Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Zweites Zehent
Honoré de Balzac

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Eine teure Liebesnacht

In dem Winter, als die ersten Religionsunruhen ausbrachen und die Reformierten oder Hugenotten allseitig zu den Waffen griffen und die sogenannte Rebellion von Amboise anzettelten, hatte ein Advokat namens Avenelles ihnen sein Haus in der Stadt Tours in der Rue des Marmouzets zu ihren Zusammenkünften und Konventikeln überlassen, da er heimlich zu ihnen gehörte, obwohl er nicht ahnte, daß der Fürst von Condé, die Regnaudie und andre bereits beschlossen hatten, sich des Königs mit Gewalt zu bemächtigen. Dieser Avenelles war ein häßlicher rotbärtiger Kerl, sein eingetrocknetes Gesicht war käsegrau, wie man es oft antrifft bei diesen Schikanenmachern, die im Düster der Gerichtshöfe vegetieren wie der Schimmel im Keller, kurz, er war der ausverschämteste Gesell von einem Advokaten, den man sich denken konnte. Alles war ihm feil, er war ein richtiger Judas Ischariot, und eine Hinrichtung machte ihn vergnügt wie eine Hochzeit. Nach einigen Autoren war er bei der genannten Angelegenheit, nämlich in der hugenottischen, als ein richtiger Schlaukopf, halb Fisch, halb Fleisch, halb hüben, halb drüben, und aus der folgenden Geschichte geht deutlich hervor, daß die genannten Autoren um den Mann gut Bescheid wußten.

Dieser Gescheitle von Rechtsverdreher hatte ein hübsches Pariser Bürgerkind zur Frau und war so eifersüchtig auf sie, daß er sie um eines Fältchens im Bettuch willen, das sie ihm nicht zu erklären vermochte, zu erwürgen imstande gewesen wäre, nicht bedenkend, daß es auch unschuldige Fältchen geben kann. Seine gute Frau aber glättete ihre Tücher mit solcher Sorgfalt, daß er auch nicht den Schatten von einem Knitterchen darin finden konnte. Sie kannte den bösartigen Charakter ihres Mannes und nahm sich zusammen. Sie stand immer bereit wie ein Leuchter und entfernte sich so wenig von ihrer Pflicht wie ein Schrank von der Wand, der sich nie von selber öffnet, sondern wartet, daß man ihn aufschließe. Dessenungeachtet hatte der Advokat sie unter die Aufsicht und Vormundschaft von einer alten Magd gestellt, einem Ausbund von Häßlichkeit, die den Avenelles mit ihrer Milch aufgepäppelt hatte und ihm anhing wie einem Landsknecht der Säbel.

Die einzige Abwechslung, die sich das arme Frauchen in dem tristen Einerlei der Haushaltung gönnte, war ihr täglicher Gang zur Messe in der Kirche Saint-Jehan am Grève-Platz, wo damals, wie jedermann weiß, die schöne Welt sich ihr Stelldichein gab. Indem sie nun hier ihre Paternoster murmelte, ließ sie fleißig ihre Augen spazierengehen und machte sich ein Vergnügen daraus, die hübschen Scharwenzel zu bewundern, die gebügelt und geschniegelt, gesalbt und parfümiert, wie bunte Schmetterlinge da umhergaukelten und worunter ihr besonders einer in die Augen stach, in den sie sich verliebte, ohne es zu merken. Denn er war schön in der Maienblüte seiner Tage, war stets in die kostbarsten Stoffe gekleidet, hatte das stolzeste Aussehen und die kühnste Haltung.

