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Eine lange Zeit der Unruhe war über den Grafen verhängt, der so sehr nach Ruhe und abgeschlossener Stille sich sehnte. Briefe kamen von Sophiens Mutter, alle mehr oder minder voll Furcht und Bangen, wie voll Klagen, daß sie durch Bande der Pflicht gebunden, nicht in der Lage sei, mit der geliebten Tochter sich wieder zu vereinen. Dennoch wollte sie deren Leben und Zukunft so gern gesichert sehen. An einem deutschen Hofe durfte dies nicht geschehen, denn an einem solchen konnte die junge Prinzessin nicht incognito auftreten, sie würde, wenn ihre Herkunft bekannt geworden wäre, jedenfalls eine mißliche Rolle gespielt haben. Da fiel der besorgten Mutter zuletzt ein Ausweg ein, sie wollte sich einem hohen Freund anvertrauen, dem es ein Leichtes war, ihrer Tochter, und wenn diese es wünschte, auch deren treuen Beschützer und Begleiter ein sicheres und unnahbares Asyl zu gewähren. Prinzessin Charlotte hatte beim Aufenthalt in Petersburg den Großfürsten Alexander kurz vor seiner Thronbesteigung kennen gelernt. Die persönliche Liebenswürdigkeit dieses jugendlichen Monarchen, den selbst Napoleon einen Apoll nannte, hatte auch die Prinzessin für ihn eingenommen.
Sie hatte ihn dann am Hofe zu Baden bei seiner Vermählung mit der schönen Tochter des fürstlichen Hauses, Prinzessin Elisabeth, wiedergesehen, rechnete auf des Kaisers Huld und Gunst und schrieb an ihn.
Alexanders Antwort sandte die Prinzessin an Ludwig, sie lautete: »Stellen Sie, Prinzessin, mir diejenigen Personen vor, deren Schutz Sie von mir wünschen, ich werde Alles zu deren Zufriedenheit und zu Ihrer Beruhigung thun. Sie kennen meine Gesinnung und meine Theilnahme an dem Unglück, das Sie betroffen, ich habe bei dieser grausamen Verletzung des Völkerrechts und jenem Meuchelmord, vor dem ganz Europa noch immer schaudert, als deutscher Reichsfürst Schritte gethan, daß Genugthuung für die Gebietsverletzung des Kurfürstenthums gefordert werde, allein welche Genugthuung wäre hinreichend, Ihrem Herzen zu genügen. Kaum die, daß ich im Bunde mit Oesterreich Frankreich den Krieg erklärt habe.«
»Reisen Sie, bester Graf,« schrieb die Prinzessin an Ludwig, »mit Sophie zum Kaiser, hören Sie dessen Befehle, ich überlasse alles Weitere Ihrer Einsicht, Ihrer Freundestreue, Ihrer Ehre und Ihrer Anhänglichkeit an mich und mein Kind. Der Himmel führe Sie Beide! Sie treffen, wenn Sie nicht säumen, den Kaiser noch in Wien. Eilen Sie dorthin und beruhigen Sie bald eine unglückliche Mutter, die für ihr Kind zittert, während sie bereits um ihren gemordeten Gatten der Verzweiflung anheimfiel!« –
Graf Ludwig billigte in seinem Innern diesen eigenthümlichen Vorschlag keineswegs. Es war eine Abneigung in ihm gegen alles Russische, wie sehr er auch den persönlichen Eigenschaften des jungen Kaisers Verehrung zollte. Diese Abneigung entsprang gleichsam einem ererbten Familiengroll, der im Blute lag; das Haus, dessen Sohn Ludwig war, konnte es nie verschmerzen, daß die russisch gewordene Herrschaft Jever – in ihr bestand das deutsche Reichsfürstenthum Kaiser Alexanders I., an welches Ludwig durch des Kaisers Brief erinnert wurde – die einst dem Hause gehört hatte, jetzt von diesem abgerissen war, daß zwischen Jever und Kniphausen der russische Grenzpfahl stand, von dem ein Adlerkopf nach Kniphausen, und der andere nach Varel sich neigte, gerade als ob in diesem schlimmen und starken Vogel Lust vorhanden sei, auch diese beiden Herrlichkeiten zu rauben. Es kämpfte daher mächtig in dem Grafen, ob er der erhaltenen Aufforderung Folge leisten solle oder nicht, zumal sich schon halb und halb in ihm ein Plan gebildet hatte, von dem er sich ein reines Zukunftglück versprach, der Sophien Schutz und ihm Freiheit zur Hingabe an seine Lieblingsneigungen und an ein ihm besonders zusagendes gemüthliches Stillleben gewähren sollte.
