Aristoteles
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Fünftes Buch.

Erstes Kapitel.

Dass nun der Gesetzgeber vor allem für die Erziehung der Jugend zu sorgen habe, wird wohl Niemand bezweifeln; denn wenn dies in den Staaten nicht geschieht, thut es der Verfassung grossen Schaden, da die Regierung der jedesmaligen Verfassung entsprechen muss. Der eigenthümliche Character jeder Regierung pflegt auch die Verfassung zu schützen und sie gleich Anfangs festzustellen; so der demokratische Character die demokratische Verfassung und der oligarchische Character die oligarchische Verfassung, und der bessere Character ist auch immer die Ursache einer besseren Staatsverfassung. Jedes Vermögen und jede Kunst bedarf nun eines vorgängigen Unterrichtes und einer vorgängigen Gewöhnung für die Ausführung ihrer Arbeit; also ist dies auch offenbar für die Uebung der Tugend erforderlich. Da nun der Zweck der Staatsverbindung für Alle nur einer ist, so muss offenbar auch die Erziehung für Alle ein und dieselbe sein und die Sorge dafür dem Staate zukommen und nicht den Einzelnen, wie dies jetzt geschieht, wo jeder für seine Kinder sorgt, indem er ihnen Privat-Unterricht ertheilt und das lehrt, was er für angemessen hält. Die gemeinsamen Aufgaben müssen vielmehr gemeinsam erfüllt werden; auch darf der einzelne Bürger nicht glauben, dass er sich selbst angehöre, sondern alle gehören dem Staate an; jeder ist ein Theil des Staates und die Sorge jedes einzelnen Theiles hat naturgemäss sich auf die Sorge für das Ganze zu richten. Auch deshalb sind die Lakedämonier zu loben; denn sie sorgen am meisten für die Kinder und zwar gemeinsam. 151

 

Zweites Kapitel,

Hiernach ist klar, dass die Erziehung gesetzlich zu regeln ist und dass sie zu einer gemeinsamen gemacht werden muss; aber welche Erziehung statt haben und wie erzogen werden solle, darf nicht unbekannt bleiben. Jetzt streitet man über die Einrichtung derselben; man meint, dass nicht alle Knaben dasselbe zu lernen brauchen, sowohl in Bezug auf Tugend, wie auf das beste Leben und man schwankt, ob es sich mehr ziemt den Verstand auszubilden, oder den Character. Die gegenwärtige Erziehungsweise macht die Untersuchung schwierig und es ist nicht klar, ob man mehr das für das Leben Nützliche, oder das, was zur Tugend führt, oder das darüber noch Hinausgehende der Jugend lehren solle; denn jede dieser Ansichten hat ihre Vertheidiger gefunden. In Bezug auf die Uebung zur Tugend herrscht keine Uebereinstimmung, weil nicht Alle sofort dieselbe Tugend in Ehren halten und daher natürlich auch in der Uebung derselben von einander abweichen. Dass man ferner von den nützlichen Dingen das Nothwendigste der Jugend lehren müsse, ist klar; aber auch klar, dass dies nicht für alles gelten kann, vielmehr muss zwischen den Thätigkeiten des freien Mannes und der Unfreien unterschieden werden und offenbar braucht von dem Nützlichen nur das gelehrt zu werden, dessen Uebung den Inhaber nicht zu dem gemeinen Handwerker macht, Als solche gemeine Arbeit, Fertigkeit und Kenntniss muss aber die gelten, welche den Körper, oder die Seele, oder die Einsicht des Freien unbrauchbar macht zur Uebung und Verwirklichung der Tugend. Deshalb heissen alle Fertigkeiten gemeine, welche den Zustand des Körpers verschlechtern; insbesondere die Lohnarbeit; denn sie machen den Geist unfrei und unterwürfig. Auch von den freien Wissenschaften Einiges bis zu einem gewissen Grade sich anzueignen, passt wohl für den freien Mann; aber sich auf sie bis zur Vollkommenheit zu verlegen, hat die erwähnten Nachtheile. Es ist ein grosser Unterschied, aus welchem Grunde Jemand etwas thut oder lernt; geschieht es um seiner selbst willen, oder aus Neigung, oder um der Tugend willen, so ist dies nicht unziemlich; wer dasselbe aber um Anderer willen thut, wird oft für einen solchen gelten, der 152 Tagelöhner- oder Sclaven- Arbeit verrichtet. Die jetzt gebräuchlichen Lehrgegenstände schwanken, wie früher gesagt worden, zwischen diesen beiden Richtungen hin und her.

