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Dreizehnter Abend.
Das Ende des Patroklos.

Tief betrübt über das Schicksal der Genossen, wandte Patroklos sein Auge von dem blutigen Schauplatze ab und eilte zu Achilleus' Zelte. Thränen stürzten ihm die Wangen hinab, als er eintrat. Achilleus aber, bestürzt über den Anblick, vergaß des Scheltens und fragte mitleidig, was ihm die Seele bekümmere.

»Ach, Sohn des Peleus«, antwortete jener tief aufseufzend, »zürne mir nicht; jetzt wird's den Achäern zu schwer, was sie dulden. Ringsum auf dem Felde bei den Schiffen liegen ihre tapfersten Kämpfer niedergestreckt, und wenige nur der Fürsten sind unverletzt geblieben. Diomedes ist durch den Fuß, Agamemnon durch den Arm geschossen, Odysseus ist in der Seite verwundet, dem Euryplos ist ein Pfeil durch die Lende gedrungen! Da zagt nun das arme verlassene Volk, und du Unbeugsamer erbarmst dich seiner nicht! Grausamer Mann! Du der Tapferste von allen, und doch keine Hand regend zur Rettung der verzweifelnden Freunde! Lasse mich doch nie ein Gott so zürnen, wie du zürnst! Ha wahrlich! dich hat Peleus nicht gezeugt, und nimmermehr ist eine Göttin deine Mutter; die finstere Meereflut, hochstarrende Felsen haben dich geboren, denn starr und gefühllos ist dein Herz, wie sie! Oder folgst du vielleicht einem geheimen Götterbefehle und darfst nicht wieder teilnehmen am Kampfe, so sende mich wenigstens und gieb mir deine Völker mit, ob ich etwa die Troer von den Schiffen zu vertreiben im stande bin. Gieb mir auch deine Waffen; vielleicht, daß ich die Feinde damit täusche, und daß sie, wenn auch nur eine Zeitlang, meinen, du selbst streitest wider sie. Unterdessen mögen die andern Achäer ruhen von dem langen Kampfe und sich mit frischem Mute stärken.«

Achilleus erwiderte: »Mich hält weder ein Götterwort, noch ist mein Vorsatz ewig zu zürnen. Sobald die Troer auch meinen Schiffen und Zelten nahen sollten, so gürte ich mich wieder mit Schwert und Lanze, und wehe! wen ich erreiche. Aber bis dahin mag Agamemnon seinen Frevel bitter beklagen und allen Göttern reuige Sühnopfer geloben; diese Freude versage ich mir nicht! Zwar, daß sie die Schiffe vernichten, gönne ich den Troern nimmer, davon möchte ich sie wohl abhalten. Gehe also, wie du wünschest, und führe unsere Myrmidonen zum Kampfe; denn ich sehe wohl, ein Helfer ist jetzt not. Diomedes schwingt seinen furchtbaren Speer nicht mehr, und nicht mehr vernehme ich den mutigen Schlachtruf aus Agamemnons verhaßtem Munde; wohl aber dringt Hektors, des Völkerwürgers, Löwenstimme bis in mein Zelt, und laut jauchzen höre ich alle Trojaner. Drum nimm die Rüstung. Aber beachte wohl, was ich dir sage. Die Feinde magst du von den Schiffen vertreiben bis zur Verschanzung hinaus, aber nicht weiter verfolge sie mir. Hörst du? nicht weiter! Hüte dich in eine offene Feldschlacht dich verlocken zu lassen, noch weniger laß dich gelüsten ohne mich Trojas Feste bestürmen zu wollen, auf daß mir die volle Ehre bleibe und die Achäer erkennen, welchen Mann sie gekränkt haben!«

Er ging hinaus und bestieg das höchste Verdeck, seine gewöhnliche Warte. Wie erschrak er, als er jetzt wirklich des Protesilaos Schiff in hellen Flammen auflodern sah und Hektor immer weiter vorstürmte, Aias aber mit den übrigen Achäern weit, weit zurückwich! »Eile, eile, Patroklos!« rief er hastig und sprang herab; »schon brennen die Schiffe! Geschwind nimm die Rüstung, ich ordne unterdessen die Völker.«

