Honoré de Balzac
Die dreißig tolldreisten Geschichten – Zweites Zehent
Honoré de Balzac

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Prolog

Einige Kritiker haben dem Autor vorgeworfen, von der Sprache der alten Zeit soviel zu verstehen als eine Kuh vom Spanischen. Ehemals hätte man ohne viel Federlesens derartige Leute Kannibalen geheißen, Lästermäuler, Sykophanten und sogar Sodomiter, aber der Autor will sie gern verschonen mit solchen Stilblüten älterer Schriftsteller und freut sich nur, daß er nicht in ihrer Haut steckt, weil er sich sonst verachten und vor sich selber schämen müßte. Für den niederträchtigsten Sudler würde er sich halten, ein armes Buch zu verleumden, weil es ganz und gar anders ist als die Bücher all dieser traurigen Tintenkleckser unsrer Tage.

Oh, ihr armseligen Gesellen! Ihr solltet ein wenig sparsamer mit eurer Galle umgehen. Ich meine, ihr könntet sie recht gut untereinander gebrauchen. Der Autor ist nicht unglücklich darüber, daß er nicht allen gefällt, er tröstet sich mit einem gewissen alten Tourainer ewigen Angedenkens, dem einst Buben vom gleichen Schlag so lange zugesetzt und mitgespielt haben, bis er es satt bekam und in einem seiner Dialoge erklärte, er sei entschlossen, kein Jota mehr zu schreiben. Andre Zeiten, andre Sitten. Nein, Herrgottsdonnerwetter, andre Zeiten, aber die nämlichen Sitten. Alles bleibt sich gleich, im Himmel oben wie hier unten bei den Menschen. Und also stützt sich der Autor lachend auf seinen Spaten und verschiebt die Rache an seinen Lästerern auf gelegenere Zeit. Er hat jetzt andres zu tun. Wahrlich, ein Hundert lustiger Geschichten kann man nicht so aus dem Boden stampfen und aus dem Ärmel schütteln. Das ist schon an sich kein leichtes Tagewerk, auch wenn es einem nicht dazu von andern noch erschwert wird, zuerst von Lumpen und Neidhammeln und zuletzt nicht weniger von den eignen Freunden, die einem zur Unzeit wie Unglücksraben mit ihrem Gekrächze über den Hals kommen. »Bist du verrückt?« sagen sie, »hast du dir's auch recht überlegt? Solche Geschichten und Schwänke hat nicht leicht einer hundertweis in seiner Gehirnkammer vorrätig, du hast, scheint uns, das Maul etwas allzuweit aufgemacht. Ein wenig bescheidener, guter Herr, ein wenig bescheidener, wenn wir bitten dürfen.« Das sind weder Misanthropen noch Kannibalen, ob Lumpe, ich weiß es nicht. Es sind aber, das ist keine Frage, gute Freunde. Aber ihre Freundschaft besteht darin, uns auf einem ohnehin schon harten Weg auch noch harte Worte zu geben und unliebsame Dinge zu sagen. Sie sind widerborstig wie ein Saurücken, stachlig wie eine Hechel und versichern uns dabei fortwährend, wie ergeben sie uns seien mit Leib und Seele, wie man auf sie rechnen könne im Unglück, auf ihr Gut und Geld und alles, aber sie wollen nicht eher etwas merken von unsrer Notlage, als bis man uns die Letzte Ölung bringt.

Wenn es diese Leute wenigstens an solchen kleinen Niederträchtigkeiten genug sein ließen. Aber kommt dann die Zeit und werden ihre albernen Ängstlichkeiten Lügen gestraft, rufen sie triumphierend aus:

»Siehst du, hab ich dir's nicht gesagt? Habe ich nicht gut prophezeit?«

Um nun so wohlgemeinte, wenn auch im Grund ganz und gar unerträgliche Freundschaftsbezeigungen nicht undankbar von sich zu stoßen, vermacht der Autor hiermit diesen Freunden seine alten durchlöcherten Pantoffel mit der beruhigenden Versicherung, daß er selber an fahrender Habe, die nicht bereits gerichtlich verpfändet wäre, nichts zurückbehält, als versteckt im Labyrinth seines Gehirns ein Stücker siebzig lustiger Schwänke, wohlgeratene Kinder seines Geistes, bei Gott! in zierliche Redewendungen gekleidet, mit Anspielungen jeder Art geschmückt, von der komischen Muse mit den allerfrischesten Blumen und Zweigen bekränzt; Schwänke, sagte ich, nämlich Geschichten und Historien von allen Tages- und Jahreszeiten, mit dem ganzen reichen Einschlag, den zu jeder Stunde, zu jeder Minute die Menschheit spinnt und webt, immerfort schaffend und webend an dem großen weltgeschichtlichen Komputus (der Gottheit unendlichem Kleid) von der Zeit an, wo die Sonne noch blind war und der Mond noch seinen Weg nicht wußte, bis auf den heutigen Tag. Doch hab ich auch nichts dagegen, wenn ihr anders denkt und wenn ihr meine siebzig Kinder ebenso viele liederliche Subjekte heißen wollt, nichtsnutzige, übertrutzige, schamlose, schlechte, tolldreiste Subjekte, elende Kreaturen, lose Buben, Spaßvögel der schlechtesten Sorte, und wenn ihr sagt, beim Teufel noch einmal, daß diese siebzig zusammen mit den zwanzig, die bereits ausgebrütet sind, auf die versprochenen hundert nur eine schwache Abzahlung seien.

