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Aufopferung. – Stummer Abschied. – Der Falbe. – Das Rennen wider Willen. – Das Handelshaus. – Großer Büffelfang. – Der Panther. – Dankbarkeit. – Das Wiedersehen.
Daniel hatte sich eines Morgens soeben mit dem Gedanken an die Delawaren von seinem Lager erhoben und trat in den Hof, um einen Blick über die Prairie zu thun, als das laute, lärmende Gebell der Hunde außerhalb des Forts ihm wie ein Blitzstrahl durch die Seele fuhr. Er sah im Geiste seine Henker nahen, sprang an die Schießöffnung, und nun ward der Gedanke zur Wahrheit; denn dort kamen die Delawaren mit Leopard an der Spitze im Galopp über das wogende Gras dem Fort zugejagt. Die Liebe zum Leben, der Trieb der Selbsterhaltung blitzte mit einem Gedanken an die Leiter und an das Kanoe in Daniel auf; noch war es Zeit, zu fliehen, noch konnte er dem Tode unter den Händen der Barbaren entgehen! Er blickte nach dem Abhang, wo die Leiter lag, er sah aber auch die geschlossenen Thüren, hinter welchen seine Freunde in sorglosem, glücklichem Schlummer ruhten, und verschwunden war jedes Wanken, jedes Zagen, er wollte sich seinen Feinden überliefern.
Der Lärm der Hunde brachte nun auch Karl und Turner erschreckt in den Hof, doch Daniel rief ihnen zu, es seien die Delawaren, die sich nahten und von denen sie nichts zu befürchten hätten.
»Die Delawaren – doch nicht mit Leopard?« rief Turner erschrocken; »dann eile fort in den Wald, Daniel, daß sie dich nicht hier finden!«
»Sie kommen, um mich zu holen, und ich werde mit ihnen gehen,« antwortete der Neger entschlossen.
»Nimmermehr, nun und nimmermehr, Daniel, lieber wollen wir uns sämtlich unter den Trümmern des Forts begraben lassen. Fort guter Daniel, fort in das Boot, noch ist es Zeit,« rief Turner dringend und zog den Neger nach der Leiter hin.
»Es ist umsonst, die Delawaren wissen durch die Comantschen, daß ich hier bin; denn diesen habe ich es in jener Nacht gesagt, um sie von weiteren Feindseligkeiten abzuhalten. Durch meine Flucht würde ich Sie sämtlich dem Tode weihen. Ich liefere mich an Leopard aus,« sagte Daniel unerschütterlich und weigerte sich, die Leiter zu betreten, welche Karl auf den Felsen hinabgelassen hatte. Dieser sowie Turner aber schlangen ihre Arme um den treuen Freund und flehten und beschworen ihn, zu fliehen und sie ihrem Schicksale zu überlassen.
Daniel aber blieb bei seinem Entschluß und zeigte einige Augenblicke später nach dem jenseitigen Ufer, wo jetzt vor dem Walde schon mehrere Delawaren erschienen.
»So werden wir mit dir sterben, Daniel, lebendig sollen diese Barbaren weder dich noch uns in die Hände bekommen. Karl, hole die Waffen!« rief Turner außer sich, schlang abermals seine Arme um den Freund und flehte ihn an, sich zu verteidigen.
»Hallo, weißer Mann, höre mich, ich bin Leopard, der Delawarenhäuptling!« rief jetzt die Donnerstimme des Indianers außerhalb des Forts, indem derselbe mit seiner Streitaxt an das Thor schlug.
»Was willst du, kommst du als Freund oder als Feind zu mir? Bedenke, daß ich mich unter dem Schutze des Präsidenten der Vereinigten Staaten befinde, in dessen Diensten du stehst.«
»Ich komme als Freund zu dir und bitte dich, mir mein Eigentum, den schwarzen Panther auszuliefern, der unter deinem Dache wohnt.«
»Du hast kein Eigentumsrecht an ihn, denn dein Vater hat dessen Eltern geraubt und sie zu seinen Sklaven gemacht,« entgegnete Turner entschlossen.
»Richte über deine eigenen Angelegenheiten, nicht über die meinigen. Ich werde mein Eigentum, den schwarzen Panther, lebendig oder tot mit mir von hier nehmen. Er kann mir nicht entgehen, denn ich werde deine Festung umstellt halten, bis der Hunger euch alle tötet oder bis ihr mir den schwarzen Panther überliefert. Ich lehne mich nicht gegen den Willen des großen Vaters, des Präsidenten der Vereinigten Staaten, auf, denn ich werde keine Gewalt gegen dich gebrauchen und deine Holzwände nicht ersteigen; es soll kein Fuß eines Delawaren dein Haus betreten, du magst frei ein- und ausgehen, aber Lebensmittel lasse ich nicht in deine Festung ein, bis der schwarze Panther in meinen Händen ist.«
»Ich werde dir folgen, Leopard, obgleich du kein Recht an mir hast,« schrie Daniel dem Indianer zu, doch Turner unterbrach ihn und rief: »So entferne dich von meinem Eigentum, so weit, daß dich meine Kugeln nicht erreichen können; ich werde mich und meinen Freund Daniel verteidigen und meine Freunde vom Choctawbache werden bald hier sein und mir beistehen!«
»Thue, was du willst, der Leopard redet nur einmal!« rief der Häuptling von draußen und gab weiter keine Antwort.
Madame Turner und die Kinder waren zu Tode erschrocken in den Hof gekommen und hörten mit Entsetzen, um was es sich handle. Sie weinten und jammerten und hingen sich flehend an Daniel, der bei seinem Entschluß blieb, das Fort zu verlassen und sich den Delawaren zu überliefern.
Als Turner durch eine Schießöffnung blickte, sah er, daß die Indianer außer Schußweite rings um das Fort ihre Zelte aufgeschlagen hatten, und daß ihre Pferde weiterhin im Grase weideten.
»Noch eine Bitte mußt du mir zugestehen, Daniel, du mußt hier bleiben, bis ich nochmals mit dem Häuptling gesprochen habe,« sagte Turner nun zu dem Neger, »ich will hinaus zu ihm gehen und will ihm all mein vorrätiges Geld bieten, um dich frei zu kaufen. Ich habe noch mehr, als er für dich fordern kann.«
Daniel stellte ihm vor, daß es umsonst sein würde; Madame Turner und die Kinder hingen sich an Turner und wollten ihn nicht hinausgehen lassen; doch er blieb bei seinem Entschluß und öffnete das Thor. Karl mußte es wieder hinter ihm verschließen, und nun schritt er den Hügel hinab dem Zelte zu, vor welchem er den Häuptling sitzen sah.
»Sei mir willkommen in meinem Lager,« sagte Leopard, dem Nahenden entgegengehend, und bot ihm die Hand zum Gruß; »die Delawaren sind Freunde der weißen Männer.«
Damit leitete er Turner vor sein Zelt und ließ ihn neben sich auf einer Büffelhaut Platz nehmen.
»So zeige es mir, daß du mein Freund bist, ich fordere einen Freundschaftsdienst von dir und will deinen Schaden nicht. Verkaufe mir den Neger, ich bin bereit, dir einige tausend Dollars für ihn zu geben; mehr Geld besitze ich nicht,« sagte Turner, und ergriff bittend die Hand des Häuptlings.
»Geld kann kein Unrecht gut machen, welches einem Delawaren zugefügt ist. Behalte du dein Geld und gieb mir meinen schwarzen Panther,« antwortete der Häuptling mit unerschütterlicher Bestimmtheit.
»Nun, so will ich versuchen, ob meine Freunde am Choctawbache mir auf mein ganzes Eigentum noch Geld borgen wollen, ich zahle dir alles, was ich aufbringen kann für den Neger,« nahm Turner wieder das Wort.
»Und wenn du mir alles Geld der weißen Männer geben könntest, so würde ich dir den schwarzen Panther nicht dafür verkaufen,« entgegnete Leopard mit einem finstern Blick, und blieb gegen alle Vorschläge, alles Flehen Turners unerbittlich.
Mit blutendem Herzen kehrte dieser unverrichteter Sache in das Fort zurück und gab sich dort mit den Seinigen dem Schmerz und dem Jammer über das unvermeidliche Schicksal des geliebten Freundes hin.
Den Tag verbrachten die schwer Bedrängten unter Wehklagen und Thränen, nur Karls Augen waren trocken geworden, und es glänzte ein Gedanke auf deren Spiegel, der in seiner Seele immer lebendiger aufstieg. Er wurde stumm und nachdenkend, und erst, als die Sonne sich neigte, sagte er zu Turner: »Ich will noch einmal mit dem Häuptling reden, vielleicht gelingt es mir, ihn milder zu stimmen; er ist mir sehr gut gewesen.«
Turner schlang seinen Arm um den braven Knaben und drückte ihn innig an seine Brust, indem er sagte: »Du meinst es so gut, Karl, der Himmel mag dich unterstützen, ich fürchte aber, es wird auch umsonst sein. Gehe mit Gott und versuche es, das Herz des Wilden zu erweichen.« Darauf geleitete Turner den Knaben zu dem Thore und ließ ihn hinaus.
Als Karl den Hügel hinabschritt, kam ihm der Häuptling schon von weitem entgegen und empfing ihn mit den Worten: »Warum willst du mich zwingen, auch dir eine Bitte abzuschlagen, da du weißt, daß ich sie dir nicht gewähren kann, und da du weißt, wie gut ich dir bin? Habe ich dir doch gesagt, wie leid es mir thut, daß du nicht als Delaware geboren bist!«
»Und wenn ich nun dennoch ein Delaware werden wollte, ein treuer Delaware mit Leib und Seele, würdest du mich nicht lieber haben, als ihn?«
Bei diesen Worten Karls war es, als ob ein plötzlicher Sonnenschein über die finsteren Züge des Häuptlings führe, er sah den Knaben überrascht und im höchsten Erstaunen an, ergriff plötzlich dessen beide Hände, zog ihn an seine Brust und schlang seine sehnigen Arme um ihn.
»Du, ein Delaware?« rief er außer sich vor Freude; »und wenn ich hundert schwarze Panther für dich geben müßte, so solltest du ein Delaware werden! Dein Herz ist groß, ja es ist größer für Freundschaft als das meinige, ich will dir aber ein ebenso guter Freund sein, als du es dem schwarzen Panther bist. Ja, Knabe, du sollst Delaware, du sollst mein Freund werden, und ich gebe den schwarzen Panther für dich auf.«
»Du mußt ihm nicht allein seine Freiheit geben, er muß als Delaware unter deinem Schutze bei den Meinigen bleiben, damit sie und ihr Eigentum gegen jede Feindseligkeit anderer Indianer sicher gestellt werden. Willigst du hierin ein, so ziehe ich mit dir und will dir ein treuer Freund sein,« sagte Karl mit freudestrahlendem Blick; denn nun hoffte er nicht allein, seinen Freund Daniel zu retten, er hoffte auch, für immer alle Gefahren von seinen Lieben abzuwenden.
»Ich gehe es ein, der schwarze Panther ist frei, er bleibt als Delaware bei den Deinigen, und wer ihren Frieden stört, dessen Herz sollen die Delawaren den Wölfen hinwerfen. Du ziehst mit mir, Karl, du sollst auf meinem Lager schlafen, sollst mit mir essen, mit mir jagen und kämpfen, und die Delawaren werden dich lieben und ihren letzten Skalp für dich hingeben, wenn du in Gefahr kommen solltest.«
Hierauf reichte der Häuptling Karl die Hand und dieser schlug ein.
