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Wir verlassen nun das kleine Haus in Eimsbüttel, wo wir über die Verhältnisse der Lüders'schen Familie vorläufig genug erfahren haben, um uns anderen Personen zuzuwenden, die in dieser Geschichte eine hervorragende Rolle spielen, und die wir deshalb nicht aus den Augen verlieren dürfen. Es war ungefähr eine Stunde nach dem im vorigen Kapitel mitgetheilten Gespräch, und in den Straßen Hamburgs brannten bereits die Gaslaternen hell und lustig, aber doch nicht hell genug, um den großen Platz, der Pferdemarkt genannt, in allen Ecken und Winkeln zu beleuchten. Der Doctor Schönfeld, der hier mit der Putzmacherinn Fräulein Bertha in eifrigem Gespräch einherschritt, durfte also hoffen, nicht leicht von Vorübereilenden erkannt zu werden.
»Es war das Lustigste,« betheuerte lachend Fräulein Bertha, »was ich noch in der langweiligen alten Bude erlebt habe. Himmel, was hab' ich gelacht! und noch, wenn ich nur daran denke ...« Sie konnte nicht weiter sprechen, sondern brach in ein schallendes Lachen aus, und dasselbe hatte etwas so Ansteckendes, daß der ernste Doctor zuletzt aus voller Kehle mit einstimmte.
»Hätten Sie nur die Bucklige sehen können,« fuhr das schöne Mädchen fort, »wie die Giftkröte vor Zorn und Eifersucht aufschwoll. Sie würde die vornehme Louise in Fräulein Lina's Wasserschale ersäuft haben, wenn es nur möglich gewesen wäre. Nun, wenn die nicht die ganze Nacht hindurch über die Treulosigkeit ihres Lieutenants bittere Thränen vergießt! ha ha ha! ihres Lieutenants, ja, wenn er das wüßte! o, es ist zum Tollwerden!« Und wieder begann ihr helles Lachen.
»Und wie benahm sich Fräulein Louise dabei?« fragte der Doctor.
»O, sie zeigte sich natürlich wieder in ihrer gewöhnlichen erhabenen Würde. Es war eine göttliche Scene, sag' ich Ihnen, sie ganz die stolze Königin, die Andere eine nach Rache dürstende, wuthentflammte, zornglühende Megäre!«
»Glauben Sie, schöne Bertha, daß Louise in Folge dieser Intrigue gezwungen sein wird, ihre Stelle bei der Eberhardt aufzugeben?«
»Ich hoffe es.«
»Ja, Sie hoffen es, weil Sie es wünschen, nachdem Louise die Aufmerksamkeit Ihres reichen Consuls H. auf sich gezogen hat. Nun, ich verdenke es Ihnen nicht, daß Sie die verhaßte Nebenbuhlerin zu entfernen suchen, und ich bin ja auch gern bereit gewesen, Ihnen dabei Hülfe zu leisten; aber glauben Sie wirklich, daß unsere List den gewünschten Erfolg haben wird?«
»Nun freilich glaub' ich es. Sie wird sich wohl freiwillig zurückziehen; wenigstens gab sie uns das zu erkennen. Aber thäte sie es nicht, so würde jedenfalls Fräulein Emilie dafür sorgen, daß sie von Madame Eberhardt mit Schimpf und Schande entlassen wird. O, die wird sie so anzuschwärzen wissen, daß kein gutes Haar an ihr bleibt; wenn die erst Eine aufs Korn nimmt, so ist sie unrettbar verloren.«
»Also sind Sie mit mir zufrieden, schöne Bertha?« sagte der Doctor in zärtlichem Tone, indem er einen Arm um ihre schlanke Taille legte.
»Ja,« entgegnete Fräulein Bertha mit komischem Pathos, »Sie können mit König Philipp sagen; Kardinal, ich habe das Meinige gethan. Thun Sie das Ihre! Und verlassen Sie sich darauf, Fräulein Emilie wird die Rolle des Großinquisitors meisterlich spielen.«
»Süße Bertha.«
»Aber seien Sie doch vernünftig,« fuhr Fräulein Bertha fort, indem sie sich behende dem Arm des Doctors entwand, »die Zeiten sind vorüber, da ich Ihre süße Bertha war.«
»Sie könnten wiederkehren, wenn Sie wollten.«
»O, ich kenne Sie, Spiegelberg. Wie viele Liaisons haben Sie seit der Zeit gehabt?«
»Sie haben mich gelehrt, was ich an einer früheren verlor.«
»Redensarten.«
»Alte Liebe rostet nicht, wissen Sie.«
»Ich danke für Ihre alte Liebe, mag sie nun rostig sein oder nicht. Aber nun führen Sie mich nach Fischer's Keller, denn ich habe einen ungeheuren Appetit nach Austern und Rheinwein.«
»Ich habe nur eine Stunde zu meiner Verfügung.«
»Gut, essen wir also eine Stunde lang Austern.«
Wie viele Austern Fräulein Bertha in einer Stunde zu verspeisen vermochte, können wir leider nicht angeben, denn die Umstände haben es uns nicht gestattet, hierüber, wie es die Pflicht eines gewissenhaften Berichterstatters eigentlich erheischte, in Fischer's Keller Erkundigungen einzuziehen. Wir vermögen zur Beantwortung dieser wichtigen gastronomischen Frage nur die eine Thatsache anzuführen, daß wir einmal Jemand in fünfzehn Minuten 60 Stück vertilgen sahen. Hiervon ausgehend würden wir durch eine leichte Multiplication auf die Zahl 240 kommen; wir gestehen jedoch ehrlich und offen, daß uns dies als ein zu unsicheres Facit erscheint, als daß wir es wagen möchten, die Glaubwilligkeit des geneigten Lesers dafür in Anspruch zu nehmen. Jedenfalls muß die Zahl der genossenen Austern eine sehr beträchtliche gewesen sein; wir schließen das aus einzelnen abgebrochenen Aeußerungen, die dem Doctor unwillkürlich entschlüpften, als er ziemlich spät am Abend allein nach Hause ging.