Gleichwohl ehrte Ludwig die Prinzessin, Sophie und das Geschick Beider zu sehr, um nicht zu fühlen, daß er vor dem Wunsche der Ersteren seine eigene Neigung aufopfern müsse. Er theilte daher der jungen Prinzessin den Brief ihrer Mutter mit und diese, obgleich erst fünfzehn Jahre zählend, war doch hinlänglich durch den Schmerz für den Ernst des Lebens gereift, um nicht die Bedeutung eines solchen Schrittes vollkommen würdigen zu können.
Sie schlug das seelenvolle Auge zu Ludwig auf und sprach bewegt: Ich habe keinen Willen, ich folge der Mutter, ich folge Ihnen, ich beuge mich in Demuth Allem, was über mich verhängt wird.
Sophie, entgegnete Ludwig: mich schmerzt, was Sie mir erwiedern, obschon ich weiß, daß Sie mich nicht durch Ihre Worte verwunden wollen. Wenn auch die Verhältnisse Ihnen die tiefste Zurückhaltung und Verschlossenheit der Welt gegenüber als eine schwer zu tragende Fessel auferlegen, so dürfen Sie doch mir gegenüber sich frei und offen äußern, denn Sie wissen ja, fügte er, um den Ernst seiner Rede zu mildern, im leichten scherzenden Tone hinzu: daß Sie nicht meine Untergebene, sondern meine Gebieterin sind. Daher dürfen Sie Ihr Verhältniß zu mir nicht so nehmen, als seien Sie ein willenloses Lamm oder ein Opfer der Politik, nein, im Gegentheil, ich werde Nichts unternehmen, in das Sie nicht willigen, da ich im Voraus weiß, wie Ihre klare Einsicht Ihnen sagt und Ihr Gefühl Ihnen sagen wird, daß ich nur an Ihr Heil sinne und denke.
Gewiß, dies fühle ich lebhaft, lieber Graf! versetzte Sophie: und ich will mich bessern; da nun aber meine geliebte Mutter befiehlt, so glaube ich, gehorchen zu müssen, wenn Ihre Meinung damit übereinstimmt. Sie müssen wissen, Graf, ob von dem Erbieten Seiner Majestät des Kaisers von Rußland etwas Günstiges für uns zu hoffen ist; nur das Eine erlaube ich mir zu bemerken, daß, wenn der zugesicherte Schutz eben in einem Aufenthalt im russischen Reiche, auf einem der Kronschlösser oder zuletzt gar in einem russischen Kloster bestehen sollte, ich sehr dafür danke. So lebhaft hat Rußland mich nicht angezogen, und so sehr hat es mir selbst in Sanct Petersburg nicht gefallen, daß ich den Wunsch fassen könnte, in Rußland meine Tage zu verleben. Ich bin in Deutschland geboren, und wenn sich mir auch für die Zukunft das Vaterland meiner Eltern verschließt, so will ich doch ungleich lieber in Deutschland wohnen, als in irgend einem andern Lande, denn Deutschland gefällt mir und ich liebe es.
Wir wollen, nahm Ludwig nach einigem Zögern das Wort: dem Befehl Ihrer Frau Mutter Gehorsam leisten, es steht dann immer noch bei Ihnen, eine dargebotene Gnade anzunehmen oder abzulehnen. Die Hauptfrage ist nur die, wird Ihre Gesundheit die Anstrengung einer Reise mit Courierpferden vertragen? Der Weg von Frankfurt nach Wien ist weit und Eile ist dringend nöthig; denn wenn auch, wie die Zeitungen melden, der Kaiser Alexander in den nächsten Tagen nach Wien kommt, so ist doch diesem Monarchen in so bewegter Zeit nirgend ein langer Aufenthalt vergönnt.