»Wird dein Onkel dich aber mit mir gehen lassen?« fragte der Indianer nun bedenklich, »ich darf dich nicht rauben.«
»Ich gehe aus eigenem Willen mit dir, freilich muß es heimlich geschehen. Ich sage es meinem Onkel schriftlich, daß ich freiwillig mit dir gezogen bin, und lasse den Brief in meinem Zimmer zurück. In dieser Nacht, wenn alles im Fort schläft, schleiche ich mich davon und komme zu dir; noch ehe der Tag graut, müssen wir weit von hier sein. Halte alles zum schnellen Aufbruch bereit, nach Mitternacht bin ich bei dir.«
Mit dem beseligenden Gedanken, durch sein Handeln die Seinigen für immer vor allen Gefahren zu schützen und seinen Freund Daniel dem Tode zu entreißen, verließ Karl den Häuptling und kehrte leichten Herzens in das Fort zurück.
»Du bringst frohe Kunde, Karl, ich lese es auf deinen Zügen,« sagte Turner, als er den Knaben am Thor empfing und, von Hoffnung bewegt, dessen Hand ergriff.
»Der Häuptling ist friedlicher gestimmt, er will morgen noch einmal mit dir reden,« entgegnete Karl, entschlossen, sein Vorhaben, welches er für das Wohl seiner Lieben ausführen wollte, nicht auf seinen Zügen zu verraten.
»Gottlob!« sagte Turner, »nun wird sich doch noch alles zum Guten wenden; Karl, du bist und bleibst unser Schutzengel.«
Madame Turner dankte dem Knaben unter Thränen für den neuen Beweis seiner Liebe, und Daniel gab sich mit den innigsten Danksagungen der Hoffnung hin, daß sein Geschick eine günstige Wendung nehmen möge.
Als die Sonne versunken war und Turner daran erinnerte, daß die Pferde in das Fort hereingebracht werden müßten, sagte Karl: »Ich will sie zum Wasser führen und sie dann wieder in das Gras bringen; wir wollen sie während der Nacht draußen lassen. Es zeigt von Mißtrauen gegen die Delawaren, wenn wir sie hereinholen.« Turner stimmte seiner Ansicht bei, und Karl tränkte nun die Pferde und band sie dann wieder in die Weide, seinem Rappen aber gab er dabei einen Platz nicht weit von dem Zelte des Häuptlings. Nachdem er in das Fort zurückgekehrt war und die Seinigen mit Daniel in dem Speisezimmer versammelt fand, ging er in seine Stube und schrieb schnell einen Abschiedsbrief an alle seine Lieben. Er teilte ihnen den Grund mit, weshalb er sie verließ, sagte ihnen, daß es ihn hoch beglücke, sie allen Gefahren zu überheben, und bat sie, sich nicht über sein Entfernen zu grämen, da es ihm ja gut gehen würde, und er sie im nächsten Herbst besuchen wolle. Er schloß den Brief mit der Bitte, ihm nicht zu folgen, da er fest entschlossen sei, bei den Delawaren zu bleiben, und ihn nichts vermögen werde, in das Fort zurückzukehren. Er richtete diese letzten Worten, insbesondere an Daniel, beschwor ihn, nun treulich bei den Seinigen auszuhalten und dadurch Karls Schritt zu heiligen. Die Thränen, welche während des Schreibens seinen Augen entquollen, gestatteten ihm kaum, den Brief zu beenden, und er mußte sich wiederholt dabei unterbrechen. Als er ihn endlich geschlossen hatte, richtete er die Aufschrift an seinen Onkel und verbarg dann das Schreiben in seiner Lederjacke. Er steckte nun schnell alle Gegenstände, die er mitnehmen wollte, in seine Jagdtasche, hing dieselbe neben seine Waffen und ging dann zu den Seinigen, um mit ihnen das Abendbrot zu verzehren. Mit schwerem Herzen setzte er sich an dem Tische nieder, es war ja zum letztenmale, daß er sich hier mit seinen Lieben versammelte, und unbemerkt wischte er die Thränen von seinen Augen, die er nicht zurückhalten konnte. Sein Schweigen und sein Ernst fiel nicht auf, denn auch die anderen saßen bekümmert und wortkarg da und dachten an das Schicksal Daniels, welches erst morgen entschieden werden sollte. Karl erhob sich zuerst, um sich zur Ruhe zu begeben, und die anderen folgten seinem Beispiel, denn die Stimmung war zu traurig, um ein längeres Zusammensein zu veranlassen. Karl küßte die Seinigen, wie er immer zu thun pflegte, wenn er ihnen eine gute Nacht wünschte; er küßte sie aber inniger, heißer und länger als sonst, denn er nahm einen stummen Abschied von ihnen. Er weinte dabei bitterlich, welches man der Ungewißheit über Daniels Schicksal zuschrieb, und Turner suchte Karl zu beruhigen und tröstete ihn mit dem Vertrauen auf den Allmächtigen, der ihnen beistehen würde. Alle begaben sich nach ihren Ruhestätten, doch der Schlaf blieb ihnen noch lange fern, und erst gegen Mitternacht hatten die Bewohner des Forts die Augen geschlossen; nur Karl war noch wach, fühlte von Zeit zu Zeit auf dem Zifferblatt seiner Uhr, wie spät es sei, und lauschte nach den Atemzügen Daniels, ob derselbe auch fest schlafe. Es war schon lange nach Mitternacht, als er sich leise von seinem Lager erhob, sich schnell ankleidete und den Brief an seinen Onkel auf den Tisch legte. Dann schnallte er die Revolver und das Jagdmesser um, hing die Jagdtasche über seine Schulter, nahm die Jaguarhaut und seine wollene Decke, ergriff die Büchse und schlich vorsichtig in den Hof hinaus. Pluto kam freudig zu ihm herangesprungen, Karl aber wies ihn liebkosend zur Ruhe und schritt nach dem Thore, welches er geräuschlos öffnete. Er ging hinaus, trug sein Gepäck an die vordere Wand der Palissaden und kehrte noch einmal in das Fort zurück, um sein Sattelzeug zu holen. Als er wieder durch das Thor hinausschritt, wollte Pluto ihm folgen, er drückte den Hund aber schmeichelnd zurück und schob das Thor hinter sich zu. Nun eilte er mit Sattel und Zeug den Hügel hinab zu dem Zelte des Häuptlings, wo dieser ihn beim Feuer freudig empfing und ihm sagte, daß alles zur Abreise bereit sei.
Karl lief nun noch einmal zu den Palissaden hinauf, um seine dort niedergelegten übrigen Sachen zu holen, sandte noch einen heißen, innigen Abschied aus der Tiefe seines Herzens an alle seine Lieben und ging dann wieder zu Leopard, dessen Zelt bereits zusammengepackt war und auf den Rücken eines Pferdes gebunden wurde. Karl führte seinen Rappen zum Feuer, legte ihm schnell das Reitzeug und Gepäck auf, wobei der Häuptling ihm behilflich war, und stieg dann in den Sattel, während die Indianer sich zu Pferde um ihn sammelten und freudig in ihm ihren neuen Gefährten begrüßten. Bald war nun auch der Häuptling zu Roß, und der Reiterzug setzte sich, mit ihm und Karl an der Spitze, in Bewegung, während dieser seinen thränenschweren Blick auf die dunklen Umrisse des Forts gerichtet hielt und im stillen den geliebten dort Ruhenden sein letztes heißes Lebewohl sagte. Lautlos zogen sie in eiligem Schritt durch die dunkle Nacht dahin, und bald war der letzte Lichtschein der verlassenen Lagerfeuer und die schwarze Form der Palissadenwände ihren Blicken entschwunden.
In dem Fort aber herrschte Totenstille, denn selbst das gewohnte Geräusch, welches die Pferde während der Nacht dort zu erregen pflegten, unterbrach die Ruhe nicht.
Der Morgen graute und Daniel erwachte mit dem festen Entschluß, sich heute dem Häuptling zu überliefern, wenn die bevorstehende Unterhandlung mit demselben keinen friedlichen Vergleich herbeiführen sollte. Er erhob sich leise von seinem Lager, um seinen Freund Karl nicht im Schlafe zu stören, da gewahrte er, daß Karls Bett leer war. Der Neger erschrak und richtete seinen nächsten Blick nach der Wand, wo die Waffen des Knaben zu hängen pflegten; sie waren fort. Jetzt sah er den Brief auf dem Tische liegen und erkannte die Handschrift seines Freundes, denn dieser hatte ihm ja Unterricht im Schreiben erteilt. Ein Brief von Karl, an seinen Onkel gerichtet – was konnte die Veranlassung dazu sein – warum war Karl nicht hier? Der Neger zitterte am ganzen Körper; mit dem Briefe in der Hand stürzte er hinaus in den Hof und nach dem Thore – das Thor war offen, und die Indianer waren verschwunden! Wie gelähmt stand Daniel da und sah auf den Brief, der in seiner bebenden Hand zitterte; das Papier sagte ihm, was der Knabe für ihn gethan hatte. Ohne Worte, ohne Thränen sank er auf die Kniee und preßte den Brief zitternd mit beiden Händen auf sein Herz. Er wußte nicht, was er that, wußte nicht, was er thun sollte, das Geschehene war zu ungeheuer, zu schrecklich, als daß er es hätte fassen können, es drückte ihn wie ein riesiges Unglück zu Boden und preßte ihm das Herz und die Brust zusammen.
Plötzlich aber fuhr er auf, stürzte in das Fort hinein zu Turners Haus und schrie:
»Karl ist fort, Herr Turner, Karl ist fort!«
»Was sagst du, Karl fort?« rief Turner, aus dem Zimmer hervorspringend, und ergriff hastig den Brief, den ihm der Neger entgegenstreckte.
»Er ist fort, Herr, er ist mit den Delawaren fortgezogen. Lesen Sie, lesen Sie schnell, ich muß ihn noch einholen und ihn aus den Händen der Indianer befreien; ich bin es, dessen Besitz sie verlangten, nicht Karl, mich sollen sie haben!« schrie der Neger in höchster Verzweiflung und stierte auf den Brief, den Turner mit zitternder Hand entfaltet hatte und ihn mit ängstlicher Hast durchflog.
»Karl, Karl!« klagte er dann mit einem Blick zum Himmel und ließ sein Antlitz auf den Brief in seine beiden Hände sinken.
»Er soll zurückkehren, Sie sollen ihn wieder haben!« schrie der Neger und wollte davoneilen, doch Turner ergriff ihn beim Arme und sagte:
»Es ist umsonst, Daniel, er wird nicht zurückkehren! Glaubst du, daß Karl seine Freiheit mit deinem Leben erkaufen würde?«
»Er soll, er muß zurückkehren, die Delawaren sollen mich töten, und dann bleibt Karl nicht bei ihnen,« rief Daniel und wollte sich von Turner losreißen, doch dieser hielt ihn zurück und sagte:
»So höre, was er schreibt und was er dir in diesem Briefe sagt, dann wirst du einsehen, daß es nutzlos wäre, wenn du ihm folgtest.«
Turner las nun dem Neger den Brief vor, und dieser stand wie vernichtet da, rang die Hände und jammerte wieder und wieder:
»Warum habe ich mich auch nicht gleich selbst ausgeliefert!«
»Es war nicht deine Schuld, Daniel, wir selbst haben dich ja gehalten. Der Himmel, der alles so gefügt hat, wird unseren Liebling beschützen und ihn doch wieder in unsere Arme zurückführen. Karl lebt, er lebt nur für uns, und weiß, daß mit ihm ein großer Teil unseres Glücks verloren ist. Er wird wiederkehren!«
So suchte Turner den treuen Neger und sich selbst zu trösten und den herzzerreißenden Schmerz von sich abzuwehren; als er aber seiner Gattin und den Kindern die Kunde von Karls Aufopferung überbrachte, da überwältigte sie sämtlich der Jammer und sie brachen weinend und schluchzend in lautes Wehklagen aus.