»Unerhörte Eßlust,« murmelte er zwischen den Zähnen, »sollte man es für möglich halten! ein wahrer Vielfraß!« Dann fügte er verächtlich lächelnd hinzu: »Dumm wie die Nacht! denkt, daß ich in ihrem Interesse wirksam bin.«
Der Doctor wohnte – brauchen wir es wohl zu sagen? – nicht mehr in Ottensen bei Madame Pietschmann. Seine jetzige Wohnung lag in der Vorstadt St. Georg, und zwar in einem kleinen Nebengäßchen, welches auf das offene Feld hinausführte. Er lebte überhaupt gern in stiller Abgeschiedenheit und gab sich, wie wir wissen, viel mit der Blumenzucht ab. Diesen harmlosen Gelüsten konnte er jetzt in vollem Maße genügen; denn es war in der That ein friedlicher kleiner Winkel, den er sich dort ausgesucht hatte, und der zum Hause gehörende, geschmackvoll angelegte und nett gehaltene Garten stand ganz zu seiner Verfügung.
Es mochte gegen zehn Uhr sein, als der Doctor das Gäßchen erreichte, in welchem das von ihm bewohnte Haus lag. Er richtete, sobald er dieses sehen konnte, einen prüfenden Blick nach den Fenstern; sie waren beleuchtet. »Mein Bruder ist noch da,« murmelte er leise vor sich hin, »er wird ungehalten sein.«
Einen Augenblick später stand er vor der Hausthür. Er öffnete sie, stieg die Treppen hinan und trat in's Zimmer. Es war spärlich erhellt durch eine matt brennende Lampe, über deren Kuppel ein Schirm von grünem Papier hing.
»Seid Ihr's Mylord von Kent? Schon vom Turnierplatz
Zurück, und ist die Festlichkeit zu Ende?«
erscholl es in declamirendem Tone von der Seite her, wo der Sopha stand. »Ich bin verdammt schläfrig geworden, beinahe wär' ich eingenickt.« Ein endloses Gähnen folgte diesen Worten und stellte die Wahrheit derselben außer allen Zweifel.
»Es thut mir leid, Martin,« war die Antwort des Doctors, »ich wurde durch dringende Geschäfte länger aufgehalten, als ich vermuthen konnte.« Er entledigte sich seines Hutes, seines Stockes und des Paletots und ging dann zum Schreibpult, wo die Lampe stand, deren Docht er in die Höhe schob. Als er darauf den grünen Schirm entfernte, fiel der helle Schein bis in die entferntesten Winkel des Zimmers und ließ den Mann deutlich erkennen, der dem Einnicken so nahe gewesen war. Er lag zurückgelehnt auf dem Sopha, den Ellbogen auf dem Polster desselben, den Kopf in die Hand gestützt und die Beine auf einen Stuhl ausgestreckt.
Es war ein Mann hoch in den dreißiger Jahren und von kurzer, gedrungener Statur. Er hatte grobe, aber regelmäßige Züge, die an sich nicht unschön gewesen wären, hätte nur nicht ein unangenehmer tückischer Zug in seinen kleinen grauen Augen gelauert und ein burleskes Mienenspiel, so oft er sprach, sein Gesicht in widerlicher Weise verzerrt. Konnte einerseits der Beobachter leicht auf die Vermuthung geführt werden, in Martin einen Gauner und Beutelschneider vor sich zu haben, so mochte er ihn anderseits für einen mißrathenen Schauspieler halten; und, wie man aus dem Folgenden sehen wird, vereinigte er auch wirklich in sich die Kriterien dieser beiden anziehenden Gattungen.
Martin, wie wir den Halbbruder des Doctors kurzweg nennen wollen – sein voller Name war Martin Döllinger – erhob sich ein wenig aus seiner liegenden Stellung und rieb sich unter fortwährendem Gähnen die Augen.
»Also wichtige Geschäfte,« sagte er und schüttelte sich heftig.
»In diesen Mauern, diesen Hallen
Will es mir keineswegs gefallen;
denn es ist verwünscht kalt bei Dir. Ich hab' alle Winkel und Ecken durchstöbert, um etwas zu finden, woran sich ein Mensch ein Bischen erwärmen könnte, etwas Branntwein, Rum oder Cognac – kein derartiger Stoff zu entdecken – und das Cigarrenkästchen da hast Du verschlossen.
Ha, ha! das ist in Eurer Art
Ihr seid ein Schelm, wie Ihr nur immer war't!
