Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Da trat Samuel aus dem Schatten (S. 63).

VI.
Die Verabredung

.

Während dieser leise geführten Unterhaltung und des Vertragsabschlusses schlich sich plötzlich ein Schatten zu uns, der sich beim Mondschein über den Boden hin ausdehnte, und wir gewahrten ein verschleiertes Weib, das auf Pendragon zuschritt und leise seine Schulter berührte.

Der Gallier schaute sie an, sprach aber kein Wort. Unter ihrem langen chaldäischen Gewand, das mit wunderlichen Charakteren und elfenbeinernen Totenköpfen geziert war, konnte man kaum sehen, ob sie jung oder alt war.

Samuel neigte sich gegen mich und sagte ganz leise:

»Ohne Zweifel eine dieser alten Chaldäerinnen, welche für eine kleine Kupfer- oder Silbermünze dem ersten besten die Zukunft vorhersagen. Bleiben wir hier. Du wirst eine merkwürdige Szene erleben.«

In der That, alle Anwesenden wollten ihr Schicksal kennen lernen, wie es natürlich ist bei Menschen, die sich tags darauf schlagen müssen und die auch sonst jeder Zeit allen Zufällen preisgegeben sind.

Herakles, der Sieger von Theben, wollte sie zuerst befragen.

Er faßte sie am Rockschoß, und indem er sie mit Gewalt an sich zog, rief er:

»Nun, Alte, willst du mir prophezeihen?«

Sie kehrte sich zur Hälfte um und antwortete, einen verächtlichen Blick ihm zuwerfend:

»Was willst du mir geben, Trunkenbold?«

Zugleich schlug sie ihren Schleier zur Hälfte zurück und ließ ihr bleiches Gesicht sehen, worin schwarze Augen funkelten und die düstere Flamme des Wachtlagers sich spiegelte.

Herakles erwiderte lachend:

»Da! da! alte Hexe, ich gebe dir meine Hand und meine Freundschaft!«

»Gib' mir zuvörderst deine Hand!«

Sie sah sie an, zog die Augenbrauen zusammen, machte verschiedene wunderliche Zeichen in die Handflächen des Argyraspiden und antwortete:

»Weh' über dich! Ich sehe Blut an deiner Hand! Weh' über dich! Wer mit dem Schwerte tötet, wird durchs Schwert umkommen.«

– »Nun«, sagte Herakles, »durch diese unglückverheißenden Worte ein wenig aus der Fassung gebracht, wir werden morgen kämpfen; werd' ich übermorgen noch am Leben sein?«

– »Wer weiß?« antwortete die Chaldäerin.

Und mit einer raschen Bewegung riß sie ihren Rockschoß aus der Hand des Herakles und sprang zu dem Gallier, als wollte sie diesen um Schutz anflehen.

Schon erhob sich der Argyraspide, um sie zu verfolgen; doch der Barbarenjüngling streckte ihm die Hand entgegen und sprach mit machtvoller aber ruhiger Stimme:

»Laß die Chaldäerin, Herakles, und setze dich nieder. Zurück!«

Der andre gehorchte murrend wie die Hyäne, welche die Beute fahren läßt und vor dem nahenden Löwen zurückweicht.

»Jetzt sage mir, was willst du von mir?« fragte der Barbar.

»Mit dir sprechen, Herr, im Namen derjenigen, die mich sendet.«

»Eine Frau sendet dich?«

»Ein junges Mädchen ..., aber nur dir kann ich sagen, wer sie ist.«

Der Gallier erhob sich, warf über seine Schultern einen Mantel von milesischer Wolle mit syrischem Purpur gefärbt und mit Gold verbrämt, und ging mit ihr einige Schritte auf die Seite, nahe zu dem Zelt, wo wir beide, Samuel und ich, verborgen waren.

Der Jude drückte mich fest am Arm und sprach:

»Hör' zu! Wenn ich mich nicht sehr täusche, so werden wir ein wichtiges Geheimnis erfahren.«

Pendragon war nur zwei oder drei Schritte von uns entfernt, aber er stand im vollen Mondschein, ebenso wie die Chaldäerin.

