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Neunter Abend.
Wechselndes Schlachtenglück.

Die That der beiden Helden erscholl im ganzen Heere der Achäer und entflammte den schon gesunknen Mut von neuem. Als kaum das Morgenrot dämmerte, rief Agamemnon alle zu den Waffen, und er selbst erschien in seiner prächtigsten Rüstung unter den Vordersten, entschlossen heute zu streiten, wie er noch nie gestritten hatte. Das große Heer der Kämpfer zu Fuß drang mit lautem Schlachtruf in langen Zügen vor; ihnen folgte die Reihe der Streitwagen, auf denen die Führer der Völker standen.

Die Troer hatten sich indessen auch erhoben und schickten sich an den Achäern entgegenzugehen. Unter ihnen sah man den starken Hektor mit dem hohen schimmernden Helmbusch durch die Haufen eilen und die Krieger ordnen, bald hervortretend, bald wieder verschwindend, so wie ein leuchtender Stern, der bei stürmischem Wetter in dem einen Augenblicke hinter zerrissenen Wolken verschwindet und dann wieder hervorblinkt. Auch Äneas, Agenor, Polydamas und die anderen ruhmvollen Häupter des Volks riefen den troischen Scharen Mut ins Herz und ermahnten sie zu männlichem Kampfe. Alle aber staunten Hektor an, der heute wie der Kriegsgott selbst einherschritt und allen Achäern den sichern Untergang drohte.

Endlich trafen die beiden Heere aufeinander, und die Völker stürzten in ganzen Reihen, wie die Schwaden fallen unter der Sense des Schnitters. Einige Stunden blieb der Vorteil auf beiden Seiten ziemlich gleich, denn gleich viel Kämpfer waren bei den Achäern und den Troern; aber als die Sonne höher im Mittag emporstieg, da waren die Achäer überlegen im Kampfe, durchbrachen die Reihen der Trojaner und drängten sie zurück. Jetzt, als die Schlachtordnungen lichter wurden und die erst zusammengeschlossenen Scharen sich in einzelnen kleinen Haufen über die weite Ebene hin zerstreuten, gewannen auch die Wagenlenker freien Raum und sprengten kühn hervor, um das Fußvolk zu schrecken. Agamemnon, seinem Vorsatze treu, rollte unter den Ersten daher und schleuderte furchtbar treffende Lanzen auf die Trojanerfürsten. So traf sein Wurfspieß zwei junge Söhne des Priamos; die kamen beide auf einem Wagen ihm entgegen, aber weder der Streitende, noch der die Rosse lenkte, entrann dem blutigen Tode, und ihre Rüstungen wie ihr Gespann fielen dem Sieger zur Beute.

Von ihnen wandte er sich stürmend zu einem andern Wagen, der gleichfalls ein treues Brüderpaar trug, die einzigen Söhne eines trojanischen Greises, des Antimachos. Ein unglücklicher Zufall führte ihm diese Jünglinge entgegen. Der Lenker hatte den Zügel verloren, und die Pferde schleiften den Wagen in tobendem Ungestüm umher. Agamemnon, der von seinem Wagen gesprungen war, rannte auf sie zu und hielt sie auf, und in demselben Augenblicke schwang er die scharfgespitzte Lanze auf den vordersten Jüngling. Beide, tödlich erschrocken, vergaßen der Gegenwehr und versuchten den Gewaltigen durch Bitten zu rühren. »Sohn des Atreus!« jammerten sie, »schone unseres Blutes, nimm uns lieber gefangen! Unser Vater Antimachos wird von seinen Reichtümern dir unermeßliche Lösung bezahlen, wenn er hört, daß wir bei den Schiffen der Achäer noch am Leben sind.«

Aber wehe! Gerade der Name des Vaters gereichte ihnen zum Verderben. Denn dieser Mann, der eines der Häupter von der Partei des Paris war, hatte zu Anfang des Krieges bei Gelegenheit der achäischen Gesandtschaft, die versammelten Häupter im Rate der Trojaner am entschiedensten von der Zurückgabe der Helena abgemahnt, ja sogar die beiden Gesandten, Menelaos und Odysseus, zu ermorden geraten.

