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Während dieser Zeit berechneten Lincoln und Rosiana schon den Tag, an welchem ihr Freund Franval wieder zu ihnen zurückkehren könne, und Ersterer suchte alle Arbeiten aus dem Wege zu räumen, die ihm das Zusammensein mit ihm stören könnten, während seine Frau das Zimmer, in welchem der liebe Gast wohnen sollte, mit aller Sorgfalt und mit ihrem natürlichen Schönheitssinn einrichtete und ausschmückte. Die hübscheste seidene Lappendecke wurde über sein Lager gedeckt, ein schöner, von Rosiana's eigener Hand gestickter Teppich vor dem Sopha ausgebreitet, die besten Leuchter auf das Marmortischchen vor den Spiegel gestellt und ihre großen Alabastervasen zur Aufnahme von frischen Blumen bereit gehalten. Sie selbst steckte schneeigweiße Vorhänge aufs Geschmackvollste an den Fenstern auf und band sie mit rothseidenen Bändern in leichte gefällige Formen, und ihr eigener kostbarer Schaukelstuhl mit rothsammtenem Polster mußte in das Zimmer wandern, welches den Freund aufnehmen sollte. Zu wiederholten Malen spazierte das glückliche Ehepaar bei sinkendem Tage hinaus zu den biedern Powers, um den Farmer daran zu erinnern, daß er den Platz in seinem Stall für Franval's Pferd in Bereitschaft halten möge, dem er das Versprechen gegeben hatte, dasselbe abermals unter seine Obhut zu nehmen, und mit warmem Verlangen freuten sich auch die beiden Alten auf Franval's Rückkehr.
Endlich kam der ersehnte Brief von diesem aus Neworleans, worin er seine Abreise von dort mit dem Dampfschiffe meldete, welches ihn bis an die Mündung des Stromes, an dem B……… gelegen war, führen sollte. Von dort, wo er sein Pferd gleichfalls bei einem Pflanzer zurückgelassen hatte, wollte er dann den Rest seiner Reise wieder zu Lande zurücklegen.
Nun konnten Lincoln's schon ziemlich genau bestimmen, wann sie Franval zu erwarten hatten, demohngeachtet wanderten sie an drei Abenden hintereinander vergebens einige Meilen auf der Straße hin, auf welcher Jener herankommen mußte. Am vierten Abend aber, nachdem sie ihm auch einige Meilen entgegengegangen und im Begriff standen, sich wieder zur Stadt zurückzuwenden, bemerkte Rosiana, sich nochmals umschauend, in der Ferne einen einzelnen Reiter, erkannte bald, daß er ein weißes Pferd ritt, und nach wenigen Minuten überzeugte sie sich, so wie auch ihr Gatte, daß es Franval war, der sich ihnen nahe. Die Freude war groß, sie eilten ihm entgegen, bald hatte auch er sie erkannt, er kam zu ihnen herangesprengt, und alle Drei gaben sich dem Glücke hin, welches die Freundschaft in frohem Wiedersehen in so hohem Grade bietet. Franval nahm nun den einen Arm seines Freundes, während Rosiana sich an dem andern führte, und das Pferd folgte langsam seinem Herrn, blieb hier und dort am Wege stehen, um sich am saftigen Grafe zu laben und holte ihn, wenn es zurückgeblieben war, schnell im raschen Trabe wieder ein. Der späte Abend war schon hereingebrochen, als die Freunde Lincoln's Wohnung erreichten; dort wurde dem Pferde das Gepäck abgenommen und Jener wollte das Thier durch seinen alten Neger zu Power senden, doch Franval gab es nicht zu, sondern bestieg selbst den Hengst wieder und ritt zu dem Farmer hinaus. Mit herzlichem innigen Willkommen wurde er von den beiden alten Leuten empfangen und Power erinnerte ihn sogleich an sein Versprechen, ihm noch die weitern Berichte über die Indianer abzustatten, worauf Franval ihn versicherte, er werde einige Wochen hierbleiben und ihn während dieser Zeit recht oft besuchen. Das Pferd wurde wieder in sein früheres Quartier gebracht, Power versprach, bestens für dasselbe zu sorgen, und als sich Franval den lieben Freunden für diesen Abend empfehlen wollte, kam Lincoln herangesprungen, um ihn nach seinem Hause abzuholen.