Sie sah ihm ins Auge, als wollte sie in der Seele des jungen Barbaren lesen. Ich sah jetzt, daß es ein Weib von fünfunddreißig oder vierzig Jahren war, das heißt, an der Schwelle des Alters in diesen glühenden Gegenden des Orients, wo das Leben so kurz ist, wo die Frauen mit zwölf Jahren heiraten und sogar noch früher. Ihr mageres und bleiches Gesicht war einst schön gewesen; ihr Züge hatten immer noch etwas Edles und in ihrem Lächeln lag Grazie.

Ich hatte früher einmal die Pythia in Delphi auf ihrem Dreifuß sitzen sehen, als sie ihre Orakelsprüche verkündete. Die Chaldäerin glich ihr.

Als sie ihn schweigend betrachtete, fragte sie der Gallier:

»Was siehst du in meinem Gesicht und auf meiner Hand?«

– »Die Zeichen der Zukunft.«

– »So?« sagte er, »du gibst dich mit Prophezeihen ab? ... Du verlierst an mir Zeit und Mühe, Weib! Feiglingen und Thoren kommt es zu, den Tod zu fürchten und ihr letztes Stündlein vorher wissen zu wollen.«

– »Du fürchtest den Tod nicht, Pendragon, aber du liebst vielleicht das Leben?« –

– »Oh, gewiß! ich liebe, wie alle meines Stammes, das Leben, den Ruhm und die Schlacht. ... Aber du hast mich bei meinem Namen genannt. Wer hat ihn dir gesagt?«

»Das ganze Lager kennt ihn schon und weiß von deiner ersten Heldenthat«, erwiderte die Chaldäerin. »Man erzählt, daß du diesen Abend einen vornehmen Gefangenen aus dem Zelte des Dareios entführt hast. Ist dies wahr?«

– »Es ist wahr«, sagte Pendragon. »Und dann?«

– »Dann?« ... fuhr die Chaldäerin fort. ... »Dann? Nun, sie hat dich, indem sie einen Zipfel des Zelttuches wegschob, ins Lager zurückkommen und unter dem Beifallsruf der Armee wie ein Blitz vorbeistürmen sehen.«

– »Wer ›sie?‹«

– »Ich hab' es dir gesagt: diejenige, die mich sendet.«

Der Gallier dachte einen Augenblick nach und fragte:

»Ist sie wenigstens schön, sie, deren Namen du mir nicht nennen willst?«

»Schöner als die Sonne.«

– »Und jung?«

– »Vierzehn Jahre alt.«

Hier sagte Samuel leise zu mir:

»Es fehlt nur noch, daß er fragte, was für eine Mitgift sie in die Ehe bringe.«

Aber ich gab ihm ein Zeichen, zu schweigen.

Als die Chaldäerin sah, daß er nichts mehr fragte, fügte sie hinzu:

»Sie ist von königlichem Blut und mehrere verlangten sie zur Frau. Aber ihr Vater hat sie allen abgeschlagen. Er erwartet einen seiner und ihrer würdigen Eidam.«

»Ah! Ah!« sagte Samuel grinsend. »Mir scheint, der Vorschlag ist deutlich genug. Laß sehen, was unser Barbar antworten wird.«

Aber Pendragon erwiderte nichts außer:

»Was willst du schließlich von mir? oder was will die Prinzessin, die dich schickt?«

»Vor allem«, erwiderte die Chaldäerin, »zeige mir deine offene Hand.«

Der Gallier reichte ihr seine Rechte.