»Ha wohlan!« rief Agamemnon mit fürchterlicher Stimme ihnen entgegen, »seid ihr Antimachos' Söhne, so büßt ihr doppelt gerecht die Schuld eures treulosen Vaters!« Mit diesen Worten stürzte er den einen mit einem mörderischen Lanzenstoße rücklings vom Wagen herunter, und dann hieb er schnell dem andern, der zum Schwerte greifen wollte, erst die Hand und dann den Kopf herunter, daß der Rumpf wie ein Klotz zu Boden schlug. Das schöne Gespann gab er seinen Dienern, um es zu den Schiffen zu führen, und schaute sofort nach anderer Beute umher. Stets hielt er den blutigen Arm empor, die Lanze schwingend, und schleuderte sie auf jeden Nahenden, ohne daß er kaum einmal seines Ziels gefehlt hätte. Die Troer flohen scharenweise vor seiner Löwenstimme. Mitten durch das wilde Getümmel sah man scheue Rosse mit leeren Wagen hierhin und dorthin der Stadt zueilen. Agamemnon mit den anderen mutigen Helden jagte indessen unaufhörlich den fliehenden Troern nach und durchbohrte vielen den Rücken, dem Löwen ähnlich, der die Herde der Rinder verfolgt, und immer den hinten zurückbleibenden Stieren die grimmigen Pranken in den Nacken schlägt.

Hektor konnte nicht dazu kommen ihm entgegenzutreten; ihm lag die größere Sorge ob die fliehenden Scharen von der Stadt abzuhalten und sie am Thore von neuem in Ordnung zu stellen. Er bat, er ermahnte, er schalt, er drohte, und nur so jagte er sie nach kurzer Rast wieder ins Treffen zurück. Immer noch wandelte er hinter ihnen her auf und ab mit der Lanze, und rief ihnen kräftig zu sich tapfer zu halten. Die jungen Fürstensöhne, von seinem Schelten beschämt, suchten nun ruhmbegierig die tapfersten Gegner auf, doch nicht allen gereichte dieser Mut zum Heile.

Iphidamos, Antenors starker Sohn, wollte den Kampf mit Agamemnon selbst bestehen. Dieser sah ihn kommen und warf die sausende Lanze auf ihn; aber jener wich aus und rannte ihm im nächsten Augenblicke mit seiner eignen Lanze auf den Leib, so daß er ihn sicher durchbohrt haben würde, wenn nicht der eherne Panzer die Spitze des Speers verbogen und den Stoß kraftlos gemacht hätte. Sogleich packte Agamemnon des Jünglings Lanze, riß sie und ihn selbst mit der linken Faust gewaltig nieder und hieb ihm, ehe er sich wieder erheben konnte, mit dem rasch gezückten Schwerte den Kopf herunter. Ein Diener trug die Rüstung des Toten zu den Schiffen.

Koon, Antenors zweiter Sohn, sah von ferne den Fall seines Bruders Iphidamas, und entsetzliches Weh durchschnitt sein Herz. Ihn zu rächen, rief er einige Gefährten an sich, nahte dem wegeilenden Agamemnon unbemerkt von der Seite und warf die Lanze auf ihn. Sie traf den Arm, und die Spitze drang ins Fleisch, daß heißes Blut aus der Wunde hervorquoll. Der Jüngling triumphierte; und ob er gleich den Getroffenen nicht fallen sah, so sah er ihn doch bestürzt zurückweichen, und diesen Augenblick wollte er benutzen, um seines Bruders Leichnam in Sicherheit zu bringen. Aber indem er sich nach dem Toten bückte, flog ihm schon Agamemnons Speer in die Seite, daß er in die Kniee sank, und alsbald sprang auch der wütende Held selbst auf ihn ein und hieb ihm, über des Bruders Leichname, gleichfalls das jugendliche Haupt herunter, daß es in den Sand hinrollte.