Mit gewaltiger Stimme rief er das Heer der Myrmidonen auf, die längst schon ungeduldig die träge Ruhe verwünscht hatten. Ihrer waren mehr als zweitausend, denn auf fünfzig Schiffen waren sie gekommen, und jedes Schiff hatte fünfzig Männer geführt, sie alle treffliche Kämpfer, des Krieges gewohnt und von unbezwinglicher Stärke. Auf ihres Fürsten Ruf kamen sie bald gerüstet herbei, gierig wie Wölfe nach Fleisch, und nun sonderte sie dieser in fünf Scharen, deren jeder er einen Mann von erprobter Tapferkeit und Einsicht zum Führer gab. Patroklos rief indessen dem trefflichen Wagenlenker Automedon zu, die beiden prächtigen Rosse des Achilleus an den Wagen zu spannen, auch nebenbei noch ein anderes für den Notfall; dann eilte er selbst ins Zelt, sich zu waffnen. Um die Beine legte er schützende Schienen von blankem Silber, die Brust dann umschirmte er mit dem ehernen Harnisch Achills, warf dessen Schwert und undurchdringlichen Schild über die Schultern, und auf das Haupt setzte er den stattlichen Helm, von dem ein Busch schwarzer Roßhaare herab wallte. Auch zwei Lanzen ergriff er, doch nicht von den Lanzen Achills, denn diese konnte kein anderer Sterblicher schwingen; er hatte sie vielleicht kaum zu heben vermocht.

So gerüstet sprang er hinauf in den Sessel des Wagens zu Automedon, der schon fertig stand, Zügel und Geißel in den Händen haltend. Achilleus musterte noch einmal seine Scharen und rief ihnen beim Abschiede zu: »Nun, ihr Myrmidonen, da euch jetzt euer heißester Wunsch erfüllt wird, so vergesse mir keiner die Drohung, die ihr so oft bei den Schiffen gegen die Troer ausgesprochen; werfet sie nieder, so viele ihr erreichen könnt, und machet mir Ehre!«

Jetzt erhob sich der Zug; der Wagen stürmte voran. Aber Achilleus nahm aus der Lade, die seine Mutter ihm beim Abschiede voll wärmender Mantel und Tücher gepackt hatte, ein kostbares Gerät, einen goldenen Becher, aus dem er allein dem erhabensten der Götter zu spenden pflegte. Diesen spülte er am Meeresufer aus, wusch dann sich selbst die Hände, schöpfte vom funkelnden Wein in den Becher und trat damit ernst und feierlich vor die Thür seines Zeltes.

»Vater Zeus!« flehte er zum Himmel aufblickend und die ersten Tropfen dem Gotte zu Ehren auf die Erde gießend, »höre mich jetzt, wie du bisher mich gehört, da du mir Ehre gabst vor den Achäern. Laß diesen meinen Freund mit Siegesruhm wiederkehren und stärke alle Genossen mit Tapferkeit, auf daß der Kühnheit der Troer ein Ende gemacht werde bei den Schiffen und auch die Achäer empfinden, wie schon ein Wort von mir sie erretten kann.«

Als er so gebetet hatte, kehrte er in sein Zelt zurück und verschloß den köstlichen Becher wieder. Den einen Teil seines Gebets erhörte der Gott, denn er verlieh Sieg über die Troer; die Rückkehr des Freundes aber versagte er.

Patroklos erschien jetzt mit seinen Scharen im Lager der andern Achäer; und wie dem unmutigen Wanderer, wenn nach heftigem Regenschauer plötzlich die Sonne wieder hervortritt, das Herz sich hebt, so auch den Griechen in dem Augenblicke, da sie des Helden ansichtig wurden. Die Troer aber erschraken, denn sie wähnten, Achill sei versöhnt und befinde sich unter den Myrmidonen; aber auch ohne ihn waren zweitausend Mann neu ankommender, ausgeruhter Streiter schon Veranlassung zum Schrecken genug. Auch veränderte sich zu Hektors Verdrusse nur allzuschnell die Scene; denn als nun das Volk des Achilleus auf das brennende Schiff des Protesilaos losstürzte, hielt kein Troer daselbst mehr stand; und wie ein Sturmwind die schwarzen Wolken zerstreut, die sich um den Gipfel eines hohen Gebirges gelagert haben, so daß ringsum der Himmel wieder blau und das erhabene Haupt selbst in glänzendem Sonnenschein erscheint: so ward bei dem Andränge der Myrmidonen der Raum um das Schiff wieder frei, und man eilte das Feuer zu löschen, das schon Planken und Kiel zur Hälfte zerstört hatte.

