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X.

Eine Woche war verstrichen und die regelmäßig zweimal im Jahre wiederkehrenden Gerichtssitzungen hatten begonnen, während welcher Zeit Lincoln's Thätigkeit ganz besonders in Anspruch genommen wurde. Täglich hatte er als Widersacher oder als Vertheidiger in Rechtsfällen Reden zu halten, von Hunderten wurde er um sein Gutachten, seinen Rath angegangen, und um seine Vorarbeiten für die Gerichtsverhandlungen zu machen, mußte er die Nächte zu Hülfe nehmen.

Am zweiten Morgen, nachdem der Gerichtshof eröffnet war und während Lincoln sich sehr beschäftigt im Gerichtsgebäude befand, nahte sich in der brennenden Sonnengluth ein einsamer Reiter der Stadt, indem er seinem edlen, mit Schweiß bedeckten Schimmelhengst, dem der Zügel auf dem Nacken lag, von Zeit zu Zeit zusprach und seinen breitrandigen schwarzen Filz tief in die Augen drückte, um fein Gesicht gegen die sengenden Sonnenstrahlen zu schützen. Er war von Kopf bis zu Fuß in Leder gekleidet, trug Pistolen im Gürtel, eine Doppelbüchse quer vor sich auf dem Sattel und saß auf einer prächtigen Jaguarhaut, die ihm als Satteldecke diente. Sein ganzes Aeußere zeigte, daß er lange schon der Civilisation nicht mehr angehöre und daß er aus dem Indianergebiete komme. Sein starker ungepflegter Bart, sein wettergebräuntes Gesicht, sein ruhiger durchdringender Blick und das vollständig Unbekümmerte und Sichere in seiner Haltung erinnerte nicht an das Leben in den östlichen großen Städten der Vereinigten Staaten, und doch waren es nur wenige Jahre, seit er demselben Lebewohl gesagt hatte. Es war Franval, der Freund Lincoln's, der jetzt zum ersten Male, seitdem er in die Wildniß gezogen war, wieder in das civilisirte Leben zurückkehrte und sich auf dem Wege nach Neworleans befand, wo er Einkaufe für seine kleine Ansiedelung machen und eine Verbindung anknüpfen wollte, um die Erzeugnisse der Wildniß auf den vortheilhaftesten Markt zu senden. Kaum noch eine halbe Meile von der Stadt entfernt, holten ihn fünf Reiter ein, von denen der eine ihm im Vorüberreiten zurief:

»Von der Frontiere, Herr?« welche Frage Franval mit einem einfachen »Ja, Herr!« beantwortete.

»Sie werden wohl schwerlich ein Unterkommen in B….…. für ihr müdes Pferd finden; es ist Gerichtssitzung,« rief ein Anderer.

»Ein verdammt schöner Gaul; ich wette, schon mancher Indianer hat lüstern nach ihm ausgesehen,« sagte ein Dritter. Franval aber nahm weiter keine Notiz von den Männern, die schnell Vorsprung vor ihm gewannen und ließ seinem Pferde den Willen, zu gehen wie es wollte.

Kurz vor der Stadt lag in weniger Entfernung von der Straße ein Farmerhaus mit Garten und Feld umgeben, und als Franval den Weg erreichte, der von der Straße ab zu der Niederlassung führte, lenkte er sein Roß dahin ein. Vor der Thür des Hauses angelangt, hielt er an und rief mit lauter Stimme »Hallo!« Gleich darauf erschien ein kräftiger breitschultriger, doch schon bejahrter Mann in Hemdsärmeln in dem Eingang und erwiederte den Gruß Franval's mit:

»Guten Tag, Herr! wollen Sie nicht absteigen?«

»Wenn ich ein Unterkommen für mein Pferd bei Ihnen finden kann, so wünsche ich über Nacht hier zu bleiben. Ich höre, es ist Gerichtssitzung in der Stadt, und wir Leute von der Frontiere sind eben keine Freunde großer Gesellschaften.«

»Also von der Frontiere? Willkommen, steigen Sie ab, ich bin auch einmal Frontieremann gewesen,« erwiederte der Farmer, wandte sich in das Haus und rief:

»Heda! – John! – nimm dem Herrn das Pferd ab und besorge es genau, wie er Dir es befiehlt.« Dann wandte er sich wieder zu Franval, schritt ihm entgegen und sagte, indem er ihm die Hand reichte:

»Freut mich, Sie bei mir zu sehen. Geben Sie dem Negerjungen da Ihren Befehl, was er mit Ihrem Pferd thun soll. Der Frontieremann sorgt zuerst für seinen Gaul und dann für sich selbst; und ein kapitales Thier ist dieses.«

Franval that, wie der Farmer ihm erlaubte, gab dem Negerjungen, der den Zügel des Hengstes ergriff, die nöthigen Anweisungen für denselben, nahm Sattel und Zeug von dem Pferde und folgte damit dem Farmer in das Haus. Alle Thüren und Fenster waren geöffnet, ein wohlthuender Luftzug empfing Franval beim Eintreten und, sein Gepäck auf dem Fußboden niederlegend, zog er seine lederne Jacke aus und warf sie mit dem Hute auf dasselbe.

»Das war ein heißer, staubiger Ritt,« sagte er, indem er sich das Haar zurückstrich, und nahm nun dem freundlichen Wirth den frischen Trunk ab, den dieser ihm in einem Kürbisschöpfer aus dem Wassereimer reichte, der unter der Veranda vor dem Hause stand. Dann zogen sie ein Paar Stühle in die Thür und ließen sich in dem kühlenden Luftzug nieder.

»In welcher Gegend haben Sie denn Ihre Ansiedlung?« fragte der Farmer.

»An der Leone, ungefähr dreihundert Meilen nördlich von hier,« entgegnete Franval.

»Ich habe von jenem Lande gehört; es stand noch kürzlich ein Artikel in der New-Orleans-Picayune über einen Deutschen, der sich dort schon vor Jahren niedergelassen und der sich den Indianern zum Trotz, bis jetzt dort behauptet hat.«

»Derselbe bin ich; Franval ist mein Name,« erwiederte dieser.

»Ganz Recht, das war auch der Name, der in der Zeitung genannt wurde. Nun, das freut mich denn doch wirklich, Sie selbst bei mir zu sehen. Das alte Frontierblut ist noch nicht ganz bei mir erstorben, nur, wenn man sich verheirathet, wie ich es gethan habe, dann wird das Grenzleben doch zu bedenklich; denn bei jedem Nachhauseritt kann man erwarten, die lieben Seinigen ohne Scalp wiederzufinden.«

Franval mußte ihm nun einen kurzen Abriß von seinem Leben an der Frontiere geben, wobei ihm der Farmer häufig mit einem Ausruf, wie: »die verdammten Rothhäute! – Ist mir ebenso gegangen – Bei Gott, hart am todten Manne vorbei!« unterbrach, und zwischendurch einen gellenden Jagdruf, ein schallendes Hurrah ausstieß, oder mit einem derben Fluch den Fuß auf den Boden stampfte.

»Haben Sie denn vielleicht Etwas bei dem Gericht hier zu thun?« fragte der Farmer, nachdem sich das Gespräch wieder auf die hiesige Gegend gewandt hatte.

»Gottlob, nein, Sie wissen, an der Frontiere schlichten wir unsere Streitigkeiten immer selbst,« entgegnete Franval.

»Nun, ich meinte eben nur, es wäre doch möglich gewesen, und dann hätte ich Ihnen einen jungen Advokaten empfehlen wollen, der sich seit mehreren Jahren hier niedergelassen hat und dem alle Geschäfte von Bedeutung aufgedrungen werden. Er ist ein ausgezeichneter Mann und genießt weit und breit die Liebe und die Achtung der Leute. Er heißt Lincoln.«

»Lincoln?« rief Franval und schoß aus dem Stuhl in die Höhe, als ob ihn ein elektrischer Funke getroffen. »Lincoln, sagen Sie, ist sein Name? Wie sieht er aus – ist er groß – kräftig und schön gebaut – mit schwarzem Lockenhaar und schwarzen glänzenden Augen – heißt er Edward?«

»Ganz Recht, Sie scheinen ihn zu kennen, Ihre Beschreibung paßt auf ein Haar,« entgegnete der Farmer, erstaunt über Franval's auffallende Bewegung.

»Wo wohnt er? ich muß sogleich zu ihm hin. Bitte, sorgen Sie für mein Pferd, daß es vor zwei Stunden ja keinen Mais bekommt und dann nicht mehr, als zehn bis zwölf Kolben.«

Mit diesen Worten hatte Franval schnell seine Jacke angezogen, seinen Hut aufgesetzt und reichte dem freundlichen Wirth die Hand zum Abschied hin.

