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III.

Madame Lüders befand sich in einer nicht geringen Verlegenheit. Sie fühlte die Nothwendigkeit, der Collectrice mitzutheilen, daß sich der Doctor Schönfeld um die Hand Louisens beworben habe, und daß die Verlobung noch am heutigen Abend gefeiert würde. Aber obgleich sie es nun für unzweifelhaft hielt, daß der Doctor seiner Hauswirthin vorsätzlich nie eine Veranlassung zu der Annahme gegeben habe, als denke er an eine Verbindung mit ihr, so war sie doch nicht weniger überzeugt, daß die gute Collectrice dennoch diesen Glauben hege, und da sie die heftige Gemüthsart derselben kannte, so mußte sie sich auf eine stürmische Scene gefaßt machen, und eine solche mied sie mit der ihrem sanften und indolenten Charakter eigenen Scheu. Die Dankbarkeit, die sie für die Collertrice als die Urheberin ihres jetzigen Glückes empfand, machte es ihr doppelt peinlich, sie ihrer Illusionen zu berauben; indeß es mußte geschehen, und da war es doch jedenfalls weniger schlimm, es ungesäumt und unter vier Augen zu thun, als sich Abends im Beisein Fremder einer unangenehmen, compromittirenden Störung von Seiten der Madame Pietschmann auszusetzen. Nach schwerem Kampfe gelangte sie endlich zu dem heroischen Entschlusse, die Collectrice in deren Wohnung aufzusuchen und sich der Bürde zu entladen, die wie ein Alp auf ihrer Brust lag; aber in dem Augenblicke, als sie ihr Zimmer verlassen wollte, trat Madame Pietschmann, die wie es dem Leser erinnerlich sein wird, von Herrn Lüders zum Mittagessen eingeladen war, ihr entgegen. Der Madame Lüders sank der Muth, als sie die Hauswirthin in ihrem vollsten Staate und im stolzen Bewußtsein ihrer Wichtigkeit so plötzlich vor sich sah.

»Hier haben Sie mich, gnädige Frau,« rief die Collectrice mit ihrer gewöhnlichen Zungengeläufigkeit, »nicht wahr, Sie haben mich nicht so früh erwartet? Aber ich dachte mir, daß Sie und Ihre Fräulein Töchter gewiß alle Hände voll zu thun haben würden, und eine kleine Hülfeleistung Ihnen nicht unangenehm sein möchte. Bin ich nicht eine gute Frau?« fügte sie hinzu, indem sie die ihr von Madame Lüders entgegengestreckte Hand sanft tätschelte. »Nun geben Sie mir aber auch gleich etwas zu thun. Womit kann ich helfen? Soll ich den Tisch decken? Giebt's in der Küche etwas zu kochen, zu braten, zu schmoren? Verfügen Sie ganz nach Belieben über mich.«

Madame Lüders hatte noch nicht Zeit gehabt, auf das freundliche Anerbieten der Collectrice ein Wort zu erwiedern, als auch Herr Lüders eintrat. Er kam von dem Doctor Schönfeld, den er gleichfalls zu Mittag eingeladen hatte. Aber der Doctor, der vermuthen oder wissen mochte, daß er, wenn er die Einladung annähme, mit der Hauswirthin zusammentreffen würde, was er aus guten Gründen zu vermeiden wünschte, bis die Verlobung würde Statt gefunden haben, hatte ihm mit den Ausdruck des tiefsten Bedauerns erklärt, daß wichtige, unaufschiebbare Geschäfte ihn für den ganzen Rest des Tages in Anspruch nähmen und ihn nöthigten auf ein so großes Vergnügen zu verzichten.

Bei Tische herrschte, trotz der ausgesuchten Gerichte und des perlenden Champagners eine unheimliche Stimmung, die zu der heiteren Laune, die sonst immer den kleinen Kreis zu beleben pflegte, einen grellen Contrast bildete. Herr Lüders war zerstreut und gedankenvoll und die strenge Beobachtung eines musterhaften Anstandes, der ihm für seine neue Würde erforderlich schien, mochte ihm ein nicht weniger lästiges Unbehagen bereiten, als die steife, weiße Halsbinde und die weiße Piquéweste, die er schon lange nicht mehr getragen hatte, und die ihm nun zu eng geworden war. Madame Lüders litt unaufhörlich an moralischen Alpdrücken, Louise sah verweint aus und konnte nichts genießen, und Ida ließ unruhig ihre Blicke im Kreise umherschweifen, um sie dann immer wieder mit dem Ausdruck von Besorgniß und inniger Theilnahme auf ihrer Schwester haften zu lassen. Nur Madame Pietschmann war lustig und guter Dinge. Sie sprach in einem fort von dem ungeheuren Glück, welches dieser Tag gebracht, von dem Segen des Himmels, von dem unerforschlichen Walten des Schicksals, von der Ahnung, die sie immer gehabt, und dabei verzehrte sie eine erstaunliche Menge Austern, Kalkuttenbraten und Apfelsinentorte und ließ sich den Wein trefflich munden.

Bald, nachdem das Mahl beendigt war, verließ Herr Lüders das Zimmer, um sein Mittagsschläfchen zu machen, und die beiden Schwestern zogen sich in ihr Stübchen zurück, um mit einander zu berathen, was in der peinlichen Lage der armen Louise zunächst gethan werden müsse. So blieb denn Madame Lüders mit der redseligen Collectrice allein zurück, und das Herz pochte ihr hörbar bei dem Gedanken, daß der verhängnißvolle Augenblick jetzt gekommen sei.

Die beiden Frauen saßen neben einander auf dem Sopha. Madame Pietschmann erging sich in Lobeserhebungen über die Apfelsinentorte, die, wie sie behauptete, kein Conditor in Hamburg so vortrefflich zu bereiten wisse, wie Schwarz in der Palmaille ; Madame Lüders aber, ohne auf ihren Wortschwall zu achten, ging mit sich selbst zu Rathe, wie sie die schreckliche Mittheilung einleiten könne. Eine Aeußerung der Collectrice kam ihr zu Hülfe.

»Aber, gnädige Frau,« sagte diese, plötzlich von der Apfelsinentorte abspringend, »was fehlt denn eigentlich Ihrer lieben Louise? Das Fräulein – ach, sie ist mir immer so lieb gewesen wie mein Augapfel, das süße Kind – sah ja bei Tische so verweint aus, als sei ihr das größte Unglück widerfahren. Nun, es ist einmal so, ich kenne es aus Erfahrung. Die Freude wirkt so verschieden; den einen bringt sie zum Lachen, als sei er närrisch geworden, den andern macht sie melancholisch.«

»Wenn Louise geweint hat,« entgegnete Madame Lüders, »so ist es nicht über das große Glück, welches uns, wie ich wohl sagen darf, durch Sie, liebe Madame Pietschmann, zu Theil geworden ist. Es liegt ihr etwas Anderes im Sinn.«

»Etwas Anderes?« fragte Madame Pietschmann. »Nun was denn? Doch, verzeihen Sie, ich habe kein Recht, danach zu fragen.«

»Warum nicht, Madame Pietschmann? Als Freundin unsres Hauses und, da Sie mit allen unsern Familienangelegenheiten vertraut sind, steht Ihnen gewiß das Recht zu. Ja, ich wollte so eben mit Ihnen darüber sprechen.«

»Na, ich errathe schon,« sagte die Collectrice mit einem schelmischen Lächeln, »eine kleine Herzensangelegenheit, nicht wahr?«