Kurz, er hatte alles, um einem kleinen Weibchen den Kopf zu verdrehen, das in seine Haushaltung eingezwängt ist wie eine Auster in ihre Schale, was ihr nach und nach unerträglich dünkt, daß sie wie ein Füllen in den Strängen sich aufbäumt gegen alle ehelichen Zäume und Zügel. Er selber, ein junger italienischer Edelmann und Freund der Königinmutter, hatte längst ein Auge auf die kleine Advokatin geworfen, deren stumme Liebe, der Teufel mußte sie ihm verraten haben, in seinem eignen Herzen einen Widerhall fand. Begann also zwischen den beiden die beliebte stumme Korrespondenz, die ihr kennt, und von Tag zu Tag legte die Advokatin einen größeren Staat an für die Messe in der Kirche Saint-Jehan, wo sie nicht einen Augenblick mehr an den lieben Gott dachte, was den lieben Gott nicht wenig ärgern mußte, sondern nur noch an ihren schönen Edelmann, dem all ihre Gebete und Seufzer galten, dem ihr Herz entgegenflammte, dem ihre feuchten Blicke folgten, nach dem ihre feuchten Lippen schmachteten: »Oh«, sagte sie oft in heimlichen Stoßgebeten, »wie gern wollt ich mein Leben hingeben für einen Kuß des schönen Geliebten, der mich wieder liebt.« Und wie oft, wenn sie die Litanei an die Heilige Jungfrau betete, fiel sie aus dem Text, vergaß die Heilige Jungfrau und das Ora pro nobis und dachte einzig an die blühende Jugend des Geliebten und dachte sich alle Seligkeiten mit ihm aus, wofür sie sich gern auf den Scheiterhaufen hätte werfen lassen, wo man die Ketzer verbrannte. Der Italiener aber las ihr ihre Gebete und Stoßseufzer von den Augen ab, er stellte sich nur noch in die Nähe ihrer Bank, und seine Augen sagten ihr, daß er alles wisse, in einer Sprache, die alle Frauen verstehen. Heimlich in seinem Innern tat er einen heiligen Schwur: »Bei dem Doppelgehörn meines Vaters«, so schwur er, »diese Frau soll mein sein, und wenn ich mein Leben dabei lassen müßte.«

Wenn dann die Amme sich ein wenig wegwandte, war das ein verstohlenes Händedrücken, Seufzen, Schmachten der Augen und ein Sichbegegnen und Küssen der Blicke, solcher Blicke, daß die Lunte eines Musketiers Feuer gefangen hätte, wenn ein Musketier in der Nähe gewesen wäre. So war die Suppe eingebrockt und wollte ausgegessen werden.

Und also verkleidete sich der Italiener als Schüler der Sorbonne und machte sich an die Schreiber des Advokaten, pokulierte und trank Brüderschaft mit ihnen, um die Gewohnheiten ihres Herrn auszukundschaften, die Stunden seiner Abwesenheit, wann er verreiste und was ihm sonst zu wissen nützlich schien, um ihn ans Ziel zu bringen.

Und zu seinem Verderben klappte alles aufs beste. Obwohl der Advokat, wie wir gehört haben, nur halb und halb von der Partei und entschlossen war, wenn es ihm vorteilhaft schien, die Sache seiner Glaubensbrüder an die Guisen zu verraten, wurde er jetzt von der hugenottischen Verschwörung veranlaßt, nach der Stadt Blois zu reisen, wo damals der Hof sich aufhielt und der Gewaltstreich dieser Hugenotten gegen den König zur Exekution kommen sollte. Das alles erfuhr der Italiener.

Er reiste darum dem Advokaten voraus nach der Stadt Blois, um dem Herrn Gemahl daselbst eine Falle zu bereiten, eine Meisterfalle, aus der der gute Avenelles, seiner Schlauköpfigkeit zum Trotz, nicht ungehörnt hervorgehen sollte. Der liebestolle Italiener ließ von seinem zahlreichen Dienervolk und mittels seines Geldes die sämtlichen Herbergswirte der guten Stadt Blois dahin bearbeiten, daß der Advokat, als er drei Tage darauf mit seiner Frau und seiner Amme ankam, überall abgewiesen wurde, weil infolge der Anwesenheit des Hofs alles überfüllt sei. Das Gasthaus ›Zur Königlichen Sonne‹ mietete der Edelmann für sich ganz allein unter der Bedingung, daß der Wirt die Dienerschaft des Hauses entferne und der Dienst durch die Leute des Italieners besorgt werde. Zu allem Überfluß schickte er den Bratendreher von Wirt und seine Leute aufs Land, also daß er mit den Seinigen vollständig über das Haus verfügte, wovon der Advokat keine Ahnung haben konnte.