Ich bin Gott sei Dank gesund, mein bester Graf, erwiederte Sophie: und habe Jugendkraft. Frische Luft thut mir wohl, und die Reize wechselnder Landschaften und Orte, die ich ohne Schleierhülle betrachten darf, geben anmuthige Zerstreuung, wenn gutes Wetter solche Fahrt begünstigt. Sie wissen ja, daß ich armes Mädchen so zu sagen eine geborene Reisende bin. Nicht in der Nähe eines traulichen Heimathherdes kam ich zur Welt. Ehe ich noch recht zum Selbstbewußtsein gelangte, wurde ich als Kind in weite Ferne geführt. Zu Wasser und zu Lande war immer Gottes Hand über mir. Sie wissen dies Alles, weßhalb sollte also eine Reise nach Wien mich schrecken? Ich folge Ihnen unbedingt, heute noch, wenn es sein muß!
Wohlan denn, so schreiben Sie, während ich alles Nöthige anordne, einige Zeilen an Ihre Mutter, daß wir ohne Verzug nach Wien abreisen, und ihr vom Erfolg dieser Reise sogleich von dort aus Nachricht geben würden.
Ludwig schrieb seinerseits noch einige rasche Briefe, ließ durch Sophiens Bedienung deren Garderobe, durch Philipp die seine einpacken, und war jetzt erst recht von Herzen froh, daß er den Falken fortgesendet hatte, dessen Besitz eine stete Sorge für ihn gewesen wäre.
Auf dem geradesten Wege ging die Fahrt von Frankfurt nach Würzburg, und von da nach Nürnberg, wo man sich eine Nachtrast gönnte, dasselbe war am folgenden Tage in Linz der Fall, und am dritten schon waren die Reisenden bei guter Zeit in Wien.
Kaiser Alexander empfing sie mit der ganzen Herzlichkeit seines Wesens und seiner Humanität, die ihn zu einem der ausgezeichnetsten Monarchen des Jahrhunderts machten. Er bezeugte der jungen liebenswürdigen Prinzessin sein inniges Beileid, und sprach mit freundlicher Herablassung zu Ludwig: Sie, mein lieber Graf, begrüße ich als alten Nachbar! Wenn Sie mich als solchen vielleicht nicht gern gesehen haben sollten, so will ich Ihnen zum Troste sagen, daß diese Nachbarschaft sich in Kurzem lösen wird, ich bin entschlossen, meine Herrschaft Jever an Holland abzutreten, und gratulire Ihrem Hause im voraus zum neuen Nachbar.
Diese Aeußerung des Selbstherrschers aller Reussen setzte Ludwig einigermaßen in Verlegenheit, denn was sollte er ihm darauf erwiedern? Sein Name allein mochte den Kaiser glauben gemacht haben, er habe irgend noch ein Mit-Anrecht an jene Herrschaft, doch viel zu wichtig war der Augenblick, um ihn auf derartige Erörterungen zu verwenden. Es war Hochwichtiges in Wien zu verhandeln, der Kaiser hatte keine Zeit für Familienangelegenheiten, Fürst Metternich war schon angemeldet, dieser konnte jeden Augenblick eintreffen. Alexander wandte sich wieder zu Sophien und fragte sie, ob sie der Gast seiner Gemahlin in Sarskoe-Selo sein wolle? Dies kaiserliche Lustschloß stehe ihr offen, oder, wenn sie dies vorziehe, würde sie ein gleiches Asyl zu Oranienbaum finden. – Ihre nächsten Verwandten, mein lieber Graf – wandte sich der Kaiser wieder scherzend zu Ludwig: sind ja sehr für Oranien, und gewiß auch Sie selbst! Wissen Sie auch, daß der regierende Graf von Varel und Kniphausen vor Kurzem bei mir in Sanct Petersburg war, um die alten Ansprüche und Anwartschaften auf Jever geltend zu machen? Er war sehr dringend, und ich habe ihm ein Jahrgehalt von fünftausend Silberrubeln als Entschädigungssumme auf Lebenszeit zugesichert, mehr konnte ich nicht thun. Ich habe dem Souverän von Varel und Kniphausen mein aufrichtiges Bedauern darüber ausgesprochen, daß die Verhältnisse gebieterisch fordern, die Ueberzahl dieser reichsgräflichen und reichsfreiunmittelbaren deutschen Standesherrn, da factisch das deutsche Reich aufhört, zu mediatisiren. – Wollen Sie, Herr Graf, in meinen Militärdienst treten, so sollen Sie mir willkommen sein.