Nach einigen Augenblicken rief sie:

»Pendragon! Du bist unter dem Stern Aldebaran geboren, und alle Götter arbeiten an deinem Glück. Die du wählst, wird die schönste der Frauen sein. Du wirst Sieger sein, du wirst sie zu einer großen Königin machen und sie dich zu einem glücklichen Menschen.«

Dann zog sie aus ihrer Tunika einen Gegenstand, den sie verborgen hielt:

»Nimm dieses Bildnis«, sagte sie, »und sieh' es an! Sie ist es!«

– »Oh!«, rief der Gallier, nachdem er es lange betrachtet hatte, »welcher Adel, welche Grazie und Hoheit im Blick deiner Herrin! Beim Gott Teutates, ich würde, um sie zu sehen, mit dem Schwert in der Hand, die ganze Fläche Asiens durchstreifen!«

– »Du brauchst nicht so weit zu gehen«, erwiderte die Chaldäerin. »Sie ist ungefähr dreihundert Schritte von hier.«

– »Im makedonischen Lager?«

– »Im Lager. Sie ist seit der Schlacht bei Issos Alexanders Gefangene.«

– »Gefangene?« rief Pendragon. »Gefangene? Oh! ich werde sie befreien, selbst wenn ich für mich allein es mit einer ganzen Armee aufnehmen müßte.«

Die Chaldäerin erwiderte:

»Sprich leise, man kann uns hören. Ich habe ihr die Sternfrage gestellt und in dem Sterne, am Tage ihrer Geburt, gelesen, daß meine Tochter nur den schönsten, tapfersten und edelsten der Menschen heiraten werde. Wir beide haben dich diesen Abend gesehen, und ich weiß jetzt, nachdem ich deine Hand und dein Gesicht gesehen, daß du dieser Mann sein wirst. Deswegen bin ich zu dir gekommen.«

– »Sie ist deine Tochter?«

– »Ich nenne sie so und aus Zärtlichkeit nennt sie mich Mutter. Aber ich bin nur ihre Amme. Sie hat ihre Mutter verloren.«

– »Dein Name?«

– »Arachosia.«

– »Und der ihrige?«

– »Sie ist die Prinzessin Drangiane, die Tochter Amaleks des Hohenpriesters und Königs von Babylon.«

.

Der Gallier reichte ihr seine Rechte (S. 60).

Samuel schmiegte sich an mich und flüsterte mir leise zu:

»Achtung, Sosikles, Achtung! ich glaube, wenn du die Umstände zu benutzen weißt, so ist dein Glück gemacht.«

– »Und das deine?«

– »Oh! das meinige bleibt immer unfertig. Wir Hebräer mögen Millionen auf Millionen häufen, wir bringen es nie zu einem Kulminationspunkt, wo wir aufhören. Wir sind dazu geboren, das Gold zusammenzuscharren, wie die andern es auszugeben. Ihr Griechen liebt die Denkmäler, die Statuen, die Gemälde, alles was schön geschnitten, schön gebaut, schön ausgehauen ist, schön an der Sonne glänzt. Wir lieben das Gold, welches ein Strahl der Sonne selber ist.«

»St! Der Barbar wird sprechen.«

Pendragon fragte:

»Weib, welche Bürgschaft gibst du mir, daß deine Prinzessin Glauben verdient?«

Die Chaldäerin zog von ihrem Finger einen merkwürdigen Ring, woran ein Diamant im Glanze des Mondscheins funkelte und gab ihn dem jungen Gallier.

»Da hast du ihren Verlobungsring mit dem in baktrischer Sprache eingeritzten Spruch: Glaube! hoffe!«

– »Und hier ist meine Antwort«, erwiderte der Gallier.

Zugleich knüpfte er das goldene Armband seines linken Armes los und überreichte es der Chaldäerin.

»Betrachte diese Worte«, sagte er, »welche auf dem Halsband eingeritzt sind und in der Sprache meines Landes bedeuten: ›Vorwärts und überall.‹ Das ist die Devise meines Stammes. ... Jetzt sage mir, was soll ich thun?«

Die Chaldäerin antwortete:

»Drangiane ist gefangen. Sie glaubt, daß ihr Vater getötet ist oder auf Befehl des Dareios im Gefängnis sitzt, sie will fliehen und ihn aufsuchen. Willst du ihr zur Flucht verhelfen? Um diesen Preis sollst du, wenn ihr Vater, der allein über sie verfügen kann, tot ist, ihr Gemahl werden.«

– »Gewiß will ich!« antwortete Pendragon, »und auf der Stelle. Aber Amalek selber ist im Lager. Er ist es, den ich diesen Abend aufgegriffen und auf dem Rücken meines Nadjed weggeführt habe, im Glauben, es sei Dareios.«

Arachosia streckte ihre Arme gen Himmel.