Karl ritt immer noch schweigend an der Seite des Häuptlings und immer noch entfielen Thränen seinen Augen.
»Dein Herz ist traurig, Karl,« sagte Leopard teilnehmend zu ihm, »und das macht auch mich traurig; meine Freude aber darüber, daß du mein Freund werden willst, ist groß und soll dich wieder froh machen. Die Delawaren werden dich lieben und du wirst einst ein großer Mann unter ihnen sein, sie werden dir folgen, wenn der Leopard schwach wird, um sein Jagdroß zu reiten, und sein Auge zu matt, um die Kugel in das Herz des Wildes zu senden. Du sollst die schönsten Pferde haben, und die Frauen der Delawaren werden die prächtigsten Häute für dich zubereiten und dir die weichsten Jagdhemden und Gamaschen anfertigen.«
»Ich bin mit allem zufrieden, wenn ich nur weiß, daß es meinen Freunden am Bärflusse gut geht,« antwortete Karl, mit feuchtem Auge auf die glänzend schwarzen Mähnen niedersehend, die der Rappenhengst in seinem Übermute schüttelte.
»Niemand soll und wird nun noch den Frieden deiner Freunde stören, und du wirst sie zweimal des Jahres wiedersehen und sie erfreuen.«
»Das hast du mir versprochen, Leopard, und mußt es halten; nur mit dieser Hoffnung kann ich fern von ihnen zufrieden sein.«
»Du wirst zufrieden, du wirst glücklich sein, denn unser Leben ist ein glücklicheres, als das der Weißen. Wir haben alles, wonach unsere Herzen sich sehnen; die Weißen haben niemals das, wonach sie streben; das Geld stiehlt ihnen die Ruhe, wir lachen darüber; uns kann das Geld nicht froh, nicht traurig machen.«
Karl blieb wortkarg, doch der Häuptling hörte nicht auf, ihn zu unterhalten und ihm das Leben der Indianer von der schönsten Seite zu schildern.
Währenddem eilten sie nach Nordwest dahin über die mit Blumen übersäete Prairie, auf der das trockene Gras vermodert zur Erde gesunken und die frischgrünen Halme darüber mit der Blütenpracht des Frühlings aufgeschossen waren. Der Häuptling wollte der Grenze des Prairiebrandes folgen, weil er dort das meiste Wild anzutreffen hoffte. Er ritt mit Karl den übrigen Indianern in ziemlich großer Entfernung voraus, um seinem jungen Freunde Gelegenheit zu geben, während der Reise mitunter ein Stück Wild zu erlegen; die Reiterschar folgte ihnen langsam nach; hinter derselben kamen die Pferde, die mit den Zelten, Gerätschaften und Vorräten aller Art beladen waren, und den Zug beschlossen die Frauen, welche die Packtiere vorwärts trieben und sie zusammenhielten. Karl that im Laufe des Tages wiederholt einen Meisterschuß auf Wild, welches der Häuptling dann, stolz auf die Geschicklichkeit des Knaben, seinen ihm folgenden Leuten überwies. Der Abend brachte sie in den Eichwald, wo Karl den furchtbaren grauen Bären erlegt hatte, und an dem Wasser, wo er seinen Falben wiederfand, wurde das Lager für die Nacht aufgeschlagen. Er benutzte das Dämmerlicht noch zur Jagd, wobei er zwei Antilopen erlegte, welche von den beiden Indianern, die ihn begleitet hatten, im Triumphe in das Lager getragen wurden. Mit Sonnenaufgang setzte sich am folgenden Morgen die Schar wieder in Bewegung und folgte dem Saume des Eichwaldes, der sich bis zu den Ufern des Roten Flusses hinaufzog und neben welchem die Prairie bis dorthin durch jenen Schreckensbrand abgesengt war. Das junge Gras hatte sich aber schon mit einer fußhohen Decke überzogen, auf welcher in allen Richtungen Büffel, Hirsche und Antilopen weideten. Es war ein reizender Tagesmarsch unter dem schattigen Laubdach der Eichen, auf der feinen, dichten Grasdecke, aus welcher sich die mächtigen Stämme erhoben. Weithin wanderte das Auge, da nirgends ein Dickicht die Fernsicht hemmte, und der Blick konnte kaum eine Richtung finden, wo er nicht auf Wild traf. Besonders zahlreich waren die Züge der wilden Truthähne, die sich um diese Jahreszeit zu Hunderten versammeln, während die Hennen einsam im hohen Grase der Prairie oder im Dickicht der Wälder auf ihren Eiern sitzen und brüten. In endlosen Reihen flohen die Hähne vor der nahenden Reiterschar, und wiederholt sprengte der Häuptling mit seinem jungen Freunde ihnen nach, bis sie sich prasselnd in die Luft erhoben und sich in die hohen Eichen schwangen. Dann holte jede Büchsenkugel der beiden Reiter einen dieser kolossalen Vögel auf die Erde herab, und Karl schoß zur Freude Leopards auch einige derselben mit dem Revolver herunter. Ohne zu rasten, ging es während des ganzen Tages in dem kühlen Schatten des lichten Waldes vorwärts, während die Sonne heiß auf die Baumkronen niederbrannte und ihre Strahlen hier und dort ein blendendes Licht auf den frischgrünen Boden warfen.
»Dort weidet ein starkes Rudel wilder Pferde, sie sind uns noch nicht gewahr geworden,« sagte der Häuptling zu Karl, und zeigte unter den Bäumen hin nach dem Saume der Prairie.
»Ach, wenn wir doch nahe an sie heranreiten könnten; es sind doch zu schöne Tiere. Ich meine immer, das Pferd wäre in seiner Freiheit viel stolzer als in der Gefangenschaft.«
»Wenn dir das Spaß macht, so reite nur dicht hinter mir her, ich will dich ganz nahe zu ihnen führen. Du mußt dich aber auf den Hals deines Pferdes legen,« entgegnete der Häuptling, und ritt nun weiter seitwärts unter den Eichen hin, bis er eine recht große Zahl von Stämmen zwischen sich und den Rossen sah, so daß er durch sie mehr oder weniger den Blicken der Tiere entzogen wurde. Dann ritt er auf sie zu, wählte aber immer die Richtung, in welcher er die meisten Baumstämme vor sich hatte. Es lagen wohl noch fünfhundert Schritte zwischen den beiden Reitern und den wilden Pferden, die noch immer ganz sorglos grasten, als Karl dem Häuptling plötzlich leise zurief: »Halt, halt, Leopard, halt dein Pferd zurück!« und schnell sein Fernglas aus der Tasche hervorzog und es vor sein Auge hob. Der Häuptling hielt sein Roß an und sah erst nach seinem Gefährten, dann aber wandte er, wie dieser, seinen Blick gleichfalls nach der wilden Herde.
»Du suchst wohl deinen toten Liebling unter ihnen?« fragte Leopard lachend.
»Ja, wahrhaftig, dort steht ein Pferd, welches gerade so aussieht, wie mein Falber, wenn er sich nur noch etwas zur Seite wenden wollte,« entgegnete Karl in großem Eifer, und hielt das Glas unbeweglich vor sein Auge. Nach einer Weile fuhr er noch bewegter fort: »Jetzt wendet es sich – wahrhaftig, es ist mein Falber, ich sehe den Satteldruck auf seinem Rücken!«
Mit diesen Worten zeigte Karl, ganz außer sich vor Freude, nach einem Pferde hin, welches etwas seitwärts von der Herde nahe an der Prairie weidete.
»Wäre es möglich – laß mich einmal durch dein Glas sehen,« sagte der Häuptling und nahm dasselbe dem Knaben ab. Nachdem er einige Augenblicke nach dem Tiere hingeschaut hatte, sagte er rasch: »Das Pferd hat schon einen Sattel getragen, und wenn du sagst, daß es dein Falber sei, so sollst du ihn auch wieder reiten. Bleibe hier hinter diesen Eichen halten, bis ich zurückkomme, ich muß mein Kriegspferd reiten, wenn ich deinen Falben fangen will.«
Hiermit lenkte er sein Roß eilig auf demselben Wege zurück, auf dem er gekommen war, und nach einer Weile sah Karl ihn in fliegendem Laufe davonjagen. Die anderen Indianer waren noch weit zurück, so daß Karl noch nichts von ihnen entdecken konnte. Mit hochschlagendem Herzen hielt er nun seinen Blick durch das Glas auf den Falben gerichtet und überzeugte sich immer mehr, daß derselbe sein totgeglaubter Liebling sei. Ungeduldig spähte er wieder durch den Wald zurück, ob der Häuptling noch nicht sichtbar würde, und lauschte nach den Hufschlägen seines Rosses. Noch war nichts von ihm zu sehen, und mit Bangigkeit blickte Karl dann wieder nach der Herde, ob sie auch nicht unruhig werde. Die Tiere aber grasten ganz vertraut, und hier und dort legte sich eins derselben im Grase nieder. Es schien, daß sein Falber noch immer von den übrigen Rossen als Fremdling angesehen werde, da er sich stets in einer gewissen Entfernung von ihnen hielt, und dies bestärkte Karl noch mehr in seiner Überzeugung, daß es sein Pferd sei. Der Häuptling blieb erschrecklich lange für Karl aus, und die Ungeduld des Knaben, sowie dessen Besorgnis, daß die Herde plötzlich davoneilen würde, steigerte sich von Minute zu Minute; er strengte seinen Blick mit allen Kräften an, um den Schimmel, den Leopard reiten wollte, in der Ferne zu erspähen; da sah er ihn plötzlich weiter seitwärts sich nahen und zwar schon in nicht großer Entfernung. In verhaltenem Schritt kam der edle Schimmelhengst zwischen den dichtstehenden Baumstämmen herangeschritten, er war mit einer prächtigen Jaguarhaut geziert, die über seinen Sattel ausgebreitet lag und auf welcher der Indianerhäuptling, von aller Kleidung entblößt, saß. Nur ein breites Stück feuerroten Tuches umgab dessen Hüfte, und statt der Waffen hielt er einen sehr langen Lasso aufgeschlungen in seiner Rechten. Stolz hob sich seine muskulöse, schlanke, rotbraune Gestalt über dem mutigen, blendend weißen Rosse empor, und sein langes, glänzend schwarzes Haar hing weit über seine breiten Schultern herab. Als er näher kam, mäßigte er noch mehr den Schritt des Pferdes und legte sich hinter dessen breiten Hals. Bald hatte er Karl erreicht und sagte:
»Wenn dein Falber wirklich so schnelle Füße und so langen Atem besitzt, wie du mir gesagt hast, so wird es eine heiße Jagd geben; noch aber habe ich kein Pferd gesehen, welches im Laufe vor meinem Hengste bleiben konnte. Halte dich nur hinter mir, wir wollen so nahe wie möglich unbemerkt zu dem Falben reiten; wird er uns aber gewahr, dann ist keine Zeit zu verlieren. Dann sorge nur, daß du mich im Auge behältst, meinen Schimmel kannst du sehr weit sehen.«
»Könnte ich mich dem Falben nahen, ohne daß die Herde davonjagte, so würde er gleich zu mir kommen, sobald er mich erkannt hätte,« sagte Karl, mit Verlangen nach dem Pferde hinschauend.