Wahrlich, wenn die Zeit nicht so schlecht wäre für Bibliophile, Bibliomanen, Bibliographen, Bibliotheken, Bibliophagen und Bibliopolitiker, id est für Bücherfreunde, Büchernarren, Büchermacher, Bücherausträger, Bücherverleger und Bücherausleger, Bücherwürmer, mit einem Wort, wenn die Zeit nicht so schlecht wäre, sage ich, würde euch der Autor sein Hundert wahrlich wie einen Wolkenbruch und Hagelwetter über euren Köpfen ausgeschüttet und nicht so langsam vertröpftelt haben wie einer, der an der zerebralen Dysurie, id est Gehirnaustrocknung oder Gehirnverhaltung, leidet. Diese Schwäche, will sagen Infirmitas, kann ihm dennoch niemand vorwerfen, vielmehr wird man zugeben müssen, daß er auf volles Maß und Gewicht hält und oft mehrere Geschichten für eine gibt, wie das vorliegende Zehent beweist. Auch wolle man beachten, daß er unter seinem Vorrat stets eine strenge Auswahl trifft und euch nur die besten und saftigsten Stücke vorlegt. Da kann von Altersschwäche keine Rede sein. Mischt also etwas mehr Freundschaft in eure Gehässigkeiten und etwas weniger Gehässigkeit in eure Freundschaft. Auch wollet bedenken, wie sparsam die große Natur bis jetzt war in der Hervorbringung guter Erzähler, sparsam bis zur Geizigkeit, denn mehr als sieben werdet ihr nicht herausfischen aus dem ungeheuren Ozean des Weltschriftentums.

Einige unter euch, gute Freunde selbstverständlich, haben die Meinung geäußert, daß man in einer Zeit, wo jedermann schwarz gekleidet geht, wie wenn eine allgemeine Welttrauer wäre, nur solche Bücher und Schriftwerke zusammenkochen dürfe, die ebenso langweilig ernst und ernstlich langweilig sind wie unsre Tracht und Kleidung selber. Diese Freunde sind auch der Ansicht, daß heut jeder Skribifax für sein winziges bißchen Geist notwendig eine Wohnung brauche wie ein königliches Schloß und daß jeder im Finstern bleiben und ruhmlos dahinfahren müsse wie die Maulesel des Papstes, der nicht gleich Kathedralen und Paläste baut, an denen sich kein Stein verrücken läßt. Diese lieben Freunde möchte ich doch fragen, was ihnen lieber ist, eine Kanne guten Weins oder ein Fuder Bier, ein Diamant von zweiundzwanzig Karat oder ein zentnerschwerer Kieselstein, die Geschichte des Hans Calver von Rabelais oder so ein modernes Schulbubengeschmier. Ihr bleibt stumm? Was solltet ihr auch antworten? Also geht, laßt euch heimgeigen und bleibt in Zukunft bei euren Leisten, ihr Schuster!

Statt allem andern sage ich nur noch dies: Jener unvergleichliche Mann, dem wir gewisse unsterbliche Fabeln und Schwänke verdanken, hat sie vorher bei andern gefunden und genommen, er hat sie nur bearbeitet; aber mit seiner göttlichen Kunst, die er auf diese Figürchen verwendet hat, hat er ihnen erst Wert und Würdigkeit gegeben. Wie dem Meister Ludovico Ariosto hat man ihm den Vorwurf gemacht, seine Zeit und seine Gedanken an kindische Albernheiten zu vergeuden; aber ein schlechtes Insekt, von seiner Hand ziseliert, ist ein bleibenderes und sprechenderes Denkmal seines ewigen Ruhms als manche hochgemauerte Werke andrer. In der ganz besonderen Jurisprudenz unsrer fröhlichen Wissenschaft gilt eine einzige Seite, die der Autor aus dem Schoß der Natur und der Wahrheit geschöpft hat, mehr als eine ganze Bibliothek von flauen Bänden, die, so schön sie sein mögen, uns weder ein Lachen noch eine Träne zu entlocken imstande sind.