Ohne Deinen alten Schlafrock,« schloß er, indem er diesen fester um sich zusammenzog, »hätt' ich vor Kälte umkommen müssen.«
Der Doctor sah seinen Bruder mit einem eigenthümlichen Lächeln an und ging in das Nebenzimmer; kehrte aber gleich darauf mit einer Flasche Portwein und zwei Gläsern zurück, die er nebst dem Cigarrenkästchen auf den Tisch stellte.
»Wo zum Kuckuck hast Du denn die versteckt gehabt?« rief Martin, nach der Flasche schielend. »Ich hab' doch Alles genau durchsucht bis auf die Hutschachtel, die auf dem Kleiderschranke steht. Hast Du denn den Portwein in der Hutschachtel?«
Der Doctor mochte meinen, daß dies sein ausschließliches Geheimniß sei, denn er gab keine Antwort; Martin aber hielt es für überflüssig, seine Frage zu wiederholen; er nahm sich vielmehr vor, bei nächster Gelegenheit nicht nur die Hutschachtel, sondern auch einen alten Koffer, den er unter dem Bette hatte stehen sehen, einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.
Der Doctor entkorkte die Flasche, schenkte ein, öffnete mittelst eines kleinen Schlüssels, den er aus der Westentasche zog, das Cigarrenkästchen, schob dann einen großen Lehnsessel an den Tisch und streckte sich so bequem wie möglich darin aus. Die Cigarren wurden jetzt angezündet, und Martin ergriff das Glas und leerte es in einem Zuge. Die eigenthümliche Weise, in welcher er es zum Munde führte, zeigte, daß sein rechtes Handgelenk durch irgend einen Unfall steif geworden war. Als er, ohne die Aufforderung des Doctors erst abzuwarten, sich ein zweites Glas eingeschenkt hatte, mochte ihm die Situation hinlänglich gemüthlich scheinen, um ein Gespräch anzuknüpfen; denn indem er den blauen Rauch in der Form eines Ringes von sich blies und diesem mit den Augen folgte, bis er beinahe die Decke erreicht hatte und dort allmählig seine Gestalt verlor, wandte er sich an den Doctor und begann:
»Was hast Du denn eigentlich mit mir zu besprechen, August?«
»Martin,« sagte der Doctor in seiner gewöhnlichen sanften und ruhigen Weise, »wir sind gestern in einer etwas aufgeregten Stimmung von einander geschieden. Solche Scenen dürfen sich zwischen uns nicht wiederholen. Hab' ich in der Uebereilung zu viel gesagt, so vergiß es. Reich' mir die Hand und laß uns wieder gute Freunde sein.«
Auf Martins Gesicht zeigte sich ein hämisches, zähnefletschendes Grinsen, und er schien weit eher geneigt zu sein, dem Bruder in's Gesicht zu lachen, als ihm die Hand zu reichen. Auch war die Stellung, die er einnahm, hierzu in der That nicht sehr geeignet; denn er mußte sich aufrichten und so weit möglich vorüber beugen, um es zu bewerkstelligen; doch erfüllte er nach einigem Zögern den Wunsch des Doctors, indem er halblaut in den Bart murmelte:
»Laß gut sein, August; ich denke schon lange nicht mehr daran; Du warst ein wenig hitzig,
aber Reue soll,
Nicht Deiner Seele schönen Frieden stören!
Doch nun, sans cérémonie, was willst Du von mir?«
»Ich muß Dich,« sagte der Doctor, »hinsichtlich einiger Aeußerungen, die Du gestern Abend fallen ließest, um Aufklärung bitten. Ich muß wissen, wie wir beide mit einander stehen, ja, ich muß noch heute Abend erfahren, ob ich in der bewußten Sache noch ferner und sicher auf Deine Hülfe rechnen darf.«
»Du kennst meine Bedingungen,« entgegnete Martin barsch.
»Deine neuen Bedingungen, willst Du sagen. Ich habe mir die Sache überlegt und nehme auch die eine an. Das Geld zahle ich Dir, sobald Du mir den verlangten Dienst geleistet hast; das Concept aber zu dem Contracte kannst Du, wenn Du willst, noch heute Abend in Empfang nehmen.«
»Du weißt,« sagte Martin nach kurzem Bedenken, »daß ich sonst Dir gegenüber so gefügig bin wie ein Lamm,
Doch, wo's auf Handel ankommt, merk' Dir's wohl,
Da zank' ich um ein Neuntheil eines Haars.
Was Du mir einräumst, genügt mir nicht ganz, Du mußt auch die andere Bedingung erfüllen und mir offen gestehen, welche Zwecke Du bei dem Unternehmen verfolgst, bei welchem ich Dir Hülfe leisten soll. Frei heraus, mein Prinz, es wird mir immer klarer, daß Du aus einer puren Grille, oder vielmehr, daß Du von einer rasenden Leidenschaft verblendet, auf Deinen eigenen Ruin losarbeitest. Du bist verliebt, mein Bester,
Deine Wangen, sonst der Sitz
Schamhaft erröthender Bescheidenheit,
Sie glühen nun vom Feuer des Verlangens.