 

Drittes Kapitel.

Ungefähr viererlei ist es, was man jetzt zu lehren pflegt, das Lesen und Schreiben, das Turnen, die Musik und bei Einigen als Viertes das Zeichnen, weil das Lesen und Schreiben und das Zeichnen für das Leben nützlich und von dem vielseitigsten Gebrauche sind, das Turnen aber mit zur Tapferkeit anleitet. In Bezug auf die Musik könnte man aber schwanken; denn jetzt treiben die Meisten sie nur des Vergnügens wegen; dagegen hat man sie in alten Zeiten mit in den Unterricht aufgenommen, weil, wie ich oft gesagt habe, die Natur selbst verlangt, dass der Mensch nicht blos richtig zu arbeiten, sondern auch in schöner Weise seine Musse zu geniessen vermöge. Denn die Natur ist, um es noch einmal zu sagen, die Grundlage für Alles; wenn also beides nöthig ist, so ist doch die Musik vorzüglicher, als die Arbeit und man hat zu untersuchen, was man überhaupt in der Mussezeit treiben soll. Offenbar nicht Spiele, denn sonst müsste das Spiel der Zweck des Lebens für uns sein. Da dies aber nicht möglich ist, und das Spiel nur mehr innerhalb der Arbeit nützlich ist (denn bei der Arbeit bedarf man des Ausruhens und das Spiel geschieht um des Ausruhens willen; und die Arbeit verlangt Mühe und Anstrengung), so muss man das Spiel wohl zulassen, aber die richtige Zeit dafür in Acht nehmen, indem es gleichsam nur als Medizin gegeben wird; denn nur solche geistige Anregung beim Spiele ist ein Nachlassen und wegen der Lust, die es gewährt, eine Erholung. Die Musse dagegen hat die Lust und das Glück und das selige Leben in sich selbst. Ein solches Leben haben nicht die Arbeitenden, sondern die, welche der Musse pflegen; denn jene arbeiten um eines Zieles willen, das noch nicht da ist, während die Glückseligkeit selbst das Ziel ist und Allen als frei von Schmerz und voll von Lust gilt. Diese Lust gilt aber nicht als ein und dieselbe für Alle, sondern jeder macht 153 sie sich für sich und nach seinem Zustande zurecht; nur der beste Mensch wählt die beste Lust und die Lust, welche von dem Besten kommt.

Offenbar muss also auch für das Verhalten in der Mussezeit etwas gelernt und geübt werden; diese Uebungen und diese Kenntniss sind um ihrer selbst willen da, dagegen geschehen die für die Arbeit nöthigen nur aus Nothwendigkeit um Anderes willen. Deshalb haben unsere Vorfahren die Musik nicht um der Nothwendigkeit willen in den Unterricht aufgenommen, (denn davon hat sie nichts an sich) und auch nicht um des Nutzens willen, wie das Lesen und Schreiben, welches für Geldgeschäft und für die Hauswirthschaft und für die Wissenschaften und viele staatliche Thätigkeiten gebraucht wird. Selbst die Zeichenkunst scheint ihren Nutzen zu haben, um die Werke der Künstler besser beurtheilen zu können. Auch dient die Musik nicht, wie das Turnen, der Gesundheit und Körperkraft; denn keines von beiden entsteht aus der Musik und deshalb bleibt nur übrig, dass sie der Unterhaltung in der Mussezeit dient, und dazu wird man sie auch eingeführt haben; man stellte sie zu den Dingen, mit denen der freie Mann sich beschäftigen kann. Deshalb sagt auch Homer:

»Sondern wen sich geziemt, zum fröhlichen Schmause zu laden«

und nachdem er vorher einige Andere genannt hat, sagt er:

»Welche den Sänger rufen, welcher Alle ergötzt.«

Und an einer anderen Stelle sagt Odysseus, das sei die beste Unterhaltung, wenn unter fröhlichen Menschen

»Sitzet die schmausende Schaar in der Halle und lauschet
Dem Sänger, reihenweis neben einander.«

Dass es also einen Unterrichtsgegenstand giebt, den man den Kindern nicht um des Nutzens oder um der Nothwendigkeit willen, sondern ihnen, als freien Menschen und als etwas Schönes lehrt, ist klar. Ob nun dazu nur eine Kunst oder mehrere, und welche und in welcher Weise gehören, soll später gesagt werden. Jetzt haben wir wenigstens so viel für den einzuschlagenden Weg erkannt, dass wir auch an unseren Vorfahren ein Zeugniss dafür aus den von ihnen aufgestellten 154 Lehrgegenständen besitzen; denn die Musik ergiebt dies klar. Selbst von den nützlichen Dingen muss man Manches den Kindern nicht blos wegen des Nutzens lehren, wie das Lesen und Schreiben, sondern weil es dadurch auch möglich wird, viele Wissenschaften zu erlernen.

Dasselbe gilt auch für die Zeichenkunst; man lehrt sie nicht blos deshalb, damit man bei seinen eignen Einkäufen keinen Fehler begehe, und nicht bei dem Kauf und Verkauf von Geräthschaften betrogen werde, sondern mehr noch, damit man die Schönheit des Körpers richtig beurtheilen könne. Ueberall nur das Nützliche aufzusuchen, ziemt sich am wenigsten für grossherzige und freie Männer. Da es nun klar ist, dass man die Erziehung zunächst durch Gewöhnung und erst später durch Lehre bewirken und ebenso zunächst für den Körper, und erst später für den Verstand sorgen muss, so erhellt hieraus, dass man die Knaben zunächst in der Turn- und Ringkunst üben muss, denn die eine verbessert die Beschaffenheit des Körpers und die andere seine Leistungen.

 

