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Am nächstfolgenden Tage kam Friedrich von seiner Reise zurück. Adele begleitete ihn. Die Gedrücktheit des armen Mannes gewahrend und genugsam mit seinen ehelichen Verhältnissen und Rosettens Eigenthümlichkeiten bekannt, um den Grund seiner niedergeschlagenen Stimmung zu errathen, und sehr zu Friedrich's Gunsten eingenommen glaubte sie durch ihre Gegenwart und ihren Einfluß auf Rosette dieser eine vortheilhaftere Anschauung ihrer Verhältnisse beizubringen und sie mit den kleinen Nachtheilen derselben auszusöhnen. Der Vorwand zu der Reise war leicht gefunden, und Friedrich nahm ihre Begleitung um so dankbarer an, als er ihre wahre Absicht durchschaute und ihr zartes Schweigen darüber ihn nur mit um so größerem Vertrauen erfüllte.
Schlimme Nachrichten empfingen Friedrich schon im Dorf; als er mit Adelen sein Haus betrat, fand er nichts als Verwirrung, Unheil, Kummer und Sorge dort vor.
Willfried war in der Nacht gestorben, der endlich herbeigerufene Arzt hatte nichts gegen die Macht der Krankheit vermocht. Wendula war fort, Niemand wußte wohin. Vergebens versuchte Frau Wallner das Vorgefallene zu beschönigen, versuchte es, Verleumdung und Anklage auf das Mädchen zu schleudern, ein reuiges Geständniß Rosettens schlug alle Anklage, alle Verleumdung zu Boden und zeigte die Schuld alles Unheils da, wo sie dieselbe im Kampf der vergangenen Tage, in aller Pein und Noth derselben erkannt hatte. Unter Strömen von Thränen schüttete die geschlagene Frau ein von Selbstvorwürfen und Kummer gepeinigtes Herz vor ihm aus, in dem Tode des Kindes ein Strafgericht des Himmels erkennend.
Es rührte Friedrich tief, daß sie sagte:
»Ich habe keins meiner Kinder so geliebt, wie den armen kleinen Schelm, es brauchte mich keins so nöthig,« und dieser Zug echter Mutterliebe erweckte, ebenso wie Rosettens sichtliche Reue, sein fast schon gänzlich erstorbenes Zutrauen zu ihrem Herzen.
Ueberhaupt, so erschütternd der Empfang war, der ihm zu Theil wurde, so trübe, schwere Wolken auch die Heimath verdunkelten, so blitzten doch Streiflichter durch das Gewölk, die unwillkürlich Hoffnung auf heitern Himmel in ihm erweckten. Das eintönige Grau, die kalte Nebeldecke, die sonst seinen Horizont verhüllte, war in Gewittersturm mit Hagelschlag und Blitz und Donner verwandelt, aber der schwere Kampf der entfesselten Elemente verhieß eine gereinigte Atmosphäre.
Dem Förster war so zu Muthe bei dem Geständniß seiner Frau. Die heimliche Vermuthung, die seit der Nacht des Feuers an ihr genagt, die Vermuthung, daß ihr eigenes Kind die That begangen, die man einer Unschuldigen zuschrieb, die von sich abzuweisen sie noch immer Versuche gemacht hatte, wurde ihr unabweisbare Gewißheit in dem Augenblick, als der Tod den wirren Geist erlöste. In der nicht aufhörenden Vorstellung des armen Knaben, daß es fort und fort um ihn her brenne, daß er nicht schlafen könne vor dem hellen Schein und dem Angstgebrüll der Kühe, hatte sie gleich das Gottesgericht geahnt, das eine böse That durch die Fragen rächt an dem Thäter; in dem letzten Wort des Sterbenden: »Jetzt wird es dunkel!« fast mit jubelndem Tone herausgestoßen, erkannte sie gleichfalls die Barmherzigkeit, die nicht weiter zu Gericht geht mit dem Sünder, als dessen Verantwortung reicht.
Von einem trübseligen Leben war das Kind erlöst, für bösen Trieb hatte es gebüßt, aber was es gethan und gelitten, fiel auf die zurück, die seine mangelnde Erkenntniß zu seinem und dem Schaden Anderer mißleitet hatten.
So lange Willfried lebte, wollte Rosette noch zweifeln, angesichts der kleinen Leiche wagte sie es nicht mehr. Es war Alles zu Tage gekommen, und in den wirren Bildern, die eine gestörte Phantasie heraufbeschwor und die das Fieber noch ärger verwirrte, ließ sich die Wahrheit nicht verkennen und nicht zurückweisen.
Und warum hatte Willfried die That begangen? Nicht aus einer Laune des Irrsinns, aus kindischer, unverständiger Freude am Unfug, nein, aus der bestimmten Absicht, einer ihm mißliebigen Person einen Possen zu spielen. Die stets wiederkehrenden Reden: »Hat sich Wendula geärgert, daß es brannte? Habe ich ihr einen Possen gespielt? Mutter hat's erlaubt,« alle diese Reden bewiesen, daß wenn Willfried's gestörter Geist auch nicht im Stande gewesen war, die Tragweite des gespielten Possens zu begreifen, doch das Motiv zur That in einer übel gearteten, mißleiteten Seele zu suchen war. Auf wen fiel aber die Verantwortung dafür? doch auf diejenigen, die es nie versucht hatten, dem Herzen die Liebe zu lehren, die es instinctmäßig begreift, auch wenn der Kopf nicht fähig ist, die Wunder derselben zu verstehen, auf diejenigen, die noch viel weniger sich jemals Mühe gegeben, böse Regungen zu zügeln und zu hemmen, die ja doch um so gefährlicher sind, wo die Einsicht fehlt, ihre Wirkungen zu erkennen.
Willfried's immer wiederholtes: »Ich darf Wendula einen Possen spielen, Mutter hat's erlaubt,« fiel wie eine schwere Anklage auf Rosettens Herz. Vergeblich sagte sie sich, daß sie sich nichts Schlimmes dabei gedacht, sie mußte es doch einsehen, daß wir auch verantwortlich für unsere Gedanken sind, doppelt verantwortlich, kleiden wir sie in Worte, denn aus Worten wachsen Thaten, unselige und segensvolle, empor. Wie ließ sich hier die Stufenleiter verfolgen, von der Unfreundlichkeit des Gedankens bis zum leichtsinnigen Wort, das einen wirren Geist zu verbrecherischer That getrieben. Zu der Flamme, die Willfried entzündet, hatte sie ihm den Feuerbrand in die Hand gegeben.
