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Nicht so wie Georg, im Wechsel seligster Gefühle mit Sorgen, die, einen Herzenswunsch betreffend, auch nicht ohne Herzensglück sind, hatte Frau Artefeld die Zeit der Trennung von ihrem Sohne verlebt. Auch in den Tagen ihres Lebens, die für ihre glücklichsten galten, war ihre Seele nie des Aufschwunges fähig gewesen, der diese, wenigstens für Minuten, über alles Irdische erhebt oder einen Schimmer himmlischer Verklärung über irdische Wünsche breitet, und ihre Sorgen vollends waren nicht von der Art, ihr Herz weit oder weich zu machen, oder sie zu einer Energie des Handelns anzuspornen, die erbaut, ohne erst so viel niederzureißen, daß der Neubau nichts weiter wird, als ein höhnendes Monument für zertrümmertes Glück.
Ihr Glück, ihr Kummer hatten sie nie über die Herzensarmuth erhoben, an der sie gekrankt ihr Leben hindurch, mit der sie in Allem, was das Leben ihr bot oder versagte, nur eine Erhebung oder Schmälerung des eigenen Ich gesehen, über die tiefe Armuth, die es ihr immer verwehrte, sich selbst jemals in den Schatten zu stellen und mit bebendem Herzen in das Licht zu schauen, das Anderen leuchtete, oder es aus der eigenen sonnigen Existenz auf Andere überströmen zu lassen.
Eine solche, nur auf sich beschränkte und durch sich bestehende Natur, die auf ganz bestimmte Lebensbedingungen basirt ist und keine anderen anerkennt, eine solche kämpft einen Kampf auf Tod und Leben, tastet das Schicksal jene einseitigen Bedingungen an, oder untergrub eigene Schuld, eigener Unverstand dieselben!
Seit Jahren schon kämpfte Frau Artefeld diesen Kampf, seit Jahren schon wankte ihr Thron, ward das Gerüst morsch und nagte der Wurm an dem Purpur, so glänzend er auch noch der Welt in die Augen leuchtete.
Sie kämpfte ungebeugt, die Gefahr verachtend, Hülfe und Rath verschmähend, ja beiden trotzend, und gab es sich selbst kaum zu, daß sie kämpfe. Ihr erster Gedanke, ihr erstes Wort, ihr hauptsächlichster Glaube an ihre wichtigste Stütze war immer noch das Ich, das doch so wenig bedeutet, wenn man es von dem Zusammenhang mit Anderen losreißt.
Allen ihren Bestrebungen leuchtete es voran, allen ihren Handlungen drückte es den Stempel auf, selbst da, wo sie für ihren Liebling zu streben, zu handeln glaubte, denn noch nie hatte sie an sein Glück in seinem Sinne gedacht, noch nie war es ihr eingefallen, Georg ohne Beziehung auf ihre eigene Person zu lieben. Nie sagte sie anders als» mein Sohn«, und in dem scharf accentuirten und immer vorangestellten »mein«, das ihr Eigenthumsrecht behauptete, lauerte zugleich die höchste Potenz des Egoismus, der sich selbst in dem Gefühl, das im Selbstvergessen seinen Quell und Ursprung hat, in der Liebe, verlangend und seine Rechte behauptend in die erste Reihe stellt.
Mit Wonne, mit Entzücken, mit tiefer Empfindung des Glückes sagt mancher Vater und manche Mutter: »mein Sohn«, und der Stolz auf das Eigenthumsrecht an diesem Sohn betont auch wohl einmal das »mein«, aber nur der Egoismus betont es immer.
Frau Artefeld hatte in den letzten Jahren schwere Verluste zu tragen gehabt, aber sie war eine lange Zeit auch fähig gewesen, sie zu tragen, und wies deshalb jede ernstliche Bedrohung ihres Reichthums als unmöglich zurück. Deshalb waren auch die Mittel zur Abwehr der Gefahr nicht zweckmäßig gewählt. Aus zu großem Selbstvertrauen, aus Furcht, ihre Autorität könne leiden, wenn sie sich von Jakobi lenken lasse, war sie schon grundsätzlich Allem entgegen, was er als zweckmäßig und vernünftig erkannte, und die freiere Stellung, die er sich nach und nach errungen hatte, so lange Alles seinen gewohnten Gang ging, wurde auf einmal wieder auf's äußerste eingeschränkt, als sich Schwierigkeiten erhoben, ja, Frau Artefeld war nicht wenig geneigt, ihm die Schuld an all' den Unfällen zuzuschreiben, die sie in letzter Zeit betroffen hatten.
Es war nicht leicht für ihn, mit der in demselben Grade hochmüthiger werdenden Frau, als der Grund zu diesem Hochmuth bedroht war, auszukommen, aber Jakobi machte das Unmögliche möglich. Halb und halb bewog ihn ein Gefühl der Anhänglichkeit an die Frau, die jedenfalls sein Glück geschaffen, nun seine Kräfte so viel als möglich zur Erhaltung des ihrigen einzusetzen, wo es ohne Schaden für ihn selbst geschehen konnte; viel schwerer fiel es jedoch in die Wagschale, daß ihr Sturz auch ihn bedrohte.
Er hatte die Zeit für sich nicht verloren, in der er ihren Widerwillen vor Allem, was mit der Vergangenheit zusammenhing, benutzend, geschickt ableitende Interessen in ihr anzuregen gewußt hatte. Es ist unmöglich, daß ein Mensch Alles zugleich thun, zugleich überwachen kann, wenn er es sich auch zutraut, ja, je mehr er sich in einem solchen Fall zutraut, um so leichter wird es vielleicht sein, ihn zu täuschen. Jakobi hatte es in sofern seiner Prinzipalin gegenüber gethan, als er, wider ihr strenges Gebot und in der sichern Erkenntniß und Benutzung ihrer Schwächen, mit unverschämtester Dreistigkeit gewagt hatte, sich bei den Handelsunternehmungen des Hauses Artefeld zu betheiligen. Er legte seine ersparten Summen ganz ruhig in ihrem Geschäft an und speculirte damit so glücklich, daß er sich im Lauf der Jahre ein für ihn nicht ganz unbedeutendes Vermögen erworben, das er nun aber an neue Unternehmungen gewagt hatte.
Der gehoffte Gewinn und die gewagte Summe selbst standen auf dem Spiel, gelang es ihm nicht, das lecke Handelsschiff glücklich in den Hafen zu bringen, ehe der Schaden so groß war, daß es sinken mußte. Wie schwer ist es aber, eine solche Rettung zu veranstalten, wenn die Gefahr erst nicht gesehen, dann um keinen Preis eingestanden und endlich nach lauter unzweckmäßigen Mitteln gegriffen wird, sie zu verhindern.
An diese schwere Arbeit setzte Jakobi alle seine Kräfte, aber den rettenden Hafen, sowie die Möglichkeit, ihn zu erreichen, vor Augen, sank dennoch das Schiff langsam, und die Meereswellen berührten schon den Rand.
Zu allmählich war es so weit gekommen, und zu lange hatte es Frau Artefeld vor sich selbst verleugnet, als daß auch jetzt im Augenblick der höchsten Gefahr ein sicheres Erkennen und ein zweckmäßiges Handeln von ihr zu erwarten gewesen wäre. Sie sah noch immer mit einem sichern Siegesgefühl auf die sie umgebenden Schwierigkeiten, denn sie kannte ja das Mittel, um allen entgegenzutreten, obgleich ihr Stolz es so lange wie möglich hinaus schob, es zu ergreifen, und noch immer andere Auswege suchte. Trotz dieses Glaubens an die Untrüglichkeit ihrer Maßregeln konnte es doch nicht fehlen, daß ihr Geist im höchsten Grade eingenommen und sie oft kaum fähig war, alle die auf sie einstürmenden Gedanken unter die Maske kalten Gleichmuths zu verbergen.
Deshalb fand sie sich willig in Georg's Reise, gab seinen Wünschen und Plänen nach und erhob nicht alle die unsaglichen Schwierigkeiten, an denen sie es sonst selbst da nicht fehlen ließ, wo sie sich geneigt zeigte, seinen Wünschen ein Opfer zu bringen.
Ein Opfer brachte sie ihm auch diesmal, denn es war ja seinetwegen, daß sie sich von ihm trennte, um ihm Sorge und Arbeit zu ersparen, um eine Gefahr an seinem Haupte vorüberzuführen, ehe er deren Tragweite noch ahnte.
Georg war bis dahin wirklich ahnungslos, daß der Wohlstand seiner Mutter bedroht sein könnte. Frau Artefeld hatte ihm noch nie einen tieferen Einblick in ihre Verhältnisse gestattet, und obgleich ihm, als Mitarbeiter in dem Comptoir seiner Mutter, die wechselnden Chancen des Glückes und ihr Einfluß auf die Geschäfte des Hauses natürlich nicht entgangen waren, ja, obgleich selbst er schon einsah, daß manchem Verlust durch ein rascheres Erkennen der Situation hätte vorgebeugt werden können, so fiel ihm doch der Gedanke noch nicht von Weitem ein, jene Verluste könnten schon die Lebenswurzel des Geschäftes antasten.
