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In Deutschland. – Das Frühjahr. – Die Fahrt mit dem Hunde. – Der Sonnenaufgang. – Karl Scharnhorst an dem Felsabhange. – Die Gesellschaft. – Die Schreckensbotschaft. – Freunde im Glück.
In dem schönen, gesegneten Werrathale lebte eine Familie, Namens Turner, die aus den beiden Eltern, zwei Söhnen und einer Tochter bestand. Herr Max Turner war Ökonom und hatte ein kleines Gut, die Kluse genannt, in Pacht, welches einer alten Adelsfamilie als Eigentum angehörte. Schon sein Urgroßvater hatte dieses Gut pachtweise besessen, die Pacht war immer vom Vater auf den Sohn übertragen worden, und so war auch Herr Max Turner in dieselbe eingetreten. Über hundert Jahre befand sich die Kluse nun schon in den Händen der Familie Turner, so daß diese das Gut als ihr Eigentum betrachtete, von welchem sie jährlich eine gewisse Summe Geldes an jene adlige Herrschaft abzugeben hatte. Es war niemals von einer anderweitigen Verpachtung die Rede gewesen, und als vor mehreren Jahren die Güter in Deutschland bedeutend im Werte stiegen, hatte sich Herr Turner auch gern dazu verstanden, seiner Herrschaft einen angemessen höheren Pacht zu zahlen. Die Kluse lag kaum eine Viertelstunde von der Werra entfernt in einem engen, reich bewässerten Thale, welches sich nach dem Strome hin öffnete und zu beiden Seiten von hohen Bergen eingeschlossen war. Großes Vermögen hatten die Turners nie erworben, dazu bot das kleine Gut die Mittel nicht; doch hatten sie ihren Pacht immer pünktlich entrichtet, hatten ohne große Sorgen gelebt, ihren Kindern stets eine gute Erziehung geben lassen und dabei eine kleine Summe baren Geldes zurückgelegt, wie man zu sagen pflegt für böse Tage, die da kommen könnten. Ebenso stand es nun mit Herrn Max Turner. Auch er besaß kleine Kapitalien, die er in dem nahen Städtchen auf Grundstücke ausgeliehen hatte; er lebte zufrieden und ohne Sorgen und bot alles auf, um seine Kinder soviel als möglich lernen zu lassen; denn er war der Ansicht, daß eine gute Erziehung bei reichen Kenntnissen mehr wert sei als alles Vermögen. »Wer etwas Tüchtiges gelernt hat,« sagte er oft, »der führt ein Kapital mit sich, das ihn in jeder Lage seines Lebens und unter allen Verhältnissen ernährt und welches ihm niemand nehmen kann.« Seine vierzehnjährige Tochter Julie war sein ältestes Kind; darauf folgte ein Sohn, Arnold, im Alter von elf Jahren, und Wilhelm, der zweite Sohn, hatte sein neuntes Jahr erreicht. Außerdem befand sich noch ein Knabe in der Familie, welcher gleichfalls zu derselben gezählt wurde und Karl Scharnhorst hieß. Seine Mutter, die Schwester des Herrn Turner, war an einen Doktor Scharnhorst verheiratet gewesen; beide waren vor mehreren Jahren gestorben, und Karl Scharnhorst wurde als Waise von seinem Onkel in die Familie aufgenommen und als eignes Kind betrachtet und behandelt. Karl war vierzehn Jahre alt und ein Knabe von ungewöhnlichen körperlichen wie geistigen Anlagen. Er war ein schöner, kräftiger, gesunder Junge mit braunem lockigen Haar, großen, blauen, lebendigen Augen und offenem, ehrlichem, edel geformtem Gesicht. Schnell und gewandt in seinen Bewegungen, war er auch rasch und entschlossen in seinen Handlungen und verriet bei allem, was er that, ein Herz voll Liebe, Freundschaft und Dankbarkeit. Mit leidenschaftlicher Anhänglichkeit hing er an den Kindern seines Onkels, die er Schwester und Brüder nannte, und seine Schulkameraden, denen er seine Freundschaft einmal zugesagt hatte, konnten sich bei jeder Gelegenheit unbedingt auf ihn verlassen. Die dankbare Verehrung und kindliche, herzinnige Liebe aber gegen seine Pflegeeltern kannte gar keine Grenzen, er schien nach ihren Gedanken zu haschen, um ihren Wünschen zuvorkommen zu können.
Herr Turner war ein ernster, verständiger Mann im Alter von noch nicht ganz vierzig Jahren, er war groß und stark gebaut, hatte glänzend schwarzes Haar, dunkel beredte Augen, aus denen Biederkeit und Entschlossenheit sprachen, und seine hohe, offene Stirn zeugte von gründlichem tiefen Denken. Seine Frau Marie dagegen war eine helle Blondine mit himmelblauen, so freundlichen, liebreichen Augen, daß jedermann, der ihren Blicken begegnete, sie lieb gewinnen mußte. Sie war eine schöne, gesunde Frau, der man es ansah, daß sie die Hände nicht oft in den Schoß legte, und daß sie nur für ihre Familie und für ihre Wirtschaft lebte. Von früh morgens bis abends spät war sie in ihrem Haushalte beschäftigt, und da ihre Tochter Julie seit einigen Wochen die Schule verlassen hatte und konfirmiert worden war, so mußte sie ihr bei den häuslichen Arbeiten zur Hand gehen.
Julie versprach ganz das Ebenbild ihrer Mutter zu werden, sie hatte dieselben blonden Haare und blauen Augen, und dieselbe Anmut und Lieblichkeit lag in ihrem ganzen Wesen. Arnold, ihr jüngerer Bruder dagegen, mit schwarzem Haar und dunkeln Augen, glich mehr seinem Vater, während Wilhelm, der jüngste, wieder blond war und auf die Mutter artete. Wahres Glück und wahrer Segen ruhte auf dieser Familie; mit unbegrenzter Liebe und unermüdlicher rastloser Fürsorge wachten die Eltern über das Wohl der Kinder, und mit gleicher Liebe und Dankbarkeit hingen diese an den Eltern. Zutrauen und Einigkeit verbanden sie innig, und kein Opfer war ihnen zu groß, um einander gefällig zu werden und sich gegenseitig Freude zu bereiten. In wahrer Frömmigkeit waren sie alle Gott ergeben und bekannten mit dankbarem, demütigem Herzen in ihm den alleinigen Spender des vielen Glücks, dessen sie sich erfreuten. Sorgen und Kummer waren ihnen fremd, sie hatten alles, was ihre bescheidenen Wünsche forderten, und eine ungestörte kräftige Gesundheit ließ sie jede Freude, die ihnen ihr einfaches Leben bot, im vollsten Maße genießen.
Nach einem anhaltenden strengen Winter, der noch bis in den Monat März hinein die Werra mit einer starren Eisdecke überzogen und die hohen, steilen Berge und die Kluse mit hohem Schnee bedeckt hielt, war das Frühjahr mild und segnend erschienen, und der Mai hatte Berg und Thal mit frischem jungen Grün geschmückt. Die Wälder prangten im zarten neuen Laube, die Saaten schossen üppig empor, die Wiesen zierten ihre saftig-grünen Flächen mit Blumen, und die Obstbäume sahen, mit Blüten übersäet, wie weiße und rote Wolken aus den Gärten hervor. Klar und durchsichtig rauschten die leichten Wogen der Werra zwischen den frisch-grünen Ufern hin und folgten spielend ihren Schlangenwindungen durch die mächtigen Gebirge, deren schroffe Basaltkuppen im hellen Sonnenlichte unter dem blauen wolkenlosen Äther glänzten. Alle Zugvögel waren von ihrer Winterreise aus fernen Landen zurückgekehrt, die Schwalben schwärmten in lustigen Zügen schwirrend von Berg zu Berg, die Lerche hob sich singend und trillernd zum Himmel auf, der Kuckuck ließ seinen Ruf durchs Thal ertönen, und die Nachtigall flötete ihre süßen melancholischen Lieder im Düster des Forstes und im schattigen Dunkel der Gärten.
Es war Pfingstsonnabend Nachmittag, und Karl Scharnhorst hatte die Feierstunden benutzt, um seinen Brüdern, wie er Arnold und Wilhelm Turner nannte, eine Freude zu bereiten. Für den großen schwarzen Hofhund, Pluto, hatte er ein Geschirr angefertigt, denselben an einen kleinen Wagen gespannt, und nun rief er seine Brüder herbei, das Fuhrwerk nach dem nahen Städtchen zu lenken, um für die Mutter allerlei Haushaltsbedürfnisse nach der Kluse zu schaffen; denn für die Feiertage mußten Küche und Keller gut versorgt werden. Die Freude der beiden Jungen war groß, als sie ihren lieben Pluto mit dem weißen Ledergeschirr im Wagen eingespannt erblickten, und Karl mußte das mächtige Tier mit Gewalt am Halsbande halten, damit es bei den Liebkosungen, die es den Knaben mit Ungestüm erwidern wollte, das Fuhrwerk nicht umwarf. Der laute Jubel brachte auch Madame Turner und Julie vor die Hofthür, auch sie brachen in ein lautes, freudiges Lachen aus, als sie den großen Hund eingespannt sahen, und Madame Turner, die in Karls Bemühungen nur dessen Liebe zu ihren Kindern erkannte, strich ihm liebevoll die braunen Locken und küßte ihn zärtlich. Dann gab sie ihm die bereits geschriebene Liste über die verschiedenen Gegenstände, welche sie durch einen der Knechte hatte auf einem Schiebkarren aus der Stadt holen lassen wollen. Wilhelm setzte sich in den Wagen hinein, Arnold ging mit dem Lenkseil in der Hand nebenher, und von Karl gefolgt, trabte Pluto mit dem Wagen durch das Hofthor die Straße hinunter.