Bei dieser Anrede des Kaisers durchzuckte blitzesschnell ein Gedanke Ludwig's Seele. Ich soll von Sophie getrennt leben, sie soll am Ende gar Hofdame in Sarskoe-Selo werden – und wozu dies Alles? Bedürfen wir dieser kaiserlichen Gnaden?
Allerunterthänigst muß ich für das Glück und die Auszeichnung danken, Eurer Majestät Offizier zu werden, antwortete Ludwig im bescheidensten Tone: ich bin körperlich zum Militärdienst untauglich. Die Prinzessin Sophie wird die Huld Eurer Majestät zu würdigen wissen und sich für die Annahme einer der Gnaden entscheiden, die allerhöchst ihr anzubieten Eure Majestät geruht haben. Majestät geruhen den Ausdruck unterthänigsten Dankes im Voraus entgegen zu nehmen.
Der Kaiser nickte gnädig zum Zeichen der Entlassung, und bat Sophie noch, ihre schöne Mutter von ihm zu grüßen. Die Prinzessin zitterte an Ludwig's Arme, als sie, in ihren Schleier gehüllt, durch die mit besternten Kammerherren und hohen Militärchargen angefüllten Vorsäle, durch die Schaar goldbetreßter Diener schritt; sie athmete tief auf, da sie endlich im Wagen saßen, um nach ihrem Hotel zurückzufahren. Verwundert sahen die Höflinge dem Paare nach. Wer war der Mann, der eine Prinzessin, wie man sprach, zur Audienz beim Kaiser führte, im schlichten schwarzen Bürgerkleid und hatte nicht einmal einen Orden auf der Brust!
Was sagten Sie dem Kaiser, Graf? Ich hörte es nicht genau vor Zittern und Zagen, fragte Sophie. Ich würde mich für Annahme einer der mir angebotenen Gnaden entscheiden? War es nicht so?
Allerdings, ich konnte nicht anders sprechen, entgegnete Ludwig: ich konnte, nachdem ich für meine Person abgelehnt hatte, nicht auch in Ihrem Namen, ohne vorher Ihren Willen zu kennen, Nein sagen.
Und wünschten Sie, daß ich Ja sagte, Graf? fragte Sophie. Wünschen Sie mich los zu werden? Habe ich Ihnen nicht bereits meinen Willen und meinen Entschluß, in Rußland nicht zu verweilen, offen ausgesprochen?
O Himmel, Sophie! Sie geben mir das Leben wieder! rief der Graf freudig bewegt und führte ihre Hand an seine Lippen. Ich zitterte Ihrer Entscheidung entgegen, und wollte Sie nicht binden; ich hatte dazu kein Recht. Alles Glück, alle Freuden, auf welche Hoheit und Liebreiz Ansprüche haben, wären Ihnen vom Kaiserhofe zu Theil geworden; Ihre Frau Mutter hätte das wohl am Liebsten gesehen.
Ich will bei Ihnen bleiben, entgegnete Sophie mit sanftem Erröthen: will mit Ihnen gehen, wohin Sie mich führen, in die Stille, nur in die Stille, auch Sie lieben ja die Stille, und ich sehne mich gleichfalls nach ihr.
Ludwig war selig in seinem Gefühl – eine Vorahnung heiliger Stille, süßen Friedens kam über ihn und erfüllte sein ganzes Herz. Er sah nun, wie kein Gedanke in Sophie den Wünschen widerstrebte, die den holden Traum seiner Zukunft ausmachten.