Und nun die weiteren Folgen! Wendula fälschlich angeklagt, einem Verdacht preisgegeben, den durch ein überzeugendes Eingeständniß der Wahrheit zu zerstreuen sie nicht den Muth gehabt hatte. Wendula mißachtet, mit Blicken des Mitleids, der Neugier, der Anklage angesehen, dem Zorn, dem Groll hingegeben, vielleicht durch die Schmach, mit der man ihr unschuldiges Haupt belud, in den Augen dessen beschimpft und herabgesetzt, auf den die Hoffnung ihres Herzens gerichtet war.
Daß sie auf Jemand gewartet, daß sie deshalb unter den Trümmern geblieben; während sie das Haus floh, das hatte sie ihr ja selbst gesagt. Aber es war Niemand gekommen, und das Mädchen war fort.
Alle diese Selbstvorwürfe, Selbstanklagen mit ihrem Gefolge niederdrückender Combinationen, und manche, leider zu spät erwachte Erkenntniß des Lebens und seiner Pflichten floß von den Lippen der geängstigten Frau, vielleicht um so schwerer auf ihre Seele fallend, je größer ihre frühere Gedankenlosigkeit gewesen war. In ihrer Exaltation war sie nahe daran, zu Friedrichs Füßen zu fallen, er fing sie in seinen Armen auf und hielt sie fest umschlossen, während die hellen Thränen über seine Wangen flossen.
»Du bist gut,« sagte sie, »Du wirst mich nicht verstoßen.«
Er umschloß sie nur um so fester. Bei allem Weh, das ihn durchzuckte, war ihr Zutrauen ihm doch eine versöhnende Gabe. Daß sie bei ihm Zuflucht suchte, das war der stärkste Beweis von Liebe, den sie ihm noch je gegeben, um so stärker, je unwillkürlicher er war.
Friedrich's Güte erweckte alle schlafenden guten Geister in Rosettens Seele, brachte sie zugleich zur vollen Erkenntniß ihrer eigentlichen Gefühle. Hundertmal hatte sie es in ihrer leichtsinnigen Weise gedacht, auch gesagt: »Warum läßt er sich Alles von mir gefallen, warum schilt er mich nicht? Er ist kein Mann, ich kann keinen Respect vor ihm haben,« und daß er sie jetzt nicht schalt, daß er in Liebe und Nachsicht vor ihr stand wie immer, daß er sie, die den Unfrieden über seine Schwelle gelassen, die der Mißgunst nicht gewehrt, die sein Haus nicht in Zucht und Ordnung gehalten, deren Leichtsinn dem Unglück den Weg gebahnt hatte, daß er sie nur mit traurigem, nicht mit vorwurfsvollem Blicke maß, daß er seinen Arm in Liebe um sie schloß, durch diese eine Bewegung sein ganzes Denken, Empfinden und Handeln charakterisirend, sein Feststehen und Festhalten, sein Schonen und Tragen ihrer Schwächen, sein Hoffen und Harren in Liebe, das öffnete ihr auf einmal ein Verständniß für das, was seine starke Seite war.
Wie gelobte sie sich schweigend, ihn von nun an in Ehren zu halten, ihn zu lieben, sich von ihm führen zu lassen. – »Wenn nur Wendula wiedergefunden wird,« endete sie plötzlich laut ihren Gedankengang.
In dem Augenblick wurde die Thür geöffnet, Georg trat ein.
»O Gott!« sagte er, die weinende blasse Frau in ihres Mannes Arm, die Leiche des kleinen Willfried so friedlich auf seinem Lager dem ewigen Schlummer hingegeben gewahrend und erschrocken zurücktretend; sich aber gleich wieder fassend, bot er Friedrich die Hand und sagte:
»Verzeihen Sie, daß ich in solchem Moment so rücksichtslos eintrat, aber mich treibt die Angst vor drohendem Unglück, Sie der Trauer um ein schon gegenwärtiges zu entreißen. Was ist aus dem jungen Mädchen geworden, das in Ihrem Hause war? Ist sie wirklich fort, wissen Sie nicht, wo sie ist und wohin sie sich kann gewendet haben? Warum sie ging, kann ich Ihnen leider sagen.«
Friedrich sah ihn mit gespannter Erwartung an.
»Ich möchte es Ihnen allein sagen,« fuhr Georg fort, und dann, als Friedrich mit ihm das Zimmer verlassen, sagte er hastig: »Ich weiß durch Wendula, welch ein treuer, zuverlässiger Freund Sie ihr sind, das giebt mir Zutrauen zu offener Aussprache. Sie werden mich verstehen, auch wenn ich in meiner Aufregung und Herzensangst die Worte vielleicht falsch wähle.
Wendula ist fort, ich erfuhr es soeben, untermischt mit Vermuthungen, die mein Herz erbeben machten. Ich liebe das Mädchen, ich bin mit ihr verlobt, das sagt Ihnen Alles, erklärt Ihnen mein Recht, ihr nachzuforschen. Wissen Sie, wo sie ist, so bitte ich Sie um meiner Ruhe, um Wendula's Glückes willen, es mir zu sagen.«
Friedrich schüttelte seufzend den Kopf, Georg fuhr noch erregter fort:
»Ich mußte meiner Mutter das Geständniß meiner Liebe machen. Ihre Wünsche waren mir nicht günstig, aber sie schien nachzugeben. Sie hatte mich nie getäuscht, selbst nicht in dem falschen Wahn, mein Glück durch die Täuschung zu bezwecken, deshalb glaubte ich ihr und übergab mich ihrer Führung, so schwer es mir wurde. Meine Mutter benutzte aber, ich darf nicht erst hinzufügen, daß es in guter, wenn auch in falsch verstandener Absicht geschah, benutzte die gewonnene Zeit, das Band zu zerreißen, von dem ich hoffte, sie würde es segnen. Sie sprach Wendula gestern Abend und veranlaßte sie, sich selbst zu entfernen. Ich erzähle Ihnen das Nähere später, jetzt ist nur Eins nöthig: daß wir sie suchen, sie finden. Seien Sie mein Freund, helfen Sie mir dazu, wo kann sie sein?«
»Ich weiß nur Einen, bei dem sie hier eine Zuflucht gesucht haben könnte, Vater Reimer,« entgegnete Friedrich.