»Ach! Herr, was hast du gethan!« rief sie. »Jetzt sind sie beide in Alexanders Gewalt!«

Pendragon dämpfte seine Stimme und erzählte ohne Zaudern die Einzelheiten dieses seltsamen Abenteuers.

»Schließlich«, fügte er mit lauter Stimme hinzu, »was meine Hand geknüpft hat, kann sie auch wieder lösen. Es ist nicht schwerer, zu gleicher Zeit Vater und Tochter zu befreien als die Tochter allein. Habt ihr Pferde?«

– »Leider, nein«, antwortete Arachosia. »Ich habe es dir schon gesagt, Herr, wir sind Kriegsgefangene.«

Der Gallier drehte nachdenklich seinen blonden Bart.

»Wenn ich nur«, sprach er endlich, »diesen Samuel bei mir hätte, der mir diesen Abend tausend Dareiken geliehen hat ..., ich wäre aus meiner Verlegenheit heraus. Er hat mir gesagt, daß er alles verkaufe und daß er mir auf mein ehrliches Gesicht hin borge. Er ist gerade der Mann, den ich brauche Aber wo find' ich ihn jetzt? Er hat sich ohne Zweifel schlafen gelegt.«

Da trat Samuel aus dem Schatten hervor und zeigte sich:

»Ihr bedürft meiner, Herr Pendragon?« sprach er mit einer Miene, welche halb demütig, halb gönnermäßig war.

Der Gallier lachte auf.

»Du bist«, sprach er, »gerade wie die Feen von Armorica, sobald man dich braucht, sieht man dich erscheinen. ...«

– »Es gibt nichts, was ich Euch zu gefallen nicht thäte, Herr Pendragon.«

– »Um teuren Lohn, nicht wahr?«

– »Wie Ihr sagt, Herr. ... Aber das Bezahltwerden ist so unsicher. Was man sich teuer zahlen läßt, seht, ist nicht das Gold an und für sich, sondern das Risiko, das man läuft. Ich bin mit meinem Gold eben so kühn als Ihr mit Eurem Schwert. Ich kann mein' Gold verlieren, ich kann das Zehnfache damit verdienen. Ihr könnt das Leben verlieren und könnt ein Königreich gewinnen. Hängt Ihr mehr an Eurem Leben als ich an meinem Gold?«

– »Gewiß nicht«, sagte der Gallier unter beständigem Lachen.

– »Nun denn, Herr, so wollen wir einander nicht gering schätzen, weil wir beide mit gleichem Mut das aufs Spiel setzen, was uns auf der Welt am teuersten ist.«

– »Ich schätze dich ja gar nicht gering, im Gegenteil, du gefällst mir, und wenn ich je ein Königreich gewinne, wie du sagst, so sollst du es nicht bereuen, mich dir verpflichtet zu haben.«

– »Was wollt Ihr schließlich von mir, Herr Pendragon?«

– »Fünf Pferde, Samuel!«

– »In einer halben Stunde sollt Ihr sie haben!«

– »Wohlverstanden, Reitpferde und nicht Packpferde.«

– »Ich will sie Euch selber auswählen, leicht wie der Wind und schnell wie der Sturm. Aber fünf ist zu wenig, Ihr braucht ein sechstes.«

– »Wozu?«

– »Um dem, der Euch sie liefert, zu gestatten, Euch zu begleiten.«

– »Du willst mit uns kommen?«

– »Gewiß! Glaubt Ihr, daß Alexander mir den Kopf auf den Schultern lassen würde, wenn er erführe, daß ich Eure Flucht begünstigte?«

– »Du hast uns also belauscht?«

– »Herr Pendragon, wenn man ein Geschäft macht, so muß man ebenso wohl dessen Gefahren wie dessen Vorteile kennen.«

– »Das ist wahr«, sagte der Gallier. »Aber wenn du mit den andern fliehst, so mußt du deine Schätze im Lager lassen. Alexander wird sie dir mit Beschlag belegen oder seine Soldaten sie plündern. Und wer weiß, ob ich sie dir zurückgeben kann.«

Samuel mußte lachen.