»Nur langsam, langsam, ihr Jungen!« rief ihnen Madame Turner lachend nach; kaum hatten sie aber die offene Straße erreicht, als sie Pluto zum Laufen aufforderten, und nun davonsausten, so schnell sie ihre Füße nur tragen konnten.
Die Sonne sank zu den fernen blauen Gebirgen hinab, die vielen einzelnen Basaltkuppen, die sich hier und dort aus dem Werrathale erhoben, dehnten ihre Schatten weiter aus, der Himmel im Westen wurde immer feuriger, immer glühender, und eine heilige Ruhe legte sich auf das schöne Thal, die nur durch den friedlichen Ton der Abendglocken und zuweilen durch einen verspäteten Grasmäher unterbrochen wurde. Herr Turner kam auf einem prächtigen Rappen auf der Straße hergetrabt, die von dem Städtchen nach der Kluse führte, und holte auf halbem Wege seine drei Buben ein, von denen Arnold und Wilhelm neben dem großen Hunde hinschritten, während Karl Scharnhorst hinter dem beladenen Wagen ging und denselben vorwärts schob, damit die Last dem Tiere nicht zu schwer werden sollte.
»Ist es möglich, seid ihr es?« rief Turner lachend und verwundert aus. »Habe ich mich doch besonnen, was für ein Fuhrwerk dies sein könnte! Aber wer hat euch denn das Geschirr für Pluto und die ganze Einrichtung gemacht? Es ist ja allerliebst!«
»Karl hat alles heimlich hergestellt, und als er Pluto eingespannt hatte, rief er uns herbei, damit wir fahren könnten,« antworteten die beiden Söhne Turners vergnügt und sahen mit dankbaren, freudigen Blicken nach Karl hin.
»Ei, du bist ja ein Prachtbursche, Karl! Dafür sollst du nun aber auch wahrlich deinen Spaß haben,« sagte Turner, indem er vom Pferde sprang und Karl den Zügel hinreichte. »Komm her, mein Junge, sollst den Rappen nach Hause reiten, ich weiß, es macht dir Freude. Wart' nur, ich will die Bügel etwas kürzer schnallen.«
»Nein, bester Onkel, ich danke, ich muß bei dem Wagen bleiben, es wird Pluto zu sauer!« antwortete Karl und sah mit glänzendem Blicke nach dem Sattel hinauf, in welchem er so gern Platz genommen hätte.
»Nein, nein, Karl, eine Ehre ist der andern wert; du hast deinen Brüdern eine Freude gemacht, und es ist nun an mir, auch dir eine solche zu bereiten. Steig' auf, flink, ich bleibe beim Wagen und werde ihn statt deiner schieben.«
»Aber, bester Onkel, wenn das jemand sähe – ich zu Pferde – und du hinter dem Wagen – das geht ja nicht!«
»Eine jede Arbeit ehrt den Mann, Karl; wer mich nicht hinter dem Wagen sehen mag, der muß einen andern Weg blicken. Schnell auf das Pferd, darfst es einmal tüchtig laufen lassen, nimm dich aber in acht, schiebe die Füße nicht zu weit in die Steigbügel, damit du mir nicht darin hängen bleibst, wenn du herunterfallen solltest.«
»Hat nichts zu sagen, Onkel, ich habe den Rappen schon zu oft in das Wasser geritten, ich falle nicht herunter,« erwiderte Karl und sprang behend in den Sattel.
»So, nun sage der Mutter, daß ich Fuhrmann geworden sei und bald mit der reichen Ladung nachfolgen würde,« sagte Turner, worauf Karl den Rappen in Galopp setzte und davonjagte.
Die flüchtigen Tritte des Rosses, als Karl in den Hof sprengte, lockten Madame Turner in die Hausthür, wo ihr der Knabe lachend zurief, was ihm sein Onkel zu bestellen aufgetragen hatte. Dann übergab er das Pferd einem Knecht und lief nun rasch wieder nach der Straße hinunter, dem Wagen entgegen zu eilen und Herrn Turner dort abzulösen.
Der Mond stieg glühend rot über den dunklen Bergen auf und blickte in das Thal herab, in welchem die Kluse lag, als der Wagen vor dem Hause anlangte und Pluto sich ermüdet niederlegte.
»Hier, Mutter, wir haben alles glücklich hergebracht, es ist nichts entzwei gegangen,« rief Arnold seiner Mutter triumphierend zu, als diese aus dem Hause hervorsprang, um ihre Lieben zu bewillkommnen.
»Und wie schön war die Fahrt, ich sage dir, Mutter, ganz prächtig,« fiel Wilhelm ein.
»Und die Freude habt ihr Karl zu verdanken,« erwiderte Madame Turner.
»O, ich habe aber einen noch weit größeren Spaß gehabt, weil Onkel so gut war und mich den Rappen reiten ließ; wie hat er aber laufen müssen!« unterbrach Karl schnell seine Tante; doch diese fuhr, zu ihren Söhnen gewandt, fort.
»Nun bedankt euch hübsch bei Karl, der euch so lieb hat,« worauf die beiden Buben Karl um den Hals fielen, ihn küßten und ihm für die Freude dankten, die er ihnen bereitet hatte.
»Hast du uns Fuhrleuten denn aber nun auch etwas Gutes gekocht, Mutter? Wir haben uns tüchtig für dich abgearbeitet,« nahm jetzt Herr Turner das Wort, indem er seinen Arm um die Schulter der geliebten Gattin legte und von ihr den gewohnten Kuß zum Willkommen empfing.
»Ihr sollt zufrieden sein. Julie hat Puffer gebacken, und wenn ich mich nicht irre, so sind sie gut geraten,« entgegnete Madame lächelnd.
»So laß uns das Abendbrot im Garten in der Laube verzehren; ich meine immer, im Freien könnten wir dem gütigen Gott besser für seine Wohlthat danken als in dem Zimmer; dort sehen seine Wolken so freundlich auf uns hernieder, seine Größe und Allmacht tritt uns lebendiger vor die Seele. Es ist eine so herrliche Nacht, daß es schade wäre, uns in das Zimmer einzusperren,« entgegnete Turner.
»Sehr gern, es ist mir leichte Mühe, die Speisen hinauszubringen, und dort werden sie uns noch viel besser schmecken,« antwortete Madame Turner, und eilte in das Haus, um die nötigen Anordnungen zu treffen, während ihr Gatte mit den Knaben die Ladung von dem Wagen hinein beförderte.
Karl hatte Pluto das Geschirr bereits abgenommen, und der Hund folgte ihm nun auf Schritt und Tritt nach. Eine halbe Stunde später saß die ganze Familie im Garten in der Geisblattlaube um den großen steinernen Tisch, auf dem das einfache Abendbrot aufgetragen war und auf dessen Mitte eine Lampe mit heller Glaskuppel brannte.
Herr Turner erhob sich zum Dankgebete und die Seinigen folgten seinem Beispiele. Mit wenigen klaren, aus tiefem Herzen kommenden und zum Herzen dringenden Worten dankte er Gott für die unendlich vielen Wohlthaten, die er ihm und seiner Familie hatte angedeihen lassen, und flehte um seinen ferneren Segen. Mit demütiger Andacht folgten Mutter und Kinder dem Gebet, und nach dessen Beendigung wünschten sich alle gegenseitig guten Appetit.
»Daran wird es uns allen gottlob nicht fehlen, denn wir haben ja sämtlich unsre Schuldigkeit gethan und unsre Herzen drückt keine Schuld und kein Kummer,« sagte Turner, indem er die Schüssel mit Speisen nahm, sich derselben bediente und sie dann weiter reichte.
»Ich hätte euch nun wohl einen Vorschlag zu machen, das heißt, wenn ihr früh aufstehen könntet,« fuhr er nach einer Weile fort. »Wie wäre es, wenn wir morgen früh auf der Wichtelkuppe die Sonne aufgehen sähen?«
»Ach ja, lieber Vater!« fielen die Kinder jubelnd ein, und auch die Mutter stimmte freudig zu.
Die Mahlzeit war bald gehalten und Madame Turner rückte auf der Bank näher zu ihrem inniggeliebten Gatten, um sich in treuer Liebe an seine Seite zu schmiegen. Der Mond blickte silberhell in die Laube, der Maiwurm glühte im Grase und die Nachtigall flötete ihre süßen Lieder im nahen Gesträuche. Die laue Nachtluft trug den tausendfältigen Duft der Frühlingsflur hin und wieder, und der nahe Bach rauschte und murmelte in dem Gestein, über welches seine krystallklaren Wellen spielten.
»Der allmächtige, gütige Gott hat uns doch überreich gesegnet, Marie,« sagte Turner im Gefühle seines großen Glückes zu seiner Gattin, und sah nach den Kindern hin, die in den krummen Wegen des Gartens spielten und sich jauchzend und lärmend auf denselben hin und her jagten. »Sieh unsre Kinder an, wie sie geistig und körperlich gedeihen, wie sie gut und ehrlich denken und fühlen, wie jede Unwahrheit, jedes Unrecht ihnen verhaßt ist, und wie sie kräftig und übermütig emporwachsen.«
»Gott der Gütige erhalte uns unser Glück, Max, wir sind vor Tausenden von ihm bevorzugt. Unsre Kinder sind gut, wir haben keine Sorgen, und unsre Liebe hat uns den Himmel auf Erden gegeben. Mag unsre Bitte um Erhaltung unsres Glücks dem Allmächtigen nicht unbescheiden klingen; fast ist es zu groß für diese Welt,« sagte Madame Turner, zum Himmel aufblickend, und das Mondlicht spiegelte sich in den Freudenthränen, die unter ihren langen Wimpern glänzten.
