Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Zweiter Band
Berthold Auerbach

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Elftes Kapitel.

Der Karneval am Hofe war diesmal still; man hatte indes schon im voraus sein gut Teil Festlichkeiten eingeheimst.

Die Königin war krank.

Die Gemütsbewegungen der letzten Wochen hatten ihre Kraft erschüttert. Man fürchtete für ihr Leben.

Irma kam selten zu Walpurga. Sie war meist in den Gemächern der Königin, und wenn sie kam, sah sie bleich und abgehärmt aus.

Walpurga spann ruhig weiter und das Kind an ihrer Brust gedieh.

»O, wie wahr hat unsre gute Königin gesprochen. Gott Lob und Dank, hat sie einmal zum Prinzen gesagt, Gott Lob und Dank, daß du gesund und los von mir bist, mein Kind; du lebst jetzt für dich allein fort. Ja, sie hat allem ins innerste Herz hineingesehen, und ich meine, sie wäre zu gut für diese Welt. Meine Mutter hat's tausendmal gesagt: Menschen, die gar so arg gut sind und nicht einmal so rechtschaffen zornig und bös werden können und um sich hauen, die holt unser Herrgott bald zu sich. Ach, wenn ich nur meinen Prinzen mit heimnehmen könnte! Jetzt kommt bald das Frühjahr. Du lieber Gott, wenn er da seine Mutter verlieren sollte und mich dazu –«

So klagte Walpurga zu Mamsell Kramer, und diese hatte schwere Mühe, sie zu trösten.

Baum wußte es einzurichten, daß er immer etwas in den Gemächern des Kronprinzen zu bestellen und herzurichten hatte. Er war nicht mehr zudringlich gegen Walpurga, er zeigte sich ihr nur sehr dankbar und gefällig. Er mußte ihre Teilnahme gewinnen, das ist mehr wert, als alles andre. Als nun Walpurga auch ihm klagte, fragte er:

»Mein' ich's gut mit dir?«

»Ja, das kann ich nicht anders sagen,« entgegnete Walpurga.

»So merk auf, was ich dir sage: Es gibt nichts Langweiligeres, Kargeres und Geizigeres, als so eine einfältige gute Ehe, was man so eine gute Ehe heißt. Was hat man denn davon? Seinen Lohn und einmal ein Trinkgeld von einer fremden Herrschaft und ein paar Flaschen Wein, die man stipitzen kann. Zu Zeiten der Baronin von Steigeneck war's anders, da sind die Kammerdiener und alles, was um sie gewesen, reich geworden und haben Häuser in der Stadt und Hypotheken und Rittergüter. Nun, Gottlob, jetzt wird's auch wieder anders.«

»Ich weiß nicht, was du meinst,« sagte Walpurga.

»Ich wollte,« entgegnete Baum, »ich wäre nur eine Stunde lang an deiner Stelle; auf dich hält sie ja am meisten, und bei dir haben sie sich ja verständigt, und wenn du willst, kannst du Geld genug und ein Gut mit Wald und Feld und Wiesen haben. Für mich bitte ich dich nur um die Stelle als Kastellan auf der Sommerburg.«

»Ich soll das alles können? Bei wem denn und wie denn?«

»O du – ,« lachte Baum. »Merkst denn nichts? Hast denn keine Augen im Kopf? Wenn die Königin stirbt, heiratet der König deine Gräfin, sie ist eine reichsfreie Gräfin und kann jeden König heiraten; und wenn die Königin nicht stirbt, ist's auch gut.«

»Ich möchte dir die Faust ins Gesicht schlagen, weil du so was sagst, und da gehst du nachher wieder hin und machst einen Katzenbuckel? Wie kannst du so etwas sagen?«

»Wenn's aber wahr ist?«

»Es ist aber nicht wahr!«

»Wenn's aber doch wäre?«

»Es kann nicht sein!«

»Und ich sag' dir, es ist!«

»Und wenn's wäre – o verzeih', gute Gräfin, aber ich denk's ja nicht, der da sagt's nur, und wenn's wäre, ehe thäte ich meinen Mund auf einen Stein aufschlagen, eh' ich um einen Sündenlohn bitten möcht'. Du bist aber schlecht, und wenn du noch einmal so was sagst, geb' ich dich an, verlaß dich drauf!«

Baum that, als ob er nur Spaß gemacht, aber Walpurga wollte darin auch keinen Spaß verstehen, und er war froh, als sie ihm endlich versprach, wenigstens still zu sein, und schließlich braucht er keinen Vermittler, er wird schon für sich selbst sorgen ...

