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XVI.

Während der Zeit nun, daß Lincoln's Freunde für diesen thätig waren, machte man in der Stadt großartige Vorbereitungen für die Feier des Tages der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, des vierten Juli, dem einzigen eigentlichen Festtage der Amerikaner. Es wurden auf freien Plätzen Tribünen erbaut, von denen die Redner zum Volke sprechen wollten, allenthalben wurden Masten aufgerichtet, um an ihnen ungeheure Flaggen zu entfalten, und an vielen Orten erbaute man lange, auf Ständern ruhende Sonnendächer, um die Festessen unter ihnen zu halten. Zwei Kanonen wurden geputzt und zum Gebrauch hergerichtet und Jedermann versorgte sich mit Pulvervorrath, um den anbrechenden Festtag mit Freudenschüssen zu begrüßen.

Aber wohl Niemand in der Stadt und im Lande sah mit solchem Verlangen, solcher Sehnsucht dem Erscheinen dieses Tages entgegen, als Lincoln und Rosiana und in keinem Herzen wurde der Kanonen- und Gewehrdonner so jubelnd und freudig bewillkommnet, als in den Herzen dieser beiden Schwergeprüften, da endlich der Morgen des vierten Julius graute. Bald war die ganze Einwohnerschaft der Stadt in Bewegung, laute Hurrah's schallten von allen Seiten durch die Straßen, die Häuser wurden mit Laub und Guirlanden geschmückt und die amerikanischen Farben wehten auf unzähligen Flaggen dem nahenden Festtage entgegen.

Die Trink- und Wirthshäuser füllten sich schnell, Washington und die Freiheit Amerika's waren die Toaste, die allenthalben ausgebracht wurden und Alt und Jung, Reich und Arm stimmte in den allgemeinen Jubel ein. Vor einem Trinkhause, dem Gerichtsgebäude gegenüber hatte sich die Schaar Rouser's versammelt und er selbst feuerte sie zur Heiterkeit an, indem er schwur, sie sämmtlich heute frei zu halten. Er trank ihnen Allen zu und lud sie ein, beim Festessen seine Gäste zu sein.

Von allen Seiten zogen die Bewohner der Umgegend in die Stadt, um den Feierlichkeiten des Tages beizuwohnen. Gegen eilf Uhr schaarte sich das Volk auf dem Platze vor dem Gerichtsgebäude, ein Advocat hielt aus einem Fenster desselben eine Rede zu Ehren des Tages und dann reihten sich die Männer in einen Festzug, der sich unter klingendem Spiel und Kanonendonner, und überweht von hundert Flaggen feierlich in Bewegung setzte. Man zog hinaus vor die Stadt, wo die Tribünen erbaut waren, um dort die Festreden zu hören. Trotz der glühenden Strahlen der Mittagssonne und nur hier und dort durch einzeln stehende Bäume gegen dieselben geschützt, verharrte die begeisterte Volksmenge bei ihren Rednern und feuerte dieselben durch stürmischen Beifall und donnernde Hurrahs immer wieder von Neuem an, den Segen der Freiheit zu verkünden. Erst nach drei Uhr zog die Volksmasse wieder nach der Stadt zurück, um nun an den vielen reichbesetzten Tafeln, die theils in den Gasthäusern, theils im Freien unter den errichteten Sonnendächern ihrer harrten, sich zu versammeln und in brüderlicher Gleichheit und Einigkeit die Festgelage zu begehen. Lauter Jubel und Gläserklang folgte den unzählichen Toasten, die mit Begeisterung ausgebracht wurden, und die Nationalmelodieen mischten sich mit dem Donner der Geschütze. Unbegrenzte Heiterkeit und Frohsinn herrschte in allen Theilen der Stadt und nirgends wurde die Freude durch ein böses Wort gestört.

Power nahm den Ehrenplatz an einer der unabsehbaren Tafeln im Freien ein und wurde im Ausbringen von Toasten durch Franval häufig unterstützt; der Doctor Hunter, sein Gefährte Griffin und Advocat Frazier aber waren während des ganzen Tages unter den Fröhlichen nicht zu erblicken.

Der Tag neigte sich, die Sonne versank und Tausende von Lichtern verdrängten die eingetretene Dunkelheit, während der Jubel sich allenthalben mehrte und die reichlich genossenen geistigen Getränke ihre Wirkung auf die Gemüther der fröhlichen Begeher des Festes geltend machten.

