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Erster Abend.
Des Krieges und des Haders Anfang.

Die Landschaft Troas, in den nordwestlichen Gegenden Kleinasiens gelegen, war ein kleiner Teil des später Phrygien genannten Landes. Sie bildete einen Küstenstrich, der im Norden an den Eingang des Hellespont stieß, sehr zahlreich bevölkert war und außer vielen kleineren Flecken, Dörfern und einzelnen Ansiedelungen von Ackerbauern und Hirten eine große Hauptstadt mit festen Mauern, Türmen und Thoren hatte, dergleichen Griechenland damals wohl nur wenige aufweisen konnte. Wir pflegen diese Stadt Troja zu nennen, während sie Homer immer Ilios oder Ilion nennt. Nur die Landschaft heißt bei ihm die troische und deren Bewohner Troer, und er führt den Ursprung von Stadt und Stamm auf einen alten Häuptling Namens Tros zurück. Zugleich werden uns die Troer oder Trojaner als ein unternehmendes Volk geschildert, welches schon in einem gewissen Wohlstande lebte und im Besitze vieler Kunstfertigkeiten war, die damals den europäischen Völkern noch fehlten. Insbesondere erscheinen sie als Meister der Schiffahrt, aber auch des Seeraubs. Denn beide pflegten verbunden zu sein, indem man in dem letzteren mehr nur ein kühnes Abenteuer, als ein Verbrechen erblickte.

Die Bewohner der Küsten und der zahlreichen Inseln des ägäischen Meeres, soweit sie nicht dem friedlichen Gewerbe des Fischfangs oder des Ackerbaues oblagen, trieben daher fast insgesamt Seeräuberei. Sie zogen gegeneinander aus, landeten etwa begünstigt vom Dunkel der Nacht in einer entlegenen Bucht, plünderten die Häuser und Ställe aus und brachten die Beute auf ihren Schiffen in Sicherheit. Niemand war vor einem solchen Überfalle sicher, und wir haben in der Geschichte des Odysseus mehrere Beispiele gehabt, daß nicht bloß Güter und Vieh, sondern selbst Menschen von den feindlichen Horden entführt wurden. Ja, diese Leute waren die einzigen Sklavenhändler jener Zeit.

Durch ähnliche Raubfahrten hatten sich denn auch Achäer und Troer gegenseitig geschädigt und verfolgt, bis der alte, immer von neuem genährte Stammhaß endlich durch Schuld der letzteren zum entschiedenen Ausbruche kam. Alexandros, gewöhnlich Paris genannt, der zweite von des alten trojanischen Königs Priamos Söhnen, setzte einmal zu Schiffe nach Europa über und sprach bei dem Könige Menelaos ein, der über einige Städte im spartanischen Gebiete herrschte. Hier ward er gastfreundschaftlich aufgenommen und viele Tage köstlich gepflegt und bewirtet. Aber er vergalt es seinem braven Wirte mit dem schändlichsten Undank. Er verführte ihm seine Gattin, die schöne Helena, so daß sie, ihrer Pflicht vergessend und der sinnlichen Lockung folgend denn Paris war jung und schön, Menelaos bejahrt und ernst sich zur Flucht bereitwillig finden ließ. Während Menelaos abwesend war, eilte der Verführer mit ihr und vielen Schätzen auf seinem Schiffe davon und segelte rasch mit der schönen Beute seinem Vaterlande zu.

Diese Frevelthat ist von den Dichtern in ihren Gesängen sehr ausgeschmückt worden. Zeus, so erzählten sie, habe mit der Themis beratschlagt, wie man der Übervölkerung der Erde steuern könne. Als bestes Mittel zu diesem Zwecke sei ein größerer, langwieriger Krieg erschienen. Eris, die Göttin der Zwietracht, habe darum auf der Hochzeit des Peleus und der Thetis, wo alle Götter versammelt gewesen, einen goldenen Apfel mit der Inschrift » Der Schönsten« in den Saal geworfen. Jede der drei oberen Göttinnen habe sich denselben zugeeignet, und da keine ihre Ansprüche der andern gutwillig habe aufopfern mögen, so sei der Vater Zeus zum Schiedsrichter gewählt worden. Der aber habe ein solches Amt klüglich abgelehnt und ihnen dafür den schönsten Mann auf der Erde, eben den Paris, vorgeschlagen. Dieser habe gerade auf dem Berge Ida die Herden seines Vaters, des Königs, geweidet, als die Göttinnen zu ihm herniedergestiegen seien. Here habe ihm die Herrschaft über Asien, Athene Kriegsruhm, Aphrodite den Besitz der schönsten Gattin versprochen. Nach langem Bedenken habe er der Aphrodite den Apfel zuerkannt und dadurch den unversöhnlichen Haß der Here und Athene auf sich und sein Vaterland geladen; Aphrodite aber, die Göttin der Liebe, habe ihr Versprechen gehalten, ihm das schönste Weib, das auf der Erde lebe, zu vermählen. Das sei nun Helena gewesen; sie sei ihm also auf der Liebesgöttin ausdrückliches Geheiß gefolgt.