»Die Freiheit schmeckt zu süß und das Tier hat sie nun schon zu lange genossen, als daß es freiwillig wieder in die Gefangenschaft zurückkehren sollte. Es ist ja mit den Indianern auch so, sie werden von den Weißen immer näher zu den Gebirgen der Anden hingedrängt, wo sie mit dem Büffel wegen Mangel an Nahrung zu Grunde gehen müssen, und dennoch, trotzdem, daß sie ihr Schicksal voraussehen, wollen sie lieber untergehen, ehe sie sich dem Joch der Civilisation ergeben. Wir müssen deinem Falben mit Gewalt die Fessel wieder anlegen wenn er deine Herrschaft abermals anerkennen soll. Nun folge mir,« entgegnete der Häuptling, wandte seinen ungeduldig scharrenden Hengst dem Falben zu und nahte sich ihm von Baum zu Baum, ohne daß das Tier ihn gewahr geworden wäre, bis er es auf hundert Schritte erreicht hatte. Hier standen die Eichen viel einzelner, und kaum schritt der Schimmelhengst unter ihren Schatten, als die ganze wilde Herde zusammenschreckte und in wilder Verwirrung die Flucht ergriff.
Mit einem lauten, gellenden Jagdgeschrei ließ aber im selbigen Augenblicke der Häuptling seinem Hengst die Zügel schießen und flog ihr nach, als ob sein Schimmel von dem Winde dahin getragen würde. In wenigen Augenblicken war die Prairie erreicht, die wilden Pferde, die unter den Eichen auseinander gesprengt waren, sammelten sich jetzt in einen dichten Haufen, der Falbe jagte an ihrer Spitze und fort ging es in sausender Carriere über die grüne, im Sonnenlichte glänzende Grasflur. \
Karls Rappe mußte an die Zeit seiner eigenen Freiheit denken, denn er setzte wie rasend hinter der fliehenden Herde her und hatte auch bald die letzten Reihen derselben erreicht. Der Häuptling aber jagte im Sturmlauf an ihr vorüber, dem Falben nach, der schon mehrere hundert Schritte Vorsprung vor den wilden Rossen gewonnen hatte, und diese wandten sich entsetzt von dem Indianer ab und suchten seitwärts das Weite. Karl wollte dem Häuptling folgen, sein Rappe aber kündigte ihm den Gehorsam und sprengte trotz Zügel und Sporn in die Mitte des fliehenden Haufens. Fort ging es hügelauf, hügelab in tollem, rasendem Laufe, denn die wilden Pferde sahen mit Entsetzen nach der Menschengestalt hin, die sich zwischen ihnen erhob, und verdoppelten ihre Anstrengungen zur eiligsten Flucht. Der Rappe aber blieb zwischen ihnen; fliegend umwogten seine langen Mähnen den jungen Reiter auf seinem Rücken, hoch wehte sein glänzend schwarzer Schweif und laut und schnaubend blies er aus seinen weit geöffneten Nüstern. Mit Verzweiflung schaute Karl seitwärts über die mit ihm fliehenden Scharen nach dem Häuptling hinüber, der nur noch wie ein weißer, dahinfliegender Punkt in weiter Ferne zu erkennen war; vergebens aber wandte er alle seine Kräfte auf, seinen widerspenstigen Rappen zurückzuhalten, derselbe stürmte unaufhaltsam mit ihm fort und mit ihm die ganze wilde Herde, daß der Boden erzitterte und der Donner der Hufschläge die Luft erfüllte. Karl ergab sich in sein Schicksal, Meile auf Meile blieb zurück, und sein Roß sowie dessen wilde Kameraden bedeckten sich mit weißem Schaum.
Jetzt ging es einem Eichenwalde zu, der sich über dem Saume der Prairie erhob, und mit Schrecken dachte Karl an die Gefahr, die ihm beim Einjagen zwischen die Baumstämme drohte; aber umsonst wandte er wieder und wieder alle seine Kräfte an, das wilde Tier in seinem Laufe aufzuhalten, es blieb in der Mitte der fliehenden Massen. Der Eichwald ward erreicht, und im Sturm ging es in denselben hinein und zwischen den Stämmen hin, daß Karl jeden Augenblick glaubte, an einem derselben hängen zu bleiben; er wand sich aber hin und her und drückte sein Pferd gewaltsam herüber und hinüber, um den Bäumen auszuweichen. Da erkannte er plötzlich vor sich einen weiten Wasserspiegel, der sich an dem Saume des Waldes hinzog und in welchem er keinen anderen als den Roten Fluß erkennen konnte. Ein Hoffnungsstrahl fuhr in Karl auf, denn an dem Strome, dachte er, würde die Herde Halt machen, und er würde einen Augenblick gewinnen, um Herr seines Pferdes zu werden. Er sah, wie die vordersten der dahinstürmenden Schar das Ufer des Flusses erreichten, sie stürzten sich in die Fluten hinab und alle ihre wilden Kameraden ihnen nach, daß die Wellen hoch über ihnen zusammenschlugen. Auch Karl sauste mit seinem Roß in die Wogen hinunter, er sah und hörte nicht mehr, das Wasser türmte sich um ihn auf und für einen Augenblick war ihm der Atem genommen. Er klammerte sich aber an seinen Rappen fest, der jetzt, von den Hunderten von Pferden umgeben, welche rings um ihn aus den Wellen emporschauten, eilig die schnelle Flut durchzog und dem jenseitigen Ufer zuschwamm. Schnaubend und brausend stieg der Hengst aus den Wogen auf und nieder und trug seinen Reiter vielen seinen Kameraden vorüber glücklich an das jenseitige Land. Diese letzte Anstrengung hatte aber die Kräfte der wilden Rosse erschöpft, sie erstiegen mühsam das Ufer und teilten sich nun im Trabe nach allen Richtungen auseinander, um der fremden Schreckensgestalt auf dem Rappen zu entgehen. Umsonst machte dieser abermals neue Anstrengungen, jenen zu folgen, er sträubte sich nur noch kurze Zeit gegen die Gewalt seines Reiters und ergab sich dann dessen Herrschaft. Durchnäßt bis auf die Haut und mit einem zu Tode erschöpften Pferde, sah sich Karl nun allein und verlassen viele Meilen von seinen Freunden entfernt und von ihnen durch einen mächtigen Strom geschieden. Er stieg ab und sein nächster Gedanke traf seine Waffen, die gleichfalls, wenn auch nur einen Augenblick, unter Wasser gewesen waren. Er feuerte schnell seine Büchse sowie seine Revolver ab, und zu seiner Freude versagte kein Schuß. Sein Pulverhorn war vollkommen wasserdicht, deshalb ersetzte er gleich sämtliche Ladungen und überdachte dabei seine Lage. Wäre der Fluß nicht vor ihm gewesen, so würde er auf dem Wege, den er gekommen, zurückreiten, um die Delawaren aufzusuchen; mit seinem müden Pferde konnte er sich aber den Fluten nicht noch einmal anvertrauen, und er sah keinen anderen Ausweg, als hier am Ufer zu verbleiben und zu warten, ob seine Freunde zu ihm kommen würden. Ohne Zweifel folgten diese, sobald sie ihn vermißten, der breiten Spur, welche die wilden Rosse hinterlassen hatten, und er beschloß, ein großes Feuer zu errichten, damit die Delawaren seinen Aufenthalt daran erkennen könnten, wenn sie erst in der Nacht den Fluß erreichen sollten, denn die Sonne stand nicht mehr hoch und es war ungewiß, ob die Jagd nach dem Falben den Häuptling nicht sehr weit abgezogen hatte. Während der Rappe, den Karl an einen einzelnen Baum befestigte, sich an dem jungen Grase erholte, trug dieser trockenes Holz herbei, um das Feuer anzuzünden, welches ihm augenblicklich sehr wünschenswert war, denn in der nassen Kleidung fing ihn an zu frieren. Er zog die Zunderbüchse aus der Tasche und nahm sie aus der fest zugebundenen Blase hervor, in welcher er sie stets verwahrte, um sie vor Nässe zu schützen. Dann schlug er mit Stahl und Stein Funken hinein und blies die erzeugte Glut zur Flamme an, in welcher er ein Bündel trockenes Gras entzündete. Bald loderte nun das Feuer aus dem gesammelten Reishaufen empor und wirbelte sich um das schwere Holz, welches Karl darauf warf. Die Glut war bald so groß, daß er sich einige Schritte von ihr entfernt halten mußte, wo er sich nun von allen Seiten durch sie trocknen ließ, indem er sich langsam vor ihr drehte. Er hatte schwere Äste von einem umgefallenen Mosquitobaum herbeigetragen, um das Feuer während der Nacht zu unterhalten, da er sicher darauf rechnete, seine Freunde erst spät erscheinen zu sehen; doch kaum war die Sonne versunken, als ihn der ferne Jubelton des Häuptlings von der anderen Seite des Flusses her begrüßte. Bald darauf sah er ihn denn auch an der Spitze seiner Schar unter den Eichen heranziehen, und wie groß war Karls Freude, als er an der Seite Leopards seinen lieben Falben erkannte, der geduldig neben demselben herschritt. Als der Häuptling das Ufer erreicht hatte, rief er Karl zu, er möge dem Flusse folgen, da einige Meilen weiter eine sehr seichte Stelle sich in demselben befinde, wo man durchreiten könne, ohne naß zu werden. Sogleich war Karl zu Roß und eilte dem Ufer entlang, er konnte aber den Augenblick kaum erwarten, wo er wieder bei seinem Falben sein würde.
Die Delawaren folgten dem Strome an dem anderen Ufer, und Karl verwandte keinen Blick von seinem Liebling, der ihm während seiner Abwesenheit noch viel schöner geworden zu sein schien. Endlich hielt der Häuptling an und blickte sich nach einer Stelle um, wo das Ufer nicht zu steil war. Er fand sie in kurzer Entfernung, lenkte sein Roß in den Strom hinein und der ganze Zug der Delawaren folgte ihm nach. Das Wasser reichte wirklich den Pferden nicht bis an den Leib und schnell war der Fluß durchritten. Karl war abgestiegen und wartete mit größter Ungeduld am Ufer, und als der Falbe auf dasselbe heraufschritt, da schlang er seinen Arm um den Hals des geliebten Tieres und sagte in höchster Freude:
»Ja, Falber, kennst du mich denn noch, du braver Kerl, wie ist es dir denn ergangen?« Dabei klopfte und strich er liebkosend den Hals des Pferdes, und dieses gab ihm durch leises Wiehern zu verstehen, daß es sich ebenso sehr freue, ihn wiederzusehen.
Dann aber wandte sich Karl mit rührenden Versicherungen seines ewigen Dankes an den Häuptling, der mit der innigsten Freude das Glück beobachtete, welches sich auf Karls Zügen spiegelte.