Besonders auffallend zeigte sich diese Wirkung an einem Tisch, der in dem Hofe eines Wirthshauses zweiten Ranges stand, um welchen Rouser mit seinen Gefährten und noch einige zwanzig ihrer Freunde versammelt waren. Der Madeira und Portwein, der beim Beginnen des Essens hier credenzt wurde, war schon lange durch stärkere Getränke verdrängt worden, und der real stuff, (der ächte Stoff) wie der Amerikaner sagt, Branntwein, hatte sie ersetzt. Der Geist dieses Trankes war deutlich auf den um den Tisch versammelten Männern zu erkennen. Sie hatten ihre Röcke ausgezogen und hingen in den verschiedensten ungezwungensten Lagen auf ihren Stühlen. Zerbrochene Teller, Gläser und Flaschen lagen auf dem Tisch und im Hofe umher und von Zeit zu Zeit machte der Faustschlag eines dieser Festesser die noch gefüllten Gläser und die Lichter auf dem Tische tanzen. Die glühenden Gesichter, die stieren gläsernen Blicke und die schwerfällige Sprache dieser Fröhlichen bezeugten, daß sie den Höhenpunkt ihrer Begeisterung schon lange überschritten hatten und die wilden Flüche, die sie ausstießen, bekundeten nur noch ein Aufflackern ihrer geistigen Fähigkeiten. Nur an Rouser war keine Spur von Hinfälligkeit zu bemerken, im Gcgentheil, seine Nerven schienen ganz ungewöhnlich gespannt zu sein. Auch er sang, tobte und fluchte und schlug auf den Tisch, daß die Lichter wankten, aber seine Augen glänzten und blitzten voll Entschlossenheit und seine Blicke wanderten von einem seiner Gefährten zum Andern, als prüfe er, wie nahe dieselben sich einer gänzlichen Bewußtlosigkeit befänden. Mit dem Wirth schien er in vollem Einverständniß zu sein, denn er gab demselben oft mit den Augen Zeichen, die leeren Gläser zu füllen und die Gäste durch einen lustigen Toast zum Trinken aufzufordern.

Plötzlich sah Rouser nach der Uhr, schlich sich von dem Tisch hinweg, gab dem Wirthe noch einen Wink, den Stuhl dort statt seiner einzunehmen und eilte durch das Haus in die Straße hinaus.

Bald darauf schlug es neun Uhr; der laute Lärm, der während des ganzen Tages die Stadt durchtönt hatte, war verstummt und nur in der Nähe der Festgelage und der Trinkhäuser vernahm man noch die Stimme der Nachfeier. In der Umgebung des Gefängnisses aber herrschte Todtenstille, es brannte kein Wachtfeuer in dessen Nähe und der Lichtschein, der bisher stets noch spät in der Nacht zwischen dem Gebälk hervordrang, war erloschen. Nur die langsame Bewegung einer dunkeln Riesengestalt, die in gemessenem Schritt neben dem Gefängniß auf und niederging, gab diesem öden verlassenen Orte einen Schein von Leben. Diese Gestalt war Rouser, der neben dem Blockhaus hin- und herschritt und von Zeit zu Zeit stehen blieb, als lausche er den fernen, immer mehr verhallenden Tönen des Festes, als spähe er durch die Dunkelheit nach einer Bewegung.

Während er aber dort auf und abschritt, waren zwei Augen auf seine colossale Gestalt gerichtet, die von dem äußersten östlichen Ende des wüsten Platzes her nach ihm schauten. Dort stand der Doctor Hunter und blickte den Hügel hinauf, auf dessen Höhe er das Gefängniß und daneben den Wächter, wie schwarze Silhouetten gegen den nächtlichen Himmel erblickte.

Plötzlich stand Rouser still, er horchte, er beugte sich tief an die Erde, um über die Fläche des Platzes gegen den Himmel sehen zu können, dann hob er sich rasch auf, trat nahe an das Gefängniß und rief mit leiser Stimme durch eine Oeffnung hinein:

»Machen Sie sich fertig, Herr Lincoln, sie kommen.«

Wenige Augenblicke später naheten sich von der Westseite des Platzes her drei Männer mit eiligen Schritten dem Blockhaus und Power, Franval und der Neger Yeddo wurden von Rouser bewillkommnet.

»Nun rasch – gieb mir die Axt Yeddo, hier darf nicht Viel gehämmert werden,« sagte er, indem er dem Neger die schwere Axt aus der Hand riß, sie sausend durch die Luft schwang und mit solcher Gewalt auf das Schloß der Gefängnißthür schmetterte, daß diese in ihren Fugen krachte; ein zweiter und ein dritter Hieb, die Thür flog weit in ihren Angeln auf, und Lincoln und Rosiana mit ihren Kindern auf den Armen stürzten heraus.

In demselben Augenblicke ertönte der Ruf »Hülfe, Räuber!« in nicht großer Entfernung, und Doctor Hunter kam über den Platz herangestürzt.

»Du kommst mir eben recht!« sagte Rouser mit unterdrückter Stimme, indem er einen Strick aus seinem Rock hervorzog und sich eben so schnell nach den Fliehenden umwandte und ihnen nachrief: »Fort – fort!«

Franval hatte Lincoln den Knaben, und Power dessen Frau die Tochter abgenommen, und fort flogen sie, so schnell die Füße der Mulattin dieselbe zu tragen vermochten über den Platz den Kornfeldern zu, die sich mit ihrer andern Seite an den Fluß lehnten. Yeddo hatte im Augenblick ein Gefach der Einzäunung niedergeworfen, alle eilten durch das Kornfeld und erreichten bald den Pfad, der an dem Strom hinauf zu Powers Wohnung führte.