Es war schon spät, als die Familie den Garten verließ und sich zu ihrer Ruhestätte begab, um noch einige Stunden sich in sorglosem glücklichen Schlaf zu stärken; aber lange vor dem ersten Grauen des Tages schon weckte Herr Turner die Schläfer, und alle fuhren schnell in die Kleider, um zum Aufbruch nach der Wichtelkuppe bereit zu sein.
Noch war der Mond nicht versunken, und er warf sein Licht über den rohen Fahrweg, der sich, steil hinansteigend, zwischen den Bergen nach dem erwählten Ziele der frühen Wanderung hinaufwand. Herr Turner, mit einem schweren Stock bewaffnet, schritt mit seiner Gattin voran, dann folgten ihre drei Kinder, und Karl Scharnhorst beschloß mit Pluto den Zug. Ein jedes von ihnen hatte etwas zu tragen, denn es waren Milch, zwei Flaschen Wein und ein tüchtiger Vorrat von frischem Kuchen, sowie einige Gläser mitgenommen und alles war unter die Gesellschaft zum Tragen verteilt worden.
»Warum heißt denn der Berg die Wichtelkuppe, Vater?« fragte Arnold.
»Es ist eine alte Sage, die dem Berge diesen Namen gegeben hat. Man erzählte sich vor langen Jahren, daß in den Kohlenbergwerken am Meißner, dort drüben an der andern Seite der Werra, gute Geister in der Gestalt von ganz kleinen Menschen leben sollten, die man Wichtelmänner nannte. Diese Geister, sagte man, hielten in mondhellen Nächten ihre Zusammenkünfte und ihre Tänze auf jenem Berge, und darum nannte man ihn die Wichtelkuppe. In früheren Jahren gab es noch viele sehr unwissende Menschen, die an solche Geistergeschichten glaubten; heutzutage aber lacht man darüber, da man weiß, daß es nur ein Geist, ein großer, allmächtiger, gütiger Geist ist, der allenthalben unsichtbar gegenwärtig und der uns und diese Erde, sowie alle die Welten geschaffen hat, die wir am Himmel über uns sehen. Dieser einzige Geist ist der gütige Gott, den niemand zu fürchten hat, wenn er recht thut. Andre Geister giebt es nicht, und wem einmal ein angeblicher Geist begegnen sollte, der fasse ihn nur gleich beim Kragen, und er wird sogleich finden, daß er einen Menschen oder sonst einen Gegenstand vor sich hat. Nur dumme Furcht oder ein böses Gewissen können Gespenster sehen. Nehmt euch hier in acht, ihr Jungen, daß ihr nicht fallt, es ist dunkel in diesem Hohlweg und es liegen viele Steine darin,« sagte Turner, sich nach den Knaben umsehend. »Wer trägt denn die zweite Flasche Wein?«
»Ich habe sie, Onkel, ich werde sie nicht zerbrechen,« rief Karl, der etwas zurückgeblieben war.
Der dunkle Hohlweg war bald durchschritten und eine steinige Höhe erreicht, von der man auf die Kluse herabsehen konnte. Hier wurde für einige Minuten Halt gemacht, weil der Weg bis hierher sehr steil gewesen war. Bald aber ging es wieder vorwärts, und immer noch gab der Mond Licht genug, um den Weg erkennen zu können. Über eine Stunde lang waren die Wanderer in der fröhlichsten Laune scherzend und lachend, beinahe fortwährend bergauf gestiegen, als sie plötzlich die höchste Spitze der Wichtelkuppe erreicht hatten und wie von einem Turme herab in das tiefe Werrathal hinunter schauten. Der Mond hatte den Saum der Gebirge erreicht und warf seinen letzten Blick auf den ruhigen Spiegel des Stromes, der sich wie eine glänzende, silberne Schlange durch das tiefe, dunkle Thal hinwand. Bald aber versank die helle Mondscheibe hinter dem Berge, die Nacht breitete ihr Dunkel über die Erde und die Sterne blitzten und funkelten lebendiger. Nur im Osten zeigte der Himmel über den Gebirgssäumen einen bleichen Streif, der den nahenden Tag verkündete. Von Minute zu Minute wuchs dieser Lichtschein und seine bleichgelbe Farbe ging in ein zartes Rosenrot über. Zugleich zitterte die Morgendämmerung über die Berge und die einzelnen Basaltkuppen und Waldstriche wurden im Thale sichtbar. Der Himmel färbte sich immer feuriger, immer prächtiger, bis seine ganze östliche Hälfte mit einem glühenden Rot bedeckt war.
Turner, dessen Gattin und um sie herum die Kinder hatten sich auf Felsstücke niedergesetzt und hielten erwartungsvoll und von heiligen Schauern durchbebt die Blicke auf den Fleck über dem dunklen Gebirgsrücken geheftet, von wo aus die Glut am Himmel aufzusteigen schien. Plötzlich wurde dort ein glänzender, heller Lichtpunkt sichtbar, die goldene Scheibe der Sonne stieg empor, und ihr Strahlenlicht ergoß sich über die Erde.
»Erkennt die Größe des allmächtigen Gottes in diesem seinem Werke!« sagte Turner zu den Kindern, indem er die Hand nach dem aufsteigenden Gestirn erhob. »Wie alles in der ganzen Schöpfung Gottes Gnade bekundet, so sendet auch dieses göttliche Werk Leben, Segen und Gedeihen über unsern Erdball. Seht nur, wie die Natur erwacht und wie alles neu belebt wird!«
Kein Wölkchen war am Himmel zu erblicken, blau und durchsichtig spannte er seinen hohen Bogen über die weite, im goldenen Morgenlicht glänzende Berglandschaft, frisch und erquickend zog die Luft durch das Thal und rollte den leichten Nebel, der die Werra wie mit einem weißen Schleier bedeckte, in kleinem Gewölk nach den Höhen hinauf, und alles schien für den ersten Pfingsttag geschmückt.
In die Herzen der Familie Turner war der Festtag schon mit dem Erwachen der Natur eingezogen, und so wie die Vögel hoch in der Luft und unten im Thale sich unter fröhlichem Gesange des Morgens erfreuten, so gaben auch Turners sich der beglückenden Heiterkeit hin, die ihnen von allen Seiten entgegenlachte. Noch eine Stunde verweilten sie im Genusse des herrlichen Morgens auf der luftigen Höhe, ehe sie an den Heimweg dachten. Als aber Madame Turner daran erinnerte, daß man aufbrechen müsse, um zur rechten Zeit in der Kirche erscheinen zu können, schlug ihr Gatte vor, auf dem kürzeren Fußpfade, der an den Werra-Abhängen hinführte, zurückzugehen. Alle stimmten freudig ein, weil dieser Weg beinahe fortwährend einen Blick in das tiefe Thal gestattete, und so traten sie dann abermals ihre Wanderung an. Der Pfad aber war schmal, so daß nur eine Person darauf Platz hatte, und von Herrn Turner geführt, folgte einer dem andern. Oft blieben sie stehen, um die steilen Felswände zu beiden Seiten des Flusses zu bewundern oder den kleinen Fischernachen nachzublicken, die wie schwarze Punkte auf der Werra hinglitten. Wohl die Hälfte des Heimwegs hatten sie bereits zurückgelegt, als sie auf dem hohen Bergsaum einen Platz erreichten, wo der Pfad an einer Felswand hinführte und wo an dessen andrer Seite der mit losem Gestein bedeckte Boden sehr steil abschüssig wurde und in einer Entfernung von hundert Fuß in einem senkrechten, schwindelnden Abhang nach dem Ufer des Stromes hinuntersank. Herr Turner blieb stehen und rief den Kindern zu, voran zu gehen, damit er sie im Auge behalten könne, und als sie bei ihm vorüber kamen, ermahnte er sie zur Vorsicht auf diesem gefährlichen Wege. Karl Scharnhorst schritt voran, indem er dem Hund pfiff, der soeben einen Hasen aufgejagt hatte und, ohne auf den Pfiff zu hören, denselben verfolgte. Hinter Karl ging Julie, dann kam Arnold, darauf Wilhelm, und Herr Turner, mit seiner Gattin vor sich, beschloß den Zug. Die schmalste Stelle des Pfades war erreicht, als plötzlich Pluto, um zu Karl zu gelangen, in vollem Laufe bei Herrn und Madame Turner vorübersauste und im Vorbeirennen an Arnold diesen so heftig zur Seite stieß, daß der Knabe von dem Pfade herabstürzte und an dem steilen Berge hinunterrollte. Mit einem Schrei des Entsetzens sahen die Eltern, wie der Knabe sich vergebens bemühte, seinem Hinabrollen Einhalt zu thun; es war umsonst, das lose Gestein rollte mit ihm, und schon hatte er die Hälfte des Abhangs, der zu dem senkrechten Abgrunde führte, erreicht, als Karl sich pfeilschnell hinter ihm herstürzte, ihn mit seinen Armen umklammerte und alle seine Kräfte aufbot, ihn in dem furchtbaren Laufe aufzuhalten. Umsonst! – Beide rollten weiter dem unvermeidlichen Tode entgegen. Karl hielt aber seinen Kameraden fest umschlossen und lenkte nur mit den Füßen seinen Weg einem einzelnen Baume zu, der am Ende des Abhanges stand und über die gähnende Tiefe hinabhing. Wie vom Tode erfaßt und in Verzweiflung erstarrt, sahen die Eltern händeringend den beiden Knaben nach, wie dieselben dem äußersten Rande des Abgrundes immer näher kamen und das lose Gestein um sie her ihnen voran in die bodenlose Tiefe rollte. Noch lagen nur wenige Schritte zwischen den Knaben und dem äußersten Felsrand, als Karl seinen Kameraden im Arm, sich mit den letzten Kräften nochmals dem Baume zustieß und an dessen Stamm über dem Abgrunde hängen blieb. Mit einem Arm hielt er den ohnmächtigen Arnold umschlossen und mit dem andern stützte er sich an den Baumstamm, der ihn von dem Sturz in die Tiefe zurückhielt.