»Es ist heute für Louisen ein wichtiger Tag,« fuhr Madame Lüders mit vor Angst bebender Stimme fort, »wir feiern diesen Abend ihre Verlobung.«

»Ei, was Sie sagen, gnädige Frau!« rief Madame Pietschmann in einem Tone, der Erstaunen ausdrücken sollte; dann aber setzte sie verschmitzt lächelnd hinzu: »Doch, ehrlich gestanden, es wundert mich nicht; ich hab' schon lange so meine kleinen Vermuthungen gehabt.«

»Uns ist es jedoch sehr unerwartet gekommen,« sagte Madame Lüders, »und wie ich fürchte, auch Louisen.«

»So? Auch Fräulein Louisen? Ich dächte doch – – –«

»Der Herr Doctor hatte sich seit so langer Zeit fast gänzlich von uns zurückgezogen.«

»Der Doctor, gnädige Frau? Ich meinte er sei Seemann.«

»Doctor Schönfeld Seemann?«

»Na, das ist nicht übel!« sagte Madame Pietschmann kichernd, »nein allerdings, der ist kein Seemann, aber wer spricht denn von Doctor Schönfeld?«

»Ihn eben meine ich,« entgegnete Madame Lüders, »er hat heute um Louisens Hand angehalten.«

Eine Minute lang starrte die Collectrice Madame Lüders an, ohne ein Wort hervorzubringen. Sie war erst leichenblaß geworden; dann aber stieg die Röthe des Zorns in ihre Wangen, ihre schwarzen, lebhaften Augen schossen Blitze, und ein unheildrohendes, boshaftes, höhnisches Zucken spielte um ihren Mund. Der armen Madame Lüders war es zu Muthe, als habe sich die Collectrice plötzlich in einen blutdürstigen Vampyr verwandelt, von dem zu vermuthen stehe, daß er ihr gleich an die Kehle fahren werde.

»Also der Herr Doctor Schönfeld,« sagte Madame Pietschmann endlich und betonte jedes Wort sehr nachdrücklich, »der Herr Doctor Schönfeld hat heute um die Hand Ihrer Tochter angehalten? Bitte, sagen Sie's noch einmal, damit ich mich überzeuge, daß ich Sie auch wirklich recht verstehe.«

»Es ist, wie ich Ihnen gesagt habe,« erwiederte Madame Lüders so sanft und beschwichtigend, wie es ihr nur immer möglich war. »Wenn es auch Sie überraschen sollte, meine liebe Madame Pietschmann, wie es uns überrascht hat, so bedenken Sie, beste Freundin, daß wir Alle der Selbsttäuschung ausgesetzt sind, und daß es unsere Pflicht ist, in Demuth zu – – –«

»O, sparen Sie Ihre Trostesworte!« schrie die Collectrice, indem sie vom Sopha aufsprang, sich vor die erschreckte Madame Lüders hinstellte und die Arme in die Seiten stemmte.

»Wenn Sie sich etwa einbilden, daß ich mich auf den Doctor gespitzt habe, so sind Sie ganz kurios auf dem Holzwege. Na, das fehlte mir noch gerade. Ich will Ihnen etwas sagen, Madame Lüders, ich danke dem Himmel, daß der Doctor mich mit seinen Anträgen verschont hat; denn wissen Sie, Madame Lüders, wenn ich so thöricht gewesen wäre – aber ich hätte mich fein sauber gehütet, eine solche Gans zu sein – wäre ich jedoch so thöricht gewesen, ihm mein Jawort zu geben, so wäre ich vom Regen in die Traufe gekommen. Selten wohl und allzeit wehe, ist das täglich Brod der Ehe, wie Sie wohl auch erfahren haben werden. Des Doctors Gelehrsamkeit kümmert mich keinen Deut, seine Belletristik und Stilistik können mir gestohlen werden, sie taugen zu gar nichts, als den Leuten Sand in die Augen zu streuen und ihnen das Geld aus der Tasche zu locken. Worauf ich sehe, ist ein ehrenwerther Charakter, und den hat er nicht. Ich sollte vielleicht nicht so von ihm reden, da er Ihr Schwiegersohn werden soll; aber wenn Sie mich durch Hindeutungen und Anzüglichkeiten beleidigen, wie Sie es eben gethan haben, so kann auch ich sprechen, und das will ich. Ich will Ihnen sagen, Madame Lüders, und Sie können sich's notiren, damit Sie's nicht vergessen, der Doctor ist ein Schuft, und obgleich ich eine schlichte, einfache Bürgersfrau und niemals reich gewesen bin, wie andere Leute, und mein Weniges nicht vergeudet habe, wie so Manche, und keine Rittergüter in der Lotterie gewinne, wie gewisse Leute, und obgleich ich mein Bischen tägliches Brod sauer verdienen muß, was gewisse Leute nie gethan haben, so halte ich mich doch für zu gut, um mich an einen solchen Schurken wegzuwerfen!«

Der guten Frau stockte der Athem, und so gewann Madame Lüders Zeit, mit bittendem Tone zu sagen:

»Meine liebe Madame Pietschmann, ich habe wirklich nicht die Absicht gehabt, Sie zu beleidigen. Ich beschwöre Sie – –«

»Sie haben mich aber beleidigt,« unterbrach sie die Collectrice, »Sie haben von Selbsttäuschung gesprochen, als ob ich eine verliebte, heirathssüchtige Trine wäre. Das haben Sie gethan, und das hab' ich, sollt' ich meinen, am wenigsten von Ihnen verdient, nachdem ich Ihnen zu dem großen Reichthum verholfen habe. Aber Undank haut der Wohlthat den Zapfen ab, wie man zu sagen pflegt. Wenn Sie's übrigens deshalb gethan haben, weil ich mich überrascht zeigte, als Sie mir die Verlobung Ihrer Mamsell Tochter mitgetheilt haben, so will ich Ihnen darauf nur so viel sagen: Zielen ist nicht genug, es gilt Treffen. Wollen Sie wissen, was mich bei der Sache überrascht hat? Gut, ich will's Ihnen erzählen. Ich weiß, ja, mit meinen eigenen Augen hab' ich's gesehen, wie Ihre Jungfer Tochter im Garten mit einem anderen Manne Zusammenkünfte gehabt hat, und mit was für einem? Mit einem lumpigen, leichtfertigen Matrosen!

Und wenn ein Mädchen einen Liebhaber begünstigt, und sich dann mit einem Anderen verlobt, so wird es doch wohl erlaubt sein, sich darüber zu verwundern. Oder meinen Sie vielleicht, daß es nicht Grund genug ist zur Verwunderung? Nun, so will ich Ihnen sagen, daß der Doctor Schönfeld, Ihr Herr Schwiegersohn, gerade derjenige war, der mir über das unanständige Benehmen der Jungfer Louise die Augen öffnete. Damals fand er es skandalös und rieth mir, diesem Treiben, welches mein Haus in üblen Ruf bringen würde, ein Ende zu machen. Heute aber hält er um ihre Hand an. Und warum? Er denkt eben: Hast du Geld, so setz' dich nieder, hast du keins, so scher' dich wieder. Aber wenn ein Mann von den Liebschaften eines Mädchens unterrichtet ist, und sie dennoch zur Frau nimmt, nur weil sie ein paar Thaler hat, so sage ich, er ist ein nichtswürdiger Schuft. Da haben Sie's. Gesagt ist gesagt, Sie können's mit keinem Schwamme auswischen. Sie wissen jetzt, weshalb ich überrascht war, als Sie mir von der Verlobung sagten; und Sie werden nun auch begreifen, weshalb ich nicht wünschen kann, daß Sie länger in meinem Hause wohnen, so wenig wie der saubere Doctor Schönfeld. Nun, für reiche Gutsbesitzer ist meine ärmliche Wohnung ja auch viel zu gering. Sie werden auf Ihr Schloß ziehen; vielleicht nehmen Sie Ihren lieben Herrn Schwiegersohn gleich mit, sonst mag er nur seine sieben Zwetschgen zusammenkramen und hingehen, wo der Pfeffer wächst!«

Mit diesen Worten und schnaubend und keuchend wie eine Locomotive bei voller Dampfkraft, fuhr Madame Pietschmann zur Thür hinaus und schlug diese mit solcher Heftigkeit hinter sich zu, daß die Fenster klirrten.

