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Der frivole Vaudreuil.

»Nun, Prospère? Verbündeter! Wie geht's? Was hat dein Herr mit unserem Theaterstück ausgerichtet?«

»Herr von Beaumarchais, wir sind sehr betrübt, Ihnen nicht besser gedient haben zu können,« bedauerte der Kammerdiener. »Ich für meinen Teil habe alles angestrengt, die ›Hochzeit des Figaro‹ zur Aufführung zu bringen, die meinem Stande so viel Gerechtigkeit widerfahren läßt. Seit mein Herr dieses schöne Stück gelesen hat, behandelt er mich sozusagen mit Achtung.«

»Ah,« lachte Beaumarchais; »er bildet sich ein, auch du müßtest ein Mensch sein? Ein Mensch mit eigenen Gedanken und selbstbedachten Überzeugungen? Was für ein Schwärmer dein Graf; – was für ein Poet!«

Den letzten seiner elliptischen Sätze sprach Herr Caron de Beaumarchais in den Spiegel, durch den er des glänzenden Grafen von Vaudreuil Exzellenz eintreten sah. Er sah auch noch das Lächeln des geschmeichelten Herrn über solches Lob. Dann begrüßte er seinen Gönner.

Der Graf von Vaudreuil war noch von der Audienz im Trianon her in großer Gala und leuchtete von Tressen, Seide und Edelsteinknöpfen heller als ein Bischof im Prunkornat, nur daß diese flimmernden Sachen hübsch, knapp und zierlich an ihm saßen. Er war ein Herr voll feinster Eleganz, der nicht erst als Fünfziger in die Meisterjahre des guten Tons eingetreten war, der bei der Königin alles galt und beim König so viel als Marie Antoinette vermochte: also fast alles.

»Ach Caron,« rief er müde. »Was soll man mit diesem König machen? Wenn man ihm einen alleruntertänigsten Vortrag hält, so muß alles gut und schön sein wie Gottes Schöpfung am siebenten Tage, da Er sich selber Ruhe genehmigte. Was soll man mit diesem Herrn anfangen, der einem den Rücken dreht, wenn man ihn etwa versichert: Sire, der Adel Frankreichs ist so, wie ›Figaros Hochzeit‹ ihn schildert. Sie haben einen lächerlich unnützen Adel, Sire. – Eine öffentliche Aufführung von ›Figaros Hochzeit‹ würde nur die elektrische Entladung sein, die, nach Herrn Franklins neuester Theorie, die Lüfte im Kampfe ausgleicht, beruhigt und reinigt.

Und der König dreht mir den Rücken und die Audienz ist aus! Er dreht mir den Rücken, sage ich Ihnen, so: – – und die Audienz ist aus … Ist aus! Was doch soll man mit einem Herrn machen, der nur angenehme Beruhigungen hören mag?«

»Ei so,« seufzte Beaumarchais. »Er ist von jener Königsrasse, die nur angenehme oberste Untergebene dulden mag. Noch Ludwig XIII. hielt große Stücke auf unangenehme Kanzler. – Richelieu! Und Frankreich war groß und blieb es so lange, als sein Nachfolger sich von ähnlichen, eigensinnigen Willenskräften beraten ließ. Als der Sonnenkönig damit aufhörte, erging es Frankreich gar nicht mehr gut.

Die Herrscher mit den angenehmen Untergebenen zerstören ihre eigenen Reiche. Unsere ruheliebende Majestät ist solch ein Mann. Sie geruht, auf alle unbehaglichen Zumutungen so lange Nein zu sagen, bis sie Ja sagen muß. Dadurch beraubt sie sich nur des Verdienstes, selber zur rechten Zeit Ja gesagt zu haben. Diese Majestät wird auch zur Aufführung der ›Hochzeit des Figaro‹ in Paris ihre Einwilligung erst dann geben, wenn alle Welt das Stück schon heimlich kennt und wird damit nur meinen Erfolg steigern.«

Der Herr Graf von Vaudreuil bejahte eifrig und fuhr dann in seinem Berichte fort: »Übrigens, mein lieber Caron, war ich, gleich nach meiner kurzen Audienz, – bei Ihrer Majestät, der eigentlich regierenden Königin. Sie hat unsere Sache mit ihren schönen Händen, die sich in alle Dinge mischen, gleich ins Rollen gebracht: ›Aber führen Sie doch die hübsche Satire als Liebhabervorstellung auf Ihrem eigenen Schloßtheater in Morfontaine auf,‹ lachte sie mich an. ›Die Erlaubnis dazu gebe ich Ihnen, und, laden Sie tout Paris ein!‹ –

