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Amalek zeigte mit dem Finger auf mich (S. 91).

X.
Die Werbung

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»Hephästion«, begann Amalek mit Würde, »ich komme, dich um Gnade anzugehen und dir das Bußgeld meines Volkes zu bringen.«

Ein Strahl der Freude und der Gier glänzte in den Augen des Makedoniers.

»Du thust wohl daran, Priester«, erwiderte er. »Ihr habt alle den Tod verdient, aber ich will euch Gnade gewähren ... vorläufig. Alexander wird, wenn er kommt, bestimmen, was er thun will.«

Amalek entgegnete nichts; er sah den Hephästion mit unverändertem, ehrfurchtgebietendem Blicke an.

»Wo ist denn«, fuhr dieser fort, »das Bußgeld?«

Sofort stiegen die Magier wieder auf den Wagen und luden mit großer Mühe eine große Kiste von Zedernholz ab, die mit drei Schlössern zugeschlossen und mit dem Siegel Assurs versehen war.

»Öffne«, sprach Hephästion, »und zeige mir deine Dareiken.«

Sofort fiel der Hohepriester auf die Kniee, küßte ergeben das Siegel Assurs, zog aus seiner Tasche drei goldene Schlüssel von kostbarster Arbeit, öffnete der Reihe nach die Schlösser und hob den Deckel der Kiste auf.

Hephästion und seine Offiziere näherten sich und waren bereit ihre Hände ins Innere derselben zu tauchen; Hephästion konnte sich nicht enthalten, zweimal seine Hände mit Dareiken zu füllen, sie seinen Freunden zu zeigen und sie an der Sonne leuchten zu lassen.

»Sie sind doch richtig gezählt, hoffe ich?« fragte er. »Denn ihr Barbaren würdet euch kein Gewissen daraus machen, einen ehrlichen Makedonier zu betrügen und zu bestehlen« ...

Ich mußte im Innern meiner Seele lachen beim Gedanken an diesen Hephästion, der bestohlen zu werden fürchtete.

Übrigens bemerkte Amalek mit ruhigem Tone:

»Herr, die tausend Goldtalente sind in der Kiste. Sieh' selber nach.«

Da schrie der Makedonier wütend:

»Priester, willst du deinen Spott mit mir treiben? ... Beim Zeus, weißt du, daß ich dir auf der Stelle den Kopf abschlagen darf?«

– »Thue es, wenn du es wagst«, erwiderte der Chaldäer.

Aber wenn Amaleks Haupt bloß an einem Faden hing, so stand dasjenige Hephästions vielleicht nicht fester auf seinen Schultern. Denn schließlich konnte die Wut eines entwaffneten, aber durch seine Überzahl mächtigen Volkes, mit anderthalbtausend noch so kriegsgewohnten Soldaten fertig werden.

Hephästion fühlte dies.

»Ich habe dreitausend Goldtalente von dir verlangt«, sagte er endlich, »und nur um diesen Preis gewähre ich Verzeihung.«

– »Und ich«, sagte Amalek, »bringe dir, um die Unterwerfung meines Volkes zu beweisen, tausend. Was den Rest betrifft, so wird Alexander entscheiden.«

– »Ich bin es, der hier Alexanders Stelle vertritt!«

– »Das werden wir ja sehen!«

– »Wenn ich«, sprach der Makedonier weiter, »nicht vor Ende des Tages die zwei andern Tausend Talente in Händen habe, so werde ich dir den Kopf abschlagen lassen. Soldaten, ergreift diesen Alten und alle Priester, die ihn begleiten.«

Bei diesem Befehl erschallten die Trommeln der Chaldäer, Hunderttausende von Trauerrufen aus dem Munde von Männern, Frauen und Kindern stiegen zum Himmel empor, um den Schutz Baals zu erflehen. Der alte Amalek überlieferte sich selber den Händen der Soldaten und sprach mit starker Stimme:

»Möge der Blitzstrahl Baals auf das Haupt der Gottlosen niederfahren! Ihr alle, Babylonier, kehrt in eure heilige Stadt zurück!«

In der That, die Ebene war in wenig Augenblicken mit Fliehenden bedeckt.

