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Der Liebestrank.

»Onkel Balsamo!«

»Fortunat, laß mich in Ruhe; wir sind schon an der Treppe. Hier bin ich der Graf Cagliostro.«

»Onkel Giuseppe! Ich weiß, Sie haben Von den Geheimnissen der Natur nicht mehr erforscht, als die Geheimnisse menschlicher Schwäche. Gestehen Sie mir das eine, das ich nicht zu ergründen vermag: Welches ist das Geheimnis Ihres Liebestrankes?«

»Du sollst es gleich erfahren, mein Junge.«

»Wo?«

»Hier, jetzt in der Gesellschaft, beim Grafen Barrées. Ich weiß daß sie mir heute eine Falle stellen wollen. Sei still und benimm dich unverschämt, aber vornehm. Wir sind am Ziel.«


Der Saal ist weiß und gold, die Kerzen flammen, und die ganze Gesellschaft steht regungslos wie buntes Wachsgebilde in einem Krippenspiel. Denn der Graf von Cagliostro ist angekündigt und durch den Salon des Grafen Barrées wehen die Schauer heiliger Erstarrung; nur die ganz jungen Damen haben den Mut, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und die Hälse zu recken.

Er tritt ein: groß, hager, ernst, von erhaben-kalter Liebenswürdigkeit. Alle sehen sie ihn schaudernd an: sie sehen ein von Leidenschaften zerfurchtes Gesicht? Nein. Es sind die Runen der zehn Jahrhunderte, die dieser Mann erlebte. Tausend Jahre alt …

Die Herren lächeln, aber es graut ihnen. Den Damen graut, aber sie lächeln. Für tausend Jahre ist er interessant genug.

Man flüstert oder man denkt: »Diese Gelbheit des Gesichtes!«

»Aber doch, im Ganzen, diese gefaßte Zusammengenommenheit?«

»Er ist wie ein Gebäude von vier oder fünf Stilarten. Es scheint inkonsequent, aber es ist nur alt. Es entstand, wie es mußte.«

»Aber warum kleidet er sich nicht mehr nach der Art der alten Magier? Er trägt goldbrokatne Weste, himmelblauen Frack und gleiche Kniehosen und Strümpfe.«

»Er leuchtet darum doch gleichsam von innen heraus durch diesen blauen Frack, wie eine Ampel aus Saphir. Wenn es dunkel wäre, er würde phosphoreszieren.«

So gehen die ängstlich-leisen Gespräche umher, indes sich die nahegedrängten, gepuderten, hohen Damenfrisuren verneigen, als ob der Wind hinter einem vollblühenden Perückenstrauch anflöge. Sämtliche linke Beine scharren nach rückwärts; leise klirren die Degen der Herren. Sie sind fast alle besiegt; die heißen Herzen von ihrer eigenen Glaubenskraft und ihrer Liebe zum Wunder, die kühlen Hohnköpfe vom Erfolg.

Nur der mächtige Barrées begrüßt seinen Gast zwar mit fast so tiefer Kopfneigung, als er sie den Größen Frankreichs erweist, aber doch leise lächelnd. Er empfängt zum Dank die nachlässigen Worte: »Ja, lieber Barrées, ich bin recht gerne gekommen.«

Um die Lippen des Hausherrn zuckt heimlich eine feine Bosheit und er beginnt: »Ich werde Ihnen einige neue Verehrer Ihres Genies vorzustellen die Ehre haben. Nur sagen Sie mir: Wann befreien Sie mich von meiner verdammten Gicht?«

»Bei der nächsten Mondesfinsternis.«

Bis Barrées zu den nächsten Gästen und zurück gehumpelt war, flüsterte ihm sein Neffe zu: Du wirst dir mit solch nachlässiger Behandlung den Ärger und sehr bald den Haß des großen Herrn verdienen.«

»Geachtet wird, wer nicht achtet,« sagte Cagliostro regungslos, mit geradeblickenden Augen und geschlossenen Zähnen. Kaum, daß sich seine Lippen bewegten. Er erwartete neue Tröpfe, da hieß es aufpassen und beobachten.

Barrées stellte sie lächelnd vor. Sie und ihre Krankheiten. Es war eine große, ärztliche Visite: »Gräfin des Fouches. Noch ziemlich jung, aber immer noch verliebt. Demoiselle Chanzy d'Armagnac de Bracy. Zu jung, kann aber schon nicht mehr lieben. Madame Sinisterre de Solerol. Haßt die Kirche und sehnt sich nach wahrer Religion. Fürst Ehrenbreitenstein-Metsch, hat eine Flintenkugel ins Schultergelenk eingewachsen, Marquis Caval leidet an einem Nebenbuhler und einer Schauspielerin, und endlich« – der Graf nahm all seine feine Bosheit zusammen – »Ehrendoktor Jakob Mignard, Mitglied und Abgesandter der Akademie: Wissensdurst und Zweifel an Ihrer Kunst.«

Bisher hatte der Graf von Cagliostro ruhig gelächelt und mit diesem Lächeln gesagt: »Wir werden helfen.« Bei der Vorstellung des berüchtigten, neidischen Gelehrten Mignard zuckte er in leiser Nervosität auf, sammelte sich ungemein leicht und schnell und sagte: »Ah! Doktor Mignard? Das ist ein interessanter Fall. Beginnen wir also mit Ihnen? Nun: Sie begehren natürlich meine Kunst zu prüfen. Wählen Sie, verehrter Doktor, nur kühnlich jenes Gebiet, das Ihnen am zweifelwürdigsten erscheint.«

Die ganze Gesellschaft drängte sich um den Akademiker und den göttlichen Schwindler. Mignard, der überraschen hatte wollen und dem es nun viel zu geschwind hergegangen war, wurde rot, und Cagliostro wurde noch verbindlicher. Er fuhr fort: »Es ist mir lieb, daß die Akademie den exaktesten ihrer Köpfe zu mir gesandt hat. Es ist mir lieb, Herr Professor, daß Sie mich prüfen, so strenge Sie es vermögen. Stellen Sie mir jede Frage, jede Aufgabe. Was, zum Beispiel, bezweifeln Sie an mir?«

Der leidenschaftliche Lehrling der Hochstapelei, Cagliostros Neffe Fortunat, hatte sich hinter den Professor gedrängt und flüsterte ihm mit dem ganzen Ausdruck seiner eigenen Ungeduld zu: »Den Liebestrank!«

Ach, der Professor hatte zwanzig Jahre lang Schule gesessen! Er war fast ein Musterschüler gewesen, aber dennoch: Wo ihm etwas fehlte, das hatte er sich von den Mitschülern zuflüsternd einblasen lassen. Nun saß es im Blute, nun wirkte es, im Bunde mit der unwiderstehlichen Gewohnheit des Gelehrten, der seiner ganzen Weisheit Beweiskraft nicht in sich, sondern in enggeschlossenem Harst hinter seinem Rücken weiß.