Bei der Rückkehr in das Gasthaus trat ein stattlicher Herr dem Paare entgegen, kraftvoll gebaut, von militärischer Haltung, viele Ordensinsignien auf der Brust. Ludwig gab es einen Stich in's Herz, er wollte schnell mit seiner Begleiterin an ihm vorübergehen, aber Jener vertrat ihm den Weg, und rief erstaunt: Ludwig! Vetter! Du hier?
Wie du siehst, Wilhelm, erwiederte der Graf. Ich bin im Augenblick zu deinem Befehle, erlaube nur, daß ich diese Dame erst nach ihrem Zimmer begleite.
Der Reichsgraf blickte ganz verwundert den Beiden nach; Sophiens edle Haltung, ihre zarte Gestalt fielen ihm auf. Nicht übel, murmelte er: nicht übel! – Ja, das muß wahr sein, schöne Mädchen gibt es in der Kaiserstadt, oder sollte das eine Fremde sein?
Der Reichsgraf hatte nicht die entfernteste Ahnung von dem zarten und innigen Verhältniß Ludwig's zu den hohen Frauen, die das Schicksal in jene Asyle am Rhein geführt. – Da Windt Ludwig's nie gedacht hatte, zumal der Erbherr immer sichtlich vermied, nach ihm zu fragen, so konnte dieser auch Nichts erfahren, und wenn Ludwig's je einmal, wie es bei der Unterredung bezüglich des Falken der Fall gewesen war, Erwähnung geschah, so berührte der treue Intendant doch auf keine Weise jenes Verhältniß.
Der Graf theilte Sophien vor deren Zimmer in flüchtigen Worten mit, daß jener Herr derselbe Verwandte sei, von dem so eben Kaiser Alexander gesprochen habe; dann eilte er wieder zu diesem hinab, worauf die beiden Vetter sich mit einander in ein abgesondertes Zimmer begaben, um ihr Wiedersehen nach so langer Trennung bei einer Flasche Champagner zu feiern.
Das Gespräch lenkte sich auf allerlei; der Reichsgraf war in einer recht gemüthlichen Stimmung; das drohende Gespenst der Mediatisation schien nicht auf dieselbe einzuwirken. Was ihm am Meisten am Herzen lag, der Wiedergewinn jenes kostbaren Trinkgeschirres, das er in Ludwig's Händen wußte, wurde auch bald Gegenstand der Unterhaltung. Als Graf Ludwig von dem Tod der Großmutter erzählte, daß er noch ihren letzten Segen erhalten habe, rief der Reichsgraf mit Bitterkeit:
Und noch mehr, noch Besseres erhieltest du von ihr. Du empfingst auch noch den Falken!
Allerdings, und zwar mit verbriefter und besiegelter Urkunde rechtmäßigen Besitzes in Folge freier Schenkung, versetzte Ludwig.
Was gedenkst du damit anzufangen? fragte der Reichsgraf mit schlecht verhehltem Aerger.
Nichts, antwortete Jener trocken.
Man sollte doch dies Geräth bei der Familie lassen, Vetter! sprach der Graf nach einer Pause.
Bei welcher? Bei der deinen oder bei meiner zukünftigen? fragte mit scharfer Betonung Ludwig, und diese seine Frage verwirrte den regierenden Herrn ganz und gar, ja es fehlte wenig, so hätte sie ihn aufgebracht; doch bezwang er sich und sprach ruhig weiter: Mit einem Wort, Vetter: wir, der Admiral und ich, hätten den Falken gern wieder, überlass' ihn uns, tritt ihn uns käuflich ab, stelle deine Forderung, wir schaffen die Summe!
Ludwig blickte eine Weile sinnend vor sich hin, als wolle er sich die Sache überlegen, dann sprach er: Wirklich? Ihr schafft die Summe? Ach, da thut es mir in der That recht leid, daß ich nicht im Stande bin, euren so billigen Wunsch erfüllen zu können.
Warum nicht?
Weil ich nicht mehr im Besitz jenes seltenen Vogels bin.