»Sie waren sicher bange, daß wir unsern Freund bei uns behalten würden, wozu ich gern das Meinige thäte,« sagte Power lachend, indem er Lincoln die Hand drückte. »Herr Franval hat uns aber das Versprechen gegeben, daß ein Theil der Zeit seines Hierbleibens uns gehören solle, wobei wir zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn so bekommen wir Sie nebst Ihrer lieben Frau gleichfalls unter unserm Dache zu sehen. Nicht wahr, das versprechen Sie uns doch?«
»Das bedarf des Versprechens nicht, lieber Freund Power; Sie wissen, daß wir zu Niemandem so gern gehen, wie zu Ihnen,« entgegnete Lincoln und wandte sich dann mit den Worten zu Franval: »Nun laß uns aber eilen, denn Rosiana wartet mit dem Essen auf uns und wenn wir dazu zu spät kommen, so wird sie ungnädig.«
Mit der Versicherung, recht bald einen Abend bei Powers zuzubringen, schieden sie von den beiden Alten und beeilten nun ihre Schritte, um Rosiana nicht zu lange auf sich warten zu lassen. Diese harrte ihrer schon in dem Garten vor dem Hause und sprang ihnen bis an dessen Thür entgegen. Sie führte sie sogleich nach dem Zimmer, wo das Abendessen schon aufgetragen stand und machte dort die liebenswürdigste heiterste Wirthin. Das äußerst nett und geschmackvoll decorirte Zimmer wurde durch die Kerzen der zwei auf dem Tisch stehenden Armleuchter hell erleuchtet und die Luft, welche kühlend durch die offenen Fenster ein- und ausströmte, trug den Duft der eben erschlossenen Blüthen des Gartens mit sich herein und mischte sich mit dem der prächtigen Blumen, die in den großen Vasen auf den Tischen und über dem Kamin prangten. Rosiana hatte eine weiße Rose in ihr wundervolles Lockenhaar gesteckt und war in ihrem einfachen sauberen Hauskleide so schön, daß ein jeder Fremder sie für ein junges Mädchen gehalten haben würde. Dabei gab sie sich der ungezwungensten frohsten Laune hin, ihre Augen glänzten in freudiger Aufregung, und wenn sie mitunter so recht herzlich auflachte, so überstrahlten ihre herrlichen Zähne die Perlenschnur, die sie um den zarten Nacken trug.
Lincoln war überglücklich, daß sein Freund einen Blick in seinen häuslichen Himmel that, und es entging ihm nicht, welch wohlthuenden Eindruck die noch immer so frische innige Liebe zwischen ihm und Rosiana auf denselben machte. Die Unterhaltung sprang bald auf die Gegenwart, bald in die Vergangenheit zurück, freudige und traurige Ereignisse wurden besprochen und auch des geschiedenen Freundes Fehrmann, dessen Tod Franval schon berichtet hatte, wurde mit inniger Theilnahme und Wehmuth gedacht. Franval hatte es schon mehrere Male auf den Lippen, des Fremden zu erwähnen, der sich ihm in Neworleans als Apotheker Brand vorgestellt hatte, doch immer unterdrückte er es wieder, aus Furcht, es möchte der heitern Stimmung seiner Freunde Eintrag thun und er beschloß, Lincoln unter vier Augen Mittheilung davon zu machen. Nach beendigter Mahlzeit, als Rosiana den Secretair öffnete, um Cigarren für die beiden Freunde daraus hervorzunehmen, sagte Lincoln zu ihr:
»Gieb mir doch einmal unsern Schatz her, damit Franval sieht, daß wir auch in dieser Weise vom Glück begünstigt worden sind,« und setzte, zu diesem gewandt, noch lachend hinzu: »Ja, ja Alter, wir sind Kapitalisten.«
Rosiana öffnete darauf die Thür eines kleinen Gefachs in der Mitte des Bureaus, nahm eine große grüne lederne Brieftasche daraus hervor und reichte sie mit einem freudigen Blick ihrem Gatten hin. Lincoln öffnete dieselbe nun vor Franval und zeigte ihm über zehntausend Dollar in Schatzscheinen der Vereinigten Staaten von Amerika.