»Halt' fest, Karl, halt' fest, Gott der Allmächtige wird dir Kräfte verleihen!« schrie Turner, indem er seine Gattin aus seinen Armen sinken ließ und seine bebenden Hände den Knaben entgegenstreckte.
»Halt' fest, Karl, um Gottes willen, halt' fest, ich hole Hilfe, ich bin bald zurück!« schrie Turner noch einmal mit verzweifelter, mit rasender Angst, und stürzte dann in fliegendem Laufe an den Felsen hin, um von der Kluse her Hilfe zu holen.
Madame Turner lag händeringend auf ihren Knieen und flehte laut zum Himmel auf, daß Gott Barmherzigkeit haben und Rettung senden möge, und Julie und Wilhelm klammerten sich weinend und jammernd an die bebende Mutter und hielten zitternd ihre Blicke auf die beiden Knaben geheftet. Karl hielt den geliebten Halbbruder fest an sein Herz gepreßt und suchte vorsichtig nach und nach seinen Sitz zu verbessern, um länger darin aushalten zu können; denn seitwärts von dem Stamme, an dem er saß, blickte er in die schwindelnde Tiefe hinunter, wo sein Auge keinen Gegenstand mehr erkennen konnte. Seine Kräfte, die er bei der übernatürlichen Anstrengung während des Rollens bis an den Baum aufgewandt hatte, kehrten zurück, und er fühlte sich stark genug, sich hier zu erhalten, bis sein Onkel ihm Hilfe bringen würde. Alle seine Besorgnis richtete sich jetzt nur noch auf das Erwachen Arnolds und auf dessen Bewegungen; denn die mindeste Biegung aus dem Gleichgewicht mußte sie beide in den Abgrund stürzen. Jetzt regte sich Arnold, er strich mit der Hand über das Gesicht und wollte sich erheben.
»Rühre dich nicht, Arnold, oder wir sind beide verloren, bewege dich nicht und sieh dich nicht um, verlaß dich auf mich, ich halte dich!« rief ihm Karl in die Ohren, und zog seinen Arm fester um ihn.
»Karl, wo sind wir denn?« fragte Arnold jetzt, indem er die Augen aufschlug und in den Abgrund blickte. »Ach Gott, wir fallen hinunter!« setzte er halblaut hinzu, und begann am ganzen Körper zu zittern. »Bewege dich nur nicht, Arnold, ich halte dich, der Vater wird gleich zurückkommen und uns helfen. Schließe die Augen und bleibe ruhig so liegen, ich kann dich so ganz gut halten und wenn es noch so lange dauern sollte!«
Von drehendem Schwindel ergriffen, schloß Arnold bebend und zitternd die Augen und klammerte sich krampfhaft an Karl fest, der jetzt selbst vermied, seitwärts in die Tiefe zu schauen, da er fühlte, wie ihn dabei eine unüberwindliche Machtlosigkeit durchrieselte. Er hielt seinen Blick hinauf nach der jammernden Mutter Arnolds gerichtet und wandte sich mit seiner Seele vertrauensvoll zu Gott, der ihm ja beigestanden hatte, den Baum zu erreichen.
Unbeweglich saß er über der bodenlosen Tiefe, doch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, daß der Baum seinem Druck nachgeben und mit ihm auch Arnold hinunterstürzen würde. Mit krampfhafter Spannung horchte er auf jeden Ton, um die nahenden, Rettung bringenden Fußtritte Turners zu erkennen; eine Ewigkeit schien an ihm vorüberzuziehen; er fühlte, wie seine Füße in der gezwungenen Lage erstarrten, und doch durfte er diese nicht wechseln, wollte er nicht das Gleichgewicht verlieren. Über eine halbe Stunde war schon verstrichen und noch war keine Hilfe erschienen. »Liege ganz ruhig, Arnold,« sagte Karl jetzt zu diesem mit entschlossener Stimme, »ich muß meinen Fuß unter dir hervorziehen, ich kann es unmöglich länger in dieser Lage aushalten.« Dabei befreite er seinen linken Arm von seinem Halbbruder, faßte mit beiden Händen den Stamm hinter sich und hob sich vorsichtig mit aller Kraft langsam etwas empor, indem er seinen Fuß unter Arnold hervorzog und über den Abhang hinunterhängen ließ.
»So, gottlob, nun ist es gut, nun kann ich es wieder aushalten!« sagte er, und legte seinen Arm abermals um Arnold. Da schallte die Stimme Turners von weit her durch die Berge, als forderte sie Karl zur letzten Kraftanstrengung auf.
»Der Vater kommt,« sagte dieser zu dem bebenden Gefährten, »nun werden wir gerettet. Rühre dich nur nicht, Arnold!«
Wenige Minuten später erschien Turner auch wirklich auf dem Pfade und stürmte, mit einer Steinhacke auf der Schulter, zu dem verhängnisvollen Platze heran. Er kam aber nicht allein, sämtliche Knechte waren ihm von der Kluse hierher gefolgt und trugen schwere Taue herbei, die zur Rettung der Knaben gebraucht werden sollten. In aller Eile wurden diese einzelnen, sehr langen Stricke aneinander gebunden; Turner ließ sich das eine Ende um die Brust befestigen und stieg nun, mit der Steinhacke in der Hand, an dem Abhang hinunter, indem die Knechte auf der Höhe zurückblieben und das Seil hielten. Sie ließen dasselbe nur langsam nachfolgen, während Turner auf seinem abschüssigen Wege mit der Hacke Stufen in das lose Gestein hieb und eine Art von Treppe erzeugte, die ihm den Rückweg nach der Höhe erleichtern sollte. Dabei redete er mit erzwungen ruhiger Stimme bald zu Karl, bald zu Arnold, ermahnte sie, nur still und unbeweglich zu sitzen, und nicht in die Tiefe zu blicken. Schritt für Schritt stieg er weiter hinab, während das Gestein, welches er vor sich loshieb, über den Abhang hinunterrollte, und so erreichte er endlich schweißtriefend und erschöpft die beiden Knaben.
»Der Allmächtige sei gelobt und gepriesen!« rief er in höchster Seligkeit mit bebender Stimme aus, als er Arnold mit beiden Händen krampfhaft erfaßte, ihn Karl aus den Armen nahm und ihn auf die nächste Stufe über sich hob.
»Sitze ruhig, Karl, bester Karl, gleich kehre ich zu dir zurück; rühre dich nicht,« sagte er zu diesem, und ließ Arnold nun die steile Höhe vor sich erklimmen, wobei er ihn von Stufe zu Stufe hob und die Diener auf der Höhe das Tau wieder an sich ziehen mußten. In ihren zitternden Armen empfing die Mutter ihr Kind an ihrem Herzen und Turner eilte, ohne einen Augenblick zu verlieren, abermals auf den Stufen hinab, um nun auch Karl dem furchtbaren Abgrunde zu entreißen.
»Mein Karl, du Reiter meines Lebensglücks, komm an mein Herz, an das Herz deines dankbaren zweiten Vaters!« rief der überglückliche Mann, indem er den Knaben von dem Baum wegzog und ihn vor sich auf die Stufe hob.
Bald hatten sie die Höhe erstiegen, und Madame Turner zog den Knaben mit freudigem Beben von der letzten Stufe zu sich herauf.
»Karl, mein geliebter Karl, du Retter meines Kindes, wie soll ich es dir im Leben danken!« stammelte sie in ihrem Glück, indem sie Karl mit ihren Liebkosungen überhäufte. Von ihr aber ging er aus einer Umarmung in die andre, bis Turner auf seine Knie sank, um dem Allmächtigen für die Gnade, für die Barmherzigkeit zu danken, die er ihm in so wunderbarer Weise hatte angedeihen lassen. Alle Gegenwärtigen wandten tief ergriffen ihre Herzen zu Gott und stimmten in das laute Dankgebet Turners mit ein. Dann aber eilten sie von dem Schreckensplatze hinweg, ohne sich nochmals nach dem Abgrunde umzusehen.
Als Turners nach der Kluse zurückkamen, war es zu spät geworden, um noch in die Kirche zu gehen, aber in dem Tischgebete sandten sie nochmals ihren herzinnigen, heißen Dank für die wunderbare Rettung der beiden Knaben zum Himmel auf. Die Liebe, welcher sich Karl Scharnhorst bisher in der Familie Turner zu erfreuen gehabt hatte, war eine noch viel innigere geworden, sie hatte in der Dankbarkeit doch eine neue Grundlage gefunden, und die Eltern sowohl wie die Kinder fühlten sich mit unlöslichen Herzensbanden an den braven Knaben gefesselt. Aber noch ein anderes Gefühl war ihnen für Karl erwacht, welches seine aufopfernde Anhänglichkeit, seine Unerschrockenheit, seine Entschlossenheit hervorgerufen hatte; es war das Gefühl der Achtung. Während man bisher nur den liebevollen, treuherzigen Knaben in ihm gesehen, erkannte man jetzt in ihm ein Glied der Familie, dessen Persönlichkeit noch eine andere Bedeutung hatte, als die eines geliebten Kindes.