Menelaos vermochte die erlittene Kränkung nicht so still zu verschmerzen; er suchte Rache. Daher forderte er seinen mächtigen Bruder Agamemnon, der über Mykenä herrschte, den alten Nestor in Pylos, den Odysseus in Ithaka und mehrere andere tapfere Fürsten zum Beistande auf und fand sie alle geneigt dem Bunde beizutreten. Eine Menge junger Königssöhne, schon längst begierig nach einer neuen ruhmreichen Unternehmung in der Art des Argonautenzugs, von dem die Väter so viel zu singen und zu sagen wußten, boten sich mit zahlreichen Gefährten freiwillig dem Menelaos zu Begleitern an. Die Kunde von der Rüstung der gewaltigen Heerfahrt durchflog ganz Griechenland von der äußersten Spitze des Peloponnes bis zu den Gebirgen Thessaliens, und wer es hörte, dem schwoll die Brust vor Freude. Sah doch jedermann den Zug als eine allgemeine Angelegenheit an; von ihm sich auszuschließen würde für eine Schande gehalten worden sein.

Ein ganzes Jahr verging über den Vorbereitungen. Unterdessen reisten Nestor und Odysseus überall umher und beredeten die übrigen Fürsten Griechenlands und der benachbarten Inseln, welche etwa noch zauderten oder ihre Söhne zurückhalten wollten, daß sie sich doch nicht der allgemeinen Ehre begeben möchten, die in einem so glänzenden Kampfe unfehlbar zu erlangen sei. Sei doch das Ziel nichts Geringeres als die Zerstörung der berühmten Stadt Troja, und unermeßlich die Beute, welche man von einem so reichen Volke zu hoffen habe. Selbst die schönen Weiber und Kinder, die man als Sklaven heimzuführen gedachte, wurden mit in Anschlag gebracht. Der schlaue Odysseus zumal mochte nichts vergessen haben, was dazu dienen konnte, den Trägen Lust und den Mißtrauischen Vertrauen einzuflößen und Mut zu machen. Auf diesen Zügen geschah es, daß sie beim alten Peleus, Achilleus' Vater, in Thessalien, beim König Idomeneus auf Kreta, beim alten Telamon in Salamis, und anderwärts einsprachen. Überall betrieben sie ihr Werbegeschäft mit gutem Erfolg.

Man hatte die Bucht von Aulis in Böotien zum Sammelplatze der Teilnehmer bestimmt. Dort, wo die Meerenge, welche das Festland von der Insel Euböa scheidet, am schmalsten ist, kamen zur festgesetzten Zeit mehr als tausend Schiffe Ein in die Ilias eingefügtes Stück, der sogenannte Schiffskatalog führt die zu dem Rachekriege verbundenen Fürsten und Völker namentlich auf. Danach betragt die Zahl der Schiffe 1186; die Zahl der Mannschaft würde mehr als hunderttausend Mann betragen haben. zusammen, mit Männern aus allen Gegenden Griechenlands angefüllt. Nie hatten sich deren bisher so viele vereinigt gesehen. Es wurde beschlossen einem der vornehmsten Fürsten den Oberbefehl zu übertragen, und diese Ehre traf den Agamemnon, teils weil er die meiste Mannschaft unter allen zusammengebracht hatte, teils auch wohl, weil auf seine Veranstaltung und zu seinem und seines Bruders Vorteil der Waffenbund zuwege gebracht worden war. Er war auch sonst ein wackerer, verständiger Mann und ein tapferer Streiter, wenn er gleich an Stärke dem unbezwinglichen Achilleus weit nachstand.