Und er sagte aufatmend: »Der Liebestrank.«

»Ah,« freute sich das ganze Menschenblumenbeet und vibrierte vor lauter Ereignisschauern.

»Wünschen Sie ein Experiment?« gab ihm Cagliostro freundlich vor.

»Ja, ja!« rief die entfachte Begeisterung der jungen Damen. Denn die standen schon alle auf den Sesseln.

Welcher französische Akademiker widerstände dem hüpfenden Zurufe junger Mädchen? »Ja,« sagte also Herr Mignard. Und als die ganze Gesellschaft Beifall klatschte, lächelte sogar Mignards Sohn, Olivier, ein junger Marineoffizier, und kam freundlich näher heran.

»Recht streng, nicht wahr,« fragte Cagliostro weiter.

Professor Mignard aber blieb Akademiker. Er sagte: »Streng wollen Sie? Da bitte ich doch diese erlauchte Versammlung, zwei Objekte für das Experiment des Liebestrankes zu wählen. Das wird Ihnen Ihre Aufgabe sauer genug machen. Nebstbei frage ich, ob Sie der Akademie Kaution erlegen wollen für den Fall, daß einer der sich zum Experiment bereit erklärenden Teile an seiner Gesundheit Schaden litte?«

»Aber ja,« lächelte Cagliostro, überlegte einen Augenblick, griff dann in die Tasche und zog eine dicke Handvoll blendend schöner Brillanten hervor, bei deren Anblick alles ergriffen stilleschwieg. Es mochte eine kleine Million sein, die der rätselhafte Graf da nur so aus der Tasche zog.

»Bitte, prüfen Sie, ob sie echt sind,« sagte Cagliostro gleichgültig und legte die Steine vor Mignard hin. Der Gelehrte hatte einen Rubin am Finger, und an dem führte er mißtrauisch einen der Steine Cagliostros ritzend entlang.

»O weh,« rief er. Der Rubin hatte einen tüchtigen Riß weg, und Cagliostro sah ihn strafend an. »Graf Barrées,« bat er dann ruhig: »Nähmen Sie diese Diamanten für die Akademie der Wissenschaften in Verwahrung, bis ich rehabilitiert bin?«

Barrées kam langsam herbei. Es waren Steine von solcher Schönheit, daß sogar er sie mit Ehrfurcht in Empfang nahm.

Das Parterre, das Cagliostro sich damit gebildet hatte, war präpariert. Alle Haare sträubten sich vor Erregung.

Cagliostro war zufrieden. Kardinal Rohan hatte einem wucherischen Juwelier die Diamanten zu einem verliebten Geschenk für die Königin abgepumpt. Dem Kardinal wieder hatte eine Schwindlerin das herrliche Halsband herausgelockt; ihr aber hatte es der Meister allen Betruges, Cagliostro, abgegaukelt. Nun begann aber die Geschichte zum Himmel zu stinken und Cagliostro war sehr froh, die aus ihren Fassungen gelösten Steine beim Grafen Barrées hinterlegen zu dürfen. Hier suchte und forderte sie niemand.

»Ich bitte Sie, Mesdames und Messieurs, Ihre Opfer zu wählen,« sagte Cagliostro so kalt, daß den galanten Gesellschaften ein Grausen über den Rücken lief, denn Liebe als chemisches Experiment behandeln, hieß sogar mit der Frivolität frivol umgehen. Das war stark; wirklich. Aber es war eine aufregende Neuigkeit. Man war zum erstenmal seit seiner Jugend in bänglichster Spannung.

Nun erstiegen auch die ersten Herren in den hintersten Reihen die Stühle.

»Wie wär's mit dir, Clarisse?« fragte der verwitwete Barrées seine Tochter, und begeisterter Applaus lohnte dem kühnen Hausherrn.

»Oho; nein, ich danke!« rief das Mädchen und hob abwehrend die Hand.

»Meine Tochter ist nämlich Künstlerin und will nichts anderes bleiben, als Künstlerin. Sie singt eine prächtige Koloratur und glaubt durch eine Heirat daran Schaden zu leiden. Sie kann nicht lieben. Bester Herr Graf, wenn Sie sie etwa in irgendeinen jungen Adeligen von guter Familie verliebt machen könnten, – ich wäre Ihnen höchlich verpflichtet.«

All das wurde gesprochen in jenem Tone, der aus Spaß und Ernst gemischt war und aus dem nur ein Weltmann die Ingredienzien zu scheiden vermochte.

»Ist solch ein junger Edelmann hier?« fragte Cagliostro ruhig dagegen; und wirklich verhinderte er damit den angeerbt taktvollen Barrées, einen Mann seiner Wünsche zu nennen.

»Aber Herr Graf und Sie, Komtesse! Glauben Sie denn, er brächte es fertig, mit sehenden Augen anzustiften, was sogar der Gott der klugen Griechen nur mit verbundenen Augen vermochte?« flüsterte der gereizte Akademiker Mignard dem Gastgeber und seiner Tochter zu. »Herr Graf, sind Sie noch der alte Freigeist? Und Sie, Komtesse, fürchten sich vor einem Glase Kognak und etwas Hokuspokus? Habe ich Ihnen umsonst die chemische Analyse seines Liebestrankes mitgeteilt?«

»Gut,« sagte das mutige Mädchen beruhigt, »ich gebe mich zu dem Experiment her.«

Es trat ein Augenblick der Ruhe ein. Alles hatte vernommen, um welchen Preis der Kampf gehen sollte; es war wirklich viel. Sehr viel: für Cagliostro, für Mignard, für Barrées und die Komtesse.

»Sie gäben sich her, mit wem immer die Gesellschaft Sie zusammenbestimmte?« fragte Cagliostro noch einmal in mitleidvoller Warnung.