Nun, Caron, was sagen Sie?«

»Ah,« rief Beaumarchais und schnellte fröhlich empor. »Das ist eine entzückende Dame! Haben Sie denn, teuerster Graf, schon Vorbereitungen zu unserer Aufführung getroffen?«

»Ei freilich,« lächelte der Herr von Vaudreuil. »Für die Rolle des Figaro habe ich den größten Philosophen und Charakter Frankreichs, den neuen Schauspieler Crambon gewonnen. Ein Puritaner! Sittenrein und natürlich bis zum Exzeß! Sie werden gleich seine Bekanntschaft machen. Die Regie führen Sie selbst, teurer Dichter. Die Leseproben und die Finessen des Dialogs leitet, wenn es Ihnen lieb ist, unser gemeinsamer Freund, der Dichter Lebrun.«

»Sehr gut,« bemerkte Beaumarchais. »Lebrun ist ein Medisant von erprobtester Bissigkeit. Er wird die Unverschämtheiten im Dialog auf das feinste herausarbeiten.«

»Der Chevalier von Coigny gibt den Jesuiten.«

»Ha, ha! Der Coigny, der berüchtigte Freigeist und Spötter steckt sich in die Soutane! Mein lieber Graf, der Einfall ist besser, als mein ganzes Stück!«

»Die Gräfin,« fuhr Vaudreuil überglücklich fort, »wird von der elsässischen Demoiselle Klincker sehr rührend und unschuldig gegeben werden. Demoiselle ist auch in den Stunden, wo sie mir ihre Liebe schenkt, rührend und unschuldig. Diese deutschen Mädchen sind wie das Blümchen Vergißmeinnicht. Sie schauen stets fromm in den Himmel, selbst während man sie pflückt. Demoiselle Klincker wird die Unschuld und das Gefühl in Person sein.«

»Wer gibt denn den Pagen?« erkundigte sich Beaumarchais.

»Die kleine Cidronne, aus meiner Komödiantengesellschaft.«

»Und die Suzanne?«

»Hm,« sagte Vaudreuil mit einer winzig kleinen, aber sehr liebenswürdigen Verlegenheit: »Das ist eine sonderbare Sache. Denken Sie sich, die Zofe meiner Frau, die reizende Lenore Oiseau, liegt mir beständig an, ich solle sie einmal spielen lassen. Sie hat Ihr Stück gelesen und mir die hübschesten Sachen aus der Rolle der Suzanne, die sie auswendig kennt, entzückend rezitiert …«

»Ah, da werde ich sie prüfen,« freute sich Beaumarchais.

»Wenn ich bitten dürfte, so lassen Sie mich dabei sein,« warf der Herr von Vaudreuil rasch ein. Dann flüsterte er: »Im Vertrauen, mein Freund: Die kleine Lenore hat mir für diese Vergünstigung, die Rolle kreieren zu dürfen, eine reizende Zusage gemacht …«

»Sie sind indiskret, lieber Graf,« schmunzelte Beaumarchais. »Immerhin wird sie ihre Talentprobe abzulegen haben und ich werde sie strenge prüfen, denn an der Rolle liegt viel. »Ah!« schaute er überrascht empor und starrte in die vom Kammerdiener geöffnete Tür. »Da kommt ein Amerikaner?« Er erhob sich, über die Maßen höflich: »Herr Benjamin Franklin selbst, wenn ich nicht irre?!«

Vaudreuil lachte herzlich über diesen Irrtum, und der neue Ankömmling, der, in sackgrobes Tuch gekleidet, mit Stiefeln, rundem Hut und Knotenstock in seltsamen Kontrast zu den beiden leuchtenden Messieurs trat, begann sogleich mit kurzen Worten: »Nein. Benjamin Franklin hat nur die dumme Manier, sich so freiheitlich zu kleiden wie ich. Mein Name ist Crambon, bester Dichter.«

»Ah.« Beaumarchais verneigte sich belustigt. »Sie sind es, der meinen Figaro geben soll?«

»Mhm,« bestätigte Crambon, indem er mit den zusammengebissenen Kinnbacken gegen die Brust knackte.

»Dann geben Sie ihn doch, bitte, nicht so ehrlich und rauh, wie Sie auftreten, sondern als gewandte Schlange; nicht?«

»Ich werde ein feines Luder aus ihm machen, so ungern ich Seidenstrümpfe trage,« sagte Crambon. »Aber Ihre Philosophie ist so tüchtig, daß ich die meine für einen Abend gern beiseite stelle.«

»Ach bitte, das tun Sie möglichst vollständig!«

»Wir werden, wir werden,« murrte Crambon.