Irre ich mich hierin nicht, so ist Dir mein Beistand unbedingt verweigert. Du kannst mich fragen, was es mich kümmert, ob Du bei Deinem Unternehmen gewinnst oder verlierst, da ich doch jedenfalls Vortheil daraus ziehe. Wollte ich Dir nun auf eine solche Frage antworten« – er sagte dies in einem äußerst irritirenden Tone – »daß eine zarte Regung von brüderlicher Liebe und Theilnahme mich abhielte, Dir in einer Sache beizustehen, die nur zu Deinem Schaden ausfallen könne, so würde ohne Zweifel Dein weiches Herz von Rührung überfließen; aber Dein praktischer Sinn würde doch diesen Grund als nicht durchaus stichhaltig verwerfen. Wenn ich Dir aber sage, daß der mir innewohnende crasse Eigennutz nun verbietet, mich mehr, als ich es leider schon gethan habe, mit dieser Affaire zu befassen, so wird Dir das zwar weniger rührend, aber um so glaubwürdiger vorkommen. Gut also, aus reinem, schieren Egoismus verweigere ich Dir meinen Beistand, denn ich habe darauf gerechnet, daß wir uns künftig noch oft zu gegenseitigem Nutzen und Frommen brüderliche Hülfe leisten könnten, und ich will Dir nicht die Hand dazu leihen, daß Du Dir selbst die Mittel dazu abschneidest. Lange genug hab' ich still geschwiegen
Zu allen schweren Thaten, die ich sah,
Mein sehend Auge hab' ich zugeschlossen,
Mein überschwellend und empörtes Herz
Hab' ich hinabgedrückt in meinen Busen...«
»Mein Gott, Martin!« sagte ungeduldig der Doctor, »laß doch die ewigen Citate; kann man denn gar nicht mehr vernünftig mit Dir sprechen!«
»Ei, ei, werde doch nicht gleich so ungehalten,« entgegnete Martin,
»Aus Ehrfurcht, hoff ich, soll es mir gelingen,
Mein leichtes Naturell zu zwingen;
also in dürren Worten: Du weißt, daß ich einen einmal gefaßten Entschluß nie ändere und magst nun wählen: entweder Du sagst mir ohne Umschweife, welchen Zweck Du im Auge hast, und dann, falls es ein vernünftiger ist, helfe ich Dir auch fernerhin, ihn zu erreichen, oder es beliebt Dir, noch länger den Stummen, den Geheimnißvollen zu spielen, und dann thätest Du wohl daran, Dich nach einem anderen Genossen umzusehen.«
Nach dieser bündigen Rede leerte Herr Martin sein Glas, strich die Asche von seiner Cigarre und schien sich von seinem Sitze erheben zu wollen; denn er zog die Beine vom Stuhl herunter. Aber der Doctor bedeutete ihm mit einer Handbewegung sitzen zu bleiben und sagte dann, indem er das Glas des Bruders wieder füllte, in seinem sanftesten Tone:
»Es thut mir leid, Dich so sprechen zu hören, Martin; Du hast früher mehr Vertrauen in meine Umsicht und Welterfahrung gesetzt und nie für nöthig erachtet, meine Nebenabsichten zu ergründen, so wenig wie ich je ein Verlangen getragen habe, in Deine Geheimnisse einzudringen. Wir sind vielmehr immer der Ansicht gewesen, daß es besser sei, einander nicht zu tief in die Karten zu gucken und haben uns bei diesem System gegenseitiger Zurückhaltung sehr wohl befunden; warum denn gerade jetzt davon abweichen?«
»Weil noch nie,« entgegnete Martin höhnisch, »bei dem, was wir gemeinschaftlich unternahmen, thörichte Liebesgrillen im Spiel waren. Wir ließen uns bis jetzt nur auf reine Geschäftssachen ein und nicht auf Abenteuer à la Don Juan. Früher hieß es: dieses oder jenes Unternehmen verspricht einen Gewinn von so und so viel; allein kann ich es nicht durchführen, theile Du die Gefahr und die Mühe mit mir, und ich theile mit Dir redlich den Ertrag. Aber jetzt lässest Du mich –
Fluchvolles Amt, das mir geworden ist! –
die erbärmliche und lächerliche Rolle eines Holzhändlers en détail spielen, der seine Waare so billig verkauft, daß der Dümmste an den Fingern nachrechnen kann, wie viel er an jeder Klafter verliert. Ich muß mich dem Gespötte der Leute preisgeben, um Dir zu helfen, Dein Geld zu verschleudern.
Beim Himmel, Poins, ich fühl' mich tadelnswerth,
So müssig zu entweih'n die edle Zeit!
Und warum geschieht das Alles? Um einen alten schwachköpfigen Mann noch mehr zu ruiniren, als er ohnehin schon ruinirt ist, ja, der Dir selbst schon mehr schuldig ist, als Du, wenn Du ihn pfänden ließest, aus seiner ganzen Habe herausschlagen würdest. Du willst es dahin bringen, daß sein Wohl und Wehe ausschließlich in Deiner Hand ist und es Dir freisteht, ihn jeden beliebigen Augenblick in Schuldhaft bringen zu lassen. Und was willst Du nun schließlich mit dem Allen erreichen, als das Eine nur, daß Du seine schöne Tochter Deinen Wünschen geneigt machst. Muß ich mich da nicht selbst fragen, ob der schlaue, berechnende, kaltherzige August Schönfeld nicht plötzlich ein heißblütiger Wollüstling und thörichter Verschwender geworden ist?