»Sie können seine Wohnung nicht verfehlen, folgen Sie, wenn Sie in die Stadt kommen, der geraden Straße bis an ihr Ende, dort ist es rechter Hand das letzte Haus; es steht in einem Garten. Ich bezweifle aber, ob Herr Lincoln schon wieder von dem Gericht zurückgekommen sein wird; er hat heute viel zu thun. Sie gehen aber Nichts um; treffen Sie ihn nicht in seiner Wohnung, so wenden Sie sich in der Straße links hinunter, die führt Sie nach dem Gerichtsgebäude.«

Der Farmer drückte Franval die Hand und rief ihm noch vor dem Hause nach:

»Um ein Uhr steht das Essen auf dem Tisch und um sieben Uhr nehmen wir unser Abendbrod ein. Sollten Sie nicht zurückkehren, so sorge ich selbst für Ihr Pferd.«

Franval winkte ihm noch seinen Dank zu und eilte nun fliegenden Schrittes nach der Stadt. Er hatte sie bald erreicht, die Häuser an der nicht gepflasterten stäubigen Straße standen vereinzelt in Gärten, die Mittagssonne brannte unbarmherzig auf sie nieder und nirgends war ein lebendes Wesen zu sehen. Die männliche Bevölkerung des Orts befand sich in dem Gerichtsgebäude, oder in den, demselben nahe liegenden Trinkhäusern und wer nicht genöthigt war, in die Sonne hinauszutreten, vermied gern ihre Strahlen. Franval stand jetzt vor dem letzten Gebäude rechts an der Straße, öffnete den Eingang des kleinen Gartens vor demselben und schritt schnell an die Hausthür, wo er die Schelle zog. Wenige Augenblicke später that sich die Thür auf, eine Negerin mit der kleinen Tochter Lincoln's auf dem Arm trat Franval entgegen und fragte ihn, wen er zu sprechen wünsche.

»Sage Deiner Herrschaft, ein alter Freund des Advokaten Lincoln sei hier,« erwiederte Jener, schritt, seinen Hut abnehmend, in die kühle Hausflur und schloß die Thür hinter sich, damit die erhitzte Luft von draußen nicht eindringen möge. Der Umblick in dem Corridor that ihm wohl, die weißen gegypsten und glänzenden Wände waren so sauber, der Toilettentisch, die Stühle, so wie das Geländer der Treppe, die in's obere Stock führte, waren so glatt polirt, der Teppich war so nett gelegt, die Griffe vor den Stubenthüren blitzten so hell, kurz Alles deutete auf solide Einrichtung und Sorgenfreiheit.

Jetzt hörte er ein Rauschen wie Seidenstoff auf der Treppe, er sah hinauf nach deren Biegung, eine Dame glitt schwebenden Fußes herab auf ihn zu, sie hatte die letzten Stufen erreicht – Himmel, warmes möglich – sie war das schöne Mädchen aus der Apotheke zu Richmond.

Franval fuhr einen Schritt zurück und heftete, von Ueberraschung ergriffen, seine weitgeöffneten Augen auf Rosiana und diese hielt sich an dem Geländer der Treppe und sah auf den Fußboden nieder. Einige Augenblicke der Bestürzung und der Verlegenheit nahmen Beiden die Sprache, doch Franval faßte sich zuerst, entschlossen, was es ihm auch kosten möge, der Frau seines Freundes die Ueberzeugung zu nehmen, daß er sie erkannt habe, denn daß sie ihn erkannt hatte, das las er in ihrer ganzen Haltung.

»Madame,« sagte er mit einem erzwungenen Lächeln, »Madame, ich muß sehr um Ihre Entschuldigung für mein auffallendes, unpassendes Benehmen bitten; wenn ich Ihnen aber sage, was mich so sehr überrascht hat, so werden Sie mir sicher verzeihen. Vor meiner Abreise von Europa kannte ich eine junge Dame, die meinem Herzen theuer war und mit der Sie eine so ungewöhnliche seltsame Aehnlichkeit haben, daß ich wahrlich im ersten Augenblick Ihres Erscheinens glaubte, Jene stände vor mir. Jetzt allerdings erkenne ich leicht meinen großen Irrthum und bedaure unendlich, Ihnen, ein Fremder, in so unerklärlicher Weise erschienen zu sein. Vergeben Sie es mir als alten Freund Ihres Gemahls, denn daß ich Madam Lincoln vor mir sehe, darf ich wohl annehmen. Mein Name ist Franval.«

Hiermit verneigte er sich einigemale höflich und sah zur Erde nieder, um Rosiana's Blick in diesem Momente nicht zu begegnen und ihr Zeit zu geben, sich zu sammeln.