Dem Mädchen kam ein wenig die Angst. Aber lieben ist immer schön. »Mit wem immer,« lächelte sie großartig.

»Aber das ist ja frivol,« rief halblaut der erzürnte Schiffsleutnant Olivier.

»Wer ist der junge Offizier,« fragte Cagliostro leise seinen Gastherrn.

»Der Sohn Mignards,« lächelte dieser.

»Der junge Mignard: ah, das ist gut!« rief Cagliostro, als sagte er dies zu sich selbst.

Und wirklich; die ganze Gesellschaft wiederholte begeistert sein hypnotisches Wort wie ein Orakel: »Der junge Mignard! Der junge Mignard!«

Vater Mignard erbleichte, Barrées lachte laut auf, die Prinzessin warf in trotzigem Übermut den Kopf zurück und Olivier schrie: »Das verbiete ich mir!«

Aber die Gäste waren berauscht, als hätten sie Blut getrunken und jubelten immerzu: »Der junge Mignard und Clarisse! Wir wollen keine andern!«

Es war unwiderstehlich.

»Ja aber,« sagte Clarisse ängstlich, »ich habe mir Herrn Olivier noch gar nicht so genau angesehen.«

»Um so besser,« lachten die Damen und klatschten in die Hände.

»Sie werden den Liebestrank vor unseren Augen bereiten?« fragte der starke Herr von Ehrenbreitenstein mit der gelähmten Schulter.

»Ja,« erwiderte Cagliostro gleichgültig. Er hatte schon aus seinen Taschen einige kleine Phiolen gezogen und damit zu arbeiten begonnen. »Ein Glas Madeira,« winkte er einem Bedienten.

Es wurde sehr still. Die Scherze zweier Gamins kitzelten niemand; da wurde selbst jenen bang, die sonst die Fahnenschwinger des Gelächters waren.

Cagliostro war rasch fertig. Er hatte eine grüne, eine rote, eine braune Mixtur in je ein Gläschen getan, dann goß er alle drei mit dem Madeirawein zusammen und wartete einige Sekunden, indem er kühl und hart vor sich hinblickte. Dann teilte er den Trank, scheinbar zerstreut, ungenau und gleichgültig in zwei andere Gläschen.

»Ich bitte rasch zu trinken; wo sind meine jungen Herrschaften?«

Clarisse kam zuerst heran. Sie war hübsch, nur etwas mager, und ihre Nase war lang, die Figur beweglich, das Gesichtlein hatte traurige Augen, die jetzt sehr ängstlich aussahen. Sie kostete und hustete. »Hinunter!« rief Cagliostro grob. Da erbleichte sie und wollte nicht mehr.

»Trinken Sie,« grollte er sie an. »Mignard bewies Ihnen ja die Ungefährlichkeit in der chemischen Analyse.«

Da trank sie das Ganze gehorsam und erschrocken hinunter.

»Woher wissen Sie das von der chemischen Analyse,« fragte das arme Mädchen dann nach einer ganzen Schreckenspause, während derer ihm das starke Getränk wie Feuer im Magen wühlte.

»Aus meinem Brennspiegel. Wo ist Herr Leutnant zur See, Olivier Mignard?«

Mignard trat in prachtvoller Haltung vor und erhielt Applaus. Er schlug den Zopf nach der Schulter wie eine Peitsche, als er rechts zur Gesellschaft hinüber sah und warf sich dann ganz wie ein Soldat ins Feuer: nach außen Entschlossenheit, Kraft und Halbgötterei, und innen windet sich angstvoll das Würmlein Menschenschwäche zurück. Für seinen Vater tat er alles. Messieurs und Mesdames waren aber auch hingerissen und entzückt über das hübsche Opfertier und sehr neugierig.

Als er jedoch Clarisse ansah, die ihm etwas verlegen, etwas kläglich und etwas empört entgegenblickte, da ward der Franzose in ihm stärker als der Sohn, oder vielmehr schwächer.

Sie war so rührend, so adelig, der Kopf saß so hingegeben unter der großen Last der Haartracht auf dem schlanken Halse; und er, er war gekommen, um öffentlich darzutun, daß er dieses entzückende Geschöpf nie und nimmermehr lieben wolle. Taktlos und vermessen!

»Madame,« sagte er und stolperte mit seiner Rede sehr: »Nicht, weil es Ihrem Reiz nicht gelingen könnte, mein Herz nicht klein und schwach zu machen« –

Clarisse lächelte ein wenig, wandte sich aber in kokettem Trotze von ihm fort und wandte sich zum Gehen.

»– oh Madame,« vollendete der geängstigte Schiffsleutnant seine Rede, indem er ihr nachsah; »das ist außer allem Zweifel, daß ich nicht Ihnen widerstehen möchte; nur diesem Herrn hier –«

»Also trinken Sie,« sagte Cagliostro mit kühlem Lächeln.

Da hob Olivier das Glas und rettete das Gehaben eines Seemanns, der sich Trost gegen einen scharfen Nordnordwest zuführt, in diese bange Stunde. Cagliostro hatte ihm viermal soviel zugedacht, als dem Mädchen. Er aber setzte an: ein Schluck, ein Druck und ihm war wohl und warm im Leibe.

»Ausgezeichnet,« sagte er unwillkürlich.

Die Herren riefen dieser natürlichen Trinkermanier Beifall zu, die Damen aber waren etwas gereizt; – wie stets, wenn einer nicht recht lieben will. Ja, eine alte, sonst heitere Stiftsdame nahm das Wort und wandte sich ungeduldig an Herrn von Cagliostro: »Wie lange, mein Graf, wird es nun wohl dauern, bis dieser junge Atheist seine Strafe für die Vermessenheit, ein so entzückendes Geschöpf verschmähen zu wollen, in seinem Herzen aufsteigen fühlen wird!?«

Mignard erschrak über den Unwillen der alten Dame, Cagliostro aber räumte die Phiolen zusammen und übergab sie seinem Neffen. »Das ist,« sagte er, »je nach der Anlage eines Menschen. Ich bedaure, daß Herr Mignard Offizier zur See ist. Man ist als solcher schon gegen ein bloßes Frauenlächeln schwach und hat in den Häfen einen Heidenrespekt gegen die dort gänzlich fehlende Frauenreinheit und Feinheit erworben. Ich hoffe übrigens, daß Herr Leutnant nicht kürzlich von einer langen Seereise zurückgekehrt sind.« Er schmunzelte diabolisch. »Sechs oder sieben Monate ungebrochener Einatmung von Salzwasserluft, sowie die lange Gewöhnung des Auges an nichts als Himmel und Meer ergeben eine ungemein starke chemische Affinität zu meiner Mixtur. – Ja. – Aber Herr Mignard, als Sohn, wird sich heldenmütig wehren.«

»Ach, und die Komtesse ist schon geflüchtet?« rief ein junger Herr.