»Sieh',« sagte er, »besseres Kapital giebt es auf dem ganzen Erdenrunde nicht, die sämmtlichen Vereinigten Staaten sind dafür gut und das Geld tragt acht Procent Zinsen. Schade nur, daß man diese Papiere nicht immer behalten kann, denn sie werden über kurz oder lang von der Regierung eingelöst. Nicht wahr, der Himmel hat es doch recht gut mit uns gemeint?«
»Wohl hat er das, Lincoln,« antwortete Franval, »und er mag Euch Euer Glück bis an Euer spätes Ende erhalten. Sollten aber einmal trübe Tage bei Euch einkehren, dann mache es nicht, wie ich es gethan habe, sondern denke daran, daß über die Grenzen der Cultur hinaus, wohin keines weißen Menschen Hand reicht, ein Freund von Euch wohnt, der Euer Glück unter seinem Dache zu schützen wissen wird. Gott gebe, daß der Fall nie eintreten möge!«
Lange noch saßen sie in traulicher Unterhaltung zusammen, und als sie aufbrachen und Franval sich auf sein Zimmer begeben wollte, sagte Rosiana im Uebermaße ihres Glückes:
»Ach, nur einen Augenblick, Herr Franval, Sie müssen unsere Kinder im Schlafe sehen, sie sind zu lieb.«
Dabei sprang sie mit dem Licht in der Hand voran nach dem Schlafzimmer und zu den Bettchen der Kleinen und winkte mit seligem Lächeln ihrem Gaste, näher zu treten, indem sie auf die beiden ruhig schlafenden lieblichen Kinder zeigte, auf deren Gesichtchen sich in rosiger Farbe die frischeste aufblühende Gesundheit und Lebenskraft spiegelte. Eine Freudenthräne glänzte in Rosiana's glückstrahlendem Auge, sie sah Franval an, als wolle sie die Anerkennung ihres Glückes in seinem Blicke lesen, neigte sich dann, sichtbarlich in tiefster Seele wonnig bewegt, über die kleinen Lieblinge und küßte deren brennendrothe volle Lippen.
Mit eilig beschwingten Flügeln vergingen den Freunden die Tage und namentlich an Franval zogen sie mit lange nicht mehr gekannter Eile vorüber; das Glück überhaupt war ihm wieder etwas Neues, so hohes Familienglück aber etwas noch nicht Gekanntes. Es that ihm so wohl und doch so weh, denn es erinnerte ihn an seine schon lange zertrümmerte Hoffnung für eine eigene ähnliche irdische Seligkeit. Die Wehmuth aber, die nach langer tiefer Trauer um ein verlorenes Paradies des Menschen Herz erfüllt, wirkt auf dasselbe wie himmlischer Balsam und schafft ihm ein stilles zunehmendes Glück, welches nie wieder durch die grausame Hand des Schicksals getrübt werden kann.
Drei Wochen waren seit Franval's Ankunft in B…… bereits dahingeeilt und dessen Aufenthalt daselbst nahete seinem Ende. Noch immer hatte er damit gezögert, Lincoln von seinem Zusammentreffen mit dem Apotheker Brand zu unterrichten; ein unnennbares Vorgefühl von nahendem Unglück, worüber er sich keine Rechenschaft geben konnte, mischte sich in seine Erinnerung an jenen unheimlichen Menschen und hielt ihn ab, von demselben zu reden. Franval's Abreise war auf den dritten Tag bestimmt, als er Morgens nach dem Frühstück mit Lincoln allein am offenen Fenster saß und, so wie dieser, sich an der feinen Cigarre labte, die ihnen Rosiana gegeben hatte, ehe sie, um ihren häuslichen Geschäften nachzugehen, das Zimmer verließ.
»Sage mir, Lincoln, kennst Du einen Apotheker in Newyork, Namens Brand?« hub Franval an.
»Brand, einen Apotheker? Daß ich nicht wüßte. Ich habe überhaupt in Newyork, so viel ich mich erinnere, keinen Apotheker gekannt,« entgegnete Lincoln und setzte dann noch hinzu: »Warum?«
Franval theilte ihm nun mit, was ihm mit jenem Manne, der sich Brand genannt hatte, begegnet war. Lincoln hörte es gleichgültig mit an und sagte dann:
»Ach, wer weiß, was der Kerl von Dir gewollt hat? er ist vielleicht ein Gauner, ein Taschendieb gewesen, der nur hat mit Dir bekannt werden wollen, um Dich schließlich zu berauben. Diese Burschen wissen, daß ein Mann, der so weit herkommt, auch Geld bei sich führt.«
»Das bezweifle ich, es war ihm augenscheinlich nur darum zu thun, Auskunft über Dich und Deine Verhältnisse, sowie über den Kaufmann Jackson hier zu erhalten, denn ich las es auf seinem Schurkengesicht, als er mit unterdrückter Freude in seinem Blick wiederholte:
»Reich, eine reizende Mexicanerin zur Frau und zwei so schöne Kinder! « Und kaum hatte er diese Auskunft erhalten, so konnte er nicht schnell genug von mir fortkommen und verwischte jede Spur hinter sich. Der Kerl hatte mit Dir Etwas im Sinne, mag es auch sein, was es wolle. Ich hätte mich mögen in Stücke zerreißen, daß ich diesem Spitzbuben Auskunft über Dich gab, es geschah ja aber in meiner Herzensfreude, da ich glauben mußte, er sei wirklich einer Deiner Freunde.«
Lincoln war nachdenkend geworden und wurde von Minute zu Minute ernster.