Wie sollte er das auch glauben! Blieb doch der Gleichmuth seiner Mutter unerschüttert, sagte sie doch bei jedem neuen Schlage, der traf: »Es ist gut, daß wir ihn tragen können,« bei jedem der Handelswelt überhaupt ungünstigen Ereigniß: »Daran wird manches kleine Haus zu Grunde gehen, Gottlob, daß ich nicht dazu gehöre!«
Damit beugte sie jeder Besorgniß seinerseits vor, und Jakobi fühlte sich um so weniger veranlaßt, ihm die Augen zu öffnen, als es in seinem Interesse lag, den jungen Mann möglichst unmündig zu erhalten.
Die Verhältnisse wurden aber verzweifelter, die Lage kritischer, Frau Artefeld konnte nicht lange mehr auf Georg's Arglosigkeit bauen, und doch lag ihr Alles daran, ihn ihren tieferen Sorgen fern zu halten. Sie fand keinen Trost in der Theilung derselben, im gemeinsamen Tragen; ihr Ungemach verletzte sie, sie fühlte eine schwache Stelle getroffen und scheute nichts so sehr, als sich schwach zu zeigen, und schließlich wollte sie von keinem Andern Rath und Hülfe, nicht einmal von ihrem Sohn.
Sie drückte sich also die gewohnte Dornenkrone auf's Haupt und ließ Georg reisen, gestattete ihm selbst, mit Victor zusammenzutreffen; es war ihr Alles darum zu thun, ihn zu entfernen. Sie wußte, daß sie einer Krisis nahe war, daß etwas Entscheidendes geschehen mußte. Sie wußte auch, was sie thun wollte, um es zu ermöglichen, jene Zahlungen zu leisten, von denen ihr Credit abhing, aber sie sah es kommen, daß eine offene Aussprache mit Jakobi nöthig sein würde, um ihn, der ihr nahe daran schien, seinen Kopf zu verlieren, zur Besinnung und zu ruhigem, vernünftigem Handeln zu bringen.
Jakobi den Kopf verlieren! Er sah alle Chancen klar vor sich, aber die Geduld verlor er zuweilen dem Starrsinn und der Unvernunft seiner Herrin gegenüber, die einmal durchaus in ihrer eigenen Weise aus dem Dilemma herauswollte, in das sie das wechselnde Glück und zu einem guten Theil auch ihr Eigensinn gestürzt hatten.
Georg ahnte nicht, daß seine Mutter die Tage voll quälender Unruhe und die Nächte schlaflos zubrachte, während das heiligste und schönste Glück der Jugend, die erste Liebe, wie ein Stern über seinem Haupte aufging und selbst die Wolken durchstrahlte, die zuweilen denselben zu verhüllen drohten, wenn er an seine Mutter, an ihre Pläne, ihre Wünsche und die ihr eigenthümliche Festigkeit und Consequenz dachte, mit der sie ihren Willen durchzusetzen pflegte.
Er hatte es nie verstanden, seine Mutter klug zu behandeln, wie Jakobi es that. Die Menschen, die man liebt, kann man überhaupt nicht behandeln, am allerwenigsten klug, denn Liebe duldet, mildert, übersieht wohl die Schwächen, Klugheit aber benutzt sie. Er vertraute also auch jetzt nur seiner Liebe, wenn er an den ihm bevorstehenden Kampf dachte, aber seine Zuversicht war nicht felsenfest, so sehr er auch im Augenblick geneigt war, sie dafür zu nehmen, und aus der unsichern Stimmung, in der er sich befand, ging auch ein unsicherer Ton in seinen Briefen hervor, der ihr auffiel und eine ungewöhnliche Sorge zu denen gesellte, die ihr leider nur zu sichtbar vor Augen standen.
Sein langer Aufenthalt in Häringsdorf beunruhigte sie um so mehr, als eine rücksichtslose Nichtachtung ihres Willens darin lag, die sie von ihm nicht gewohnt war.
Die Unruhe wuchs, als sie von der Anwesenheit der Richter'schen Familie vernahm, von Georg's Verkehr mit derselben, und weit entfernt, auf die warme Empfindung einzugehen, mit der er ihr eine Schilderung der einfachen, anspruchslosen Herzensgüte der Leute entwarf und die Hoffnung auszusprechen wagte, daß nur ein Mißverständniß Flora von der Mutter getrennt haben könne, wies sie vielmehr durch einige nichtachtende Worte Georg's sichtliches Bemühen, sie mild zu stimmen, ab. Dann folgten Briefe voller Enthusiasmus, nicht über Richters, auch nicht über Victor oder einen besondern Gegenstand oder eine besondere Person, aber über die Welt, die Schöpfung, Gott und Menschen – über das Glück, zu leben und jung zu sein, genug Briefe, einer Sprache voll, die sie weder verstand, noch tolerirte.
»Sie machen ihn mir verrückt, hätte ich ihn nur erst wieder hier!« sagte sie, aber sie entschloß sich doch nicht, ihn zurückzurufen. Sie meinte mit ihm schon fertig werden zu können, hätte sie nur erst den Weg geebnet, den zu beschreiten er bestimmt war.
Inzwischen verging Tag auf Tag, und die Calamitäten mehrten sich. Es kommt selten ein Unglück allein, sagt ein Sprichwort, und es sagt, wie die Erfahrung schon unzählige Male gelehrt hat, die Wahrheit. Steht erst eine Gewitterwolke über dem Haupt eines Menschen, so folgt Schlag auf Schlag, Blitzstrahl auf Blitzstrahl.
Frau Artefeld's Haus stand noch mühsam auf Stützen, da fallirte eins der ersten Handelshäuser in Wien, riß unzählige kleinere in den Sturz hinein und machte größere wenigstens erbeben. In den glänzendsten Tagen ihrer Blüthe würde die Firma Artefeld bei dem unerwarteten Stoß gebebt haben, durch größere und kleinere Verluste erschüttert, wankte sie in ihren Grundtiefen.
Der Sturz schien unvermeidlich, und Jakobi glaubte seine Zeit gekommen. Den Sturz verhüten und mit Hülfe desselben emporsteigen, das war sein Plan, und demgemäß ergriff er den Augenblick, in dem die stolze Frau, nicht gleich ihrer Gemüthsbewegung Herr werdend, sichtlich erschüttert vor ihm stand, zur Entwickelung seiner Vorschläge.
Sie bestanden in nichts Geringerem, als daß er, Jakobi, sich anheischig machte, auf den bisher in der öffentlichen Meinung noch unangetasteten Credit seiner Herrin hin die Summen herbeizuschaffen, die nöthig waren, der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit vorzubeugen, daß er mit seinem bisher erworbenen und sicher angelegten Eigenthum wie mit seinem Namen in die Firma eintreten wollte, dann aber auch volle Selbstständigkeit des Handelns, um mit Hülfe seiner ungehemmten Anstrengungen und seiner klareren Einsicht den gefürchteten Sturm vorüberzuführen und das in den letzten Jahren nur mühsam behauptete Ansehen der Firma zu neuer Blüthe emporzuheben, beanspruchte. Um einen Beweis zu seiner Befähigung zu dem schweren Werk zu geben, berief er sich auf die auf eigene Hand geführten Geschäfte und den glücklichen Erfolg derselben, gestand es ein, daß und in wie weit er selbst bei dem möglichen Sturz des Hauses betheiligt sei, und daß, wenn er sein Vermögen daran wage, ihn zu verhüten, er weniger im Sinn haben könne, den jetzt für ihn aus dem Fall erwachsenden Schaden zu verhindern, als für das Wagniß die Möglichkeit künftiger Größe einzutauschen.
Da Frau Artefeld gar nicht antwortete, da auch keine Miene ihres Gesichtes den Eindruck verrieth, den Jakobi's Vorschläge auf sie machten, sondern sie, scheinbar ruhig und aufmerksam ihm zuhörend, in ihrem Lehnsessel sitzen blieb, die Arme gekreuzt, die Augen auf den Redenden gerichtet, fuhr er fort, seine Pläne zu entwickeln.
Den Verkauf oder die Verpachtung des Gutes, das so, wie Frau Artefeld es bisher hatte verwalten lassen, nur Kosten und keine Einnahmen gebracht hatte, stellte er als eine Nothwendigkeit dar, da durch die Verhältnisse augenblicklich Einschränkung, wenigstens die Vermeidung eines jeden Luxus geboten sei, auch hatte er sich schon unter der Hand nach Kauflustigen oder einem tüchtigen Pächter erkundigt.
Dann erinnerte er an eine zur Chronik des Hauses gehörige, seiner Prinzipalin wohlbekannte Geschichte.
Frau Artefeld's Vater war einst in aufopferndster und uneigennützigster Weise einer der reichsten Magnatenfamilien der Provinz zu Hülfe gekommen, als eine Anhäufung widriger Schicksale und unverschuldeter Unglücksfälle die Erhaltung der seit Jahrhunderten der Familie gehörenden Güter zweifelhaft machte.