»O nein,« erklang Clarisses Stimme aus einem Winkel. Sie hatte sich von dort, sehr gereizt, den jungen, trotzig-schönen Soldaten angesehen, der sie durchaus nicht lieben wollte. Sie hoffte, Olivier würde sich wenigstens zu ihr begeben und ihr den ganzen Abend Gesellschaft leisten, um den andern zu beweisen, daß er das Fluidum Cagliostros verachte. Dann würde sie ihn zu strafen wissen.

Aber, ach nein, Herr Mignard vermied sie und sah nur sehr selten mit schnellen, verbotenen Blicken nach ihr, als ob er stehlen wollte.

»Na wart',« dachte sie. Sie war schwer gekränkt.

Kein Mensch hatte eine Ahnung, wie wunderbar singen sie gelernt hatte. Trotz aller Eitelkeit hatte sie es verborgen, daß sie bei dem ausgezeichneten Maestro Primavesi Singstunden nahm. Sie gedachte am Hofe des Königs zum ersten Male hervorzutreten, als die vom Himmel gefallene Meisterin. Aber nun hielt sie es nicht mehr aus. Man verachtete sie, man beleidigte sie, man vermaß sich, sie samt einem Zaubertrank im Leibe nicht reizend zu finden. Weil sie noch schlank war? Weil ihre Nase nicht stumpf und rund war? Oh!

Bei Tische krampfte sie Tränen hinunter. Der junge Mignard saß neben einer Frau, deren Kehle, Schultern und Brust sich herrlich ausbreiteten, wie blühender Speck. Diese schöne, umfangreiche Dame war eine Freundin von Oliviers Mutter, und Clarisse ahnte, daß sie mit den Herren der Académie française verschworen sein könnte, und von ihrem ironischen Papa nur eingeladen war, um diesen ahnungslosen Leutnant zur See gegen den Liebestrank zu immunisieren, ja wohl gar, ihn zu verführen. Sie sah gar nicht hinüber, aber sie verachtete die ganze Akademie in dieser Frau.

Ein Glück, daß Meister Primavesi neben ihr saß, der ihr seit einem halben Jahr an jedem großen Gesellschaftsabend zuraunte: »Ach, nur eine Generalprobe, Contessa; nur ein Pröbchen Ihrer liebenswürdigen Kunst und meiner Schule. Ich hätte einige hoffnungsvolle Damen hier, die unfehlbar meine Elevinnen würden, wenn sie Sie hörten.«

Heute entschloß sich Clarisse. »Gut,« sagte sie. »Wenn Sie es geschickt machen, daß man mich bittet, liebster Meister, so gebe ich Ihnen nach.«

Der Maestro wäre kein Italiener gewesen, wenn er nicht Komödie zu spielen verstanden hätte. Als er nach aufgehobener Tafel ans Klavier gebeten ward, schlug er vor, daß Signorina Ravolini singen dürfe.

»Die Ravolini,« riefen alle Herrschaften begeistert, denn das war eine beliebte junge Sängerin der heurigen Stagione. Aber die Ravolini war gar nicht da und Barrées gestand bedauernd, daß er sich nicht erinnere, sie eingeladen zu haben.

»Ach, wenn doch endlich Ihre Tochter, als meine beste Schülerin, die Güte haben wollte, zu beweisen, daß ich Lehrer zu sein vermag,« flehte der Maestro den Gastherrn an.

Da stand, von der Begeisterung der gesamten Gesellschaft geschoben, gezerrt, gehoben und von den Damen förmlich Schritt für Schritt nach vorne geküßt, sehr bald Clarisse auf der Estrade.

Und sie sang. Sie sang die kleinen, altmodischen Hirtenlieder der trefflichen italienischen Singspielkomponisten, die alle gleich liebenswürdig, gleich talentvoll und gleich leuchtend waren und das liebe achtzehnte Jahrhundert mit den entzückendsten musikalischen Schelmereien versorgten. Sie sang eine Arie, dann eine Arietta, dann einen Chanson, dann ein Madrigal und dann wieder eine Arietta. Sie sang, und atemlos verliebt starrte alles sie an.

Ihre Stimme war mühelos, leicht und elastisch, wie ein Federball von den Notenlinien wegprallend und wiederkehrend. Die Atemtechnik merkte man gar nicht; es schien, als ob dieses Vöglein kaum der Luft bedürfe. So stand sie und neigte sich nach der ersten Arie tief und wurde vor Freude rot, denn ihre Gesellschaft raste vor Überraschung.

Die Arietta dann bäumte sich auf wie ein Wellchen im Bach, lockte, floh, entfernte sich, neckte und träumte durch eine Stimme hindurch, die zum Verzaubertsein leicht und zart, nein, zärtlich war.

Da begann der junge Mignard leise und glücklich in seinem Herzen zu leiden.

Aber weiter und weiter lachte das heitere Rokoko aus kapriziösen Liedchen ihn aus, und die fröhlich gewordene Clarisse wählte jenen Chanson, der soeben den Siegeszug über ein ganzes Geselligkeitsjahr anzutreten im Begriffe stand: das entzückende Grillenlied der kleinen Schäferin aus den » Sentiments du pauvre Robin«. Dieses Lied hatte einen Refrain, der mit dem französischen Wortstamm »ris«, der Wurzel des Wortes Lachen, auf reizende Weise Fangball spielte, indem er, zuerst als Grillengesang, dann als ernsthaft scheinendes Studienmonstrum einer Übenden, und zuletzt in ein stockend anfangendes, aber bis ins Unaufhaltsame weiterrollendes leises Gelächter ging, das immer leichter, zarter und höher anstieg. Dieses Liedchen, das die junge Schäferin unbekümmert, wie auf und ab gehend, zu singen anfing, hatte als erste Strophe diese:

Ich singe mein Liedchen, ein lächelndes Lied,
Ich singe mein Lied auf der Wiese.
Die kleinen Grillen zittern es mit,
Man singt von der Halde bis an das Ried
Als beliebteste Arie nur diese:
Ri – ri – ri – ri – riririri i i i i i i …

Und dieses ris, ris i i i i, zuerst schüchtern, dann schnell und zuletzt ein einziges, leises Forttrillern, war ein hinreißendes zitterndes Grillengezirpe, welches, von dem heitern, leichten, koketten Stimmchen nachgeahmt, jedes Zwerchfell vor Lust vibrieren machte, vor Lust nach der Wiese. Dann aber ging es weiter:

Und du mir zur Seite, du sehnst dich bis weit
Wo sich Erde und Himmel verlieren.
Ins Endlose willst du? da habe ich Zeit,
Einstweilen das Lied dieser Endlosigkeit
Den Heupferdchen abzustudieren:
Ri – ri – ri – ri – riririri i i i i i i …

Fast ernsthaft mühte sie sich, den Ton dieser Heupferdchen abzufangen. Sie begann in do, stieg über mi und sol immer höher und höher und lächelte dabei ihren tapferen Gegner Olivier ein Momentlein ganz versteckt an. Jedoch kümmerte sie sich während der letzten Strophe gar nicht mehr um ihn, denn diese Strophe ging:

O Freund, du mein Freund, so gelehrt und so dumm,
Gehst endlos und gehst doch im Kreise.
Zieh fort, o flieh nur und sieh dich nicht um …
Hier wart' ich auf jemand im Wiesengesumm
Und das Lachen schüttelt mich leise:
Ri – ri – ri – ri – riririri i i i i i i …

Und dieses Lachen, dieses leise anzitternde Lachen, das wie eine Lerche in immer größere Heiterkeiten hinaufstieg, dieses ansteckende Kichern bezwang in seiner unendlichen Liebenswürdigkeit eine Gesellschaft, die so gerne, so gerne lachte dermaßen, daß es in sämtlichen Hälsen, musikalischen und dürren, innerlich mitzuperlen begann, als stiegen tausend entzückende Leichtigkeitsbläschen eilig aus den Schaumweinkelchen der französischen Seelen empor; und als Clarisse in der feinsten, lustigsten Höhe ihr Lachen ausgetrillert hatte, da brach dieses selbe zitternde Rollen aus allen Kehlen mit Kinderfröhlichkeit los, und alle, alle lachten sie, als ginge es über den geprellten Schiffsleutnant her, der es unternommen hatte, dieses Geschöpf nicht zu lieben.

Der arme Junge kam sehr schwierig durch die Gratulanten hindurch, welche die junge Sängerin umringten, und rief ihr in der Schwäche der ersten Hingerissenheit zu: »Komtesse, ich hielt große Stücke auf Ihre Gaben, aber daß Sie solch ein kleiner Goldvogel seien, das, das – – –«

»Das ist ein um so schätzbareres Kompliment,« sagte die schlanke Clarisse strahlend vor Übermut, »als es aus einer seltenen Herbheit und Unbestochenheit der Gesinnung erfließt.« Und sie wandte sich neuen Beglückwünschern zu und hatte ihn sogleich vergessen. Also war nun Olivier der Gekränkte. – – –


Die darauffolgende erste Hälfte der Nacht verbrachte er mit Versuchen, jenes Grillenlied in Diskant, und als das mißlang, in Baß zu singen, wobei er das Ris – ris – ris wunderbar gröhlte; die andere Hälfte der Nacht verschwendete er auf Bemühungen, es nicht zu singen.

Am nächsten Tage haßte er es. Es sah aus, als ob man dieses Lied auf ihn gedichtet hätte, und man begann es schon da und dort auf der Gasse zu trällern.

Clarisses Vater hatte sich am vorigen Abend, nach einer energischen Reklamation jener alten Stiftsdame, entschlossen, Mignard, Cagliostro, und all die übrigen Gäste dieses Abends zu bitten, in vierzehn Tagen wiederzukommen, um zu erfahren, ob der Liebestrank des Meisters der Geheimnisse inzwischen gewirkt haben könnte. Vierzehn Tage, bis er sie wiedersähe!

»Es ist ein hartes Ding,« sagte er sich, »aber mein Vater darf nicht der Besiegte dieses Charlatans werden. Bin ich denn so schwach?«

Und er war stark, wehrte sich und dachte infolge dieses Kampfes in einemfort an die niedliche Clarisse.

Sie aber war empört, daß die Akademie solch einen ahnungslosen, rein törichten jungen Menschen als Werkzeug ihres Hasses gegen Cagliostro mißbrauchte. Ihr Vater war mit im Spiele. Sie hatte Angst vor seiner Ironie, aber sie sagte sich, daß es ein Meisterstreich des kleinen Gottes wäre, wenn eben diese kalte Ironie ein wenig bestraft würde. Einem Edelmanne wollte er sie vermählen, einem Edelmanne! Nachdem Herr Rousseau und Herr Voltaire längst so niedliche Dinge über die Vorzüglichkeit und den Rang des Herzens und des Geistes geschrieben hatten, welche die einzige Ungleichheit auf Erden ausmachten? O!

Ihr ganzes kleines Wesen hatte sich von jeher nur im Widerspruch erfreut, denn sie war stets unmäßig verzogen worden. Übrigens aber meinte sie, Olivier müsse gedemütigt werden. Sie glaubte zwar noch, daß sie ihn nicht liebe, aber eine bedenkliche Angst vor der kalten Tücke des Cagliostro saß in ihr. Der war so rätselhaft. Und die Akademie hatte so viele Regeln, das Leben aber war so regellos. Wenn nun der grauenhafte Mensch mit seinem Trank Recht behielte? Sie prüfte sich und erschrak, wie viel sie sich schon an jenem ersten Abend in Gedanken mit Mignard beschäftigt hatte, und wie viel nachsinnende Stunden inzwischen dazugewachsen waren, – alle voll von Olivier Mignard.

Es war schauderhaft; schauderhaft, aber süß. Denn wenn es bei ihr wirkte, dann saß es wohl auch bei dem jungen Marineleutnant fest. Wo der nur blieb?

Der? Der wehrte sich zehn Tage. Am Vorabend jenes Tages, der Cagliostros Gewalt oder Beschämung offenkundig machen sollte, lief er ihr in einem Gäßchen in den Weg.