»Nehmen Sie das nicht so leicht,« warnte Beaumarchais. »Es gehört viel Genie zu einem gewandten Darsteller des Figaro!«

»Da müssen erst viele Halbwüchsigkeiten Genies genannt werden, bis endlich ein wirkliches Genie – – übersehen wird,« brummte Crambon prachtvoll.

»Aber Sie sollen nicht übersehen werden,« klagte Beaumarchais. Ihm war sehr bange um den Erfolg dieses Figaro.

»Ich werde mich benehmen wie ein Schuft,« versprach Crambon. »Ich werde elegant und geschmeidig sein. Ich werde brillant und liebenswürdig sein; ich werde eine weiche Stimme haben und spielen, wie die süßeste Geige des Meisters Amati. Geben Sie nur acht, ich werde mich so reizend benehmen, als ob ich ein Schuft wäre.« Er schloß unerwartet, indem er schrie: »Jetzt aber muß ich endlich zu essen kriegen!«

Herr von Vaudreuil rannte nur so nach seinem Kammerdiener, um den Hunger des Bürgers Crambon nicht bis zu noch gefährlicheren Grobheiten wachsen zu lassen. Nach drei Minuten schon klappte Prospère an der Tür die feinen Beine zusammen und meldete:

» M'sieur Crambon est servi.«

Herr Crambon stürzte gierig ab.

»Da geht er hin, das aufrichtige Kind der Natur,« sagte Vaudreuil in andachtsvoller Ehrfurcht. »Er wird Filetstücke von der Größe einer neugeborenen Katze in sich hineinschwingen, aber er wird Wasser dazu trinken, in seiner rauhen Tugend. Es ist unglaublich, lieber Caron, aber er hat sich jedes Bett verbeten – und schläft auf einer Matratze in der entlegensten Dachkammer. Er trinkt keinen Wein, er ist keusch, er ist aufrichtig – – – es ist unglaublich!«

»Und der soll meinen Figaro geben,« jammerte Beaumarchais. »Ach, Herr Graf, wo haben Sie Ihren sublimen Instinkt, Ihre Delikatesse, Ihre klugen Augen gehabt!«

»Der Schein spricht gegen ihn, das gebe ich zu,« gestand Herr von Vaudreuil etwas bedrückt. »Und dennoch leistet er auf der Bühne geradezu das Gegenteil dieses seines wahren Wesens! Es ist kaum möglich, aber Sie selbst werden es erfahren.«

Beaumarchais blieb ungläubig.


Immerhin: die Theaterprobe verlief entzückend.

Herr Crambon hatte seine rauhe Tugend abgelegt, wie ein galanter Konnetable von Frankreich am Abende nach der Schlacht das ruppige Kettenhemd. Er war nicht übel und verhieß nichts zu verderben. Die zahlreichen Sentenzen, Malicen und Frechheiten, die er abzufeuern hatte, sprach er etwas allzu ehrlich, aber das schadete nicht viel. Es war eine angenehme Enttäuschung.

Wer von den erlauchten Gästen des Schlosses scherte sich übrigens um Figaro, da eine solche Gräfin spielte! Demoiselle Klincker war ganz weiche, leise gekränkte Unschuld. Ihr Elsässer Französisch erhöhte noch den Eindruck naiver Betrogenheit. Demoiselle Klincker war zartfärbig, wie eine Seele nach der Beichte; ihr kornblondes Haar leuchtete selbst unter dem Puder der majestätischen Frisur durch und ihre süßen, blauen Augen öffneten und schlossen sich langfransig wie die Portieren eines Brautbettes. Der leise Zug von Lethargie, mit dem sie ihre resignierte Rolle sprach, versetzte alle Intimen des Parketts in die süßeste Schwermut, diesem armen Geschöpf nicht schon zwischen dem zweiten und dritten Akt mit etwas Liebe beispringen zu dürfen. Wenn nicht der kleine Teufel, die Suzanne, ein unglaublich leises Vibrieren behender Sinnlichkeit fortwährend in das Stück hineingesprüht hätte, so hätte sich der Erfolg des Herrn von Beaumarchais, ganz gegen dessen Willen, nach der sentimentalen Seite hin verschoben.

Herr von Vaudreuil war außer sich vor Wonne. Alle Freunde, die zur Generalprobe geladen waren, hatten sich in Demoiselle Klincker verliebt. Alle machten ihr den Hof, als das Stück zu Ende war, und wenn nicht der geistreiche Schloßkaplan, Abbé Lucien, der sich um die schöne Klincker wenig kümmerte, dem Dichter die schönsten Komplimente gemacht hätte, so hätte Beaumarchais eine Zeitlang so vergessen im Winkel gestanden, wie ein Kamin im Sommer.