So arg hatte sich Madame Lüders die Wirkung ihrer Mittheilung nicht vorgestellt. Einen kleinen Sturm hatte sie vorausgesehen, und einem solchen hätte sie vielleicht Trotz zu bieten versucht; aber gegen einen Alles niederschmetternden Orkan vermochte sie nichts. Was die Collectrice in ihrer Wuth von den Zusammenkünften ihrer Tochter mit einem Seemann gesagt hatte, beunruhigte sie an und für sich so wenig, wie ihre heftigen Expektorationen auf Kosten des Doctors; denn, daß diese nur von dem Aerger der Collectrice erzeugt waren, jener Seemann aber kein Anderer sei als Hugo, davon war sie überzeugt. Aber die Sache hatte doch ihre sehr schlimmen Seiten, die nicht übersehen werden durften. Madame Pietschmann konnte, selbst, wenn sie die Grundlosigkeit ihres Verdachtes später zugeben mußte, dennoch die Waffen, die ihr der Zufall in die Hand gegeben hatte, benutzen, um sich für die Wankelmüthigkeit des Doctors und die Zerstörung ihrer Luftschlösser empfindlich zu rächen. Sie konnte in der Nachbarschaft falsche Gerüchte verbreiten und den guten Ruf Louisens untergraben. Madame Lüders sank unter diesen peinlichen Betrachtungen gänzlich erschöpft in die Sophaecke zurück, drückte das Taschentuch vor die Augen und suchte Trost und Linderung in einem reichlichen Thränenguß.

Der Nachmittag brachte der Familie Lüders viele Besuche. Von der Bürstenbinderfamilie, der Zahnarztwittwe und der Näherin, Fräulein Mitscherling, hatte sich die große Neuigkeit mit wunderbarer Schnelligkeit in immer größeren concentrischen Kreisen, wie die Ringe um einen in das Wasser geworfenen Stein, nach allen Seiten hin verbreitet. Wir wollen hiermit nicht gesagt haben, daß wir den Bürstenbinder, die Zahnarztwittwe und die Näherin für eifrigere Neuigkeitskrämer halten, als die übrigen Bewohner Altona's; gegen eine solche falsche Auslegung unserer Worte legen wir zur Ehrenrettung der Genannten feierlichst Protest ein, indem wir als unsere feste Ueberzeugung aussprechen, daß sie die kleine Schwäche, sich weit lieber mit den Angelegenheiten anderer Leute, als ihren eigenen zu befassen, mit vielen Tausenden ihrer ehrenwerthen Mitbürger theilen, ja von gar manchen darin noch übertroffen werden.

Viele, die, falls sie dem Herrn Lüders gestern begegnet, plötzlich kurzsichtig geworden wären oder so zerstreut, daß sie seinen Gruß zu erwiedern würden vergessen haben, Viele, die, als sie die Neuigkeit vernahmen, voller Neid und Mißgunst geäußert hatten, der gute Mann habe mehr Glück als Verstand, und das schöne Gut hätte in bessere Hände fallen können – womit sie ihre eigenen meinten – Viele, die, wenn ihnen Tags zuvor prophezeit worden wäre, daß sie heute dem Herrn Lüders einen Besuch abstatten würden, laut gelacht und erwiedert hätten, es käme ihnen wahrscheinlicher vor, daß sie nächstens eine Reise nach der Mongolei oder den Falklandsinseln unternehmen würden, Viele, sehr Viele fanden sich jetzt bei dem vom Glücke Begünstigten ein und brachten ihm unter rührenden Kundgebungen der aufrichtigsten Freude und herzinnigsten Theilnahme ihre Glückwünsche dar. Herr Lüders kannte die Welt und die Menschen zu gut, um sich über ihre wahren Gefühle täuschen zu lassen; aber ihre zeitherige Kälte und Mißachtung war jetzt vergeben und vergessen, oder richtiger, er gefiel sich in seiner wiedererlangten Würde zu sehr, um durch traurige Rückblicke auf die Vergangenheit sein Vergnügen zu schmälern. Er war ganz wieder der gemüthliche, höfliche, gastfreie Mann von ehedem, empfing Alle mit gleicher herablassender Freundlichkeit und lud sie Alle ein, den Abend bei ihm zu verbringen.

So kam es denn, daß am Abend in der Lüdersschen Wohnung so viele Gäste versammelt waren, daß sie diese kaum zu fassen vermochte, obgleich man das an die Wohnstube stoßende Schlafzimmer ausgeräumt und so gut es eben ging, zum Gesellschaftszimmer hergerichtet hatte.

Madame Lüders präsidirte an dem Theetische, um welchen zwölf bis vierzehn Damen saßen. Die älteren unterhielten sich mit ihrer freundlichen Wirthin über das große Glück, welches dieser Tag der liebenswürdigen Familie gebracht hatte; sie waren alle noch sehr bewegt, und konnten es noch gar nicht fassen, hatten aber doch so ihre Ahnungen gehabt, daß nach der schweren Prüfung ein solches segensreiches Ereigniß eintreffen müsse. Eine hatte, wie sie erzählte, laut aufgeschrieen, als sie es gehört und dann ihre Zuflucht zu den gewöhnlichen Tropfen nehmen müssen; denn jede starke Gemüthsbewegung greife ihre Nerven an; eine zweite hatte bloß gesagt: »Gott sei Dank!« und dann still geweint, eine Dritte war mit dem Ausrufe: »Anton, das ist ein Freudentag!« ihrem Manne um den Hals gefallen, und er hatte erwiedert: »Theuerste Marie, wir müssen sogleich hingehen und den braven, vortrefflichen Leuten gratuliren.«

Die jungen Damen waren plötzlich mit Ida und Louisen sehr vertraut geworden, nannten jede meine liebe Freundin und mein Engel und konnten nicht begreifen, wie es denn eigentlich möglich gewesen, daß sie bisher so selten mit ihnen zusammengekommen wären, aber es mußte daran liegen, daß die lieben Freundinnen so wenig ausgingen und sich im Theater und in Reinville's Garten nie sehen ließen.

Die jungen Herren mischten sich in diesen Kreis und waren überaus geistreich und witzig. Man mußte unwillkürlich über die Scherze des jungen Herrn Albrechtsen lachen, er war zu drollig. Und nun gar der Lieutenant Berg, ach Get, ach Get, er war köstlich! Die jungen Altonaer Damen sagen nämlich nicht Gott, sondern Get; es steht ihnen aber zum Entzücken.