Um des Himmels Willen, was muß ich hören! fuhr der Graf erschrocken auf. Wurde er dir entrissen? Gabst du ihn hin? An wen gabst du ihn und wie theuer?
Nie würde ich so unwürdig handeln, dieses werthvolle Familienstück zu verkaufen, Vetter! Das denkst du gewiß nicht von mir!
Nun denn, wo kam der Falke sonst hin? fragte der Erbherr in ungeduldiger Spannung.
Ich habe ihn verschenkt, war Ludwig's ruhige Antwort.
Verschenkt! Hör' ich recht, verschenkt! schrie Jener außer sich. Ich bitte dich, Ludwig! Wußtest du, was du thatest?
Ich wußte, was ich that, mein lieber Vetter, ich war bei vollem Bewußtsein; mit der einzigen Bedingung, den Falken nie wieder aus den Händen zu geben, schenkte ich den armen Vogel einer vornehmen und sehr reichen Dame, die ich liebe.
Der Reichsgraf stieß sein Champagnerglas so heftig auf den Tisch, daß es klirrend zersplitterte.
Fahr hin, Glück von Edenhall! sprach dazu Ludwig ganz kaltblütig, mit einer Anspielung auf eine bekannte Sage.
Was ist's mit dem Glück von Edenhall? fragte Graf Wilhelm rauh und hastig, indem er seinen Grimm zu bemeistern suchte.
Als ich in England, in der Grafschaft Devonshire war, erzählte Ludwig, nachdem er ein frisches Glas und eine frische Flasche Champagner bestellt hatte: fand ich auf dem reizenden Schloß Chatsworth, in einem Zimmer, darin die unglückliche Maria Stuart sechzehn Jahre ihres Lebens vertrauerte und neben dem mein Schlafkabinet war, eine alte schottische Chronik, darin ich von einem schönen Krystallbecher las, welcher dem Grafenhause von Castle Edenhall in Cumberland als Geschenk einer Fee gehörte, und »das Glück von Edenhall« genannt ward. So lange es existirte, sollte des Hauses Glück unwandelbar blühen. Ein Sproß des Hauses von wildem Sinn wollte das Glück versuchen, stieß das Glas auf, und da zerbrach es unter schrillem Klang. Wie jener Becher zersprungen war, wich alles Glück vom Hause der Lords von Edenhall, es spaltete sich die Familie, ein Unfriede herrschte darin und Alles ging zu Grunde. Seitdem lebt das Sprichwort dort im Volke, wenn Jemand mit Absicht oder auch ohne Absicht ein Geräth zerbricht: Fahr hin, Glück von Edenhall!
Eine düstere Wolke des Mißmuths lagerte sich über die Stirne des Reichsgrafen.
Erst nach einer Pause fragte er, als könne er den Gedanken noch immer nicht fassen, mit erneutem Erstaunen: Du hast also wirklich den Falken verschenkt? Sage mir, Mensch, hast du den Stein der Weisen gefunden? Kannst du Gold machen?
Wer weiß, entgegnete Ludwig geheimnißvoll, dem es eine wahre Lust war, den Grafen durch Zweifel zu quälen. Als ich die Bäder von Buxton gebrauchte, besuchte ich auch die in jener Gegend gelegene berühmte Peakhöhle bei Castleton; ich stand in der gothischen Geisterkirche dieser majestätischen Stalaktitenhöhle, einer Kirche, welche die Hand der Natur für den Weltgeist wölbte; ich lauschte dort einem Chorgesang, der wunderbar erklang, tief schwermüthig, und was tönten diese fernen Stimmen unsichtbarer Sänger? Es waren Strophen einer altschottischen Ballade, davon lautete die letzte:
»O leide, leide, mein wackrer Falk,
Die Federn fallen dir aus!
O leide, leide, mein liebster Herr,
Seht blaß und elend aus!«
Ja, es war schön und reizend im Castle Chatsworth. Und siehst du, Vetter, dort könnte ich wohl auch den Stein der Weisen gefunden haben.
Wie finde ich dich so ganz anders, als ich mir dich dachte, Vetter Ludwig, rief Graf Wilhelm. Du scheinst viel Glück gehabt zu haben! Bist wohl sehr reich?