Dann näherte er sich dem Hephästion und sprach zu ihm mit gedämpfter Stimme (was mich nicht wenig in Staunen versetzte) auf griechisch:

»Herr! weil es so sein muß, so sollst du noch vor Ende des Tages die zweitausend Talente haben; aber schone meiner, ich bitte dich; ich habe nur noch wenige Tage zu leben.«

– »Ah! Ah!« sprach Hephästion lachend und sich gegen seine Offiziere wendend, »ich wußte wohl, daß ich mit diesem elenden Feigling fertig werden würde! Seht, Kameraden, das Schwert und das Beil, das sind die beiden Herren des Weltalls!«

Und er freute sich seiner Schlauheit und seiner tiefen Menschenkenntnis.

Ich wußte nicht, was ich von der Thorheit und Feigheit Amaleks denken sollte und war beinahe empört darüber.

Er aber sagte, unbekümmert um die spöttischen Reden Hephästions oder um meine geheimen Gedanken, zum Makedonier:

»Ein einziger Mensch nach mir kennt meinen Schatz, und weiß, wo man ihn finden kann. Es ist dieser alte chaldäische Priester hier.«

Er zeigte mit dem Finger auf mich.

Ich begann zu zittern: war ich unter meiner Verkleidung verborgen genug, um von den durchbohrenden Blicken Hephästions nicht erkannt zu werden? Hephästion, der mich tausendmal in Gesellschaft Alexanders gesehen, und der, obschon der erste Liebling des Königs, oft meine Vertrauensstellung bei dem Herrscher beneidet hatte!

Glücklicherweise neigte ich im richtigen Momente das Haupt und zeigte nur eine Perücke von weißen Haaren, womit ich mich am Morgen versehen hatte, um üble Begegnungen zu vermeiden. Hephästion, der im übrigen nur damit beschäftigt war, seine Dareiken anzusehen und seine eignen Kästen sowie die seiner Offiziere damit zu füllen, bemerkte mich kaum.

»Was soll geschehen?« fragte der Hohepriester Amalek. »Willst du mir oder meinem alten treuen Diener Kormyath die Freiheit geben. Außer mir und ihm weiß niemand, wo die zweitausend Goldtalente sind.«

Hephästion lachte.

»Ja, ja«, sagte er, »ich verstehe! ... wenn ich dich gehen ließe, so würdest du dein Volk aufwiegeln. Nein, nein, Priester, du bleibst hier und dein Kopf soll mir für die Weisheit der Babylonier bürgen.«

– »Es geschehe, wie du willst«, entgegnete mit einem Seufzer Amalek.

Dann sich gegen mich wendend, sprach er auf chaldäisch:

»Freund, wenn nicht ein Wunder von seiten der Götter geschieht, so bin ich verloren. Aber ich will nicht ungerächt sterben. Ich habe, ehe ich hierher kam, alles vorgesehen. Du kehrst nach Babylon zurück. Du wirst meine Tochter Drangiane sehen und ihre Amme Arachosia. Du wirst der Tochter diesen Ring zustellen, es ist das Zeichen meines letzten Willens. Du wirst auf dem Euphrat eine Barke besorgen, in diese Barke wirst du alles bringen lassen, was Drangiane an Kostbarkeiten hat, insbesondere ihre Geschmeide von Edelsteinen und eine mit Gold gefüllte Truhe, welche du im geheimsten Gelaß meines Palastes finden wirst. Arachosia wird dir den Weg zeigen.

Wenn das geschehen ist, so wirst du meine Befehle den Vorstehern der Priester übermitteln, damit sie das ganze Volk unter die Waffen rufen. Das wird genügen, um Hephästion aufzuhalten und ihn zu zwingen, die Ankunft Alexanders abzuwarten. Wenn er sich mit seiner Schar in die Straßen Babylons wagt, so werden die Ziegel der Dächer genügen, um sie alle zu zermalmen.«

– »Aber, Herr, was soll ich dann thun, wenn ich diese Befehle gegeben habe?«

– »Du wirst mit meiner Tochter Drangiane, Arachosia und einigen treuen Dienern abreisen. Du wirst den Euphrat hinunterfahren bis dahin, wo er mit dem Tigris zusammenfließt und dort weitere Nachrichten abwarten. Wenn Hephästion mich nicht töten läßt, wenn Alexander nicht der größte Thor ist unter den Eroberern, wenn er über ein reiches und betriebsames Volk lieber herrschen als es plündern und vertilgen will, so werde ich meine Tochter und dich mit ihr zurückrufen und dir eine Belohnung geben, die der geleisteten Dienste würdig sein soll. Wenn ich dagegen getötet werde, so wirst du Pendragon Nachricht geben und mit Drangiane nach Indien reisen.«

Ich warf mich nach der Sitte der Chaldäer nieder; er reichte mir die Hand zum Kuß und fügte hinzu:

»Geh! reise!«

Aber während mir der alte Amalek also seine Anordnungen gab, keimte eine Idee im Gehirn des furchtbaren Hephästion und diese Idee rief ein Lächeln bei ihm hervor.

