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In den Tagen und Nächten von Weihnachten bis Neujahr geschehen noch immer Wunder. Die nüchternen Menschen behaupten, daß das Feenreich verschwunden sei. Es ist noch da.
In einem weitläufigen Hintergebäude der Königsstraße stehen stumme Gesellen und legen geheimnisvolle Keile zusammen und die Keile werden einem ruhenden Ungeheuer übergeben, das sich plötzlich bewegt, knarrt, ächzt und keucht und da drin werden Hunderte von Menschen neu geschaffen – mit einem Wort! in der Hofbuchdruckerei wird das Regierungsblatt gedruckt, das Beförderung und Dekorierung von hundert und aber hundert Menschen zu Neujahr verkündet.
Was ist für die meisten Sterblichen der Neujahrstag? Erinnerung, Vorsätze, Nachdenken über Vergänglichkeit des Daseins, Freude über das, was noch geblieben, aber aus allem heraus doch wieder nur gleichmäßige Fortsetzung des Lebens von gestern.
Wie ganz anders für diejenigen, deren Bedeutung vornehmlich in ihrer Anstellung besteht, die zu etwas andrem, als was sie heute sind, gemacht werden können.
Das Regierungsblatt mit seinen Neujahrsbescherungen erschien. Auch der Königin war eine Freude zu teil. Ihr Englischlehrer, den sie als Kabinettssekretär aus der Heimat mitgebracht, ein würdiger und edelgesinnter Mann bei Jahren, erhielt den Titel Hofrat und ward dadurch in die entsprechende gesellschaftliche Stellung der Hoffähigkeit gesetzt.
Von allen Beförderungen erregte aber keine so viel Aufsehen am Hofe und in der Residenz, wie die Ernennung des sogenannten Salontirolers zum Generalintendanten der königlichen Schauspiele. Und er selber war am meisten überrascht. Er hatte zwar damals, als er mit Irma in der französischen Komödie spielte, großen Beifall geerntet, aber solchen Erfolg konnte er doch nicht erwarten. Er rieb sich die Augen, als er die Ernennung las. Ist das ein gnädiger Scherz? Er gibt sich gern zu allem her, aber doch nur im kleinen Kreise, nicht so vor aller Welt. Es war kein Scherz, sondern volle Wahrheit; denn da standen ja daneben Beförderungen und Ernennungen von so viel ausgezeichneten Männern in ernsten Stellungen.
Es ist Wahrheit, schöne Wirklichkeit.
In der Stadt hieß es allgemein, und man lächelte verständnisreich dazu, der Salontiroler sei zu dieser hohen Stellung ernannt worden, um der Gräfin Irma, die er heiraten werde, einen entsprechenden Rang zu geben; noch Boshaftere dagegen wollten behaupten, daß man gern dem wackeren Hofnarren diese Stellung gebe, da das ganze Theaterwesen bei Hofe als eine Art herkömmlicher Narretei und bloß äußerlicher Unterhaltung angesehen werde.
Der Baron Schöning oder – wie er jetzt doch genannt werden muß – der Intendant, empfing die Besuche seiner Unterbeamten mit vieler Würde, dann fuhr er nach dem Schlosse. Sein Weg ging hier an den Gemächern der Gräfin Irma vorüber. Er ließ sich melden.
Irma empfing ihn freundlich und beglückwünschte ihn herzlich. Er gab zu verstehen, wie er wohl wisse, daß er einen wesentlichen Teil seiner Erhöhung der Gräfin verdanke. Sie that, als ob sie ihn nicht verstehe, da er mit vieler Emphase darauf hinwies, daß eine Frau von gutem Geschmack und echtem Kunstsinn ihn am meisten in seinem neuen Beruf fördern und lenken könne. Irma ging auch hierauf nur mit leichter Ablenkung ein. Sie war heute sehr zerstreut; sie schaute oft aus den Parterrefenstern ihres Salons hinaus in den Park, wo jetzt – der Schnee war fast geschmolzen – die marmornen Statuen der Götter und Göttinnen ihre Winterhüllen abgeworfen und wieder frei standen: ihrem Fenster zunächst, im Profil sichtbar, stand die Venus von Milo.
