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Der Edle von Moncontour, ein alter Tourainer Kriegsmann, ließ zum Andenken an die Schlacht, die der Herzog von Anjou, der nachmalige glorreiche König von Frankreich, gewann, das Schloß Vouvray bauen, von dem er selber den Namen annahm. Solche Gunst gewährte ihm der König, weil er sich in der genannten Schlacht vor vielen andern ausgezeichnet und dabei den gefürchtetsten aller Ketzer mit eigner Hand erschlagen hatte. Dieser verdienstvolle Kriegshauptmann erfreute sich zweier Söhne, sie waren beide gute Katholiken und der ältere in hoher Gunst bei Hofe. Während des Waffenstillstands, der dem berühmten Anschlag in der Nacht von St. Bartholomäi voranging, kam der genannte Krieger nach langer Zeit wieder einmal auf sein Schloß, das damals noch eine finstere Burg war und noch nicht das Aussehen darbot wie heute. Hier empfing ihn die traurige Nachricht von dem Tode seines ältesten Sohns, der in einem Zweikampf mit dem Edlen von Villequier gefallen war. Diesen Tod empfand der arme Vater um so schmerzlicher, als die Verheiratung des genannten Sohns mit einer Tochter aus dem Hause Amboise bereits als ein abgemachter Handel gelten konnte. Der plötzliche Todesfall bedeutete für ihn ein ungeheures Unglück. Alle Vorteile für seine Familie, die er zu einer mächtigen Dynastie zu erheben gedachte, kurz, seine stolzesten Hoffnungen sanken mit diesem Sohn ins Grab; denn aus den gleichen ehrgeizigen Absichten hatte er seinen zweiten Sohn in ein Kloster gesteckt und seine Leitung und christliche Erziehung einem Manne übertragen, der für einen Heiligen galt. Aus diesem zweiten Sohn wollte der väterliche Ehrgeiz zum wenigsten einen Kardinal machen. Nach der Weisung des Vaters hielt der heilige Mann, der der Abt jenes Klosters war, den jungen Mann in besonderer Zucht und Aufsicht; er ließ ihn in seiner eignen Zelle schlafen, behütete ihn streng vor jedem bösen Gedanken und erzog ihn in vollkommener Reinheit und Zerknirschung des Herzens, die einem jeden Priester zu wünschen wäre. Mit zwanzig Jahren kannte der junge Kleriker noch keine andere Liebe als die Liebe Gottes und keine andere Vertrautheit als die mit den Engeln, die nichts haben von unsern Fleischlichkeiten und die also auch keinen schlechten Gebrauch davon machen können und, ob es ihnen gefällt oder nicht, in ewiger Reinheit leben müssen. Der König da oben in den himmlischen Reichen hat wohl gewußt, was er tat; er wollte ein fein ordentliches Hausgesinde haben, und wie seine Pagen beschaffen sind, können sie nicht wie die unsrigen in der Kneipe herumpokulieren und heimlich in liederliche Häuser schleichen, und er ist darum vortrefflich bedient; er hat eben gut lachen, er ist der Herr über alles.
Um aber auf den Herrn von Moncontour zurückzukommen. Dieser sah jetzt keinen andern Ausweg in seiner hochstrebenden Familienpolitik, als den nachgeborenen Sohn aus dem Kloster zu nehmen und ihn mit Verzicht auf den Purpur der Kirche in den Harnisch und das Höflingsgewand seines Bruders zu stecken, alles zu dem Zweck, ihn mit der hinterlassenen Braut des andern zu verheiraten, wozu sich ohnedies das wohlbewahrte Mönchlein, das ganz in Enthaltsamkeit groß geworden war, besser eignen mußte als der Verstorbene, den die Damen des Hofs bereits übel zugerichtet hatten. Das entkuttete Kuttenmännlein, dem der Gehorsam zur zweiten Natur geworden, fügte sich denn auch ohne Widerspruch in den geheiligten Willen des Vaters und willigte in die vorgeschlagene Heirat, ohne eine Ahnung davon zu haben, was das für Dinger sind, die man Frauen oder gar Mädchen nennt.