»Wissen Sie, meine Damen,« lispelte der Lieutenant Berg, als der Lohndiener den Thee präsentirte, »daß wir Alle rechte Erzdemokraten sind?«

»Ei, wieder eines Ihrer allerliebsten Räthsel, Herr Lieutenant.«

»Die wir aber nie errathen.«

»Sagen Sie uns die Lösung gleich.«

»Ach Get, ach Get, Herr Lieutenant, spannen Sie uns nicht auf die Folter!«

»Nun meine Damen,« sagte der Lieutenant, indem er mit dem Theelöffel in der Tasse rührte, »es ist ganz einfach. Sagen wir nicht alle: lieber Thee?«

»Ach liberté! charmant, göttlich!«

»Ach Get, ach Get!«

»Es giebt aber ein Wort, meine Damen« sagte Herr Albrechtsen, »welches der Herr Lieutenant weit lieber aus Ihrem Munde hören möchte, als lieber Thee.«

»Und das wäre?«

»Er sähe lieber daß Sie keinen Thee bekommen hätten und sehnsuchtsvoll riefen: Thee! o bald! – Thee! o bald!«

»Ach Get, Sie heißen Theobald, Herr Lieutenant?« fragte mit süßem Lächeln eine junge hübsche Blondine, »ein schöner Name.«

»Sagen Sie das nicht, mein Fräulein,« entgegnete der Lieutenant, »ich verabscheue ihn, denn er verschafft mir – und seien Sie überzeugt, daß nichts mir schrecklicher sein kann – unter den Damen sehr entschiedene Gegnerinnen.«

»Wieder ein Räthsel!« lachten mehrere Damen.

»Können Sie es lösen?« sagte der Lieutenant.

»Nein, wir sind darin schrecklich ungeschickt.«

»Nun, meine Gegnerin ist jede The-o-nie.«

Ein schallendes Gelächter belohnte den Lieutenant, während seine Mutter, die auf dem Sopha saß, sich an ihre Nachbarin wandte und ihr zuflüsterte: »Theobald hat wieder einen guten Witz zum Besten gegeben, das sprudelt nur so aus ihm heraus.« Und obgleich die gute Dame – sie war ein wenig taub – kein Wort von dem gehört hatte, was ihr Sohn Theobald gesagt hatte, lachte sie doch recht herzlich, und die Nachbarin stimmte aus Höflichkeit mit ein.

Indeß fanden die Räthsel des Lieutenants unter den übrigen Herren, die sich um die jungen Damen geschaart hatten, durchaus keinen Beifall.

»Kommen Sie,« sagte ein Commis mit einem ziemlich blasirten Gesichtsausdrucke zu einem Primaner, der bedeutend nach Eau de mille fleurs duftete, »diese Theewitze sind nicht länger zum Anhören.«

»Es ist in der That fürchterlich,« erwiederte der Primaner, indem er sich mit dem Commis zurückzog, »der gute Lieutenant macht in der letzten Zeit alle Gesellschaften unsicher.«

»Und hat auch den jungen Albrechtsen angesteckt, der sonst ein ganz vernünftiger Mensch war.«

Der Doctor Schönfeld bewegte sich indessen mit großer Geschmeidigkeit in der Gesellschaft umher, sprach mit Herren und Damen, mit Alten und Jungen. Jedem hatte er etwas Verbindliches zu sagen, lächelte Diesem zu und drückte Jenem die Hand, gegen Herrn Lüders aber und dessen Frau war er voll ehrerbietiger Hingebung und benutzte zugleich jede Gelegenheit, um Louisen leise ein Paar Worte zuzuflüstern. Es hatte, wir wissen nicht, wie, Jemand in der Gesellschaft erfahren, daß man heute Abend die Verlobung des Doctors mit Louisen deklariren werde, und: »wie im Meere Well' auf Well', so ging's von Mund zu Munde schnell.« In allen Ecken und Winkeln zischelte man sich das große Geheimniß zu, und machte spöttelnde Bemerkungen über des Doctors Gewandtheit, die Umstände zu seinem Vortheile auszudeuten.

Die arme Louise war von dem Augenblicke an, da die ominöse Verlobung auf's Tapet gebracht worden war, der Gegenstand einer scharfen Beobachtung, namentlich von Seiten des weiblichen Theils der Gesellschaft. Man wunderte sich über ihre Blässe, ihre Zerstreutheit, ihre unverkennbare Niedergeschlagenheit und wurde bald darüber einig, daß die Aussicht auf eine Verbindung mit dem Doctor sie nicht übermäßig zu beglücken scheine.

Einige junge Herren hatten sich in eine Fenstervertiefung zurückgezogen, Herr Albrechtsen und der Lieutenant gesellten sich ihnen laut lachend zu.

»Meine Herren,« sagte der Lieutenant, »ich will Ihnen ein Räthsel aufgeben.«

»Um Gottes Willen, bester Herr Lieutenant,« entgegnete der Commis, »schweigen Sie; den Damen mögen Ihre Räthsel gefallen, uns sind sie fürchterlich.«

»Aus Ihnen spricht der Neid, mon Cher, meine Räthsel sind classisch. Hören Sie nur: Welcher Unterschied ist zwischen dem Herrn Lüders und dem Doctor Schönfeld?«

»Ich hab's,« rief ein Anderer, »Herr Lüders hat das Gut Buchenthal in der Hamburger Lotterie gewonnen, der Doctor hofft es in der Ehestandslotterie zugewinnen.«

»Vorbeigeschossen, vorbeigeschossen!« lachte der Lieutenant, »rathen Sie noch einmal.«

»Es ist wirklich schwer, eine Pointe zu finden,« sagte der Commis, »wo keine ist.«

»Sie bringen es nicht heraus?« fragte der Lieutenant. »Nun gut, meine Herren, ich will es Ihnen sagen: Herr Lüders wird künftig von seinen vielen Louis d'or's leben, der Doctor aber von einer einzigen Louise d'or

»O pfui!« »Erbärmlich!« »Schauderhaft, auf Ehre!« riefen Alle im Chor.

»Der Lieutenant soll für jedes schlechte Räthsel, das er uns aufgiebt, eine Flasche Champagner zahlen,« betheuerte der Primaner.

»Dazu reicht seine Gage nicht aus,« sagte der Commis.

»Da will ich Ihnen doch ein besseres Räthsel geben, meine Herren,« rief der junge Herr Albrechtsen.

»Ich werde mir die Ohren zuhalten,« versicherte der Commis.

»Nein, hören Sie doch,« sagte Herr Albrechtsen, »welcher Unterschied ist zwischen des Doctors bisherigem und seinem künftigen Leben?«

Niemand konnte die Lösung finden, und Herr Albrechtsen gab sie daher selbst.

»Bis jetzt,« sagte er, »hat der Doctor von der Belletristik gelebt, künftig aber wird er von der belle et triste leben.«

Der Commis versetzte dem jungen Herrn Albrechtsen einen freundschaftlichen, aber sehr fühlbaren Rippenstoß und schwur, daß ihm solche fade Witze Leibschneiden verursachten. Alle Uebrigen behaupteten, Herr Albrechtsen und der Lieutenant seien gleich unausstehlich, und beide müßten noch heute Abend im Holsteinschen Hause Champagner zum Besten geben.

»Gut,« sagte der Lieutenant, »sechs Flaschen will ich zahlen, wenn einer von Ihnen dieses Räthsel errathen kann: Welcher Unterschied – –«

»Welcher Unterschied,« unterbrach ihn der Commis, »ist zwischen dem Lieutenant Berg und einer Foltermaschine. Zwölf Flaschen, wenn es Jemand erräth.«

»Ich weiß es nicht,« rief Einer.