Er gab seinen zahlreichen Freunden, die mit dem Hof in die Stadt gekommen waren, freies Quartier in dem Gasthaus, für sich aber behielt er ein einziges Zimmer, das über demjenigen lag, wo er seine schöne Geliebte, die Amme und den Advokaten unterzubringen gedachte. Beide Gemächer setzte er durch eine Falltür, die er in dem Fußboden des seinigen anbringen ließ, miteinander in Verbindung. Sein Küchenmeister mußte den Wirt spielen, seine Pagen, Kammerdiener, Läufer, Stallknechte und ihre Weiber hatten sich in den Dienst des Hauses zu teilen.

Nachdem er so seine Vorbereitungen getroffen, erwartete er die Hauptpersonen der Komödie: Frau, Ehemann und Amme. Sie blieben nicht lange aus. Bei dem ungewöhnlichen Zusammenströmen von Herrschaften, Kriegsvölkern, Krämern und Kaufleuten jeder Art neben einer Unmasse von Bedientenpack, wie es der Aufenthalt des jungen Königs, zweier Königinnen, der Herren Guisen, kurz, des ganzen Hofs mit sich brachte, fand niemand Zeit und Lust, auf die strategische List des Italieners und die seltsamen Veränderungen in der ›Königlichen Sonne‹ weiter achtzugeben. Kommt unter dem vielen Volk auch Meister Avenelles in der Stadt an samt seiner Frau und der alten Amme, wird überall schlecht empfangen, wird von einer Herberge zur andern geschickt und ist zuletzt überglücklich, in der ›Königlichen Sonne‹ unterzukommen, wo der Liebhaber seiner Frau das Feuer schürte und Gott Amor die Suppe kochte.

Während die Ankömmlinge sich installierten, schlenderte der Edelmann im Hofe auf und ab, um vielleicht einstweilen von seiner Dame einen Blick zu erhaschen. Und nicht lange dauerte es, daß oben die hübsche Advokatin nach der Gewohnheit aller Damen ihre Nase heraussteckte und nicht ohne heftiges Herzklopfen den geliebten Edelmann bemerkte. Man denke sich ihr Glück. Und wahrlich, wenn die beiden jetzt nur eine Unze von Zeit hätten allein sein können, brauchte der Edelmann nicht lange auf sein Glück zu warten, so sehr brannte die Dame darauf, es ihm zu verschaffen.

»Oh, wie der Strahl deines Auges brennt!« seufzte sie.

Sie glaubte von den Strahlen der Sonne zu reden. Bei ihren Worten näherte sich der Advokat dem Fenster und gewahrte den Edelmann.

»Ei, mein Schatz«, rief er, »hast du das mir gesagt oder dem dort unten?« Er packte sie dabei am Arm, und wie einen Sack warf er sie auf das Bett. »Meinst du, weil ich nur eine Federspule an der Seite trage anstatt eines Degens, lasse ich Schindluder mit mir treiben? In der Spule ist auch ein Federmesser, nimm dich in acht, daß ich dir's nicht ins Herz stoße bei dem geringsten Verdacht. Den Junker da drunten, scheint mir, habe ich schon einmal irgendwo gesehen.«

»So tötet mich doch!« rief die Frau empört. »Und wahrlich, Ihr sollt mich nicht mehr anrühren nach einer solchen Drohung. Ich will Euch nicht betrügen, ich würde mich schämen; aber von heut an werde ich mir einen Geliebten und Bettgenossen suchen, der höflichere Manieren hat als Ihr.«

»Nanu, mein Mäuschen«, antwortete der Advokat ganz betroffen, »ich war ein wenig allzu hitzig. Komm, gib mir einen Kuß, und alles soll verziehen sein.«