Man wird nicht unpassend finden, daß der Autor das alles sagt; er hat dabei nicht die Absicht, sich auf die Zehenspitzen zu stellen und größer zu scheinen, als er ist. Hier handelt es sich um die Majestät der Kunst, nicht um seine eigne. Er selber ist nur ein armer Schreiber, und sein ganzes Verdienst besteht darin, Tinte in seinem Tintenfaß zu haben und ein gutes Ohr für das, was die Herren vom Hof erzählen und das er zu Protokoll bringt, wie er's gehört hat. Nur wie er's spinnt und webt, ist sein Verdienst. Der Flachs dazu ist auf vielen Äckern gewachsen. Von der Venus des Herrn Phidias, des Atheners, bis herunter zu dem Gänsemännlein am Grünen Marktbrunnen oder dem andern, das sie das Männeken Piß nennen, ist alles geschaffen nach den ewigen Gesetzen und Regeln der menschlichen Einbildungskraft und Nachbildungskraft, deren Stoff das Gemeingut aller ist. Glücklich die Diebe in diesem Staat oder Königreich, sie werden hier nicht gehängt, sondern sind geehrt und geliebt von allen. Aber ein Kamel, ein Trampeltier mit zwei Höckern, ist derjenige, der sich in die Brust wirft, die Nase hoch trägt und sich etwas zugute tut auf Vorteile, die ein reiner Zufall der Blutmischung sind; nur dessen, was der Mensch aus seinen Fähigkeiten macht, nur seiner Ausdauer, seines Fleißes kann er sich rühmen. Was dann das Geflöte gewisser zierlicher Schnäbelchen anlangt, die mit ihrem sanften Gezwitscher dem Autor ebenfalls im Ohr gelegen sind und sich beklagt haben über diese und jene Stelle des Buches wie über ein Weltunglück, ihnen kann ich nur antworten: Warum habt ihr nicht die Pfötchen davon gelassen?

Durch die verruchten Niederträchtigkeiten gewisser Leute sieht sich der Autor gezwungen, den Wohlwollenden eine Aufklärung zu geben, womit sie den verleumderischen Kakographen und Sudelhänsen das Maul stopfen können. Diese meine Geschichten sind erwiesenermaßen zu der Zeit geschrieben worden, da die Königin Cathérine aus dem erlauchten Hause der Mediceer in Frankreich das Heft in der Hand hatte und sich in alle öffentlichen Angelegenheiten mischte zum Besten unsrer heiligen Religion. Diese Zeit ist nicht sänftiglich mit den Leuten umgesprungen, es war eine Zeit, die viele große Kerle erwürgt hat, von unserem verewigten König Franz, dem Ersten seines Namens, bis zu dem Staatsstreich zu Blois, wo der geriebene Guise sich in der Falle fing. In dieser Zeit unaufhörlicher Kämpfe und Feldzüge, Kriege und Belagerungen, Friedensschlüsse und neuer Kriege und Kämpfe befand sich auch, wie jeder Schulbub weiß, die Sprache im Zustand großer Verwirrung und Zügellosigkeit, wo denn jeder Poet und Autor, wie übrigens heute auch, sich seine eigne Sprache zurechtmachte und seine gute Muttersprache schrieb, wie ihm der Schnabel gewachsen war, außerdem, daß er sie mit den buntscheckigsten Lappen und Flecken verbrämte, mit griechischen, lateinischen, italienischen, mit schweizerischen, deutschen und transatlantischen Wörtern und Wendungen, mit Phantastereien und spanischem Jargon: was sie alles kunterbunt untereinander mengten, geradeso wie auf den Schlachtfeldern die Nationen durcheinander wimmelten, also daß der Skriptophile dem babylonischen Wirrwarr gegenüber alle Freiheit und tausend Möglichkeiten hatte, die seither beträchtlich eingeschränkt wurden durch Leute wie die Herren von Balzac, Blaise Pascal, Furetière, Mesnage, Saint-Évremond, von Malherbe und andere, als welche zuerst unsere Muttersprache rein gekehrt, die fremden Wörter in Verschiß erklärt und den übrigen ein ausschließliches Bürgerrecht verschafft haben, zum bequemen und sichern Gebrauch für jedermann, daß selbst der Herr Ronsard davor kleinlaut werden müßte. So, da hat nun der Autor alles gesagt. Er geht nach Hause zu seinem Liebchen und wünscht ein Füllhorn voll Lust und guten Dingen allen denen, die ihn lieben, und seinen Feinden einen Sack voll hohler Nüsse. Sie verdienen nichts Besseres. Wenn die Schwalben wiederkehren, wird auch er wieder erscheinen und ein drittes und viertes Zehent mitbringen. Das verspricht er feierlich allen guten Pantagruelisten nebst Sippschaft durch alle Stockwerke hindurch, denen alles triste, trübe, traurige und gallsüchtige Geschreibe dieser Zeit ein Greuel ist.


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