»Verzeihen Sie,« sagte sie endlich, sich aus ihrer Zerstreuung erhebend, »ich freue mich auf Ihre Kunsterneuerung und werde gern mit Ihnen darüber sprechen. Vor allem bitte ich, führen Sie die Musik beim Schauspiel wieder ein, wenn auch nicht immer Zwischenaktsmusik, doch jedenfalls etwas Musik vor dem Anfang.«
»Die Musiker sind dagegen –«
»Ich weiß, jede Kunst will jetzt isoliert und selbständig sein und nicht der gesamten dienen. Ein Schauspiel ohne Musik ist ein Mahl ohne Wein. Wenn die Menschen ein großes Drama sehen, ohne vorher durch die weihenden Tonwellen der Musik gegangen zu sein, kommen sie mir so unheilig, so ungereinigt vor; die Musik wäscht ihnen den Alltagsstaub von der Seele und sagt jedem: du bist wo anders als in deiner Kanzlei, in deiner Kaserne, in deiner Werkstatt. Wenn es sich befehlen ließe, ich würde den Theaterbesuchern ein Kostüm vorschreiben und sie sollen auch geistig unbedeckten Hauptes, ehrerbietig erscheinen. Aber freilich, ich ließe auch nur höchstens jede Woche einmal Theater spielen.«
»Mit der Musik haben Sie vollkommen recht,« warf der Intendant auf die hastig hervorsprudelnden Worte Irmas ein. »Wenn Sie sonst noch praktische Wünsche, gnädige Gräfin« ...
»Später. Jetzt weiß ich nichts. Jetzt liegt mir der kostümierte Ball, der nächste Woche stattfinden soll, am meisten im Sinn.«
Dieser Ball sollte im Schlosse und dem angrenzenden Wintergarten gegeben werden. Der Intendant war glücklich, daß Irma mit seinem Plan übereinstimmte. Er wollte am Ende des Wintergartens einen großen Brunnen mit antiken Gruppen aufstellen, vor dem Brunnen Bäume, Sträucher und Felsen anbringen, so daß man nicht nahe hinzutreten könnte, und im Hintergrund eine im großen Stil gemalte griechische Landschaft,
Irma versprach, sein Geheimnis zu bewahren; plötzlich aber brach sie in die Worte aus! »Wir sind doch allesamt Lakaien und Küchenmädchen. Wir brodeln und braten, schmoren und kochen wochenlang, um ein Gericht herzustellen, das den Herrschaften gut schmeckt.«
Der Intendant schwieg auf diese Bemerkung.
»Sie erinnern sich,« fuhr Irma fort, »daß wir einmal am See davon sprachen, wie der Vorzug des Menschen darin besteht, daß er sich immer anders kleiden und dadurch immer anders erscheinen kann. Schon als Kind war es meine größte Lust, mich zu maskieren. Die kaum flügge Seele beginnt schon die Seelenwanderung. Solch ein kostümierter Ball ist in der That eine der höchsten Kulturblüten, und das Kokettierende, das in jedem steckt, zeigt sich da einmal ehrlich.«
Der Intendant empfahl sich, und im Weggehen beschäftigten ihn wieder seine alten Gedanken über Irma.
Nein, sagte er sich, das ist eine anstrengende Frau, die will, daß man vom Morgen bis zum Abend immer geistreich und aufgeräumt sei. Nein, das ist eine anstrengende, wiederholte er fast laut.
Niemand wußte, in welcher Gestalt Irma erscheinen werde. Man vermutete, als Viktoria; es war ja bekannt, daß sie zu der für das Zeughaus bestimmten Figur Modell gewesen. Man rätselte nur noch darüber, wie sie es machen könne, die Viktoria mit Bewahrung der notwendigen Gesellschaftsform darzustellen.
Irma war viel in der Werkstatt und arbeitete fleißig. Eine Unruhe, wie sie solche nicht einmal vor Jahren, als sie den ersten Ball besuchte, gekannt hatte, verließ sie nicht. Sie konnte sich gar nicht dreinfinden, daß man ein Fest so lange vorbereite: gleich in der nächsten Stunde müsse es abgespielt werden, damit man sofort wieder andres beginne. Nur nicht dies lange Warten und Harren. Sie beneidete fast die Menschen, denen das Zubereiten einer Lustbarkeit die eigentlich beste Freude ist. Nur die Arbeit verscheuchte ihre Unruhe, sie hatte etwas zu thun: der Gedanke an das Fest war dadurch nicht die Beschäftigung der Tage, sondern ein fröhlicher Feierabend, ein Freudenlohn.