»Nichts soll verziehen sein«, rief sie schnippisch, »laßt Euch von Eurer lieben Amme küssen, Ihr seid ein Scheusal!«

Gereizt von dieser Rede seiner Frau, wollte er sich mit Gewalt nehmen, was ihm die Advokatin verweigerte, und es entstand ein Gerauf, in dem Meister Avenelles mehr als einen blutigen Kratzer davontrug. Das schlimmste aber war, daß der verkratzte Advokat längst in dem geheimen Konventikel erwartet wurde und also wohl oder übel seine junge Frau in der Hut des alten Drachen, seiner Amme, zurücklassen mußte.

Der Federfuchser war kaum aus dem Hause, als auch schon der Edelmann, nachdem er einen seiner Diener an der Straßenecke als Wache aufgestellt hatte, wie auf Flügeln zu seiner Falltür hinaufeilte. Geräuschlos hob er sie ein wenig in die Höhe, machte seiner Dame ein leises, kaum hörbares ›Pst‹, das die Geliebte hörte mit ihrem Herzen. Denn ein liebendes Herz hört alles. Richtet also das Weibchen ihre Augen in die Höhe und erblickt kaum vier Flohsprünge über sich den Geliebten. Zugleich fallen ihr zwei dicke seidene Schnüre in die Augen mit zwei silbernen Ringen am Ende, die weit genug waren, um zwei Arme durchzulassen. Sie versteht im Nu, schiebt sich die Ringe unter die Achselhöhlen, und in weniger Zeit als einem halben Vaterunser ist sie mittels einer Winde hinaufgezogen und hinter der Falltür verschwunden, die sich geschlossen hat, als ob nichts gewesen wäre. Als da die Amme sich nach ihrer Herrin umsehen will... nichts! Nicht ein Zipfelchen ihres Kleids! Wie weggeblasen! Was war denn das? O du heilige Mutter Gottes! Konnte denn das mit rechten Dingen zugegangen sein? Sie begriff in der Sache nicht mehr als ein Alchimist von seinem Hokuspokus. Da stand sie ganz verdattert. Aber als alte Hechel war sie nicht ohne Ahnung von Fäden, groben und feinen, die hier angesponnen wurden.

In Zittern und Zagen erwartete sie den Advokaten, oder man könnte auch sagen den Tod, denn von der blinden Wut des Rasenden war alles zu befürchten. Sie mußte ihn aber wohl erwarten, denn dieser Schlaukopf Avenelles hatte bei seinem Weggehen vorsichtig die Türe hinter sich abgeschlossen und den Schlüssel in die Tasche gesteckt.

Oben aber, im besseren Jenseits der Falltüre, fand die hübsche Advokatin ein leckeres Abendmahl bereitet, fand im Kamin ein gutes Feuer und ein noch besseres im Herzen ihres Geliebten, der sie, Freudentränen in den Augen, in seine Arme schloß und auf die schönen Augen küßte, um ihr endlich zu danken für die andächtigen Blicke in der Kirche Saint-Jehan am Grève-Platz. Die Advokatin entzog sich ihm nicht, sie ließ sich küssen und pressen und wieder küssen, wie nur heißhungrige Verliebte tun können, und dann schwuren sich beide, die ganze Nacht zusammenzubleiben, und wenn der Himmel einfallen sollte, wobei sie allein an das Glück dachte, das sie erwartete, und er seinem Degen vertraute, mit dessen Beistand es ihm um weitere Nächte nicht bange war.

Kurz, die beiden waren wenig bekümmert um ihr Leben, wenn es ihnen nur jetzt vergönnt war, in einem Zug alles auszutrinken, die Lust von tausend Leben, und sich eins dem andern tausend süße Seligkeiten zu geben. Sollten sie auch in einen Abgrund stürzen, wenn es nur vereint geschah in süßer Umklammerung. So setzten sie alles auf den einen Wurf und schenkten sich alles Maß und Übermaß der Liebe auf einmal ein. Habt ihr einen Begriff von solcher Liebe, ihr armen guten Bürger an der Seite eurer hausbackenen Ehefrauen? Habt ihr von ferne eine Ahnung von den heftigen Erschütterungen, heißen Wallungen und gewaltsamen Umarmungen junger Liebenden, die in heller Inbrunst sich vermengen im grausen Angesicht des sichern Todes?