Viertes Kapitel,

Gegenwärtig sorgen die meisten Staaten in der Weise für die Knaben, dass sie ihnen die Beschaffenheiten eines Wettkämpfers zu verschaffen suchen, aber dabei die Gestalt und das Wachsthum der Knaben beschädigen; dagegen haben die Lakedämonier zwar diesen Fehler nicht begangen, aber sie machen die Knaben durch die ihnen auferlegten grossen Anstrengungen roh und wild, weil dies für die Tapferkeit am dienlichsten sei. Allein ich habe schon oft gesagt, dass man bei der Erziehung nicht blos eine Tugend und auch nicht die Tapferkeit vorzugsweise im Auge haben dürfe, und selbst wenn dies zulässig wäre, so erreicht man den Zweck nicht einmal, denn weder bei den Thieren, noch bei den fremden Völkern sieht man, dass die Tapferkeit den wildesten am meisten eigen ist, sondern vielmehr denen mit einem gezähmteren und löwenartigen Charakter. Es giebt viele Völker, welche zum Morden und Menschenfressen leicht bereit sind, so die Achäer und Heniochen am schwarzen Meere und andere von den binnenländischen Völkern, 155 die jenen mehr oder weniger gleichen; alle diese sind nun zwar zum Rauben geschickt, aber von Tapferkeit besitzen sie nichts. Auch von den Lakoniern wissen wir ja, dass sie, so lange sie sich schwere Anstrengungen auferlegten, die Anderen übertrafen, jetzt aber sowohl in den Turnübungen, wie in den kriegerischen Kämpfen hinter den Anderen zurückstehen. Denn ihr Uebergewicht kam nicht davon, dass sie die Jugend in dieser Weise turnen liessen, sondern lediglich davon, dass die Anderen sich nicht auch so übten. Deshalb muss das Schöne und nicht das Wilde die erste Stelle einnehmen; denn weder der Wolf, noch sonst ein wildes Thier wird einen schönen Kampf bestehen; dies vermag nur der tugendhafte Mann. Wer die Knaben zu sehr in dieser Richtung antreibt und den Unterricht in den nothwendigen Dingen verabsäumt, macht dieselben in Wahrheit zu gemeinen Handarbeitern; sie sind dann in den Staatsangelegenheiten nur zu einer Thätigkeit geschickt und selbst da, wie das Gesagte ergiebt, schlechter als die Anderen. Man darf die Lakonier nicht nach ihren früheren Thaten, sondern nach denen in jetziger Zeit beurtheilen; denn erst jetzt haben sie ebenbürtige Gegner in der Erziehung; früher hatten sie sie nicht. Darin ist man also einverstanden, dass die Turnkunst geübt werden muss und wie dieses zu geschehen habe. Bis zur Mannbarkeit sind nur leichtere Uebungen zuzulassen und jede überkräftige Ernährung, so wie jede schwere Arbeit fern zu halten, damit das Wachsthum nicht leide. Es sind deutliche Zeichen vorhanden, dass dergleichen Folgen herbeigeführt werden können; denn man wird unter den Siegern in den olympischen Spielen nur zwei oder drei finden, die nicht blos als Jünglinge, sondern auch als Männer den Sieg gewonnen haben, weil eben die Knaben sich in ihren Kräften durch Uebung der gewaltsamen Turnkünste erschöpften. Wenn die Jünglinge aber von der Mannbarkeit ab drei Jahre lang in den Wissenschaften unterrichtet werden, so haben sie demnächst das passende Alter für schwere Anstrengungen und für den Genuss einer sehr nahrhaften Kost. Den Körper und den Geist gleichzeitig anzustrengen ist nicht recht; die Anstrengung des einen hindert die Anstrengung des anderen; die körperliche 156 Arbeit hemmt die Thätigkeit des Verstandes und diese die körperliche.

 

Fünftes Kapitel.