Darauf stürmte er einem andern Feindeshaufen entgegen und raubte noch vielen Männern mit Lanze, Schwert und gewaltigen Steinen das Leben. So lange das Blut noch warm aus seiner Wunde rann, empfand er den Schmerz nicht sehr; als es aber an der Luft zu trocknen begann, da konnte er's nicht länger ertragen, sondern mußte sich aus dem Treffen zurückziehen. Er bestieg seinen Wagen, ermahnte die Achäer noch einmal mit lautem Ruf zur Tapferkeit und fuhr dann schnell in sein Zelt zurück, um die Wunde zu pflegen.

Seine Entfernung gab den Troern den fast gesunkenen Mut zurück. Jetzt drang auch Hektor wieder vor, der bis dahin allein zu thun gehabt hatte die andern anzutreiben. Die achäischen Scharen vermißten das kühne Vorbild ihres Oberhaupts Und wandten sich jetzt, so wie vorher die Troer, zur Flucht. Zwar die jüngeren Fürsten, als sie wahrnahmen, daß Hektor nun wieder mitfocht und einzelne Helden zum Wettkampf herausforderte, stellten sich ihm trotzend entgegen, aber alle büßten ihre Verwegenheit mit dem Leben. Das sah Odysseus, und ihm entbrannte das Herz vor Zorn; er rief den Diomedes herbei, der unterdessen auch nicht geruht hatte, und sprach zu ihm:

»Sohn des Tydeus, laß uns nebeneinander fechten, damit wir es aufnehmen können mit jenem schrecklichen Manne! Schande wäre es doch, wenn er uns die Schiffe wegnähme; und darauf legt er es wahrlich an!«

»Ach, was wird unser Fechten helfen«, erwiderte jener unmutig, »wenn der unerbittliche Zeus einmal beschlossen hat den Troern den Sieg zu verleihen!«

Doch rannten sie beide miteinander fort und warfen mit gleicher Tapferkeit, dieser zur Rechten, jener zur Linken, die blühenden Jünglinge der Troer von den Wagen herunter. Gleich zwei Löwen raseten sie unter den flüchtigen Scharen der gemeinen Krieger und drängten sie zurück, wie der Wind die Wellen eines Sees zurückpeitscht. Aber dem Auge Hektors entging die Gefahr der Seinen nicht, und mit Blitzesschnelle flog er herbei auf leichtem Wagen, sprang dann herunter und suchte zu Fuß die Helden auf.

»Schau«, rief Diomedes dem Odysseus zu, als er ihn kommen sah, »da eilt das Verderben herbei, der gewaltige Hektor! Aber wir weichen nicht und stehen unerschüttert!«

Sie standen und erwarteten ihn mit ihren Wurfspießen. In dem Augenblicke, als er aus dem Gewühl der übrigen Troer hervortrat, flog ihm schon des Diomedes Lanze mit solcher Heftigkeit vor den Kopf, daß er zurückprallte und in den Sand fiel, ganz betäubt, den Oberleib auf seine rechte Hand stützend. Aber verwundet hatte das scharfe Geschoß ihn nicht, denn das Eisen des Helms hatte der Gewalt des Wurfs widerstanden. Schon wollte Diomedes der entsendeten Lanze nachspringen und die kühne That mit dem Schwerts vollenden, als Hektor sich mit unglaublicher Geschwindigkeit wieder aufraffte und ins Gedränge zurücksprang. Auch Odysseus hatte fehlgeworfen. Ehe beide ihrer verschleuderten Lanzen wieder habhaft wurden, war Hektor auf seinem Wagen bereits in Sicherheit. Diomedes stampfte vor Ärger mit dem Fuße und schrie ihm höhnend nach: »Bist du mir schon wieder entschlüpft, du Hund! Ha wahrlich, du hast an Phöbos Apollon einen guten Freund, sonst hätte ich dich längst in den Hades gesandt! Aber ich denke, du sollst meinen Händen nicht für immer entgehen!«