»Dieser Skrupel macht Euch Ehre, Herr Pendragon. Aber Ihr dürft unbesorgt sein. Außer sieben oder achttausend Dareiken, die ich immer bei mir oder zum Dienste meiner Freunde in meiner Nähe habe, ist mein Vermögen in Sicherheit.«

– »Wirklich?«

– »Was wollt Ihr? ... Wir, das unterdrückte, geschlagene, von allen Räubern Europas und Asiens ausgestoßene Volk, haben nur ein Mittel gefunden, dieses Gold in Sicherheit zu bringen, um welches alle Welt uns beneidet und das man uns unter Mißhandlungen und Säbelhieben entreißt.«

– »Welches Mittel?«

– »Wir haben unser Gold in Papier verwandelt und eine Industrie gegründet, welche ihren Weg durch die Welt machen wird und welche wir allein heute noch kennen. Wir sind Bankiers, Herr Pendragon.«

Der Gallier sah ihn mit Erstaunen an.

»Bankiers?« sagte er. »Was will das heißen? Knetet ihr den Teig zu Brot? Verkauft ihr Fleisch oder Wein? oder was ist eure Bank?«

– »Herr, das ist das schönste aller Gewerbe, weil alle andern Menschen daran arbeiten, den zu bereichern, der es ausübt. Wenn Ihr es kennen würdet, so würdet Ihr, anstatt Euresgleichen zu töten, um ihnen ihr bißchen Habe zu entreißen, mit Sanftmut und Bescheidenheit mit ihnen sprechen, wie ich es thue, Ihr würdet ihnen Gold bieten, um ihnen in ihren Nöten beizustehen. ... Ihr würdet am Ende der Woche das Doppelte zurück verlangen, so daß sie in kurzer Zeit Eure freiwilligen Sklaven würden, denn sie würden von Euch die Erlaubnis zu leben erwarten.«

– »Aber«, fragte der Gallier, »wenn es einem einfiele, dich zu töten, um deinen Schatz zu rauben?«

– »Er würde ein schlechtes Geschäft machen, Herr Pendragon, denn mein Schatz ist in Wechseln niedergelegt, wie die Bankiers meiner Nation, die in Damaskus, Jerusalem, Babylon, Karthago, Sidon, Susa, Persepolis, Athen, Baktra und allen großen Handelsstädten Europas und Asiens wohnen. Sobald man meinen Tod erfahren würde, würden die Bankiers, die mit mir in Verbindung stehen, und bei denen mein Geld liegt, nach dem Mörder fahnden und ihn hängen lassen. Da wir alle der Gefahr ausgesetzt sind, helfen wir einander.«

– »Und wenn der Mörder allmächtig, wenn es Alexander selber wäre?«

Der Jude lachte.

»Wenn es Alexander wäre, würde man ihn zur Rückkehr zwingen durch Vorenthalten der Lebensmittel. Man würde ihm keinen Obolos mehr leihen, und ein König, der kein Geld hat, kommt nicht weit. ... Außerdem ist der größte Held der Welt unter dem Bann eines Dolchstiches. ... Alexander weiß es wohl, das Beispiel seines Vaters Philippos wird ihn belehren. ... Seht, Herr Pendragon, es gibt nur drei Kräfte in der Natur: Mut, Geist, Geld; aber das Geld ist die größte unter ihnen. Glaubt mir, ich habe Erfahrung.« –

Arachosia nahm jetzt das Wort und sagte:

»Herr Pendragon, wir müssen diese Nacht noch abreisen.«

– »Richtig«, sagte der Gallier, »du, Samuel, geh' nach den Pferden aus.«

Er dachte ferner nach und fügte bei:

»Aber, da fällt mir ein, damit die Prinzessin und ihr Vater aus dem Lager kommen, muß man den Vorposten das Losungswort geben, oder vielmehr ich müßte eine mit dem Privatsiegel des Königs versehene Ordre haben. Wenn es sich bloß um mich handelte, ich würde mir den Durchgang mit leichter Mühe erzwingen; aber wie kann ich die Prinzessin den Schrecken eines Handgemenges und der Todesgefahr aussetzen?«