»Du hattest mir nicht zu viel von dem Falben gesagt,« fiel ihm Leopard in das Wort, »er ist flüchtig wie die Antilope und ausdauernd wie der Büffel, er hat meinem Hengst vielen Schweiß gekostet. Ich bin ihm über fünf Meilen weit gefolgt, ehe ich den Lasso nach ihm werfen konnte, kaum aber lag die Schlinge um seinen Hals, als er sich ergab und sich geduldig von mir leiten ließ. Er ist den Ritt wert gewesen, zumal da ich meinem jungen Freunde eine so große Freude dadurch verschafft habe. Wenn ich meinen Schimmelhengst nicht hätte, so möchte ich wohl den Falben besitzen, es giebt nicht viele seines gleichen.«
»Ja, er ist ein braves, edles Tier, und ich danke dir von ganzem Herzen, daß du ihn mir wiedergegeben hast. Der Rappe dort ist nicht so treu, es hätte mir bei diesem Ritte das Leben kosten können; der Abscheuliche ging mit mir durch, und ich mußte, ob ich wollte oder nicht, mit der tollen Herde davonjagen.«
»Ich sah es wohl,« entgegnete der Häuptling lachend, »ich konnte aber doch unmöglich den Falben entkommen lassen; auch dachte ich, wer einen solchen Prairiebrand glücklich mit durchgemacht hat, der könne auch wohl einmal in der Mitte einiger hundert Rosse einen lustigen Ritt machen.«
»Sehr lustig war er nun gerade nicht, ich kann dir sagen, in dem Eichwalde war es ein gefährlicher Lauf, und den Sprung in den Strom will ich im Leben nicht vergessen!«
»Du bist ja nun ein Delaware, und darum ist dir auch kein Ritt zu wild; wir werden noch weit lustigere zusammen machen. Wo giebt es denn wohl eine größere Lust für den Mann, als auf dem Rücken eines flüchtigen edlen Rosses?«
Der Häuptling gab seinen Leuten nun einen Wink, das Lager aufzuschlagen, die Frauen breiteten für ihn und für Karl weiche Büffelhäute im Grase aus, und in ganz kurzer Zeit darauf hatten sie Leopards Zelt hinter ihm und hinter seinem jungen Freunde aufgestellt. Auch die übrigen Zelte erhoben sich schnell, die Feuer vor denselben loderten empor und die Weiber beeilten sich, das Abendbrot zu bereiten. Der Häuptling teilte Karl nun mit, daß er sich nach einem mehrere Tagereisen von hier gelegenen Handelshause der Vereinigten Staaten begeben wolle, deren die Regierung an der ganzen Grenze des Indianergebiets bis weit nach Norden hin errichtet hatte, damit die Indianer dort alles kaufen und eintauschen könnten, dessen sie bedürftig wären, ohne in die Ansiedelungen der Weißen vordringen zu müssen. Er wollte dort die auf diesem Jagdzuge erbeuteten Häute, das Bärenöl, den Honig und das Wachs, sowie getrocknetes Wildbret verwerten und vielerlei Bedürfnisse für seine Niederlassung am Kansasflusse eintauschen. Dorthin wollte er dann ziehen, um einige Wochen bei den Seinigen zuzubringen, ehe er nach Norden zur Jagd aufbräche. Bald nach dem Abendessen legte Karl sich in dem Zelte zur Ruhe nieder, denn er war sehr ermüdet von den Anstrengungen während des wilden Rittes; ehe ihn aber der erquickende Schlaf umfing, sandte er seine innigsten, liebevollsten Gedanken seinen zurückgelassenen Teuren zu und schloß sie in sein Gebet ein. Mit dem anbrechenden Tage folgte er dem Beispiel sämtlicher Indianer und badete sich in den krystallklaren Fluten des Roten Flusses, wobei er die Geschicklichkeit im Schwimmen bewunderte, welche seine Gefährten besaßen; denn sie schienen ebenso sicher und heimisch im Wasser zu sein wie auf dem Lande. Als die Sonne sich über die flache weite Ferne erhob und ihr goldenes Licht über die endlose grüne Ebene warf, war der Zug schon wieder in Bewegung, und Karl saß abermals auf dem Rücken seines lieben Falben, während sein Rappe einem jungen Indianer zum Reiten übergeben war, damit derselbe ihn vollkommen in Gehorsam bringe. Ununterbrochen führte während dreier langer Tagereisen der Weg der Indianer durch eine offene Grasflur, aus der sich nur hier und dort ein Mosquitobaum, eine dichtbelaubte rote Ulme erhob, und nur an den einzelnen Gewässern, die sie überschritten und die ihre kleinen Wellen dem Kansasflusse zuführten, trafen sie auf dichte, hohe Waldstriche. Am dritten Abend erreichten sie ein solches Wasser und erkannten schon von weitem vor dem Walde, der dasselbe überschattete, eine große Anzahl von hohen, spitzen weißen Zelten, welche das Lager eines bedeutenden Indianerstammes bezeichneten. Bei Annäherung an dasselbe teilte der Häuptling seinem jungen Freunde mit, daß es ein Stamm der Comantschen-Indianer sei, der dort lagere. Bald hatten sie das Zelt des Häuptlings erreicht und wurden von demselben mit großer Aufmerksamkeit und Freundlichkeit begrüßt. Leopard stellte ihm Karl als seinen Freund vor, der mit ihm zu leben beschlossen habe, und teilte ihm mit, daß der schwarze Panther der Delawaren bei Karls Onkel am Bärflusse lebe und niemand diese Niederlassung beunruhigen dürfe, wenn er nicht die Delawaren zu Feinden haben wolle. Der Comantschenhäuptling schien von dieser Mitteilung nicht sehr erbaut zu sein, hatte jedoch nichts dagegen einzuwenden und gab Leopard nur die Versicherung, daß die Comantschen stets gute Freunde der Delawaren bleiben würden. Karl betrachtete mit großem Interesse die Zelte. Dieselben waren von gegerbtem weißen Büffelleder verfertigt, hatten die Form eines Zuckerhutes und maßen auf dem Erdboden zwölf bis vierzehn Fuß Durchmesser, während ihre Höhe gegen sechzehn Fuß betrug. Die Öffnung, welche hinein führte, konnte mit Lederbändern zugebunden werden, so daß man sich im Innern des Zeltes gegen Wind und Kälte geschützt befand. Lange Stangen waren inwendig in den Erdboden eingestochen, die oben zusammenkamen und durch die Öffnung hinausreichten, welche in der Spitze des Zeltes gelassen und welche zugleich als Schornstein diente, da in der Mitte des inneren Raumes bei kaltem Wetter ein Feuer unterhalten wurde. Rund um dasselbe waren die Ruhelager für die Bewohner des Zeltes aus Tierhäuten hergerichtet, und an den Stangen, die dasselbe aufgespannt hielten, hingen Waffen und Gerätschaften des Eigentümers. Die weiße Außenseite aller dieser beweglichen Wohnungen war mit bunten Malereien geziert, welche Schlachten und Gefechte mit wilden Tieren vorstellten.
Zusammengepackt werden diese Zelte auf der Reise von Maultieren getragen, und die langen Stangen, an deren Hals befestigt, von ihnen über Berg und Thal mitgezogen. Karls Aufmerksamkeit wurde gleichfalls durch die große Herde von Pferden und Maultieren angeregt, welche vor dem Lagerplatze in der Weide ging und aus mehr als fünfhundert dieser Tiere bestand. Sie werden von den Indianern teils zum Reiten, teils zum Tragen der Zelte, Gerätschaften und Vorräte benutzt, und bei Gelegenheit auch, wenn Wild mangelt, geschlachtet und gegessen.
Leopard schied nach einer längeren Unterredung mit dem Häuptling der Comantschen im freundlichsten Vernehmen von demselben, bat ihn schließlich noch, allen Indianerstämmen, mit welchen er zusammentreffen möchte, die Mitteilung wegen des schwarzen Panthers zu überliefern, und zog dann noch einige Meilen weiter am Flusse hinauf, um dort zu übernachten. Am folgenden Tage langten die Delawaren bei dem Handelshause der Regierung an und schlugen in nicht großer Entfernung von demselben an dem Flusse, an dessen Ufer jenes gelegen war, ihr Lager auf.
Es war Abend geworden und Leopard sandte einen seiner Krieger an den Vorstand der Niederlassung, um denselben von seiner Ankunft zu unterrichten und ihm wissen zu lassen, daß er wünsche, am nächsten Morgen mit ihm zu handeln. Der Bote kam bald zurück und brachte die Antwort, daß es dem Direktor der Handlung sehr erfreulich sein werde, die Delawaren bei sich zu sehen und sie bedienen zu können.
Mit dem anbrechenden Tage wurden nun alle Vorräte, welche sie mit sich führten, bereit gemacht, und nach dem Frühstück beluden deren Eigentümer ihre Pferde damit, um sie nach dem Handelshause zu schaffen.
Leopard und Karl geleiteten sie auf dem Wege, und nur die Weiber blieben im Lager zurück. Das sogenannte Handelshaus bestand aus einer Menge hölzerner Gebäude, welche in einem Viereck erbaut und mit einer hohen Palissadenwand umgeben waren. Der Eingang führte in einen, gleichfalls von Blockhäusern eingeschlossenen Vorhof, durch welchen man dann erst in den inneren Raum des eigentlichen Forts gelangte, und vor welchem Durchgang zwei kleine Kanonen aufgepflanzt waren, um denselben im Fall eines feindlichen Angriffs durch die Indianer damit zu verteidigen. Der Vorhof war nun stets der Ort, wo die Wilden mit den Beamten der Niederlassung zusammenkamen, um ihre Händel abzuschließen, und wohin die Waren gebracht und ihnen vorgelegt wurden.
Der Direktor des Geschäfts empfing Leopard und seine Begleiter mit großer Freundlichkeit und sagte ihnen, daß sie zu einem sehr günstigen Augenblicke gekommen seien, da er vor wenigen Tagen bedeutende Zusendungen von Waren erhalten habe und sie aufs beste bedienen könne.
Die Indianer übergaben nun einzeln ihre Vorräte dem Geschäftsführer und dieser bestimmte in Gemeinschaft mit Leopard für die Ware eines jeden Mannes den Preis, zu welchem die Handlung dieselbe übernehmen wollte, und von welchem ein gewisser Teil dem Häuptling zukam. Dann nannten die einzelnen Leute die Gegenstände, welche sie zu kaufen wünschten, und welche nun aus dem Fort in den Vorhof gebracht wurden. Dieselben bestanden in grobem feuerroten Tuch, welches die Delawaren benutzten, um ihre Hüften damit zu umbinden, in bunten Baumwollzeugen, seidenen Tüchern, Spiegeln, Perlen, Pfeifen, Waffen aller Art, Pulver, Blei und Tabak. Die Wahlen waren bald getroffen, und Karl wunderte sich dabei über die unerhört hohen Preise, welche seinen Freunden berechnet wurden. Nachdem die Leute sämtlich befriedigt waren, erstand nun auch Leopard für den ihm zugefallenen Anteil an dem Erlös aus den Vorräten der Indianer eine Menge Waren, womit das Geschäft beendigt wurde. Der Direktor machte dann dem Häuptling noch verschiedene Geschenke und bedauerte, daß die Delawaren keine geräucherten Büffelzungen mitgebracht hätten, wofür er augenblicklich einen sehr hohen Preis bewilligen könne, denn dieselben wären in den östlichen Staaten sehr gesucht.
Der Häuptling zeigte sich erfreut über diese Mitteilung und entgegnete dem Direktor, er wolle sofort eine Jagd nach Büffeln unternehmen, die, wenn sie glückte, ihn in den Stand setzen würde, einige Hundert Büffelzungen binnen kurzem hierher zu bringen. Der Händler munterte ihn noch mehr zu dieser Jagd auf und sagte, er würde ihm für die Zungen noch viel schönere Waren vorlegen.
Leopard nahm nun Abschied von ihm, die Leute schafften ihre Einkäufe in das Lager und schon nach wenigen Stunden waren die Delawaren unterwegs nach Westen.
Leopard teilte seinem jungen Freunde mit, daß er nur einen Ort kenne, wo er die beabsichtigte große Jagd auf Büffel ausführen könne; es frage sich nur, ob er zahlreiche Herden dieser Tiere dort antreffen werde. Wäre dies der Fall, so wolle er sie mit seinen Kriegern einer tiefen Schlucht zutreiben, in welche sie hinunterstürzen und sich zu Hunderten töten würden.