»Komtesse, seit vier Tagen warte ich hier, wo Sie sonst täglich durchkommen, auf Sie …«

Sie erkannte den ehedem tiefbraunen Jungen gar nicht gleich. Er war wirklich blaß.

»Was wollen Sie?«

»Komtesse, wir werden uns morgen sehen. Ich habe Angst, Sie zu beleidigen, wenn ich abermals meinem Vater zuliebe als Verächter Ihrer Holdseligkeit dort stünde.«

»Schweigen Sie, und lassen Sie mich, ich muß zu Primavesi,« sagte sie beleidigt.

»Aber haben Sie doch Erbarmen, Madame,« rief er und hielt sie angstvoll zurück. »Ich kam, Sie zu bitten, dieser Komödie ein Ende zu machen und den Abend absagen zu lassen.«

»Wozu?« lächelte sie frostig. »Ihr Herr Vater soll seinen Triumph genießen; denn auch ich fühle keine Wirkungen von dem Tranke des Grafen Cagliostro.«

»Ach, Komtesse,« sagte der arme Junge traurig, »dann wäre ja alles gut. Ich werde das meinem Vater berichten, er wird mit Ihrer gütigen Zustimmung die Akademie von dem lächerlichen Schwindelversuch benachrichtigen, dessen Mißlingen dem Ansehen des wunderlichen Grafen übrigens kaum schaden kann, und ich, – ich werde morgen nicht zu erscheinen brauchen, um meinen guten Vater und mich keiner Demütigung auszusetzen.«

»Ah, wie das?«

»Es ist nur, weil ich fürchte, Komtesse, daß nicht Graf Cagliostro, wohl aber Ihr Reiz mich verzaubert hat.«

Clarisse stand über seine unerwartete Botschaft sehr erschrocken und vermochte gar nichts zu sagen.

»Es ist so,« bestätigte er betrübt: »Ich liebe Sie; aber,« fügte er verzweifelt hinzu, »wenn Sie morgen diesen abscheulichen Schlächterabend eines Herzens zustande kommen lassen, so leugne ich alles!«

Da lief sie ihm davon.

»Clarisse,« rief er, »Clarisse!«

In den leeren Gassen klang der Ruf nach, aber auch in ihrem Herzen vibrierte er weiter. Sie war fassungslos und kam sich ebenfalls wie verzaubert vor; in ihr wühlten Seufzer, Mitleid, Neugierde nach dem jungen Manne und stürmische Wünsche sehr; sie wehrte sich in Heidenangst vor der Macht Cagliostros, fand es aber dennoch schmerzvoll-schön, so sehr zu leiden.


Der Abend, auf den die fröhlichen Zuhörer des Grillenliedes mit der heitersten Spannung gewartet hatten, wurde für diesmal abgesagt und abermals auf vierzehn Tage verschoben, denn Clarisse hatte sich krank erklärt. Da lief denn durch die Gesellschaft von Paris der leise, lustige Verdacht von einer Schlappe, die der ungläubige Graf Barrées und die Akademie erlitten haben könnten, und Herr Cagliostro vergabte in diesen Tagen dreiundeinhalb Maß Liebestrank an Bedürftige.

»Da habe ich sie mir,« sagte er zu Fortunato. »Der alte spöttische Kavalier zittert schon heute vor mir. Und siehst du: nicht die gescheite, kleine Clarisse hat mein Trank bezwungen. Nein; all ihre Vorfahren, deren Geschäft es seit tausend Jahren war, gläubig zu sein, die haben in ihr vor dem Liebestrank jene Angst, die ihn so wirksam macht. Tausend Jahre glaubten diese Barrées blindlings an alles, was der Pfaff ihnen aufband. Der letzte Barrées und sein Töchterlein leugnen. Aber in ihnen sitzt bauernfest die Glaubsucht. Und es zuckt immer noch demütig in ihren Knien, so oft sie an einem geweihten Ollämpchen vorübergehen, so wie es in dem Akademiker Mignard zuckt, sich vor den Barrées tief zu verbeugen. Denn all seine Vorväter waren katzbuckelnde Erwerbsleute. Der Glaube ist da, die Religion ist fort, nun müssen sie an alles glauben, was ihnen in den Weg gerät.«

»Ich wollte lieber, Onkel Giuseppe, du hättest Unrecht,« sagte Fortunat bedrückt.

»Warum?«

»Ich fürchte, daß mir Clarisse selber gefiele.«

»Würdest du sie heiraten wollen?«

»Warum nicht?«

»Unmöglich,« sagte Cagliostro kalt. »Eine Barrées. Es ist zwar alter reicher Adel und bei Hofe von höchster Geltung, aber wie wir heute dastehen, kann sich doch der Name Cagliostro nicht an eine Barrées ketten. Ja, wenn es eine Rohan, eine Condé, oder eine Savoyen-Carignan wäre! Laß sehen, es klopft.«

Cagliostro erhielt recht unerwarteten Besuch. Es war die Wache, die ihn in die Bastille führen sollte. Der Offizier zeigte ihm achselzuckend den lettre de cachet. Nun wäre es ihm sehr erwünscht gewesen, wenn sein Neffe die Barrées mit ihrem Einfluß bekommen hätte können. Denn sein Weg ging jählings bergab. Die Halsbandgeschichte war ruchbar geworden, und man suchte die Diamanten. Freilich, Cagliostro hatte dafür gesorgt, daß mehrere seiner Adepten Eide schworen, sie seien in einer Säurelösung verdorben, und Fortunat, der frei geblieben war und die Gerichtsbeamten beim Versiegeln der Gemächer seines Oheims führen mußte, brach im Laboratorium des Schwindlers beim Anblick einer fluoreszierenden Essenz in ein krokodilfalsches Gewimmer aus. »O, meine Herren,« schrie er, »welche Werte zerstören Sie hier! Diese Essenz ist Diamantlösung und soll kristallisieren; mein Oheim verbrachte sieben Stunden in jeder Nacht damit, um sie magnetisch zu beeinflussen, und nun kommen Sie, verhindern sein Werk und stören den Kristallisationsakt! Die Tinktur wird in zwei Tagen wertlos sein und die darin gelösten Brillanten werden verrauchen, ich schwöre es Ihnen beim Tempel der Rosenkreuzer!«

Die erschrockenen Beamten nahmen ein Protokoll mit ihm auf. Gerade jene Brillanten waren es ja, die man suchte! Bis nun aber das Stück den umständlichen Instanzenweg zum Könige durchgemacht hatte und Cagliostro freigelassen wurde, um den großen Sammeldiamanten aus der Lösung herauszukristallisieren, war es zu spät geworden!