Von dem Augenblicke an, wo der erste Freudenrausch über die Rettung Arnolds verwogt war, behandelte Turner sowohl wie seine Gattin Karl Scharnhorst unwillkürlich anders als früher: in Wort und Handlung gebrauchten sie, ohne es zu wollen, mehr die Rücksichten, die man einem Freunde zollt, als die, welche man dem Pflegekind angedeihen läßt; er war mit einem Worte in ihrem Gefühle plötzlich nicht mehr der Knabe, sondern der befreundete, edle Jüngling, wenn auch seine ganze Erscheinung noch die des Kindes war. Auch die Dienerschaft, die Knechte und Mägde auf der Kluse, begegneten ihm mit einer Ehrerbietung, mit einer Achtung, die man einem Knaben sonst nicht zollt, und wo er sich sehen ließ, kam man ihm mit ehrender Auszeichnung entgegen und pries und rühmte seine edle That. Karl sah nichts weiter in der Aufmerksamkeit als die Freude über die Rettung Arnolds, an der er ja selbst von ganzem Herzen teilnahm; doch kam es ihm gar nicht dabei in den Sinn, daß er etwas so Ungewöhnliches gethan habe. Er glaubte, nur so gehandelt zu haben, wie es jeder Mensch zu thun verpflichtet sei und wie er es selbst gar nicht anders gekonnt hätte.
Am folgenden Morgen rüstete man sich auf der Kluse zeitig, um sich nach dem Städtchen zur Kirche zu begeben. Der leichte, mit drei Sitzen versehene Korbwagen hielt vor der Hausthür, sowie auch der gesattelte Rappe, den Herr Turner bei solchen Gelegenheiten stets zu reiten pflegte. Madame Turner trat mit ihren Kindern und mit Karl aus dem Hause, um den Wagen zu besteigen, als Herr Turner, der bei dem Rappen stand, Karl zu sich winkte und sagte:
»Karl, du sollst heute den Rappen reiten und ich will statt deiner fahren; ich weiß, es macht dir Freude und bei der ersten Gelegenheit, die sich nur bietet, werde ich dir ein Pferd kaufen, welches ganz dein Eigentum sein soll. Komm, ich habe die Bügel schon für dich verkürzt.«
Karls Blick strahlte vor Wonne; denn wenn er auch schon oft den Rappen in der Nähe der Kluse geritten hatte, so war er doch niemals zu Pferde in der Stadt erschienen, und dies zu thun, machte ihm eine besonders große Freude.
»Aber, bester Onkel, reitest du nicht lieber, als du dich in den Wagen setzest? Du zogst es sonst doch immer vor,« sagte Karl bescheiden und zögernd.
»Nein, nein, heute fahre ich lieber; steige nur auf. Wenn du in die Stadt kommst, so reite nach dem Gasthofe und laß das Pferd in den Stall bringen, der Stallbursch weiß schon, was er für dasselbe zu thun hat. Sage ihm nur, daß du nach der Kirche wiederkommen würdest, um nach Hause zu reiten.«
Bei diesen Worten gab Turner die Zügel an Karl; dieser schwang sich mit hochschlagendem Herzen in den Sattel, winkte allen noch einen Gruß zu und trabte in höchster Lust davon, während Turner sich zu seiner Gattin und seinen Kindern in den Wagen setzte. Der Weg war bald zurückgelegt, und als in der Nähe der Kirche der Wagen anhielt und Turners ausstiegen, kamen von allen Seiten Freunde und Bekannte herbeigeeilt, um ihnen ihre Glückwünsche zu der wunderbaren Rettung des Knaben darzubringen; denn die Nachricht davon hatte sich bereits durch das Städtchen verbreitet. Es war noch nicht volle Zeit, sich in das Gotteshaus zu begeben, und der mit hohen Linden umstandene Platz vor demselben füllte sich immer mehr mit Kirchengängern, als Karl dort erschien und sich nach den Seinigen umschaute. Während er durch die Menge hinschritt, wurde er von allen Seiten angehalten. Jedermann wollte dem braven Knaben die Hand reichen und ihn begrüßen, und unter warmen Liebesbezeigungen und lauter Anerkennung seiner edlen hochherzigen That gelangte er zu Turners. Hier waren nun viele von deren näheren Freunden versammelt, und abermals wurde Karl reiches Lob gespendet. Diese Liebe, diese Beweise von Zuneigung erfüllten sein junges Herz mit Freude, doch blieb er weit davon entfernt, sich etwas auf seine That einzubilden, da er nicht anders wußte, als daß jedermann ebenso handeln müsse, wie er es gethan hatte.
Nach beendigtem Gottesdienste begleiteten viele Bekannte Turners diese nach dem Wagen, welcher im Schatten der alten Lindenbäume gehalten hatte, und eine große Anzahl der Freunde kündigten ihren Besuch auf der Kluse für den Nachmittag an. Auf halbem Heimwege holte Karl die Seinigen wieder ein und blieb nun in der Nähe des Fuhrwerks, indem er bald im Schritt zurückblieb und bald wieder im Trabe oder im Galopp bei ihm vorübereilte. Wohlbehalten und in der glücklich heiteren Stimmung, wie sie das Herz des Menschen nach Beseitigung einer großen Gefahr noch lange Zeit erfüllt, langte die Familie zu Hause an; es wurde schnell zu Mittag gespeist, und dann begab sich Madame Turner mit Julie in die Vorratskammern und in die Küche, um die nötigen Vorbereitungen zur Bewirtung der zu erwartenden lieben Gäste zu treffen.
Gastfreundschaft und Freigebigkeit hatten von jeher auf der Kluse geherrscht, und auch die gegenwärtigen Bewohner derselben waren weit und breit dafür bekannt, daß Freunde ihnen jederzeit willkommen waren. Arme Leute fanden dort immer Arbeit, und oftmals gab Turner ihnen Beschäftigung, wenn ihr Dienst ihm auch in keiner Weise einen Vorteil bot, und Kranke und Altersschwache meldeten sich niemals in diesem Hause, ohne Unterstützung, Pflege und Trost zu erhalten. Der Freunde aber, welche von Turners Gastfreundschaft Gebrauch machten, waren unzählige; es verging fast kein Tag, wo nicht einige derselben sich auf der Kluse einfanden, und selten waren die Mittagstafeln, der Kaffeetisch oder die Abendmahlzeit ohne Gäste. Madame Turner machte ihretwegen durchaus keine Änderungen in den häuslichen Einrichtungen, sie wurden herzlich willkommen geheißen und mußten mit dem vorlieb nehmen, was die Hausordnung mit sich brachte. Alles aber, was man ihnen reichte, wurde freudig gegeben und war gut, ja, man sagte allgemein, besser als irgendwo anders. Der Spaziergang von dem Städtchen nach der Kluse war ein nicht gar weiter, der Weg trocken und eben und die Gegend malerisch schön. Das Gut selbst lag reizend, hatte eine zauberisch liebliche, von fernen blauen Gebirgen begrenzte Aussicht in das Werrathal, und seine Gärten waren wegen ihres Blumenflors sowohl als wegen ihres herrlichen Obstes berühmt.
Heute, am zweiten Pfingsttage, wurde nun allerdings der Kaffeetisch, der in der Laube des Gartens gedeckt war, mit größerer Sorgfalt besetzt, als gewöhnlich: das gute Porzellan- und Silbergeschirr war aufgetragen, und ein reichlicher Vorrat von verschiedenen Festkuchen erhob sich auf der Mitte des Tisches. Madame Turner selbst erschien in einem schwarzen seidenen Gewande, trug aber zum Schutze für dasselbe eine blendend weiße Schürze darüber, und Julie, die der Mutter beim Anordnen des Tisches zur Hand ging, war weiß gekleidet und glich mit dem blaßroten seidenen Bande, welches sie umgab, den zarten Blüten, womit der Frühling die Bäume des Gartens geschmückt hatte.
Die Gäste stellten sich bald in großer Zahl ein, sie wurden herzlich und freudig bewillkommnet, es wurde alles aufgeboten, ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen, ihre Erwartungen und Wünsche auf das vollkommenste zu befriedigen, und der allgemeine Frohsinn, die unbegrenzte Heiterkeit, unter welchen der Nachmittag hingebracht wurde, zeigten deutlich, wie sehr das Bestreben Turners sein Ziel erreicht hatte.
Der Tag neigte sich, die Sonne versank, und der Abendstern begann zu funkeln. Es war ein zauberisch schöner, milder Abend, die Bewegung der Luft hatte nicht Macht genug, die fallenden schneeigen Blüten der Bäume mit sich fortzutragen, nur den Duft derselben nahm sie mit und mischte ihn mit dem der Wälder, der Wiesen und der Felder. Von allen Seiten des Berggartens her ertönte der schmelzende melodische Gesang der Nachtigallen, als wetteiferten sie, der Familie Turner und deren Gästen ihre schönsten Lieder darzubringen, als forderten sie dieselben auf, näher zu ihren dunklen Verstecken heranzutreten. Die ganze Gesellschaft erhob sich, um sich in der erfrischenden Abendluft zu ergehen und den höher gelegenen Teil des Gartens zu besuchen, von wo sie die Aussicht auf das Thal noch freier und ungehinderter genießen konnte. Noch hatten sie die Höhe nicht erreicht, als der Mond glänzend am Himmel aufstieg und sein mildes, helles Licht über die Erde breitete.