Karl war sehr gespannt auf diese neue Art von Jagd, und der Häuptling mußte ihm viel über solche, früher schon gehaltene erzählen.
Nach scharfem Reiten während zweier Tage gelangten sie an ein kleines Wasser, welches von schmalen Waldstreifen überschattet war. Hier wurde noch vor Sonnenuntergang das Lager aufgeschlagen, der Häuptling aber bestieg seinen Schimmel, Karl seinen Rappen, welcher während des heutigen Tagesmarsches nicht geritten war, und beide eilten einer Höhe zu, die, einige Meilen von dem Lager entfernt, sich weiter nach Westen in der Prairie erhob. Leopard wollte sehen, ob auf der Ebene jenseits des Hügels Büffel weideten, denn dort war der Platz, wo er die Jagd zu halten beabsichtigte. Schon auf dem Wege nach der Höhe trafen die beiden Reiter viele Büffel an, links und rechts konnte man bis in die weiteste Ferne Herden dieser Tiere erkennen, und als sie die Höhe erreichten, von wo ihnen sich die Aussicht nach Westen öffnete, fanden sie zu ihrer Freude ihre Hoffnungen erfüllt. Soweit das Auge reichte, war die Grasfläche mit Büffelherden bedeckt. Der Häuptling bezeichnete Karl nun am fernen Horizont eine Gruppe hoher Bäume und sagte ihm, daß dort die Schlucht sich befinde und daß sie sich eine Meile lang ausdehne. Dorthin sollte morgen nun die Jagd gemacht werden, und mit dem Wunsche, daß sie am folgenden Tage noch ebenso viele Büffel hier antreffen möchten, traten die beiden Reiter ihren Rückweg an.
Im Lager herrschte an diesem Abend große Thätigkeit: die Männer setzten ihre Waffen in besten Stand und die Weiber sahen das Sattelzeug genau nach und verbesserten alle Schäden an demselben. Viele waren aber damit beschäftigt, ein Gestell aus leichtem Weidenholz zu flechten, welches, wenn eine Büffelhaut darüber gehangen wurde, die ungefähre Form eines Büffels hatte. Dieses Gestell sollte bei der Jagd einer der Delawaren auf dem Kopfe tragen und den Büffelherden den Weg nach der Schlucht zeigen. Hierzu war der beste Läufer, ein schlanker, kräftiger junger Bursch, gewählt, und nachdem das Gestell fertig war, hing er die Büffelhaut darüber, hob es auf seinen Kopf und rannte damit zur Belustigung aller in den tollsten Sprüngen im Lager umher, während ihm von allen Seiten der lauteste Beifall gezollt wurde. Namentlich war Karl sehr überrascht, als plötzlich dies Ungeheuer um das Feuer des Häuptlings, bei welchem er ruhte, herumgaloppiert kam und der Indianer, der in ihm steckte, die fürchterlichsten Töne dabei ausstieß. Leopard war sehr mit der Ausführung dieses nachgeahmten Büffels zufrieden und sagte dem Burschen, der die Vorstellung gab, daß er einen doppelten Anteil an der Beute haben sollte, wenn die Jagd gut ausfiele. Nachdem das Abendbrot eingenommen war und man sich zur Ruhe begab, bestieg jener junge Krieger sein Pferd, legte die große Büffelhaut unter sich über den Sattel, nahm das Gestell auf seine Schultern und ritt davon, um auf einem weiten Umwege von Westen her die Schlucht zu erreichen, wohin die Jagd gemacht werden sollte. Auf diesem Wege beunruhigte er die Büffelherden an dieser Seite der Schlucht nicht, und er war morgens frühzeitig auf seinem Posten, um seine Rolle als Büffel zu spielen.
Beim ersten Grauen des Tages bestiegen die Delawaren nun ihre besten Pferde und ritten, von Leopard auf seinem Schimmel und Karl auf dem Falben geführt, nach der Anhöhe, welche der Häuptling am Abend zuvor besucht hatte. Es war noch nicht ganz Tag, als sie dort anlangten und die ganze Ebene bis nach der viele Meilen entfernten Schlucht mit Büffelherden bedeckt fanden. Viele dieser Tiere hatten sich noch nicht erhoben und ruhten sorglos in dem frischen, jungen Grase. Der Häuptling sandte seine Krieger nun zur Rechten und zur Linken ab, um in einem weiten Halbzirkel die Herden zu umstellen. Er selbst blieb mit Karl auf dem Hügel halten, und sie folgten mit den Blicken den davonreitenden Jägern, von denen von Zeit zu Zeit einer stehen blieb, um die Treiblinie zu bilden. Bald aber verschwanden die Weiterziehenden in der Ferne und ihre Richtung wurde durch heraneilende Büffelherden bezeichnet, welche, durch sie aufgeschreckt, vor ihnen flohen. Die Herden auf der Ebene nach der Schlucht hin zeigten aber keine Unruhe und die neu herankommenden begannen gleichfalls zwischen ihnen zu weiden. Als es heller Tag geworden war, sagte der Häuptling zu Karl: »Sieh jetzt einmal durch dein Glas nach der Schlucht hin, ob du vor derselben einen einzelnen Büffel gewahren kannst, das würde unser Mann mit dem Gestell auf dem Kopfe sein. Er wird sich dort in der Gegend aufhalten und erst, wenn die Büffel, von uns gejagt, angestürmt kommen, der Schlucht zufliehen, damit die Herden ihm folgen.«
Karl sah lange Zeit nach den bezeichneten Bäumen hin, die sich am Horizont erhoben, konnte aber keinen einzelnen Büffel in deren Nähe erkennen. Der Häuptling hatte währenddem, mit der Hand über den Augen, gleichfalls unverwandt hingeblickt und sagte plötzlich: »Ich glaube, ich sehe ihn, dort ist wenigstens ein schwarzer Punkt, und ich meine, derselbe habe sich den Bäumen etwas genähert. Gieb mir dein Glas!«
Er nahm nun das Fernrohr aus Karls Hand und hatte nur kurze Zeit hindurchgesehen, als er sagte: »Freilich ist es unser Mann, er steht gerade in der Mitte vor der Schlucht. Jetzt wirst du ihn auch erkennen können, suche ihn rechts von den Bäumen.«
Karl nahm nun das Fernglas und hatte kaum hindurchgeblickt, als auch er den nachgeahmten Büffel erkannte, der sich jenseits der Herden vor der Schlucht aufgestellt hatte.
Von links und rechts kamen immer noch Büffel angezogen und der Häuptling spähte nach den beiden äußersten Enden des Halbzirkels, in welchem seine Leute von beiden Seiten heranreiten sollten. Bald erschienen denn auch die letzten derselben wie dunkle Punkte in weiter Ferne, sie bewegten sich der Schlucht zu und man konnte nun den ganzen Bogen, welchen die Delawaren beschrieben, vom Hügel herab übersehen. Plötzlich ließ der Häuptling sein gellendes Jagdgeschrei ertönen und auf der ganzen Linie zu beiden Seiten wurde es dann auch von den Treibern angestimmt. Zugleich setzten alle ihre Rosse in Galopp und stürmten der Schlucht entgegen, während die wilden Jagdrufe die sorglosen Büffel auf der ganzen Ebene aufscheuchten und alle vor den heranjagenden Reitern die Flucht ergriffen. In sausender Carriere folgte die ganze Linie der Indianer den fliehenden Herden, die von beiden Seiten immer näher zusammengedrängt und von hinten im Sturmlauf vorwärts getrieben wurden. Je mehr die Indianer sich der Schlucht näherten, um so enger rückten sie in ihrer Linie zusammen und um so lauter und fürchterlicher ertönte ihr Jagdgeschrei. Nur einzelne Büffel wandten sich gegen die Linie und wurden von den Kugeln der Indianer begrüßt. Keiner von diesen aber hielt sich um einen verwundeten oder getöteten Büffel auf, alle blieben in der Nähe und folgten den Herden in wilder, tobender Jagd. Auch Karl schoß mehrere Büffel nieder, sprengte aber immer mit dem Häuptling vorwärts und ließ seinen Jagdruf aus Leibeskräften erschallen.
Während dieser Zeit stand der Indianer mit der Büffelhaut über dem Kopfe einige tausend Schritte vor der Schlucht auf der Grasflur aufgestellt und schaute nach den aus der Ferne heranstürmenden Büffelherden. Wie Donner kam es mit ihnen herangezogen und die Erde begann unter den Füßen des Indianers zu beben. Er ging jetzt hin und her, hielt aber seinen Blick immer auf die vorderste Herde gerichtet und suchte durch wiederholte Sprünge deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Sie kam auf ihn zu und nun setzte er sich langsam in Trab, blickte sich aber immer wieder um, damit die wilden Scharen ihm nicht zu nahe kommen möchten. Er beeilte bald mehr und mehr seine Schritte und sah zu seiner großen Freude, daß die vorderste Herde ihm geraden Weges folgte. Jetzt aber setzte er sich in raschen Lauf, denn Rippe an Rippe kamen die entsetzten Tiere in so rasender Flucht herangejagt, daß, wollte er nicht unter ihren Füßen zermalmt werden, er keine Sekunde mehr verlieren durfte. In fliegenden Sprüngen setzte er vor dem ihm folgenden Tiergewoge über die Prairie der Schlucht zu und erreichte deren steilen Abhang, als nur noch fünfzig Schritte zwischen ihm und den Büffeln lagen. Ein Busch auf dem Abhange bezeichnete ihm die Stelle, wo er sicheren Schutz zu finden wußte; denn dort führte ein schmaler Fußsteig, den die Indianer in die Felswand eingehauen hatten, zehn Fuß an derselben hinab und in eine Höhle, die sich dort tief in den Felsen erstreckte. Der Pfad war so schmal, daß ein Mensch ihn nur mit Lebensgefahr betreten konnte, denn neben demselben schoß der Abhang mehrere hundert Fuß senkrecht hinunter. Der Indianer hatte den Busch über dem Pfad erreicht, warf das Gestell mit der Büffelhaut über den Kopf in den Abgrund hinunter, kletterte auf den Pfad hinab und saß wenige Augenblicke später sicher geborgen in der Höhle. Die Felswand schien unter der Wucht der heranstürmenden Scharen zu wanken, das Donnerdröhnen der Tritte hatte den Abhang erreicht und jetzt sah der Indianer die Riesentiere brüllend über sich durch die Luft fliegen und vor sich in die Schlucht hinabstürzen. Tausende von Büffeln wurden jetzt von den ihnen folgenden Reitern gegen den Abhang gejagt; zu spät wurden ihre vorderen Reihen denselben gewahr, denn ehe sie sich in ihrem Sturmlauf aufhalten und von der Schlucht sich abwenden konnten, drängten sie die folgenden Massen über den Felsrand hinaus. Nach wenigen Minuten aber hatte das wilde, verworrene Tiergewoge Halt gemacht und Leopard rief seinem jungen Freunde zu:
»Zurück, zurück, folge mir, laß dem Falben die Zügel!« und fort jagten beide, und links und rechts sämtliche Delawaren mit ihnen, denn jetzt waren die Büffel die Angreifer und die Jäger die Gejagten. Mit lautem Wutgebrüll kamen die erzürnten kolossalen Tiere gesenkten Kopfes herangebraust und verfolgten ihre Feinde weit über die Grasflur, bis sie sich überzeugten, daß sie die flüchtigen Pferde nicht einholen konnten. Dann stampften sie, ihnen nachblickend, den Boden und ließen ihr Siegesgebrüll ertönen.