Hatte er auch keinen Verlust dadurch gehabt, so hatte er ihn doch damals gewagt, und selbst wenn sich kaufmännische Speculation in seine Bereitwilligkeit, zu helfen, gemischt hätte, so war doch der Erfolg für die gräfliche Familie derselbe, denn es war ihr dadurch möglich gewesen, ihre Besitzungen zu retten und sich im Lauf der Jahre zu einem Reichthum emporzuschwingen, der den früheren, selbst in seinen besten Zeiten, bei Weitem überwog. Sie machte zudem eine rühmliche Ausnahme von denen, die eine Wohlthat vergessen, sobald ihr Zweck erfüllt ist. Die Hülfe des Artefeld'schen Hauses war nicht vergessen worden und lebte in der Familie fort, obgleich Beide, der Empfänger der Hülfe, wie der, von dem sie geleistet wurde, todt waren.
Auf diese Familie nun hatte Jakobi seine hauptsächlichste Hoffnung auf Rettung gebaut und erbot sich augenblicklich hinzureisen, um im Namen der Frau Artefeld die Anleihe zu machen, die ihr, wie er sicher erwartete, als ein Act der Dankbarkeit gewährt werden müsse.
Als er geendet, stand Frau Artefeld auf.
»Für eine hoffnungslos verlorene Sache, für die Sie die meine zu halten scheinen,« sagte sie ruhig, »wären Ihre Rathschläge allenfalls zu bedenken, obgleich ich schon deshalb nicht darauf eingehe, weil leider nicht Anhänglichkeit, sondern Egoismus Ihnen dieselben dictirt, ja, ich fürchte fast, Egoismus Sie zu den Fehlgriffen verleitete, durch die meine augenblickliche Bedrängniß herbeigeführt ist. Sie haben sich jedoch sehr verrechnet, wenn Sie glauben, selbst durch meinen Fall steigen zu können. Ich würde lieber mein Haus untergehen sehen, als meinen Diener an die Spitze desselben stellen, selbst wenn er mir nicht, wie Sie, eben Beweise von Unredlichkeit gegeben. Ueber Ihr Eigenthum, das Sie ohne mein Wissen in meinem Geschäft anlegten, seien Sie unbesorgt, Sie sollen der Erste sein, dessen Schuld gedeckt wird. Um es zu thun, um allen Forderungen gerecht zu werden, habe ich, Gottlob! weder nöthig Verbindungen einzugehen, die unter meiner Würde sind, noch mich so zu demüthigen, um das Recht der Vergeltung in Anspruch zu nehmen, eben so wenig wie ich eine Veranlassung sehe, den geringen Luxus aufzugeben, den zu treiben ich mir gestatte. Mein Gut wird nicht verkauft, und die Familie, die mein Vater einst aus tiefer Bedrängniß erhob, wird nicht um ein Darlehn angesprochen.«
Jakobi hörte mit ziemlicher Fassung diese abweisende Antwort an. Wenn auch beleidigt über die Art, in der sein Antrag aufgenommen wurde, gab er noch die Hoffnung, sein Ziel zu erreichen, nicht auf, ja, er war sogar auf diese erste Niederlage vorbereitet gewesen und begegnete seiner Herrin schon deshalb mit der größten Demuth, weil er in jedem Fall einen Zwist vermeiden wollte, der sie etwa gar veranlaßt haben könnte, ihn von ihrer Person zu trennen.
Er bat um Verzeihung, dem Willen seiner Prinzipalin zuwider mit seinen Ersparnissen in ihrem Namen Geschäfte getrieben zu haben, er betheuerte, dabei mit strengster Redlichkeit verfahren zu sein, und erbot sich zu jeder geforderten Rechnungsablegung. Er bat sie, ihm die Anmaßung zu verzeihen, mit der er es gewagt, von gemeinschaftlichen Geschäften, von einer Vereinigung seines Namens mit dem ihrigen zu träumen, er sprach von einer Verirrung des Ehrgeizes, und meinte dann doch wieder, dem männlichen, Ehrgeiz dürfe kein Ziel zu hoch sein. Er versicherte, seine Kühnheit auf's tiefste zu bereuen, er betheuerte seinen warmen Eifer für das Wohl der Firma und der hochgeehrten Persönlichkeit der Frau, die sie immer so würdig vertreten, er erbot sich zu jeder Dienstleistung, er bat, ihn nur nicht eher für die Anmaßung seiner Vorschläge zu bestrafen, ehe er nicht gewürdigt worden sei, sie durch Aufbietung aller seiner Kräfte im Dienst seiner über Alles verehrten Prinzipalin wieder gut zu machen.
Er sprach mit bebender Stimme und feuchten Augen, und wußte in seine Unterwürfigkeit so viel verstohlene Schmeichelei geschickt zu verstecken, daß ein volles Maß eitler Selbstüberhebung dazu gehörte, sie für baare Münze, statt für zweckdienliche verhüllte Unverschämtheit zu nehmen.
Frau Artefeld fühlte sich besänftigt. Sie sah Jakobi's Reue und verzieh ihm großmüthig, wenn auch allerdings entschlossen, ihn nach beendigter Krisis von seinen Geschäften zu entbinden und künftig Georg unter ihrer Aufsicht mit der Leitung derselben zu beauftragen.
Im Augenblick wäre es ihr schwer gewesen, Jakobi zu entbehren, und obgleich sie sich das nicht eingestand, machte ein Gefühl davon sie doch wohl zum Verzeihen geneigter, als sie es in den Tagen ihres unangefochtenen Glanzes gewesen sein würde.
»Ich reise morgen nach Häringsdorf ab,« sagte sie dann, sichtlich bemüht, eine völlig unbekümmerte Miene zu zeigen, »Georg schreibt so entzückt von seinem Aufenthalt, daß ich den Ort kennen lernen will. Ich bleibe nur einige Tage dort und will dann mit ihm nach Hamburg, um dort Flora Eisenhart, meine Enkelin und Georg's Braut, zu empfangen. Das Schiff, das sie von England bringen soll, muß bereits abgesegelt sein. Ich habe hier die Nachricht von der Verlobung meines Sohnes mit Flora Eisenhart ausgesetzt, von mir und Mr. Thomson, Thomson und Eisenhart in Compagnie, als den nächsten Anverwandten der Waise, angezeigt; sorgen Sie dafür, daß die Anzeige in alle namhaften Blätter eingerückt wird.«
So gleichgültig sie das auch sagte, so verstand Jakobi doch die geheimsten Regungen ihrer Seele dabei.
Flora Eisenhart, die Theilhaberin an dem Geschäft eines Millionärs und die einzige Erbin desselben, baute also die goldene Rettungsbrücke über den gähnenden Abgrund.
Die Verlobung kam zur rechten Zeit, sie konnte wirklich retten. Für den Augenblick war die Nachricht davon genügend, die Aengstlichkeit zu beruhigen und manche vielleicht schon beabsichtigte Forderung zu unterdrücken. Der Reichthum der jungen Dame bot sichere Garantie für die fernere Zahlungsfähigkeit der Firma und für ihr Fortbestehen und Gedeihen.
Frau Artefeld sagte kein Wort über diese Hoffnungen, sie that, als sei die Verlobung die gleichgültigste und die Anzeige derselben in diesem Moment die zufälligste Sache von der Welt, und Jakobi hütete sich, sie als etwas Anderes als eine Familienangelegenheit aufzunehmen.
Er wünschte Glück dazu und verwünschte sie innerlich, denn seine ehrgeizigen Pläne mußten an der Thatsache dieser Heirath scheitern. Obgleich mit dem Project derselben nicht unbekannt, hatte er doch keine Ahnung von dem so nahen Zeitpunkt ihrer Vollziehung, eben so wenig wie von der erwarteten Ankunft der jungen, reichen Erbin gehabt. Es war nicht schwer für ihn zu durchschauen, zu welchem Zweck die Ankunft derselben so plötzlich in's Werk gesetzt war, und obgleich seine Gewissenhaftigkeit sich nicht die mindesten Skrupel gemacht haben würde, in ähnlichem Fall ebenso zu verfahren, so begriff er es doch, was diese Handlungsweise dem Stolz der Frau Artefeld gekostet haben mußte.
Mr. Thomson wußte schwerlich etwas von der bedrohten Existenz des Hauses, das mit dem Gelde seiner Nichte und Erbin vor dem Sturz gerettet werden sollte. Man fing das Goldfischchen mit vergoldetem Netz, dessen Fäden gerade nur so lange noch mühsam halten konnten, bis das Fischchen darin war.
Wie nennt man eine solche Handlung unter ehrlichen Leuten? Pflicht der Selbsterhaltung? Erlaubte Speculation? Oder Perfidie und Betrug?
Wie schwer für eine Frau, die gewohnt war, ihr Haupt aufrecht zu tragen, sich so tief zu bücken, durch niedrige Hinterthüren dorthin zu gelangen, wo man sie schwerlich unter so bewandten Umständen anders eingelassen haben würde!
Jakobi sah Frau Artefeld an. Sie stand so gerade wie eine Kerze vor ihm. Er wandte sich halb mitleidig, halb bewundernd ab und empfing dann schweigend ihre weiteren Befehle.