Verzeiht, Mylord, es schneidet mir in's Herz,
Wehmuth erfüllt mich, und die Seele blutet!«
Wärest Du reich, so würde ich sagen: es ist zwar höchst unklug, so viel Geld an etwas so Werthloses zu vergeuden; aber weil Du dessen genug hast, um Deinen Gelüsten zu fröhnen, so sei es darum. Da ich nun aber weiß, wie wenig Du besitzest und mit welchen Anstrengungen und tollkühnen Wagnissen dieses wenige zusammengerafft ist, so erwarte nicht, daß ich Dir auf dem eingeschlagenen Wege weiter folge.
Höre, Mortimer!
Es ist ein schlüpfrig, glatter Grund, auf den Du Dich begeben!
Zudem hast Du mich hinter das Licht geführt; hättest Du mir gleich gesagt, worauf das abziele – doch, wozu noch weitere Worte machen? Ich gehe von meiner Bedingung nicht ab, Du willst sie, wie es scheint, nicht erfüllen; mithin sind wir fertig. Gute Nacht, Bruderherz, Dein Portwein hat mir gut geschmeckt, Deine Cigarre war vortrefflich, für beides sage ich Dir meinen verbindlichsten Dank. Gute Nacht!
Während Martin sprach, war in den sonst so lebhaften Zügen des Doctors nicht die mindeste Bewegung sichtbar gewesen, aus welcher man hätte schließen können, daß die bald heftig und barsch, bald mit beleidigendem Hohne gesprochenen Worte irgend einen Eindruck auf ihn gemacht hätten. Er hatte seine Cigarre ruhig fortgeraucht und ein Paar Mal an seinem Glase genippt, mitunter auch in die Flamme der Lampe geblinzelt, Alles aber mit einer Miene, als sei von einer Sache die Rede, die ihn persönlich eigentlich gar nichts angehe. Als er nun sah, daß der Bruder abermals die Beine vom Stuhl herunterzog und allen Ernstes Anstalt machte, sich zu erheben, griff er schnell zu der Flasche, um die leeren Gläser von Neuem zu füllen, und sagte in jenem ihm so eigenthümlichen leisen, aber eindringlichen Tone:
»Bleibe, Martin! wir wollen, denk ich, nicht öfter auf dieses Thema zurückkommen und uns lieber gleich heute Abend noch über die Sache verständigen. Du willst, daß ich ganz offen mit Dir rede; gut, es sei. Zwar hätt' ich es nimmer für möglich gehalten, daß Du mich in dem Maße falsch beurtheilen könntest, wie Deine Worte zu verstehen geben; aber, so wenig schmeichelhaft es in der That auch für mich ist, daß Du mich für einfältig genug hältst, um zu glauben, ich beabsichtige, einer phantastischen Grille mein ganzes mühsam erworbenes Vermögen zum Opfer zu bringen, so würde ich Dich dennoch nicht über meine wahren Absichten belehren, wenn ich nur ein anderes Mittel sähe, Dich für meine Pläne zu gewinnen. Nicht wahr, Martin, das ist doch ehrlich gesprochen?«
»Gewiß,« sagte Martin höhnisch, »und ich danke Dir für den hohen Werth, den Du meinem Urtheil über Dich beilegst.«
»Was Du in Bezug auf den alten Lüders und seine Tochter gesagt hast,« fuhr der Doctor fort, »ist wahr; ich selbst hätte nicht klarer und deutlicher den Zweck angeben können, den ich hinsichtlich der letzteren verfolge. Nur glaube ich, daß Du meine Motive nicht ganz richtig auffassest. Eigentlich gehört das nicht zur Sache; da wir aber einmal darüber sprechen und um ganz von Dir verstanden zu werden, will ich Dich daran erinnern, daß ich zu zwei verschiedenen Malen an den Besitz dieses Mädchens große Erwartungen geknüpft und ihretwegen andere Aussichten aufgegeben habe. Daß diese Erwartungen getäuscht wurden, lag zwar an den Umständen, sie aber verschmähte meine Huldigung. Mochte diese nun der Ausdruck einer vollkommen uneigennützigen Liebe sein, oder nicht – vielleicht war sie es anfänglich wirklich, oder wenigstens mehr als – doch nichts davon – sie hatte keinen Grund, an der Aufrichtigkeit meiner Gefühle, wie ich sie darlegte, zu zweifeln, und sie wies sie dennoch verachtend zurück. Ja, sie zog mir einen Mann vor, der in ihren Augen von allen Mitteln gänzlich entblößt und von niedrigem Stande war, denn so hatte er sich ihr zu erkennen gegeben. Begreifst Du nun, daß dieses zweimalige Fehlschlagen meiner Hoffnungen, daß diese wiederholte Kränkung meines Stolzes ein Gefühl in mir hervorgerufen hat, welches, vereint mit der Macht ihrer Schönheit und dem Genuß, den der Sieg über ihre widerstrebende Tugend verspricht, mich zu dem Entschluß gebracht hat, sie um jeden Preis – wie Du Dich ausdrückst – meinen Wünschen geneigt zu machen? Du siehst, es ist jetzt nicht allein die Liebe, oder, damit Du mich besser verstehst, es ist nicht allein die Begierde des Wollüstlings, die mich anspornt, Alles daran zu setzen, meine Absicht zu erreichen, es kommt dazu noch eine Triebfeder, weit mächtiger als jene, der Durst nach Rache!«
Die Aufmerksamkeit Martin's wurde noch mehr als durch die eben gehörten Worte durch den eigenthümlichen Blick, welchen der Doctor auf ihn heftete, gefesselt; doch seine Spottsucht überwog sein Erstaunen, und er murmelte vor sich hin:
»Herrlich! etwas dunkel zwar,