Die Tinktur erwies sich wirklich als wertlos; sogar die Akademie mußte es zugestehen. Herr Buffon, Herr Lavoisier selber zuckten die Achseln bei der Analyse; alles war verloren.

Warum Cagliostro so jählings verhaftet worden war?

Der junge Mignard hatte seinen Vater gebeten, für ihn um die Hand der kleinen Barrées anzuhalten. Da brachte Mignard alle Kräfte dieser Erde, als da waren zwei Hofdamen, einen Erzbischof und einen jüdischen Generalpächter, gegen Cagliostro in die Schlacht. Seinem Sohne drohte er mit Enterbung.

Und die junge Clarisse war bei ihrem Vater gewesen: »Der junge Mignard liebt mich.«

»Und du, du liebst ihn?« fuhr der Graf empor.

»Seine Demut rührt mich tief, lieber Vater, er ist sehr schmerzlich für seinen Mangel an galanter Rücksicht bestraft worden, und er fürchtet, daß eine Barrées niemals an einen Bürgerlichen weggegeben werden könnte.«

»Nein,« lachte der Graf nervös, »niemals!«

»Niemals?« horchte sein verzogenes Töchterchen empor. Durch ihr Herz fuhr ein Stich von Schreck und Trotz. »Und wenn ich ihn liebte!«

»Wenn du ihn liebst, mein Kind, dann werden wir in der Wahl deines Gatten rücksichtsvoll sein,« sagte der alte Herr zartfühlend.

»Ah, wieso? Und wer sollte mir, mir einen anderen Gatten diktieren. Sie am Ende? Und welchen Gatten?«

»Vielleicht den Marquis von Chateauvert; hm? Er ist neunundsechzig Jahre alt, reich, mächtig und dabei freidenkend, zart und rücksichtsvoll

»Ach so,« sagte das junge Mädchen, und wurde tief dunkelrot. Dann faßte sie sich. »Das ist alte Mode, teuerster Herr Papa,« sagte sie. »Das galt zu einer Zeit, wo man die herrlichen Gefühle der Natürlichkeit und der Herren Rousseau und Diderot noch nicht kannte. Ja, Herr Papa,« rief sie mit edelglühenden Wangen aus, »die Welt ist anderen Sinnes geworden und ich sage Ihnen, sie verachtet jene Galanterien einer gänzlich abgetanen Zeit. Man heiratet wieder, Herr Papa!«

»Aber Kind, die Logik! Handelt es sich um Liebe oder Matrimonium? Die Logik!«

»Man kennt auch keine Logik mehr,« sagte Clarisse kühn. »Sie ist eine Spielerei alter Leute. Man folgt den Instinkten der redlichen Natur, Herr Papa – – –«

»Clarisse,« sagte der alte Edelmann. »In meinen Fingern zuckt es. Preise dein Glück, daß dein alter Vater den Instinkten der redlichen Natur diesmal nicht folgt, sondern begib dich auf dein Zimmer, das du in drei Tagen nicht verlassen wirst.«

So hatte denn eine verbotene Liebe bei all den günstigen Vorbedingungen noch drei Tage Gelegenheit zu tiefer Wühlerei im Herzen eines eigensinnigen Mädchens.

In seinem Ärger schloß sich der Graf den Bemühungen Mignards an, und es gelang beiden, den Widerstand des Herzogs von Orleans und anderer einflußreicher Gönner zu brechen. Diese Herren, die bisher die Verhaftung Cagliostros in Sachen der Halsbandgeschichte hintertrieben hatten, ließen nun dem Groll des Königs freien Lauf, und der fortschrittliche und sehr freigeistige Graf Barrées wünschte jetzt die Zeit der Hexenprozesse zurück, um Cagliostro verbrennen lassen zu können. Denn nun glaubte auch er an den verfluchten Trank.

Wie stark dieser Trank gewesen sein mußte, leuchtete ihm nach den drei Tagen, in denen er seine Tochter nicht gesehen hatte, ein. Das Mädchen war fort und dem Vater blieb von ihr nichts als ein Billettchen in der Hand: sie habe sich ihren Mann selber gesucht.

Die Komtesse war durchgegangen, der junge Mignard desertiert. Nun wohnten sie zusammen in einer kleinen Dachkammer am Rande von Batignolles. Graf Barrées und Mignard mußten mit zusammengebissenen Zähnen schweigen, weil der eine die Ehre seines Standes und der andere die seines Chemikerberufes zu wahren hatte.

Cagliostro aber schrieb aus dem Gefängnis einen Brief an den Grafen, in dem er drohte, die Wirkung seines Trankes an den Tag zu bringen, wenn er nicht seine Freiheit und jene Diamanten wieder erhielte, die er an Barrées um des Liebestrankes willen verpfändet hatte. Diese Diamanten! Barrées hatte sie schon triumphierend zur Lösung der ganzen Halsbandgeschichte ausliefern wollen. Nun mußte er allen seinen Bekannten erzählen, daß Mignard sie bei der chemischen Analyse als wertlose Komposition erklärt hätte, und Mignard, der froh war, dem Rufe Cagliostros wenigstens hier schaden zu können, schimpfte mit ihm auf den Schwindel.

Cagliostro erhielt also vom Grafen seine schwer ergaunerten Brillanten zurück und das Versprechen der Freiheit, wenn er die beiden Verrückten, die weiß Gott wohin durchgegangen wären, ausfindig machte und durch ein Gegengift von ihrer entsetzlichen, taktlosen und gänzlich unmodernen Leidenschaft kurierte.

Ohne die brennende Eifersucht des jungen Fortunat wären die Verliebten nicht zu finden gewesen. Der aber erspähte ihr enges Nest in zwei Tagen und überbrachte ihnen einen Brief Cagliostros, gerade in dem Augenblick, als sie vier Artischocken, die ihr ganzes Mittagsmahl ausmachten, verspeist hatten und den letzten Fond unter sich aufteilten, wobei jedes wollte, daß das andere den ganzen Leckerbissen bekäme. Sie waren bettelarm, alle beide, und hatten fast gar nichts mehr zu leben.

