Achim von Arnim und Clemens Brentano
Des Knaben Wunderhorn / I. Band
Achim von Arnim und Clemens Brentano

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Auch die hellen Triangel der Böhmischen Bergleute klingen den Kindern nicht mehr, am Leitbande darnach zu treten; die treuen heilgen Drey Könige begrüßen sie nicht mehr! – Aber was rede ich von Kindern, während die Politiker zehnmal in einer Viertelstunde zwischen Aufklärung und Verfinsterung die Welt wenden lassen, weil es in ihre Köpfe aus allen Ecken hineinbläst, den alten Staub zu heben und wegzutreiben, vielleicht ist in der Zeit anders geschehen, was nicht bemerkt wurde, eben weil es geschah? – Das Wandern der Handwerker wird beschränkt, wenigstens verkümmert, der Kriegsdienst in fremdem Lande hört ganz auf, den Studenten sucht man ihre Weisheit allenthalben im Vaterlande auszumitteln und zwingt sie voraus darin zu bleiben, während es gerade das höchste Verdienst freyer Jahre, das Fremde in ganzer Kraft zu empfangen, das Einheimische damit auszugleichen. Dafür wird dem Landmann gelehrt, was er nicht braucht, Schreiben, Lesen, Rechnen, da er wenig Gutes mehr zu lesen, nichts aufzuschreiben, noch weniger zu berechnen hat. In der Stadt macht die körperliche Uebung drückender geistiger Anstrengung Platz, um Kinder in die Plätze der Männer einzuschieben. Es mag verkehrt seynWenn ich es verkehrt nenne, wie die Alten in vielen Schulen betrieben werden, so ist es meine Erfahrung. An allen Orten des Altdeutschen war nichts, des Lateins zu viel, des Griechischen zu wenig. Verkehrt nenne ich der Annäherung-Schulen nationale Geschichte, das Eigenste des Volks den Alten nachzubilden, da doch diese nur wegen dieser erschöpfenden Nationalität vortrefflich sind. Bis jezt sind unsre Chroniken unsre einzigen Historiker, alle andern in conventioneller Ziererey und Ansicht versunken, und diese werden in Schulen eben so wenig zugelassen, als die nationalen epischen Gedichte, ja es möchte den meisten Schulmännern sehr wunderlich noch vorkommen, wenn ich ihnen die Volkslieder als lehrreicher zur Deklamation als alle Hallersche Gedichte aufstellte. Aber wie die Jungen in unsrer Zeit ganz alt unter einander thun müssen, um in die Gesellschaft der Alten geführt zu werden, und in aller Schlechtigkeit sich früh abzuglühen, so impft man ihnen einen ästhetischen Ausschlag früh ein, die natürliche Verehrung und das Gefühl dessen zu unterdrücken, was wir selbst nur im glücklichen Augenblicke hervorzubringen vermögen. So möchte freylich mancher dieser Knaben mit edler Herablassung dieser Lieder lächeln. , wie zuweilen die Alten in den Schulen behandelt worden, aber Wahnsinn ist es, während die Gebildeten sich ihrer als Meister rühmen und Aeltern aus Gewohnheit ihnen wohl wünschen, daß unwissende Vorsteher diese einzige uns übrige feste historische Wurzel ausreissen: Sind denn Kinder Kartenblätter, die thörichte Spieler einander an den Kopf werfen? – Was erscheint, was wird, was geschieht? – Nichts? – Immer nur die Sucht der Bösen die Welt sich, und alles der Nichtswürdigkeit in der Welt gleich zu machen, alles aufzulösen, was enger als ein umzäuntes Feld, an den Boden des Vaterlandes bindet, der Gedanke, es ist derselbe Boden, auf dem wir in Lust gesprungen. Wer so denkt, wird fest und herrlich sich und seinen Nachkommen bauen, wem aber die Baukunst fehlt, dem fehlt ein Vaterland. Wer nun fühlt, daß seinem bessern Leben ein Vaterland fehlt; geh' in die Komödie, sagt mancher, da ist poetischer Genuß, da singt's und klingts! – Aber was ist das poetischer Genuß? – Wo das Wesen dem Leben ausgegangen, da sendet es einen Schatten zu unsrer Furcht, daß wir uns selber nicht vergessen: So ist unser Schauspiel vom wahren Volksschauspiel ein fratzenhafter Schatten; und kein Volksschauspiel kann entstehen, weil es den Künsten kein Volk giebt; die äußere Noth hat sie verbunden nicht innere Lust, sonst wäre ein Volk, so weit man deutsch am Markte reden hört. Wisset, Künstler sind nur in der Welt, wenn sie ihr nothwendig, ohne Volksthätigkeit ist kein Volkslied und selten eine Volksthätigkeit ohne dieses, es hat jede Kraft ihre Erscheinung, und was sich vorübergehend in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunst seine Dauer beym müssigen Augenblicke. Kritik ist dann ganz unmöglich, es giebt nur Bessermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlechtes; unendlich viel läst sich dann in der Kunst thun, wenig darüber sagen denn sie spricht zu allen und in allen wieder, kein Vorwurf ist dann das Gemeine, so wenig es den Wäldern Vorwurf, daß sie alle grün, denn das Höchste, das Schaffende wird das Gemeinste, der Dichter ein Gemeingeist, ein spiritus familiaris in der Weltgemeine. –