Seine Mordlust war einmal entzündet, und so erlegte er denn Feind auf Feind und wütete unter den Trojanern. Für den entronnenen Hektor mußten ihm ein paar Brüder desselben und noch andere treffliche Jünglinge büßen. Aber als er so die Feinde zurücktrieb und sich dem Grabmal des alten trojanischen Königs Ilos näherte, da hemmte Paris auf einmal dessen schreckenverbreitendes Ungestüm. Dieser hatte sich hinter der Säule des Grabmals versteckt und schoß nun plötzlich aus dem Hinterhalte mit seinem nie fehlenden Bogen einen Pfeil auf Diomedes ab, der ihm die Sohle des Fußes durchdrang und sie fest an den Boden heftete. Er sah den Helden zucken und plötzlich still stehen; da sprang er frohlockend aus seinem Versteck hervor und rief ihm zu: »Ha, das traf doch! Wie schade, daß es nur der Fuß ist! In die Weiche des Bauchs hätte ich dir gerne das Eisen geschleudert und dir das Leben entrissen!«

»Elender Weiberheld!« schrie Diomedes ihm entgegen; »wärest du nur einmal in voller Rüstung im Felde mir begegnet, dir sollte Bogen und Pfeil nicht viel geholfen haben! Nun prahlt die Memme schon, als hätte sie mich überwunden, und hat mir doch nur den Fuß geritzt; mir ist, als ob mich ein schwaches Weib getroffen hätte oder ein Knabe. Woher nähme auch so ein Weichling die Kraft? Ich hätte dich nur treffen sollen mit meiner Lanze, auch nur ein wenig, ha! sie hätte dich sofort zu den Toten gesellt! Doch wehe dir, wo ich dich noch erreiche!«

Dennoch war ihm die Wunde lästig genug; denn er konnte mit dem Fuße nicht auftreten. Und Paris hätte es vielleicht gewagt ihm noch einen zweiten Pfeil nachzusenden, wenn nicht eben zur rechten Zeit Odysseus herbeigesprungen wäre. Der aber stellte sich vor ihn und deckte ihn mit seinem Schilde; so geschirmt setzte Diomedes sich auf die Erde nieder und zog unter heftigen Schmerzen den Pfeil aus dem Fuße. Dann rief er seinen Wagenlenker herbei und fuhr rasch den Schiffen zu, bittern Groll im Herzen.

Odysseus blieb einsam auf jener Stelle zurück; von seiner Seite waren längst die erschreckten Gefährten gewichen, und die andern Helden tummelten sich in entfernteren Gegenden des Schlachtfeldes. Da sah er sich plötzlich denn er stand wirklich auf der gefährlichsten Stelle von Trojanern rings umschlossen, die mit ihren Wurfspießen auf ihn losstürmten. Entfliehen konnte er nicht, daher wollte er kühn sein Leben mit dem Blute der Feinde erkaufen. Er stürzte ihnen entgegen wie ein schäumender Eber, der sich plötzlich im Laufe zurückwendet und den verfolgenden Jagdhunden knirschend die entsetzlichen Hauer zeigt. Hier und dort streckte sein gewaltiger Wurfspieß die Gegner nieder. Die andern standen erstarrt, und keiner wagte sich an den wildverwegenen Kämpfer. Nur als er den Charops erstach, den edeln Sohn des Hippasos, da konnte dessen Bruder Sokos sich den Rachekampf nicht versagen; stolz und hochgemut, wie ein Gott, von Zorn und Schmerz zugleich gestachelt, trat der Jüngling hervor:

»Ha, mordsüchtiger Odysseus«, rief er, »entweder erwirbst du dir heute den Ruhm beide Söhne des Hippasos erlegt zu haben, oder du stirbst von meiner Hand durchbohrt!«