»Wie sah denn der Kerl aus?« fragte er nach einer ziemlich langen Pause, in der er augenscheinlich mit seinen Gedanken abwesend gewesen war.
»Er war nicht sehr groß, breitschulterig, von finsterm Aeußern, hatte sehr schwarzes Haar, starke buschige Brauen und matte gläserne Augen; was mir aber besonders an ihm auffiel, war seine ungewöhnliche Gesichtsfarbe; seine Haut war wirklich olivenfarbig,« entgegnete Franval und bemerkte, daß Lincoln bei diesen Worten bleich wurde. Er war sichtbarlich heftig ergriffen und auf seiner Stirn standen schwere Schweißtropfen. Doch raffte er sich plötzlich zusammen, wischte sich über die Stirn und sagte:
»Laß ihn zum Teufel wollen, was er mag; er soll sich nur bei mir melden!«
Abermals trat eine Pause ein; Lincoln klopfte die Asche von seiner Cigarre, schritt mit derselben zu dem Licht, welches auf dem Tische stand, und hielt sie, obgleich sie noch brannte, in dessen Flamme. Franval hatte nur zu wohl bemerkt, daß sein Freund nach der gegebenen Beschreibung des sogenannten Apothekers Brand die Person desselben erkannt, und daß sie einen heftigen erschütternden Eindruck auf ihn gemacht hatte. Da aber Lincoln dieses Gespräch nicht weiter fortsetzte, so schwieg auch Franval und wartete, bis sein Freund der Unterhaltung wieder eine Richtung gab. Dies geschah nun auch, nachdem Lincoln die Cigarre zum Fenster hinausgeworfen und dafür eine andere aus dem Secretair genommen und angezündet hatte.
»Wie weit, sagst Du, ist es von dem nächsten Hause bis zu Deiner Ansiedelung?« fragte er.
»Ich reite es gewöhnlich in nicht ganz drei Tagen.«
»Und wie lange warest Du bis hierher unterwegs?«
»Zwei Wochen, doch habe ich mir die Zeit genommen und mich hier und dort unnöthig aufgehalten.«
»Es ist mir schon manchmal der Gedanke gekommen, ich möchte auch weit von allen Menschen wohnen; hätte ich gewußt, daß Du da draußen lebtest, wer weiß, ob ich nicht schon zu Dir gezogen wäre.«
»Du, in die Wildniß, Lincoln – ich möchte wohl wissen, was Dich dort hinaus treiben könnte?« entgegnete Franval und sah seinen Freund fragend an.
»Nun, die Menschen, sie geben Einem doch oft Ursache, sie zu meiden und dann, Franval, hat ein Jeder von uns einen Gedanken im Herzen verschlossen, der es mit Sorgen erfüllt!« sagte Lincoln ernst und mit einem unterdrücktem Seufzer.
»So schließe mir Dein Herz auf und lasse mich hinein sehen, wie es dem Freunde geziemt. Freundes Trost und Freundes Rath ist oft von Werth,« antwortete Franval rasch und ergriff die Hand Lincoln's.
»Es ist Nichts, Franval, nur unnöthige Gedanken, kindische Sorgen und Hirngespinnste. Laß es ruhen.«
»Nein, Lincoln, ich weiß, es ist eine alte Sorge, die Dich drückt, theile sie mit mir und sie wird Dir nur halb so schwer vorkommen. Sei offen.«
»Später, vielleicht später reden wir darüber, jetzt nicht. Es ist wahrlich nicht der Werth, daß man davon spricht. Du sollst es später aber sicher wissen, darauf mein Wort. Vielleicht besuche ich Dich in Deinem Eldorado.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Thür, Rosiana schritt leicht und heiter in das Zimmer und die Unterhaltung der beiden Freunde nahm eine andere Richtung.