Als sie ihm Entlassung zugewinkt und er eben im Begriff war, das Zimmer zu verlassen, rief sie ihn noch einmal zurück.
»Es hat mit der Anzeige von der Verlobung meines Sohnes noch keine solche Eile,« sagte sie in gleichgültigem Tone zu ihm, »ich habe mich anders besonnen und denke, ich lasse sie noch bis zu meiner Rückkehr mit dem Brautpaar. Vielleicht will mein Sohn sie erst selbst seinen genaueren Bekannten mittheilen, und ich will ihm in diesem Fall nicht gern vorgreifen. Etwas Neues wird die Welt nicht erfahren,« setzte sie in noch gleichgültigerem Tone hinzu, »ich lege Ihnen also auch kein so strenges Geheimniß auf. Die Thatsache steht fest, die Bekanntmachung derselben ist ja nur eine Form, gleichviel, wann sie beobachtet wird.«
Aufs Neue winkte sie Jakobi Entlassung zu.
Dieser hatte Mühe ein Lächeln zu verbergen, das mit triumphirendem Hohn seine Züge überfliegen wollte.
»Die Verlobung ist also doch nicht so sicher,« dachte er, »sie wagt es nicht, sie zu veröffentlichen, sie wollte vorläufig nur mir Sand in die Augen streuen und bevollmächtigt mich, unter der Hand ein Gleiches mit der Welt zu thun. Mit ihrem Namen darunter schickt sie die Nachricht, die vielleicht eine Lüge ist, noch nicht in die Welt, aber sie rechnet auf mündliche Ueberlieferung.«
»O, es giebt doch noch klügere Leute als Sie, verehrte Frau Prinzipalin,« sagte er unwillkürlich laut, »wir wollen doch sehen, ob wir Ihnen nicht gewachsen sind.«
»Nun, wie steht's, was hast Du ausgerichtet?« fragte seine Frau, als er von seiner Unterredung mit Frau Artefeld zu ihr zurückkam. »Wird es bald heißen: Artefeld und Jakobi in Compagnie?«
»Bah,« sagte Jakobi, »das Messer sitzt ihr an der Kehle, aber nicht ein Haarbreit kommt sie von ihrer Höhe herunter. Noch steht sie für sich und braucht meine Hülfe nicht. Es ist etwas Großes um solche Zähigkeit, ich bin nur neugierig, ob ihr das Manöver gelingen wird.«
Er erzählte seiner Frau, um was es sich handelte. Diese lachte geringschätzig.
»Ich glaube kein Wort davon,« sagte sie, »man fliegt doch nicht so von Amerika herüber, und wenn die reiche Braut auch wirklich unterwegs sein sollte, sie bringt doch auch nicht gleich die Millionen mit.«
»Das verstehst Du nicht,« unterbrach sie Jakobi, »es handelt sich hier weniger um das Geld als um den Glauben an dessen Dasein, und dafür sorgt die Heirath mit dem reichen Mädchen.«
»Wenn sie nun aber nicht zu Stande kommen sollte und es dann zu spät zu Deiner Hülfe ist, wie dann?« fragte die Frau.
»Dann sauve qui peut!« antwortete Jakobi leichtfertig, fügte dann aber ernster hinzu: »Vorbereiten wollen wir uns wenigstens auf diesen Fall.«
Frau Artefeld reiste am nächsten Morgen wirklich nach Häringsdorf ab. Die sehnlichst erwartete Nachricht von dem baldigen Abgange des Schiffes, an dessen Bord Flora sein sollte, war ihr endlich zugekommen und hatte ihr Herz von einer Centnerlast befreit.
So war denn der Augenblick da, diese Heirath in's Werk zu setzen, die, seit Jahren ihr Wunsch, nun in ihren Augen zur dringendsten Nothwendigkeit geworden war. Sie athmete auf, die Angst und Sorge der letzten Zeit war kaum zu ertragen gewesen, um so mehr, als sie ängstlich Jedermann von ihrem Vertrauen ausschloß. Nun endlich sah sie Licht und trat mit der festen Ueberzeugung die Reise an, nun am Ziel aller Verwirrung und Bedrängnisse zu stehen, den Glanz ihres Hauses, sowie das Glück ihres Sohnes nun für alle Zukunft gerettet und sichergestellt zu haben.
Dennoch sprach die innere Hast, mit der sie ihre Abreise betrieb, der Eifer fortzukommen und so schnell als möglich dem Schauplatz so vieler Unruhe und Sorge zu entrinnen, ja der Entschluß, lieber ein paar Tage in Häringsdorf zu verweilen, selbst auf die Gefahr hin, mit Richters zusammentreffen zu müssen, als noch länger müßig und zum Abwarten verurtheilt in Breslau zu bleiben, das Alles sprach wenig für ihre Gemüthsruhe.
Sie war auch nichts weniger als ruhig, obgleich sie sich eifrig bemühte, sich zu überreden, daß nun alle Schwierigkeiten gehoben seien. Die Furcht, Georg's längeres Verweilen in Häringsdorf könne einen Grund haben, der ihn ihren Plänen abgeneigt machte, diese Furcht, die sie, sonderbarer Weise, von dem Augenblick an beherrschte, als die Meldung von Flora's baldiger Ankunft sie scheinbar aller Sorgen enthob, diese wirkte auch mit zu dem Entschluß, Georg in seinem Elysium zu überraschen, im schlimmsten Fall ihren Einfluß über ihn geltend zu machen und wenn sie sich getäuscht, wenn wirklich nur die Schönheit der Natur, das idyllische Leben, der romantische Müßiggang seinen Enthusiasmus erregt hatte, es zu versuchen, die paar Tage, die sie noch von der Erreichung ihres Zieles trennten, in seiner Gesellschaft so gut als möglich hinzubringen.
Genug, es trieb sie fort, trieb sie von dannen, wie es ja oft den Menschen treibt und zieht, wenn er im Augenblick an der Grenze seines Handelns steht, die Erfüllung seines Geschickes ahnt und es ihm an der Kraft der Seele gebricht, die uns zur rechten Zeit Harren und Warten lehrt.
Zu beidem gezwungen, wirkt der gewaltsame Stillstand der seelischen Kräfte meist mehr lähmend als beruhigend auf den Körper. So auch bei Frau Artefeld. Schon auf der Reise Anfällen von Hinfälligkeit und Schwäche hingegeben, wie sie dieselben noch nie an sich gekannt, fühlte sie sich, in Stettin angekommen, so ernstlich unwohl, daß sie nicht daran denken konnte, noch an demselben Tage die Reise fortzusetzen.
Georg erschrak, als er die Mutter wiedersah. Es giebt doch einen Grad von Seelenerregung, der jeder Maske spottet, und dieser sprach sich so deutlich in den marmornen Zügen der strengen Frau aus, gab der Ruhe, die sie heucheln wollte, etwas so Steinernes, ihrer Gesichtsfarbe einen so krankhaften Ton, daß Georg, von den lebhaftesten Befürchtungen um ihre Gesundheit ergriffen, sie beschwor, doch augenblicklich einen Arzt herbeiholen zu dürfen.
»Ich bedarf nichts weiter als Ruhe,« sagte sie. »Ich habe überangestrengt gearbeitet, um mich los zu machen und zu Dir eilen zu können, bin dann Tag und Nacht gefahren, das ist alles. Bis morgen werde ich mich erholt haben, den heutigen Tag mußt Du mir schon opfern und bei mit bleiben, mich zu pflegen, zu erheitern. Ich sehe, daß das Alter kommt und daß es Zeit ist, den Mahnungen desselben nachzugeben. Gottlob, daß ich es kann, daß ich einen Sohn habe, der es gelernt hat, in meinem Sinn zu denken und zu handeln, auf den ich meine Pflichten zu übertragen, dem ich ein Glück zu bringen vermag, das ihm nur um so theurer deshalb sein wird, weil er es aus meiner Hand empfängt.«
Sie sprach in so bedeutungsvollem Tone, daß Georg in banger Ahnung erbebte.
»Du weißt, es ist meine Art, erst zu handeln und dann, wenn Alles fertig, sicher und abgeschlossen ist, zu reden; das habe ich auch diesmal gethan,« fuhr sie fort, »nun litt mich aber auch die Ungeduld nicht mehr zu Hause. Du siehst, ich habe fast meine Gesundheit auf's Spiel gesetzt, um Dir nur recht bald und selbst die guten Nachrichten zu bringen, an denen ich reich bin.«
Georg sah sie erwartungsvoll an. »Flora Eisenhart trifft in diesen Tagen in Hamburg ein,« sagte sie.
Georg erblaßte, bemühte sich aber ein paar Worte vorzubringen, die seine Freude an der Ankunft einer so nahen Verwandten ausdrücken sollten.
»Nahen Verwandten!« wiederholte Frau Artefeld mit scherzhaftem Vorwurf im Tone, »ich denke, sie wird bald, nächst mir, Deine nächste Verwandte sein Du wirst in ihr Deine Braut empfangen und die Hochzeit soll dann sehr bald nach unserer Rückkehr stattfinden.«
»Liebe Mutter,« sagte Georg, »das ist doch nicht Dein Ernst?« Seine Stimme zitterte unwillkürlich
»Du bist aufgeregt durch die Nachricht, das Seebad scheint Dir nicht viel geholfen zu haben, Du bist gerade so nervös wie sonst, wirst abwechselnd blaß und roth und Deine Hände sind ganz kalt,« bemerkte Frau Artefeld.