In der Werkstatt stand die in Stein vollendete Statue der Viktoria. Hohe Doppelleitern waren daneben aufgestellt; der Künstler meißelte noch an der Figur, kam bald rasch die Leiter herab, um die Gesamtwirkung zu überschauen und eilte wieder hinauf, um einen einzelnen Zug schärfer herauszuarbeiten. Irma wagte kaum aufzuschauen, wie sie dastand im griechischen Gewande, verwandelt und doch sie selbst. Ein banger Freudenschauer durchrieselte sie, ihre eigene Erscheinung so übersetzt und in der reinsten Kunstform vor Augen zu sehen.
Es war an einem Wintermittag. Irma arbeitete an einer Kopie der Theseusbüste mit besonderem Eifer, denn der frühe Abend mußte bald hereinbrechen. Nicht weit von ihr stand die vom Meister vollendete Marmorbüste des Leibarztes. Es war still in der Werkstatt, nur manchmal hörte man leises Picken und Kratzen des Meißels. Jetzt kam der Meister von der Leiter herab und sagte tief aufatmend:
»Nun genug, fertig wird man doch nie, nun keinen Meißelstoß mehr an der Figur! Ich fürchte, durch Nachmeißeln nur noch verderben zu können. Fertig soll's sein.«
Es war eine Mischung von Kampf und Friede in Wort und Miene des Meisters. Er legte den Meißel weg. Irma sah ihn mit einem großen Blick an und sagte:
»Sie sind ein glücklicher Mann, aber ich kann mir's wohl denken, daß Sie auch jetzt noch nicht befriedigt sind. Ich glaube, daß selbst Raphael und Michel Angelo nie von einem vollendeten Werke vollkommen befriedigt waren. Der Rest der Unbefriedigung, den jeder Künstler bei Vollendung eines Werkes empfindet, bildet den Keim für ein neues Werk.«
Beruhigt nickte der Meister. Sein Auge strahlte. Er drehte den Hahn an der Wasserleitung und wusch sich die Hände. Dann stand er bei Irma und schaute ihr zu, indem er davon sprach, wie sich mit jeder Arbeit ein Stück Leben von der Seele des Künstlers ablöst; wie die Figur jetzt hier gesehen wird, so wird sie nie mehr betrachtet: in der Ferne und in der dekorativen Bestimmung verschwindet die Sorgfalt der Einzelarbeit; aber das Beste macht der Künstler für sich selbst, zu eigenem Genügen, und doch kann niemand bestimmen, wie die ehrliche Ausführung des Details auf die Gesamterscheinung wirkt.
Während der Meister noch sprach, wurde der König gemeldet. Irma breitete schnell das nasse Tuch über ihre Thonfigur.
Der König trat ein. Er war allein und bat, daß sich Irma in ihrer Arbeit nicht stören lassen möge. Ohne umzuschauen arbeitete sie weiter. Der König lobte das Werk des Meisters mit innigem Tone:
»Es ist eine Großheit in dieser Gestalt, die aller Zukunft zeigen wird, was wir in unsern Tagen gesehen. Ich bin stolz, solche Zeitgenossen zu haben.«
Irma fühlte, wie diese Worte auch ihr galten; ihr Herz pochte. Der Gipskopf des Theseus, der vor ihr stand, sah sie auf einmal so wunderlich an.
»Ich möchte doch jetzt das vollendete Werk mit den verschiedenen früheren Modellen vergleichen,« sagte der König zum Künstler.
»Die Versuchsmodelle sind leider in meinem kleinen Atelier. Befehlen Majestät, daß ich sie herbeischaffe?«
»Wollen Sie die Güte haben.«
Der Meister ging. Der König war mit Irma allein. Rasch stieg er die Treppe hinan und rief mit bebendem Ton:
»Ich steige in den Himmel hinan. Ich steige zu dir hinan. Irma, ich küsse dich, ich küsse dein Ebenbild. Dieser Kuß soll in Ewigkeit auf deinen Lippen ruhen, über aller Welt unter dem ewigen Himmel. Ich küsse dich mit dem Kuß der Ewigkeit!«
Er stand oben und küßte die steinerne Viktoria auf den Mund. Irma konnte nicht anders, sie sah auf und jetzt eben fiel ein breiter, schräger Sonnenstrahl auf den König und auf das Antlitz der Steinfigur, und diese schien zu leben, sie schaute ernst drein.