Nur zu wohl war Franval die Sorge bekannt, die sein Freund seit Jahren in der Brust trug und die durch die Mittheilung über den Apotheker Brand sich plötzlich in Angst und Schrecken verwandelt hatte. Er war entschlossen, nicht eher von hier abzureisen, bis Lincoln ihm sein Herz geöffnet habe, ja er nahm sich vor, ihm im Nothfalle es selbst zu gestehen, daß er die Ursache seiner Unruhe kenne.
Der Morgen verstrich in trautem Zusammensein, wenn auch nicht eben so heiter, wie die vorhergegangenen. Rosiana machte wiederholt Versuche, die sorgenlose glückliche Stimmung wieder einzuführen, weil sie nicht glaubte, daß eine wirkliche Veranlassung zu dem eingetretenen Ernst vorliege; als es ihr aber nicht gelang, wurde sie selbst nachdenkend und wortarmer. Sie hatte sich während der letzten Stunde nicht im Zimmer sehen lassen, weil ihre häuslichen Obliegenheiten sie bald in die Küche, bald in das Waschhaus, bald in den Garten riefen, in welchem sie einen kleinen Rasenplatz zum Bleichen der Wäsche benutzte, trat aber kurz vor der Mittagszeit herein und sagte mit etwas beunruhigtem Tone zu Lincoln, »sonderbar, ein fremder Mann hat sich, wie mir Yeddo sagt, nun schon seit drei Tagen häufig in der Nähe unseres Gartens an der Einzäunung aufgehalten, und so eben rief mich der Neger und meldete mir, daß derselbe Mann wieder hinter dem Zaune stände. Ich ging hinaus, um ihn zu sehen, und wirklich dort stand er mit dem Hut tief in die Augen gedrückt und stierte mich an, als ob er auf mich gewartet hätte. Ich kannte ihn nicht und Yeddo sagt, er sei ein Fremder, den er noch niemals gesehen habe.«
»Ei, da muß ich den Herrn doch einmal selbst fragen, was er will!« versetzte Lincoln rasch und sprang zur Thür hinaus und in den Garten, doch der Fremde war spurlos verschwunden.
»Wie sah er denn aus?« fragte Lincoln mit unverkennbarer Bestürzung seine Frau, die mit Franval ihm gefolgt war.
»Er war ein großer, hagerer, wie es mir schien, ältlicher Mann mit grauem Haar. Von seinem Gesicht habe ich nicht viel sehen können,« entgegnete Rosiana, betroffen über die Aufregung, die sich auf Lincoln's Zügen kundgab.
»Wenn er wiederkommen sollte, Yeddo, so sage es mir gleich, hörst Du, ich möchte doch gern seine Bekanntschaft machen,« sagte Lincoln zu dem alten Neger, der sich auf die Thürschwelle des Hauses gesetzt hatte und sich lachend und liebevoll gegen die Angriffe des kleinen Henry vertheidigte, die dieser in zärtlichem Uebermuth auf sein graues wolligtes Haupt machte.
»Wenn Du doch Deinen Yeddo nicht hättest,« sagte Lincoln zu seinem schönen Jungen, »hast Du ihn denn auch recht lieb?« worauf der Knabe dem alten Sclaven um den Hals fiel und herzte und drückte.
Die lauernde Erscheinung des fremden Mannes hatte nicht dazu beigetragen, die Stimmung zu erheitern und so sehr sich die beiden Freunde und Rosiana auch bemühten, einander sorglos zu erscheinen, so blieb doch, während sie am Mittagstisch saßen, die Unterhaltung nur wenig belebt.
Nach eingenommenem Kaffee theilte Lincoln seinem Freunde mit, daß er einen nothwendigen Geschäftsweg nach dem Gerichtshause zu thun habe und bat ihn, ihn dorthin zu begleiten. Franval folgte gern dessen Aufforderung und Arm in Arm schritten sie dem Gerichtsgebäude zu, als sie, in kurzer Entfernung von demselben anlangten und den Staatsanwalt, den Sheriff und zwei hier ansässige Advocaten mit einem fremden alten Manne von hoher hagerer Gestalt aus demselben hervortreten sahen. Dieselben nahmen, als sie Lincoln erblickten, augenscheinlich absichtlich eine andere Richtung, als die ihm entgegen eingeschlagene, und gingen eiligen Schritts über den Platz davon.
»Was mögen die wohl vor dem Gericht zu thun gehabt haben? Ich muß doch den Secretair einmal fragen,« sagte Lincoln betroffen, indem er den Davonschreitenden nachblickte und begab sich dann mit seinem Freunde in die im oberen Stock des Hauses gelegene Amtsstube, wo der Countryclerk, oder Bezirksschreiber die laufenden Geschäfte besorgte.