Die bildschöne Klincker nahm alle Komplimente und all die fiebernde Verliebtheit der glänzenden jungen Herren stangensteif entgegen, gleich einem präraffaelitischen Madonnenbilde. Sie, die mit Recht im Verdachte stand, um ein volles Jahrhundert zu religiös zu sein, dankte bloß ruhig dem Himmel für diesen neuen Sieg, und nur als ihr Gebieter, der Herr von Vaudreuil, ihre schönen Hände küßte, erinnerte sie sich: Ach ja, da muß ich einen Händedruck von mir geben.

Sie war von einer entzückenden Zurückhaltung. Sie war in ihrer Art so unerhört an Tugend, wie Herr Crambon, der jetzt wieder ganz Benjamin Franklin in rauherer Auflage war; alles staunte, woher dieser gesträubte Pinienzapfen seine Glätte auf der Bühne genommen hätte.

Demoiselle Klincker bekam mehrere liebenswürdige Einladungen für diese oder eine der nächsten Nächte, aber sie lehnte alle ab, und verwundert und neidisch beglückwünschten die Herren den alternden Vaudreuil zu solcher Tugend seiner Geliebten.

Herrn von Vaudreuil tanzten alle Nerven vor innerlichem Jubel ob solchem Triumph.

Es stach ihn aber doch ein sehr feines Dörnlein, als Demoiselle Klincker sich für heute von ihm frei bat, weil sie von der Generalprobe sehr abgespannt sei und eine Nacht lang fest ausschlafen wollte.

Ach Gott, sie schlief ja auch bei ihm fest genug, dachte er seufzend, als die unerschütterliche Tugend fortwandelte.

Es ließ ihm, als er dann auf seinem Zimmer allein war, keine Ruhe und er rächte sich an ihr als echter, französischer Kavalier. Stundenlang spazierte er, schon im Schlafrock, aber noch in Seidenstrümpfen, in der einsamen Nacht des Schlafgemaches auf und ab, bis seine witzige Seele endlich, endlich Erlösung in folgendem Epigramm gefunden hatte:

Ihr sagt's und es ist wahr / daß Phyllis engelrein!
Ich selbst drang manche Nacht / mit Liebe in sie ein; –
Wo andre rasen, liegt / sie so voll Apathie
Daß ich ihr sagen muß: / »Madam', ich meine Sie

Vaudreuil war sehr glücklich über diese Alexandriner, die ihm gelungen schienen. Nach seiner Gewohnheit lief er sogleich zu einem seiner feinsten Ehrengäste, dem Dichter Lebrun, der Bosheiten am besten zu würdigen verstand, pochte an dessen Tür und weckte ihn. Lebrun, der wußte, daß jede also gestörte Nacht am nächsten Morgen mit der holden Sendung einiger Louisdors begütigt wurde, öffnete ihm in bester Laune und bezeigte sich entzückt von dem Witz und der hübschen Formgebung seines Schülers. Er sagte ihm, daß in zwei Tagen ganz Paris sich hinter dem oeil de boeuf, auf den Boulevards und in den Garküchen das reizende Bonmot in die Ohren flüstern würde und beging, da die Gelegenheit gut war, schnell eine kleine Gemeinheit:

»Wir müssen diese reizend frivolen Verse augenblicklich dem Abbé Lucien vorlesen. Der ist in solchen Dingen ein Feinschmecker, und wie ich weiß, schläft er durchaus noch nicht.«

Abbé Lucien hatte in seiner Sorglosigkeit vergessen, die Türe seines Zimmers zu verriegeln, und als der gute Vaudreuil hinter dem eiligen Lebrun eintrat, indem er sein ungalantes Blättchen voll freudiger Lesebereitschaft in Händen hielt, da mußte er Demoiselle Klincker bei dem freisinnigen Abbé eingenistet entdecken.

Es war ein großer Schmerz; Vaudreuil ließ sein Stammbuchblatt fallen, Lucien schnellte trotz mangelhafter Bekleidung überrascht in die Höhe, Demoiselle Klincker zog in schweigsam-träger Scham die Decke so hoch über den Kopf, daß unten die hübschen Füßlein herausguckten – – und Lebrun lächelte.

Aber Vaudreuil blieb Edelmann.