Alles war nun zum Aufbruche bereit, nur fehlte lange ein günstiger Fahrwind. Man schloß daraus, irgend ein Gott müsse das Werk noch verhindern. Das zu erforschen ward dem Priester Kalchas aufgetragen; und als dieser die gewöhnlichen Zeichen beobachtet hatte, verkündigte er, Artemis sei durch Agamemnon, der eine heilige Hirschkuh auf der Jagd erlegt habe, beleidigt, sie verlange ein Opfer, und zwar kein geringeres als Agamemnons älteste Tochter Iphigeneia oder, wie wir mit römischer Namensform sagen, Iphigenia. Sei es nun, daß der Priester Agamemnons Feind war, oder daß Neid und Rachsucht schon damals ihre Ränke im Heere spannen und den Priester nur zum Werkzeuge gebrauchten: kurz Iphigenia mußte herbeigeholt werden und erfuhr den Zweck ihrer Reise erst am Opferaltare. Ihr Entsetzen und des Vaters Jammer könnt ihr euch denken. Aber die Dichter sagen, Artemis habe, durch des Vaters Gehorsam und durch seine Seelenqual hinlänglich versöhnt, im Augenblicke des Todesstreichs das zitternde Mädchen in einer Wolke entrückt und eine Hirschkuh an ihre Stelle geschoben. Iphigenia habe sich darauf, als sie aus einer schweren Ohnmacht erwacht sei, im Tempel der Artemis zu Tauris wiedergefunden, wo sie noch lange nachher das Amt einer Priesterin verwaltet habe.

Jetzt endlich stand den ungeduldig harrenden Helden kein Hindernis mehr im Wege; noch an demselben Tage schwellte der günstigste Fahrwind die Segel. Flugs und fröhlich bestieg man die Schiffe. In wenigen Tagen erreichte die Flotte die Küsten von Troas, und alsbald wurden nach damaliger Sitte die Schiffe ans Land gezogen. Unterwegs hatte man im Vorbeisegeln ein paar Städte auf den Inseln Skyros und Lesbos geplündert, die Männer erschlagen und die Weiber als Sklavinnen auf die Schiffe geladen, und in derselben Weise fuhr man auch nach der Landung in dem trojanischen Gebiete fort. Denn woher sollte sonst ein so zahlreiches Heer, das an keine Schiffsvorräte oder Magazine gedacht hatte, seinen täglichen Unterhalt nehmen? Anstatt also rasch und mit vereinigter Kraft die Hauptstadt des Feindes anzugreifen, verteilten sich die verschiedenen Stämme unter der Anführung ihrer Fürsten hierhin und dorthin, führten die Viehherden weg, schnitten das Getreide von den Feldern und plünderten die zahlreichen Ortschaften aus. Manche setzten sich gar wieder zu Schiffe und ruderten die Küste entlang, um Seeräuberei zu treiben. Der göttliche Achilleus denn anders nennt ihn Homer gar nicht, außer wo er von der vielbewunderten Schnellfüßigkeit desselben einen Ehrennamen hernimmt Achilleus rühmte sich am Ende des Krieges, allein mit der Schar seiner Myrmidonen So hieß das Kriegsvolk des Achilleus, ein thessalischer Stamm, als dessen Ahnherr Myrmidon, der Sohn des Zeus und der Eurymedusa, bezeichnet ward. zu Schiffe zwölf und zu Lande elf reiche Städte im trojanischen Gebiete erobert zu haben. Die Beute, welche jede einzelne streifende Partei von ihren Zügen ins Lager zurückbrachte, ward redlich geteilt, und besonders erhielt der Oberanführer von allem das Beste. Durch diese seltsame Art Krieg zu führen wurden die Einwohner der Hauptstadt eben nicht sehr beängstigt. Sie waren hinter ihren Mauern gesichert; und da die Macht der Achäer fast nie beisammen war, so gelang es ihnen oft manchen einzelnen Haufen, der sich etwa den Thoren zu nahe wagte, durch einen kräftigen Ausfall zurückzuschlagen. Dann hatten sie wieder eine Zeitlang Ruhe.

Als indessen dieses wilde, herumschwärmende Leben schon mehrere Jahre gedauert hatte und die Achäer sich immer weiter und weiter von ihrem Lager entfernen mußten, um noch Vorrat zu finden, da sehnten viele sich nach Hause. Doch erachtete man es mit Recht für schimpflich, gleich gemeinen Dieben abzuziehen, da man doch gekommen war Heldenthaten zu vollbringen und Troja zu zerstören. Die Anführer hielten daher oft Rat, wie man nun das Werk mit Eifer angreifen und die feste Stadt wirklich erobern könne. Seitdem richtete sich wirklich der eigentliche Angriff mehr auf die Bewohner der letzteren; man ließ sich auf Schiffen Nahrungsmittel von Griechenland her zuführen, um nicht mehr zu vereinzelten Streifzügen gezwungen zu sein; man berannte alle Tage die Stadt, forderte die Trojaner mit Schmähreden heraus, und wenn sich eine Schar hervorwagte, so jagte man sich einzeln mit Wurfspießen und Feldsteinen auf der Ebene umher. Abends kehrten die Griechen jedesmal zu ihren Schiffen zurück, in deren Nähe Zelte und Hütten aufgeschlagen waren, um die Krieger gegen Wind und Wetter zu schützen.