»Seien Sie mir freundlich willkommen, Herr Franval,« entgegnete Rosiana mit bebender Stimme, »Ihren Namen habe ich zu oft von meinem Gemahl in warmer freundschaftlicher Erinnerung nennen hören, als daß Sie mir noch ein Fremder sein könnten; treten Sie näher.«

Mit diesen Worten öffnete sie die Thür des parlours und schritt, ohne nach Franval aufzusehen, in das Zimmer, vor dessen Fenstern die Jalousieen geschloffen waren, um den Sonnenstrahlen den Eingang zu wehren. Das Düster des Gemachs kam Rosiana's Bestürzung zu Hülfe, sie winkte ihrem Gast, in einem Armstuhle Platz zu nehmen und ließ sich selbst, den Fenstern den Rücken zuwendend, in einem solchen nieder. Jetzt hielt sie Franval fest im Auge, als wolle sie auf seinen Zügen lesen, ob er ihr die Wahrheit gesagt habe, doch dieser verstand sie wohl und bewahrte in seiner Miene die vollkommenste Unbefangenheit.

»Ich bedaure sehr, daß Lincoln noch nicht zu Hause ist, und doch darf ich ihn nicht rufen lassen; es ist Gerichtssitzung, wobei er Viel zu thun hat. Ich weiß es ja zu gut, wie er jede Minute bereuen wird, in der er hätte bei Ihnen sein können;« sagte Rosiana mit etwas mehr Sicherheit in der Stimme und blickte Franval unverwandt in die Augen.

»Meinen Sie nicht, Madame Lincoln, daß ich ihn im Gerichtsgebäude aufsuchen sollte; auch ich verlange sehnlichst danach, ihn wiederzusehen, wenngleich mir hier die überreichste Entschädigung für den Verlust zu Theil wird, den meine Sehnsucht nach ihm erleidet.«

»Ich glaube kaum, daß es gut sein würde, denn seine Arbeit dort duldet keinen Aufschub und doch würde er dieselbe der Freude des Wiedersehens opfern. Bleiben Sie lieber hier, wenn Sie sich mit meiner Gesellschaft zufrieden stellen wollen. Er wird so sehr lange nicht mehr ausbleiben.«

»Es thut mir unaussprechlich wohl, das Glück meines Freundes kennen zu lernen, das Schicksal ist ihm holder gewesen, als mir. Wie lange ist es schon her, daß Lincoln mit Ihnen bekannt wurde?« entgegnete Franval mit einer Verbeugung.

»Wir sind über vier Jahre verheirathet,« erwiederte Rosiana mit noch mehr Zuversicht in ihrem Ton.

»Also bald nach unserm letzten Abschied in Richmond; denn damals kannte er Sie noch nicht, sonst hätte er mir sicher sein Glück anvertraut. Damals war sein Herz noch von Liebe frei und gehörte nur der Freundschaft an.«

»Und die Freundschaft hat bis auf diese Stunde noch Nichts durch die Liebe eingebüßt, im Gegentheil, Herr Franval, Sie haben in mir noch eine Freundin dazu bekommen,« sagte Rosiana, jetzt vollkommen beruhigt, und fügte mit einem freundlichen Lächeln noch hinzu:

»Ich muß Ihnen aber doch unsere Kinder zeigen, in denen Sie Ihren Freund erkennen werden.«

Hiermit stand sie auf und verließ das Zimmer, während Franval ihr mit einem glücklich zufriedenen Blick nachschaute. Bald darauf trat Rosiana wieder herein und führte ihre kleinen Lieblinge ihrem Gaste mit den Worten zu:

»Hier bringe ich Ihnen, Herr Franval, unser höchstes Glück. Erkennen Sie die Augen nicht wieder?«

»In dem Knaben, ja, doch die Augen des lieblichen Mädchens erinnern an die Mutter; solche Augen braucht man nur Einmal gesehen zu haben, um sie unter Millionen wieder zu kennen.«