»Das sagte man mir schon, und bei ihm war ich zuerst. Er war nicht in seiner Hütte, ist schon seit Tagen nicht daheim gewesen,« entgegnete Georg in tiefster Niedergeschlagenheit.
»Nun, so wird uns Gott den Weg zeigen,« sagte Friedrich, »kommen Sie, irgend eine Spur wird sich doch finden lassen, irgend Jemand wird sie doch gesehen haben!« –
Georg und seine Mutter hatten einen qualvollen Morgen verlebt. Sie fühlten Beide den Zwang, den sie sich auferlegten, indem sie von gleichgültigen Dingen miteinander sprachen, während ihre Herzen doch von ganz anderen Gegenständen erfüllt waren. Einmal hatte Georg es versucht, von seiner Zukunft, seinen Hoffnungen, von Wendula zu sprechen, er war rauh abgewiesen worden
»Du sprichst von Glück,« sagte sie finster, »und ich sehe nichts als Ruin und Herabwürdigung vor mir. Wärst Du ein guter Sohn, würdest Du daran denken, Deiner Mutter zu helfen.«
»Mutter,« sagte Georg schmerzlich, »soll ich mein ganzes Leben zu einer Lüge, einem Betruge machen? Das kann ich nicht, eher könnte ich selbst Wendula aufgeben.«
Dennoch hielt er die Hoffnung fest, die Mutter mit seinem Glück aussöhnen zu können, ja, er gelobte es sich im Stillen, es nicht eher aus ihrer Hand anzunehmen, als bis ihre Einwilligung Herzenssache geworden wäre.
Wendula mußte über ein Herz siegen, das nur vorurtheilsvoll, nicht hart und lieblos war, sie mußte um so mehr siegen, als keiner der Götzen äußerlichen Glückes, denen Frau Artefeld ihr Leben verschrieben, als Nebenbuhler an ihrer und seiner Seite stehen würde.
O, er hoffte der Mutter in besserer, wirksamerer Weise seine Liebe zu zeigen, als wenn er durch eine gewissenlose Handlung ihren Reichthum vor dem Schiffbruch rettete. Ihr Herz hätte ihm das nicht danken können, denn was hat das Herz mit dem Reichthum zu thun!
Er fühlte noch warm und tief und jugendlich genug, wußte noch zu wenig von der Welt und ihren allgemeinen Ansprüchen, um nicht gerade in der Beschränktheit der äußeren Verhältnisse eine feste Basis seines innerlichen Glückes zu erblicken. Er kannte nur die kalte, trennende, auseinander haltende Macht des Reichthums; das Zusammenrücken im Raum, das durch eine dürftige Lage bedingt wird, schien ihm nur ein Symbol des engeren Zusammenhaltens der Herzen. Er fühlte die Größe des Opfers, das seine Mutter ihm brachte, aber er hoffte es ihr vergelten, ihr bessere Proben seiner Liebe geben zu können, als bisher, wo er immer nur der Empfangende gewesen war.
Er träumte davon, für sie zu arbeiten, zu denken, zu entbehren; für sie seinen Frohsinn zu verdoppeln, seine Kraft anzuspannen, ihr Alles zu sein. Von einer solchen Sonnenhöhe des Glückes träumte er mit echt jugendlicher Ueberschwänglichkeit, aus der Liebesfülle seines kindlichen Herzens, aber er wußte auch, wie steil der Weg, der dorthin führte. Für ihn war es leicht, ihn zu ersteigen, aber die Mutter mußte hinaufgetragen werden, er und Wendula wollten sie aber tragen, der Liebe wird ja Alles leicht.
Diese Träume, Gedanken und Hoffnungen machten ihm auch die peinliche Situation des Augenblickes erträglicher, vermochten ihn, sich dem Gebot der Mutter zu fügen und ein Zusammensein mit Wendula zu vermeiden und des Abends, der ihm ein Wiedersehen bringen sollte, wenigstens dem Anschein nach in Geduld zu harren
So schlichen die Stunden dahin und wurden nur mühsam und meist in unerquicklicher Weise ausgefüllt, Frau Artefeld der düstersten, Georg wenigstens einer schwankenden Stimmung hingegeben
Da drang die Nachricht von Wendula's Verschwinden zu ihnen Die Wirthin des Hauses, ohne zu ahnen, wie hart ihre Mittheilung die Beiden berühre, erzählte ihnen davon und fügte mit bedenklichem Kopfschütteln hinzu:
»Weiß Gott, was aus dem armen Dinge geworden ist, mir hat nichts Gutes geahnt, als ich sie so stumm und still und mit so wirren Augen auf dem verbrannten Balken sitzen sah, als wäre sie eine Ausgestoßene. Es war recht schlecht, sie der Brandstiftung zu beschuldigen, ich verdenke es ihr nicht, daß sie nicht mehr in's Haus wollte. Sie hätte nur nicht auf der unheimlichen Stelle so Tag und Nacht bleiben sollen, aber sie sagen, sie hätte einen Liebsten, und den hätte sie erwartet. Nun, schlecht genug ist's, wenn er nicht gekommen ist, ihr zu helfen, aber daran glaube ich nicht. Frau Katzenpfötchen will's nur von sich ablenken, daß sie das Kind zur Verzweiflung getrieben, und da wird ihr schnell ein Liebster angedichtet, der sie betrogen haben soll.«
Die Wirthin hatte noch nicht ausgeredet, als Georg schon aufgesprungen war und der Thür zueilte.