Die Trojaner aber waren nun dem nachdrucksvolleren Angriffe gegenüber auch auf sorgfältigere Verteidigung bedacht. Sie sandten zu den benachbarten Völkern und forderten dieselben zum Beistande auf. Wirklich kamen viele Fürsten der Gegend mit Fußvolk herbei und bildeten einen Bund, der an Stärke dem achäischen ziemlich gewachsen war.

Und jetzt erst erregt der lang ausgesponnene Krieg eine lebendigere Teilnahme. Auch beschränkt sich das, was Homer davon singt, eigentlich nur auf die Begebenheiten einiger Tage des letzten Jahres, des zehnten; denn so lange hatte sich die Unternehmung bereits hingezogen. Aber eben in diesem zehnten Jahre schien sich das Glück am meisten von den Griechen zu wenden, da sie nicht bloß mit der Not des Krieges, sondern auch noch mit schweren Seuchen zu kämpfen hatten und zuletzt durch eine feindselige Trennung der, beiden mächtigsten Häupter, des Agamemnon und Achilleus, fast dem Untergange nahe gebracht wurden.

Agamemnon hatte ein Städtchen geplündert, in welchem ein alter frommer Priester des Apollon, Chryses, mit einer Tochter namens Chryseïs, wohnte. Die hatte er ihm weggenommen und behielt sie bei sich, weil ihre jungfräuliche Anmut seinen Augen wohlgefiel. Auf gleiche Weise war auch dem Achilleus bei der Teilung der Beute ein schönes Mädchen, namens Briseïs, zugefallen, die er so lieb gewann, daß er sich nimmer von ihr zu trennen gedachte. Da erschien aber nach einiger Zeit der alte Priester Apollons im griechischen Lager, kenntlich an seiner Kleidung und an der Binde, die um den goldenen Priesterstab gewunden war. Er brachte reiche Geschenke mit, um seine geliebte Tochter damit auszulösen, und bat flehentlich um ihre Zurückgabe. Das ganze Heer nahm seine Bitte beifällig auf und verlangte, daß man den Priester des Gottes ehre und die reichen Lösegelder annehme. Agamemnon jedoch wollte die Jungfrau nicht von sich lassen und gab in seinem Zorne dem Greise eine harte Antwort. Dieser bat ihn noch einmal, daß alle Griechen es hörten und von seinen Worten gerührt wurden; sie redeten auch vielfältig dem starren Agamemnon zu, er möge, wo nicht den Vater, doch den Priester ehren und den Zorn Apollons fürchten; aber jener achtete dessen nicht und bedrohte den Greis sogar mit Gewalt, wenn er nicht auf der Stelle sich hinwegbegebe.

Das ging dem alten Manne schwer durchs Herz. Er mußte laut weinen, und als er so verzweifelnd an das brausende Meeresgestade gekommen war und sich allein sah, erhob er seine Hände in brünstigem Gebet zu Apollon:

»Höre mich, Gott, dem ich diene! Gedenke, wie oft ich festlich deinen Tempel geschmückt, wie oft ich dir fette Hüftenstücke stattlicher Rinder und Ziegen auf deinem Altare verbrannt habe; und hat dir je mein Opfer gefallen, o so räche jetzt meine bittern Thränen mit deinen Geschossen an den Achäern!«

Oder den Griechen? fragte Anton.

Ja, antwortete der Lehrer; die geschichtlichen Namen der Völker sind in der Regel anfangs nur Benennungen eines Teiles, eines einzelnen Stammes derselben gewesen. Homer nennt die Gesamtheit des Volkes immer entweder Achäer, und das ist der am häufigsten vorkommende Name, oder Danaer oder Argeier (Argiver). Den Namen Hellenen gebraucht er nur von der Mannschaft des Achilleus, den schon erwähnten Myrmidonen, welche Hellas, einen Landstrich Thessaliens, bewohnten. Von dort hat sich der hellenische Stamm im Laufe der Zeit allmählich weiter verbreitet; aber sein Name diente dann nur noch zur Bezeichnung aller Völker Griechenlands als Glieder einer großen Nation. Den Namen Griechen kennt Homer noch gar nicht, auch haben sie sich weder damals noch in späteren Zeiten jemals selbst so genannt. Wir haben diesen Namen vielmehr von den Römern überkommen. Doch werde ich in der Folge mit den Namen öfter abwechseln.