Durch die Kriegsunruhen der Zeit wurde seine Reise nach dem väterlichen Schloß mehrmals verhindert, und so wollte es der Zufall, daß der entmönchte Jüngling, der aber mönchischer war als hundert Mönche, just am Vorabend seiner Hochzeit, für welche der Vater in der erzbischöflichen Kanzlei zu Tours die nötigen Dispense längst gekauft hatte, auf dem Schloß von Moncontour ankam.
Hier ist ein Wort über die Braut zu sagen. Ihre Mutter, die Herzogin von Amboise, war seit langer Zeit Witwe und wohnte in dem Haus des Herrn von Braguelongne, eines Polizeirichters am Chastelet zu Paris, dessen Frau ihrerseits mit einem Herrn von Lignières zusammenlebte. Das war eigentlich eine skandalöse Geschichte; aber zu jener Zeit hatte jedermann viel zuviel Balken im eigenen Auge, um sich um die Splitter im Auge seines Nächsten zu kümmern. Alles befand sich damals ein wenig auf der breiten Straße, die ins Verderben führt, ohne daß einer sich über den andern wunderte; nur im Tempo unterschieden sie sich, bei den einen ging's im Trab, bei den andern im Galopp, bei den wenigsten im langsamen Schritt, der sich auf einer so abschüssigen Straße schnell verlernt. Noch selten hat dem Teufel der Weizen so üppig geblüht. Das Laster machte sich breit auf offenem Markt. Die alte Dame Tugend hatte sich schaudernd, man wußte nicht wohin, zurückgezogen; man fand sie nur noch hie und da in der Gesellschaft ehrbarer Frauen, mit denen zusammen sie ihr kümmerliches Dasein fristete.
In dem sehr edlen Hause von Amboise gab es aber noch eine verwitwete Altherrin, die sich nach ihrem Witwensitz von Chaumont nannte, eine der tugendsamsten Frauen ihrer Zeit, in der die christliche Sittenstrenge und der Adel dieser berühmten Familie noch allein lebendig waren. Diese Großmama hatte die Enkelin, nämlich eben die genannte Braut des Herrn von Moncontour, von ihrem zehnten Jahre an zu sich genommen und unter ihren Augen erziehen lassen, was der Mutter des Mädchens, der Herzogin von Amboise, äußerst willkommen war; sie konnte sich nun ihrem vergnüglichen Leben nur um so mehr überlassen und begnügte sich damit, ihre Tochter alle Jahre einmal zu besuchen, wenn gerade der Hof in der Gegend vorüberkam. Trotz ihres wenig mütterlichen Verhaltens wurde sie jetzt zur Hochzeit ihrer Tochter geladen und mit ihr der Herr von Braguelongne; denn der alte Moncontour, der sein Leben in Feldlagern zugebracht, wußte doch, was sich schickte.
Nicht nach Moncontour aber kam die Altherrin von Chaumont, weil ihre Gicht, ihr Rheuma und der Zustand ihrer geschwollenen Beine eine solche Reise nicht erlaubten. So mußte sie also das edle Jungfräulein, ihr Pflegekind, das schön war, wie nur ein hübsches Mädchen schön sein kann, allein hinausziehen lassen in die Gefahren der Welt und des Hoflebens, worüber sie bitterlich weinte, und blieb ihr ferner nichts übrig, als für das Glück der Kleinen zu beten und Messen und Oratorien haufenweise für sie abhalten zu lassen. Ein Trost war es ihr zu wissen, daß der Verlobte des geliebten Kinds, das bis jetzt der Stab ihres Alters war, von seinem Abt, den sie kannte, zu einem fast heiligen Manne erzogen worden, woraus sie für die Eheleute ein gutes Omen entnahm.
Unter heißen Tränen umarmte sie das Bräutchen und gab ihr noch die letzten Ermahnungen, wie Frauen in solchen Fällen pflegen, mit auf den Weg, als besonders: ihrer Frau Mutter Ehrfurcht zu erweisen und ihrem Manne zu gehorchen in allen Stücken.
Mit großem Pomp vollzog sich die Reise. Eine ganze Anzahl von Mägden, Kammerfrauen, Stallmeistern, Wappenträgern und Edelleuten aus dem Hause von Chaumont begleitete die Braut, so daß es einen Zug gab, gegen welchen der eines Kardinallegaten ein Dreck gewesen wäre. Und zu gleicher Zeit kamen die Verlobten an, beide am Vorabend ihres Beilagers.