»Bester Pater,« begann er zum Räuber seiner Freuden, »ich bedauere Demoiselle Klincker und mich, daß sie sich keinen anderen Herrn für diese kleinen Vergnügungen zu wählen wußte. Ich bedauere Demoiselle Klincker, weil sie durch den Wechsel ihres Liebhabers Einkünfte verliert, die ihr der neue Besitzer ihrer Schönheit nicht so reichlich wird zuwenden können. – – (Demoiselle Klincker unter der Decke weinte.) – – Und mich bedauere ich, weil es mir nicht vergönnt ist, einen ritterlichen Gegner für die mir zugefügte Beleidigung zur Rechenschaft ziehen zu können.«

»Oh!« rief Lucien mit Lebhaftigkeit: »Was den zweiten Punkt betrifft, so ist das leicht zu korrigieren. Sie werden die Güte haben, Herr Graf, mir eine hübsche, gepuderte Zopfperücke, einen Tressenrock und einen Degen zu leihen, an welchen Dingen ich Mangel leide. Was die übrigen Bestandteile zu einem ritterlichen Gegner betrifft, so habe ich sie zufällig bei mir.«

»Ah!« rief Vaudreuil schon halb erheitert. »Auf Wiedersehen also morgen um sieben Uhr früh im Garten bei der Ariadne, mein Pater.«

»Auf Wiedersehen!« Der Abbé verbeugte sich höflich, und Vaudreuil bemerkte noch: »Herr Lebrun wird die Güte haben, Ihnen die gewünschten Requisiten zu überbringen und uns als Zeuge zu dienen.«

Eine tiefe Verbeugung der drei Herren und die Türe schloß sich geräuschlos.

Abbé Lucien hob den Zettel des Grafen auf und las ihn der schluchzenden Demoiselle Klincker lächelnd und mit anmutiger Betonung des alexandrinischen Metrums vor:

Ihr sagt's, und es ist wahr, / daß Phyllis engelrein …


Das interessante Duell im Garten bei der Ariadne nahm einen reizenden Verlauf. Abbé Lucien focht wie eine Wespe und entwaffnete nach dem dritten Gange seinen gräflichen Gegner. Ehrerbietig nahm er selbst den davonklirrenden Degen vom Boden auf und überreichte ihn mit tiefer Verneigung der Exzellenz des Herrn Grafen von Vaudreuil, der ihm belustigt und versöhnt die Hand hinstreckte.

Chevalier de Coigny und Herr Lebrun, Herr von Beaumarchais und ein Marquis Grouchy, die Zeugen, und Maitre Braçon, der Arzt, applaudierten.

»Und nun gestatten Sie mir, teuerster Herr Graf,« begann der Abbé, indem er einen Zettel aus der Tasche zog, »Ihnen das gestern bei mir verlorene Epigramm zu überreichen, im Verein mit meinen größten Komplimenten über den Charme, über die zarte Zweideutigkeit und die glückliche Form, in welcher Herr Graf eine Beobachtung eingeschlossen haben, von der es Sie freuen wird zu hören, daß ich selbst sie ihrem vollen Inhalte nach bekräftigt gefunden habe.«

Die Herren lächelten alle wie eine Reihe von Sonnenaufgängen.

»Ah!« rief Vaudreuil erfreut. »Da Sie sich nicht schmeicheln dürfen, Demoiselles Temperament in größere Schwingungen versetzt zu haben, als dies mir glückte, so würden Sie meiner Neugierde einen großen Gefallen tun, mir zu sagen, wie doch es gerade Ihnen gelingen konnte, die Gunst Demoiselles zu erobern, um die sich so viele glänzende Kavaliere vergebens bemühten?«

»Die Antwort steht schon,« lächelte Abbé Lucien, »unter Ihren reizenden Versen.«

Herr von Vaudreuil entfaltete den Zettel und las seinen Freunden vor:

Ihr sagt's und es ist wahr / daß Phyllis engelrein.
Nie füllte Leidenschaft / dies Herz mit Feuerpein;
Zwei Schlüssel öffnen nur / des Himmels kleines Tor
Genau so wie in Rom: / Beichtzettel und Louisd'or.

Die Herren applaudierten abermals entzückt und Vaudreuil umarmte seinen geistvollen Gegner. Das war ein köstliches Erlebnis, an dem sich der ganze Hof amüsieren würde.

»Sie müssen Mitleid mit mir haben, meine Herren,« fügte Abbé Lucien in betrübtem Tone hinzu, »wenn ich Ihnen verrate, daß Demoiselle Klincker mein einziges Beichtkind von zweihundertneunundzwanzig auf Schloß Vaudreuil und Dependancen anwesenden Personen ist. Sie ist sehr fromm. Eine große Merkwürdigkeit, das,« schloß er seufzend.

Die Herren lächelten alle wie eine Reihe von Sonnenaufgängen.


Die Erstaufführung der »Hochzeit des Figaro« hatte schon vor dem Aufziehen des Vorhanges ungeheuern Erfolg. Die Blüte des Adels von Frankreich füllte das Parterre des Schloßtheaters so reich, so bunt und erregt, wie ein riesiges Blumenbeet, in dem der Wind plaudert.