Glaubt denn der alte Priester wirklich, fragte Julius weiter, daß Apollon mit dem Bogen unter die Griechen schießen werde?

Der Mensch in jenem Kindesalter der Welt schreibt alle ihm unbegreiflichen Wirkungen der Natur den Göttern zu, denen er in seiner Weise menschliche Gedanken und Triebe andichtet. Sind jene Wirkungen schädlich, so ist der Gott erzürnt gewesen; hören sie auf, so glaubt er den Gott wieder versöhnt. Starb nun etwa ein Jüngling, ein Mann schnell dahin, ohne daß man die Ursache entdecken konnte, so sagte der Grieche: Apollon hat ihn mit seinem Geschoß erlegt; und ebenso wurde der plötzliche unerklärliche Tod eines Mädchens, einer Frau der Artemis zugeschrieben. Ansteckende Krankheiten, die ein großes Sterben verursachten, galten aus dem nämlichen Grunde als Strafen des Gottes.

Die Sage erzählt auch wirklich, Apollon habe den Olymp verlassen, sich in einiger Entfernung von den Schiffen niedergesetzt und seine tödlichen Pfeile in das Lager entsendet. Wen sie trafen, den raffte die Pest hin. Zuerst erlagen die Maultiere und Hunde, dann auch die Menschen, und neun Tage wütete die Seuche, so daß ohne Aufhören die Scheiterhaufen der Toten brannten. Das erfüllte die Anführer mit großer Besorgnis, und am zehnten Tage berief Achilleus deshalb eine Versammlung des Heeres und riet den kundigen Seher Kalchas zu befragen, durch welche Verschuldung das Heer dieses Unheil auf sich geladen habe, und durch welcherlei Opfer der Gott wieder versöhnt werden könne. Kalchas zögerte mit der Antwort; aber endlich erwiderte er auf Achilleus' ungestümes Verlangen: er wisse die Ursache wohl, allein er werde sie nicht eher sagen, als bis die Tapfersten ihm geschworen hatten ihn zu schützen, wenn etwa durch seinen Seherspruch ein Mann gegen ihn aufgebracht werden sollte, der große Macht unter den Achäern besitze, und dessen Rache er vielleicht noch lange werde zu fürchten haben. Da stand Achilleus auf und schwur laut in offner Versammlung, ihn vor jeder Gewalt zu schützen, und wenn der Mann, den er meine, selbst Agamemnon sei, der mächtigste aller Achäer.

»Nun wohlan denn«, versetzte Kalchas, »weil du mir das schwörst, so will ich frei die Wahrheit verkünden. Ja, Agamemnon ist es, dem Apollon zürnt; denn er hat seinen Priester nicht geehrt und ihm die Tochter zurückzugeben verweigert, für die er doch so reiches Lösegeld bot. Darum sendet uns der Gott dies Verderben und wird nicht aufhören, bis ihr die Jungfrau dem Vater auf einem Schiffe zurücksendet, frei und ohne Entgelt, und dem Gotte dort auf einem heiligen Altare ein festliches Opfer bringt.«

»Ha, du Unglücksseher!« rief Agamemnon im höchsten Zorn, »wenn du mir doch auch nur einmal etwas Gutes verkündigtest! Da soll ich es nun wieder büßen, daß der Gott unserm Volke die böse Krankheit sendet! Und das Mädchen ist mir so lieb, sie ist so klug, so erfahren in weiblicher Arbeit; ich achte sie höher selbst als Klytämnestra, meine Gemahlin, und nun sollte ich sie von mir lassen? Aber mag's sein, nehmt sie hin! Wenn es des Volkes Wohl gebietet, so will ich gern noch Schwereres ertragen. Aber das sag' ich euch, ohne Entschädigung gebe ich sie nicht weg! Schafft mir ein anderes Ehrengeschenk an ihrer Stelle; das kann ich fordern und will es auch! Sie war mein Anteil von der letzten Beute; der entgeht mir dadurch. Darum entschädigt mich nun!«

»Habsüchtiger, unersättlicher Mann!« entgegnete ihm Achilleus. Was für ein Ehrengeschenk verlangst du denn jetzt? Ich wüßte doch nicht, daß wir etwa noch kostbare Reste von der vorigen Beute irgendwo aufbewahrt hätten, sondern was wir erbeutet haben, ist jedesmal sogleich verteilt worden; und das einmal Verloosete wieder zurückfordern, ist sonst, wie du weißt, nicht Brauch. Warte also ruhig, bis ein Gott uns verleiht das reiche Troja zu erobern; dann sollst du dein eingebüßtes Ehrengeschenk dreifach und vierfach ersetzt bekommen.«