»Ich auch nicht, ich auch nicht,« stimmten Alle ein.

»Und ich erst recht nicht,« sagte der Commis, drehte sich rasch um und entfloh.

»Das war ja gar kein Räthsel!« rief ihm der Lieutenant nach. »So hören Sie doch: Welcher Unterschied – –«

Aber Alle stopften die Finger in die Ohren und verließen unter lautem »Brrrr!« und »Pst, pst!« den räthselmachenden Lieutenant. Seine taube Mutter drüben im Sopha, die nicht bezweifelte, daß ihr Sohn wieder einen köstlichen Witz zu Tage gefördert, lachte herzlich.

Herr Lüders selbst befand sich mit mehreren älteren Männern im Nebenzimmer. Man sprach auch hier über das Gut Buchenthal. Ein großer vierschrötiger Herr mit starkem Backenbart, der in dem Rufe stand, ein gewaltiger Nimrod zu sein, wollte wissen, daß die Jagd da unten in Hannover nicht uneben sei und erbot sich, wenn Herr Lüders einmal in seinem Thiergarten einen Eber oder einen feisten Zehnender schießen lassen wolle, seinem Jäger die Mühe abzunehmen.

Ein Anderer verstand sich gründlich auf die Fischerei und hatte nicht übel Lust, wenn es ihm Herr Lüders gestatten wollte, gelegentlich seine Karpfenteiche zu besichtigen, die von seinem Vorgänger, dem Baron Fink, der sich ja um Nichts bekümmert habe, arg vernachlässigt sein müßten.

Ein Dritter hatte sich viel mit dem Gartenbau befaßt und war sehr begierig, die Buchenthaler Treibhäuser zu sehen. Daß der Consul M. so herrliche Orchideen besitze, habe ihm dieser ganz allein zu verdanken; denn ihn habe er, als er sein großes Orchideenhaus anlegte, zu Rathe gezogen und sich auch streng nach seinen Anordnungen gerichtet.

Es braucht kaum gesagt zu werden, daß der Jäger, der Fischer und der Gartenkünstler auf's Freundlichste von Herrn Lüders eingeladen wurden, ihn auf seinem Gute zu besuchen.

»Es würde mich freuen,« setzte er, gegen die übrigen Herren gewendet, mit einem verbindlichen Lächeln hinzu, »alle meine Freunde auf Buchenthal zu sehen, wo mir die Mittel zu Gebote stehen werden, sie besser zu bewirthen, als es mir leider heute Abend möglich sein wird.«

Den hierdurch veranlaßten Höflichkeiten folgte eine Pause, die ein alter kahlköpfiger Herr mit einer Brille geschickt benutzte, um Herrn Lüders bei Seite zu ziehen.

»Höre, Lüders,« sagte er leise, indem er diesem eine Prise bot, »warst Du es, der in der vorigen Woche meinen Wagen und meine Pferde leihen wollte, um einige Klafter Holz vom Hafen holen zu lassen?«

»Ja, Pohlmann, ich ließ Dich darum bitten,« entgegnete Lüders, »aber Du konntest die Pferde gerade nicht entbehren, und da nützte mir der Wagen nichts.«

»So?« sagte Herr Pohlmann, indem er die Schnupftabacksdose wieder zuklappte und langsam in die Tasche schob. »Weiß nicht, entsinne mich wirklich nicht – hm – also Du warst es? Da muß sich irgend ein Mißverständniß eingeschlichen haben. Laß Du sie nur holen, wann und so oft Du sie willst. Du weißt, einem alten Freunde zeige ich mich gern gefällig.«

»Ich danke Dir,« erwiederte Lüders, »ich werde wohl nicht wieder in den Fall kommen, Deine Gefälligkeit in Anspruch zu nehmen.«

Ein corpulenter, engbrüstiger Mann trat in diesem Augenblick in das Zimmer, schritt pustend und keuchend auf Lüders zu, erfaßte ihn am Arm und zog ihn von dem Kahlkopfe ab.

»Herr Lüders,« begann er mit erkünstelter Biederkeit, » empfangen Sie meinen herzlichsten Glückwunsch.« Mit diesen Worten ergriff er die ihm entgegengestreckte Hand und schüttelte sie so kräftig, daß Lüders Mühe hatte, einen lauten Schmerzensschrei zurückzuhalten.

»Ah! ah!« stöhnte der gepeinigte Lüders, »es freut mich unendlich, daß Sie mich mit Ihrem Besuche beehren, lieber Herr Martens; wir haben einander lange nicht gesehen.«

»Ich hatte kaum von diesem glücklichen Ereignisse gehört« fuhr Herr Martens fort, »als ich spornstreichs nach Hause lief – und es gehört was dazu, mich Dickwanst zum Laufen zu bringen – um es meiner Frau zu erzählen. Wir müssen hingehen, sagte ich, und den lieben Leuten gratuliren. Lüders ist ein Ehrenmann, sagte ich, und verdient dieses Glück. Ja, wahrhaftig, das hab' ich gesagt. Keinem in der ganzen Stadt gönne ich es, wie Ihnen; denn Sie sind nicht der Mann, der sein Geld hinter Schloß und Riegel hält; wenn Sie etwas haben, dann haben Ihre treuen Freunde auch was. Hab' ich Recht?«

»Versteht sich,« entgegnete Lüders, »man muß auch an Andere denken.«

»Hören Sie, Herr Lüders,« sagte Herr Martens, indem er einen der Rockknöpfe seines Opfers erfaßte, wie um zu verhindern, daß ihm dieser entschlüpfe, »was ich sagen wollte, und eh' ich's vergesse, Sie könnten mir eine kleine Gefälligkeit erzeigen. In künftiger Woche brauche ich einige Hundert Thaler; die könnten Sie mir wohl überlassen?«

»Herzlich gern,« erwiederte Herr Lüders, »wenn ich erst die Zeit gefunden haben werde, meine Affairen ein wenig zu ordnen.«

»Schon gut – wie gesagt – vor nächster Woche brauche ich das Geld nicht.«

Die Aufmerksamkeit des Herrn Lüders und des Herrn Martens wurde in diesem Augenblicke durch ein lautes Gelächter von dem Gegenstande ihres Gespräches abgelenkt und sie wandten sich dem Kreise zu, aus welchem es erscholl.

»Herr Lüders muß die Geschichte kennen,« rief der Jäger, »fragen wir ihn.«

»Was ist das für eine Geschichte, die ich kennen soll?« fragte Herr Lüders, erfreut, weiteren Bitten des biederen Herrn Martens auszukommen.

»Wir sprachen so eben von dem Assessor Grünspitz,« sagte der Ichthyologe, »den das Unglück auf eine so merkwürdige Weise verfolgte.«

»Ja, ja, in Gestalt einer großen, englischen Dogge,« ergänzte der Herr, der sich so gut auf die Pflege der Orchideen verstand!

»Ich erinnere mich,« entgegnete Herr Lüders, »daß ihm ein solches Ungethüm auf Schritt und Tritt folgte.«

»Nun behaupte ich und kann es beweisen,« sagte der Nimrod, »daß die Dogge ihn um nicht weniger als eine halbe Million gebracht hat.«

»Das müssen Sie uns erzählen,« bat Herr Lüders.