Georg holte tief Athem. Er fühlte es, daß er der Entscheidung nahe stand, daß sie schneller über ihn hereinbrach, als er es gedacht hatte. Es konnte nun nicht mehr die Rede davon sein, die Mutter langsam auf seine Wünsche vorzubereiten, eine viel schwerere Aufgabe stand ihm bevor, die, einen fest ausgesprochenen Willen einem der Reife nahen Plan entgegenzusetzen.
Dennoch verlor er den Muth nicht, denn seine Zuversicht zu der Liebe der Mutter war groß und sein eigenes Empfinden in dieser Beziehung so tief und innig, daß es sein Vertrauen nur noch erhöhte. In keinem Fall half ein Zögern. Gesagt mußte werden, was ihm auf der Seele lag, also gleich und ohne Rückhalt wollte er es sagen.
»Ich bin ganz gesund, theure Matter,« sagte er in Erwiderung der eben geäußerten Besorgnisse. »Ich bin ganz gesund, wenn ich auch nicht ohne Aufregung eine Nachricht empfange, die wenn Du nicht gütig, sehr gütig bist, leicht zum ersten Male unsere Meinungen und Wünsche auseinander führen muß. Ich will sehr gern nach Hamburg gehen und Flora empfangen, nur verlange nicht, daß ich in ihr meine Braut sehen soll.«
»Warum nicht?« fragte Frau Artefeld.
»Flora ist mir ganz fremd, ich kann sie unmöglich lieben und werde nur aus Liebe heirathen!« entgegnete Georg fest.
»Das hättest Du früher sagen müssen, jetzt ist es zu spät,« entgegnete seine Mutter.
»Ich habe es gethan,« versicherte er.
»Nicht so, daß ich es für eine ernste Meinung hätte halten müssen,« behauptete Frau Artefeld.
»Du sprachst bisher von dieser Heirath nicht wie von einer unabweisbaren Bestimmung für mich,« entgegnete er, »wozu Widerspruch erheben, wo noch keine Forderung an uns herantritt?«
»Der Widerspruch würde Dir auch nicht viel geholfen haben, eben so wenig wie ich ihn jetzt für etwas Anderes als eine Kinderei zu nehmen gedenke. Wahrscheinlich macht es Dich verlegen, Dich in so naher Beziehung zu einem Mädchen zu denken, das Du noch nicht gesehen hast. Du bist noch wenig mit jungen Damen zusammen gewesen, aber diese Schüchternheit wird sich wohl überwinden lassen.«
Georg mußte unwillkürlich lächeln.
»Siehst Du, ich habe Dich errathen, o, ich kenne Dich, es möchte Dir schwer sein, eine Falte Deines Herzens vor mir zu verbergen,« triumphirte Frau Artefeld.
»Das will ich auch nicht, Mutter,« sagte Georg innig, »will es um so weniger da, wo Du mein Herz falsch beurtheilst. Ich will Dir die volle Wahrheit sagen. Ich könnte, kein Mädchen heirathen, das ich nicht liebe, auch Dir zu Gefallen nicht, ich würde es versucht haben, Flora lieb zu gewinnen, um Deinen Wunsch zu erfüllen, es ist aber nun zu spät dazu. Ich habe eine Andere lieb. Wie lieb, Mutter, kann ich Dir nicht sagen. Beschreiben läßt sich das Gefühl nicht, nur empfinden und dafür leben und sterben.«
Er schlang seinen Arm um die Mutter, er zog sie, die unfähig war ihm zu widerstreben, neben sich auf das Sopha und erzählte ihr in einfachen, innigen Worten von seiner Bekanntschaft mit Wendula, von ihrer Schönheit, ihrer Unschuld, von den traurigen Verhältnissen derselben, von dem Zauber, den sie vom ersten Augenblick an auf ihn ausgeübt, einem Zauber, dem er willen-, ahnungslos gefolgt sei, bis auf einmal die volle Erkenntniß der Liebe in seinem wie in ihrem Herzen aufgegangen und Beiden das süße Geständniß entlockt habe, das nun und nimmer und durch keine Macht der Erde je wieder verleugnet werden könne.
Er sprach in sanftem Tone, aber mit einem Feuer, einer Wahrheit der Empfindung, die seine Zuhörerin wider ihren Willen erbeben machte.
Die einfache Geschichte der Liebe, von ihrem Sohn ihrem Herzen anvertraut, rief noch einmal ein längst vergessenes, einst auch sie beglückendes Gefühl zurück, ein Gefühl, das vom Leben verhöhnt, von ihr verachtet, dennoch trotz dieser Verachtung sich für einen Augenblick wieder erhob, wie eine niedergetretene Blume sich aufzurichten versucht, weht ein belebender Windeshauch um ihr gesenktes Haupt.
Ja, sie kannte das Gefühl, das Georg an sich schilderte, sie hatte es an sich selbst erfahren, hatte seine Gewalt und seine Werthlosigkeit kennen gelernt. Illusionen bringt es in's Leben und nachher Enttäuschung und Verrath, so dachte sie. Man lebt um zu arbeiten, man arbeitet, um dem Leben Werth zu geben, das hatte sie gethan, das mußte ihr Sohn thun. Wie sie, durfte er nach seiner Liebe nicht fragen. Ihr hatte es auch einst Schmerz gemacht, die ihre aufzugeben, aber sie hatte es willig gethan und war nicht daran gestorben, ja, sie hatte es nie bereut. Reue hatte ihr nur Eins gebracht: das einzige Mal, daß sie ihrem überwallenden Herzen, daß sie einer plötzlich erwachten Sehnsucht gefolgt war und versucht hatte, das in ihrer Jugend gebrachte Opfer durch ein späteres Glück auszugleichen. Diese eine Handlung des Herzens, die hatte ihr Leid, Schmach und Reue gebracht, nicht die That blinden Gehorsams gegen ihren Vater.
Diese schnell auftauchende Betrachtung, die augenblickliche Weichheit und Rührung des Mutterherzens zurückdrängend, würde Georg's Wünschen wenig günstig gewesen sein, wenn es überhaupt denkbar gewesen wäre, daß Frau Artefeld sich hätte zur Nachgiebigkeit entschließen können. Unter den obwaltenden Umständen gab sie ihr wenigstens die volle Festigkeit zurück, und demgemäß sagte sie, wenn auch in einer weniger herben Weise als gewöhnlich:
»Hättest Du mir früher Dein Vertrauen geschenkt, ja, hättest Du meine Lehren mehr im Herzen gehabt, so würdest Du Dich nicht so leichtsinnig in Verhältnisse eingelassen haben, denen eine ernste Bedeutung zu geben völlig unmöglich ist. Müßte ich Dich anderen jungen Leuten gleichstellen, so würde ich ernstlich besorgt um Deine Moral sein, aber so erzogen und geleitet, wie Du bist, so unter meiner speciellen Aufsicht emporgewachsen, traue ich der Reinheit Deiner Sitten und bedaure es nur, daß ich Dich so unerfahren, wie Du bist, in die Welt ließ, unter keiner andern Gesellschaft und Leitung, als der eines jungen Menschen, der gerade genug ein Vagabondenleben geführt hat, um mit vergifteten oder wenigstens sehr lockeren Grundsätzen daraus hervorgegangen zu sein. Ich habe zum ersten Mal meine Pflicht versäumt, aber weiß Gott, ich hatte so Vieles im Kopf und auf dem Herzen, daß ich die natürliche Vorsicht vergaß.«.
»Mutter, theure Mutter,« sagte Georg, »glaube mir, Du hast mich so weit geführt und beschützt, wie nur eine Mutter ihren Sohn zu führen und zu beschützen im Stande ist. Gutes Beispiel und gute Lehren habe ich von Dir empfangen, wie werthlos wäre die Wirkung derselben auf meinen Geist und mein Herz, wenn sie nicht einmal die Probe einer kurzen Trennung von Dir bestanden hätte! Was könntest Du dann von meiner Zukunft erwarten? Selbstständigkeit ist doch des Mannes Bestimmung!«
»In Deinem Alter ist man noch kein Mann, und Du vollends bist ein Kind und hast wie ein solches gehandelt,« sagte Frau Artefeld hart, »wahrlich, soll ich Deine Liebelei mit dem Mädchen nicht für Leichtsinn, so kann ich sie nur für eine Kinderei halten, und als solche werde ich sie behandeln. Du konntest ja hinter meinem Rücken diese unpassende Verbindung mit dem leichtsinnigen Mädchen fortsetzen, dann freilich, wärst Du nicht besser und nicht schlechter, als die Mehrzahl der jungen Leute; daß Du mir davon erzählen, daß Du den Anspruch erheben kannst, eine Heirath aus einem solchen Verhältniß zu machen, zeigt mir, daß Du ein Kind, ein ganz unerfahrenes, einfältiges Kind bist.«
»Nun gut, Mama, so laß mich ein Kind sein,« entgegnete Georg in immer gleich freundlicher Weise. »Den Kindern ist ja das Himmelreich, und ich meine, man hat nie mehr Aussicht dorthin zu kommen, als mit einer redlichen, reinen Liebe im Herzen.«
»Eure redliche, reine Liebe giebt man seinesgleichen, nicht dem ersten besten Schenk- oder Dienstmädchen,« bemerkte Frau Artefeld.