Daß aber Volksthätigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerschwingliche Last wälzt sich den Söhnen auf! – Daß ich klage, werden Sie sagen, was ich selbst als die höchste Lästerung des Jahrhunderts angeklagt; wer kann sich freymachen allein, aber drein wettern möchte ich können mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, sagte der wackere Schärtlin, alle Kopisterey und Kortisaney zerrissen, wir würden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer langsamern Gang menschlicher Thätigkeit, wie die Stunden der Ruhe und Nahrung einander verdrängen und beeinträchtigen, so haben alle Leidenschaften und Liebhabereyen ihre kürzere Periode, geringeren Grad; die meisten springen von ihrem Geschäfte ab, wie dürres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu der Einigkeit der Welt mit sich vor, wo eines sie erfüllen und befriedigen kann, das sind die sehnenden, wähnenden Embryonen von Menschen, wenigen ist Jugend, wenigen Alter. Wie die Balken unsrer Decken heutiges Tags von einem sonst unbekannten Schwamme verschwächt werden, so werden die Menschen um uns plötzlich hohl und leer, da sie noch kaum angefangen zu tragen und zu stützen, zu leisten und zu streben. Wo seyd ihr versunken? Ihr liegt verloren im Allgemeinen , im Weltmeere mit tausend Schätzen. Den Störchen möchte ich zuwinken: Bleibt weg, holt keinen aus dem großen Wasser auf die Welt, er sehnt und treibt sich doch wieder hinein, wie es auch ebbend vor seinem Fuße fliehen mag. Aber es giebt nur einen Teufel und viel Engel, ist wohl noch Rettung, ist die Wahl nur eure Qual? – Ob sich etwa die Welt ausruht zum Ausserordentlichen? Das Speculiren, was so ernsthaft genommen wird, macht es wahrscheinlich, denn dies ist der Traum der Thätigkeit, nur der Morgenträume sind wir uns bewußt. Wenn ich Abends im Wintersturm beim SchauspielhauseDies bezieht sich auf den eigenthümlichen sargartigen Bau des neuen Berliner Schauspielhauses, an andern Orten haben sie vielleicht die Form nicht, aber denselben todten Inhalt, wie viele haben auch nicht die Uhr über der Scene, aber dieselbe Langeweile. vorüberziehe, wo Licht und Leben erloschen, ich denke wohl, die stille Uhr über den langwierigen Stunden wird einmal anschlagen, der hohe Dekkel sich eröffnen vom Sarge, die Larve wird durchbrochen von einem bunten Chor, die neue Bande aufsteigen, ausfliegen durch das Land, fliegen auf allen Tönen, alle erwecken, die schon schlafen gegangen! Das Eis hält lange, ehe es bricht und trägt viel, aber wer nur einmal über das glatte Eis durch alle wunderbare Bahnverschlingungen seiner Vorläufer fest dahingefahren, wo seine Augen den Schein der Sonne vor sich her springen sahen, er ahndet das freudige Leben im freyen Strom – zu schwimmen darin, zu segeln darauf, hindurch dem rauchenden Hirsche nachzureiten, dann bey