Die Logen leuchteten von den herrlichsten Schultern und dem anderen lebenden Elfenbein, das die Damen jener Zeit in so liebenswürdiger Fülle ausstellten. Die hohen Frisuren nickten nervös und lebhaft, die roten Mäulchen plapperten alle durcheinander, übereinander, und ein erregtes Kichern rieselte durch das ganze Theater. Man freute sich der reizenden Geschichte des glänzenden Vaudreuil mit der Klincker und dem kleinen Abbé, der heute wie eine kostbare Berloque umhergereicht wurde – überall vorgestellt, überall angelächelt, überall eingeladen.

Beaumarchais hatte eine Stimmung für sein Werk, wie sie nicht glücklicher sein konnte.

Und wie gespielt wurde! Herr Crambon schien durch die festliche Lichterfreudigkeit des Abends wie verhext. Beaumarchais traute seinen Ohren nicht, seinen Augen nicht, seiner Menschenkenntnis nicht. Dieser Figaro war wie ein Federball: elastisch, luftig, graziös gab und nahm er Stich und Intrige. Er war der vollendete Kammerdiener in jeder Bewegung und hatte mehr Temperament und Beweglichkeit, als alle Wasserkünste von Versailles.

Ach, und die zwei Frauenzimmer! Ach, die Gräfin und Suzanne!

Sie spielten um Herrschaft und Leben, die beiden kleinen Luder. Demoiselle Klincker wußte: heut errang sie sich die Liebe des Herrn von Vaudreuil und ihr hübsches Nadelgeld zurück, oder nie mehr wieder. Die tiefe Wehmut und die passive Rolle der betrogenen Frau lag ihrem trägen Temperamente, und sie war sentimental wie eine Herbstzeitlose im Abendtau.

Das kleine Zöfchen, die Lenore Oiseau aber, die wußte: Heidi, heut gibt's eine vakante Stelle zu erobern! Sie war schlank und graziös wie eine Menuettfigur; sie schlang und schmeichelte sich um ihre Gräfin wie ein Kätzlein. Sie sprühte vor entzückender Koketterie; sie duftete leise und bestrickend nach verhohlener Sinnlichkeit, und die galanten Herren nagten sich vor Appetit die Lippen wund, während sie spielte.

Über alles hin aber sprühte und flammte das Klingengezisch des witzigen Meisterfechters, des Herrn von Beaumarchais. Der gesamte Adel beglückwünschte mit hellrieselndem Gelächter den eleganten Angreifer seiner eigenen Gesellschaft, und ein Applaus ohnegleichen wurde dem unglaublichen Sieger von denen zuteil, die er hier hageldicht prickelnd mit Witz und Hohn überraschte.

Jeder meinte, es gälte dem anderen und alle amüsierten sich köstlich.

Der Anstifter dieser Aufführung, welche ganz eigentlich der geistvolle Prolog zur größten aller Revolutionen war, der ausgezeichnete Graf von Vaudreuil, saß leuchtend vor Glück und blaß vor Wehmut in seiner Loge.

Er hatte dem Genie einen unerhörten Sieg erkämpft.

Er hatte eine schöne Geliebte verloren.

Er würde diese kleine, entzückend geschmeidige Katze, diese Lenore Oiseau zur Geliebten nehmen, würde von ihr geherzt, gebissen und verliebt umringelt werden, wie ihn das Glück und die Hofgunst herzte, verliebt umringelte – – und biß. Und dennoch würde sie ihn betrügen, wie die schöne, fromme, träge Klincker ihn betrogen hatte.

Die kleine Lenore hatte ihm für morgen im Garten ein Rendezvous gegeben. Mit welcher Bedeutsamkeit füllte sich also für ihn ihre Rolle, in der sie ihrem Grafen, ihrem gehänselten Grafen auf der Bühne, das Billettchen annestelte, worin sie den Ort zu einem Stelldichein mit den Versen eines scheinbar harmlosen Gedichtleins verdeckte:

Sonne, die im Westen steht,
Läßt dich Süßes ahnen, – – –
Abends, wenn sie untergeht – – –
Hinter den Platanen.