Georg erröthete bis unter die Schlafe, sagte aber immer noch sanft:
»Du hast mich mißverstanden, oder ich habe mich falsch ausgedrückt. Meine Braut ist weder ein Dienst- noch ein Schenkmädchen, sie ist die Tochter eines Försters und von einem solchen an Kindesstatt angenommen, wenn die arme Waise auch von der Frau und Mutter ihres Beschützers vielfach zu Diensten gebraucht wird, die zwar keinen Menschen herabsetzen, aber so wenig für sie passen, wie Mägdearbeit für eine Prinzessin.«
»Ich werde Dir etwas sagen, was Deiner unsinnigen Beharrlichkeit hoffentlich ein baldiges Ziel stecken wird,« sagte Frau Artefeld. »Ich bin bankerott. Ich habe mein ganzes Leben hindurch gearbeitet, meinen Reichthum für Dich zu erhalten, das Schicksal war stärker als ich. Ich bin eine Bettlerin, mein Name wird aus der Liste achtbarer Leute gestrichen, wenn nicht Deine Heirath mit Flora den Sturz abwendet. Sie ist reicher, als ich es war, sie wird durch mich noch reicher werden, wenn ihre augenblickliche Hülfe mich in den Stand setzt, die jetzige Krisis zu überstehen. Sie ist in wenigen Tagen hier, sie bringt Rettung. Soll ich wie der Schiffbrüchige angesichts des Hafens in der Brandung versinken?«
Georg war tödtlich erschrocken, aber mehr fast über die furchtbare Aufregung der Mutter, als über die Nachricht, die sie ihm mittheilte. Eine Fluth der verschiedensten und einander widersprechendsten Gedanken durchstürmte seine Seele, dann sagte er:
»Es ist sehr edelmüthig von Flora, daß sie ihr Vermögen auf's Spiel setzen will, um dem Ruin von Verwandten zuvorzukommen, die sie nicht einmal kennt. Wollte Gott, ich hätte ein freies Herz, ihr diese Handlung der Pietät gegen ihre Mutter zu lohnen, und in gleicher Weise kindlich gegen die meine handeln zu können.«
»Zu Handlungen der Pietät muß ein wahrhaft kindliches Herz immer frei sein,« bemerkte Frau Artefeld streng.
»Soll ich sie täuschen, betrügen für ihre Aufopferung?« fragte Georg.
»Für's Erste sollst Du dieselbe in ihrem rechten Licht sehen,« entgegnete Frau Artefeld. »Es ist von Aufopferung und Edelmuth nicht die Rede, weder sie noch ihr Vormund wissen etwas von meiner augenblicklichen Bedrängniß, und sie hat auch nicht nöthig, je etwas davon zu erfahren, da ihr nicht die mindeste Gefahr dadurch droht. Freilich, gezögert darf nicht werden, denn ist sie nicht in ganz kurzer Zeit Deine Frau, so könnte die Rettung zu spät kommen.«
Georg schwieg, aber er sah die Mutter an, so schmerzlich demüthig, so unwillkürlich vorwurfsvoll, als wollte er sagen: Mutter, wo ist denn Dein Stolz? Und sie, als lese sie seine Gedanken von seiner Stirn, wiederholte noch einmal:
»Sie kann zu keinem Schaden kommen, was sie heut einbüßt, ersetze ich ihr morgen dreifach. Glaubst Du, daß ich fähig sei, sie um das Ihrige zu bringen?«
»Mutter,« sagte Georg nach einer kleinen Pause, »erfahren muß sie es, was von ihr verlangt wird, und es ist nicht anzunehmen, das sie bereit sein wird, ihr Herz, ihre Hand wie ihr Vermögen einem Menschen zu opfern, der in jeder Beziehung wie ein Bettler vor ihr steht. Sie könnte es nicht geben, und ich es nicht nehmen, ohne tiefe und unheilbare Verletzung unserer Würde.«
»Kindische Bedenklichkeiten!« unterbrach ihn Frau Artefeld, »überlaß es mir, darüber zu urtheilen; mein Leben ist länger wie das Deine, ich habe erfahren, was den Menschen entwürdigt. Gehorsam gegen die Gebote der Eltern nicht, wohl aber das Gegentheil. Ich verlange nicht mehr von Dir, als ich einst meinem Vater zu geben bereit war, und ich hatte ihn doch nicht einmal vor dem Schimpf eines Bankerotts zu retten.«
»Bankerott zu machen ist ein Unglück, aber kein Schimpf,« sagte Georg sehr ernst, »erst wenn sich Betrug hineinmischt, wird er zum Schimpf. Wenn wir fallen müssen, Mutter, wollen wir in Ehren fallen, nicht ein Vorwurf soll Dich antasten können.«
Sie lachte statt aller Antwort kurz und höhnisch auf.
Ihr Lachen durchschnitt ihm das Herz.
»Die Anzeige Deiner Verlobung mit Flora Eisenhart steht bereits in allen Zeitungen,« sagte sie dann kurz entschlossen und in befehlendem Tone zu ihm, »es läßt sich an der Sache nichts mehr ändern.«
Georg sah sie an, als hätte er sie nicht verstanden, sie wiederholte die Worte noch einmal, gleichviel, welchen Kampf es sie auch kosten mochte, noch einmal diese Lüge auszusprechen.
»Meine Verlobung steht in allen Zeitungen?« sagte er mit mühsam bewahrter Fassung, denn das Blut stürmte ihm durch die Adern, und eine leidenschaftliche Erregung, wie er sie seiner Mutter gegenüber noch nie empfunden, machte sein Herz schlagen und seine Stimme beben. »Sie steht in allen Zeitungen? Gut, dann bleibt nichts Anderes übrig, als die durch alle Zeitungen verbreitete falsche Nachricht durch die Thatsache des Gegentheils zu widerlegen. Mutter, das geht so nicht,« fuhr er, als sie ihn unterbrechen wollte, mit einer Bestimmtheit fort, vor der sie erbleichte. »Ich achte und ehre Deine Meinung und füge mich gerne Deinem Willen, aber Du gehst zu weit. Ueber mein Herz bestimme ich, das hast selbst Du, Mutter, nicht zu vergeben. Du hast unrecht gethan, mich wie ein Spielzeug zu behandeln.«
»Ich habe unrecht gethan, für Dein Wohl zu handeln?« unterbrach sie ihn bitter.
»Es wird keines Menschen Wohl dadurch befördert, daß man ihn willenlos macht,« entgegnete er noch in derselben mühsam bekämpften Erregung.
»Du willst also Deiner Mutter Wort zu einer Lüge machen?« fuhr sie fort.
Er zuckte schmerzlich die Achseln.
»Ich will eines Irrthums wegen nicht mein ganzes Leben zur Lüge machen lassen,« entgegnete er.
»Und was wirst Du thun, um mich, Deine Mutter, Lügen zu strafen?« fragte sie höhnisch.
Ihm traten die Thränen ins die Augen, er kämpfte sie zurück und sagte so ruhig und mild, als es ihm nur möglich war:
»Das uns bevorstehende Unglück wird die Auflösung dieser Verlobung in genügender Weise erklären, und wir müssen nur dafür sorgen, daß der unschuldigen Flora nicht der Vorwurf gemacht werden kann, als bräche sie dieses Unglücksfalles wegen ein gegebenes Wort.«
Frau Artefeld sah ihren Sohn mit einem Blick tiefsten Seelenschmerzes an, er stürzte ihr zu Füßen.
»Mutter,« flehte er, »zwinge mich nicht zu einem Wortbruch, zu einer Falschheit, zu einer Handlung niedrigen Eigennutzes. Du willst Armuth von meinem Haupt abwenden, sie schreckt mich weniger, als diese verzweifelte Rettung auf Kosten meines Herzens, meines Gewissens.«
»Du bist wenigstens nicht arm an Worten und Gedanken, die Deiner Mutter Herz und Gewissen in den Staub ziehen,« sagte sie, den kalten Ton annehmend, den sie mit Ausnahme Georg's gegen Jeden bisher festgehalten hatte.
»Gott weiß es, das liegt nicht in meiner Absicht,« fuhr Georg, noch immer auf den Knieen vor der Mutter liegend, fort, »weder in Worten noch in Gedanken taste ich Dich an. Ich sehe nur die Größe Deiner Liebe zu mir in dem Irrthum, der Dich zu so unseligen Mitteln greifen läßt, mich vor dem Mißgeschick zu bewahren. Mutter, und wenn Du ein noch tieferes Unrecht begehen wolltest, ich würde es nicht wagen, Dich zu tadeln, ich würde nur an die Liebe denken, die Dich dazu treibt, und auf den Knieen würde ich Dir diese Liebe danken, ebenso wie ich Dich auf den Knieen bitte, einen andern, einen höheren, einen bessern Maßstab an mein Glück zu legen. Ich kann nicht glücklich sein, Verrath und Wortbruch im Herzen.«
»Laß mich für Dich handeln, die Verantwortung übernehme ich,« sagte Frau Artefeld.