Doch fehlte noch viel, daß die Schlacht ein Ende hatte nehmen können. Noch innerhalb der Mauer stellten die Führer der Troer ihre Massen wieder in Ordnung und riefen ihnen neuen Mut zu. Patroklos machte der Rüstung seines Freundes Ehre, denn er wendete sich mutig bald hierhin, bald dorthin und erlegte die tapfersten Streiter. An ihn schlossen die andern Helden der Achäer sich kräftig an, und die glücklich abgewendete Niederlage goß neues Leben und frische Hoffnung in das Herz der Bedrängten. Menelaos warf dem Thoas die Lanze neben dem Schilde in die offene Brust, daß er nieder zur Erde stürzte; Idomeneus stieß dem wild anstürmenden Amphiklos den eisernen Stachel durch die Wade, daß ihm das Schienbein zersplitterte. Hier drängten Nestors beide Söhne gegen den Feind, Antilochos rannte dem Atymnios den Speer durch den Leib, und als dessen Bruder Maris herbeisprang, um den Gefallenen zu rächen, eilte zu des Antilochos Hilfe Thrasymedes herbei, warf seine Lanze auf Maris, und traf ihn in die Schulter, so daß der zerschmetterte Knochen herabsank und beide Brüder, von zwei andern Brüdern erlegt, nahe bei einander zur Erde stürzten. Dort wieder hieb der jüngere Aias, der um seine Lanze gekommen war, den Kleobulos in den Nacken, daß das Blut hoch aufspritzte und des Getroffenen Augen sich zum Tode schlossen. Nicht weit davon rannten Penelos und Lykon zugleich mit den Lanzen aneinander, aber da sie beide einander verfehlten, mußten sie zu den Schwertern greifen. Lykon, der Troer, traf jenen mit gewaltiger Kraft auf den Kegel des Helms, allein das spröde Eisen sprang in Stücke; da traf ihn Penelos unter dem Ohr in den Nacken und zerschnitt ihm die Gurgel. Nur noch an der Haut des Halses hangend schleifte ihm der Kopf zur Seite, und wie ein gefällter Baum stürzte schwerfällig der blutige Rumpf auf die Erde. Meriones jagte dem flüchtenden Akamas nach und stach ihn mit dem Speere in die Schulter, als jener eben seinen Wagen erreicht hatte. Da fiel der Unglückliche nun leblos zwischen die Räder des Wagens hin, mit ihm zugleich sein Freund, der edle Erymas, welchem des Idomeneus eherne Lanze alle Zähne einbrach und noch das Hinterhaupt zerschmetterte, so daß ihm das Blut aus Nase und Augen hervorquoll.

Jetzt konnten sich die Troer innerhalb der Verschanzung nicht länger behaupten. Hektor lenkte seinen Wagen zuerst hinaus und entkam glücklich aufs offene Feld, aber von den andern Wagen, welche ihm folgten, zerbrach mancher im Gedränge oder warf im Graben um und riß viele Fußgänger mit sich nieder. Da sah man Rosse ohne Wagen und ohne Lenker herumirren, und ihnen folgte das Gewühl der Fußvölker, die sich ängstlich teils durch das Thor drängten, teils über die Trümmer der Mauer sprangen, um das Freie zu gewinnen. Hinter ihnen her stürzten die Achäer, mutig verfolgend. Die Troer, die heute und gestern noch mit siegestrunkener Lust die Achäer von der Stadt weg bis in ihre Schiffe gejagt hatten, erfuhren jetzt umgekehrt dasselbe Geschick und sahen sich, zwar immer noch fechtend, aber doch auch weichend, stets weiter von dem achäischen Lager zurückgedrängt. Selbst Hektor vermochte bald den wilden Strom der Fliehenden nicht länger aufzuhalten.