Rosiana erschrak in diesem Augenblick, doch die vollständig unbefangene Miene Franval's beruhigte sie gleich wieder und lächelnd sagte sie:

»Herr Franval, eine so übertriebene Artigkeit darf ich nur von dem alten Freunde Lincoln's hören. Nun sagen Sie mir aber, wie kommen Sie in diese Kleidung? Das Bild, welches mein Gemahl mir von Ihnen entworfen hat, ist ein ganz anderes, als das, welches ich jetzt vor mir habe. Sie gehörten zu den fashionablen Herren Newyorks. Mein Gott, da kommt Lincoln. O, bitte, bleiben Sie ruhig sitzen, er soll überrascht werden, ich bringe ihn herein.«

Mit diesen Worten schoß Rosiana in den Corridor nach der Hausthür, wo so eben die Schelle gezogen war. »Mein Edward!« sagte Rosiana zu ihrem eintretenden Gatten, schlang ihren Arm zärtlich um seine Schultern und er erwiederte ihren Gruß mit einem herzinnigen Kuß.

»Es ist sehr warm draußen und in dem Gerichtshause haben sie mir's erst recht warm gemacht. Ich habe über drei Stunden reden müssen, habe aber gesiegt, einen Menschen vom Tode gerettet, und viel Geld dabei verdient. Mein süßes Weib, der Himmel ist uns immer noch gnädig,« sagte Lincoln und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Komm mit mir in den parlour, dort ist es so herrlich kühl, wir wollen uns zusammen in's Sopha setzen,« sagte Rosiana und suchte die glückliche Bewegung zu verbergen, die sich ihrer über die, ihrem Gemahl bevorstehende Freude bemächtigt hatte.

»Wie Du willst, mein Leben,« erwiederte Lincoln und ließ sich von Rosiana in das Zimmer leiten. Kaum aber trat er in die Thür, als sein Blick auf den in Leder gekleideten Mann fiel, der unbeweglich vor ihm im Armstuhle saß und ihn mit hellleuchtenden Augen anschaute. Aber nur einen Augenblick staunte er den Fremden an, dann erglänzte sein Blick in auflodernder Freude, »Franval, Du mein Franval!« rief er aus, öffnete seine Arme weit und stürzte dem alten geliebten Freunde an die Brust.

Es war ein überwältigender Augenblick für Beide, ihre ganze Vergangenheit und ihre ganze Gegenwart stand wie ein hellbeleuchtetes, von ihrer Freundschaft eingerahmtes Bild vor ihrer Seele und in Beider Augen glänzten Thränen der Freude und Rührung. Wieder preßten sie einander gegen die Brust, wieder schüttelten sie sich die Hände und nur für kurze Ausrufe der Ueberraschung und des Entzückens fanden sie Worte. Nachdem aber der erste Freudenrausch des Wiedersehens verwogt war, trat Rosiana Beiden vor die Gedanken und Beide suchten sich gegenseitig in der Seele zu lesen. Franval aber blieb seinem Entschluß treu, mit keinem Blick zu verrathen, daß er die Mulattin erkannt habe, und so sehr, und so lange Lincoln ihn auch mißtrauisch betrachtete, so gelang es Franval doch vollständig, denselben vom Gegentheil zu überzeugen.

Nun war aber auch jede Störung ihrer Freude entfernt und in traulicher Beredung der sie betroffenen Schicksale, seit sie sich nicht gesehen, gaben sie sich dem Glück ihrer Wiedervereinigung hin. Rosiana war darin die belebende Sonne, denn mit einer Art von Dankgefühl dafür, daß Franval sie nicht erkannt hatte, bemühte sie sich, in tausendfacher, lieblicher, anmuthiger und herzlicher Weise ihm ihre Freundschaft zu erkennen zu geben. Geschäftig eilte sie ab und zu, bereitete in der Küche Alles vor, um den lieben Gast bestmöglichst zu bewirthen, richtete ein Zimmer für ihn ein, welches er bewohnen sollte und bei Tisch würzte sie das Mahl durch ihre reizende schöne Erscheinung, sowie durch ihre freudigen bezaubernden Worte, die ihr das Glück der beiden Freunde eingab.