Aber's klingt recht wunderbar.«
Dem Doctor war übrigens die Wirkung nicht entgangen, die seine Worte auf den Bruder hervorgebracht hatten; seine Gesichtszüge nahmen plötzlich wieder den vorigen Ausdruck an, und er fuhr fort:
»Verstehe mich übrigens recht, Martin, die Mittel, die Du mich anwenden siehst, würde ich nicht gewählt haben, wenn ich nicht einen doppelten Zweck vor Augen hätte. Deine Hülfe würde ich dann auch nicht in Anspruch genommen haben; daß ich es that, hätte dich nach einigem ruhigen Nachdenken überzeugen können, daß mein Unternehmen nicht allein ein Abenteuer à la Don Juan, sondern zugleich auch ein solches sei, das einen ansehnlichen pecuniären Vortheil zu bringen verspricht. Hab' ich Dir jetzt genug gesagt?«
Der Zug von Hohn und Spott, der bisher auf Martin's Zügen gelegen hatte, war gänzlich verschwunden und hatte dem Ausdruck eines unverhohlenen, fast peinlichen Erstaunens Platz gemacht. Er besann sich einen Augenblick, ehe er Antwort gab, und man sah, daß es ihm unangenehm war, das Gespräch fortzusetzen. War nun aber sein früher ausgesprochener Zweifel gegen die Zweckmäßigkeit des Unternehmens, bei welchem er sich betheiligen sollte, noch nicht gehoben, oder war seine Neugierde durch die leidenschaftlichen Aeußerungen seines Bruders in ungewöhnlich hohem Grade rege geworden, genug, er sagte nach einer kurzen Pause:
»Was Du von dem Mädchen gesprochen hast, August, gehört – es sind Deine eigenen Worte – eigentlich nicht zur Sache und hat nur dazu gedient, mich in der gleich Anfangs geäußerten Annahme noch mehr zu bestärken, daß Du Dich von einer rasenden Leidenschaft hast hinreißen lassen, einer Leidenschaft, die ich Dir nicht zugetraut hätte, weil sie mir – wie sehr auch Deine Worte das Gegentheil andeuten sollen – in weit höherem Maße die Merkmale einer brennenden Begierde, als die der gekränkten Eitelkeit und der Rachsucht an sich trägt. Statt aber in anderer Hinsicht meine Bedenklichkeiten zu heben, willst Du mich mit einer einfachen Behauptung abfertigen, die aller Beweiskraft entbehrt, ja, die mir um so weniger genügen kann, je mehr ich in Deinem gegenwärtigen Zustande die sonstige ruhige Besonnenheit vermisse.«
»Ich sehe, es läßt sich heute Abend nicht mit Dir accordiren,« entgegnete der Doctor mit jenem unheimlichen Lächeln, bei dem es seinem Bruder oft eisigkalt überlief, »ich muß mich also fügen. Weißt Du, daß im vorletzten Herbst der Pflegesohn des alten Lüders, jener junge Seemann, den man seit langen Jahren als verschollen betrachtete, plötzlich hier wieder auftauchte?«
»Ich erinnere mich, damals von Dir gehört zu haben, er bewerbe sich um die Gunst seiner schönen Cousine.«
»Entsinnst Du Dich auch, daß ich Dir sagte, er sei eben so arm, wie er fortgegangen, aus Amerika zurückgekehrt?«
»Ja, Du sagtest mir mit der Dir eigenen liebenswürdigen Offenheit, es sei ihm dort drüben nicht viel besser ergangen als mir; und Du fügtest, wenn ich nicht irre, hinzu, er sei Steuermann auf einem Westindienfahrer.«
»Du wirst Dich vielleicht ferner erinnern, daß ich Dir mitgetheilt habe, wie der alte Lüders früher durch die Vermittlung eines Londoner Handlungshauses eine Unterstützung von jährlich 400 Thalern empfing?«
»Ich hab' es nicht vergessen.«
»Nun gut, durch einen günstigen Zufall bin ich von den Verhältnissen jenes Hugo Falkner ganz genau unterrichtet worden. Er ist nicht der arme Steuermann, für den er sich hier ausgab, sondern besitzt ein unermeßliches Vermögen, und jene Unterstützung kam von ihm.«
Der Doctor hielt inne, wie um die Wirkung zu beobachten, die diese Mittheilung auf den Bruder machen würde, dann fragte er mit einem triumphirenden Lächeln: »Fängst Du jetzt an, Martin, die Sache zu begreifen?«
»O ja, ich bin nur toll bei Nord oder Nordwest; wenn der Wind aus Süden bläst, kann ich einen Falken sehr gut von einem Kirchthurm unterscheiden,« erwiederte dieser, indem er sich aus seiner bequemen Lage halb erhob und den Bruder mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, »aber dennoch – –«
»Aber dennoch,« unterbrach ihn der Doctor, »ist Dir noch manches nicht recht klar, willst Du sagen. So begreifst Du z. B. nicht, was den reichen jungen Mann bewogen haben kann, sich für arm auszugeben.«
»In der That kommt mir das sehr seltsam vor.«
»Ich kann Dir natürlich seine Gründe nicht angeben, aber diese kümmern uns auch sehr wenig. Jedenfalls ist er, so viel ich habe ausfindig machen können, ein Phantast, ein überspannter Mensch, ein Grillenfänger, der sich darin gefällt, allen seinen Launen nachzugeben. Vielleicht hat er die wahre Gesinnung seiner Verwandten erproben wollen, vielleicht ging seine Absicht auch nur dahin, den Grad von Uneigennützigkeit zu ermessen, mit welcher ihm Louise zugethan war.«
»Sehr romantisch!« lachte Martin höhnisch.