Diese Rede schien nicht eben unbillig, aber sie war wenig geeignet das Verlangen des tief ergrimmten Mannes zu stillen. Er nahm die letzten Worte als eine leere Vertröstung auf, mit der man ihn verspotten wolle. »Nicht also, Achill!« rief er diesem zu, »du sollst mich nicht berücken, auch wahrlich nicht schrecken, so stark und tapfer du auch bist. Willst du, daß dir und allen andern ihr Geschenk bleibe, während mir meines entrissen wird? Ha, wahrlich, ich sage dir, bringt ihr kein anderes für mich auf, so hole ich mir selbst eines, aus wessen Zelte mir belieben wird, vielleicht das deinige oder des Odysseus oder des Aias Ehrengeschenk; mag der dann zürnen, dem ich es nehme! Nun geht, geht! nehmt hin das Mädchen, bringt sie auf das Schiff, die Opferstiere dazu, und rudert nach Chryse, wo der Vater wohnt, damit dem Kalchas der Wille geschehe und der Gott uns nicht ferner zürne!«

Das war zu viel für den schon längst grollenden Achilleus. Glühend vor Zorn brach er gegen Agamemnon los: »Wie? Unverschämter! du mir mein Ehrengeschenk entreißen? Ha, sage nur, wie kann dir Habsüchtigen nur noch ein einziger Mann im Heere gehorchen und der Mühe wert halten, um deinetwillen diesen Heereszug unternommen zu haben? Sind wir denn um unsertwillen gegen die Troer zu Felde gezogen? Ich wahrlich nicht; mich haben sie nie beleidigt, weder ein Rind noch ein Pferd haben sie mir geraubt, noch die Saaten auf meinen Feldern verwüstet. Ich war wohl geborgen vor solchen Gästen durch waldige Gebirge und das breite Meer, ich dachte daheim in Phthia nicht an Troja. Bloß dir, schamloser, selbstsüchtiger Mann, zu Gefallen bin ich hierher gekommen, um deine und deines Bruders gekränkte Ehre zu rächen an den Troern. Und das hast du so schnell vergessen, trotzest nun gar und drohst mir das Ehrengeschenk zu entreißen, das mir die Achäer einstimmig zuerkannt haben, und das von mir wohl verdient ist!? Hab' ich denn nicht bisher die größte Last des Krieges getragen? Wer hat so viel gekämpft, als ich? er trete auf! Und wann ist mir je ein Geschenk wie dir zugefallen? Wer wird bei Trojas Falle ein reicheres erhalten als du? Immer hast du das Beste bekommen, wenn ich, mit wenigem zufrieden, zu meinen Schiffen zurückkehrte. Aber wohlan! streite du nur allein; ich gehe nach Phthia; denn es ist ja wahrhaftig weit besser je eher, je lieber nach Hause zu segeln, als nur einen Augenblick länger für dich, den Undankbaren, des Krieges Mühen zu ertragen! Du wirst ja sehen, wie viel Schätze du dir noch sammeln wirst, wenn ich fort bin!«

»Geh! geh!« rief Agamemnon. »Ich werde wahrlich um deinen Beistand nicht betteln. Es sind wohl noch andere Männer hier, durch welche Zeus mir Ehre verleihen kann. Du bist mir längst verhaßt gewesen, von Anfang an warst du's. Du hast nie Frieden gehalten und immer nur Zank und Streit geliebt. Bist du stärker, so hat dir's eine Gottheit verliehen, aber du überhebst dich dessen wahrlich zu sehr! Nein! nein! schiffe immerhin heim mit allen den Deinigen und beherrsche ruhig deine Myrmidonen; das ist mir gleichgültig. Und dein Trotzen gilt mir vollends nichts, vielmehr drohe ich dir hiermit gerade jetzt: ich werde die Chryseïs sofort zu ihrem Vater senden, weil ich muß, und dann hole ich mir aus deinem Zelte die Briseïs, dein Ehrengeschenk, öffentlich und vor deinen Augen, damit du erkennest, wie viel höher ich bin als du, und damit kein anderer künftig wage sich mir gleich zu wähnen und mir so ins Angesicht zu widerstehen, wie du es gethan hast.«