»Sie werden doch gehört haben,« fuhr Nimrod fort, »daß Grünspitz allgemein für den Erben seines Onkels, des reichen Ewersberg galt?«

»Ewersberg, Ewersberg,« sagte Lüders und rieb sich die Stirn, wie um sein Gedächtniß wach zu rütteln, »wer war Ewersberg?«

»Ei nun, er war früher Jägermeister und wurde später zum Hofmarschall ernannt, weil man ihm, wie die bösen Zungen sagten, dadurch Gelegenheit geben wollte, die Böcke zu schießen, die er früher nie hatte schießen können.«

»Ja, ja,« sagte Lüders lachend, »ich erinnere mich jetzt seiner, es war ein wunderlicher alter Hagestolz, der Hofmarschall.«

»Nun gut, als der alte Ewersberg sein letztes Stündlein herannahen fühlte, ließ er den Neffen zu sich bescheiden. Der gute alte Herr saß in seinem Rollstuhle, in Kissen begraben und in warmen Steppdecken eingehüllt. Vor ihm auf einem kleinen Tische lag das Testament, welches Grünspitz zu seinem Universalerben ernannte. Der Sterbende will gerade die Feder eintauchen, um das wichtige Document zu unterschreiben, da geht die Thür auf, Grünspitz tritt herein und eilt auf seinen Onkel zu; aber auch die vermaledeite Dogge, die er zu Hause eingesperrt wähnt, stürzt in's Zimmer und springt unter lautem Bellen an dem alten Manne empor. Dieser lehnt sich in seinen Sessel zurück und schließt die Augen, um sie nie wieder zu öffnen. Der plötzliche Schreck hatte ihn eine Minute zu früh getödtet, und Grünspitz hatte das ungeheure Vermögen verloren, welches nun den näheren Verwandten zufiel, die der Hofmarschall hatte enterben wollen.«

»Ei, potztausend,« sagte Lüders, »das war ein harter Schlag für den armen Grünspitz.«

»Eine andere Geschichte von diesem Pechvogel kann ich verbürgen,« sagte ein magerer kleiner Herr mit einem runzligen Gesichte, welches er zur Hälfte in eine ungeheure Halsbinde vergrub. »Vergangenen Herbst bringt ein Lotteriecollecteur dem Grünspitz die Nachricht, daß er eine bedeutende Summe gewonnen habe. Freudig überrascht durchstöbert er schnell seine Papiere, um das Loos zu finden – und er fand es auch; aber nun, meine Herren, rathen Sie einmal wo?«

»Das ist meiner Treu nicht leicht zu errathen,« meinte der Ichtyhologe.

»Ich will es Ihnen sagen,« fuhr der Runzlige fort, »die Dogge, die wie gewöhnlich unter dem Schreibtische lag, zerkaute in größter Gemüthsruhe das Lotterieloos und hatte schon einen so großen Theil davon verschluckt, daß der Rest, der noch zu retten war, nicht hinreichte, um die Ansprüche auf den Gewinn zu begründen.«

Alle lachten, auch Herr Lüders lachte, aber ein wenig gezwungen. »Ja, wer den Schaden hat,« sagte er, »braucht für den Spott nicht zu sorgen. Aber es ist doch hart, auf ein kaum gewonnenes Glück so plötzlich wieder verzichten zu müssen!«

»Ließ Grünspitz die Bestie von Dogge nicht todtschießen?« fragte der biedere Herr Martens.

»Nein,« gab der Runzlige zur Antwort, »der Sonderling ließ ihr ein silbernes Halsband anfertigen, woran eine Medaille hing mit der Inschrift: dem Verdienst seine Krone.«

Ein verworrener Lärm drang plötzlich aus der Wohnstube, in welcher sich, wie schon gesagt, die Damen und der jüngere Theil der Gesellschaft befand, zu den Ohren der Redenden. Man konnte deutlich die kreischende Stimme der Madame Pietschmann unterscheiden, die wiederholt rief: »Ist Herr Lüders hier? Ich muß augenblicklich mit Herrn Lüders sprechen!«

Ida trat jetzt ein, um ihrem Vater den Wunsch der Collectrice mitzutheilen; aber diese folgte ihr auf dem Fuße und eilte, so bald sie des Herrn Lüders ansichtig wurde, auf ihn zu. Sie war in der heftigsten Aufregung; davon zeugten die auf der einen Seite frisirten, auf der andern wild herabflatternden Haare, der vernachlässigte Anzug und noch mehr ihre dunkel gerötheten Wangen und flammenden Blicke.

»Zeigen Sie mir Ihr Lotterieloos!« schnaubte sie den erstaunten Lüders grimmig an.

»Mein Lotterieloos?« stammelte er, »ich hab' es nicht bei mir.«

»Zeigen Sie mir Ihr Lotterieloos,« wiederholte die Collectrice, zornig mit dem Fuße stampfend, »ich muß es sehen.«

Herr Lüders war wie versteinert. Die um ihn versammelten Herren sahen sich betroffen an, der Ichtyologe biß sich auf die Lippen, der biedere Herr Martens stieß ein lautes: »Puh!« aus, der Runzlige aber sah sich nach allen Seiten um und flüsterte dem Kahlkopfe zu: »Hier sind doch keine englischen Doggen?« – Nach der Thür zum Wohnzimmer drängten sich, von ihrer Neugierde getrieben, mehrere der dort Anwesenden zusammen.

»Na, wird's bald?« fuhr die Collectrice fort.

Herr Lüders schwankte nach dem in der Ecke des Zimmers stehenden Pult, öffnete mit zitternder Hand die Klappe und zog das Loos hervor.

»Da haben wir's!« rief Madame Pietschmann, als sie es ihm aus der Hand gerissen und einen Blick darauf geworfen hatte, »richtig 18,504! ach, die Blamage, ich unglückliche Frau!«

»Sie erschrecken mich, Madame Pietschmann,« stammelte Herr Lüders.

»Wie hab' ich nur so blitzdumm sein können!« wehklagte die Collectrice mit gen Himmel erhabenen Blicken, »wo hab' ich nur meine fünf Sinne gehabt!«

»Aber, du meine Güte, was ist geschehen?« fragte Herr Lüders.

»Das Schlimmste, was mir je im Leben geschehen ist,« entgegnete Madame Pietschmann bissig und laut genug, um in beiden Zimmern gehört zu werden, »daß Sie kein Rittergut gewonnen haben, das ist geschehen, und nun wissen Sie's.«

»Großer Gott!« jammerte Herr Lüders und sank wie vernichtet aus einen Stuhl, »nicht gewonnen?«

»Nein, nicht gewonnen,« äffte ihm die Collectrice nach, »mir scheint doch, daß ich deutlich genug rede.«

»O ja, deutlich genug,« sagte der Kahlköpfige leise zu dem Runzligen, »wie wäre es, wenn wir – –«

»Mir ganz recht,« entgegnete dieser, »wir haben ungefähr denselben Weg zu machen.«

Und die beiden Herren zogen sich behutsam aus dem Kreise zurück und suchten in aller Eile ihre Hüte. Ihrem Beispiele folgten gleich darauf mehrere der Uebrigen, so daß der Raum um Herrn Lüders bald ziemlich gelichtet war. Madame Lüders und der Doctor Schönfeld, die aus dem andern Zimmer herbeigekommen waren, fanden es daher leicht, bis zu ihm zu gelangen.

»Andreas, lieber, bester Mann!« rief Madame Lüders, »ist es wahr, was ich höre? Sprich, haben wir wirklich Nichts gewonnen?«

Herr Lüders schüttelte schweigend mit dem Kopfe; aber Madame Pietschmann ergriff statt seiner das Wort.

»Keinen Deut haben Sie gewonnen, Madame,« sagte sie in einem schneidenden Tone, indem sie gegen Madame Lüders Front machte.