ihm auszuruhen im Grünen, die Sterne darin zu sehen, kommen und untertauchen in ewiger Witterung. Ja, wer nur einmal im Tanze sich verloren und vergessen, wer einen Luftball ruhig wie die Sonne emporziehen sah, den lezten Grus des Menschleins darin empfing, der jemals vom jubelnden Taktschlage der Janitscharen hingerissen, einen Feind gegen sich, den muthigen Freund neben sich glaubte, der die Reiter auf Wolken gegen sich ansprengen sah, unwiderstehlig, wie ein Trompetenstoß den mächtigen Strom hemmte; der etwa gar im Sonnenscheine einer Kriegsflotte Anker-Lichten sah, wo wenige Augenblicke hinreichten voll Weben und Leben auf Masten und Stangen, diese goldenen Schlösser und Gallerieen, alle wie Flossen eines Fisches ruhig in das luftbegrenzte Meer hinschwinden zu sehen, alles Dinge, die uns umgeben, uns begegnen, der muß an eine höhere Darstellung des Lebens, an eine höhere Kunst glauben, als die uns umgiebt und begegnet, an einen Sonntag nach sieben WerktagenDer gewöhnliche Sonntag wird jezt auch in die Arbeit hinein gerissen, darum sieben Werktage, der Kalender ist wirklich nicht in Frankreich allein geändert. , den jeder fühlt, der jedem frommt. Und wären sie tausendmal nicht gehört, es brauchen nur einmal, wenn dieser Tag gekommen, und diese Morgenstunde, alle Thürmer herunterposaunen zu dem Liede der Schüler, zu den Glocken, wie wir auch sanft ruhen, wir werden doch lieber erwachen, da wird alles anspringen, da wird die Last sich heben, wie die Anker bey dem einfachen Liede der Matrosen, wenn sie nur alle zusammen singen. Was ich hoffe ist kein leerer Traum, die Geschichte hat es so oft bewährt, wie das reine Streben der Menschen in gewissen Perioden siegend und singend hervortritt, Kunstwerke gefunden, erfunden und höher verstanden werden! Wer kann sich enthalten, zu glauben, wo er in eine heisse Glashütte tritt, einige rothe Netze um ihn ziehen, andere mächtig das Glas für ihn aufblasen, was da aus dem rothen Feuer durchsichtig werde, sey ein Jubelbecher, ihn im heißen Netze zu kühlen: und ist es nun gekühlt, so ist es ein elendes gebrechliches zitterndes Singglas, kein Glas wobey er singen kann. Es sind der Singgläser doch endlich genug gemacht, wir werden endlich alle zusammenschlagen zum Pokal! Bricht aus den Springkugeln dazu die Spitze, daß sie zu Staub zerfallen, in dem lange schon die große Zahl der Dichter, Schauspieler und Sänger scheinlebend umherverkauft wurde. – Hört nur, wie die Zugvögel schön singen dem neuen Frühling; da ziehen schon die wackern Handwerksgenossen mit Bündel und Felleisen in langen Reihen über den Weg; wie sie zusprechen bey ihrem Zeichen; wie die Fensterscheiben und das goldene Schild vom echten Grundbaß erzittern, wo sie singen ist keine Halbstimmigkeit, wo Deutsche gebraucht werden, von London bis Moskau und Rom, kein halbsinniges Lied:

Frisch auf, ihr Bursche! wandert mit,
Holt Bündel und Felleisen,
Doch eh wir mit dem lezten Schritt
Der Stadt den Rücken weisen,
Schenk Mädchen uns noch Kuß und Wein,
Drauf mit der Sonn zu reisen.
Liebesrose, Lied 18.

Es ist mir wohl begegnet im Herbste, wenn schon alles fast still und abgefallen, einen dichten krausen Baum mit sich umrungenen Aesten, von Staaren wie durchdrungen, klingen und gleichsam auffliegen zu sehen, so sangen mir deutsche Handwerker lüftend ins Herz bey dumpfer Nachtluft holländische Kanäle, ein kleines Segel flatterte von ihrem Gesange, an bunten Bändern schien das Schiff schneller fortgezogen. Wer hat so etwas nicht öfter erlebt und sey es auch nur im Traume? So hörte ich auch über die Londonbrücke Hannöversche Flüchtlinge: ein freyes Leben – hinsingen, als ich mit Sehnsucht nach meinem Vaterlande den Wasserspiegel herabsah, da schien mir auch jener Boden befreundet mit seiner zornigen rothen Abendsonne. – Noch nicht ganz erdrückt von der ernsthaften Dummheit die ihr aufgebürdet, lebt euch das fröhliche gesangreiche Symbol des werkthätigen Lebens, die Freimaurerey. Noch stehen mitten inne als Künstler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen Studenten; sie heften die höchsten Blüthen ihrer frischen Jahre sich an den bezeichnenden Hut und lassen die farbigen Blätter hinwehen weit über Berg und Thal und in die Wasser. – Auch die Bänke der rauchenden Wachstuben werden nicht immer von den Musen gemieden, und wenn sie auch zuweilen nicht hinein können, so sehen sie doch nach ihrem Lieblingssitz durch die Fenster: wenn die überwachte Schildwache Nachts ein schauerliches Anschlagen der Gewehre hört, sie spielen mit den blanken schnellfertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit kommen, wo die drückende langweilige Waffenübung allen die höchste Lust und Ehre, das erste der öffentlichen Spiele, höchste Kraft und Zierlichkeit zu einem Tanze verbunden ausdrücket. Für jede Thätigkeit giebt es einen Preis, wer diesen kennt, hat jene. Wer hat es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege hält, unter ihm brauset der Strom, Felsen und Bäume drehen sich über ihm, – ein mächtiger Marsch hält ihn, fällt er ihm zur rechten Zeit ein, und aller Schwindel verschwindet, wie die Tritte hinter seinem Rücken. So begreift man Taillefers Gesang, der in jener berühmten Schlacht bey Hastings, England für Wilhelm eroberte, indem er die unerschütterliche Ordnung der Sachsen durchschrie. So mag auch wohl die Macht der russischen Verse gewesen seyn. Wir begreifen nun leicht, wie unsere gebildetere Zeiten bey der Vernachläßigung des ärmeren Lebens (denn das sind die unteren Klassen jetzt) so viele leere Kriegslieder entstehen sahen, während jeder der früheren deutschen Kriege in dem gemeinsamen Mitwirken Aller zu großer That herrliche Gesänge hervorrief. Wer hat es je vor- oder nachgedichtet, was ZinkgrefPhil. von Sittewald Strafschriften. II. B. S. 573. aus aller braven Landsknechte Mund im öden dreissigjährigen Kriege, lehrend uns zu Gemüthe führt:

Drum gehe tapfer an, mein Sohn, mein Kriegsgenosse,
Schlag ritterlich darein, dein Leben unverdrossen
Fürs Vaterland aufsez, von dem du frey es auch
Zuvor empfangen hast, das ist der Deutschen Brauch.
Dein Herz und Auge laß mit Eifers Flamme brennen,
Kein menschliche Gewalt wird dich vom andern trennen.
Es weht von deinem Haupt die Fahne bald hinweg,
Der Jugend Uebermuth, der Unordnung erweckt.

Kannst du nicht fechten mehr, du kannst mit deiner Stimme,
Kannst du nicht rufen mehr, mit deiner Augen Grimme
Den Feinden Abbruch thun in deinem Heldenmuth,
Nur wünschend, daß du theur verkaufen mögst dein Blut.Bey dem theuren Blutverkaufen der alten Landsknechte ist die Vergleichung mit den heutigen von Land zu Land sich stehlenden und angeworbenen Soldaten sehr traurig; jene kannten ganz den Werth ihres Lebens, ließen es sich wohl bezahlen, dienten ihre Zeit mit Ehre, dem Tode mit Bewustseyn, – diese stürzen sich für einen frischen Trunk in einen frischen Rock, und sehen beym Eintritt in das Thor, wie sie hinauslaufen können, wenn der Krieg sie überrascht, als welchen sie gar nicht ansehen mögen.
Im Feuer sey bedacht, wie du das Lob erwerbest,
Daß du in männlicher Postur und Stellung sterbest,
An deinem Ort bestehst fest mit den Füßen dein,
Und beiß die Zähn zusamm und beyde Lefzen ein.

Daß deine Wunden sich lobwürdig all befinden,
Da vorne auf der Brust, und keine nicht dahinten,
Daß dich dein Feind der Tod im Tod bewundernd zier,
Dein Vater im Gesicht dein ernstes Leben spür.
Mein Sohn, wer Tyrannei geübriget will leben,
Muß seines Lebens sich freiwillig vor begeben,
Wer nur des Tods begehrt, wer nur frisch geht dahin,
Der hat den Sieg und dann das Leben zu Gewinn.


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