»Das geht nicht, liebe Mutter, ich bin kein Kind mehr,« entgegnete er, »ich handle nicht mehr bewußtlos wie ein solches, ich bin Dir, mir selbst, dem Himmel verantwortlich für mein Thun. Die volle Erkenntniß dieser Verantwortlichkeit reift den Knaben zum Manne.«
»Ja« sagte sie bitter, »und die erste Probe, die ein Knabe von seiner Männlichkeit ablegt, ist ja wohl Rebellion und Ungehorsam gegen die Mutter, die wohl die Pflicht hat, an der Wiege des Knaben zu wachen, die aber als unbequem beiseite geschoben wird, sobald sie ihre bittende, warnende Stimme erhebt, wenn es gilt, seine Zukunft vor den Folgen jugendlicher Thorheit zu schützen. Sprichst Du von Deiner Verantwortlichkeit, gut, so erkenne auch die meine an. Ich will nicht die Früchte eines langen Lebens durch Deinen kindischen Leichtsinn, durch den falschen sogenannten Edelmuth, zu dem Deine Verliebtheit eine Zuflucht nimmt, verlieren.«
»Mutter, es handelt sich ja nur um den Verlust irdischer Güter,« unterbrach sie Georg.
»Ja, und es ist sehr leicht, irdische Güter, zu deren Erwerbung und Erhaltung man sich unfähig fühlt, mit hochtrabenden Worten, deren einziger Sinn Ungehorsam ist, herabzusetzen,« sagte sie streng und fuhr dann in noch härterem Tone fort: »Ich habe bis jetzt nur die Verpflichtungen im Auge gehabt, die ich für Dich eingegangen, mit Deinem Wissen für Dich eingegangen bin. –«
Er konnte sich nicht enthalten den Kopf zu schütteln, sie nahm keine Notiz davon und fuhr fort:
»Ich habe alle Gründe erschöpft, die Dich, meiner Meinung nach, zwingen müssen, dieselben zu befolgen. Du weigerst Dich, und so muß meinerseits auch die falsche Schonung aufhören, der zufolge ich mich enthielt, noch mehr gegen Deine Liebe zu sagen. Ich wollte Dir nicht weh thun. Aber wozu soll ich Dich schonen, da Du so wenig Rücksicht auf mich, auf mein Alter, meine Stellung zu Dir, meine augenblickliche tiefe Gebeugtheit nimmst? Ich will Dir also offen sagen, daß ich schlecht von einem Mädchen denke, das hinter dem Rücken seiner Herrschaft oder Pfleger, wie Du willst, ein Liebesverhältniß mit einem jungen, unmündigen Manne anknüpft, bei dem sie kaum voraussehen kann, daß er sie wird heirathen wollen, noch weniger, daß er es darf. Sie ist entweder so leichtfertig, überhaupt an nichts, weder an ihre Ehre, noch an ihre Zukunft zu denken, oder so schlecht, die Unerfahrenheit und die Leidenschaft ihres Geliebten zu ihrem Vortheil benutzen zu wollen. In beiden Fällen kann sie nicht meine Tochter sein, selbst wenn ihre Stellung nicht an und für sich ein solches Verhältniß unmöglich machte. Ein Mädchen, das in dem ersten besten Kaffeehause aufgewachsen ist, das nichts gelernt hat, als den geforderten Trank kredenzen und mit einem schönen Dank die paar Groschen einstecken, die man ihr für die gehabte Mühe in die Hand drückt, eine solche Person kann nicht die Wirthin in meinem Hause machen.«
Georg zuckte zusammen bei den Worten der Mutter, dann sagte er mit unbeschreiblicher Demuth:
»Darf sie auch nicht ihrem Manne helfen, für die Mutter, die kein Haus mehr hat, deren Wohlstand der Himmel in Staub verwandelte, zu arbeiten, zu sorgen, ihr die Stätte zu bereiten, auf der sie von der vielen, leider vergeblichen Arbeit ihres Lebens ausruhen kann? Darf sie ihrem Manne nicht helfen, diese arme gebeugte Mutter zu lieben, zu trösten, sie glücklich zu machen, glücklicher durch Liebe, als sie es durch Reichthum war? Ist sie auch dazu zu niedrig?«
»Ja,« entgegnete Frau Artefeld, »denn, ob reich oder arm, angesehen oder nicht, ich bleibe doch immer Ich.«
»Es steht Keiner zu hoch, um Liebe zu empfangen, Keiner zu tief, um sie nicht geben zu können,« fuhr Georg fort.
Die Mutter unterbrach ihn:
»Steh jetzt auf,« sagte sie ungeduldig, »geh, laß mich allein. Meine körperlichen Kräfte sind erschöpft. Ich scheute mich nicht, sie zu Deiner Wohlfahrt über die Gebühr anzustrengen, und Du wirst leichtes Spiel haben, wenn Du sie untergraben und über mich hin Deinem vermeintlichen Glück entgegenschreiten willst. Ich bin eine reichgesegnete Mutter, meine Kinder zimmern schon bei Lebzeiten meinen Sarg, Dir scheint es vorbehalten, das Werk zu vollenden, den letzten Nagel hineinzuschlagen.«
Georg antwortete nicht, aber er war leichenblaß geworden, er drückte die Hand der Mutter an sein Herz, seine Lippen, Thränen mischten sich in seine Küsse.
Seine Erschütterung rührte, ängstigte sie.
»Steh auf,« wiederholte sie, aber sanfter, »laß uns die Scene jetzt enden, wir ertragen Beide diese Gemüthsbewegung nicht. Geh auf Dein Zimmer, laß mich zu mir selbst kommen, damit ich einen Entschluß fassen kann. Ich muß jetzt Ruhe haben, Du weißt nicht, wie mir zu Muthe ist.«
»Lege Dich hin, liebe Mama,« bat er, »laß mich aber bei Dir bleiben, ich will kein Wort mehr über den Gegenstand mit Dir sprechen –«
»Nein, nein,« unterbrach sie ihn, »ich muß allein sein.«
Er ging. Ein paar qualvolle Stunden verstrichen ihm, ehe sie ihn wieder rufen ließ. Auch sie hatte sie in harten, schweren Kämpfen zugebracht, aber das gewonnene Resultat war bei Beiden dasselbe, wenn auch nicht in gleicher Schroffheit empfunden, denn während er hoffte, die Mutter werde nachgeben, sie werde sich von dem Unrecht überzeugen lassen, das sie aus Liebe zu ihm zu begehen willens war, sie werde, von dem Bann jenes Reichthums erlöst, ein einfaches, wahres Glück und die Liebe als Krone desselben erkennen lernen, während er das hoffte, ja, während sein Geist schon weiter ging und die Aufgabe, nun für seiner Mutter sorgenloses Alter einstehen zu müssen, in ernsteste Erwägung zog, während dessen war sie zu dem Entschluß gekommen, seine Nachgiebigkeit um jeden Preis und gieichviel auf welchem Wege zu erzwingen.
»Ich habe es nicht von mir geglaubt,« dachte sie, »je eine so schwache Mutter sein und zu Umwegen meine Zuflucht nehmen zu müssen, um mein Kind zu seinem Glück zu zwingen. Ich muß es aber thun, ich muß ihn zwingen, nicht durch Worte, gegen die er sich hartnäckig auflehnt, nicht durch Bitten, die mir nicht geziemen, sondern durch die Ereignisse. Gott sei Dank, noch kann ich sie übersehen, also auch lenken.«
Es war an dem Tage nicht mehr von dem Gegenstand die Rede. Georg wagte es nicht, auf's Neue davon anzufangen, und seine Mutter munterte ihn durch nichts dazu auf. Es war ein peinliches Zusammensein, das von Mutter und Sohn. Sie sprachen miteinander, ohne daß Einer recht wußte, was er sagte, noch was er vernahm.
Georg's Gedanken weilten bei Wendula. Er hatte bestimmt gehofft, noch an demselben Tage zu ihr zurückkehren zu können, er wußte es, sie würde ihn erwarten, vergeblich erwarten, und er mußte die Stunden verrinnen sehen, eine nach der andern, ohne sie und sich von der Pein erlösen zu können. Er sehnte die Nacht herbei, nicht des Schlafes wegen, nicht in der Hoffnung auf Ruhe nach den Kämpfen des Tages, sondern weil ihr der Morgen folgen mußte, der Morgen, der ihn zu Wendula zurückbringen sollte. Aber der Morgen kam, um auf's Neue seine Geduld auf die Probe zu stellen.