»Und sehr unpraktisch,« sagte der Doctor, »wie das Ergebniß ihn hat belehren müssen; denn ich glaube, er wurde von dem Pflegevater auf eine eben nicht schmeichelhafte Weise empfangen. Anders war es mit Louisen. Sie hätte, wenn ihr die freie Wahl geblieben wäre, diesen ungeschliffenen Seemann – – doch lassen wir das bei Seite. Worauf es uns ankommt, ist, daß er die Mittel und den Willen hat, den Pflegeeltern Hülfe zu leisten, sobald ich ihm die Gelegenheit dazu biete; und er besitzt beides. Sein Vermögen ist ein wahrhaft fürstliches und – –«
»Entschuldige, daß ich Dir in's Wort falle,« unterbrach ihn Martin, »der zweite Punkt, sein guter Wille nämlich, den Pflegeeltern zu helfen, scheint mir etwas zweifelhaft, und Du weißt, daß ich an dem Grundsatze festhalte: quod dubitas, ne feceris. Also, ohne Winkelzüge, hat er ihnen nicht von jener Zeit an alle Unterstützung entzogen?«
»Das hat er.«
»Und natürlich weil sie ihn unfreundlich empfingen, und seine Hoffnungen in Bezug auf Louise scheiterten?«
»Nein, weil er sie für wohlhabend genug hält, um keiner Unterstützung zu bedürfen.«
»Du willst doch damit nicht etwa sagen – –«
»Ich will damit sagen, daß er noch immer in dem Wahne lebt, daß sein Pflegevater das Gut Buchenthal besitzt.«
»Es war doch eigentlich eine recht lustige Geschichte, die mit dem Lotteriegewinn,« sagte Martin, wieder in den früheren spöttischen Ton fallend. »Wie leicht selbst mein kluger Bruder in die Falle ging!«
»Und wie schnell er sich wieder herauszog, hättest Du hinzufügen können. Doch, um bei der Sache zu bleiben, Falkner ging am Abend des nämlichen Tages, an welchem jenes ominöse Ereigniß eintraf, an Bord seines Schiffes, und früh am nächsten Morgen verließ er den Hafen, bevor er noch ahnen konnte, daß sein Pflegevater, er selbst und die halbe Stadt – –«
»Und Du mit ihnen,« fiel Martin ein.
»Düpirt worden waren,« fuhr der Doctor fort, indem er des Bruders sarkastisches Lächeln mit einem stechenden Blicke erwiederte, »durch den plumpen Mißgriff einer halb verrückten Collectrice.«
»Die Du aber doch zur Frau Doctorin Schönfeld machen wolltest,« lachte Martin. »O unglückliches Flötenspiel, das Dir nie hätte einfallen sollen! Das hätte mir nun nie passiren können,
Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab' ich noch nie empfunden.«
»Ich denke, wir sprechen jetzt von Geschäften,« sagte der Doctor mit scharfer Betonung, »Du thätest besser, Deine Komödiantenspäße auf eine andere Zeit zu verschieben.«
»Verzeih'«, entgegnete Martin, indem er sich von seinem Sitze erhob und unruhig im Zimmer auf und abging, »verzeihe, mon cher frère,
Ich hab' es öfters rühmen hören,
Ein Komödiant könnt' einen Pfarrer lehren.
Du hast übrigens wenig Ursache, über meine dramatischen Leistungen zu spotten. Ich übte die mimische Kunst doch nur auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, Du aber im wirklichen Leben. Denke z. B. nur an Deine famose Rolle als Baron, die – –«
»Kommst Du schon wieder auf das alte Thema!« unterbrach ihn der Doctor, heftig mit dem Fuße stampfend, »meine Geduld ist jetzt zu Ende, Martin, und wenn Du nicht gleich – –«
»Nur ja nicht ungehalten, edler Lord,« fiel ihm Martin ins Wort, »ich will nun wieder so ernst sein, wie ein Quäker.«
Nachdem er eine Weile gesenkten Hauptes und mit hastigen Schritten die Länge und Breite des Zimmers gemessen hatte, blieb er plötzlich dicht vor seinem Bruder stehen und faßte ihn scharf ins Auge.
»Ich durchschaue jetzt klar und deutlich Deinen ganzen Plan, August,« sagte er, »und ich gestehe, es ist ein erhabener glorreicher Plan und Deiner würdig. Du weißt natürlich, wo sich jener romanhafte Schwärmer, der Falkner, aufhält.«
»Ich bin von Allem, was ihn betrifft, jederzeit aufs Genaueste unterrichtet,« war die Antwort.