Ueber die Musse habe ich schon früher einige zweifelhafte Punkte erörtert und es wird gut sein, sie jetzt wieder aufzunehmen und weiter zu führen, damit auch Andere dadurch Veranlassung erhalten, sich darüber zu äussern. Es ist nicht leicht darzulegen, welche Kraft die Musse enthält und weshalb man an ihr Theil nehmen soll und ob dies nur des Zeitvertreibes und der Erholung wegen geschehen soll, so wie es mit dem Schlafen und Weintrinken geschieht; denn dergleichen ist an sich nichts Sittliches, aber ist angenehm und stillt den Kummer, wie Euripides sagt. Deshalb stellt man auch die Musik mit dem Schlafen und dem lustigen Trinken zusammen und benutzt diese Dinge alle in gleicher Weise. Auch den Tanz rechnet man dazu. Oder sollte nicht vielmehr die Musik auf die Tugend abzwecken, indem, sowie die Turnkunst dem Körper die rechte Beschaffenheit verleiht, die Musik dem Character die rechte Beschaffenheit gewährt, und den Menschen gewöhnt, sich in rechter Weise zu ergötzen. Oder vielleicht trägt sie etwas zum geistigen Genuss und zur Einsicht bei; denn dies wäre das dritte von dem früher Genannten. Nun ist unzweifelhaft, dass man die Knaben nicht um des Spieles wegen erziehen darf, denn beim Lernen spielen sie nicht, da es ihnen schmerzlich ist. Ebenso passt es wohl nicht, den Knaben und der Jugend in diesem Alter den Genuss aus der höheren Geistesbeschäftigung zu gewähren; denn dem Unreifen gebührt noch nicht der Genuss des Zieles. Aber vielleicht meint man, dass das, was für die Kinder Ernst sei, denselben, wenn sie Männer geworden und zur vollen Entwickelung gelangt sind, eine Unterhaltung sein werde. Allein, wenn dies sich so verhielte, wozu brauchten sie da Musik zu lernen und weshalb könnten sie da nicht, wie die Könige der Perser und Meder dies von Anderen betreiben lassen und in dieser Weise an der Lust und dem Erlernten Theil nehmen. Offenbar müssen ja die, 157 welche solche Beschäftigung mit der Kunst zu ihrer Lebensaufgabe machen, Besseres darin leisten, als die, welche sich nur so lange, als es zum Lernen nöthig ist, damit beschäftigt haben. Wäre es nöthig, dass sie selbst mit solchen Künsten sich abmühten, so müsste man sie auch die Zubereitung der Speisen lernen lassen, was doch verkehrt wäre. Dieselbe Schwierigkeit zeigt sich, wenn die Musik den Character verbessern solle; denn wozu dann die Knaben das eigne Musiciren zu lehren und weshalb sollen sie nicht durch blosses Anhören des Spieles von Anderen dahin gelangen, dass sie in rechter Weise sich daran ergötzten und darüber urtheilten? So geschieht es bei den Lakoniern, welche die Musik nicht selbst betreiben und doch, wie man sagt, richtig beurtheilen können, welche Gesänge nützlich sind und welche nicht. Diese Schwierigkeit bleibt auch dann, wenn man die Musik nur zum Zeitvertreib und zur anständigen Unterhaltung benutzen soll; denn wozu brauchen da die Knaben selbst sie zu erlernen, da sie durch Benutzung Anderer diese Erholung sich verschaffen können? Man kann sogar hier auf die Vorstellungen zurückgreifen, die man von den Göttern hat; denn nicht Zeus selbst singt und spielt die Zither bei den Dichtern; vielmehr gelten solche Spieler als gemeine Handwerker und kein Mann treibt dergleichen, wenn er nicht trunken ist oder scherzen will.

Indess wird wohl die Untersuchung hierüber besser später anzustellen sein; die erste Frage bleibt hier immer die, ob die Musik in die Unterrichtsgegenstände aufzunehmen ist oder nicht, und was sie für die Ziele, über welche die Zweifel dargelegt worden sind, zu leisten vermag; ob sie also der Erziehung, oder dem Spiele oder der höheren Geistesrichtung dient. Nun wird wohl mit Recht die Musik für alle diese Ziele verordnet und sie hat wohl an allen dreien Theil. Das Spiel ist der Erholung wegen da und die Erholung muss allerdings angenehm sein (denn sie ist eine Art Medicin für die Schmerzen der Arbeit) und die höhere Geistesbeschäftigung muss, wie man allseitig anerkennt, nicht blos das Schöne, sondern auch das Vergnügen an sich haben; denn die Glückseligkeit besteht ja aus beiden. Nun sagen Alle, dass die Musik zu den angenehmsten Genüssen gehöre, sei sie allein, oder mit Gesang verbunden; auch Musäos 158 sagt, dass das Singen das Süsseste für die Sterblichen sei. Deshalb wird die Musik mit Recht zu den Gesellschaften und Unterhaltungen hinzu genommen, da sie erheitern kann, und deshalb schon könnte man annehmen, dass die Jünglinge sie lernen müssten; denn alle unschädlichen Vergnügen entsprechen nicht nur der Bestimmung des Menschen, sondern auch seiner Erholung. Da es sich aber selten trifft, dass die Menschen ihre Bestimmung erreichen, aber dagegen oft ausruhen und das Spiel herbeinehmen, nicht um etwas Weiteren willen, sondern blos des Vergnügens wegen, so dürfte es wohl zuträglich sein, seine Erholung in dem Genuss der Musik zu suchen. Es kommt auch vor, dass die Menschen ihren Lebenszweck in's Spielen setzen; denn auch der Lebenszweck hat einen Genuss in sich, nur nicht jeden beliebigen, und indem sie nun diesen Genuss suchen, nehmen sie den Genuss des Spielens für denselben, weil die Thätigkeit dabei etwas Aehnliches mit dem Lebenszwecke hat; denn dieser Lebenszweck wird nicht um etwas, was erst ihm folgen soll, gewählt und ebenso wird dieser Genuss aus dem Spiel nicht wegen etwas gewählt, was ihm folgen soll, sondern wegen etwas, was vorhergegangen ist, wie Arbeit und Schmerzen. Dies kann man wohl als die wahre Ursache annehmen, weshalb die Menschen sich die Glückseligkeit durch diese Art von Genuss verschaffen wollen; wenn sie aber gemeinsam Musik treiben, dürfte es nicht blos des Genusses wegen geschehen, sondern weil dies auch der Erholung dient.