Fühlte Frau Artefeld sich wirklich zu erschöpft? War sie mit ihren Plänen noch nicht fertig? Genug, sie erklärte Georg, durchaus noch der Ruhe zu bedürfen, sah auch wirklich so angegriffen aus, daß nun auch noch Sorge um die Mutter das kindliche Herz Georg's beunruhigte
Zu wissen, daß die Braut in Unruhe und Angst seiner harre, kein Mittel zu haben, ihr auch nur eine Nachricht zukommen zu lassen, hier gefesselt durch Pflicht, durch Nothwendigkeit, ja, auch durch sein Herz, und fortgerissen zu werden durch eine noch viel stärkere Herzensgewalt – o, es war unerträglich!
Frau Artefeld sah die Pein des jungen Mannes.
»Mag er sie tragen, er legt mir eine noch viel größere auf,« dachte sie in bitterem Groll.
Endlich, als der Abend verstrichen war und Frau Artefeld ihren Sohn entließ, um sich zur Ruhe zu begeben, sagte sie obenhin:
»Wir können nun morgen schon nach Hamburg abreisen, ich wollte nur nach Häringsdorf, um zu sehen, was Dich wider meinen Willen dort so lange zurückhielt. Das weiß ich jetzt und kann mir also die unangenehme Fahrt ersparen, während es ebenso für Dich am besten ist, Du kehrst nicht wieder dorthin zurück. Du kannst an Victor schreiben, daß er Dir Deine Sachen nachschickt, oder vielmehr, ich werde es thun.«
»Wann müssen wir in Hamburg sein, um Cousine Flora zu empfangen?« fragte Georg.
»Das Schiff muß in den nächsten Tagen in den dortigen Hafen einlaufen,« entgegnete sie.
»Dann bitte ich Dich, mir den morgenden Tag zur Verfügung zu lassen, liebe Mama,« sagte Georg. »Ich fahre des Morgens nach Häringsdorf und bin des Abends wieder zurück. Ich muß meine Braut sehen und sprechen.«
»Willst Du für immer Abschied von ihr nehmen, willst Du das thörichte Verhältniß lösen?« fragte sie.
»Nein,« entgegnete er fest, »ich will sie nur bitten, sich in die Trennung zu fügen, will sie bitten, Geduld zu haben, Muth, Vertrauen und Hoffnung nicht zu verlieren. Das Band, das uns vereinigt, lösen kann ich es nicht. Das vermag nur der Himmel oder sie selbst, und ihr ist ihr Wort, ihre Liebe eben so heilig wie mir.«
»Gute Nacht,« sagte Frau Artefeld kalt, »wir sprechen morgen weiter darüber.«
Als der Morgen kam, sagte sie zu Georg:
»Wir fahren heut nach Häringsdorf, ich habe mir die Sache anders überlegt. Einen festen Entschluß kann ich noch nicht fassen, denn selbst wenn ich zur Erfüllung Deiner Wünsche geneigt wäre, könnte ich ein solches Opfer, wie es hier gebracht werden muß, nicht blind bringen. Ich begleite Dich also nach Häringsdorf, will das Mädchen sehen, wie und in welcher Weise mußt Du mir anheimstellen, mußt mich ganz nach meinem Ermessen handeln lassen. Habe ich das Mädchen kennen gelernt und die Verhältnisse geprüft, so werde ich Dir meinen Willen mittheilen, und dann steht Dir Deine Entscheidung frei. Bis dahin laß uns von der Sache schweigen.«
Georg küßte der Mutter die Hand. Sie hatte ihm eine für ihren Charakter so ungeheure Concession gemacht, daß er seine Hoffnung wachsen fühlte. Freilich ihn gar zu hoch emporzutragen, war dieser nicht gestattet, denn Bleigewicht auf Bleigewicht wurde ihr an die schimmernden Flügel gehängt.
Frau Artefeld schilderte ihrem Sohn noch einmal ihre Lage in den dunkelsten Farben. Sie sprach nicht mehr von der erwarteten Hülfe, sie zeigte ihm nur die Noth und belächelte es bald mitleidig, bald wies sie es mit halbem Hohn von sich, wenn er die Hoffnung anzudeuten wagte, sein und der Mutter künftiges Loos festzustellen, sie durch seine Kraft, seine Arbeit vor Sorgen schützen zu können.
»Deine Kraft, Deine Arbeit?«
Der Ton war nicht wiederzugeben, mit dem sie diese Worte wiederholte, der Blick nicht zu beschreiben, der sie begleitete, Georg fühlte sein Herz erstarren, aber nur einen Augenblick, dann strömte das Blut mit verdoppelter Wärme durch seine Adern und er fühlte Muth und Kraft in sich wachsen, Alles zu besiegen.
Er widersprach mit keinem Wort, er dachte nur an Thaten, die widersprechen sollten, an die Beweise seiner Kraft, an die Früchte seiner Arbeit. Alle Augenblicke wie an einen Felsen anprallend oder wie mit einer Fluth kalten Wassers übergossen, erlahmte und erstarrte er nicht, sah nicht in dem Herzen seiner Mutter und in dem eigenen feindliche Mächte, sondern sah die Quelle der Liebe zusammenströmen zu gemeinsamem sonnenbeleuchteten Lauf. Liebe setzte er ein gegen Liebe, und aller Kampf galt nur ihr, sie allein sollte den Sieg krönen.
Einen Augenblick ging er mit sich zu Rathe, ob er nicht trotz Victor's Abrathen, trotz Wendula's Widerwillen dagegen der Mutter seine Vermuthungen in Betreff des Mädchens mittheilen, ob er nicht an die Bande appelliren sollte, die vielleicht hier schon die Natur knüpfte, denen nur noch die Weihe der Liebe, der Versöhnung fehlte. Sein Herz trieb ihn zu voller Aufrichtigkeit, trotz alles Zagens vor den Folgen. Er kam wieder von der Idee zurück, als er, gleichsam vorbereitend, von Richard zu sprechen anfing, den Gedanken, in Häringsdorf an ihn erinnert zu werden, die Möglichkeit, seinen Aufenthalt oder den seiner Familie vielleicht erfahren zu können, von fern andeutete und den Schreck seiner Mutter, ihre abweisende Miene sah.
»Das fehlte gerade noch, dann wäre es ja ein gesegneter Aufenthalt für mich gewesen, dann kehrte ich lieber gleich um!« sagte sie heftig. »Ist es mir noch nicht genug zugemuthet, mir die Schwiegertochter aus einem Wirthshaus holen zu müssen, soll ich auch noch von anderer Seite her mit einer widerwärtigen Sippschaft bedacht werden? O, meine Söhne rechtfertigen meine stolzesten Erwartungen!«
Georg schwieg seufzend und gab jeden Versuch, sie mild zu stimmen, auf.
Während der ganzen Ueberfahrt setzte sie seine Geduld auf die härteste Probe, aber diese verließ ihn nicht einen Augenblick; mit der liebreichsten Milde, mit der kindlichsten Demuth hielt er den unzähligen Schroffheiten Stand, die zu sehr in der Gemüthsart seiner Mutter lagen, um nicht in einer Zeit der Aufregung und inneren Angst, wie sie sie jetzt verlebte, doppelt schneidend und verletzend hervorzutreten, obgleich sie schonend und nachsichtig sein wollte.
Georg athmete auf, als der Dampfer in den Hafen von Swinemünde einlief, und als er die Mutter in den herbeigeholten Wagen gehoben hatte und sie nun an der Meeresküste entlang ihrem Ziel entgegenfuhren, als der frische Seewind sein Haupt umwehte, das Meer im Sonnenlicht in wundervollen Klarheit glänzte und sein Auge hinflog zu dem Buchenwald, der sein Kleinod umschloß, da siegte die Spannkraft der Jugend, die sich so leicht von dem Eindruck des Augenblicks beherrschen läßt über alle Zweifel, alle Befürchtungen.
Er vergaß Alles, nur nicht, daß er Wendula wiedersehen, sie an sein Herz drücken, sie umschlossen halten sollte, als müsse er sie festhalten für eine Ewigkeit. Er lebte wieder in der Gegenwart, die Schatten flohen, und war auch nichts sein als der Augenblick, dieser Augenblick barg einen Reichthum an Glück, der nicht zu messen, nicht zu verstehen war, in den man sich hineinstürzte wie in das Meer, Kraft des Lebens in seinen Wellen zu finden, oder Tod, der auch nur Leben bedeutet.
Die Hoffnung zog vor Georg her, breitete ihre schimmernden Flügel über den Wald; mit Thränen in den Augen und Lächeln um die Lippen sah er ihr nach.
»Hoffe nicht zu viel, nicht zu früh,« sagte Frau Artefeld düster zu Georg, in dessen Zügen sie wahrscheinlich zu viel dieses Himmelstrostes leuchten sah. »Ich verspreche nichts, als daß ich sie sehen und prüfen will.«
»Das ist genug, Mutter, mehr wird nicht nöthig sein,« erwiderte Georg feurig.
»Ich hoffe auch,« flüsterte sie leise vor sich hin, aber in ihrer Hoffnung war kein Himmelstrost, sie war ein Spiel mit dem Geschick.
Wer wagt, gewinnt! sagt das Sprichwort, wer aber Alles wagt, kann Alles verlieren.