»Du mußt jedenfalls eine Zeit lang bei mir bleiben. Gegen Abend lasse ich Deine Sachen von Power herein holen,« sagte Lincoln zu Franval, als Rosiana ihnen nach Tisch selbst den Kaffee reichte.

»Meine Zeit ist sehr gemessen, bester Lincoln, ich muß spätestens übermorgen früh abreisen und da ist es kaum der Mühe werth, einen Umzug zu halten. Ich kann ja den ganzen Tag hier zubringen und Abends spät hinaus zu dem ehrlichen Power gehen. Auch bleibe ich gern bei meinem Pferde,« entgegnete Franval.

»Nein, nein, Herr Franval, das dürfen Sie mir, Ihrer Freundin, nicht zu Leide thun, Sie müssen bei uns wohnen, und mir die Freude gewähren, für Sie sorgen zu dürfen,« fiel Rosiana bittend ein.

»Dein Pferd bleibt auch ohne Dein Dortsein gut aufgehoben, Power ist ein wahrer Biedermann und er wird besser dafür sorgen, als Du es selbst zu thun im Stande wärest. Sage nun Nichts weiter dagegen und verderbe meiner Rosiana die Freude nicht,« sagte Lincoln.

»Nun, jedenfalls muß ich selbst zu Power gehen und es ihm sagen, der Mann hat mich gar zu freundlich aufgenommen,« antwortete Franval.

»Gut, so gehen wir gegen Abend alle Drei hinaus, es ist mir lieb, dem Alten einmal wieder einen Besuch zu machen und für Rosiana ist der Spaziergang recht gut,« versetzte Lincoln.

»Ach ja, das ist prächtig, ich begleite Euch; ich habe es Power's schon lange versprochen, zu ihnen zu kommen,« sagte Rosiana hocherfreut, setzte das Kaffeebrett auf den Tisch und zündete eine Wachskerze auf einem silbernen Armleuchter an, damit die Freunde ihre Cigarren anbrennen konnten.

Nach eingenommenem Kaffee bestand Rosiana darauf, daß Franval sich in ihr, nach dem Garten hinter dem Hause zeigendes, kühles Zimmer begeben mußte, um dort auf ihrem Sopha nach Landesbrauch einer kurzen Nachmittagsruhe zu pflegen, welche Zeit Lincoln benutzte, nach dem Gerichtshause zu gehen und einige unaufschiebbare Arbeiten zu besorgen, sich aber zugleich für den folgenden Tag von allen Geschäften frei zu machen.

Die Sonne stand schon ziemlich niedrig, als Franval durch eine leise Berührung an seiner Wange aus dem Schlummer geweckt wurde und, die Augen aufschlagend, dem freundlich lächelnden Blick Rosiana's begegnete, welche die kleine Virginia auf ihrem Arm zu ihm niederhielt, damit dieselbe ihn mit dem kleinen Händchen erwecken mußte. Zugleich sah er Lincoln in der Thür stehen, der ihm zurief: »armer Kerl, Du mußt recht müde gewesen sein und es ist mir leid, Dich in Deiner Ruhe zu stören, aber die Sonne will untergehen und es wird Zeit, daß wir uns auf den Weg zu Power machen.«

Franval war schnell aufgesprungen, hatte sich wegen seines langen Schlafs entschuldigt, zugleich aber versichert, daß er niemals so süß geruht habe, und ging mit Lincoln nach dessen Zimmer, während Rosiana eilig ihren Shawl auf den Arm nahm, ihren Sonnenhut aufsetzte und sich dann bei den beiden Freunden reisefertig anmeldete.

»Wir wollen aber hinten zum Garten hinaus und nach dem Fluß gehen, der Fußpfad, der an demselben hinauf bis zu Powers Farm führt, ist zwar etwas um, aber er leitet durch den Wald und ist angenehmer zum gehen, als die staubige, von der Sonne durchglühte Straße,« sagte Lincoln und trat mit Rosiana und seinem Freunde den Weg an. Nur für eine kurze Strecke führte sie der Pfad durch offene Maisfelder, dann betraten sie das von der Sonnengluth verschonte saftige Grün des Urwaldes, der das Ufer des gewaltigen, stürmisch dahin brausenden Stromes bedeckte. Die Sonne versank hinter den fernen, in Purpur gehüllten Gebirgen, die im Westen über der weiten Berglandschaft in gewaltigen kolossalen Formen aufstiegen, deren Farbe wurde mit jeder Minute dunkeler und duftiger, ihre Schatten dehnten sich weiter über die Erde aus und die Dämmerung sank über die Thäler und über die Höhen. Der Saum der Gebirge aber begann sich zu erhellen, er erglänzte wie ein silbernes Band unter dem dunkelnden Azur des Aethers, er wurde blendender und durchsichtiger, es blitzte und funkelte wie Diamanten und Rubinen aus ihm hervor und bald glühte er wie ein Feuerstrom über den, in blauer Ferne verschwimmenden Granitgebirgen.