»Du willst ausgehen, lieber Sohn?« sagte Frau Artefeld mit eiserner Ruhe und ohne den Anschein auch nur der geringsten Gemüthsbewegung, »warte nur einen Augenblick, ich möchte Dir einen Auftrag geben«
Die Wirthin verstand den Wink und verließ das Zimmer. Georg hatte sich gefaßt, er stand vor der Mutter, ihrer Worte harrend, seine scheinbare Ruhe täuschte sie, sie glaubte den Augenblick der Entscheidung gekommen. Einen glimmenden Funken auszutreten lag überhaupt mehr in ihrer Natur, als ihn verlöschen zu lassen.
»Stelle keine Nachsuchungen nach Wendula an,« sagte sie. »Wenn sie nun vernünftiger wäre als Du, wenn sie es eingesehen hätte, daß sie nicht als Frau für Dich paßt, daß sie Deinem wirklichen Glück im Wege steht, wenn sie die leichtsinnige Hingabe ihres Herzens bereute und gut machen« wollte –«
»Wenn!« unterbrach sie Georg, »aber das kann ja Alles nicht sein, das wäre ja unwahr und unnatürlich. Sie ist jung und hat ein Herz voll Liebe für mich, sie wird nicht Reflexionen machen wie eine alte Frau –«
»Die auch ein Herz hat,« fiel ihm Frau Artefeld in's Wort, »aber freilich nur ein Mutterherz, und das wiegt gar leicht gegen das eines leichtsinnigen Mädchens,«
Georg ergriff der Mutter Hand und küßte sie ehrfurchtsvoll.
»Ich wollte Dich nicht verletzen, bei Gott! ich wollte es nicht, liebe Mutter,« versicherte er. »Ich weiß es, Deine Liebe ist eine geprüfte, und Gott schütze mich davor, sie gegen andere theure, heilige Rechte abwägen zu müssen. Eine Entscheidung, die nicht zugleich eine Vereinigung wäre, könnte mir das Herz brechen. Willst Du mir nicht sagen,« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »willst Du mir nun wirklich und im Ernst nicht sagen, was Du gestern mit Wendula gesprochen hast und was aus ihr geworden ist? Sie hat, wie sie Alle hier sagen, in den vergangenen Tagen den Schauplatz des Ungemachs und der Verleumdung nicht verlassen, obgleich sie das Haus, in dem ihr kein Freund weilt, floh; sie hat also auf mich gewartet, und nun, da ich nicht gekommen bin und, auf Dich, auf Deine Güte, Deine Liebe für mich bauend, nicht zu ihr eilte, wie es mein Herz verlangte, wie es mein Recht, meine Pflicht war, sondern mein und ihr Geschick in Deine Hand legte – nun geht sie und Niemand weiß wohin. Du mußt mir das erklären können, liebe Mutter, o laß mich nicht in Ungewißheit!«
Frau Artefeld widerstand der Bitte nicht. Die Sanftmuth, mit der sie ausgesprochen wurde, die kindliche Ehrfurcht in Georg's Benehmen, die ruhige Würde seiner Haltung täuschten sie über die Kraft seines Entschlusses, schienen ihr seine Fügsamkeit auch um den höchsten Preis zu verbürgen.
Zudem sah sie aus Wendula's Verschwinden, aus dem Geheimniß, in das sie ihren Aufenthaltsort gehüllt, daß sie gesonnen war, Wort zu halten. Es mochte also am besten sein, die Sache gleich zum Abschluß zu bringen. Dennoch zagte sie, das entscheidende Wort auszusprechen, und sagte, den eigentlichen Kern der Frage übergehend:
»Erinnere Dich, mein Sohn, daß Du selbst in eine Trennung gewilligt hast.«
»Ja, aber nicht in eine so plötzliche, so abschiedslose, die so aussieht wie eine auf Nimmerwiedersehen!« entgegnete Georg.
»Es muß aber eine solche sein, und weil sie das sein muß, ersparte ich Dir den Abschied,« sagte Frau Artefeld fest. »Du hörtest nicht auf mich, sie aber wußte meine Gründe zu würdigen und ging auf meine Vermittelung ein. Sei vernünftig, Georg,« fuhr sie, den Farbenwechsel auf des Sohnes Antlitz gewahrend, fort, »Du kannst sie nicht heirathen. Selbst wenn eine Verbindung mit Flora nicht eine Nothwendigkeit wäre, selbst wenn das Mädchen unschuldig an dem ihr zugeschriebenen Verbrechen wäre, und ich glaube, daß sie es ist, selbst dann nicht. Denke an den Fleck, den selbst eine falsche Beschuldigung auf eines Mädchens Namen wirft, denke an ihre Verhältnisse. Sie ist nicht viel mehr als eine Magd, und Du willst sie zu meiner Tochter machen!«
»Sie ist vielleicht Deine Enkelin,« brach Georg los, durch das hochmüthige Wort in tiefster Seele verletzt. »Sie heißt Wendula, sie ist die Tochter eines Försters, der Name kommt von Dir, und wenn es auch heißt, ihre Großmutter sei Dienerin in Deinem Hause gewesen, so liegen Widersprüche und Unwahrscheinlichkeiten vor, die noch zu lösen und aufzuklären sind und die in der Geächteten, Geschmähten, Verstoßenen vielleicht ein Kind Deines Hauses an Dein Herz legen, das sie verleugnet.«
»Ich glaube, Du faselst,« entgegnete Frau Artefeld, ihr unwillkürliches Erschrecken unter einer Miene größter Strenge verbergend. »Weil sie Wendula heißt und ihr Vater ein gemeiner Jäger war wie Richard, soll sie nun gar als Verwandte in mein Haus geschmuggelt werden. Es wäre wohl nicht das erste Mal, daß Dienstboten in Dankbarkeit und Verehrung die Namen ihrer Herrschaft auf ihre Kinder übertragen, wenn auch eben so viel Unverschämtheit als Huldigung in dem Verfahren liegt. Aber gesetzt, Du hättest recht, gesetzt, das Unwahrscheinlichste ereignete sich und sie wäre Richard's Tochter, es änderte in der Sache nichts. Mein Name könnte den Fleck nicht verwischen, und mein Herz würde ich eher der fremden Magd geben, als der Tochter des undankbaren Sohnes, von der ich fürchten müßte, daß sie die feindselige Gesinnung ihres Vaters geerbt hat.«
»O Mutter, sei mild!« bat Georg.