Mit erstaunlicher Pracht wurde die Hochzeit gefeiert. Am Tag des heiligen Fronleichnam war es, und der Bischof von Blois, ein großer Freund des Herrn von Moncontour, vollzog die Zeremonie nach der Messe in der Schloßkapelle. Tanz und Bankettieren dauerten bis zum andern Morgen. Doch bevor noch die Mitternachtsglocke schlug, begleiteten die Jungfrauen des Festes die Neuvermählte nach dem bräutlichen Gemach, ganz wie es die landesüblichen Sitten vorschrieben, während die Männer dem Bräutigam mit tausend Scherzen und Neckereien zu Leibe gingen, der darüber nicht im geringsten errötete, zur größten Verwunderung dieser Haudegen und Höflinge, die nicht wußten, wie unwissend er war. Solchen Scherzen machte der alte Herr von Moncontour ein Ende, indem er den Sohn an seine Pflicht erinnerte. Und also begab sich der mönchische Bräutigam in die Kammer zu der Neuvermählten, die ihm schöner und lieblicher dünkte, als alle heiligen Madonnen auf italienischen, flämischen und andern gemalten Tafeln, zu deren Füßen er je seinen Rosenkranz gebetet. Um so verlegener machte ihn nun sein neues Amt eines Ehemannes, von dessen Obliegenheiten er keine Ahnung hatte, als daß er wußte, daß irgend etwas, und zwar bald zu geschehen habe. Aus Scham hatte er niemand zu fragen gewagt, nicht einmal seinen Vater.
»Du weißt, was du zu tun hast«, hatte dieser gesagt, »und also mach es gut!«
Vor ihm in dem Ehebett lag seine Braut, die ihm so unversehens beschert worden, zwischen den Tüchern, mit abgedrehtem Gesicht, aber voll Neugierde wie ein kleiner Teufel, also daß ihn manchmal ihr Blick streifte wie der Blitz einer Hellebarde.
›Ich bin ihm Gehorsam schuldig‹, sagte sich das Jungfräulein unter der Decke, und also wartete sie in ihrer Unwissenheit der Dinge und was das Begehren sei des jungen Edelmannes, der doch halb ein Mönch war und dem sie gehören sollte mit Leib und Seele. Der neugebackene Ritter und Edelmann näherte sich endlich dem Bette, kratzte sich hinter den Ohren und ließ sich dann, woran er gewöhnt war, auf die Knie nieder.
»Habt Ihr Euer Gebet schon gesprochen?« fragte er in einem Ton, als ob er ihr Beichtvater gewesen wäre.
»Aber nein, wahrhaftig«, antwortete sie, »ich habe es vergessen. Wollt Ihr mir vorbeten?«
Und also fingen die beiden Neuvermählten ihre Ehe damit an, daß sie gemeinsam zu Gott beteten. Das war wohlgetan; aber zum Unglück hörte und beantwortete der Teufel allein ihre Bitten. Der liebe Gott hatte damals zu viel mit den verfluchten Ketzern und Hugenotten zu tun.
»Wozu hat man Euch ermahnt?« fragte der Bräutigam.
»Euch zu lieben«, antwortete sie unschuldig.
»Mir hat man das nicht aufgegeben, aber ich liebe Euch mehr, als ich je Gott geliebt habe, so daß ich mich fast schäme.«
Diese Rede machte die Braut nicht unglücklich.
»Ich möchte wohl«, begann der Neuvermählte wieder, »mich ein wenig an Eure Seite legen, wenn es Euch nicht allzusehr belästigte.«
»Ich mache Euch gern Platz, denn Ihr seid ja nun mein Herr und Gemahl, wie man mir gesagt hat.«
»Gut«, sprach er, »so schaut ein wenig zur Seite, daß ich mich entkleide.«
Auf diese sittsamen Worte hin kehrte sich das Jungfräulein um nach der Wand und war in großer Neugierde, denn mit einem Manne so beisammen zu sein, daß nur noch ein Hemd sie von ihm trennte, war ihr noch nicht vorgekommen. Schlüpfte darauf der Klosterschüler sachte unter die Decke, so daß sie nun eng genug vereinigt waren und doch so weit als je von der Sache, die ich euch nicht näher zu nennen brauche.