Sprach's und rannte kräftig mit der Lanze auf ihn los. Er durchbohrte die Wölbung des Schildes samt dem Panzer und riß dem Helden die Haut von den Rippen, daß dieser bestürzt einige Schritte zurückwich. Als Odysseus aber fühlte, die Wunde sei nicht tödlich, schwang er schnell den eigenen Speer und rief, indem er ihn furchtbar auf den erschreckt fliehenden Sokos hinschleuderte:

»Ja Unglücklicher, es ist auch dir bestimmt an diesem Tage von meiner Hand zu sterben! Mir giebst du Ruhm, nicht ich dir, wiewohl mich deine Lanze für heute auch wohl hindert das übrige Volk zu bekämpfen.«

Und ehe noch Odysseus das Drohwort geendet, krümmte sich schon Sokos zum Tode getroffen; denn des Feindes Geschoß hatte ihm gerade die Schulterbucht durchbohrt, so daß der Speer vorn aus der Brust hervordrang. Er fiel schwer zur Erde nieder, und dumpf dröhnte die eherne Rüstung.

»Erkennst du, tapferer Sohn des Hippasos«, rief ihm nun schadenfroh Odysseus nach, »daß vor meinen Händen kein Entrinnen ist? Wehe deinem jungen Blut! Dir drückt nun weder Vater noch Mutter die Augen zu, sondern dich zerhacken die Raubvögel. Mir aber, wenn ich sterbe, errichten die Achäer ein ehrenvolles Grabmal.«

Hierauf zog der Held aus seiner verwundeten Seite und aus Panzer und Schild die gewaltige Lanze des Sokos, und nun erst quoll das Blut heftig hervor und strömte an der Hüfte hinunter. Als das die Troer sahen, stürmten sie noch einmal auf ihn ein. Er aber mit gewaltigem Schrei rief die Freunde um Hilfe und wehrte sich, bis diese kamen, allein gegen die Menge der Feinde mit dem Mute und der Kraft der Verzweiflung. Sein Rufen hatten Menelaos und Aias vernommen, und eilig flogen sie herbei, um den Freund aus der Gefahr zu retten. Bei diesem Anblick flohen die Troer, wie die blutgierigen Schakale in den Gebirgen von dem verwundeten Hirsch ablassen, sobald grimmig ein Löwe naht und ihnen die Beute zu entreißen droht. Aias sprang unter den Haufen, und Menelaos führte den Odysseus am Arme fort aus dem Gewühl, bis der Wagenlenker herankam. Dann half er ihm in den Wagen, der den Verwundeten schnell dem Schlachtgetümmel entzog.

An der andern Seite des Treffens war der Kampf nicht minder heiß entbrannt. Hier stritt Hektor und drängte die Achäer immer weiter zu ihren Schiffen zurück, indem er von seinem Wagen herab unzählige Lanzen in den dichten Haufen der Feinde entsendete. Auch sein Bruder Paris ließ heute den Bogen nicht rasten und traf den alten Machaon, einen tüchtigen Kämpfer, allen seinen Genossen wert, weil er ein kundiger Wundarzt war, der schon manchem das Leben gerettet. Deswegen waren auch die Freunde um ihn sehr besorgt, und Idomeneus sprach schnell zum greisen Nestor:

»Rasch, Neleus' Sohn, nimm diesen auf deinen Wagen und führe ihn aus dem Getümmel zurück, damit er seiner Wunde sorglich pflege und uns nicht sterbe. Denn ein heilkundiger Mann ist wahrlich so wert zu achten als viele andere.«

Nestor zog ihn darauf zu seinem Sitze empor und kehrte schnell mit ihm ins Lager zurück. Hektor trieb indessen die Achäer immer mächtiger nach den Schiffen hin und fuhr mit kühnem Zuruf auf und ab hinter den vordringenden Reihen der Seinen. Jetzt jagte sein Wagenlenker die schnaubenden Rosse auch einmal nach jener entlegeneren Gegend hin, wo Aias tobte und wo man die Troer zu ganzen Scharen wie gescheuchte Vögel zurückfliehen sah. Über Leichen hin rollten die Räder des Wagens, stampften die Hufe der Rosse, und Roß und Wagen waren mit Blut bespritzt. Als Aias jetzt den Hektor daher fahren sah, überkam ihn Angst und Entsetzen; statt mutig den Wettkampf mit ihm zu wagen, wandte er sich wie betäubt und floh den Freunden zu. Hektor brachte indessen auch hier seine verwirrten Scharen wieder in Ordnung. So schien alle Hoffnung verloren, daß die Achäer nach dem Verluste so vieler Helden noch dem Untergange entrinnen könnten.