»Das bin ich, wo es hingehört, bin es vor Allem gegen Dich; wäre ich es nicht, ich hätte Dich mit einem Befehl von Wendula getrennt, statt daß ich jetzt eine sanfte Lösung versuche. Das Mädchen ist hübsch, ich glaube auch, daß sie unschuldig ist. Deine thörichte Leidenschaft ist mir durch Deine Jugend, der Liebeshandel, in den Du Dich mit ihr eingelassen, durch Deine Unerfahrenheit erklärt. So weit lasse ich Dir volle Nachsicht angedeihen, mehr kannst Du nicht verlangen. Einer übereilten Heirath würde schnell die Reue folgen. Im Augenblick erregter Leidenschaft handelt selten ein Mensch vernünftig, darum that ich es für Dich. Ich habe immer für Dich gehandelt, mein Sohn,« fuhr sie in weicherem Tone fort, »und ich denke, Dein Wohl ist dabei nicht verabsäumt worden«
»Wo ist Wendula, wo hast Du sie hingeschickt?« Mit dieser Frage erwiderte Georg die lange Auseinandersetzung seiner Mutter.
»Was kümmert's Dich!« entgegnete jene rauh, »Du hast nichts mehr nach ihr, Du hast nach Flora Eisenhart zu fragen, mit der Du seit Deinen Kinderjahren verlobt bist. Du wirst mich zu ihr begleiten, Du wirst mein in Deinem Namen gegebenes Wort erfüllen, Du wirst diese kindische Liebe vergessen, sie an der Seite Deiner schönen, Dir ebenbürtigen Frau vergessen.«
Georg wandte sich unwillig ab. Sie sprach zu ihm wie zu einem Kinde, dem man eine Puppe nimmt und eine andere dafür giebt. Er nahm seinen Strohhut und schickte sich zum Fortgehen an.
»Ich will Wendula aufsuchen,« sagte er ruhig, aber bestimmt; »ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie gefunden habe, wenn Du es mir nicht leichter machen und mir sagen willst, wo sie ist.«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte sie bestimmt.
Georg sah sie prüfend an.
»Bis zum heutigen Tage habe ich Dir immer geglaubt,« sagte er dann niedergeschlagen, »nun Du mich heut so getäuscht hast, weiß ich nicht mehr, was ich denken und glauben soll. O Mutter,« er stürzte ihr plötzlich zu Füßen, »sage mir die Wahrheit, sage mir, wo sie ist, denke nicht mich zu meinem Besten zu täuschen, es ist nie gut für einen Sohn, kann er seiner Mutter nicht glauben.«
»Ich schwöre es Dir zu, ich weiß nicht, wo sie ist; sie wollte mir nicht sagen, wo sie sich hinwenden wollte, sie wies in stolzester Weise meine Hülfe zurück, aber solchen Stolz achte ich. Ich gebe Dir noch einmal mein Wort, ich weiß nicht, wo sie ist, aber ich vertraue ihrem Stolz und hoffe, sie ist in Sicherheit vor Deinen Nachstellungen.«
Georg sprang auf. Er sagte kein Wort weiter, sondern eilte der Thür zu, sie hielt ihn auf.
Seine Entschlossenheit erschreckte sie; sie hatte schon an Sieg geglaubt, jetzt zum ersten Mal erschien er ihr zweifelhaft, und der, Gedanke an die schweren Folgen der Niederlage drängte ihr alles Blut zum Herzen zurück. Mit zitternder Stimme und tief aufathmend sagte sie:
»Georg, bedenke, was auf dem Spiel steht. Deine Mutter durch einen Bankerott entehrt, Du und ich Bettler, alle meine Opfer, meine Arbeit, mein ganzes Leben umsonst, ich ertrage es nicht. Du kannst mich retten, heirathe Flora Eisenhart, kannst Du zögern es zu thun, um einer thörichten Liebschaft willen?«
»Mutter, ich will Wendula nicht heirathen,« entgegnete Georg, eben so erregt wie seine Mutter, aber auch eben so fest in seinem Entschluß, »ich würde es nie gethan haben ohne Deinen Segen, aber ich hoffte ihn von Deiner Liebe zu erringen. Mein Glück, mein Leben, meine Hoffnungen könnte ich aufgeben um Deiner Rettung willen, meine Mannesehre nicht. Flora täuschen, als reicher Mann ihre Hand begehren, um mich mit ihrem Gelde vor Armuth zu schützen, wäre Betrug. Ihr zuzumuthen, ihr Eigenthum einem Menschen zu opfern, der sie nicht liebt, nie lieben wird, wäre eine Niedrigkeit, eine gemeine Speculation auf ihren Edelmuth, auf ihre Pietät für Dich. Es ist unmöglich, daß ich es thue, Du wirst diese Herabwürdigung nicht von mir verlangen. Mutter, Du fürchtest die Armuth doch nur für mich, sei ruhig darüber, mich schreckt sie nicht. Laß uns doch nach allen Seiten hin das Rechte thun und im Uebrigen Gott vertrauen. – Sage mir, wo Wendula ist! Laß ihre Kindesliebe und die meine Dir ein besseres Glück, ein besserer Segen sein, als der verlorene Reichthum es je gewesen!«
»Ihre und Deine Kindesliebe!« höhnte Frau Artefeld, »Gott bewahre mich vor allen Proben derselben! Geh wohin Du willst und thu was Du willst, ich gebe Dich auf. Gott, wie komme ich doch zu diesen hartköpfigen Kindern, zu diesen steinernen, kalten Herzen, die nichts so hoch halten, als den eigenen Willen!«
»Mutter!« sagte Georg flehend, aber dann sich zusammennehmend und einsehend, daß er im Augenblick nichts über die erzürnte Frau vermögen würde, verließ er das Zimmer und eilte nach der Försterei, wo er sich, wie wir schon wissen, mit Friedrich auf den Weg machte, die Spur der Entschwundenen zu suchen.
Frau Artefeld blieb einer niederdrückenden Einsamkeit überlassen Böse Gedanken, wie der Zorn sie erregt, und lähmende Betrachtungen, wie sie sich als Gefolge eines drohenden Unglücks einstellen, leisteten ihr Gesellschaft; sie that nichts, die schlimmen Gäste zu verscheuchen.