Er bedeutete mir zu bleiben und wandte sich zum Hohenpriester: »Amalek!«

– »Herr!«

– »Hast du nicht eine Tochter?«

Bei dieser Frage erblaßte Amalek.

– »Ja, Herr!«

– »Du hast keinen andern Erben, Tochter oder Sohn?«

– »Nein, Herr!«

– »Du bist zu gleicher Zeit Herr von Babylon und Hoherpriester?«

– »Ja, Herr!«

– »Dein Vater, dein Großvater und alle deine Vorahnen sind es wohl vor dir auch gewesen?«

– »Sie waren es.«

– »Dann wird also der Gemahl Drangianens deine Priesterschaft und dein Reich erben?

– »Vielleicht, Herr ..., wenn Alexander einverstanden ist.«

– »Er wird einverstanden sein«, erwiderte Hephästion, indem er sich mit der Hand das Kinn strich. »Ich nehme es auf mich, seine Zustimmung zu erwirken.«

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Sie zeichnete wunderliche Figuren auf den Papyros (S. 95).

Nach einem kurzen Stillschweigen begann Hephästion wieder:

»Alter, ich verlange deine Tochter zur Ehe!«

Der Hohepriester betrachtete ihn mit festem Blick und fragte:

»Für wen?«

– »Für mich, den Hephästion, den Sohn des Gorgos, des Sohnes von Perseus, dem Sohne des Androkles, den speziellen Freund Alexanders.«

– »Niemals!« antwortete Amalek. »Meine Tochter kann nur einen König heiraten!«

Hephästion erwiderte:

»Ich bin nicht als König geboren, aber ich werde ein König werden. Ich bin von dem Holze, aus dem man Könige schnitzt.«

– »Ja, wenn man hölzerne bloß von Holz schnitzen wird«, erwiderte hinter ihm einer der Offiziere.

Er kehrte sich um, um den Unverschämten zu schlagen, der es wagte, über ihn zu spotten; aber alle Männer hinter ihm verzogen keine Miene.

Da er nicht wußte, an wem er sich rächen sollte, erwiderte er:

»Amalek, du kannst zwischen mir als deinem Eidam und dem Tode wählen.«

Der alte Chaldäer entgegnete:

»Was mein Geld betrifft, so nimm es, wenn du kannst und wenn du es wagst. Was meine Tochter betrifft, so würde ich sie lieber mit eigner Hand erdolchen, als sie mit einem Hephästion vermählt zu sehen.«

Und er log nicht, dieser Amalek.

Denn diese Barbaren des Orients haben für ihre Frauen und Kinder einen außerordentlichen Respekt und beweisen ihnen eine Zärtlichkeit, wie sie der Occident nicht kennt.

»Kormyath!« sprach Hephästion, nachdem er einen Augenblick nachgedacht – »du gehst nach Babylon und kommst nur mit den zweitausend Talenten und mit Drangiane zurück.«

– »Du wirst Drangiane sagen, daß sie fliehen soll und wirst ihr folgen«, befahl mir Amalek auf chaldäisch, um von mir allein verstanden zu werden.

Mit diesen gegenteiligen Instruktionen versehen, entfernte ich mich sofort, aber mit dem festen Entschluß, dem Befehl Amaleks nachzukommen.

Eine Stunde später stand ich vor Drangiane, die verschleiert war, und vor Arachosia.

Bei meinem Anblick gerieten beide in große Aufregung, denn man hatte von den Drohungen Hephästions bereits vernommen, und die Rückkehr der Fliehenden, welche die Prozession gebildet, hatte in der ganzen Stadt ungeheuren Schrecken verbreitet.

»Sosikles! was hast du mit meinem Vater gemacht?« fragte die schöne Drangiane.