Da kam Samuel wieder hinzu:

»Herr Pendragon, diese Kleinigkeit braucht Euch nicht in Verlegenheit zu setzen. Ich werde die Ordre beschaffen.«

– »Mit dem königlichen Siegel versehen?«

– »Ja wohl.«

– »Du bist also ein Zauberer?«

– »Nein, Herr, aber ich habe überall Freunde. Und wenn Ihr diesen hier in Euren Dienst nehmen wollt, meinen Freund ...«

Er nahm mich an der Hand und zog mich aus dem Schatten, wo ich bisher gestanden hatte.

»Der Grieche Sosikles?« rief der Gallier erstaunt, »der Geheimschreiber Alexanders?«

Jetzt nahm ich das Wort:

»Ja, Herr Pendragon, ich bin es in der That. Ich habe den Dienst bei Alexander satt, in welchen ich nur gezwungen getreten bin, nachdem ich bei Chäroneia im Kampf für die Freiheit Athens zum Gefangenen gemacht worden war. Der König hat mich gut bezahlt, und ich, ich habe ihn gut bedient. Wir sind quitt. Ich bin ihm nichts schuldig. Im Gegenteil. Denn er hat mich ja gezwungen, für die Feinde meines Vaterlandes zu kämpfen. Ich kann Euch also dienen, wo und wie Ihr wollt und einstweilen Euch die Mittel verschaffen, mit Amalek und der Prinzessin zu fliehen. Nur bitte ich, wenn Ihr einmal König seid, Euch daran erinnern zu wollen, daß ich für Euch mein Leben aufs Spiel gesetzt habe.«

– »Wenn ich König sein werde!« sagte Pendragon lachend. »Was soll das heißen? Alle Welt verspricht mir hier die Königswürde, diese Chaldäerin, dieser Jude, dieser Grieche! Sollte es denn wirklich meine Bestimmung sein, ein König zu werden? Bei Teutates! Entweder sind die Menschen hierzulande Narren, oder die Götter wollen mich zum Narren der Welt machen. Säbel und Lanze! wenn denn alle Welt es will, so will auch ich ausgehen, mein Königreich zu suchen.«

Hierauf wandte er sich gegen mich und fragte:

»Hast du die Ordre geschrieben?«

– »Ja, Herr!«

– »Und mit dem königlichen Petschaft gesiegelt? ...«

– »... Das ich immer bei mir trage, ja, Herr!«

Dann fragte er die Chaldäerin:

»Nun, Arachosia, auf was wartest du noch?«

– »Auf Eure Befehle, Herr!«

– »Geh' und benachrichtige deine Herrin. In einer Stunde soll sie in Sklavenkleidern ihr Zelt verlassen. Ich werde sie wenige Schritte von dort mit einem bereit gehaltenen Gefolge und Pferden erwarten, die mir Samuel zuführen wird. Ich werde euch allein in die Ebene längs dem Tigris und Babylonien begleiten. Samuel, Sosikles und du, ihr werdet mit Drangiane abreisen. Ich werde allein ins Lager zurückkehren, denn ich habe versprochen, für Alexander in der morgigen Schlacht zu kämpfen. Ein braver Mann hat nur ein Wort und ich werde das meine halten. Aber ich habe nicht versprochen, die schönen Fürstentöchter, die meinen Weg kreuzen, nicht zu befreien, und in dem glorreichen Gallien, meinem Vaterland, würde man mich verachten, wenn ich mich weigern würde, mein Schwert für ein Weib zu ziehen, und wäre es selbst eine Sklavin statt einer Prinzessin. Du, sage der schönen Drangiane, daß wir uns in Babylon wiedersehen werden!«

Die Chaldäerin warf sich auf die Erde und erwiderte:

»Vorerst in Babylon, Herr Pendragon, und später auf einem Throne. Der Stern Aldebaran hat es mir gesagt. Aldebaran lügt nimmer.«

.


 << zurück weiter >>