Sie saß am Fenster, sie sah auf die Straße, ohne irgend etwas zu gewahren, was um sie her vorging; sie schaute wie in einen bodenlosen Abgrund, denn das Licht, das ihr gezeigt haben würde, daß es kein Abgrund war, an deren Rand ihr Fuß stand, das Licht der Liebe wollte sie nicht sehen.
»Er wird Flora doch heirathen, er wird es müssen,« sagte sie endlich halblaut, unwillkürlich aufstehend und sich in ihrer vollen Höhe aufrichtend, »er wird Wendula nicht finden, ich habe das Mädchen richtig beurtheilt, an ihrem Stolz habe ich sie gefaßt wie an einer Kette, sie geht den Weg, den sie gehen muß, und ist sie ihm erst wirklich, unwiderruflich, hoffnungslos aus dem Gesicht, wird er meinen Willen thun. Er muß es, so wahr ich seine Mutter bin, er muß!«
Der Gedanke schien sie zu beleben, schien wenigstens die Starrheit von ihrer Seele zu nehmen, die ihr fast die Glieder lähmte. Statt derselben trieb sie nun eine rastlose Unruhe durch's Zimmer. Sie ging auf und ab, die Arme verschränkt, die Augen bald auf die Thür, bald zum Fenster hingerichtet, immer in der Hoffnung, Georg eintreten zu sehen oder doch auf das Haus zukommend zu erblicken. Hätten sie nur die Ereignisse nicht so gedrängt, so wäre ihr das Handeln nicht so erschwert. Aber innerhalb der nächsten Tage mußte Alles entschieden, mußte die Erinnerung an Wendula in den Hintergrund gedrängt, mußten die Bedenklichkeiten besiegt sein, die Georg gegen die Heirath mit Flora erhob. Sein kindischer Trotz mußte gebrochen werden, noch ehe die Braut den Fuß an's Land setzte.
Das waren die Gedanken, die unablässig in dem Gehirn der stolzen Frau arbeiteten, während die innere Unruhe sie zu dem ununterbrochenen Gang durch das Zimmer trieb, und doch waren diese Gedanken nur die einzelnen, dem Sturmesgewölk vorausgetriebenen Dünste. Dicht und schwarz drohte das unheimliche Wetter am Horizont des Lebens, sie sah den Sturm in den Wolken, sie hörte den Donner grollen, und der ferne Blitz blendete schon ihr Auge, aber dennoch verschmähte sie das ihr gebotene Obdach; weil sie den Schutz einer Hütte mißachtete, weil sie das Herz nicht hatte, das die Hütte zum Palast macht. Sie stand da und schaute fest in den Sturm, hoffend, er werde sich vor ihr fürchten, mit ihrem schwachen Arm glaubte sie ihn beschwören zu können und der Sturm stand doch am Himmel; gleichviel aus welcher irdischen Tiefe er sich erhoben, aus welchen niedrigen Elementen er angesammelt war, jetzt drohte er aus der Höhe, und sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen, als ihre armselige menschliche Kraft, ihre mangelhafte irdische Erkenntniß.
Es ist recht, gegen das Schicksal zu kämpfen, aber mit welchen Waffen wir es thun, ob wir mit Gott, ob gegen ihn in die Schranken treten, darauf kommt es an.
Ein paarmal öffnete die Wirthin leise die Thür, sie hatte sichtlich Lust, die inzwischen über Wendula eingelaufenen Nachrichten zu hinterbringen, aber Frau Artefeld gewahrte sie gar nicht, und sie hatte nicht den Muth, das finstere Nachdenken der Dame zu stören. Selbst als sie einen ziemlich umfangreichen, eben vom Briefträger abgegebenen Brief hereinbrachte und die willkommene Gelegenheit benutzte, eine Unterhaltung einzuleiten, sagte ein befehlender Blick Frau Artefeld's ihr so deutlich, was sie zu thun habe, daß sie schweigend den Brief hinlegte und sich rasch entfernte.
Frau Artefeld trat an den Tisch, nahm den Brief und prüfte die Adresse.
»Von Jakobi,« sagte sie leise und erbrach das Siegel.
Drei, vier verschiedene Briefe fielen ihr aus dem Couvert entgegen, alle, wie es schien, ihr von Jakobi nachgeschickt, auch von ihm selbst ein beschriebenes Blatt dabei.
Sie legte es fort und griff erst nach den anderen Briefen, als wolle sie sich selber überreden, daß seine Mittheilungen von geringerem Interesse für sie sein könnten, als sei sie nicht im mindesten pressirt, sie zu erfahren.
Die Briefe, die sie zuerst erbrach, enthielten allerdings Geschäftliches, aber von minderer Wichtigkeit, sie las sie, während ihre Augen ein paarmal nach Jakobi's Brief und nach einem, auf dem sie Flora's, ihrer Enkelin, Hand zu erkennen geglaubt hatte, hinüberschweiften und so zum Verräther ihrer eigentlichen Empfindungen wurden. Aber sie vergab sich nichts, sie bewahrte ihre Selbstbeherrschung, ihre überlegene Haltung auch in Momenten, wo kein Zeuge da war, um eine unwillkürlich geoffenbarte Schwäche zu belächeln, zu verachten oder sie um derselben willen zu lieben. Daß letzteres der Fall sein könne, war ihr freilich noch nie eingefallen, es wäre ihr auch wenig daran gelegen gewesen.
Als sie Flora's Brief erbrach, zitterte ihr die Hand ein wenig, aber sie setzte sich in und stützte sie auf den Tisch, und las wie folgt:
Liebe Großmutter!
Indem ich Deinem Befehl zuwider die mir gebotene Reisegelegenheit unbenutzt lasse, habe ich keine andere Absicht als die, all' die schmerzlichen und harten Conflicte zu vermeiden, die ein Zusammensein mit Dir, meiner einzigen nahen Verwandten und natürlichsten Beschützerin, zur Folge haben müßte.