»Aber mein Gott wie ist es möglich?« rief Madame Lüders.

»Möglich?« entgegnete die Collectrice hohnlachend, »o, sehr möglich. So etwas trägt sich zu, wie der Mann sagte, als er einen Spiegel ohne Glas und Rahmen gekauft hatte.«

»Aber, Madame Pietschmann,« sagte Madame Lüders, »es ist doch wirklich unverzeihlich – –«

»Ja,« ergänzte ihr Mann mit schwacher Stimme, »Sie haben mir da einen bösen Streich gespielt.«

»Was?« schrie Madame Pietschmann und stemmte wüthend die Arme in die Seite. »Mir wollen Sie Vorwürfe machen? Mir, die ich doch ganz unschuldig bin?«

»Ach was, unschuldig,« entgegnete Madame Lüders so aufgebracht, wie man sie noch nie gesehen hatte, »darf eine vernünftige Frau solche Dummheiten begehen? Schämen Sie sich.«

»Na, hören Sie, Madamchen,« platzte die Collectrice heraus, »grob dürfen Sie nicht werden. Dummheiten? Wer hat wohl heute mehr Dummheiten begangen, ich, oder Sie und andere Leute, die ich nicht nennen will, he?« Hier warf sie dem Doctor, der blaß mit zusammengepreßten Lippen dastand und die Scene mit unheimlich lauernden Augen beobachtete, einen giftigen Blick zu. »Wer hat größere Dummheiten begangen,« fuhr sie fort, »ich, die ich zu der Ziehung ging, ohne meine Brille mitzunehmen und nun statt 18,804, – 18,504 gelesen habe; oder Sie, Madame, indem Sie, ohne die Ziehungsliste abzuwarten und sich mit eigenen Augen zu überzeugen, ob Sie gewonnen oder nicht gewonnen, sich gleich aufs hohe Pferd setzten, die gnädige Frau spielten und mit vollen Händen das Geld zum Fenster hinauswarfen; oder etwa Sie Herr Lüders, mit ihren Equipagen und Livréebedienten und all den übrigen vornehmen Narrenspossen; oder Sie,« – hier maß sie den Doctor vom Scheitel bis zur Zehe mit einem Blick, der die ungeheuerste Verachtung ausdrückte – »indem Sie in einer elenden Pfütze Goldfische zu fangen hofften!«

»Madame Pietschmann,« sagte der Doctor im Bewußtsein der Macht, die er stets über diese Frau ausgeübt hatte, und hoffend, sie noch immer leicht einschüchtern zu können, » Madame Pietschmann, Sie vergessen sich, darf ich Sie ersuchen – –«

»Oho!« unterbrach ihn die Collectrice, »nicht zu laut gekräht, mein Hähnchen. Und wissen Sie was? Ihre stechenden Blicke können Sie sich auch ersparen; davor fürchte ich mich wahrhaftig nicht. Verhalten Sie sich nur ganz mäuschenstill, oder ich werde diesen Herren und Damen sagen, wo Sie her sind, Sie erbärmlicher Vocativus, Sie Tintenklekser und Blattschmierer, Sie! Goldfische haben Sie angeln wollen, und was haben Sie gekriegt? O, man könnte darüber weinen, wenn es nicht so entsetzlich lächerlich wäre. Das nenne ich Unglück, wie der Mann sagte, als er den Zeigefinger in der Westentasche abbrach und sich mit dem Stummel das Auge ausstieß. Aber Sie werden ausziehen, mein Herr Doctor; ich will Sie nicht länger in meinem Hause behalten, so wenig, wie die saubere Familie Lüders, und je eher Sie gehen, desto eher wird die Luft wieder rein!«

Mit diesen Worten wandte sich Madame Pietschmann schnell ab und stürmte davon. Vor der Thür zum Wohnzimmer, an welcher Louise bleich und zitternd lehnte, blieb sie stehen, machte ihr einen tiefen Knix und stattete »dem gnädigen Fräulein« ihren Glückwunsch ab. Dann fuhr sie mit so rücksichtsloser Eile weiter, daß sie einer Dame die Mantille von der Schulter riß, und einem alten mit dem Podagra behafteten Herrn auf den Fuß trat, zu guter Letzt aber über den Schleppsäbel des Lieutenants stolperte, worauf sie sich mit der Bitte an ihn wandte, er möge besser auf seinen langen Zahnstocher achten.

Wir haben schon gesagt, daß gleich zu Anfang dieser stürmischen Scene sich mehrere der Gäste unbemerkt fortgeschlichen hatten; die Uebrigen schickten sich nun gleichfalls zum Gehen an.

»Es thut mir wahrhaftig leid um Sie, Lüders,« sagte der Orchideenfreund, indem er diesem zum Abschied die Hand drückte. Leise murmelte er dann für sich: »Mit den Treibhäusern ist es pfutsch!«

»Man hat Sie arg bei der Nase herumgeführt, bester Lüders,« sagte der Ichtyhologe, mühsam ein Lachen unterdrückend. Er schritt dann der Thür zu, indem er in den Bart brummte: »Gute Nacht, Karpfenteiche!«

»Ich denke, Sie wünschen allein zu sein,« meinte Nimrod und eilte dem Ichthyologen nach, indem er halblaut hinzufügte: »Thiergarten, Zehnender, Eber, Alles zum Henker!«

»Das giebt uns vierzehn Tage lang etwas zu lachen,« flüsterte der junge Herr Albrechtsen dem Lieutenant zu und entfernte sich mit einer tiefen Verbeugung.

»Welcher Unterschied ist zwischen einer Collectrice und – –« hörte man den Lieutenant auf der Hausflur sagen; aber die Thür wurde in diesem Augenblicke wieder geschlossen, und der Schluß seiner Frage ging so der Nachwelt leider verloren.

»Es ist wirklich Schade, Lüders,« sagte der biedere Martens, »wir hätten einander gegenseitig manche kleine Gefälligkeit erzeigen können. Nun, – wer weiß – das Glück kann Sie ein anderes Mal begünstigen, und dann lassen Sie es mich wissen. Leben Sie wohl!«

»Sind sie nun Alle fort, Annette?« fragte Herr Lüders, endlich aus seinen düstern Grübeleien erwachend.

»Ja, Alle, Andreas,« erwiederte seine Frau.

»Gott sei Dank!« sagte er tiefaufathmend. »Und nun Kinder,« fuhr er fort, »laßt uns zeigen, daß wir das Unglück mit eben so ruhiger Fassung zu tragen verstehen, wie das Glück. Unser erträumter Reichthum ist dahin; aber, Alles wohlerwogen, sind wir ja nicht schlimmer daran, als zuvor. Und da nun einmal das Souper bereit ist, so laßt uns zu Tisch gehen, auf das Wohl der Verlobten ein Glas leeren und alle Sorge vergessen.«

»Herr Lüders,« sagte der Doctor, indem er langsamen Schrittes aus der Ecke, in welche er sich zurückgezogen hatte, hervortrat, »darf ich Sie an eine Bedingung erinnern, welche ich, als ich heute Vormittag mit Ihnen zu sprechen die Ehre hatte, zu stellen mich für verpflichtet hielt?«

»An welche Bedingung, lieber Herr Doctor?«

»Ich bat Sie, Ihrer Tochter keinen Zwang anzuthun, ja, nicht die mindeste Ueberredung anzuwenden, da nur ein gern gegebenes Ja der uneigennützigen Liebe entsprechen könne, die mein Herz erfüllt. Sie ließen mich hoffen, daß Sie meine dringende Bitte nicht unbeachtet lassen würden. Aber ich sehe zu meinem größten Schmerze, daß ich mich in dieser Annahme getäuscht habe; die Kälte, das zurückstoßende Benehmen Fräulein Louisens beweist es mir nur zu klar. Ich bin an Entsagung gewöhnt, und fern sei es von mir, mich eines Vortheils zu bedienen, den Ihre Güte und Ihr Zutrauen mir eingeräumt haben. Ich halte es vielmehr für eine Pflicht, für deren Erfüllung mir Fräulein Louise Dank wissen wird, ein Band zu lösen, welches gegen ihren Wunsch geknüpft wurde.«

Der Doctor verbeugte sich und schritt feierlich, mit gesenktem Haupte und der Miene eines Verschmähten und tief Gekränkten der Thür zu.