Rührten also beide wenig an das lecker zubereitete Essen, sondern suchten ohne Verzug das Lager auf, wo wir sie allein lassen müssen, da keine Sprache der Welt, außer der des Paradieses, die wir nicht kennen, ihre verzückten Todesängste und ihre todesbangen Verzückungen auszusprechen vermöchte, unter denen alle Erinnerungen an das Ehebett elend verblaßten.

Unterdessen sah sich der Herr Gemahl in Händel verwickelt, die ihn verhinderten, sich um seine Frau zu kümmern. In dem Konventikel der Hugenotten war der Fürst von Condé mit allen Häuptern der Verschwörung erschienen, und es wurde beschlossen, sich der Königinmutter, des jungen Königs, der jungen Königin und aller Guisen mit Gewalt zu bemächtigen und eine neue Ordnung des Staats zu gründen.

Wie der Advokat sah, daß die Sache so ernst wurde, fiel ihm das Herz in die Hose. Er begriff, daß es hier um den Kopf ging; kein Wunder, daß er das Gewächs nicht spürte, das ihm eben darauf wuchs.

Er lief also von den Hugenotten hinweg schnurstracks zu dem Haupt der Guisen, dem Kardinal von Lothringen, und überbrachte ihm brühwarm die hugenottische Abendsuppe. Der Kardinal aber nahm ihn sofort mit sich zu seinem Bruder, dem Herzog, wo die drei lange ernstliche Beratungen pflogen, dergestalt, daß es Mitternacht wurde, bis der Advokat, dem sie die wunderbarsten Versprechungen machten, das Schloß heimlich verlassen konnte. Zu dieser Stunde ging es hoch her in der Herberge ›Zur Königlichen Sonne‹. Das ganze Dienervolk des Edelmanns gab sich ein Fest zu Ehren der Hochzeit ihres Herrn, und man kann sich denken, mit welchen Späßen, Frechheiten und Gelächter diese ausgelassene, tolle, berauschte Spitzbubenbande den armen Advokaten empfing, der schon jetzt den Braten roch und zitternd und totenbleich nach seinem Zimmer stürzte, wo er niemand fand als die arme Amme. Sie wollte sprechen, aber Avenelles packte sie an der Kehle und gab ihr zu verstehen, daß sie schweigen solle. Er holte aus seinem Koffer einen guten Dolch hervor, und in dem Augenblick, wo er ihn aus der Scheide zog, drang durch die Falltür herunter ein freies, lustiges, verliebtes, himmlisch-seliges Lachen, begleitet von Worten, die nicht schwer zu verstehen waren. Da sah der Advokat, der schlauerweise seinen Leuchter auslöschte, durch die Spalten der Falltüre ein Licht und erkannte die Stimme seiner Frau und die ihres Ritters, worüber ihm noch ein ganz anderes Licht aufging. Er ergriff den Arm seiner Magd, stieg mit ihr die Treppe hinauf und suchte schleichenden Schrittes die Türe zu dem Zimmer der Liebenden. Er brauchte nicht lange zu suchen, und mit der Kraft des Verzweifelten drückte er die Türe ein und stürzte wütend nach dem Bette, wo er seine halbnackte Frau in den Armen des Edelmannes überraschte.

»Ah!« stieß seine Frau aus.

Der Edelmann war seinem Stoß ausgewichen und suchte nun dem Advokaten den Dolch aus der Hand zu winden. Es entstand ein Kampf auf Leben und Tod. Dabei bekam der arme Advokat nicht nur die eisernen Fäuste seines Gegners und Platzhalters, sondern auch die schönen Zähne seiner lieben Frau zu spüren, die ihn nicht übel zurichteten. In seiner Verzweiflung kam ihm eine List. Er befahl der Magd in seinem Dialekt, das verliebte Paar mit den seidenen Kordeln von der Falltüre zu umwickeln, er selber warf den Dolch von sich und half der Amme ihr Werk vollenden. Den also fest Verschnürten verstopfte er den Mund mit den Bettüchern, um sie am Schreien zu verhindern, und ohne ein Wort zu verlieren, griff er von neuem nach seinem furchtbaren Dolch.