Hm, es geht an! versetzte Jener mit leichtem Tone, so reich bin ich mindestens, daß mich nicht nach russischen Rubeln gelüstet!
Wie kommst du darauf, Mensch, der Grafschaften verschenkt? fragte betroffen der Reichsgraf.
Siehst du, geliebter Vetter, erwiederte Ludwig: wenn ich Grafschaften verschenke, so befreie ich mich dadurch nur von einer großen Furcht und Sorge, und ich habe mir nun einmal fest vorgenommen, sorgenlos zu leben.
Welche Sorge meinst du? fragte Wilhelm gespannt.
Ich meine die Sorge, mediatisirt zu werden, entgegnete Ludwig trocken.
Was, Mensch? Bist du ein Dämon! Welche Geheimnisse trägst du mit dir herum? Wer hat dir von russischen Rubeln gesagt? Wer von Mediatisirung? Niemand weiß etwas davon!
Willst du es durchaus wissen? – Ja! – Nun denn, der Kaiser von Rußland, vorhin, als ich bei ihm war.
Beim Kaiser von Rußland, rief Graf Wilhelm, dessen ganz verstörter Zustand nunmehr Ludwig's Mitleid rege machte. Er sprach daher mit vieler Freundlichkeit zu ihm: Lieber Vetter, zürne mir nicht; ich war ein wenig böse auf dich und neidisch auf den Vice-Admiral.
Ha! glaub's wohl, wegen Doorwerth! rief Graf Wilhelm.
Nicht doch, versetzte Ludwig, sondern daß ihr mich so ganz vergessen und zur Seite geschoben habt; konnte ich nicht auch Gevatter bei dir stehen und Vetter Williams Pathchen mit aus der Taufe heben? Vielleicht hätte ich deinem Sohne den Falken eingebunden. Doch was reden wir da! Nimm die fünfzigtausend holländische Gulden, die ich dir in Doorwerth lieh und lasse dir davon einen andern Falken machen. Ich schenke sie dir, sammt den Zinsen von zwölf Jahren.
Redest du im Ernst, Ludwig, oder im Fieber? fragte ganz verwirrt der Reichsgraf.
Mir war selten so wohl, wie heute, wo ich meinen theueren Vetter so unvermuthet wiederfinde, versetzte Ludwig.
Sieh, geliebter Vetter, fuhr er nach einer Pause mit Wärme fort: du zeigtest mir damals selbst im Zorne ein edles Herz. Ich hatte dir die ärgste Kränkung angethan; selbst von dir zuerst beleidigt, hätte ich dich nicht so wieder beleidigen dürfen, wie ich es that; du konntest mich fordern und todt schießen; du hast mein Leben aufgespart zu vielem herben Weh, aber auch zu unendlichen Wonnen, die mir entgegenblühen, darum nimm mich nun, wie ich bin, aufrichtig und ohne Falsch. Auch warst du es, der als der Aeltere mir zuerst die Hand zur Versöhnung bot; dein Edelmuth gewann dir meine ganze volle Liebe, und nun von allen diesen Geschichten kein Wort mehr. Laß uns anstoßen: Unsere lieben Todten sollen leben!
Theuere Namen klangen durch Ludwig's Erinnerung: Ottoline, Leonardus, Sophie Charlotte, Angés. Thränen entstürzten seinen Augen, er sprang auf, umarmte Wilhelm mit stürmischer Innigkeit und eilte fort.
Der Abend dieses Tages fand Sophie und Ludwig schon nicht mehr in Wien. Rasch, wie sie gekommen waren, verließen sie die Kaiserstadt wieder, aber sie fuhren nicht mit gleicher Schnelle nach Frankfurt. Sie rasteten in Pölten, und gönnten sich an den übrigen Tagen Zeit, von der schönsten Witterung begünstigt, die herrlichen Ufer des Donaustromes zu bewundern. Sie sahen Regensburgs alte versinkende Herrlichkeit, sahen das alte Nürnberg und sein immer jugendliches Leben. Ueber Bamberg und Coburg reisten sie dann nach dem Dorf Eishausen; der Graf hatte Befehl gegeben, dort anzuhalten, und führte die junge Prinzessin durch die Hauptstraße des Ortes.