»Was?« schrie Achilleus in seiner Wut, und riß alsbald das funkelnde Schwert aus der Scheide, um den Agamemnon niederzuhauen. Da stand plötzlich, allen unsichtbar, hinter ihm die Göttin Athene und rief ihm heimlich zu, das Schwert nicht zu zücken gegen den Fürsten, wohl aber zu schelten, so viel ihn das Herz triebe. Das brachte ihn wieder zur Besinnung und ließ ihn Agamemnons größeres Ansehen erkennen; aber so plötzlich stillte es doch nicht allen Zorn in seinem Busen, daß er sich die letzte Befriedigung halb erstickter Rachsucht, das Bedürfnis seinen Feind mit giftigen Worten zu schmähen, hätte versagen können. »Weinschwelg!« rief er, »wie ein Hund siehst du aus, aber Mut hast du wie ein Hase! Nimmermehr hast du ja Herz gehabt, mit uns zugleich zur Schlacht zu gehen oder dich in den Hinterhalt zu legen; das sind dir tödliche Schrecken. Aber einem einzelnen Manne sein Eigentum wegnehmen und sich dann hinter tausend Beschützer verkriechen, das ist deine Sache, und freilich das ist auch sicherer und gemächlicher. Ha, wahrlich! wären die, welche dir gehorchen, nicht eben so elende Menschen als du, du wärest mir heute so gut nicht weggekommen! Aber das sage ich dir und schwöre es bei diesem Scepter: Damals bloß ein einfacher Stab, auf den man sich stützt, nur bisweilen mit goldenen Nägeln oder Buckeln beschlagen, welchen in der Volksversammlung derjenige von den Edeln in die Hand nahm, der das Wort ergriff. Man hat dies Scepter bald auf die Strafgewalt der Könige, bald auf ihr Hirtenamt bezogen. Weil aber überhaupt nur bejahrtere Männer gewohnt waren einen Stab zu tragen, so hat man damit das Zeichen der Würde verbunden. Die Könige hauptsächlich sind die »sceptertragenden«, die Völker sind ihrem Scepter unterworfen.

So gewiß dasselbe nimmer Blätter noch Blüten treiben wird, seitdem es geschält und der Zweige beraubt ist, eben so gewiß sollst du mich nie wieder den Arm gegen einen Trojaner aufheben sehen, und stürben dir alle Achäer hin und flehtest du auf deinen Knieen zu mir um Rettung. Die Reue wird noch, so hoffe ich, über dich kommen und bitterer Gram dir darüber das Herz zernagen, daß du den edelsten der Achäer so wenig geehrt hast.«

So sprach er, warf das Scepter mit Macht auf die Erde und setzte sich schweigend nieder. Schon wollte Agamemnon die heftige Rede erwidern, als sich Nestor erhob, der wegen seines Alters, seiner Erfahrung und Weisheit von allen wie ein Vater geehrt wurde. Als man sah, daß er reden wollte, schwiegen die übrigen still, selbst Agamemnon unterdrückte seinen Zorn, und der Greis begann wohlmeinend also:

»Lieben Freunde, was thut ihr! Welch ein unseliges Geschick drohet ihr über uns alle zu bringen! Ha, wie wird sich Priamos, wie werden sich seine Söhne freuen, wie wird das ganze Volk der Troer frohlocken, wenn sie hören, daß Zwietracht den Feind im eigenen Lager entzweit, und daß gerade diejenigen wider einander hadern, die vor allen die ersten im Rate und im Kampfe sind! O ich bitte euch, folget mir! ihr seid ja alle jünger als ich. Ich habe wohl in meiner Jugend mit andern Männern Gemeinschaft gehabt, dergleichen wohl keiner je wieder aufstehen wird, und denen keiner von euch allen hier nur entfernt nahe kommt, weder an Tapferkeit noch an Stärke; wisset, ich war Theseus', Peirithoos' und ähnlicher Helden Genosse, mit denen ich einst gegen die Centauren zu Felde zog. Und die haben meine Rede nicht verachtet; darum denn höret auch ihr auf das, was ich sagen werde, und bedenket, daß guter Rat Goldes wert ist. Du, Agamemnon, so viel Macht dir auch die Achäer gegeben haben, überhebe dich nicht, sondern laß jenem sein Ehrengeschenk, da es ihm die Achäer verliehen haben. Aber du, Achilleus, höre nun auf dem Könige zu trotzen, denn nie hat Zeus einen sceptertragenden König mit solcher Ehre gekrönt wie diesen; und wenn du gleich stärker bist und dich göttlicher Abkunft rühmst, so ist er dafür desto mächtiger und ihm gehorchen die meisten Völker. Vertraget euch in Frieden; gebe jeder nach, so ist's keinem eine Schande.«