In diesem Augenblick erschien unter der Türe die Wache des Herzogs von Guise, die Avenelles suchte. In der Hitze des Kampfes hatte niemand die Soldaten kommen hören, die bereits im Gasthof alles über den Haufen geworfen hatten. Durch das Geschrei eines Pagen aufmerksam gemacht, fanden sie den Edelmann gebunden, geknebelt und wie halbtot am Boden. Sie warfen sich im Nu zwischen den Ehemann und die Verliebten, entwaffneten den Advokaten und erklärten ihm, daß sie gekommen seien, ihn zu verhaften und ihn mit seiner Frau und seiner Amme in das Gefängnis auf dem Schloß zu bringen.

Nun erkannten die Offiziere des Herzogs von Guise auch den Freund ihres Herrn, nach dem die Königin sich wiederholt erkundigt hatte an diesem Abend. Davon machten sie dem Edelmann Mitteilung und forderten ihn auf, ihnen zu folgen, weil er im Rat erwartet werde. Während der Edelmann sich aus seiner Verschnürung loswickelte und nach seinen Kleidern suchte, fand er Gelegenheit, dem Hauptmann der Scharwache ins Ohr zu flüstern, daß er ihm zuliebe und auf seine Verantwortung den Ehemann und seine Frau in getrenntes Gewahrsam bringen möge, wofür er dem Manne seine Gunst, Beförderung und nicht wenig Gold versprach, so daß dieser kaum noch schwankte, ihm zu gehorchen. Um dem Offizier mehr Vertrauen einzuflößen, erklärte er ihm den Zusammenhang der ganzen Sache und fügte hinzu, daß der Advokat seine herzige Frau unfehlbar töten würde, wenn er sie je in seine Gewalt bekäme. Zuletzt legte er dem Offizier nahe, die Frau in einem der heitersten Gefängnisräume unter denjenigen, die ebenerdig auf die Gärten hinausgingen, zu verwahren, den Mann dagegen im untersten und finstersten Loch an Ketten legen zu lassen. Der Offizier versprach, alles nach dem Wunsche des gnädigen Herrn zu tun, und dieser, der seiner Dame Gesellschaft leistete bis in den Hof des Schlosses, versicherte ihr hundertmal, daß sie als freie Witwe aus dem schlimmen Handel hervorgehen werde und daß er entschlossen sei, sie vielleicht in rechtmäßiger Ehe zur Frau zu nehmen.

Wurden also die Gefangenen untergebracht, ganz wie es der Geliebte der Frau angeordnet, der Mann in einem luftlosen Loch unter dem Boden, die Frau in einem behaglichen Kämmerlein bei den Gärten; denn der verliebte Italiener war kein andrer als Herr Scipio Sardini, ein vornehmer, sehr reicher Luccaner und, wie es bereits gesagt worden, einer der nächsten Freunde der Königin Cathérine von Medici, die damals im Einverständnis mit den Guisen das ganze Konzert dirigierte. In dem Großen Rat, der in diesem Augenblick heimlich bei der Königin abgehalten wurde, erfuhr der Italiener, um was es sich handelte und in welcher großen Gefahr der Hof schwebte. Es war in der Tat keine Minute Zeit zu verlieren, und die Herren Räte waren ratlos. Sardini mußte ihnen ein Licht aufstecken. Er überraschte sie alle mit dem Vorschlag, die Verschwörung zu ihrem eigenen Vorteil zu wenden, den jungen König im Schloß von Amboise unterzubringen, dort die verdammten Ketzer zu fangen wie den Fuchs in der Falle und sie alle niederzumachen. Also geschah es. In der Tat weiß jedermann, wie geschickt die Königinmutter und die Guisen dieses Stücklein voll listiger Verstellung durchgeführt haben, und wie der Aufruhr von Amboise verlaufen ist. Aber das gehört nicht zu dieser Geschichte.