Madame Turner und Julie stahlen sich aber dort von der Gesellschaft hinweg, um ein einfaches Abendbrot für dieselbe zu bereiten, und als nach einer halben Stunde Herr Turner mit den Gästen nach der Laube zurückkehrte, war der Tisch bereits gedeckt. Der Mond stand schon hoch am Himmel, als die Gäste den Heimweg antraten und ihren freundlichen Wirten einen neuen Beitrag zu dem Glauben hinterließen, daß sie mehr aufrichtige, wahre Freunde besäßen als andre Menschen.
Der folgende Tag war für die Arbeiter noch ein Festtag. Herr Turner war aber seiner Gewohnheit nach schon am frühen Morgen davongeritten, um die Felder und Wiesen in Augenschein zu nehmen. Auch Madame Turner hatte sich, wie an Werktagen, vor Aufgang der Sonne in ihrer Wirtschaft eingefunden, um mit Julie beim Melken, beim Buttern und beim Bereiten des Frühstücks zugegen zu sein. Die Knaben waren, weil sie heute die Schule noch nicht zu besuchen brauchten, frühzeitig nach dem Flusse gegangen und hatten eine tüchtige Tracht Fische gefangen, wozu Karl die Angeln angefertigt hatte. Im Triumph trugen sie die reiche Beute in die Küche, damit Madame Turner die kleineren Fische noch zum Frühstück in der Pfanne backen möge, während die größeren für das Mittagsessen aufgehoben werden sollten. Dann nahm Karl seine beiden Halbbrüder mit sich hinaus, um Herrn Turner entgegenzugehen, da sie genau den Weg kannten, auf welchem derselbe zurückzukehren pflegte. Pluto natürlich mußte sie begleiten, und jubelnd sausten sie durch das betaute Gras der nahen Wiese, um an deren andern Seite den Pfad einzuschlagen, der zwischen den Feldern hinführte. Kaum hatten sie denselben aber erreicht, als Herr Turner schon herangetrabt kam und die junge Gesellschaft nach dem Hause zurückführte.
Bald darauf trat Julie in ihres Vaters Zimmer, um ihn zum Frühstückstisch zu rufen, bei welchem sich die Familie schnell sammelte; denn alle waren schon seit mehreren Stunden thätig gewesen und erfreuten sich eines gesunden Appetits. Als nach dem üblichen Tischgebet der Teller mit rohem Schinken und das Brot und die Butter herumgereicht wurden und Julie den Kaffee und die frische Milch darbot, nahm Herr Turner das Wort und rühmte den Segen, der weit und breit auf den Fluren ausgebreitet läge.
»Alles steht ungewöhnlich gut und im Überfluß, und wenn der Himmel uns ferner gnädig ist, so machen wir eine außerordentlich reiche Ernte. Die Kluse ist und bleibt doch eine Goldgrube, und –«
In diesem Augenblicke trat das Hausmädchen mit einem Briefe in der Hand in das Zimmer und meldete, daß ein Bote der adligen Herrschaft, deren Eigentum die Kluse war, das Schreiben abgegeben habe.
»Sage ihm, er solle warten, vielleicht bekommt er Antwort mit!« rief Turner dem Mädchen zu, indem er aufstand und den Brief erbrach.
»Er ist schon fort und sagte, daß er nicht auf Antwort zu warten brauchte,« entgegnete die Dienerin und verließ das Zimmer, während Turner mit den Worten: »Was mögen die wollen?« nach dem Fenster trat und das Papier entfaltete.
Madame Turner war unwillkürlich mit dem Blick ihrem Gatten gefolgt; dieser wurde plötzlich bleich, das Papier bebte in seiner Hand, er las das Schreiben noch einmal durch und faltete es dann schnell zusammen, um es in der Rocktasche zu verbergen. Da begegneten seine Augen dem ängstlich fragenden Blick seiner Gattin.
Er sagte nichts und Madame Turner fragte nicht; es war aber ein Schweigen, wie wenn ein Gespenst in die Stube getreten wäre und hätte ihnen die Worte auf den Lippen erstarrt. Turner legte seine Serviette neben seinem Teller nieder und verließ das Zimmer.
Karl war aufgesprungen und wollte seinem Onkel nacheilen, doch Madame Turner hielt ihn mit den Worten zurück: »Geh mit Arnold und Wilhelm in den Garten, bist auch ein guter Karl. Der Vater hat jetzt Geschäfte.«
Dann sandte sie Julie mit dem Tischgerät fort und blieb allein in dem Zimmer zurück.
Mit angsterfüllter Brust stand sie einige Augenblicke, unschlüssig, was sie thun sollte. Es war etwas Ernstes, etwas Schreckliches geschehen, das hatte ihr der Blick ihres Gatten gesagt – was aber konnte es sein – was in der Welt gab es, dessen Verlust einen solchen erschütternden Eindruck auf Turner machen konnte? Sie mußte es wissen – sie mußte das Unglück mit dem Gatten tragen, wie sie das viele Glück mit ihm geteilt hatte.
Schnell glitt sie aus der Stube durch den langen Korridor nach dem Zimmer ihres Gemahls und öffnete leise die Thür.
Turner saß in dem Lehnstuhl, seine Arme stützten sich auf seine Kniee, sein Kopf war auf seine Hand gesunken, und der Schreckensbrief lag vor ihm auf dem Fußboden. Er hatte es nicht gehört, als seine Gattin in das Zimmer und zu ihm an den Stuhl trat. Sanft neigte sich diese zu ihm nieder, legte leise ihren Arm um seine Schultern und weckte ihn aus seiner Erstarrung. Einen Augenblick sah er der geliebten Lebensgefährtin in die thränenschweren Augen und sagte dann mit dumpfer Stimme: »Ja, ja, Marie, das Glück ist auch bei uns wandelbar geworden; wir müssen in diesem Herbst die Kluse verlassen!«
»Großer Gott! und warum denn?« fragte Madame Turner mit bebender Stimme und drückte ihre gefalteten Hände gegen die Brust.
»Der zweite Sohn unsrer Gutsherrschaft soll die Kluse als Erbteil erhalten, und will sie selbst bewirtschaften. Er ist verlobt, wird im Herbst heiraten und dann hierher ziehen. Unsre Pacht läuft um diese Zeit ab, und die Bedingungen in dem Pachtbriefe sind derart, daß wir nichts gegen diesen harten Beschluß einwenden können.«
»Die Leute werden doch unmöglich so an uns handeln, sie können uns nicht so ohne weiteres fortjagen, ehe wir eine andre Pachtung haben,« sagte Madame Turner, nach Trost haschend.
»Sie können es, Marie, und sie wollen es.«
»Es wäre ja eine unerhörte Rücksichtslosigkeit, eine Grausamkeit sondergleichen. Das Gut ist schon über hundert Jahre in den Händen deiner Familie gewesen, du hast mit Freuden die verlangte höhere Pacht bezahlt und alles in so guten Stand gesetzt, wie es niemals früher gewesen ist – es wäre unerhört, ja sündlich, so gegen uns zu verfahren!« fuhr Madame Turner fort, und suchte gefaßt zu erscheinen, während die Thränen über ihre Wangen rollten.
»Und doch wird es geschehen,« entgegnete Turner; »sie schreiben, daß eine Änderung in dem Beschlusse unmöglich sei. Wir kommen in eine verzweifelte Lage. Großes Vermögen besitzen wir nicht; wenn wir unser Inventar verkaufen müssen, werden wir bedeutend verlieren, und dann, wo wollen wir so schnell wieder eine Pachtung finden? Eine zweite Kluse giebt es für uns nicht; der Goldbaum hat uns seine letzten Früchte getragen; das Glück will uns verlassen, Marie!«
»Gott hat uns ja noch nie verlassen, Max, und er wird es auch jetzt nicht thun! Auf einem andern Gute können wir ebenso glücklich sein, wenn wir uns auch etwas mehr einschränken müssen,« entgegnete Madame Turner, indem sie unbemerkt sich die Thränen von den Augen wischte.
»Ein andres Gut, das ist leicht gesagt; wenn uns aber die Mittel nun nicht ausreichen sollten!« erwiderte Turner vor sich hinblickend.
»Turner – wir haben viele reiche und gute Freunde,« nahm die Frau wieder das Wort, indem sie die Hand ihres Gatten ergriff und ihm wie mit einem Trost in die Augen sah.
»Du hast recht, Marie,« sagte Turner nach kurzem Schweigen, »ich habe nicht an sie gedacht; sie werden, wenn es nötig sein sollte, uns gern helfen, da sie wissen, daß sie es mit rechtlichen Leuten zu thun haben. Ich will übrigens gleich nach Tisch zu meiner Gutsherrschaft reiten und sie zu bereden suchen, daß sie mir die Kluse wenigstens noch auf ein Jahr in Pacht läßt. Dann kann ich mich nach einem andern Gute umsehen und Vorbereitungen zu unserm Umzuge treffen. Die Leute werden ja billig sein.«
Mit diesen Worten ergriff Turner, leichter atmend, den Brief und legte ihn auf den Tisch, während seine Gattin ihren Arm in den seinigen schlang und nun mit ihm im Zimmer auf und nieder schritt.