Sicherlich würde die Flucht unter den Troern so allgemein und so schnell nicht gewesen sein, wenn Patroklos der Vorschrift Achills mehr eingedenk geblieben wäre. Aber der glückliche Fortgang des Kampfes, der rühmliche, rasche Sieg und besonders der geheime Wunsch dem Hektor ans Leben zu gehn, verleitete den feurigen Helden die Feinde noch weiter zu verfolgen. Er sprang herab vom Wagen, den er sich nachfahren ließ, und ereilte die Opfer seiner Tapferkeit in schnellem Laufe. Jetzt warf er den Pronoos nieder und zog ihm die Rüstung aus; dann stürzte er auf Thestor, den Wagenlenker, der bei seinem Anblicke zitternd die Zäume aus der Hand fallen ließ, ganz betäubt vor Angst und zum Tode erstarrt. Er stieß ihm den Speer in die rechte Wange, durchbrach ihm die Zähne und zog ihn so am Kopfe aufgespießt mit der Lanze, wie einen Fisch an der Angel, vom Wagen herunter. Dann warf er ihn aufs Gesicht, riß die Lanze heraus und nahm ihm die Rüstung. Weiter wendete er sich wider den Troer Eryalos, der auf ihn losrannte, ergriff einen Feldstein und warf ihm denselben mit solcher Kraft gegen das Haupt, daß es barst und der Getroffene sogleich tot zur Erde stürzte. Von Sarpedon will ich besonders erzählen, jenem tapfern Lykierfürsten, der den ersten Riß in die Mauer der Achäer gemacht und zuerst seine Scharen hindurch geführt hatte.

Dieser treffliche Mann, ein Sohn des Zeus, der erste Held unter den Bundesgenossen der Trojaner, konnte den Anblick der schimpflichen Flucht nicht länger ertragen und rief seinen Völkern vom Wagen herab zu:

»Schämt euch, ihr Lykier! Wendet euch und folgt mir, denn ich will dem Manne begegnen, der von allen Achäern der Unbezwinglichste sich dünkt und den Trojanern so bitteres Unheil zufügt!«

Hastig sprang er vom Wagen, und seine Gefährten umringten ihn. Da stürmte Patroklos auch gegen ihn an und schleuderte schon von ferne d« Lanze in den Haufen. Sie traf den herrlichen Thrasymelos, Sarpedons geliebten Freund, und durchbohrte denselben. Ihn zu rächen, warf Sarpedon schnell die Lanze auf Patroklos, traf aber nicht ihn, sondern eines seiner Pferde. Das Tier sprang hoch auf, stürzte dann nieder und schlug in gewaltigem Schmerz gegen den Boden, so daß die andern Pferde, dadurch scheu gemacht, kaum zu halten waren, bis Autemedon, der verständige Wagenlenker, herabsprang und die Stränge des verwundeten Rosses mit dem Schwerte zerschnitt. Patroklos indessen erwiderte den ihm zugedachten Wurf mit einem besser gezielten, und der starke Sarpedon, ins Zwerchfell getroffen, sank, wie die Eiche sinkt und die ragende Tanne, die auf hohem Gebirge zum Balken des Schiffes wird. Er knirschte und zuckte im Todesschmerz und griff krampfhaft mit den Händen in den blutigen Staub. Noch sterbend rief er dem Glaukos zu: »Glaukos, teurer Freund, jetzt gebührt's dir die Lykier anzuführen. Aber nun hilf, daß ich ruhig sterbe. Siehe, da kommen sie schon! Verteidige mich! Laß mir nicht die Waffen rauben! Ewige Schande müsse über dich kommen, wenn du mich verlässest!«