»Nun aber langsam,« stöhnte der Pflanzer, als sie in den Wald traten. »Beim Himmel, habe ich doch gelaufen, wie ein Kerl von achtzehn Jahren. Wir haben Zeit und nichts mehr zu fürchten. Ich glaube, Rouser hat dem Schurken Hunter das Maul gestopft, denn er war's, der Hülfe schrie. Wenn er ihm nur die Sprache für immer genommen hat!«

Rosiana war sehr erschöpft und mußte den Arm ihres Gatten nehmen, um sich an ihm zu führen. Sie waren sämmtlich außer Athem und folgten langsam dem dunkeln Pfade durch den Wald, als plötzlich eilige Tritte hinter ihnen hörbar wurden, sie schnell alle zur Seite in die Büsche traten und die Männer ihre Revolver zogen und spannten.

»Das ist Rouser, bei Gott, kein Anderer,« sagte Power lachend und trat wieder in den Pfad, als Jener mit stampfendem Tritt herangestürzt kam.

»Alles sicher! nun vorwärts, wir müssen die Nacht benutzen,« sagte er und schritt auf dem Fußpfad voran.

»Wie seid Ihr mit dem Schurken fertig geworden? Er schrie ja Hülfe und Räuber,« sagte der Pflanzer, indem er Rouser folgte.

»Wir haben uns zu beiderseitiger Zufriedenheit verständigt. Ich denke, er wird nun die Sache auf sich beruhen lassen,« entgegnete Rouser und biß im Gehen Etwas von einem Stück Kautaback ab.

Bald hatten sie wohlbehalten die Wohnung des Pflanzers erreicht, dessen Frau empfing Rosiana unter Freudenthränen in ihren Armen, Lincoln fiel bald Franval, bald Power an die Brust und die Freude, der Dank wollte kein Ende nehmen.

In dem Wohnzimmer stand ein Abendessen aufgetragen, dorthin führte Madame Power nun die geretteten Freunde und sie mußten ihr den Gefallen thun und sich für den bevorstehenden langen Ritt stärken.

Während dem waren die Pferde auf den Platz hinter dem Hause geführt, Power selbst sah bei dem Lichte einer Laterne noch einmal das Sattel- und Zaumzeug nach und dann folgte er der Mahnung Rouser's und forderte dringend zum Aufbruch auf. Es war ein rührender, herzergreifender Abschied, den Lincoln's von den biedern alten Leuten nahmen und nicht weniger innig und dankbar sagte Franval ihnen Lebewohl. Die Trennung war schwer, nochmals wurden die Kinder geherzt und geküßt und dann halfen die Männer Rosiana ihr Pferd besteigen. Auch Lincoln und Franval sprangen in die Sättel, Power hob die kleine Virginia zu ihrem Vater auf das Pferd und dann den Knaben zu Franval, denn Henry hatte erklärt, er wolle mit diesem Onkel reiten. Auch Rouser war zu Roß, so wie Yeddo, der das Handpferd leitete. Noch ein herzinniges Lebewohl und dahin zogen die Geretteten, die Glücklichen, von dem Freunde geführt, um bei ihm in seiner Wildniß für den Augenblick einen sichern Ruheort zu suchen.

Mit dem ersten Grauen des folgenden Morgens wurde die Stadt B…… durch eine überraschende Kunde in allgemeine Aufregung und Bewegung gesetzt, durch die Nachricht nämlich, daß Lincoln mit den Seinigen in vergangener Nacht aus dem Gefängniß entflohen sei und daß man in demselben den Doctor Hunter an einem Strick aufgehangen gefunden habe. Alles strömte hinauf nach dem Blockhaus, um sich selbst von der Wahrheit des Gerüchts zu überzeugen und zugleich den Leichnam des allgemein verhaßten Doctors zu sehen.

Die Theilnahme und Freude über die Befreiung der Gefangenen sprach sich laut allenthalben aus und ihr gerichteter Verfolger wurde noch im Tode verhöhnt und beschimpft. Zugleich wurde aber auch die Überzeugung ausgesprochen, daß der verschwundene Rouser diese That vollbracht habe und mancher lächelnde bedeutsame Blick wurde Power von seinen Freunden zugesandt, der deutlich verrieth, daß man in ihm den Befreier der Unglücklichen preise und ehre.

Das Gericht nahm sich allerdings, wie es seine Pflicht war, der Sache an, doch sehr saumselig und erst am zweiten Tage darauf wurden einige Männer auf Kundschaft ausgesandt, um die Spur der Flüchtigen sowohl, als die Rouser's zu entdecken. Power hatte im Auftrage Lincoln's eine Zusammenkunft mit dem Advocaten Frazier und mit Griffin und machte denselben ein hohes Gebot, um Morna, die Mutter Rosiana's von ihnen zu kaufen, unter dem Vorwande jedoch, daß er sie für sich selbst als Hausdienerin zu haben wünsche. Sein Gebot wurde aber nicht berücksichtigt und Griffin reiste mit Morna nach Richmond zurück, um die Negerin der Wittwe Hunter wieder zuzustellen. Die beiden Negermädchen, die Sclavinnen Lincoln's, ließ dieser bei Power zurück, und es war der Advocat Lane durch Franval beauftragt, denselben Freiheitsbriefe auszustellen.


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