Die Zimmer der Gräfin Irma waren gerade unter denen des Kronprinzen und Walpurgas, nur durch den Boden getrennt. Hier unten ging während dessen eine Scene ganz andrer Art vor.

Bruno saß bei seiner Schwester und sagte:

»Das ist ein Malheur, und ich kann dir leider nicht verhehlen, daß du daran schuld bist: Mutter Sylphe ist mir auf den Hals gekommen und geniert mich entsetzlich.«

»Wer denn?«

»Meine Schwiegermutter ist da und hat mir lachenden Mundes zu verstehen gegeben: Da meine Schwester ... so könnte sie nun auch hier sein.«

Irma bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen.

»So glaubst auch du?« »Was liegt dir an meinem Glauben? Man spricht davon. Das ist genug.«

»Das ist nicht genug. Ich werde die Menschen lehren anders zu sprechen.«

»Gut, geh von Haus zu Haus, von Frau zu Frau, von Mann zu Mann und sage ihnen, sie sollen anders denken. Aber es gibt ein Mittel, wie du das kannst – darf ich's nennen?«

Irma nickte schweigend.

»Der Intendant hat, ich weiß das, im vorigen Sommer offen um deine Hand geworben. Es wird ihm eine Ehre sein, dich seine Frau zu nennen. Entschließe dich!«

Ein Diener trat ein und meldete den Intendanten.

»Wunderbares Zusammentreffen! Entschließe dich schnell!«

Der Intendant erschien. Bruno begrüßte ihn mit besonderer Vertraulichkeit. Auch Irma war freundlich.

Nach einer Weile entfernte sich Bruno. Der Intendant überreichte Irma ein Bühnenmanuskript und bat, es zu lesen, um ihr Urteil darüber abzugeben. Sie empfing es dankend und legte es auf einen Tisch.

»Ach, wenn der Frühling kommt, will ich gar nichts mehr vom Theater hören. Unser Theater ist eine Winterpflanze.«

»Das Stück ist auch für die nächste Wintersaison.«

»Ich kann nicht sagen, wie ich mich auf den Sommer freue, wenn alles so kahl und öde ist, glaubt man gar nicht, daß einmal die Sonne schien und die Bäume grünten und der See blinkte. Denken Sie an den sonnenduftigen Tag, als wir uns im vorigen Sommer auf dem See trafen?«

»O, wohl denke ich dran.«

Es trat eine längere Pause ein.

Irma wartete auf eine weitere Rede des Intendanten, aber er schwieg und man hörte nichts, als das Klettern des Papageis im Käfig und wie er, jetzt seinen Schnabel in das goldene Gitter einhackend, in sich hinein knurrte.

»Ich sehne mich danach,« begann Irma wieder, »im Sommer meine Freundin Emmy zu besuchen, ich will mich in Einsamkeit baden. Dieser Winter war doch zu lärmend und unruhvoll.«

»Ja, und dazu die Krankheit der Königin.«

Der Papagei zerrte am goldenen Gitter und Irma lockerte etwas das rote Sammetband an ihrem Morgenkleid. »Werden Sie wieder nach dem See gehen?« stieß Irma bebend heraus.

»Nein, teure Gräfin. Ich werde die deutschen Theater besuchen, um einen zweiten Baß, vor allem aber einen jugendlichen Liebhaber zu engagieren. Sie glauben gar nicht, welch ein Mangel an jugendlichen Liebhabern in der deutschen Welt ist.«

Irma lachte hell, aber alles Blut stieg ihr zu Kopfe, sie meinte, sie müsse umsinken.