Habt ihr aber einmal einen Affen beobachtet, der frisch von seiner überseeischen Heimat zu uns gekommen ist und dem jemand eine welsche Nuß zugeworfen hat, die noch fest in ihrer grünen Hülle stak? Ein solcher Affe ahnt aus angeborner Instinkthaftigkeit und Affenwissenschaft, daß hinter der bittren Schale etwas Süßes und Köstliches stecken muß, er wendet die Nuß hin und her, beriecht sie von allen Seiten, scheint sie zu behorchen, ob sie ihm nicht etwas sage, und was dergleichen affige Gewohnheiten mehr sind. Immer aufmerksamer studiert er sie, beschnüffelt und behorcht sie, tappt nach ihr, schlägt nach ihr, wirft sie in die Höhe, rollt sie am Boden, gerät endlich in Zorn und Ungeduld, und wenn er einer von den Dummen ist, ein Affe mit allzu kurzem Verstand, so kann es vorkommen, daß er die Nuß einfach liegenläßt. Also tat der jungfräulich mönchische Bräutigam, der, als nun der Tag zu den Fenstern hereinschaute, der geliebten Frau und Braut gestehen mußte, daß er keine Ahnung habe, was die Pflicht und das Werk sei, wovon ihm sein Vater gesprochen, noch wie und wo es zu beginnen und fortzusetzen; daß er sich aber erkundigen und um Hilfe und Beistand ausschauen wolle.
»Ja«, sagte sie, »Ihr müßt Euch wohl erkundigen, da ich zum Unglück nicht mehr weiß als Ihr.«
In der Tat waren ihre Versuche, Erfindungen, Einbildungen, Neugierigkeiten, kurz, die tausend Seltsamkeiten, auf die so zwei Neulinge verfallen können und wovon die Erfahrenen auf diesem Gebiet sich nichts träumen lassen, vergeblich und fruchtlos geblieben, worüber sie denn einschliefen, ohne das Rätsel der welschen Nuß gelöst zu haben.
Am andern Morgen aber kamen sie dahin überein, vor den Leuten so zu tun, als ob alles gewesen sei, wie es solle; und nachdem die Braut aufgestanden war, immer noch als Fräulein, da sie ja nicht gefraut oder gefreit worden, sprach sie jedermann prahlerisch von der schönen Brautnacht, rühmte, daß sie einen König von Gemahl habe, und fand in dem Geneck und Geplauder mit den andern Damen so kühne Reden und Gegenreden, wie nur eine imstande ist, die vom Zentner auch nicht ein Quentlein weiß. Und wahrlich, man fand dieses Jungfräulein ein wenig allzu rasch aufgetaut. Eine Dame aus La Roche-Corbon hatte aus Jux ein etwas dummes Fräulein, das auch nichts von der Sache wußte, angestiftet, die Neuvermählte zu fragen, wieviel Brote sich ihr Mann die Nacht über aus ihrem Ofen genommen, und ohne sich zu besinnen, hatte sie geantwortet »vierundzwanzig«. Und da nun überdies der Herr Bräutigam in Sorgen umherschlich und eine fast traurige Figur machte, was wiederum seiner jungen Frau sehr zu Herzen ging, die nur zu gut wußte, wo ihn der Schuh drückte, lächelten die andern heimlich ob der überlustigen Nacht und glaubten der Neuvermählten vom Gesicht die Reue abzulesen, weil sie ihrem Bräutigam zuviel zugemutet und ihn nun so elend sehen mußte.
Und dann beim hochzeitlichen Frühimbiß ging unter den Männern das Gestichel erst recht los und das Schwelgen in schlechten Witzen, wie sie damals im Geschmack der Zeit lagen und für geistreich galten. »Das ist eine offenherzige Neuvermählte«, sagte der eine. Der andere: »Diese Nacht scheint es gut Wetter gegeben zu haben im Schloß.« Der dritte: »Wie heiß es hier ist, die müssen die Nacht über gut eingekachelt haben.« Und wieder ein anderer: »Die guten Leute haben heut nacht etwas verloren, was sie in ihrem Leben nicht wiederfinden werden.« Einer suchte den andern zu übertrumpfen von diesen Haudegen und ausgelernten Höflingen, ohne daß, zu seinem Unglück, dem Neuvermählten eine Ahnung dämmerte, wo die Späße aus und ein wollten. Die andern aber waren nicht umsonst in so gutem Zug, die ganze zahlreiche Gesellschaft, die von allen Seiten zusammengeströmt war, hatte die ganze Nacht durchgetollt und, wie es bei so hochherrschaftlichen Hochzeiten Sitte war, getanzt, gespielt und bankettiert bis in den hellen Morgen hinein. Niemand war zu Bett gegangen zur größten Genugtuung des Herrn von Braguelongne, dem die Dame von Amboise, die nur immerfort an das Glück ihrer Tochter denken mußte, mit heißen Blicken und Zeichen vergeblich die süßesten Einladungen zukommen ließ. Der arme Polizeihauptmann, der es doch das ganze Jahr mit den Spitzbuben von Paris zu tun hatte und sich auf geheime Zeichensprache verstehen mußte, tat, als ob er nichts merkte, ließ die gute Dame zappeln und kümmerte sich den Teufel um ihre Aufmunterung.