Fortunat überbrachte den beiden jungen Leuten das Gegengift Cagliostros, das in folgendem Briefe bestand:

»Madame! Der Liebestrank, den Sie und Herr Leutnant zur See Olivier Mignard mitsammen geleert haben, bestand aus altem Kognak, der sehr zu brennen vermag, etwas Rosenöl, das poetische Gefühle erweckt, und einer ganz nichtigen Spur von Kantharidenspiritus, aber nur genau so viel, um die Herren von der Akademie bei der Analyse ein wenig bedenklich zu machen. Ich hoffe nicht, daß er bei Madame gewirkt haben könnte. Die übrigen Ingredienzien sind etwas Saft von der verbotenen Frucht, geheimer Aberglaube, und schließlich die alte Lust Adams und Evas an der ganzen Sache überhaupt, der jede Gelegenheit recht ist, um lieben zu dürfen. Ich weiß, daß nach dieser Ernüchterung Ihre sehr verehrten Herren Eltern mit ihrer Vernunft wieder zu Rechte gelangen werden und Sie ob des kleinen und gar nicht unangenehmen Spaßes nicht zürnen werden Ihrem in Entzücken über Ihre Schönheit, Jugend und Unerfahrenheit versunkenen Grafen Cagliostro.«

Da wurde die kleine, gänzlich illegitime Gattin des jungen Mignard abermals dunkelrot vor Scham und Zorn. Sie stand auf, machte dem jungen Fortunat einen Knicks, kurz und ungeduldig wie eine aufschnellende Fauteuilfeder: »Wohlan,« rief sie mit dem ganzen Stolz ihres alten Geschlechtes und ihrer jungen Großtat: »Verkündigen Sie den Grafen Cagliostro und Barrées, daß ich mich glücklich schätze und ihnen dankbar bin, erfahren zu haben, daß diese Liebe, um deretwillen wir hier darben, uns nicht aus den Händen eines Charlatans, sondern aus den Händen der göttlichen Natur gegeben wurde. Sagen Sie diesen Herren und Herrn Doktor Mignard, daß wir uns fortab nicht mehr als vergängliche chemische Verbindung, sondern als das Urelement alles Entstehens fühlen und daß wir nun erst recht beisammen zu bleiben gesonnen sind. Nicht wahr, Olivier?«

»Ja,« sagte Mignard erfreut und kleinlaut zugleich. Er war sehr hungrig.

»Oh,« rief Fortunat, der den Unterton bemerkte, »und wovon wollen Sie leben?«

»Glauben Sie nicht,« lächelte Clarisse, »daß jene Sängerin, die mit dem kleinen Grillenliedchen eine ganze Versammlung wirbeln machte, wenig Sorge um ihren Unterhalt haben dürfte? Glauben Sie nicht, daß der Name Barrées meiner Stimme in den Theatern von London oder Wien nur noch mehr Wohlklang geben dürfte? Und glauben Sie, Maestro Primavesi hätte die große Gelegenheit, Furore für seine Schule zu erregen, nicht längst schon benützt und mir kein Engagement verschafft? Ah, wir haben unsere Zukunft in der Tasche! Nicht wahr, Olivier?«

»Ja,« sagte Mignard gerührt und betreten. Denn dem ritterlichen Jungen war es entsetzlich, seine Zukunft der Arbeit seiner Frau verdanken zu sollen.

Da stürzte Fortunat voll Verzweiflung zu seinem Onkel, zu dessen Kerker ihm die Bemühungen Barrées' und Mignards Zutritt verschafft hatten. »Onkel Balsamo,« sagte er, »ich gehe hin, um mich aufzuhängen. Diese Menschen sind unerträglich! Wir verhöhnen sie, wir betrügen sie, wir geben ihnen Kognak und Kantharidensaft statt des heiligen Atems Gottes zu trinken, und aus all diesem Betrug und Schwindel erwächst eine Liebe, so mutig, so opfervoll und so leidend, so süß und göttlich schön, als sei ein Rosenstrauch aus dem Dreck des Teufels erblüht!«

Da schrieb Cagliostro einen zweiten Brief an den Grafen von Barrées:

»Teurer Graf! Daß Ihre Tochter nicht Sängerin werden und den Skandal nicht auch noch mit Trillern vor der Welt verkünden darf, darüber sind wir beide einig. Ein solcher Beruf wäre zwar das allersicherste Mittel, sie recht bald aus dem Besitze Herrn Mignards in einen anderen gelangen zu lassen, aber nicht leicht in den Besitz einer Grafenkrone. Versorgen Sie das junge Paar mit derart reichen Zuschüssen, daß es sich gedemütigt fühlt, keine Sorgen mehr hat und in seiner Verstecktheit Langeweile bekommt. Richten Sie Ihre Briefe mit dem Innentitel nur mehr an die Maitresse des Herrn Mignard und geben Sie Ihre Einwilligung zu ihrem Treiben unter der Bedingung, daß es geheim und versteckt bleibe, was bei dem augenblicklich so starken politischen Lärm leicht geschehen kann. Sie glauben nicht, Herr Graf, wie demütig Langeweile einen Menschen machen kann, Langeweile von der Art, wie ich sie hier in der Bastille kennen lerne. Es ist eine Qual, von der zu befreien Clarisse Sie bald ebenso bitten wird, wie Sie um diese Vergünstigung gebeten sind, von Ihrem ergebensten Diener

Cagliostro.«


Vierzehn Tage nachher war Graf Cagliostro mit seinem Neffen auf der Flucht nach Italien, und in den Salons ging die Nachricht von der Verlobung des Marquis von Chateauvert und der kleinen Clarisse de Barrées umher und war so selbstverständlich und langweilig, daß man nur mehr auf den nächsten Liebhaber der jungen Frau riet.

Mignard trat wieder in die Marine ein und besuchte Madame de Chateauvert nur mehr in den Pausen zwischen zwei seiner Seereisen, wodurch ein Verhältnis entstand, ein Verhältnis, welches auch nach der Revolution durchaus nicht altmodisch gescholten wurde und welches sowohl in jener flüchtigen und leichtfertigen Zeit, als auch in den etwas kräftigeren Tagen, die ihr folgten, als das rührendste, schönste und dauerhafteste in dem ganzen riesenhaften Dreieck zwischen Calais, Toulon und Bordeaux galt. In dem Dreieck, dessen Schwerpunkt den Namen Paris trägt. –


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