»Schön, schön, würdiger Greis!« erwiderte Agamemnon, »du hast treffliche Worte gesprochen. Aber in diesem Manne ist ja nicht Maß noch Ziel; der will vor allen bevorzugt sein, alles beherrschen, allen Gesetze geben. Weil ihm die Götter Leibesstärke verliehen haben, so meint er, sie haben ihm zugleich das Recht gegeben, jeden andern zu schmähen.«

»O schweig«, fiel ihm Achilleus in die Rede. »Ich meine nur das Recht zu haben, mich nicht vor jedem deiner Befehle zu demütigen. Wirf du andern deine gebieterischen Winke zu, nur mir nicht. Ich müßte ja ein feiger Wicht heißen, wenn ich mich jeder deiner Launen beugen wollte. Nichts mehr davon! Was ich geschworen habe, dabei bleibt es! Das Eine sage ich noch: wollen die Achäer das Mädchen wieder haben, sie haben mir's gegeben, sie mögen's wieder nehmen. Schicke hin und laß sie holen! Aber wehe dir, wenn du von meinen andern Gütern noch sonst etwas antastest!«

Jetzt war schon größere Besonnenheit an die Stelle der ersten Leidenschaft getreten; und da Agamemnon auf dem Besitz des Mädchens bestand und er der Mann dazu war seine Drohungen zu erfüllen, so riet nun wohl die Klugheit dem Achill, das lieber in Zeiten scheinbar gleichgültig abzutreten, was er sich nachher vielleicht zu seiner weit größern Beschämung hätte mit Gewalt müssen entreißen lassen. Noch mochte er als der edlere aus dem Streite hervorgehen, und von seiner Drohung, sich am Kriege nicht mehr zu beteiligen, durfte er sich eine völlig genugthuende Wirkung versprechen. Das lehrte der Erfolg. Er war der einzige gewesen, dem bisher Hektor, des Priamos tapferster Sohn, auf dem Schlachtfelde ausgewichen war; jetzt aber, da er sich zurückzog, war Tag für Tag der Sieg auf seiten der Trojaner. Es war, als ob ein Gott Verderben über die Griechen verhängt habe, und ihr könnt wohl denken, daß der alte Dichter es auch so dargestellt hat. Doch will ich das morgen erzählen; jetzt sei nur noch erwähnt, was Agamemnon nach der Entlassung der Fürstenversammlung that.

Zuerst ließ er ein Schiff ins Meer hinabziehen und bestimmte den Odysseus, das Mädchen und die zum Sühnopfer auserlesenen Stiere an den Wohnort des alten Priesters zu geleiten. Jener segelte mit einiger Mannschaft ab, überlieferte die Chryseïs ihrem bekümmerten Vater und besorgte für den Gott das feierliche Opfer, wie sich's gebührte.

Hierauf rief Agamemnon, der Nestors Rede besser beantwortet hatte als er sie nun befolgte, zwei Herolde herbei und gab ihnen den Auftrag, die schöne Briseïs aus Achilleus' Zelte zu holen. Es war ein mißliches Geschäft, an welches die Herolde mit innerem Widerstreben gingen; allein sie mußten gehorchen und kamen zögernd und langsam bei den Schiffen der Myrmidonen an, in deren Mitte das Zelt des Achilleus stand. Sie sahen ihn schon von ferne mit finsterer Miene draußen an dem Eingange sitzen, und wagten vor Scheu und Bestürzung nicht ihren Auftrag zu verkünden. Aber Achilleus, vermöge der Güte, die gewöhnlich starken, leidenschaftlichen Gemütern nach gestilltem Zorne eigen ist, benahm ihnen alle Furcht und redete sie zuerst an:

»Freude sei mit euch, ihr heiligen Boten,« Den Gesandten hat man früh schon eine gewisse Heiligkeit, d. h. Unverletzbarkeit beigelegt. tretet näher! Ihr seid nicht schuldig, sondern der, welcher euch gesandt hat. Ja, ja, er soll die Dirne haben. Gehe hin, Patroklos, und führe sie heraus. Ihr aber seid mir Zeugen vor Göttern und Menschen, daß ich's abermals laut geschworen habe für Agamemnon hinfort keine Hand mehr gegen Troja zu erheben. Nun geht! geht!«

Sie empfingen aus den Händen des Patroklos das Mädchen, das ungern schied und, des frühern Gebieters in Liebe und Dankbarkeit gedenkend, oft zurücksah. Alsdann gingen sie schweigend mit ihr nach dem Schiffslager der Achäer.


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