Erinnern Sie sich nicht, schon einmal hier gewesen zu sein? fragte er sie.
Allerdings ist es mir so, erwiederte sie: doch weiß ich mich nicht mehr zu entsinnen, wann es war.
Es ist derselbe Ort, sprach der Graf, in welchem ich Sie und die selige Angés nach langer Trennung zum Erstenmale wiedersah, als Sie mit Ihren theueren Eltern nach Rußland reisten.
Ach ja, jetzt entsinne ich mich! rief Sophie gerührt: Dort stand eine schöne Kirche, dort ein ziemlich großes Schloß, hier vor dem Wirthshaus war ein Haufe Soldaten der Republik, der Vater fürchtete von ihnen erkannt zu werden, wir fuhren daher sehr schnell weiter.
Nach kurzer Rast wurde die Reise nach Hildburghausen fortgesetzt. Als der Weg sich von dem hohen Stadtberg thalwärts niedersenkte, als zur Rechten der Blick auf Wald, Wiesen und Dörfer frei ward, zur Linken auf grünende Berggärten und heitere Gelände, und unten im Thale die schöne Stadt so friedlich ruhte, das Abendsonnengold gerade wie damals über die ganze Flur ein magisches Zaubernetz warf und eine Glocke vom stattlichen Kirchthurme herab die Feierabendstunde verkündete, da überkam unsere Reisende ein unnennbar süßes Gefühl der Ruhe, der sanften traulichen Befriedigung. Es war als schließe hinter ihnen die Welt voll Sturm, voll Unfriede, voll Haß und Verfolgung sich ab, und ein neues Leben, nur dem Frieden und der Liebe geweiht, thue sich vor ihnen auf.
Dasselbe Gasthaus, in dem damals die fürstlichen Reisenden während des Pferdewechsels eingetreten waren, der »Englische Hof« in Hildburghausen, nahm sie auch diesmal wieder auf, heute jedoch zu ungleich längerem Aufenthalt. Bald nach ihrer Ankunft suchte der Graf um eine Audienz bei der regierenden Herzogin Charlotte nach. Diese gebildete Fürstin, deren Geist und edles Herz noch heute im treuen Andenken von Stadt und Land fortlebt, empfing den Grafen mit Güte und dankbarer Erinnerung.
Ich komme, Ihre Durchlaucht um die Gnade zu bitten, mich eine Zeitlang hier aufhalten zu dürfen, sagte Ludwig nach der ersten Begrüßung. Ich suche mit einer Gefährtin von hoher Geburt die Einsamkeit, die tiefste Stille. Ueber jener Dame Abkunft schließt mir ein theures Gelübde den Mund, das nur ein strenger Befehl lösen würde, der dann zugleich mein Verbannungsurtheil, meine Ausweisung wäre. Mein Ehrenwort leistet dafür Bürgschaft – ich selbst darf nichts sagen, wie gerne ich auch einem so edlen Frauenherzen, wie dem Ihrer Durchlaucht, Alles vertrauen würde.
Ich verstehe Sie vollkommen, lieber Graf! erwiederte die Herzogin lächelnd. Wir sind hier am Hofe etwas schwatzhaft geartet, meinen Sie nicht? Nun, Sie mögen nicht so ganz unrecht haben! Uebrigens sollen Sie sehen, daß ich eine Regel von der Ausnahme mache, und damit Sie gleich den Beweis davon haben, gebe ich Ihnen hiermit das Versprechen, Ihr Geheimniß jederzeit zu ehren, und Sie und die unbekannte Dame, für deren Ritter Sie sich erklären, nach Kräften zu schützen. Je länger es Ihnen bei uns gefällt, um so mehr soll es mich freuen; aber von Einem seien Sie zum voraus fest überzeugt: Bin auch ich nicht neugierig, hinter Ihr Geheimniß zu kommen, so werden's andere Leute dafür um so eifriger sein. Mit einem Wort: Hüten Sie sich vor der delphischen Weisheit unserer guten Residenzbewohner.