Lincoln machte mit demselben schnell das Geschäft ab, welches ihn hierhergeführt hatte und fragte ihn beim Weggehen mit gezwungener Unbefangenheit, aus welchem Grunde ihm jene Herren einen Besuch abgestattet hätten. Der Beamte konnte eine große Verlegenheit nicht verbergen, erklärte aber doch, daß nur ganz unwichtige Klagesachen sie zu ihm gebracht hätten.
Lincoln sowohl, als wie Franval, lasen auf dem Gesichte des Beamten, daß er ihnen die Wahrheit zu verheimlichen suchte und daß er eine Lüge gesagt hatte, doch weder der Eine, noch der Andere sprach sich darüber aus und schweigend hatten sie das Gerichtsgebäude verlassen und waren eine Zeit lang neben einander hingeschritten, als Lincoln plötzlich, wie zu einem Entschluß gekommen, stehen blieb und seine Hand auf Franval's Schulter legend sagte:
»Ich fürchte, Franval, die trüben Tage, von denen Du vor Kurzem sprachest, sind nicht mehr fern von mir und ich will in Zeiten Deine Freundschaft für mich anrufen. Du sollst mir einen Dienst erweisen.«
»So ist es recht, Lincoln, heraus damit, was kann ich für Dich thun?« entgegnete Franval freudig und nahm Lincoln's Hand.
»Wundere Dich nicht zu sehr, Du sollst mir meinen Grundbesitz, mein ganzes Inventar und meine Neger abkaufen und zwar sogleich, noch ehe wir wieder nach Hause zurückkehren.«
Franval sah ihn einige Augenblicke überrascht an, ohne ein Wort zu entgegnen, als suche er sich den Zusammenhang zwischen diesem Schritt Lincoln's und alledem, was er über seine Verhältnisse wußte, klar zu machen; doch schnell, als ob er die Nothwendigkeit dieses Verkaufes einsehe, erwiederte er: »Ich bin es zufrieden, laß uns den Handel sogleich abmachen. Nur vor jenem Herrn, den wir soeben verließen, dürfen wir wohl das Geschäft nicht abschließen.«
»Gewiß nicht, wir gehen zu dem Notar Scott, er ist mir immer ein treuer Freund gewesen und wird mir gern gefällig sein. Komm, laß uns eilen, damit ich diese Sorge los werde.«
Die Freunde begaben sich nun zu der genannten Gerichtsperson, dort stellte Lincoln ein bündiges Dokument über den besagten Verkauf auf, er und Franval unterzeichneten dasselbe, der Notar rief einige Nachbarn zu sich herein, die, ohne den Inhalt zu kennen, dem Instrument als Zeugen ihre Namensunterschrift gaben und Scott vollendete dessen gesetzliche Gültigkeit durch seine Beglaubigung und sein Gerichtssiegel. Franval empfing den Kaufbrief und händigte Lincoln dagegen seine Noten oder Schuldscheine über zehntausend Dollar aus, welche Noten nach Landesbrauch zu Zahlungen verwandt werden und so von Hand zu Hand gehen. »Nun laß uns nach meinem, oder richtiger nach Deinem Hause gehen, ich will Dir auch meine Baarschaft zum Aufbewahren geben, denn ich fürchte, es zieht ein Gewitter heran und es soll mich wenigstens bereit finden, ihm die Stirn zu zeigen. Der Himmel hat Dich zu meiner Rettung hergesandt, Franval,« sagte Lincoln, diesem die Hand drückend.
Zu Hause angekommen, übergab er seinem Freunde die Brieftasche mit den Staatspapieren, nachdem er denselben noch obige Noten beigefügt hatte und sagte: »Mein Vermögen ist gesichert; der Himmel schütze mir nun, was mir das Theuerste auf der Welt ist.«
Franval hatte seinem Freunde Power auf heute Abend seinen Besuch zugesagt und fragte Lincoln, ob es ihm angenehmer sein würde, wenn er ein anderes Mal dort hingehen, oder ob er selbst mit Rosiana ihn vielleicht begleiten wolle. Lincoln lehnte Letzteres ab, bestand aber darauf, daß Franval sein Versprechen halte, und als die Sonne versunken war, nahm dieser seinen Hut, bat Rosiana, nicht mit dem Abendessen auf ihn zu warten und verabschiedete sich mit dem Versprechen, nicht allzuspät zurückzukehren.