Welche Erwartungen Du an meinen Besuch knüpfst, erfuhr ich durch meinen Oheim, und da ich denselben nicht entsprechen kann, ziehe ich eine Widerlegung durch die That einem ermüdenden, für Dich und mich nicht passenden Wortgefecht vor. Abgesehen von der Kränkung meines weiblichen Gefühls, das sich jederzeit sträuben würde, selbst einem geliebten Manne einen Schritt entgegen zu thun, liegt es auch durchaus nicht in meiner Absicht, je ein ernstes Bündniß, wie Du es zwischen Georg und mir stiften willst, anders als aus innerster Herzensnothwendigkeit einzugehen. Schützte mich meine eigene Empfindung nicht vor einem solchen Verrath an dem heiligsten Recht des Herzens, so würde meiner Mutter freudenarmes Leben und früher Tod mich davor bewahren. Ohne es zu verstehen was ich that, schwor ich es in ihre erkaltenden Hände, nie anders als aus Liebe zu heirathen, jetzt verstehe ich, was sie forderte und weshalb sie es that, und wiederhole tausendfach in meinem Herzen den Schwur.
Ich kann Georg nicht lieben, weil ich ihn nicht kenne, ich werde ihn nie lieben, weil mein Herz einem Andern gehört. Es ist also besser, wir sehen uns nicht eher, als bis ich meine Unabhängigkeit beweisen und das Recht freier Selbstbestimmung über mein Schicksal durch die Fähigkeit, dasselbe aus mir heraus sicher zu stellen, so weit ein Mensch das überhaupt vermag, vor Angriffen bewahren kann.
Ob mein Onkel wirklich Veranlassung hat, in meinem Namen Gewicht auf Georg's Reichthum zu legen, ob er sich wirklich durch die Nothwendigkeit getrieben glaubte, die beleidigende Zumuthung an mich zu stellen, aus einer Herzenssache eine dringende Speculation zu machen, weiß ich nicht, will aber jedenfalls mein Leben demgemäß ordnen.
Erst wenn ich auch äußerlich unabhängig dastehe, das heißt, es beweisen kann, daß ich mich durch mich selbst zu erhalten fähig bin, erst dann wird es Zeit sein, an Dein Herz die Bitte zu richten, mir ohne jegliche andere Bedingung, als die freiwillig gespendeter Liebe und Verehrung, den Zugang zu demselben zu gewähren.
Giebt es leider tausend nicht wegzuleugnende, untergeordnete, ja oft niedrige Interessen, das Menschengeschlecht untereinander zu verbinden, zwischen Verwandten, also Solchen, die Gott ganz besonders auf einander angewiesen hat, sollte Liebe die einzige bindende Kette sein, nicht Liebe in einer besondern, willkürlich verlangten Form und Gestalt, sondern ohne Anspruch gegeben und gefordert, zu nichts verpflichtend und nichts gewährend, als was das Herz frei und aus der innersten Tiefe heraus zu bieten vermag.
Laß mich hoffen, theure Großmutter, daß ich Dir einst in dieser Weise mein Herz darbringen darf, ich werde es um so eher im Stande sein, wenn ich mich jetzt der traurigen Nothwendigkeit entziehe, mein sicherstes Eigenthum, die unantastbarste Quelle menschlichen Glückes, mein Herz, täglich und stündlich vor willkürlichen Angriffen und ungerechter Herrschaft über dasselbe zu wahren.
Der Capitän des Neptun, der Dir diesen Brief überbringt, ist unschuldig an der scheinbaren Vernachlässigung Deines bestimmten Auftrages in Betreff meiner Person. Ich täuschte ihn und nehme auch hierfür die volle Verantwortlichkeit auf mich.
Mit dem Wunsch, Dir einst in Wahrheit und freiwillig geben zu dürfen, was zu hoch steht, um dem Befehl zu folgen, und zu frei in sich ist, um dem Zwang zu gehorchen, mit dem Wunsch, Dir meine Liebe einst geben zu können, bleibe ich
Deine
Großtochter Flora.
Frau Artefeld warf den Brief auf den Tisch und griff nach Jakobi's Zeilen. Sie enthielten nur die wenigen Worte:
Thomson und Eisenhart in Compagnie insolvent erklärt, Mr. Thomson Reißaus genommen. Dies die neuesten Nachrichten aus New-York. Es bleibt jetzt nur noch eine Möglichkeit zur Hülfe. Nehmen Sie Courierpferde und fahren Sie direct zum Grafen ******. Geld kann allein helfen und anderweitig wird es nicht zu haben sein. Ein paar Tage wird man die Sache noch halten können, aber Eile thut noth.
In Ergebenheit
Jakobi
Auch dieser Brief wurde auf den Tisch geworfen, während ein tiefer Athemzug, der fast einem Stöhnen glich, der einzige Ausbruch innerer Gemüthsbewegung war, den die eiserne Frau sich gestattete.
Sie stand wieder auf und ging wie vorher in der Stube auf und ab, aber die Kniee wankten ihr, und ein paarmal mußte sie mit der Hand über die Stirn fahren, die kalten Tropfen abzuwischen, die Seelenpein und Herzensangst dort zum Ausbruch brachten. –
Inzwischen waren Georg's und Friedrichs Nachforschungen nach Wendula erfolglos geblieben. Von allen Seiten tauchten Nachrichten über sie auf, aber keine führte zum Ziel.
Auf den verschiedensten Wegen war sie gesehen worden, Jeder, der ihr begegnet, eilte herzu, Nachricht über sie zu geben, aber Alles war erfolglos und wenig tröstlich.
Einem Jeden war ihre verstörte Miene, ihre gebrochene Stimme, ihre seltsame Hast und Eile, jede Anrede schnell abzuschneiden, aufgefallen, aber Niemand hatte ihre Erwiderung, daß sie mit einer Botschaft abgeschickt sei, bezweifelt, Niemand die Besorgniß gehegt, es könne ihr auf dem einsamen Wege ein Unheil widerfahren oder sie gar eins aufsuchen. Friedrich und Georg verfolgten jeden Weg, auf dem sie gesehen worden war, sie fragten in jeder Hütte, jedem Hause an, sie erkundigten sich sogar in Swinemünde nach den abgegangenen Schiffen und den Passagieren derselben, nirgends eine Nachricht, eine Spur von ihr.