»Du willst nun dem alten Lüders jede Hülfsquelle abschneiden,« fuhr Martin fort, »ihn, so weit es irgend möglich ist, zu Grunde richten und dann, wenn er unter Deiner liebreichen Behandlung an Geist und Körper gebeugt und so weich gemacht ist wie Wachs, das Du unter Deinen Fingern in jede beliebige Form kneten kannst, und wenn Du Deine sonstigen Zwecke vollständig erreicht hast, dann willst Du den alten Mann, dem lange vorher wahrscheinlich vor Kummer und Elend das Herz gebrochen und der Geist irre geworden sein wird, dazu zwingen, einen großen Wechsel zu unterschreiben, den Dir hernach der reiche, mitleidige Pflegesohn einlösen soll. Ist dem so?«
»Nach Allem, was ich Dir mitgetheilt habe,« erwiederte mit unerschütterlicher Ruhe der Doctor, »kann ich Deinen Scharfsinn nicht sehr bewundern.«
»Mein Scharfsinn geht aber doch weiter, Du treues Bruderherz,« fuhr Martin fort, »er zeigt mir mit wunderbarer Deutlichkeit, weshalb Du Dich so lange und hartnäckig gesträubt hast, mir einen tieferen Blick in das kunstvolle Räderwerk Deiner Machinationen zu gestatten. Von dem großen Gewinn, den sie versprechen, wolltest Du mir nichts zukommen lassen; Du wolltest mich mit einem Darlehen von einigen hundert Thalern und dem von Deiner Meisterhand in bester juridischer Form entworfenen Concept zu einem Contracte abspeisen. Ist dem nicht so?«
»Ich kann Dich nicht verhindern, es zu denken.«
»Und ich gestatte Dir dafür zu denken, daß ich sehr froh bin, Dich zur Aufdeckung Deines ganzen allerliebsten Geheimnisses gezwungen zu haben; denn Du wirst mich doch hoffentlich nicht für so albern halten, aus purer brüderlicher Zuneigung mit einem so erbärmlichen Sündenlohne vorlieb zu nehmen?«
»Ich denke doch, daß Du es thun wirst, Martin.«
»Da wirst Du Dich aber in meiner liebreichen, brüderlichen Gesinnung gewaltig getäuscht sehen, so rein und uneigennützig sie auch immer sein mag; ja, ich glaube in der That, daß wir jetzt die Bedingungen etwas anders werden stellen müssen. Doch so etwas muß überlegt werden, und ich will Dir bis morgen Zeit lassen, Dein weiches, gefühlvolles Herz darüber zu Rathe zu ziehen. Gute Nacht, August, schlafe den süßen erquickenden Schlaf des Gerechten. Mögen liebliche Traumgebilde Dein keusches Lager umgaukeln.«
Er trat an den Tisch und schenkte den Rest des Portweins in sein Glas.
»Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele
Als festlich hoher Gruß dem Morgen zugebracht!«
rief er pathetisch und leerte es in einem Zuge. Darauf ergriff er seinen Hut, nickte dem Doctor mit einem spöttischen Grinsen zu und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen. In der Thür aber kehrte er wieder um und trat dicht vor seinen Bruder hin.
»Bald hätt' ich das Wichtigste vergessen,« sagte er.
»Nun?«
»Du mußt mir zwanzig preußische Thaler borgen.«
»Ich habe kein Geld,« entgegnete der Doctor unwirsch.
»Ei, Brüderchen, das weiß ich besser, Du – –«
»Ich habe keines, wiederhole ich Dir.«
»Augustus!«
»Du wirst mir meinen Glauben nicht erschüttern,
Der auf die tiefste Wissenschaft sich baut!
Sag', hast Du nicht vorgestern den reichen Engländer tüchtig gerupft draußen bei der Dorville, oder richtiger, mit der Dorville; denn ihr beide spielt doch wohl eigentlich unter einer Decke. Ich hörte von einer beträchtlichen Summe, und nun – –«
»O wende Deine Augen
Nicht von mir weg! Noch einmal zeige mir
Dein ewig theures und verehrtes Antlitz!
Gieb mir die zwanzig Thaler, und – –«
»Nun, in des Teufels Namen!« rief der Doctor, außer sich vor Wuth, »wenn es denn gar kein anderes Mittel giebt, Dich los zu werden – –«
Er zog seine Brieftasche und zählte jenem die Summe in preußischen Thalerscheinen ab. Martin sah ihn mit einem spöttischen und triumphirenden Lächeln zu.
»Jetzt bist Du ganz, wie Dich mein ahnend Herz
Geträumt,«
sagte er, indem er das Geld einstrich,
»mich hat mein Glaube nicht betrogen!«
Der Doctor sah ihm, als er endlich fortging, mit einem Blick ingrimmigen Hasses nach und versank dann, den Kopf auf die Hand gestützt, in tiefes Nachdenken. Eine halbe Stunde mochte er in dieser Weise noch zugebracht haben, als er sich erhob, die Lampe ergriff und in sein Schlafzimmer ging. Ob er dort den Schlaf des Gerechten geschlafen hat, wollen wir bescheiden dahingestellt sein lassen.