Als Nestor mit dem verwundeten Machaon bei den Schiffen angekommen war, stiegen beide vom Wagen herunter, und um sich selbst abzukühlen und die vom Schweiß durchnäßten Gewänder zu trocknen, stellten sie sich erst ein wenig an das Meeresufer und gaben dem Wehen des Windes das feuchte Haar und die triefenden Glieder preis. Dann gingen sie in Nestors Zelt, wo der Greis seinen Freund verband und ihn darauf durch ein kräftiges Mahl erquickte. Dazu mußte eine Sklavin Zwiebeln besorgen, die man gern zu Anfang des Schmauses genoß, um die Eßlust, noch mehr aber um den Durst zu reizen; hierauf schenkte sie Wein ein, in welchen sie Mehl und Ziegenkäse rührte, beiden Kriegern ein köstlicher Trank; und zuletzt stellte sie noch Honig und Milch auf den Tisch.

Indem sie so sich gütlich thaten, trat Patroklos zu ihnen herein. Diesen hatte Achilleus abgesendet, um zu erfahren, wer der Verwundete sei, den er auf Nestors Wagen von ferne hatte ins Lager bringen sehen. Denn Achilleus stand, während die Achäer kämpften, auf dem hohen Verdeck seines Schiffs und sah von weitem dem wildwogenden Getümmel zu, nicht ohne stille Trauer, daß er so feiern müsse; und oftmals wohl mochte beim Dröhnen der Schwerter die sieggewohnte Hand ungeduldig zucken nach Lanze und Schild. Nur die sichtbare Niederlage der Achäer konnte ihn erheitern, weil sie seinem beleidigten Ehrgeize süße Rache gewährte.

»Ei, sieh da, Patroklos!« rief Nestor dem Eintretenden zu. »Tritt näher, guter Freund, und setze dich zu uns! Wir haben dich lange nicht gesehen.«

»Nötige mich nicht zum Sitzen, ehrwürdiger Greis«, erwiderte Patroklos, »ich darf nicht weilen. Mich sandte nur Achilleus, um zu sehen, welchen Mann du verwundet hergebracht habest; aber nun, da ich den edeln Machaon erkannt habe, will ich ihm rasch die Botschaft überbringen; denn du weißt selbst, wie heftig er ist, und wie leicht er in der Hitze auch den Unschuldigen selber beschuldigt.«