Stunde auf Stunde verging, wer vermöchte es, die Gedanken zu zählen, zu ordnen, die während dessen in Frau Artefeld's arbeitendem Gehirn auf und ab wogten! Zuletzt gingen sie unter in dem dringenden Verlangen, ihr Sohn möge zurückkommen und sie von der Angst um ihn erlösen.
Dieser immer quälender werdenden Empfindung hingegeben, hatte sie Momente, in denen sie fast mit Gleichgültigkeit oder mit einer Art von Hohn auf alle die anderen Schicksalsschläge sah, die ihr Haupt trafen, indem sie wohl fühlte, daß der, der dem Herzen drohe, der härteste sei.
Sie konnte die unthätige Ruhe, zu der sie sich verurtheilt sah, zuletzt nicht mehr ertragen. Um doch etwas zu thun, schickte sie nach der Försterei, aber sie bekam nur den Bescheid, Georg sei zwar vor vielen Stunden dagewesen, seitdem aber nicht wieder gesehen worden. Es blieb ihr also nichts übrig als zu warten, auf jeden Schritt, jedes Geräusch zu hören, die Minuten zu zählen und jede als eine Ewigkeit zu empfinden. Es war ein ähnliches qualvolles, peinliches Warten, als Wendula es durchgemacht, noch qualvoller vielleicht, denn an der Herzensangst, die den Sohn von ihrer Seite trieb, an der Lieblosigkeit, wie sie es nannte, die ihn fern hielt, war sie schuld.
Mag man sich nun aber eine Schuld eingestehen oder nicht, an sie glauben oder sie abweisen, aus der Seele zu bannen ist sie nicht, und wie wir das Gefühl auch nennen, das im Gefolge derselben an uns herantritt, welchen Mantel wir ihm auch umwerfen, wegleugnen kann es Keiner. Der empfindliche Fleck ist da, und jede Berührung bringt Schmerz und Pein.
Was half es denn, daß Frau Artefeld sich immerfort wiederholte, sie habe nichts gethan, als ein Spielzeug entfernt, weil es schädlich gewesen. Wenn sie es nun zu hart angefaßt hatte, bis zum Zerbrechen, und Georg's weiches Herz zerbrach mit dabei – wenn –
O, es ließ sich nicht ausdenken, dieses qualvolle, unvernünftige Wenn! – –
Die Wirthin, die es der einsam wartenden Frau abmerkte, daß sie jetzt der Rede Anderer zugänglicher sei als vorher, kam ab und zu herein, über die Angelegenheit, die in Aller Munde war, zu schwatzen. Sie lobte Wendula über die Maßen. Was für ein feines Kind sie sei, welch' vornehmes Wesen ihre Eltern gehabt, wie gut sie das Mädchen erzogen hätten, und wie unrecht es von den Förstersleuten gewesen, sie so schlecht zu halten.
»Der Herr Förster kann nicht dafür,« sagte sie, »und die Frau ist auch nur ein leichtsinniges, unbedachtes Ding, meint's aber nicht böse, die Schuld ist an der Alten. Sie heißt nicht umsonst Frau Katzenpfötchen, und wenn sie auch ihr Gutes hat und hundert Leute streichelt, was hilft das dem Einem, den sie kratzt!«
Dann sprach sie ihre Besorgniß aus, daß das Mädchen verunglückt sein könne.
»Sie kennt zwar den Wald mit seinem Moor und seinen Seen aus- und inwendig,« sagte sie, »aber es sieht doch ein Weg aus wie der andere, und im Dunkeln sind sie leicht zu verwechseln. Sie sagen Alle, sie habe ausgesehen, als sei sie nicht recht bei Sinnen. Nun wahrhaftig, es ist kein Wunder. Wer läßt sich gern einer Schlechtigkeit beschuldigen! Feuer soll sie angelegt haben! Es ist zu toll. Solcher Verdacht kann einen ehrlichen Menschen wohl zur Verzweiflung bringen. Wenn sie nur nicht im Dunkeln in's Moor gerathen oder in einen der Seen gestürzt ist. Nun, die sie hinausgetrieben, haben's zu verantworten!«
Frau Artefeld wischte wieder über ihre Stirn. Entsetzliche Befürchtungen stiegen in ihrer Seele auf. Ueber dem Menschenleben, das auf dem Spiele stand, vergaß sie den Einsatz, um dessentwillen sie das Spiel gewagt hatte.
Endlich spät am Abend erlösten nahende bekannte Schritte die harrende Frau von der Qual des Wartens.
Sie wagte nicht dem Sohne entgegen zu eilen, es flimmerte und schwirrte ihr vor den Augen als er eintrat, geisterhaft bleich, tödtliche Ermattung in den verstörten Zügen. Er warf ein kleines, dunkelgebundenes Buch in Taschenformat auf den Tisch.
»Das ist Alles, was von ihr übrig ist,« sagte er tonlos, »das fanden wir hart am Rande des Sees, an dem ihr Vaterhaus steht, zertretenes Gras und zerbrochene Zweige bezeichnen die Stelle, wo sie –« seine Stimme brach, und mit krampfhaftem Schluchzen ringend, sank er auf den nächsten Stuhl, sein Gesicht mit beiden Händen verhüllend.
Frau Artefeld stand schweigend da, starr und kalt wie eine Bildsäule, dann griff sie, nicht wissend was sie that, mit zitternden Händen nach der Bibel und schlug sie mechanisch auf, aber entsetzt warf sie dieselbe hin, nachdem ihr Auge einen Augenblick auf dem Titelblatt geweilt.
»Des Vaters Segen bauet den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder,« diese Worte, von ihrer Hand geschrieben, schauten sie gespenstisch an, wie eine aus dem Grabe herauftönende Anklage schlugen sie an ihr Gewissen.
Der heraufbeschworene Fluch, gleichviel ob ausgesprochen, ob gedacht, empfunden oder durch die That beglaubigt, der Fluch, der fortwirkend nun ein ganz unschuldiges Haupt zerschmetterte, mit Centnergewicht fiel er auf das Herz zurück, das, als es sich der Liebe verschloß, dem Fluche den Weg bahnte.