»Ich habe seit vergangenem Jahre wiederholt auf Erneuerung meines Pachtvertrags gedrungen, es wurde aber immer hinausgeschoben, und ich hielt es wahrlich kaum noch für nötig, einen Vertrag mit den Leuten zu machen, weil die Kluse ja die langen Jahre in meiner Familie geblieben ist. Wer hätte so etwas denken können!« sagte Turner im Auf- und Niedergehen.
»Die Kluse können uns die Menschen nehmen, unser Glück aber nicht, Max, wir nehmen es mit uns, wohin wir auch ziehen, wenn Gott uns nur allen unsre Gesundheit erhält. An Arbeit sind wir gewöhnt und thun sie gern. Sprich einmal mit den Leuten und versuche es, sie zur Billigkeit zu stimmen. Übrigens ist die Kluse ja nicht das einzige Gut in der Welt, wenn wir auch unser liebes Werrathal lange Zeit vermissen werden,« versetzte Madame Turner, und die Herzen der zum erstenmale in ihrem Leben vom Unglück Bedrängten erleichterten sich nach und nach durch die tröstenden Worte, die sie miteinander wechselten.
Madame Turner verließ ihren Gatten in einer viel gefaßteren Stimmung als der, in welcher sie zu ihm gekommen war. Auch die erschreckten Gemüter der Kinder beruhigten sich, als die Eltern, wenn auch ernster als sonst, doch weniger bekümmert beim Mittagsessen erschienen, welches heute sehr zeitig eingenommen wurde. Gleich nach Tisch reichte Madame Turner ihrem Gatten den Kaffee, Julie brachte die Wachskerze zum Anzünden der Cigarre und Karl Scharnhorst führte den Rappen vor das Haus. Herr Turner ließ nicht lange auf sich warten, schwang sich in den Sattel und reichte seiner Frau zum Abschied die Hand mit den Worten: »Gott wird uns helfen!«
»Gewiß wird er es thun,« entgegnete Madame Turner mit vollster Zuversicht, und winkte ihrem Gatten noch einen Gruß nach.
Der Ritt war vergebens; denn Turner brachte bei seiner Rückkehr die Nachricht mit, daß alle seine Bitten, seine Vorstellungen umsonst gewesen seien, und daß die Gutsherrschaft unabänderlich auf seinem Abzug von der Kluse im kommenden Herbst bestehe.
Die Kunde von diesem Beschluß verbreitete sich bald in dem Städtchen, und mit ihr wurden vielerlei Vermutungen über die eigentliche Ursache der Kündigung seitens der Gutsherrschaft laut. Namentlich sagte man sich im Vertrauen, daß es mit den Vermögensverhältnissen Turners sehr schlecht stehe. Obgleich aber diese Gerüchte von Mund zu Mund gingen, waren sie doch nicht bis auf die Kluse gedrungen, und beinahe eine Woche verstrich, ohne daß Turners etwas andres aus dem Städtchen erfuhren, als was die Knaben, wenn sie abends aus der Schule kamen, ihnen erzählten.
»Unbegreiflich ist es mir, daß sich noch keiner unsrer Freunde hier hat blicken lassen,« sagte Turner eines Abends, als er mit seiner Familie nach dem Abendessen in traulichem Kreise im Garten saß. Ich will morgen doch einmal in die Stadt reiten und hören, was unsre Bekannten sagen. Sie werden sicher den innigsten Anteil an unserm Geschick nehmen. Vielleicht weiß auch der eine oder der andre von einem Gute, welches pachtlos wird; jedenfalls ist mir der Rat eines Freundes willkommen.«
Am folgenden Tag gleich nach dem Mittagsessen bestieg Turner sein Pferd, um nach der Stadt zu reiten, und Madame Turner rief ihm beim Abschied nach: »Grüße nur alle recht herzlich von mir!«
Von dem Gasthause aus, wo Turner sein Pferd abgab, leitete er seine Schritte zuerst zu der Wohnung des Kreisrats und erkundigte sich dort in der Hausflur, ob derselbe zu sprechen sei.
»Jawohl, Herr Turner, der Herr ist in seinem Arbeitszimmer, er wird sich freuen, Sie zu sehen,« entgegnete ihm die Magd mit einem freundlichen Gruß und öffnete eine Thür, indem sie den Herrn Turner anmeldete.
Der Kreisrat, den Turner als einen seiner wärmsten Freunde betrachtete, empfing ihn mit großer Höflichkeit, doch nannte er ihn nicht, wie früher, »mein verehrter Freund«, sondern nur Herr Turner. Er führte ihn durch das Zimmer nach einer Thür, indem er sagte: »Meine Damen werden sich sehr freuen, Sie zu sehen.«
Turner aber hielt ihn mit den Worten zurück: »Ich möchte Sie gern einige Augenblicke allein sprechen, denn es ist eine wichtige Angelegenheit, in der ich mir Ihren Rat erbitten wollte.«
»Gern, gern, mit Freuden stehe ich zu Ihren Diensten; wahrscheinlich einer Klage wegen? Haben Sie einen schlechten Schuldner, sind Sie schon oder sollen Sie noch betrogen werden? Auf meine Hilfe können Sie rechnen. Sagen Sie mir gefälligst nur, was ich für Sie thun kann,« erwiderte der Kreisrat, indem er Turner nach dem Sofa führte und neben ihm Platz nahm.
»Sie haben oft mein Glück hoch gepriesen, Herr Kreisrat, es will mir untreu werden,« begann Turner nach einer kurzen Pause.
»Wie so? Sie erschrecken mich!« sagte der Kreisrat mit erzwungenem Ausdruck der Überraschung, um Turner nicht zu verraten, daß ihm dessen Mißgeschick bereits bekannt sei.
»Denken Sie sich, die Pacht ist mir gekündigt, ich muß im Herbst die Kluse verlassen,« fuhr Turner mit beklommener Stimme fort.
»Es ist wohl nicht möglich! Was ist denn der Grund?«
»Der zweite Sohn meiner Gutsherrschaft hat die Besitzung als Erbteil erhalten und will sie selbst bewirtschaften.«
»Das ist ja schrecklich – will man denn Ihnen keine Zeit geben, sich nach einer andern Pachtung umzusehen? Das geht doch nicht so Hals über Kopf, da hat das Gesetz auch noch ein Wort mitzusprechen; haben Sie Ihren Pachtbrief bei sich?«
»Derselbe hätte schon im vorigen Jahre erneuert werden müssen, und ich habe wiederholt darauf gedrungen, man verschob es aber von einem Monat zum andern, und so ist es denn bis auf den heutigen Tag unterblieben. Die Pacht läuft in diesem Herbste ab, und ich habe nach den Bestimmungen in dem alten Vertrage gesetzlich kein Recht zu einer Beschwerde. Nennen Sie es nicht Nachlässigkeit, wenn ich nicht ernster auf zeitige Erneuerung des Pachtbriefes drang. Das Gut war seit so langen Jahren in den Händen meiner Familie, daß ich den schriftlichen Vertrag nur als eine Form betrachtete, der zu irgend einer Zeit nachgekommen werden konnte. Wie hätte ich denken können, daß die Verzögerung seitens meiner Gutsherrschaft eine beabsichtigte gewesen wäre?« sagte Turner mit einem schweren Atemzug.
»Ja, ja, verehrter Herr Turner, nehmen Sie es mir nicht übel, aber allermindestens trifft Sie doch der Vorwurf leichtsinnigen Vertrauens in die Redlichkeit andrer Leute; solchem blinden Vertrauen darf man sich heutzutage nicht mehr hingeben; wo es sich um Mein und Dein handelt, da halte ich einen jeden im voraus für einen Spitzbuben, dann weiß ich, daß ich nicht hintergangen werde,« entgegnete der Kreisrat mit entschiedener Betonung.
»Dazu würde ich mich nie überreden können, Herr Kreisrat, und ich für meine Person ziehe es vor, gelegentlich betrogen zu werden, ehe ich den Glauben an die Rechtlichkeit unter meinen Nebenmenschen aufgeben und in ihnen nur Spitzbuben sehen sollte. Ich habe gottlob noch die Überzeugung, viele ehrliche Freunde zu besitzen, die mich auch, selbst wenn es sich um Mein und Dein handelt, nicht für einen Schurken halten,« sagte Turner mit mehr als ihm gewöhnlicher Heftigkeit.
»Ganz recht, da bin ich vollkommen Ihrer Ansicht, aber Freundschaft und Geschäft sind zwei ganz verschiedene Dinge, wo der persönliche Vorteil redet, da muß die Freundschaft aufhören. Nun sagen Sie mir, soll ich vielleicht einmal mit Ihrem Gutsherrn reden und ihm ins Gewissen greifen? Ich scheue keine Mühe, wenn ich etwas für Sie thun kann, und mein Rat steht Ihnen jederzeit zu Diensten.«
»Ich bin Ihnen dankbar für Ihre Bereitwilligkeit, mir zu helfen, muß aber darauf verzichten, da ich diesen Versuch bereits selbst vergebens gemacht habe. Man will von einer Änderung in dem Beschlusse nichts hören,« versetzte Turner, kalt berührt von den Grundsätzen des Mannes, den er immer für einen warmfühlenden Freund gehalten hatte. Die Unterhaltung wurde wortkarger und gezwungener, und Turner erhob sich bald darauf, um sich zu entfernen. Der Kreisrat nötigte ihn auch nicht, länger zu verweilen, und sagte, indem er ihn bis an die Thür begleitete, mit einer höflichen Verbeugung: »Mein Rat steht Ihnen jederzeit zu Gebote, Herr Turner.«
Dieser erwiderte die Zusicherung mit einer stummen Verneigung und eilte zusammengepreßten Herzens in die Straße hinaus.