Erfrischend und labend zog die Luft, von den Wellen des Stromes gekühlt, durch den Wald, unter dessen riesigen, von blühenden Lianen durchschlungenen Bäumen die beiden Freunde mit Rosiana Arm in Arm dahinwandelten und sich in traulichem Gespräche gegenseitig ihre Herzen öffneten.

»Was mag Fehrmann wohl jetzt machen und wie mag es ihm gehen!« sagte Lincoln mit theilnehmender Stimme.

»Ihm geht es sicher gut, sonst hätte er von sich hören lassen; das Glück ist der größte Störer der Freundschaft, wenigstens der ausübenden, das Unglück schmiedet ihre Bande viel fester zusammen,« entgegnete Franval.

»Du hast mir einen schlechten Beweis von dieser Deiner Ansicht gegeben, denn gerade im Unglück hast Du meiner vergessen, wenigstens hast Du meinen Rath, meinen Beistand verschmäht, den wir Drei uns doch heilig gelobt hatten. Ich glaube, ich würde unserm Gelübde treuer gewesen sein, als Du, hätte mich das Schicksal so stark wie Dich verfolgt; ich würde Dir wenigstens Nachricht davon gegeben haben,« sagte Lincoln.

»Es giebt Unglück, in dem selbst der Freund nicht helfen kann, und solches Schicksal trägt sich leichter, wenn man es in der eigenen Brust verschließt; auch liegt ein Reiz, eine Genugthuung darin, dem Geschick allein mit eigner Kraft zu begegnen und es zu überwinden,« erwiederte Franval mit einem düstern Blick, fuhr aber gleich darauf fort: »Freilich, Fehrmann ist nicht der Mensch, der lange allein kämpft, er würde uns bald zu sich ins Feld gerufen haben, wenn es ihm nicht nach Wunsch gegangen wäre. Er ist sicher verheirathet, hat sich großes Vermögen erworben und wer weiß, ob er nicht in seine alte Heimath, nach Deutschland zurückgekehrt ist. Wir werden es nun bald erfahren, da ich direct nach New-Orleans gehe. Ich freue mich doch unendlich darauf, auch, ihn einmal wieder zu sehen.«

»Dort scheint schon das Haus des alten Power's durch die Bäume,« sagte Lincoln, nach einer Oeffnung im Walde zeigend, er ist einer von den wenigen recht glücklichen Menschen und verdient wahrlich es zu sein. Er hat von der Pike herauf gedient und als Frontieremann mit der Büchse, der Art und dem Pflug angefangen. Jetzt ist er ein sehr wohlhabender Mann, seine Kinder sind alle glücklich in dieser Gegend verheirathet und er, so wie seine biedere Frau erfreuen sich kräftiger Gesundheit und leben so vergnügt zusammen, als ob sie sich erst so eben verheirathet hätten. Power hat viel Einfluß auf die Leute weit und breit und ihm danke ich es zum großen Theil, daß ich hier so schnell emporgekommen bin. Wenn ich aber jemals genöthigt sein sollte, hier einen Menschen um Hülfe anzurufen, so wäre er es, an den ich mich wenden würde.«

»Der Himmel mag uns vor dieser Nothwendigkeit bewahren, doch auch ich habe das unbedingteste Vertrauen in die aufopfernde Freundschaft dieses biedern Mannes,« fiel Rosiana ein, und Beide sprachen sich warm und laut gegen Franval über den edeln Charakter Power's aus.

Sie hatten bald das Ende des Waldes erreicht und gingen nun auf dem schmalen Fußsteig, der an der Einzäunung des Maisfeldes hinführte, der Farmerwohnung zu. Vor deren Thür unter der mit blühenden Rosen umrankten Veranda fanden sie Power und dessen Ehehälfte, eine freundliche hübsche alte Frau nebeneinander sitzend und bereiteten ihnen durch ihr Erscheinen eine sehr freudige Ueberraschung.