Der Diener meldete die Baronin Steigeneck.

»Ich bin nicht zu Hause,« erwiderte Irma rasch. »Bleiben Sie noch einen Augenblick,« sagte sie zum Intendanten.

Der Intendant blieb noch eine Weile, sprach von dem Manuskript, das auf dem Tische lag, und erklärte, daß die rotangestrichenen Stellen Kürzungen bedeuten. Irma versprach, das Stück zu lesen, sie dankte für die gute Meinung, die er von ihrem Urteile habe, und sprach in der gleichgültigsten Weise, bis er ging. Als aber der Intendant fort war, warf sie sich aufs Sofa und weinte lange und bitterlich. Ihr schöner Leib zuckte auf und nieder im heftigen Weinen. Sie blickte verwirrt umher, wie aus der leeren Luft hatte es zu ihr gesprochen: Du wolltest ... Ist das der notwendige Weg dessen, der von der geraden Straße abging, daß er in den Sumpf der Selbsterniedrigung gerate? ... Plötzlich erhob sie sich, schüttelte kühn das Haupt und strich sich die Locken aus dem Gesicht; ihre Lippen schwellten sich und sie befahl, daß man anspanne. Sie wollte nach der Werkstatt des Bildhauers fahren, um dort zu arbeiten. Der Diener meldete den Oberst v. Bronnen. »Ist willkommen,« nickte Irma. Der Oberst trat ein. Irma entschuldigte, daß sie ihn im Hute empfange; sie wollte eben ausfahren.

»So will ich ein andermal kommen, gnädige Gräfin, und heute nur meine Grüße bestellen.«

»Grüße?«

»Ja, von Ihrem Herrn Vater.«

»Von meinem Vater? Wo haben Sie ihn gesprochen.«

»Auf Wildenort.«

»Sie waren dort?«

»Ja. Ich hatte in Ihrer Heimat etwas zu besorgen und da führte ich mich ohne weitere Empfehlung selbst bei Ihrem Herrn Vater ein. Ich durfte sagen, daß ich zu Ihren näheren Freunden gehöre, liebe Gräfin.«

»Und wie lebt mein Vater?«

»Wie der Vater einer solchen Tochter leben muß.«

»Einer solchen Tochter?« –

»Bitte, werteste Gräfin, Sie sind in Eile und ich selber – ich bin noch ganz voll von dem hohen Werte dieses Mannes und mochte gern, daß wir beiderseits in Ruhe –«

»Ich bin's. Bitte, haben Sie einen Auftrag?«

»Nein. Ich glaube erst jetzt, Sie, liebe Gräfin, recht zu verstehen. – O, Gräfin, was für ein Mann ist das, Ihr Herr Vater!«

Irma schaute betroffen um – es war ihr, als ob sie plötzlich Appiani von Odoardo sprechen höre.

Der Oberst fuhr ruhig fort:

»Gnädige Gräfin, ich bin kein schwärmerischer Jüngling, aber in den Stunden, da ich Ihrem Herrn Vater nahe sein durfte, erweckte sein Geisteshauch das erhöhte Dasein wieder, das man einst schaffen zu können hoffte. Es gibt keine schöne Gemeinschaft, wo man nicht sich selbst auch wohlwollend betrachtet weiß. Ich darf sagen, daß mir das Glück geworden, mir die Wohlmeinung Ihres Herrn Vaters zu gewinnen.«

»Sie verdienen es vollkommen! Erlauben Sie, daß ich meinen Hut ablege; setzen Sie sich, erzählen Sie mir mehr von meinem Vater!«

Sie that den Hut ab, sie sah schön aus, hocherregt.

Sie klingelte und ließ den Wagen wieder abbestellen.

Der Oberst setzte sich.

»Nun erzählen Sie!« sagte Irma, die Locken zurückwerfend; ihr Antlitz war heiter gespannt.