Indess bleibt doch zu untersuchen, ob diese Wirkungen nicht blos nebensächliche sind und ob nicht die Musik ihrer Natur nach höher zu stellen ist, als dass sie blos den erwähnten Nutzen gewähren und blos um des gemeinsamen Vergnügens wegen, was Alle an ihr empfinden, getrieben werden sollte (denn die Musik gewährt ein natürliches Vergnügen und deshalb ist die Beschäftigung mit ihr jedem Lebensalter und jeder Sinnesweise willkommen); und ob man nicht auch darauf sehen muss, in welcher Weise sie auch auf den Charakter und die Seele einwirkt. Dies wäre aber offenbar der Fall, wenn der Charakter durch die Musik eine gewisse Beschaffenheit erhält. Dass nun aber dies der Fall ist erhellt aus vielerlei sonst und nicht am wenigsten geschieht es durch 159 die Gesänge des Olympos, welche eingestandenermaassen das Gemüth begeistern und die Begeisterung ist ein dem sittlichen Charakter der Seele angehörender Gemüthszustand. Auch wenn man nur den mimischen Darstellungen folgt, so empfindet man mit den Darstellenden die gleichen Gefühle, selbst abgesehen von den rhythmischen Bewegungen und Gesängen derselben. Da sonach die Musik zu den Genüssen gehört und bei der Tugend es sich darum handelt, dass man in rechter Weise geniesse und liebe und hasse, so erhellt, dass man nichts so sehr zu lernen und sich anzugewöhnen hat, als richtig zu urtheilen und sich an guten Sitten und Handlungen zu erfreuen. Auch haben die taktmässigen Bewegungen und Gesänge neben ihren natürlichen Eigenschaften eine grosse Aehnlichkeit mit den Affecten des Zornes und der Sanftmuth; ebenso mit der Tapferkeit und Mässigkeit und deren Gegentheilen und mit den übrigen sittlichen Tugenden, wie die Erfahrung dies zeigt; denn die Gemüthszustände wechseln, wenn man dergleichen hört. Die Gewohnheit sich über dergleichen zu betrüben und zu freuen steht den wirklichen Gefühlen dieser Art sehr nahe; wenn z. B. Jemand bei dem Beschauen des Bildes von Jemand sich ergötzt und zwar aus keiner anderen Ursache, als wegen der Gestalt desselben, dann muss auch der Anblick des Menschen selbst, dessen Bild er gesehen hat, ihn erfreuen. Bei den Wahrnehmungen anderer Sinne kommt es nicht vor, dass hier eine Aehnlichkeit mit den Gefühlen statt hat; so z. B. bei dem, was man durch Fühlen oder Schmecken wahrnimmt, und auch nur in etwas bei dem, was man sieht, wozu die Gestalten gehören; indess ist dies nur im geringen Grade der Fall und Allen sind diese Wahrnehmungen gemeinsam. Auch sind diese Gestalten und Farben den Gefühlen nicht ähnlich, sondern sie sind nur Zeichen derselben und zwar nur, insofern bei den Affecten der Körperzustand sich ändert. Indess ist auch hier ein grosser Unterschied bei der Betrachtung derselben und deshalb sollen die Jünglinge nicht die Werke des Pauson sehen, sondern die des Polygnotos und anderer Maler oder Bildhauer, die ihre Gestalten anständig gehalten haben.