Glaukos zog ihm den Speer aus dem Leibe; da atmete er noch einmal auf und Nacht umzog seine Augen. Aber der arme Freund war selbst entkräftet von der schmerzhaften Wunde, die ihm Teukros' Pfeil gerissen hatte, als er die Mauer erstieg, und konnte den geliebten Leichnam nicht schützen. Da rief er, das Wort des Sterbenden ehrend, Hektor und Äneas und andere Troerfürsten herbei. Aber auch Patroklos reizte die Achäer zum gemeinsamen Kampfe um Sarpedons Leichnam, dessen Rüstung zu erbeuten kein geringer Ruhm schien, weil der Gefallene ein so mächtiges Haupt der Troer gewesen war. Entsetzliches Geschrei erhob sich, und die Kämpfenden drängten sich um den Toten. Schon hatte Epeigeus, der tapferste Held der Myrmidonen, ihn beim Beine ergriffen, um ihn fortzuziehen, da rannte Hektor gegen ihn mit einem ungeheuren Feldsteine und schmetterte ihm Helm und Schädel zugleich entzwei, daß er tot zu den Füßen des getöteten Feindes niederstürzte. Tief ergrimmt über den Verlust des tapfern Genossen, schleuderte Patroklos darauf in gewaltigem Wurfe einen Stein gegen Sthenelos und zerschmetterte ihm den Nacken, und nun wichen erschreckt die Troer wohl um eines Lanzenwurfs Weite von dem Leichname Sarpedons zurück. Ein Myrmidone, Bathykles, verfolgte sie; aber Glaukos, unter den Fliehenden der letzte, wandte sich rasch und bohrte ihm den Speer mitten in die Brust, daß er dumpf hinkrachend in der schweren Rüstung niederfiel. Ihn rächte Meriones, indem er einen Troer dafür niederwarf; aber beinahe wäre er selbst dem mächtigen Äneas erlegen, der mit aller Kraft seine Lanze auf ihn warf. Zum Glück bückte Meriones sich noch schnell genug, daß der Speer sausend über ihn hinwegflog und weit hinter ihm in die Erde fuhr.

»Dein Glück«, rief Äneas, »daß du so ein gewandter Tänzer bist, Meriones; sonst hätte dich meine Lanze diesmal auf immer beruhigt!«

»Ja«, entgegnete Meriones, »du möchtest wohl keinen Wurf oder Schuß vergebens thun; aber, tapferer Äneas, so ein mächtiger Held du auch bist, alles soll dir doch nicht gelingen, denn auch du bist sterblich geboren; und wenn ich dich nur einmal treffen könnte, du solltest mir wohl den Ruhm geben und dem Pluto deine Seele!«

»Thörichter Mann«, strafte ihn der klügere Patroklos, »was soll doch das Schwatzen? Worte thun's nicht; vor Schmähreden werden die Troer nicht zurückweichen von den Toten. Im Arme ist die Entscheidung des Krieges; das Wort gilt im Rate; drum kämpfe, statt zu reden!«

So sprach er und drang auf die Trojaner ein, die wieder anstürmten, und seine Scharen folgten ihm. Wie das Getöse der Holzhauer im Walde, so tönte jetzt das Geprassel der Schilde und Helme durch die Luft und ward weit umher gehört. Immer noch umschwärmten sie den toten Sarpedon, wie ein Fliegenschwarm die gefüllten Milcheimer im Stalle des Landmanns; aber der Held selbst war nicht mehr kenntlich, so sehr war er mit Staub und Blut bedeckt. Doch gelang es den Troern nicht mehr ihm nahe zu kommen; es wandte sich alles zur Flucht, selbst Hektor und Glaukos sprangen zuletzt auf ihre Wagen und eilten der Stadt zu. Da raubte Patroklos Sarpedons besudelte Rüstung, den Leichnam aber ließ er liegen. Die Dichtung erzählt, Apollon und zwei göttliche Genien, der Schlaf und der Tod, hätten den gefallenen Helden unsichtbar von dem Schlachtfelde genommen, am fernen Strome ihn rein gebadet, und dann, mit ambrosischem Balsam gesalbt und in weiche Gewänder gehüllt, ins Land der Lykier getragen, wo ihm sein edler Vater und die holde Gemahlin die letzte Ehre der Toten, den Scheiterhaufen und eine hochragende Grabsäule, geweiht hätten.

Vor Patroklos' Gewalt bestand kein Troer mehr. Er verfolgte die Fliehenden wie ein Löwe und warf ihrer vielen die blutige Lanze in den Rücken, Der Verblendete! Hätte er das warnende Wort des Achilleus im Herzen bewahrt! Aber so sollte es kommen, damit der Ratschluß des Zeus erfüllt würde.

