersuchung zu meinem Vorteil wieder aufnehmen kann. Sie sind mir doch gefolgt?«
»Nicht im geringsten!«
»Sie werden mir wohl zugeben müssen, daß ich mich durchaus keines Verbrechens schuldig gemacht habe, denn, Sie können es mir schon glauben, etwas Juristerei verstehe ich auch.
Bekanntlich soll eine Verfolgung nicht eintreten, wenn das gestohlene Gut wieder erstattet wird, und unter Laien, zu denen ich mich andererseits auch wieder rechnen muß, ist allgemein der Glaube verbreitet, daß nur die absichtliche Geheimhaltung eines Verbrechens, möge sie nun aus lauteren oder unlauteren Beweggründen erfolgen, strafbar ist.«
Abermals machte er eine Pause und fuhr dann fort:
»Bei mir handelt es sich aber weder um lautere oder unlautere Beweggründe, sondern um eine reine Geschäftssache. Bekomme ich jetzt 500 Pfund, so will ich nichts dazu tun, um das Geheimnis aufzuklären, bekomme ich sie aber nicht, so werde ich mein möglichstes tun, die Schuldigen der strafenden Gerechtigkeit zu übergeben.«
»Kennen Sie sie denn?«
»Ich habe wenigstens einen sehr starken Verdacht. Sie mögen sich aber vielleicht fragen: Was geht das mich an? Was habe ich mit dieser Geschichte zu tun?«
»Sehr richtig,« erwiderte ich, »und da ich mit der Sache nichts zu tun habe und sie mich nicht das geringste angeht, so darf ich Sie wohl bitten, mich von Ihrer Gegenwart zu befreien.«
»Sie sind sehr liebenswürdig, ich bin indessen noch nicht ganz zu Ende. Wenn ich eine Sache angefangen habe, so will ich sie auch zu Ende führen, so bin ich es wenigstens gewohnt. Wenn die Geschichte Sie vielleicht auch nicht direkt angehen mag, so ist sie doch für einige Ihrer Freunde von sehr großer Wichtigkeit.«
»Was wollen Sie damit sagen?« rief ich aufgebracht.
»Ereifern Sie sich nur nicht! Ich dachte, Sie hätten sich vorgenommen, ruhig zu bleiben, und jetzt, wo wir glücklich bei dem interessantesten Teile angelangt sind, kommen Sie aus der Fassung. Nein, nein, so erreichen wir nichts. Ich habe Gründe, sehr gute Gründe sogar, zu veranlassen, daß die Untersuchung wieder aufgenommen werden soll, und ich glaube, ich werde es auch tun. Ich erkläre Ihnen offen, daß ich 500 Pfund gebrauche, und wenn ich sie nicht auf anständige Art bekommen kann, muß ich es eben auf andere Art versuchen. Aber 500 Pfund muß und will ich haben!«
»Es ist mir im höchsten Grade gleichgültig, ob Sie Geld brauchen oder nicht,« antwortete ich ihm.
Er lachte nicht und, nachdem er die Verstellung abgeworfen hatte, sah er wie ein Teufel in Menschengestalt aus.
»Es ist mir sehr gleichgültig, ob Sie Geld brauchen oder nicht. Ich kann Ihnen keins geben, und wenn ich auch welches hätte, würde ich es Ihnen auch nicht geben. Ich werde Sie auch nicht bei der Staatsanwaltschaft wegen Erpressung anzeigen, denn soviel Mühe sind Sie mir gar nicht wert.«
»Sie sind recht amüsant, wirklich recht amüsant,« fuhr er fort, und das höhnische Lachen hatte sich wiederum auf seinem Gesichte eingestellt. »Geschäft ist aber Geschäft. Noch aus einem anderen Grunde bin ich zu Ihnen gekommen. Ich wollte Ihnen auch sagen, daß ich ein gefährlicher, sogar ein sehr gefährlicher Mensch bin.
Haben Sie intime Freunde, – und ich möchte glauben, daß Sie welche haben –, so möchte ich Ihnen raten, Ihre Freunde zu warnen, daß sie auf der Hut sein sollen. Ich will niemand zu nahe treten, und ich hasse jeden Skandal. Ich muß aber 500 Pfund haben, und ich möchte Ihnen empfehlen, Ihre Freunde in ihrem eigenen Interesse zu veranlassen, auf meine Bedingungen einzugehen, solange es noch Zeit ist. Bald dürfte es zu spät sein.«
»Und ich rate Ihnen, mein Zimmer schleunigst zu verlassen!« rief ich, denn länger konnte ich es nicht mehr aushalten.
Ich war von meinem Sitze aufgesprungen und hatte die Tür meines Büreaus bereits geöffnet. Auch er hatte sich erhoben und schien noch um die Hälfte kleiner geworden zu sein, als er es ohnedies schon war.
»Es wird Ihnen leid tun,« fing er nochmals an.
»Kein Wort mehr!« rief ich. »Hinaus!«
»Ich gehe schon. Bevor ich mich aber verabschiede, will ich noch den Auftrag ausführen, der mir zuteil geworden ist. Man hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief zu übergeben.«
Er legte den Brief auf den Tisch und eilte hinweg. Ich schlug die Tür hinter ihm zu und kehrte in mein Zimmer zurück.
Ich sah mir die Aufschrift des Briefes an. Die Handschrift kannte ich. Ich kannte sie sogar sehr gut.
Böses ahnend, riß ich den Brief auf. Er hatte nur drei Zeilen:
»Ich bin in großer Not. Um des Himmels willen kommen Sie sofort zu mir. Ich weiß nicht, was ich tun soll oder an wen ich mich wenden soll. Um des Himmels willen, helfen Sie mir!«
Unterzeichnet war er mit »Robert Furst«, dem Namen des Vaters des von mir geliebten Mädchens.