Da fuhr Nestor fort: »O Sohn des Menötios, was hilft diese Teilnahme des Achilleus für einen Verwundeten, wenn er sich doch um die Gesamtheit nicht kümmert und sie gleichgültig verderben läßt? Und er weiß nicht einmal die ganze Not, die uns bereits betroffen hat; denn die tapfersten Helden im Heere liegen verwundet. Was für ein Mann ist das! Und solltest denn du, sein Freund und Jugendgefährte, gar keine Macht über ihn haben? Wie, wenn du ihn mit schmeichelnden Worten gewönnest und sein stolzes Herz bändigtest? Ach, das hatte dein redlicher Vater auch von dir gehofft und hat dich so ernstlich dazu ermahnt! Ich war ja dabei, als ihr beide, du und Achilleus, von euren Vätern Abschied nahmet, denn ich holte euch mit Odysseus aus Phthia ab und bewog eure Väter euch nach Troja zu senden. Ich sehe die beiden wackern Greise noch am Altare stehen und das Abschiedsopfer bereiten; der alte Peleus sprengte den Göttern aus goldenem Becher reichlichen Wein in die Opferflamme, und ihr beide waret mit dem Zerlegen und Verteilen des Opferfleisches beschäftigt. Darauf ermahnte Peleus den Achill immer der erste zu sein und vorzustreben vor andern; zu dir aber sagte der würdige Vater Menötios: »Lieber Sohn, an Geblüt steht Achilleus wohl höher als du, auch gaben die Götter ihm größere Stärke; aber du bist älter und nicht so stürmischen, trotzigen Sinnes als er. Da hilf ihm denn, wenn's not thut, mit weiser Erinnerung und lenke ihn zum Guten; ich weiß, er folgt dir gern.« So sprach der würdige Greis, aber das hast du nun leider vergessen. Doch wohlan, Geliebter, noch ist es Zeit, rede ihm jetzt zu! Wer weiß, vielleicht versöhnt ihn dein freundlicher Zuspruch. Ein kluges Wort aus Freundes Mund vermag gar viel. Und will er denn durchaus sich unserer Not nicht selbst erbarmen, so sollte er doch seine Völker und dich zu unserer Hilfe schicken. Sieh, wenn er dir seine prangende Rüstung liehe, vielleicht glaubten die Troer wenigstens eine Zeitlang, er sei zum Kampfe zurückgekehrt; die bloße Gestalt würde sie schon zurück scheuchen. Und seine Myrmidonen, frisch und ausgeruht, würden Wunder thun gegen jene ermatteten Streiter. Für die andern aber wäre eine kurze Ruhe vom Kampfe schon eine große Wohlthat.«

Patroklos war bewegt von der mahnenden Rede Nestors und versprach zu thun, was er irgend vermöge. Er schied darauf und wollte recht rasch dem Achilleus die Botschaft bringen; aber siehe, ein anderer unerwarteter Anblick hemmte seine Schritte wieder.

Es war Eurypylos, ein tapferer Fürstensohn und Freund des Patroklos. Der war, wie Diomedes, von Paris verwundet worden; die Spitze des Pfeils war ihm in die Lende gefahren, aber das Rohr war abgebrochen, und noch hatte sich der Jüngling mit Mühe unter den Haufen gerettet und hinkte nun unter heftigen Schmerzen allein zu den Schiffen. Da erblickte den ganz mit Angstschweiß bedeckten und von schwarzem Blute überströmten Freund Patroklos und rief ihm mitleidig zu: »Wehe, wehe, du Armer! Sollen auf solche Weise alle die Tapfern im Heere der Achäer mit ihrem Blute die troischen Felder düngen! Sage, wie steht es draußen in der Schlacht? Harren die Unsrigen noch mutig aus, oder wird Hektor vielleicht gar heute noch die Schiffe verbrennen?«

»Ach, teurer Patroklos«, entgegnete Eurypylos, »für uns ist keine Hoffnung mehr, denn rings umher auf dem Gefilde liegen die, welche unsere Tapfersten waren! Aber hilf mir, Freund! Führe mich zum bergenden Schiffe und schneide mir das Eisen aus der Lende, wasche mir auch die Wunde mit lauem Wasser rein und lege mir lindernde Salbe auf, denn dich hat ja Achilleus in Chirons Künsten unterwiesen. Ist doch sonst kein anderer hier, der mir helfen könnte. Machaon, unser Arzt, liegt selbst darnieder, und Podaleirios, der andere, tummelt sich draußen im Gefecht herum.

Patroklos sprach: »Weh! daß jetzt gerade Achill mich erwartet! Wie wird er mir zürnen, wenn ich zu lange zögere! Aber ich kann dich unmöglich in deinen Schmerzen verlassen. Komm!«

Er führte ihn langsam ins Zelt, breitete eine Stierhaut aus und legte den Verwundeten darauf. Dann schnitt er mit einem Messer die eiserne Spitze aus dem Fleische, wusch die Wunde aus und legte eine zerriebene bittere Wurzel hinein, die das strömende Blut und die brennenden Schmerzen stillte. Wählend er damit beschäftigt war, ereigneten sich draußen schreckliche Dinge.


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