Ihr müßt nämlich wissen, daß die Liebe dieser Herzogin anfing, ihm lästig zu fallen. Nur ein Gefühl für Gerechtigkeit band ihn noch an sie, da es nicht anging, daß ein Mann der hohen Polizei seine Geliebte wechselte wie ein Mann vom Hof. Als Wächter der Sitten, der Sicherheit und der Religion mußte er ein gutes Beispiel geben. Doch war er entschlossen, das Joch abzuschütteln, und wartete nur darauf, bis er sich schicklich aus der Schlinge ziehen konnte.
Am zweiten Tag verabschiedete sich die Mehrzahl der Gäste, die näheren Verwandten brauchten sich nun weniger Zwang anzutun, und schon bei der Abendmahlzeit erhielt der arme Polizeihauptmann teils mit Mund, teils mit Auge eine Aufforderung, auf die er nicht wie in seinen prozessualen Verfahren mit Aufschub und Terminverlegung antworten durfte.
Bereits vor dem Essen hatte die Dame von Amboise ihre ganze Kriegslist aufgewandt, um den guten Braguelongne aus dem Saal zu ziehen, wo er mit der Neuvermählten zusammensaß. Der Polizeihauptmann war aber wie festgeleimt. Statt seiner erhob sich der Bräutigam, um mit der Mutter seiner geliebten Frau sich ein Stündchen im Garten zu ergehen; denn in dem Gehirn dieses immer noch nicht ganz entmönchten Mönchleins war ganz plötzlich, wie ein Pilz in der Nacht, ein rettender Gedanke aufgeschossen, nämlich der: diese gute Dame, die er für ein Muster der Sittsamkeit hielt, um Rat und Beistand anzugehen in seiner vertrackten Lage. Er erinnerte sich der weisen Lehren seines Abtes, der ihn stets ermahnt hatte, sich in allen Zweifeln an ältere und erfahrene Leute zu wenden, die das Leben kennen. Aber er war so schüchtern und verschämt, daß er wohl ein halbes dutzendmal in der Galerie auf und ab wandelte, ohne ein Wort hervorzubringen. Auch die Dame schwieg hartnäckig. Sie kochte innerlich vor Wut über die gespielte Blindheit, Taubheit und Lahmheit des Herrn von Braguelongne; und indem sie an der Seite dieses wunderlichen Junggesellen wandelte und sich nicht denken konnte, daß der galante Kater an ihrer Seite nach ranzigem Speck lüstern sein könnte, während er mit frischem wohlversehen war, verbohrte sie sich innerlich immer tiefer in ihren Groll.