Irma stand unten und ihr war's als stände sie mitten in einer Flammenwolke, die sie hinwegtrage in die Unendlichkeit hinein.
Der König kam herab, er stand neben ihr, sein Atem ging schnell, sie schaute nicht auf, sie stand still, regungslos, wie die Statue dort. Da umfaßte sie der König, sie lag in seinen Armen und die lebendigen Lippen küßten einander.
Als der Künstler zurückkam, war der König allein.
Irma ging über die Straße nach dem Schlosse wie im Traum; sie war wie auf Flügeln getragen, wie Semele erschien sie sich, die Zeus in Flammen zur Unsterblichkeit geküßt. – Ich habe das höchste Glück empfunden, sprach es in ihr. Nun kann ich entsagen. Ich entsage. Ich trage den Kuß der Ewigkeit auf den Lippen. ...
Sie sah die Menschen, die Häuser, als wären das Erscheinungen aus dem Schattenreich, tief unten; sie schwebte darüber.
Sie kam in ihre Gemächer. Erst das bestellte Gewand erinnerte sie daran, daß heute der kostümierte Ball stattfinden sollte. Sie lächelte immer, während sie sich ankleiden ließ, mit dem weiten, wolkigen weißen Gewand und darüber die Schilfblätter mit Diamanten besetzt.
»Gnädige Gräfin haben der Amme des Kronprinzen versprochen,« sagte die Kammerfrau, »daß sie in Ihrem Kostüm Sie sehen darf. Soll ich sie jetzt rufen lassen?«
Irma nickte. Sie hörte alles wie im Traum, sah alles wie durch eine Wolke. Sie fühlte es als eine Pein, daß sie so vielen Menschen sich zeigen sollte, ihm allein wollte sie erscheinen, er allein ist auf der Welt, er allein und sie allein. ...
Walpurga kam und stand wie gebannt. Das ist eine Jungfrau, so schön, so liebreich, so glänzend und wunderbar, um und um mit Schilf bekränzt, und auf dem Schilfe und auf roten Korallenzweigen hafteten Diamantentropfen, der Gürtel war eine grüne Schlange und die Schlange hatte so große glänzende Diamantaugen, daß es weh that, wenn man hinsah; das Haar fiel lang und aufgelöst über den Nacken herab, nur oben war es von einem Kranze mit Tautropfen besetzter Seerosen zusammengehalten, darüber auf der Stirn ein Stern, der flimmerte und glitzerte, aber fast noch mehr leuchtete und strahlte das Antlitz der schönen Jungfrau. So schön war Irma noch nie gewesen und aus jedem Zuge sprach eine Hoheit, ein Entrücktsein aus der Welt, ein Lächeln wie aus Wolken zu den Menschen nieder.
»Um Gottes willen, Sie sind ja die Seejungfrau!« rief Walpurga.
»So? Du erkennst mich also?« sagte Irma, ihr die Hand reichend, ihre Stimme klang wunderbar.
Walpurga drückte die Hand aufs Herz. Daß Irma diese Erscheinung annahm, that ihr weh; das heißt ja Gott versuchen, das geht zu Bösem aus. Aber Walpurga sagte nichts, sie legte nur die Hände zusammen und ihre Lippen bewegten sich: sie betete für Irma.
»O Gott!« rief sie dann und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »O Gott, was können die Menschen alles aus sich machen, O lieber Gott, wo nehmen Sie denn das alles nur her? Wie ist denn das nur möglich?« Sie ging in weitem Umkreis um Irma herum, »Sie werden mir's daheim nicht glauben, daß ich so etwas gesehen habe. Solch ein Unterkleid von Wellenschaum, und so das aufgelöste Haargelock, das hat die Seejungfrau auch. Wenn nur meine Mutter und mein Hansei auch da wären!«
Irma sprach kein Wort, Sie ging im Zimmer auf und ab, wo die Lichter an den großen Spiegeln brannten, sie sah ihre eigene Gestalt wie eine fremde Erscheinung und staunte über das Rauschen des Schilfes.
So möchte ich in den See springen und die heißen Flammen kühlen – sprach es in ihr.
Walpurga kehrte, wie vom Zauber geblendet, wieder in ihr Zimmer zurück.