In weitem Bogen führte der Häuptling nun seine Schar im Galopp dem Ende der Schlucht zu, wo dieselbe sich in der Prairie erweiterte und abflachte, und dann ritten die Jäger in derselben hinauf, um zu ihrer Beute zu gelangen. Je weiter sie zwischen den beiden Felswänden vordrangen, um so höher erhoben sich dieselben, um so mehr näherten sie sich einander. Schon von weitem sahen die Jäger die schwarzen Massen der herabgestürzten Büffel in der Schlucht liegen und bald erkannten sie, daß viele derselben sich noch hin und her warfen und aufzustehen versuchten. In einer Länge von fünfhundert Schritten lagen unter der Felswand zwischen drei- und vierhundert Büffel, und hoch über ihnen sah der Indianer aus der Felsspalte hervor und bewillkommnete seine Kameraden bei der reichen Jagdbeute mit lauten Jubelrufen. Die noch lebenden Tiere wurden schnell getötet und dann begaben sich die Indianer eilig an die Arbeit, allen Büffeln die Zunge auszuschneiden. Nur wenige wurden ihrer Häute beraubt, alle aber den Geiern und Wölfen zum Schmause überlassen; denn kaum hatten die Jäger die Zungen der Büffel an ihren Sätteln hängen, so ging es ohne Aufenthalt nach dem Lager zurück, um die Beute den Frauen zum Trocknen und Räuchern zu übergeben. Zu so hoher Begeisterung Karl auch in der Aufregung der großartigen Jagd hingerissen wurde, so war ihm doch der Anblick der ungeheuren Zahl von gemordeten Tieren, die ihr Leben nur ihrer Zunge wegen hatten hingeben müssen, abschreckend und widrig gewesen und er war froh, die Schlucht hinter sich zurückzulassen und seinen Blick an dem freundlichen Bilde zu weiden, welches die saftig grüne Fläche mit ihren tausendfarbigen Blumen ihm bot. Die Frauen hatten im Lager nun schon die nötigen Gerüste über Kohlenfeuern aufgestellt, um die Zungen darüber zu räuchern und zu trocknen, und mit großem Jubel bewillkommneten sie die glücklichen Jäger und nahmen deren Beute in Empfang. Der Tag verstrich in großer Thätigkeit und es wurde während desselben an keine weitere Jagd gedacht. Am folgenden Morgen aber forderte der Häuptling Karl auf, einen Gang mit ihm an dem Wasser hinab zu machen, da dessen Ufer immer reich von Wild belebt seien. Karl war schnell bereit, ergriff seine Büchse und verließ mit dem Häuptling das Lager, nachdem dieser seine Leute ersucht hatte, nicht gleichfalls am Flusse hinab zu jagen, sondern lieber die entgegengesetzte Richtung zu wählen. Er ließ dann Karl in den Waldstrich an dem linken Ufer gehen und begab sich selbst durch das seichte Wasser an dessen andere Seite, weil, wie er sagte, dort zu viel Röhricht stehe und Karl sich leicht darin verirren könne. Ehe sie sich trennten, bezeichnete er einen Ort, wo sich die Prairie bis an das Wasser in den Wald hinein erstrecke; dort sollte Karl auf ihn warten. Wohl eine halbe Stunde lang war dieser hin und her in dem ziemlich lichten Gehölz fortgeschritten, ohne irgend ein Wild zu Gesicht zu bekommen, da rauschte es plötzlich neben ihm in dem Röhricht am Wasser, es krachte und brach darin und eine schwere, dunkle Masse stürzte aus dem Dickicht hervor. Karl war hinter einen Baum gesprungen und erkannte jetzt einen schwer verwundeten, riesigen Büffel, der sich wahrscheinlich nach der gestrigen Jagd hierher geflüchtet und das Wasser aufgesucht hatte, um darin seine Wunden zu kühlen. Karl schoß nach ihm, doch da das Tier sich dennoch mühsam fortschleppen wollte, so gab er ihm seine zweite Kugel, welche dasselbe nun völlig tötete.
In diesem Augenblicke fiel an der andern Seite des Wassers in nicht großer Entfernung ein Schuß und Karl schaute nach der Richtung hin, von wo der Schall gekommen war. Da hörte er die gellende Stimme des Häuptlings und erkannte deutlich, daß er seinen Namen rief. Mit wenigen Sätzen hatte er durch das seichte Wasser hin das jenseitige Ufer erreicht und brach sich gewaltsam Bahn durch das Röhricht, während der Hülferuf des Häuptlings immer lauter, immer dringender zu ihm herüberdrang. Das Dickicht war aber zu sehr mit Ranken durchschlungen, als daß Karl sich hätte schnell vorwärts bewegen können, und der sumpfige Boden, in dem er oft bis an die Kniee einsank, hinderte noch mehr seine Eile. Endlich ward es licht, er hatte einen offenen Grasfleck erreicht und hörte nun von dessen anderer Seite her den Ruf Leopards ganz nahe aus dem Röhricht erschallen.
Karl stürzte sich in dasselbe hinein, bog es mit allen Kräften links und rechts zur Seite und sprang plötzlich in eine offene Stelle, wo vor ihm auf dem Boden der Häuptling lag und mit einem ungeheuren Panther rang, der auf ihm saß und seinen Hals zu ergreifen trachtete. Leopard wehrte das grimmige Tier mit seiner linken Hand von sich ab, während sein rechter Arm mit Blut bedeckt machtlos in dem Grase hing. Mit einem Satze warf sich Karl auf das wütende Tier und stieß ihm sein langes Jagdmesser in die Seite. Der Panther fuhr herum und schlug seine furchtbaren Tatzen in die Schulter seines neuen Gegners, doch Karls Messer fand mit dem zweiten Stoße das Herz des Raubtiers und streckte es tot zu Boden. Jetzt erst erkannte der Knabe, daß der Häuptling auf einem zweiten Panther lag, welchem der Kopf gespalten war. Leopard sank mit einem dankbaren Blick nach seinem Retter in das Gras zurück und verlor die Besinnung; Karl aber nahm schnell sein Tuch hervor und verband damit die Wunden an dem rechten Arme Leopards, aus welchem das Blut noch immer frisch hervorquoll. Dann holte er Wasser in seinem Hute herbei und wusch seinem Freunde die Schläfe und die Brust, bis derselbe die Augen wieder aufschlug. Der Häuptling deutete auf seinen rechten Schenkel, und als Karl denselben untersuchte, fand er mehrere sehr arge Wunden daran, die das Raubtier mit den Hintertatzen geschlagen hatte. Der Knabe wollte sein Hemd ausziehen, um dasselbe zum Verbinden dieser Wunden zu verwenden, da sah er das Tuch, welches der Häuptling um den Kopf getragen hatte, im Rohr hängen; er holte es schnell herbei und wand es sorgfältig um das verwundete Bein. Dann brachte er abermals Wasser in seinem Hute, um seinen Freund damit zu erfrischen, und fragte ihn nun, was er thun sollte, damit er ihn in das Lager schaffe. Leopard bat ihn mit matter Stimme, seine Büchse zu laden und sie neben ihm niederzulegen, da er im Notfall dieselbe auch mit der linken Hand würde abfeuern können; denn seine rechte war er nicht im stande zu erheben. Karl erfüllte seinen Wunsch; und als ihn Leopard nun aufforderte, in das Lager zurückzueilen, lud Karl auch noch sein eigenes Gewehr, legte es bei dem Verwundeten nieder und sprang dann auf dem Wege, den er gekommen war, so schnell ihn seine Füße tragen konnten, wieder zurück nach dem Lager. Die Wunden an seinem eigenen Arm beachtete er gar nicht, obgleich sie ihn schmerzten und das Blut aus dem Ärmel bis auf seine Hand geflossen war.
Die Nachricht von dem Unglück, welches Leopard betroffen hatte, verbreitete großen Schrecken unter den Delawaren, die Kräftigsten von ihnen schlossen sich Karl sofort an und er mußte sie zu ihrem Häuptling führen. Sie fanden denselben durch den bedeutenden Blutverlust sehr entkräftet, verfertigten schnell eine Trage, legten ihn auf dieselbe und hoben die Bahre auf ihre Schultern.
Leopard trug einem der Delawaren auf, die Häute der beiden Panther mitzunehmen und auch die eines jungen Panthers, welchen er ihm in dem Röhricht bezeichnete, wo derselbe tot lag. Darauf setzte sich der Zug in Bewegung und langte nach Verlauf einer Stunde in dem Lager an. Die Männer sowie die Frauen sammelten sich traurig um ihren geliebten Häuptling, er wurde in sein Zelt getragen, dort auf weichen Häuten gebettet und zwei Indianerinnen legten nun Kräuter in die Wunden und verbanden dieselben dann von neuem. Sie kochten auch einen Kräuterthee für ihn, den sie ihm von Zeit zu Zeit zu trinken gaben, und blieben während der ganzen folgenden Nacht bei ihm sitzen, um seine Schmerzen zu lindern und den Verband seiner Wunden häufig zu erneuen. Sie hatten auch Karl verbunden, der nun gleichfalls nicht von der Seite des Häuptlings wich, und dieser hielt oft lange Zeit des Knaben Hand in seiner Linken und schaute ihn mit dankbarem Blicke dabei an. Gegen Morgen versank Leopard in einen tiefen Schlaf, aus dem er erst erwachte, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Er fühlte sich sehr gekräftigt, rief Karl lächelnd zu sich heran, und nachdem derselbe sich neben ihm niedergelassen hatte, erzählte er ihm, in welcher Weise er am Tage vorher so zu Schaden gekommen war. Er sagte, es sei seine eigene Schuld gewesen und er verdiene die Schmerzen, die er sich selbst zugezogen habe.
Während er in dem Walde spähend vorwärts geschritten war, hatte er plötzlich an dem Saume des Rohrdickichts einen jungen Panther erblickt und hatte, ohne sich zu bedenken, nach ihm gefeuert. Das Tier war verwundet in das Röhricht hineingeeilt und Leopard war ihm nachgesprungen, hatte es eingeholt und hatte es mit einem Schlage seiner Streitaxt getötet. In demselben Augenblicke aber waren die beiden alten Panther durch das Röhricht auf ihn zugestürzt und es war ihm gelungen, dem einen mit der Axt den Kopf zu spalten. Der andere aber hatte seinen rechten Arm dann so zerrissen, daß ihm die Waffe aus der Hand gefallen war, und nun hatte ihn das Tier zu Boden geworfen, und nur mit größter Not war es ihm möglich gewesen, dasselbe von seinem Halse abzuwehren.
Nachdem der Häuptling den Verlauf der Begebenheit Karl mitgeteilt hatte, ergriff er dessen Hand und sagte:
»Du hast den obersten Häuptling der Delawaren seinem Volke erhalten, du hast deinem Freunde das Leben gerettet und hast dabei dein eigenes gewagt; denn hätte dein Messer das Herz des Panthers verfehlt, so wärst du verloren gewesen. Der einzige Griff des Tieres auf deine Schulter hat dir schon tiefe Wunden geschlagen, wenn sie auch zum Glück nicht so bedeutend sind, wie die meinigen. Hättest du mich nicht von dem Raubtier befreit, so würde es mich nach wenigen Minuten erwürgt haben, denn meine Kräfte gingen zu Ende. Du hast ein großes Herz für Freundschaft und für Dankbarkeit, doch auch die Herzen der Delawaren sind nicht klein dafür.«
Diese letzten Worte sagte der Häuptling mit einer feierlichen Betonung und drückte Karl dabei bedeutungsvoll die Hand.
Die ungeschwächte Gesundheit, wie sie nur der Indianer besitzt, ließ die Wunden Leopards schnell heilen und nach Verlauf von einigen Wochen war er wieder im Besitz seiner vollen Kraft. Das Lager war abermals nach dem Handelshause verlegt und die Büffelzungen zu hohen Preisen an dessen Vorstand verwertet.