»Wenn ich Ihnen sage,« erwiderte Bronnen stockend, »daß ich hohe Stunden gelebt, aber nichts Bestimmtes zu erzählen weiß, so werden Sie, gerade Sie das verstehen. Wenn man beim wonnigen Schweifen durch den Wald sich einen Zweig auf den Hut steckt, was kann der abgebrochene Zweig sagen von Waldesrauschen und freiem Bergesatem? Er gibt nur ein Zeichen uns und den Begegnenden, warum unser ganzes Wesen so froh gespannt ist.«

»Ich verstehe,« sagte Irma.

Geraume Zeit saßen die beiden einander still gegenüber.

»Hat mein Vater auch von meinem Bruder gesprochen?«

»Nein. Das Wort Sohn kam nicht über seine Lippen. O, Gräfin! Es ist beseligende Wiedergeburt des Menschen, daß es ihm gegeben sein kann, in freier Liebe Sohn zu werden – –«

Der Atem des stattlichen Mannes ging schwer. Irma durchzuckte es, ihr Herz pochte schnell. Da ist ein hoch angesehener edler Mann, er bietet ihr Herz und Hand, ja auch das Herz, und – sie hat ihm keines dafür zu geben. Sie fühlte in stechender Pein, wie es sich in ihr zusammenkrampft.

»Ich bin glücklich,« sagte sie, »ich bin glücklich ... für meinen Vater, daß er in seiner Vereinsamung doch wieder gesehen hat, in der bewegten Hofwelt leben würdige, alles Beste in sich darstellende Männer, wie Sie. – Bitte, nehmen Sie meine herzliche Meinung ohne Ablehnung an; ich weiß, das Echte ist immer bescheiden, weil es sich nie selbst genügt.«

»Ganz dasselbe hat Ihr Herr Vater gesagt, denselben Gedanken mit denselben Worten.«

»Ich glaube, ich habe diese Erkenntnis auch von ihm, wenigstens habe ich sie an ihm gelernt. Ich hätte Sie beide beisammen sehen mögen. Ihre Anwesenheit muß ihm wieder Glauben an die Menschen gegeben haben. Sie sind ein guter Bote, und weil Sie selbst so gut sind, glauben Sie auch das Gute.«

»Wo ich einmal geachtet und geliebt habe,« entgegnete Bronnen, »bleibe ich unerschütterlich. Ich möchte Ihrem Herrn Vater bald schreiben. Liebe Gräfin, ich möchte ihm gern das Beste und mit dem besten Worte schreiben, das die Sprache hat – Gräfin Irma, ich möchte ihm sagen ...«

»Mein lieber Freund« – fiel Irma ein – »ich bin eine einsame Natur, wie mein Vater. Ich danke Ihnen. Sie wissen nicht, wie wohl mir Ihr Kommen gethan und alles, was Sie mir gesagt haben. Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen herzlich! Wir bleiben Freunde. Geben Sie mir Ihre Hand. Wir bleiben Freunde, ganz so, wie wir es waren. Ich danke Ihnen.« –

Ihre Stimme stockte vor Thränen.

Der Oberst empfahl sich. Irma war allein. Sie lag auf dem Boden knieend am Sofa. Durch ihre Seele zog Unsagbares. Der Geck hat sie verworfen. – Hier kam ein Mann, würdig des besten Weibes, er vertraute ihr, er liebte sie und – sie hat ihn abgelehnt. Dies redliche und gute Herz hat das Recht auf volle unbegrenzte Liebe.

Aus Beschämung und Zerrissenheit lebte sie neu auf. Wie kühlender Tau wollte es sich auf ihre Stirn legen im Gedanken, daß sie einfach ehrlich gehandelt. Aber in alles fiel wieder ein bitterer Tropfen: wie weit ist es mit dir gekommen, daß du aus der einfachen Ehrlichkeit dir einen Schmuck machen mußt? Und der Mann, der nun verschmäht allein ist – wo ist ein Mädchen, das, wenn es nicht durch Liebe gebunden, ihn verschmähen darf? Er muß dich und deine Liebe achten .....

Sie wußte nicht, wie lange sie so gelegen; sie lachte und weinte, sie trauerte und jubelte ....

Die Kammerfrau trat ein. Es war Zeit, sich zur Tafel anzukleiden.


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