»Also er auch,« sagte Lüders mit dumpfen klangloser Stimme, »ich werde heute schwer geprüft. Hat auch Hugo uns verlassen?« fragte er dann, indem er langsam den Kopf hob und sich im Zimmer umsah.

Ida näherte sich ihrem Vater, schlang liebevoll ihren Arm um seinen Hals und beugte sich zu ihm nieder.

»Ich hätte ihm,« fuhr Lüders fort, als er Hugo nirgends sah, »mehr Herz zugetraut.«

»Hugo ist gar nicht hier gewesen, lieber Vater,« erwiederte Ida.

»Wie?« sagte er verwundert. »Nicht hier gewesen? Nun, ich habe nicht darauf geachtet. Aber ich hatte ihn doch eingeladen.«

»Er wird gewiß morgen kommen.«

»Vielleicht; ich will es hoffen, mein Kind, denn – ich fürchte – der Hochmuthsteufel hatte sich meiner wieder bemächtigt, und da werde ich ihn nicht so empfangen haben, wie ich es hätte thun sollen. Wenn er morgen kommt, will ich mein Unrecht gegen den armen Jungen wieder gut zu machen suchen.«

Seine Worte drangen tief in Louisens Herz und belebten auf's Neue ihre fast erloschene Hoffnung. Sie bemühte sich gegen ein gewisses freudiges Gefühl anzukämpfen, das der Verlust des großen Reichthums in ihr wach rief. »Es ist Unrecht,« sagte sie bei sich selbst, »daß ich mich über Etwas freue, was den Eltern so großen Schmerz bereitet.«

Aber der Egoismus der Liebe ist ein schlauerer Dialektiker, als die kindliche Pietät. »Der Reichthum macht nicht glücklich,« flüsterte er ihr zu, »selbst deine Eltern nicht, so großen Werth sie auch darauf legen, du hast es heute deutlich gesehen. Was ein Verlust scheint, ist in der That ein Gewinn. Der Reichthum erfüllt nur zu oft das Herz mit Hochmuth und Dünkel, und schließt die besseren Gefühle aus; der Reichthum öffnete eine Kluft zwischen deinem Vater und seinem Pflegesohne, zwischen dir und deinem Geliebten; sie ist nicht mehr vorhanden, darum freue dich!«

Man ging nun zu Tisch; aber Keinem wollte auch nur ein Bissen munden. Es gewährte einen sonderbaren und traurigen Anblick, als die vier Mitglieder der Familie schweigend und mit zerstreuten Mienen an der mit so vielem Prunk für eine große Gesellschaft gedeckten Tafel saßen. Die in verschwenderischer Fülle hingestellten Gerichte, die Braten und Torten, die Früchte und Confitüren, sowie die entkorkten Weinflaschen, das Alles war nach dem kurzen Mahle fast so unberührt wie zuvor.

Alle fühlten sich durch die Unruhe und Aufregung des Tages ermüdet und sehnten sich nach Ruhe; man schied also frühzeitig von einander. Louise schlief zum ersten Mal, nachdem sie Hugo wiedergesehen hatte, sanft und ruhig, und liebliche Träume umschwebten ihr Lager. Als sie am frühen Morgen erwachte, schien durch das Fenster, welches auf den Garten ging, die Herbstsonne hell in ihre Kammer; und draußen in der hohen Linde zwitscherten die Vögel so munter und wohlgemuth, als wollten sie ihr das Glück verkünden, welches ihr dieser Tag bringen würde.

»Er wird kommen,« dachte sie, »denn ich sagte ihm ja gestern, daß ich ihm heute Rede stehen wolle. Ja, das will ich, ich will ihm sagen, daß ich nicht – o, daß er dies glauben muß – einem Anderen gehöre, daß mein Herz nur für ihn empfindet, daß ich ihn liebe und immer geliebt habe, so lange ich denken kann.«

Wie würde ihre frisch erblühte Hoffnung geknickt worden sein, welch' namenloser Schmerz würde ihr Herz zerrissen haben, wenn sie zwei Stunden früher hätte sehen können, wie der stolze Dreimaster Albatros, von der mit der Ebbe eingetretenen Strömung getrieben, die Elbe hinabglitt?

Ein Mann stand mit verschränkten Armen regungslos im Hintersteven und starrte in düsteres Nachdenken versunken, über die Wasserfläche hinaus. Es war Hugo.

Ein leichter Nebel lag noch über dem Flusse; aber die immer höher steigende Sonne begann ihn zu vertheilen, und ein frischer Wind löste ihn dann völlig in weiße Flocken auf, durch welche die schönen Ufer in der ganzen Farbenpracht des Septembers sichtbar wurden.

Aber je mehr sich die herrliche Scenerie um ihn her belebte, desto schmerzlichere Gefühle rief sie in ihm hervor.

»Die Schönheit des Herbstes betrügt,« sagte er, »der Tod lauert unter der farbigen Hülle. Ja, er liegt schon verborgen in dem zarten Keime, er wächst mit ihm, immer weiter um sich greifend und an seinem Marke zehrend, bis er ihn zuletzt vernichtet. Warum sollte es mit den Gefühlen unseres Herzens anders sein? Wie könnten wir an eine Dauer glauben inmitten des ewigen Wechsels? Nein, fort und fort fallen, wie welke Blätter, unsere unerfüllten Wünsche und vereitelten Hoffnungen zu Boden, und von der Wiege bis zum Grabe ist all unser Denken und Thun nur ein eitles Trachten nach Etwas, was schon im ersten Entstehen dem moralischen Tode, der Täuschung, anheimgefallen ist. So war es vor zehn Jahren, als ich zum ersten Mal von meiner Heimath schied, so ist es heute, und so wird es bleiben, bis auch für mich die Zeit des Laubfalls kommen wird.«

Er bemerkte nicht, daß ein bärtiges, wettergebräuntes Gesicht fortwährend der Stelle zugekehrt war, wo er stand.

Die auf dem Schiffe herrschende strenge Disciplin erlaubte unserm ehrlichen Jacob nicht, sich seinem Herrn zu nähern und ihm den ansehnlichen Vorrath von Trostgründen darzubringen, der sich während der Nacht in seinem Gehirne angehäuft hatte.

»Der Capitain hätte meinen Rath befolgen sollen,« brummte er vor sich hin, »dann triebe er jetzt nicht in so erbärmlich lumperirtem Zustande vor Topp und Takel. Nun grämt er sich, das ist Menschennatur. Aber die Zeit wird's lindern, und er wird dann wieder wohlgemuth die Segel hissen; das ist, Gott sei Dank, auch Menschennatur.«



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