Ich kann mir denken, murmelte sie vor sich hin, daß die Menschen hier die Welt nicht verstehen, und daß meine Königin selber sie auch nicht versteht: da machen sie ja alle Tage eine neue Welt und verkehren und verstellen und vermaskieren alles – wie soll man denn da zur Ruhe kommen und seinen gesunden Verstand behalten? Die Königin hat recht, es ist besser, ich gehe wieder heim, hier werde ich noch närrisch.
In ihrem Zimmer traf Walpurga einen Brief von daheim. Seit Wochen hatte sie sich auf diesen Brief gefreut. Sie dachte sich immer aus, wie die Mutter und Hansei sich über die schönen Kleider und Geschenke freuen und alle Leute aus dem Dorfe kommen, bewundern und bestaunen, und jedes Kleidungsstück befühlen sie und meinen, da müsse noch was Besonderes drinstecken. Sie hatte in die Brusttasche von Hanseis Joppe einen fröhlichen Brief gesteckt und jetzt kam die Antwort. Das Gespiel hatte ihn geschrieben, die Mutter hatte jedes Wort diktiert, und drin stand:
»O Kind, Du hast's gewiß gut gemeint, ich seh' das wohl, aber es ist bös geworden. Ich und der Hansei wir sind in den schönen Kleidern am Neujahrstag in die Kirche gegangen, ich hab's nicht gewollt, ich hab's geahnt, daß was Böses auskommt: aber der Hansei hat gesagt, wir müssen's, der König nimmt's übel, wenn wir seine Kleider nicht anziehen. Da bin ich in Gottesnamen mit ihm in die Kirche, aber alle Menschen haben uns immer angesehen, so unheimlich, und haben kein Wort gesagt. Und nach der Kirche da haben wir's gehört, haufenweis sind sie zusammengestanden und haben mit Fingern auf uns gezeigt und gesagt: ja, das ist schön, solche Sachen kann man in der Hauptstadt bekommen, aber man weiß schon für was: auf ehrlichem Wege nicht, und die alte Närrin und der Tolpatsch da sind noch stolz darauf und wollen in den Kleidern prunken. Und die alte Zenza hat am meisten geschimpft, und die Menschen, die sonst gar nicht auf sie hinhorchen, haben ihr jetzt gern zugehört und sie noch aufgereizt.
»O liebes Kind, Du weißt nicht, wie gar so viel schlecht die Menschen sind, und ich weiß doch, Du bist brav. Aber die Menschen sind bös und gönnen einem nichts, und wenn sie es einem nicht nehmen können, da beschmutzen sie's. Du hast's gewiß gut gemeint, aber ich wag' mich jetzt in meinen alten Kleidern nicht mehr aus dem Haus, die Menschen sind so neidisch und hinterlistig und anhängerisch. Solange man arm ist, weiß man das gar nicht so; aber jetzt seh' ich's. Und, liebes Kind, das ist noch nicht das ärgste; das ärgste ist, daß sie Mißtrauen ins Herz thun wollen. Aber ich habe keines gegen Dich, ich weiß, Du bist brav; bleib's nur und denke immer: wenn man in einem goldenen Bett schläft und auf seidenen Kissen und hat kein ruhiges Herz, so nützt alles nichts, und da ist's besser, man liegt auf Dornen, und noch besser sechs Schuh tief unter dem Boden. Und der Gemswirt ist gekommen und hat uns die Kleider abkaufen wollen für sich und seine Frau, aber ich geb' sie doch nicht her. Und, liebes Kind, bleib' brav und nimm keinen Faden und keinen Heller, an dem was Böses hängt. Ich weiß, Du thust das von selber nicht, aber ich muß Dir's doch noch sagen, und laß Dir's nicht zu sehr zu Herzen gehen, daß die Menschen so schlecht sind, ich laß mir's auch nicht.«
Walpurga schrie laut auf und weinte, als sie diesen Brief las. Die schlechtesten Menschen sind doch die Bauersleute! Es gibt hier unter den Vornehmen gewiß auch schlechte, aber so sind sie doch nicht. Soll nur wieder einmal eines kommen und um eine Gnade anhalten, sie will sie schon heimschicken; im Gegenteil, sie möchte den König bitten, daß er das ganze Dorf durchpeitschen lasse, eines nach dem andern; sie wünschte sich nur auf eine Stunde die Macht des Königs, um den albernen schändlichen Menschen den Meister zu zeigen.