Die Verse gingen ihm im Kopfe umher, er wußte nicht warum. Er wurde alt. Sollte er dennoch nach der kleinen, heißen Lenore greifen? Sollte er ein neues, ernsteres Leben beginnen? Die geistvolle Komödie seines Protegés machte ihn sehr nachdenklich …

Das Stück war zu Ende gespielt. Rollender Jubel, prasselnder Applaus, donnernder Zuruf stürmte auf Beaumarchais, auf die Schauspieler, auf den erlauchten Mäcen ein. Ja, Vaudreuil wurde aus seiner Loge geholt und mußte mit Caron de Beaumarchais auf die Bühne treten. In seiner Rechten hielt er die kühle Linke des witzigen Dichters, in seiner Linken zuckte die kleine, heiße Hand Lenorens.

»Beaumarchais wurde gefeiert wie die Sonne, Vaudreuil wie Phöbus, der sie am Himmel emporführt,« schrieb Lebrun einer Freundin.

Es war betäubend und sogar für den Weltmann Vaudreuil zuviel des Sieges. Der Jubelsturm solch erlauchter Gesellschaft, in der die meisten Mitglieder der königlichen Familie vertreten waren, mußte den Widerstand des Königs zerknicken, wie zügellose Rosse einen Hühnerzaun.

Jeder der Gäste fuhr mit dem stahlfesten Entschluß fort: das muß man in Paris hören! Beaumarchais hatte gewonnen Spiel.

In der Nacht aber ging der erlauchte Dilettant Vaudreuil abermals unruhig in seinem Schlafzimmer auf und ab. Er dachte an Crambon, der trotz seiner glänzenden Beweglichkeit vorzöge, ein harter, reiner Philosoph zu sein. Er dachte an Lenore, in die er sich verliebt hatte, und an ihre Verse:

Sonne, die im Westen steht,
Läßt dich Süßes ahnen – – –
Abends, wenn sie untergeht – – –
Hinter den Platanen.


Sonne, die im Westen steht!

Er betrachtete sein Antlitz im Spiegel. Noch blitzten die Augen, aber zahllose, feine Runzeln umspannen sie mit den Buchstaben des nahenden Alters. Der Puder deckte das Grau seiner Haare, graziöse Lebhaftigkeit deckte die leisen Seufzer seines Herzens. Bei Hofe, bei den Dichtern und Denkern Frankreichs galt er als einer der Besten …

Bei den Frauen nicht mehr.

Und wieder summte er vor sich hin: »Sonne, die im Westen steht …«

Auch der Dichtertriumph seines Freundes hatte ihn angesteckt. Gestern war ihm eine reizende Sache gelungen. Er mußte heute wieder dichten. Er war voll Gefühl; die beste Stunde war da.

Als einer von den richtigen Feinschmecker-Dilettanten, die äußere Form und Technik am höchsten schätzen, weil sie solche am besten verstehen und nachahmen können, versuchte er sich mit einem Ziseleurstückchen. Einer Glosse. Er wollte ein Thema variieren; das Thema: »Sonne, die im Westen steht.«

Alle vier Zeilen, jede in einer Strophe.

Nach manchem Seufzer, nach manchem Strich und einigen Änderungen hatte er das kleine Kunststückchen zu seiner großen Genugtuung fertig:

Sonne, die im Westen steht,
Hat das heit're Spiel verloren,
Wird nur jenseits neu geboren.
Welch bedeutsames Valet
Ruft sie dir, o Philalet!
Sonne, die im Westen steht!

Nie mehr läßt sie heit're Nacht,
Läßt dich Süßes ahnen,
Graue Sorgenschatten mahnen,
Daß dein Tagwerk bald vollbracht.
Ach, verlaß' der Liebe Fahnen!
Nur ein Leben neuer Bahnen
Läßt dich Süßes ahnen.

Abends, wenn sie untergeht,
Weiß sie dennoch sich ein Morgen.
Doch wie banne ich die Sorgen,
Weil kein Trost mich süß umweht
Wie die gold'ne Majestät
Abends, wenn sie untergeht?

Welkes Laub rauscht dort und hie
Hinter den Platanen;
Alles singt das Lied des Schwanen!
Hilf mir du, Philosophie,
Eine neue Welt zu planen,
Langsam wandelnd sie zu ahnen
Unter den Platanen!

Herr von Vaudreuil las sein wehmütiges Gedicht in tiefer Rührung. Er sagte es sich auswendig vor; er stand, seine Verse leise summend, am offenen Fenster. In der Tiefe rauschten die Wasserkünste des Schloßbrunnens und leise schmeichelte die Nachtluft um die Wangen des glänzenden Herrn, der zum ersten Male in seinem Leben tief und schwer nachdenklich war.

»Ei sieh,« lächelte er wehmütig, »da habe ich nun nicht eine Seele im ganzen Schlosse, die ich aufwecken könnte, um ihr dieses Gedicht vorzulesen. Herr Lebrun würde nur schadenfroh grinsen, Herr von Coigny mich verächtlich bedauern, Marquis Grouchy an ganz Paris berichten, ich würde alt, und Herr Caron de Beaumarchais würde mich in ein Moralstück bringen, so daß sich die Leute über den melancholischen Vikomte zu Tode lachen müßten.