›Dieser Hannepampel‹, sagte sie in sich hinein, ›dieser Zottelbart, dieser alte, graue, zerzauste, zerknitterte Bart, dieser Dummerian von Bart, dieser Bart ohne Scham und Respekt vor der Frau, dieser hängende Schnauzbart, der so tut, als ob er nicht höre, nicht sehe, nicht verstehe, dieser niederträchtige, niederschlächtige, dieser schimmelige Bart! Möcht er doch die französischen Pocken kriegen, der Lumpenkerl, dieser Kerl mit seiner grüngelben Nase, mit seiner unsaubern Nase, mit seiner kalten, welken, runzligen Nase, mit seiner Nase ohne Tugend und Religion, mit seiner hundsschnauzigen Nase, mit seiner Nase, die längst den Geist aufgegeben hat, die nur noch der Schatten von einer Nase ist, die zusammengeschnurrt ist wie ein dürres Weinlaub, mit dieser Nase, die ich hasse, dieser alten Nase, dieser windbeuteligen Nase, dieser Totennase! Wo hab ich nur meine Augen gehabt, mich an diese Knollennase, diese Kartoffelnase zu hängen ... an diesen alten, eingerosteten Riegel, der seine Öse nicht mehr findet. Mag sie doch zum Teufel fahren, diese alte ehrlose Nase, dieser Bart ohne Kraft und Saft, dieses alte graue Haupt, dieses Nußknackergesicht, dieser Pinsel von einem Menschen, dieser Lumpensäckel, dieser – ich weiß nicht was. Ich will mir einen jungen Mann nehmen, der mich liebt, sehr liebt, der mich alle Tage liebt und zu jeder Stunde, der mich ...‹
Bei diesem weisheitsvollen Gedanken war sie angekommen, als der gelbschnäblige Nestling an ihrer Seite sich endlich ermannte, ihr sein kurioses Liedlein zu pfeifen. Das war Musik für ihre gekitzelten Ohren, und sie wurde Feuer und Flamme, sobald sie begriff, welches der Text sei zu seinen seltsamen Glossen. Ein alter mürber Zunder auf dem Feuerschloß eines Landsknechts kann sich nicht rascher entzünden. Aber sie hielt es für klug, ihrem Herrn Schwiegersohn nicht sofort zu antworten.
›O Bart voll duftender Wohlgerüche‹, sagte sie sich in ihrem Innern, ›du frischer, blühender jungfräulicher Bart, du flügge gewordener Nestlingsbart, du Milchbart, du Erstlingsbart, du Frühlingsgewächs ... du Nase voll Stolz und Kraft, du goldene Gelbschnabelnase, du Liebtrost, du Liebreiz von einer Nase.‹
Sie hatte Zeit, ihre Litanei noch lange fortzusetzen; denn durch den ganzen Garten hin und zurück hielt sie den Jüngling in Hangen und Bangen. Zuletzt machte sie mit ihm aus, daß er in der Nacht, sobald es anginge, seine Schlafkammer verlassen und zu der ihrigen hinaufsteigen solle, dann wolle sie ihn unterrichten, daß er gelehrter sein werde als sein Vater, wenn er sie verlasse. Der mönchische Ehegemahl war ganz glücklich über diesen Bescheid, er bedankte sich bei der Dame von Amboise, und indem er sie bat, niemand etwas von dem Handel zu verraten, nahm er Urlaub von ihr.
Auch der gute alte Braguelongne hatte sich unterdessen seinem Unmut überlassen.
›Verfluchte alte Schachtel‹, hatte er in sich hineingebrummt, ›daß du doch den blauen Husten kriegtest, du altes Reibeisen, du zahnloser Striegel, du alter Pantoffel, du Schlappen, der an keinem Fuß mehr hält, du alte getrocknete Flunder, du ekle Spinne, du greuliche Kreuzspinne, du Totenkopf mit sehenden Augen, du Schaukelstuhl des Satans, du alte Nachtwächterlaterne, so alt, daß du Unglück bringst, wem du über den Weg läufst, du alte Vettel mit grauem Schnurrbart, du bist so alt, daß der Tod sich vor dir fürchtet, du alte Kirchenschwelle, über die tausend Knie gerutscht sind, du ausgeleiertes Futteral, du alter Opferstock, wo zwei Generationen ihr Scherflein niedergelegt haben. Was würde ich nicht darum geben, wenn ich loskommen könnte von dir.‹
In solchen zärtlichen Gedanken unterbrach ihn die schöne Neuvermählte, der es keine Ruhe ließ, ihren jungen Gemahl in Sorgen zu wissen wegen seiner Unwissenheit in Sachen des Ehebetts. Und selber nicht ahnend, worum es sich handelte, dachte sie vielleicht ein Unglück zu verhüten und doch dem Geliebten eine große Beschämung zu ersparen, wenn sie sich selber unterrichtete, um ihn in der nächsten Nacht mit ihrer neuen Weisheit zu überraschen, wobei sie sich vorstellte, was er für ein verwundertes Gesicht machen werde, wenn sie ihm sagte: ›Nun gib acht, ich will dir's zeigen.‹ Von ihrer guten Großmama, der Altherrin von Chaumont, war ihr nichts so sehr in die Seele gepflanzt worden als die Ehrfurcht vor dem Alter. Und also hatte sie den Entschluß gefaßt, dem guten, alten, höflichen Polizeihauptmann ein wenig um den grauen Bart zu gehen und ihm ganz unvermerkt abzuschmeicheln, was sie wissen wollte. Und da war denn der Herr von Braguelongne doch fast beschämt darüber, daß er in seinem Ingrimm des geleimten Liebhabers die junge schöne Braut unartigerweise gar nicht beachtet, ihr nicht ein einziges verbindliches Wort gesagt hatte. Er wollte darum rasch das Versäumte nachholen.