Der Kreisrat war gerade derjenige unter seinen Freunden gewesen, von dem er die wärmste Teilnahme an seinem Schicksal erwartet hatte, und welche Gefühle, welche Grundsätze hatte dieser Mann jetzt gegen ihn ausgesprochen!
Unentschlossen, ob er geraden Weges wieder zu seinem Pferde zurückkehren und nach Hause reiten oder ob er noch andre seiner Freunde aufsuchen sollte, schritt Turner, in düstere Gedanken versunken, langsam in der Straße hin. Das Gefühl drängte sich ihm unwiderstehlich auf, daß er überall dieselbe herbe Erfahrung machen würde wie bei dem Kreisrat, wenn auch sein Herz sich dagegen sträubte und an dem Glauben an wirklich wahre Freundschaft festhielt. An der Ecke, wo die Straßen sich teilten, blieb er einen Augenblick stehen, dann schritt er aber schnell nach dem Gasthause hin, entschlossen, es abzuwarten, welche Teilnahme ihm seine anderen Freunde, ohne von ihm dazu aufgefordert zu sein, zeigen würden; denn die Kunde von seinem Mißgeschick mußte sich bereits in dem Städtchen verbreitet haben.
Madame Turner hatte sich gleich nach ihres Gatten Entfernung in ihre Wirtschaft begeben, um in den häuslichen Arbeiten sich zu zerstreuen und ihre Gedanken von dem schweren Schlage abzulenken, der ihr bisher ungetrübtes Glück getroffen hatte. Was sie aber auch unternahm, sie konnte nirgends Ruhe finden, und mit jeder Stunde wuchs ihr Verlangen nach der Rückkehr ihres Gatten. Wieder und immer wieder begab sie sich in das Wohnzimmer, aus dessen Fenstern sie weit auf die Straße, die nach dem Städtchen führte, hinblicken konnte, um zu sehen, ob sie Turner noch nicht erspähen könne. Als aber nun die Sonne versank, da setzte sie sich an dem Fenster nieder und hielt ihre Augen auf den fernsten sichtbaren Punkt der Straße geheftet. Endlich erkannte sie ihren zurückkehrenden Gatten, er kam aber nicht, wie sonst, im schnellen Trabe, das Pferd ging nur im Schritt, und sie meinte, so langsam sei Turner niemals nach Hause geritten. Sie konnte ihn nicht im Zimmer erwarten, sie warf ihr Tuch um und eilte hinaus ihm entgegen.
»Du bringst keine frohe Nachricht mit dir, Turner,« sagte sie, als sie mit ihm auf der Straße zusammentraf und ihm die Hand zum Willkommen reichte.
»Nein, Marie, wir haben uns in einem unsrer Freunde sehr verrechnet, und zwar in dem Kreisrat. Die Nachricht, daß wir die Kluse verlassen müßten, schien mehr sein Bedenken als seine Teilnahme zu erwecken, und statt warmer, herzlicher, tröstender Worte erhielt ich nichts bezweckende, kalte Ratschläge und steife Höflichkeiten. Er war ein Freund im Glück, ist aber kein Freund in der Not!« entgegnete Turner, indem er abstieg, das Pferd leitete und Arm in Arm mit der Gattin der Wohnung zuschritt.
»Der Kreisrat?« sagte Madame Turner überrascht mit halblauter Stimme, »er war doch immer so herzlich und liebevoll gegen uns!«
»Ja, der Kreisrat, er machte mir nur Vorwürfe und riet mir, wo es sich um Mein und Dein handle, alle Menschen für Spitzbuben zu halten, sowie er es thue, um sich vor Betrug zu schützen.«
»Der Himmel bewahre dich vor solchem Glauben, Turner, lieber mag man uns betrügen. Nein, es giebt noch gute Menschen, und gerade im Unglück werden wir sie erkennen. Was sagten denn Apothekers?«
»Ich bin nicht bei ihnen gewesen. Es war mir unmöglich, mich einer zweiten solchen Täuschung auszusetzen. Wir wollen abwarten, welchen Trost uns unsre Freunde bringen; suchen werde ich denselben nicht bei ihnen. Ich ging vom Kreisrat wieder in das Gasthaus zurück. Dort fand ich viele Bürger versammelt, die mir immer herzlich zugethan waren, wenn sie mir sonst auch nie näher gestanden haben. Die Leute waren außer sich, sprachen sich heftig gegen die Gutsherrschaft aus und erklärten schließlich, daß ich unter keiner Bedingung diese Gegend verlassen dürfe. Es müsse Rat geschafft werden, auf irgend eine Weise ein Gut in der Nähe auszumitteln, weil ich immer den Armen und Bedürftigen eine Stütze gewesen sei. Sieh, Marie, das hat mir wohlgethan und mich tausendfach für den Verlust eines reichen vornehmen Freundes entschädigt.«
»Dessen Hilfe wir auch nicht nötig haben werden, wenn uns der eine treue, barmherzige Freund, der uns bis jetzt so väterlich beigestanden hat, seine Gnade auch fernerhin angedeihen läßt,« sagte Madame Turner, indem sie zum Himmel aufblickte.
»Ja, Marie, Gott ist immer unser treuester Freund gewesen, und wir wollen fest auf seine fernere liebevolle Hilfe bauen. Was uns im Augenblick als Mißgeschick erscheint, wird sich sicher zu unserm Besten wenden; es sei uns willkommen, wie es sich auch gestalten mag!« Mit diesen Worten legten die beiden Gatten ihre Hände ineinander, als wollten sie sich gegenseitig das Versprechen geben, in diesem Glauben niemals zu wanken.
Am nächsten Morgen setzte Turner mehrere Anzeigen für verschiedene Zeitungen auf, worin er bekannt machte, daß er ein Gut zu pachten suche, und schrieb zugleich eine Menge Briefe an auswärtige Freunde, welche er aufforderte, sich für ihn zu bemühen und ihm mitzuteilen, wenn sie von einer offenen Pachtung hören sollten. Er brachte die Schreiben selbst nach der Stadt zur Post und wurde dabei allenthalben in den Straßen von den Einwohnern angehalten, da ein jeder aus seinem Munde hören wollte, ob das Gerücht von der Pachtkündigung wahr sei. Es herrschte nur eine Stimme unter den Leuten: die der Entrüstung gegen die Gutsherrschaft und die der wärmsten, liebevollsten Teilnahme für Turner. Von seinen Freunden aber bekam er keinen zu sehen. Mochte es nun Zufall sein, daß keiner derselben ihn beim Vorübergehen vor deren Wohnung bemerkt hatte; bis jetzt aber war er kaum jemals durch das Städtchen gegangen, ohne daß der eine oder andre Freund ihn aus dem Fenster angerufen oder ihn in der Straße oder im Gasthaus aufgesucht hatte. Vor der Apotheke sogar blieb er eine geraume Zeit stehen, weil mehrere Bürger ihn dort anredeten, um ihm ihr Bedauern über das ihn betroffene Mißgeschick auszusprechen; er erkannte hinter dem Fenster die Frau und die Töchter des Apothekers, sah, wie dieselben sich schnell von den Fenstern entfernten, und erwartete nun von Augenblick zu Augenblick, daß sein Freund, der Apotheker, zu ihm heraus in die Straße kommen würde, – allein, er hatte sich getäuscht, es ließ sich niemand aus dem Hause sehen.
Auf der Kluse wurde es jetzt sehr still, denn die vielen angesehenen, reichen Freunde, von denen sich jahraus, jahrein fast täglich eine Anzahl dort eingefunden hatte, blieben aus; Tage und Wochen eilten dahin, ohne daß einer derselben sich hätte sehen lassen, obgleich das Wetter ungewöhnlich schön und einladend war und die Gärten im reichsten, üppigsten Schmuck ihre ersten Früchte darboten. So schmerzlich sich Turners nun auch durch diese Teilnahmlosigkeit und Vernachlässigung berührt fühlten, so würde doch ihr unbedingter guter Glaube an die Biederkeit ihrer Nebenmenschen nicht dadurch beeinträchtigt worden sein, wären nicht die nachteiligen Gerüchte zu ihren Ohren gekommen, welche man über sie im Städtchen verbreitet hatte. Tief gekränkt und entrüstet darüber, bemühte sich Turner, die Quelle zu entdecken, aus welcher diese Verleumdungen entsprungen waren; doch umsonst, alle seine Nachforschungen dieserhalb blieben vergebens.
Zum erstenmal in ihrem Leben fühlten sich Turners von den Menschen zurückgestoßen, und ihr Glaube an dieselben begann zu wanken. Um so enger und um so inniger aber schlossen sie sich in ihrem Familienkreise aneinander und kamen bald zu der Überzeugung, daß ihr wahres Glück niemals durch die Menschen vermehrt worden war, daß es immer nur in ihnen selbst, in ihrer Liebe für einander bestanden hatte. Mit doppeltem Eifer, mit doppelter Thätigkeit widmeten sie sich ihren Geschäften und machten, wo sie konnten, schon jetzt Vorbereitungen für ihren Abzug von der Kluse. Sie wurden nun nicht mehr durch viele Besuche von ihren Arbeiten zurückgehalten, und die Ersparnisse infolge von deren Ausbleiben stellten sich als nicht unbedeutend heraus. Bald waren die sogenannten Freunde, die Schmarotzer, vergessen, und Turners befreundeten sich täglich mehr mit dem Gedanken, das ihnen unentbehrlich geglaubte schöne Werrathal zu verlassen.