Wie noch vor wenigen Stunden die Troer die Zinne der feindlichen Mauer hinabgeklommen waren, so versuchten jetzt die Achäer schon Trojas höhere Mauer zu ersteigen, und Patroklos selbst trachtete nach dem Ruhme der erste in der eroberten Stadt zu sein. Da ermannte sich endlich Hektor und befahl seinem Wagenlenker Kebriones, ihn gerade gegen Patroklos zu führen; denn mit keinem andern der Achäer wollte er kämpfen, ehe er diesen nicht niedergemacht hätte. Patroklos ließ ab von der Mauer, als er ihn sah und kam wütend gegen ihn angerannt, in der Linken den Speer, in der Rechten einen aufgerafften Marmorblock. Diesen warf er mit aller Kraft auf die beiden hochragenden Männer im Wagen und siehe, er traf den wackern Kebriones, des Priamos Sohn, und zerschmetterte ihm Stirn und Nasenbein, daß die Augen aus dem Kopfe sprangen und der Körper selbst jählings über den Rand des Wagensessels hinabstürzte. Mit grausam höhnendem Spotte schrie Patroklos bei dem Anblicke auf: »Seht doch, ihr Freunde, wie behende der Mann ist! Wahrlich, im troischen Volke giebt's flinke Taucher! Hätte dieser seine Kunst so in den fischreichen Gewässern des Meeres versuchen wollen, wie hier in der Ebene, er hätte des Tages viele Austern gefangen und viele Hungrige gesättigt!« Er fuhr sogleich über den noch Zuckenden her, um ihm die Waffen abzuziehen. Aber Hektor sprang rasch vom Wagen und ergriff das Haupt des Bruders, Patroklos dagegen packte ihn bei den Füßen, und nun dachten die Männer nicht mehr an Kampf, sondern rangen nur um den Leichnam, den sie fast zerrissen. Darüber sprangen Troer und Achäer in Masse zu Hilfe, und schrecklich dröhnten Speere, Schilde und Schwerter und das Geschrei der Kämpfenden. Die Troer schützten den Hektor, so viel sie vermochten; nicht Wurfspieß noch Schwert konnte ihn erreichen, während er mit Patroklos um den Leichnam des Kebriones rang. Aber ein kühner Troer nahm den günstigen Augenblick wahr und schlug mit kräftigem Schwertstreich dem Patroklos den Helm vom Haupte und zerschnitt ihm zugleich den Riemen des Schildes an der Schulter, so daß dieser zur Erde fiel. Der Held erschrak und ließ den Leichnam los; indem er sich wandte, stach ihm Euphorbos, ein beherzter Trojaner, in den Rücken. Noch wollte er fliehen und stieß die Drängenden mächtig zurück, aber Hektor eilte ihm nach und streckte ihn mit seiner gewaltigen Lanze vollends zu Boden. Alle Achäer bebten rings, selbst die mutigsten verloren die Fassung; keiner wagte dem Furchtbaren zu wehren, als dieser dem Gefallenen zuerst die Lanze mit gegengestemmtem Fuße aus dem Leibe zog und dann ihm die Rüstung abstreifte. Wohl eingedenk der höhnenden Worte über den Taucher Kebriones rief nun Hektor, der Rächer, ihm zu:

»Nun, Patroklos denkst du uns noch die Stadt zu verwüsten und unsere Weiber wegzuführen? Traun! du hattest gewaltige Dinge im Sinne, und gewiß! Achilleus gab dir mancherlei Auftrag und gebot dir: Kehre mir nimmer wieder zurück, bevor du dem mordenden Hektor seinen blutigen Panzer entrissen! Und nun liegst du da, armer Mann, und giebst mir so willig deine schöne Rüstung, und ich gebe dich dafür den Geiern und Hunden zum Mahle!«

Der sterbende Patroklos antwortete ihm noch mit schwacher Stimme: »Prahle nur, thörichter Hektor! Die Götter haben mich bezwungen, nicht du! Du kamst erst als der dritte, da ich fast wehrlos und schon verwundet war, und hast nur den Ruhm mir die Rüstung zu rauben. Wärst du mir frei und offen im ehrlichen Kampf begegnet, zwanzig deinesgleichen hätte ich niedergestreckt, doch so wie du hätte mich auch ein Knabe bezwungen! Aber spotte nur, du selbst wirst nicht mehr lange unter den Lebenden wandeln. Schon naht dir fürchterlich die Rache. Wenn sie kommt, so denke an mich! Noch lebt der göttliche Achilleus!

»Spare die Weissagung, ohnmächtiger Seher, und stirb!« versetzte Hektor. »Wer weiß, ob nicht Achill, wie du, von meiner Lanze durchbohrt, sein Leben aushaucht!«

Mit diesen Worten verließ er den Sterbenden, um die treffliche Rüstung in Sicherheit zu bringen und dann ins Schlachtgetümmel zurück zu kehren.


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