Als dann gegen Morgen ein jeder das Zimmer der Königin verließ, wo die Nacht über mehr als ein feiner Faden gesponnen worden, hatte Signor Sardini, trotz seiner Verliebtheit in die schöne Limeuil, eine Tochter der Königinmutter und ihm durch das Haus Latour-Turenne ein wenig verwandt, seine Advokatin nicht vergessen und fragte, warum eigentlich der rotbärtige Ischariot in den Käfig gesperrt sei? Der Kardinal von Lothringen antwortete ihm, daß es nicht seine Absicht sei, dem Federfuchser auch nur ein Haar zu krümmen: weil man aber seinen Wankelmut kannte und sich nicht auf seine Verschwiegenheit verlassen konnte, habe man ihn einstweilen in Numero Sicher gebracht, von wo man ihn freigeben werde, sobald man es an der Zeit halte.

»Freigeben?« rief der Luccaner. »Steckt ihn lieber in einen Sack und werft mir den Schwarzrock in die Loire. Glaubt mir, ich kenne ihn, er ist keiner, der Euch seine Gefangenschaft verzeihen wird. Er wird sicher zu seinen Predigern zurückkehren. Einen Ketzer zu töten aber ist allezeit ein gottgefälliges Werk. Sein Tod ist übrigens das einzige Mittel, Euer Geheimnis zu sichern, und seine eignen Anhänger werden von Euch keine Rechenschaft über ihn fordern; denn er war ein Verräter an ihrer Sache. Wenn Ihr mich gewähren lassen wollt, ich werde seine Frau retten, das übrige wird sich geben, er soll Euch nicht mehr in den Weg laufen.«

Der Kardinal lachte.

»Euer Rat ist gut«, sagte er; »und damit Ihr seht, daß ich ihn zu nutzen weiß, will ich sogleich Befehl geben, die Gefangenen noch enger einzuschließen. – Holla!«

Erschien der Gefängnismeister, und der Kardinal befahl ihm, jedermann von den beiden Gefangenen fernzuhalten, wer es auch sein möge; dann bat er Sardini, in seiner Herberge zu verbreiten, daß der Advokat von Blois abgereist und zu seinen Prozessen nach Paris zurückgekehrt sei.

Den Offizieren, die den Advokaten verhaftet hatten, war aufgetragen worden, ihn als einen Gefangenen von Rang und Wichtigkeit zu behandeln und ihn also von den Scharwächtern weder berühren noch berauben zu lassen. So kam es, daß Avenelles noch dreißig Goldgulden in seiner Börse bei sich trug. Er wollte sie aufwenden zum Zweck seiner Rache, da er mit Recht voraussetzte, daß sie den Wächtern ein hinlängliches Argument wären und sie überzeugen müßten, wie sehr es sein gutes Recht sei, seine Frau zu sehen, nach der ihn verlangte, und sich mit dieser Frau in näheren Rapport zu setzen, die doch seine legitime Gattin war und nicht die eines andern.

Signor Sardini traute dem Handel auch gar nicht, fürchtete von der Nachbarschaft des rothaarigen Federfuchsers die größte Gefahr für seine Geliebte und beschloß bei sich, sie noch in der Nacht zu entführen und an einen sichern Ort zu bringen. Er mietete also einen Kahn samt den Ruderern und postierte sie in einen Hinterhalt bei der Brücke; drei seiner geschicktesten Diener betraute er mit dem Auftrag, die Eisenstangen der Gefängniskammer zu durchfeilen, wo er die Advokatin gefangen wußte, sich dann der Dame zu bemächtigen und sie nach der Gartenmauer zu bringen, wo sie ihn finden würden.