Der Häuptling hatte niemals wieder in Karls Gegenwart des Ereignisses mit den Panthern erwähnt und niemals wieder von seinem Dank für die Hilfe des Knaben geredet. An dem Abend, nachdem er den Handel über die Büffelzungen abgeschlossen hatte und mit Karl allein bei dem Feuer vor seinem Zelte lag, sagte er zu diesem:
»Ich habe einen langen Ritt zu machen, um ein für mich sehr wichtiges Geschäft abzuschließen; ich werde morgen zeitig die Reise antreten. Du sollst mich begleiten, denn ich hoffe, daß du mir große Dienste dabei erweisen wirst.«
»Du weißt es ja, Leopard, wie gern ich dir diene, wenn nur meine Fähigkeiten dazu ausreichen werden,« antwortete Karl mit freudigem Blick.
»Sie werden ausreichen, wenn du nur den guten Willen dazu hast, mir zu helfen, und davon bin ich ja unbedingt überzeugt. Es werden mich nur wenige meiner Leute begleiten und sie sollen mir meinen Schimmel und dir deinen Rappen nachführen; denn uns beiden steht ein scharfer Ritt bevor. Du machst ja gern einen lustigen Ritt!«
»Solange meine Kräfte ausdauern, bleibe ich bei dir, mag es hingehen, wohin es will,« entgegnete Karl mit funkelnden Augen und sah sich in Gedanken schon wieder in wilder Jagd auf der endlosen Prairie.
»Gut, ich werde dich auf die Probe stellen,« sagte der Häuptling lächelnd und wandte dann das Gespräch auf andere Dinge.
Am folgenden Morgen, noch ehe die Sonne über die Erde blickte, saß Leopard sowie auch Karl schon zu Roß und vier junge Krieger schwangen sich in ihre Sättel, um ihrem Häuptling zu folgen. Zwei von ihnen leiteten den Schimmel desselben und den Rappen seines jungen Freundes. Unter tausend Glückwünschen der Zurückbleibenden verließen sie das Lager und nahmen eine südöstliche Richtung. Leopard war ernst und schweigsam, was Karl mit der Wichtigkeit des abzuschließenden Geschäftes erklärte; die neuen Gegenden, die Wälder in ihrem Frühlingsschmuck, die Grasfluren in ihrer Farbenpracht, die Gewässer mit ihren Fischen, das unzählige Wild aber fesselten fortwährend die Aufmerksamkeit des Knaben und unterhielten seinen lebendigen, für alles Schöne hoch empfänglichen Geist. Vier Tage lang hielten sie ihre Pferde von dem Grauen des Morgens bis in die Nacht hinein in eiligem Gange, und als am vierten Abend die Dunkelheit sich über die Gegend legte, sagte der Häuptling zu Karl, daß sie noch einige Stunden zu reiten hätten. Die Nacht war sternenhell und die Reiter erreichten bald einen hohen Wald, an dessen Saum sie mehrere Stunden lang hinzogen. Dann gelangten sie an einen ausgetretenen, uralten Büffelpfad, welcher in den Wald hineinführte. Hier stieg Leopard ab und seine Begleiter folgten seinem Beispiele, um die Pferde zu leiten, da man der Ranken wegen namentlich in der Dunkelheit nicht zu Roß in den Wald eindringen konnte. Schweigend schritt der Häuptling voran und machte während des Gehens seine Begleiter nur darauf aufmerksam, wenn ihm ein Hindernis in den Weg kam. Nach einer halben Stunde gelangten sie im Walde an einen Fluß, wo Leopard bestimmte, die Nacht zuzubringen.
Schnell war ein Feuer angezündet, die Pferde wurden in den wilden Roggen gebunden, der den Boden des Waldes hier bedeckte, und die Reiter erquickten sich mit einem Stück Hirschfleisch, welches sie am Feuer rösteten, sowie mit dem frischen Trunk, den ihnen die krystallhelle Flut des Flusses bot. Es schien, daß Leopard mit jedem Tage ernster und schweigsamer geworden war, ohne jedoch seine innige Herzlichkeit gegen Karl zu beeinträchtigen. Auch an diesem Abend redete er nicht viel, wünschte dem Knaben, bald ruhig zu schlafen, drückte ihm herzlich die Hand und streckte sich dann auf seiner Satteldecke aus. Am folgenden Morgen wurde es spät, ehe sich der Häuptling von seinem Lager erhob, und auch dann noch schien er keine Eile zu haben, die Weiterreise anzutreten. Das Frühstück verzögerte er augenscheinlich absichtlich, und als endlich die Sonne ihre Strahlen durch die Baumkronen auf das Lager warf, sagte er zu Karl:
»Wir beide haben heute einen kurzen, aber scharfen Ritt zu machen: Du sollst dabei meinen Schimmel reiten, damit du mir nicht zurückbleibst, es wird ein heißes Rennen werden.«
Karl sah ihn verwundert an, denn außer Leopard selbst hatte er noch nie einen Menschen auf dem Rücken seines Schimmels gesehen und er glaubte beinahe, daß der Häuptling sich versprochen habe.
»Ich soll deinen Schimmel reiten?« fragte der Knabe erstaunt.
»Jawohl, meinen Schimmelhengst, und ich hoffe, daß du ihm als Reiter Ehre machen und mir nicht erlauben wirst, ihn einzuholen; denn das ist bis jetzt noch keinem Rosse möglich gewesen.«
»Es soll an mir nicht liegen, du wirst zufrieden mit mir sein,« entgegnete Karl freudestrahlend; denn auf die Ehre, den Schimmel zu reiten, hatte er nicht gehofft. Derselbe wurde nun statt des Falben gesattelt, Karl mußte ihn besteigen, Leopard schwang sich auf sein Roß und der Fluß, in welchem das Wasser nicht tief war, ward überschritten. Der Wald wurde hier lichter, so daß die Reiter nicht abzusteigen brauchten und ihre Pferde in raschem Schritte halten konnten. Bald sah man durch die Laubmassen die Prairie liegen und nach wenigen Minuten hielt Leopard an dem Ausgange aus dem Walde sein Pferd an.
»Jetzt mußt du mir voranreiten, unser Rennen wird von hier aus beginnen, ich hoffe, du läßt dich nicht von mir einholen,« sagte er zu Karl mit einem strahlenden Blicke.
»Wohin wollen wir denn reiten?« fragte Karl verwundert.
»Reite nur hinaus, dann wirst du schon die Richtung finden,« entgegnete der Häuptling und zog sein Pferd zur Seite, um dem Knaben Raum zu geben.
Karl ritt, erstaunt um sich sehend, unter dem letzten Baume hervor, warf einen Blick am Waldsaume hin und schrie:
»Großer Gott – das Fort!«
»Vorwärts!« rief der Häuptling und dahin sauste Karl auf dem Schimmelhengst, als flöge er über das Gras, dem heimatlichen Hügel zu, auf dem das Fort seines Onkels stand, und hinter ihm her stürmte der Häuptling in gestrecktem Laufe.
Karl wollte rufen, wollte schreien, die Stimme aber versagte ihm, und statt der Worte von seinen Lippen flossen die Freudenthränen von seinen Augen. Der Häuptling aber hinter ihm ließ das Jagdgeschrei der Delawaren ertönen, daß es laut und jubelnd nach dem Fort hinaufschallte und dessen Bewohner erschrocken in das offene Thor rief.
Karl sah die Seinigen, wie sie die Hände nach ihm ausstreckten; auch er breitete jauchzend ihnen seine Hände entgegen, und der Häuptling hielt sein Roß im Laufe zurück und winkte mit dem Tuche durch die Luft, um jeden Schein von Feindseligkeit zu beseitigen. Der Schimmel flog am Hügel hinauf, Turners rissen den geliebten Knaben vom Pferde, er verschwand in ihren Umarmungen, und Daniel hielt mit einer Hand den Schimmel und streckte die andere zwischen seinen überglücklichen Freunden nach seinem geliebten Karl aus, um wenigstens dessen Arm zu erfassen. Das unverhoffte Glück, die Seligkeit des Wiedersehens überwältigte alle für den Augenblick so sehr, daß sie nicht bemerkten, wie der Häuptling unbeweglich neben ihnen stand und selbst das Glück, welches er hier geschaffen hatte, wonnig in sein Herz einziehen ließ; als aber der erste Freudenrausch verwogte und die Blicke der Beseligten sich fragend auf ihn richteten, hob er mit ernster Stimme an:
»Der Knabe hat dem Manne Freundschaft und Dankbarkeit gelehrt, er ist dem Häuptling der Delawaren ein treuer Freund gewesen, er hat ihm das Leben gerettet und das Herz des Leoparden enthält jetzt nicht weniger Freundschaft und Dankbarkeit, als das Herz des Knaben. Der Delawarenhäuptling giebt seinen Freund Karl dessen Lieben zurück, er schenkt ihm sein bestes Roß, seinen Schimmelhengst, und er erteilt dem schwarzen Panther die Freiheit, damit derselbe nun seinen Freund Karl niemals verlasse. Der schwarze Panther ist und bleibt ein Delaware, und wer seine und seiner Freunde Ruhe stört, der wird der Todfeind der Delawaren sein.«
Kaum hatte der Indianer aber die letzten Worte gesagt, so warf sich Karl ihm an die Brust und umschlang seinen Nacken unter heißen Thränen des Dankes und des Glücks, und Turners sämtlich und der Neger drückten den hochherzigen Indianer an ihre Herzen und stammelten unter Freudenthränen ihren Dank hervor.
»Mein Herz ist nun wieder froh und meine Zunge wieder leicht; Leopard hat jetzt viele Freunde am Bärflusse!« sagte der Häuptling, überwältigt von dem Wonnegefühl, mit welchem das von ihm geschaffene Glück seine Brust füllte.
Er ließ sich von seinen Freunden nun in das Fort führen, wo sie ihn jubelnd und jauchzend willkommen hießen. In Freude und glücklicher Eintracht verbrachte er hier den Tag, schlief mit Karl in einem Zimmer und sagte am folgenden Morgen seinen Freunden mit dem Versprechen Lebewohl, sie zweimal im Jahre zu besuchen.
Fünf Jahre später, während welcher Zeit der Verfasser dieses Buches wiederholt aus dem Munde des Delawarenhäuptlings Begebenheiten aus dem Leben Karl Scharnhorsts vernommen hatte, besuchte er selbst die Familie Turner in ihrer Niederlassung am Bärflusse und erfuhr dann von ihnen und von Karl Scharnhorst selbst ihre Schicksale, die in diesem Buche geschildert sind.
Das Fort war verschwunden, ein freundlicheres, von blühenden Lianen umschlungenes Haus stand statt seiner auf dem Hügel und wurde von Turner, dessen Gattin und ihren beiden Söhnen bewohnt.
Das Feld war weit in die Prairie am Pflaumenbache hinauf ausgedehnt und teils mit Mais, teils mit herrlicher Baumwolle bestellt.
Julie war an den zweiten Sohn Warwicks am Choctawbache verheiratet und Karl Scharnhorst hatte seine eigene Farm an der anderen Seite des Pflaumenbachs gegründet, die er mit Daniel musterhaft bewirtschaftete. Die Prairie vor beiden Niederlassungen war mit herrlichen Viehherden belebt, alles in und um die Ansiedelungen zeugte von Wohlhabenheit und glücklichem, ungestörtem Frieden der Eigentümer, und in einer großen Einzäunung vor Karls Hause weideten der Falbe, der Rappe und der Schimmel.
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