»Ihr müßt recht glücklich sein«, sagte er, »mit einem so jungen und tugendhaften Ehegemahl.«
»Ja, er ist sehr tugendhaft.«
»Zu sehr vielleicht?«
Der Hauptmann lächelte.
Kurz, das Gespräch einmal eingefädelt, konnte es nicht lange dauern, daß der Hauptmann merkte, wo der Has im Pfeffer lag. Er weigerte sich auch nicht im geringsten, dem jungen Ding den Verstand aufzuschließen, die gewünschte Lektion zu geben, wenn sie ihn auf seiner Kammer aufsuchen wollte, sobald es ihr möglich wäre, sich unvermerkt von ihrem Gemahl wegzustehlen, was ihm die hübsche Frau mit vielem Dank zusagte. Auf die liebliche Musik aber, die ihm die gute Dame von Amboise nach dem Essen zugedacht hatte, hätte der Polizeihauptmann am liebsten verzichtet. Diese Melodie, in höchster Stimmlage vorgetragen, war nicht nach seinem Geschmack. Wie ein Mensch nur so undankbar sein könne, hieß es da, alles verdanke er ihr, sein Amt, sein Einkommen, die Treue eines liebenden Herzens et cetera. Eine Stunde hatte sie schon gesprochen und hatte noch nicht den vierten Teil ihres Zorns über ihn ausgeschüttet. Wie mit tausend Dolchen traf ihn ihre Zunge.
Unterdessen waren die Neuvermählten zusammen zu Bette gegangen, und ein jedes von ihnen dachte heimlich, wie es loskommen könne, um dem andern nachher eine Freude zu machen. Der Herr Gemahl kam zuerst zu einem Entschluß. Er sagte, daß es ihn heute nicht leiden wolle im Bett und daß er das Bedürfnis fühle, sich noch ein wenig in der frischen Luft zu ergehen. Die jungfräuliche Frau bestärkte ihn lebhaft in seinem Vorhaben. Er, seinerseits, konnte nicht genug bedauern, sein liebes Weibchen einen Augenblick allein zu lassen. Kurz, die beiden schlichen sich, eins nach dem andern, aus dem warmen ehelichen Bett und eilten, eins ungeduldiger als das andere, zu ihren Lehrern in der so heiß ersehnten Wissenschaft. Sie erhielten beide guten Unterricht. In welcher Methode? Das wüßte ich nicht zu sagen. Denn jeder Meister hat seine besondere geheime Praxis, und diese Kunst hat weniger feste Prinzipien als irgendeine. Ihr werdet aber glauben, daß nie ein Schüler die Regeln der Grammatik lebhafter erfaßt und schneller begriffen hat. Und so schnell als möglich kamen die Gatten in ihr Nest zurück, und wie alle Neulinge der Wissenschaft brannten sie vor Ungeduld, das kaum Erlernte auch schon zu lehren.
»Oh, mein Freund«, sagte die Neuvermählte, »du weißt schon mehr als mein Meister.«
Seit dieser Nacht lebten die beiden in ungetrübtem Glück und vollkommener ehelicher Treue, worüber sich niemand verwundern wird, da sie zuvor an andern, die doch ihre Meister sein wollten, viel Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit gefunden hatten und also keine Lust verspürten zu neuen Versuchen, sondern ein für allemal überzeugt blieben, daß das Brot nirgend so wohlschmeckend sei als im eigenen Hause, weswegen der Herr von Moncontour in seinem Alter zu sagen pflegte:
»Macht es wie ich, laßt euch lieber in euern Apfel beißen, wenn er noch grün, als wenn er mürb ist.«
Oder gefällt sie euch nicht, diese Ehestandsmoral?