Nachdem gute Feilen gekauft und alle Vorbereitungen getroffen waren, bat der Italiener um eine Audienz bei der Königinmutter, deren Gemächer über den Gräben lagen, allwo der Advokat und seine Frau in Gefangenschaft schmachteten. Sardini brauchte die Einwilligung der Königin zu dieser Flucht, wenn nicht der ganze Anschlag im letzten Augenblick zunichte werden sollte. Er wurde auch von ihr empfangen und bat sie, ihm die Gunst zu gewähren, seine schöne Gefangene ohne Vorwissen des Kardinals und des Herzogs von Guise befreien zu dürfen. Dann setzte er ihr ebenfalls die Gründe auseinander, die es nötig machten, daß der Kardinal den Advokaten ins Wasser werfen lasse, und die Königin sagte zu allem ja und amen. In einem Gurkensalat schickte er darauf der Dame seines Herzens ein Zettelchen, das der schönen Advokatin ihre bevorstehende Witwenschaft und die Stunde ihrer Befreiung aus dem Kerker ankündigte, dessen die Bürgerin wohl zufrieden war. Durch einen geheimen Befehl der Königin wurden bei einbrechender Nacht die Wachsoldaten von den Gräben entfernt, um ein wenig nach dem Mondschein auszusehen, den man dennoch bei der Sache nicht benötigte, dann das Gitter im Handumdrehen von den geschickten Italienern abgehoben, die Dame mit einem ›Pst‹ herbeigerufen und nach der Gartenpforte dem harrenden Geliebten in die Arme geführt.

Das Pförtchen aber war kaum hinter den beiden geschlossen, als die Dame ihren Mantel abwirft und sich in einen Advokaten verwandelt, einen Advokaten, der den Frauenräuber an der Gurgel packt und würgt und gegen das Wasser stößt, um ihn in der Loire zu ersäufen. Und Sardini war genötigt, sich zu verteidigen, zu kämpfen, zu rufen, aber alles, ohne sich trotz seines Dolchs losmachen zu können von diesem Teufel im schwarzen Talar.

Plötzlich aber wurde es still. Sardini war in ein tiefes Loch von Sumpf und Morast gestürzt. Er sah noch einen Augenblick im Licht des Mondes das Gesicht des Advokaten über sich, ganz besudelt mit dem Blute seiner Frau; dann ergriff sein Angreifer, der ihn für tot hielt, die Flucht, denn schon näherten sich die Leute des Italieners mit Waffen und Fackeln. Auf dem von Sardini bereitgehaltenen Kahn entkam der Advokat.

So geschah es, daß allein die schöne Advokatin das Leben lassen mußte. Den Signor Sardini hatte sein Würgengel nur halb erwürgt, er wurde von seinen Leuten aus dem Morast gezogen und erholte sich nach und nach von den Mißhandlungen des Advokaten. Später heiratete er, wie jedermann weiß, die schöne Limeuil, nachdem sie im Zimmer der Königin heimlich mit einem Kindlein niedergekommen war, welchen Unfall die Königinmutter um jeden Preis zu verheimlichen und den Sardini aus großer Liebe durch Heirat gutzumachen suchte. Zum Dank erhielt er von der Königin Cathérine die Herrschaft Chaumont-sur-Loire mitsamt dem Schlosse. Aber er war doch von seinem Advokaten so gekrallt, gewürgt, geknufft und mit Füßen getreten worden, daß er die schöne Limeuil noch im Frühling ihres Lebens zur Witwe machte. Der Advokat wurde nicht verfolgt. Er brachte es im Gegenteil dahin, daß er im letzten Friedensedikt unter denjenigen verzeichnet stand, denen alles vergeben und vergessen sein sollte. Er ergriff von neuem die Sache der Hugenotten, denen er später in Deutschland große Dienste erwies.

Die arme Advokatin! Betet für ihre Seele; ihr schöner Körper wurde wer weiß wohin geworfen, ohne Gebet und ohne christliches Begräbnis. Denkt an sie, schöne Damen, wenn euch Gott Amor günstig ist.


 << zurück weiter >>