Niemand – niemand!

Aber? Vielleicht! Dort, in der tugendreichen Dachstube des Crambon, da ist noch Licht. Ja! Der herbe Philosoph wird mich verstehen.

Und er wanderte durch hallenden Flur und Treppenhaus zum Philosophen der Entsagung, der rauhen Tugend und der Weltabkehr.

Er hatte mit seinen Versen stets Unglück, denn bei Herrn Crambon fand er die reizende Lenore Oiseau.

Still wie ein Bild stand Herr von Vaudreuil, obwohl sich das Zöfchen ihm zu Füßen warf: »Ach, gnädigster Herr Graf, nehmen Sie mir die kleine Pirouette nicht übel! Crambon war meine Jugendliebe. Ich war ein armes, unbeachtetes Küchenmädchen von vierzehn Jahren, als er der glänzende Kammerdiener des verstorbenen Herzogs Rohan war. Ich liebte ihn, ich traf ihn erst jetzt wieder als den Liebling Ihrer Bühne, und – ach: da haben wir kleine Rocheforter Jugenderinnerungen aufgefrischt.«

»Geh, mein Kind, du hast mir nicht wehe getan,« sagte der Graf, und das Kätzlein huschte ängstlich fort, den Reifrock unterm Arm, die Pantöffelchen in der Hand.

»Sie aber, Mensch – – Sie haben mir alles genommen,« sagte der Graf zu Crambon, der bei der Enthüllung seiner Vergangenheit alle Fassung völlig verloren hatte und ganz vergaß, daß er nicht mehr Kammerdiener war. Er stand und wagte mit keiner Muskel zu zucken.

»Sie haben mich glauben machen, es gäbe Tugend. Sie haben mich hoffen gemacht, es gäbe Mannesgröße. Sie haben mich eine Philosophie lieben gemacht, deren Leerheit Sie mir nun zeigen. Ich wäre gerne geworden, wie der, für den ich Sie hielt. Sie aber sind schlimmer als der Charlatan Cagliostro, der den sehnsüchtigen Seelen nur einen Wundertrank für tausendjähriges Leben aufband. Sie verhießen die Ewigkeit; – – und lehren mich nun den Satz: Nur die Gemeinheit ist ewig. Verlassen Sie mein Schloß!«

Und der erlauchte Graf von Vaudreuil ging auf sein Zimmer zurück und weinte – – weinte so stillos, wie es im delikaten Rokoko nicht einmal den Kindern erlaubt war!


Crambon schied.

Vor dem Tore straffte sich seine Gestalt und mit rauhem Tugendgruß wies er einen kleinen Marquis von sich hinweg, der ihm höflich wie ein Schüler hatte nahen wollen. Es war ein schöner Morgen. Crambon war wieder ganz Bürger, Philosoph und Cato.

»Das hat ihm dieser Vaudreuil nun übel genommen, statt sich daran zu belustigen,« rief Beaumarchais, der ihm nachsah, aus. »Dieser Vaudreuil! Dieser Typus eines regierenden Standes, der sich weder behaupten, noch entsagen kann. Dieses Paradestück des Adels, der sich selber nicht mehr in der Höhe halten zu können glaubt, in die er emporgeklettert ist und der seine eigene Strickleiter abschneidet, indem er stolz tut auf solche Größe.

Was verdient diese Welt, die applaudiert, wenn sie gelästert wird, Besseres, als gelästert zu werden?

Da seht mir doch die Juden an: Niemandem wurden so viel üble Dinge vorgeworfen, als ihnen, aber sie behaupteten sich und behalten recht, weil sie niemals müde wurden, zu behaupten, sie hätten recht.

Ich, was mich betrifft, wenn meine Dichterkraft je erlöschen sollte, ich werde Werke über meine Werke schreiben, in denen ich der Welt meine eigene Größe beweisen werde.

Das Leben will, daß seine Geschöpfe seine Gaben achten, und was sich nicht selbst behaupten kann, trägt den Tod in sich. Da hat dieser Vaudreuil eine Erscheinung voll Glanz, einen erlauchten Namen, Geld, Macht, Weiber – – und ist unglücklich, weil er kein hungriger Philosoph und Dichter werden kann. Er protegiert mich, der seinen Stand verhöhnt, und wird zum Spielball eines davongelaufenen Kammerdieners und einer Gans.

Es ist frivol von diesem Vaudreuil; wirklich frivol!«


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