»Willkommen, willkommen!« rief der Alte aufspringend und eilte den Kommenden entgegen, um ihnen sämmtlich die Hand zu drücken und sie nach seinem Hause zu führen. Auch Madam Power bewillkommte ihre Gäste aufs Herzlichste und Alle ließen sich nun zusammen unter der Veranda nieder.

»Wir kommen, bester Freund Power, um Ihnen den lieben Gast zu entführen,« hub Lincoln an, nachdem die ersten Begrüßungen und gebräuchlichen Fragen nach Haus und Kind, Garten und Feld abgemacht waren. »Wir haben ältere Ansprüche auf ihn, als Sie, Herr Franval war mein bester Freund schon lange, ehe ich meine theure Rosiana kennen lernte.«

»Selig ist der Besitzer, sagt ein altes Sprichwort, demzufolge ich ihn so leicht nicht aufgeben werde. Ich habe noch gar Vieles mit ihm zu bereden; Sie wissen, mein lieber Herr Lincoln, ich bin auch einmal Frontieremann gewesen und da lacht einem immer das Herz im Leibe, wenn man wieder Etwas von da draußen erfährt. Vor der Hand muß Herr Franval noch bei mir bleiben.«

»Wenn ich Sie aber nun recht schön bitte, lieber Herr Power, uns unsern Freund zu überlassen, mir werden Sie es doch nicht abschlagen?« sagte Rosiana mit freundlichem bittenden Tone und ergriff mit süßem Lächeln die rauhe Hand des Alten.

»Ja freilich, wenn man mir solche Truppen entgegenführt, da muß ich mich schon für besiegt erklären,« erwiederte Power mit einem herzlichen Lachen und fuhr zu Franval gewandt fort. »Ihren Gaul aber behalte ich in Versatz, bis Sie mir noch Etwas über die jetzigen Comanche-Indianer erzählt haben; diese Burschen haben mir, als ich an der Frontiere wohnte, manchmal bös mitgespielt.«

»Wenn Sie es mir erlauben, so lasse ich gern mein Pferd in Ihren Händen, denn bessere Pflege kann es nirgends finden. Ich werde übermorgenfrüh reiten und sollte ich bis dahin Ihnen die gewünschten Auskünfte über die Indianer nicht geben können, so geschieht es sicher, wenn ich von Neworleans zurückkomme,« antwortete Franval.

»Warum haben Sie uns denn aber Ihre lieben Kleinen nicht mitgebracht; es sind wirklich die reizendsten Kinder, die man nur sehen kann; ein paar kleine Engel,« nahm Madame Power das Wort, indem sie Rosiana traulich auf die Schulter klopfte.

»Die Kinder müssen doch früher zur Ruhe gelegt werden, als wir nach Hause zurückkehren können, und dann ist es dem Knaben noch etwas zu weit zum gehen, und ihn zu tragen, dazu ist er schon zu schwer. Wenn ich aber einmal früh abkommen kann, dann nehme ich mir die Zeit auf dem Wege und bringe Ihnen Beide mit; sie sind recht gewachsen, seitdem Sie sie nicht sahen,« entgegnete Rosiana.

»Das muß ihnen der Neid lassen, ein paar prächtige Kinder sind es, wie Milch und Blut, man muß sie lieb haben, auch wenn man die Eltern nicht kennte,« versetzte der Farmer.

Madam Power entfernte sich jetzt, um für ihre Gäste eine Erfrischung zu holen, und kehrte sehr bald, von einem Negermädchen gefolgt, zurück, welches herrliches Obst und eiskalte Milch auf den Tisch unter die Veranda stellte. Alle betheiligten sich an dem einfachen Mahle und Franval mußte dasselbe durch Erzählungen aus seinem Leben in der Wildniß würzen.

Der Himmel hatte sich mit funkelnden Sternen bedeckt, als die Gäste sich bei den biedern alten Leuten verabschiedeten und in der Kühle der Nacht ihren Weg nach Hause antraten.

Nur zu schnell für Lincolns, so wie für Franval verstrich der nächste Tag in trautem beglückenden Zusammensein, und an dem darauf folgenden, schon ehe die Sonne aufstieg, war Letzterer zu Roß, und setzte seine Reise nach Neworleans fort.


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