Sie erwartete meine Antwort mit schrecklicher Unruhe. Ich beruhigte sie zuvörderst, so gut ich konnte, indem ich ihr sagte, der alte Amalek sei als Geisel zurückbehalten worden, es sei aber kaum Gefahr für ihn vorhanden, man werde durch Erlegung des Bußgeldes von zweitausend Talenten jede Gefahr von ihm abwenden. Ich sprach hier und da etwas zögernd, denn ich wagte die schrecklichen Drohungen Hephästions nicht zu wiederholen, noch auch von dem Preis zu sprechen, welchen er für das Leben des alten Amalek forderte.

Drangiane merkte etwas und entfernte sich unter dem Vorwand, ihre Vorbereitungen zur Abreise nach dem Befehl des Vaters zu treffen, aber die Amme Arachosia, welche ihre Gedanken ihr in den Augen las, blieb zurück, um mich auszufragen, und ich, in der Besorgnis, Drangiane möchte, wenn mein Schweigen den Tod ihres Vaters verschulden sollte, sich später an mir rächen wollen, erzählte alles, was sich im makedonischen Feldlager ereignet hatte.

Zu meinem großen Erstaunen machte meine Mitteilung wenig Eindruck auf Arachosia.

Sie zeichnete wunderliche Figuren auf einen Papyros, sprach einige seltsame Worte, die ich nicht verstand, und die vielleicht keiner Sprache angehörten, und sagte endlich:

»Beruhige dich. Was kommen muß, kommt. Der braune Mann mag meiner Drangiane drohen, wie er will. Ich sehe dort unten in der Ferne einen blonden Mann mit der Lanze in der Hand heransprengen ... Speere, die sich kreuzen, das bedeutet Kampf. Der Blonde wird obsiegen ... Ach! wie viel Blut! wie viel Gefahr! wie viel Unheil! ...«

Diese und andre hochtönende Worte sprach sie, denen ich keine Aufmerksamkeit schenkte.

Ich ging weg, um die Befehle Amaleks auszuführen, also die Priester zu benachrichtigen, daß sie das Volk bewaffnen sollten, und für die Barke mit Verdeck zu sorgen.

Drei getreue Diener folgten mir mit einigen kostbaren Gegenständen.

Auf der Straße begegnete ich dem Juden Samuel, der meine Rückkunft vom Feldlager mit spähendem Blick erwartete.

»Nun denn!« sprach er, »Amalek hat am unrechten Ort sparen wollen, und da hat er die Bescherung! Er ist auf dem Punkte, aufgehängt zu werden, wenn er nicht durchs Beil um einen Kopf kürzer gemacht wird. Ha! ha!«

Er lachte so laut er konnte, der gute Samuel, bei dem Gedanken, daß der Sprößling dieser babylonischen Könige, welche zweimal Jerusalem erobert und sein Volk in die Gefangenschaft fortgeschleppt hatten, enthauptet werden sollte.

Was mich betrifft, so hätte ich gern gelacht, wenn ich weit weg von Babylonien, Armenien, Persien, Susiana, Kleinasien, Makedonien und den Inseln gewesen wäre und wenn ich in meinem Garten in Acharnä den Morgen damit zugebracht hätte, meine Öl- und Feigenbäume zu beschneiden und im Hain des Akademos den Abend damit, mich mit meinen Freunden zu unterhalten.

Ja, ich wäre glücklich gewesen, nach der Mahlzeit mit einigen andern Philosophen über das Gerechte und das Ungerechte mich zu unterhalten. Zwar ißt man in Athen nur Brot, Feigen, getrocknete Trauben und Oliven, was im Vergleich mit den kostbaren Mahlzeiten, die wir im Innern Asiens hielten, ein mageres Essen ist; aber dafür sind wir wenigstens frei, wir sagen, was uns durch den Kopf geht, aufs Geratewohl heraus, kein Herr droht jeden Augenblick uns hängen zu lassen oder mit seinem Wurfspieß zu durchbohren.

Ach! gewiß ist es schön, wenn man reich ist, wenn man kostbar gekleidet ist, wenn man sich mit dem besten Fleisch und den ausgesuchtesten Leckerbissen nährt und an den besten Weinen Europas und Asiens labt, aber es ist etwas noch Köstlicheres, frei und nüchtern zu leben, denn es erhält die Gesundheit und den Frohsinn, diese beiden ewigen Quellen des menschlichen Glückes.

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