In den Gesängen selbst ist dagegen eine Nachahmung der sittlichen Gefühle selbst enthalten, wie daraus erhellt 160 dass schon die Natur der Tonarten so beschaffen ist, dass die Hörer nach den einzelnen dieser Tonarten anders empfinden und nicht in gleicher Weise sich verhalten. So sind sie bei einigen trauriger und gefasster, wie z. B. bei der gemischten lydischen, bei anderen aber weichlicheren Sinnes, wie bei den ausgelassenen Tonarten und bei anderen wieder mehr ruhigen und festen Sinnes, wie dies die dorische Tonart allein hervorbringt, während die phrygische Begeisterung erweckt. Dies ist von denen, welche über diesen Theil der Erziehung nachgedacht haben, gut dargelegt worden; sie entnehmen den Beweis für ihre Auffassungen unmittelbar aus den Thatsachen. Ebenso verhält es sich auch mit den Taktarten. Manche haben mehr einen ruhigen, andere mehr einen bewegten Charakter und bei letzteren ist die Bewegung bald gröber, bald edler. Hieraus erhellt, dass, und in welcher Weise die Musik das Sittliche in der Seele bewirken kann, und wenn sie dies vermag, so ist klar, dass die Jünglinge zu ihr zu führen und in ihr zu unterrichten sind. Auch passt der Unterricht in der Musik für die Natur in dieser Altersstufe; denn die Jünglinge halten wegen ihrer Jugend nicht gern bei unangenehmen Dingen aus, während die Musik von Natur zu dem Angenehmen gehört. Es scheint auch eine Art Verwandtschaft zwischen den Ton- und Taktarten in der Seele zu bestehen und deshalb haben viele weise Männer die Seele für eine Harmonie erklärt, andere gesagt, dass sie Harmonie habe.

 

Sechstes Kapitel.

Ob man aber den Jünglingen das eigne Singen und Spielen der Instrumente lehren solle, oder nicht, diese früher aufgeworfene Frage ist jetzt zu untersuchen. Unzweifelhaft macht es einen grossen Unterschied für die Ausbildung, ob Jemand selbst an der Ausübung der Musik Theil nimmt; denn es ist unmöglich, oder wenigstens schwer, ohne wirkliche Ausübung der Tonkunst ein gutes Urtheil darüber zu erlangen. Auch müssen die Kinder einen Zeitvertreib haben und die Kinderklapper muss man für eine gute Erfindung des Archytas halten, die man den Kindern giebt, damit sie mit ihr 161 spielen und im Hause nichts zerbrechen, da das Kind nicht still sitzen kann. Diese Kinderklapper ist das passende Spielzeug für kleine Kinder und der Unterricht in der Musik ist die Kinderklapper für die grösser gewordenen. Es ist also hieraus klar, dass die Musik so gelehrt werden muss, dass die Jünglinge auch selbst singen und spielen können. Was aber die Frage anlangt, ob es für die Jünglinge sich ziemt oder nicht, so ist sie nicht schwer zu beantworten und der Einwand, dass es ein gemeines handwerkmässiges Geschäft sei, leicht zu beseitigen. Denn wenn man erstens die Tonkunst selbst üben soll, um ein Urtheil hierin zu gewinnen, so muss man in der Jugend die Kunst selbst ausüben, aber in vorgerückterem Alter sich dessen enthalten; man vermag dann doch, in Folge der in der Jugend erworbenen Kenntniss das Schöne der Musik zu erkennen und es recht zu geniessen. Was aber sodann den Tadel anlangt, als wenn, wie Einige meinen, die Ausübung der Musik etwas Gemeines sei, so widerlegt sich dies leicht, wenn man den Grad beachtet, bis zu welchem die Jünglinge behufs Ausübung ihrer staatlichen Tugenden sich die Fertigkeit darin zu eigen machen sollen; ferner in welchen Gesängen und in welchen Zeitmaassen sie sich zu üben haben und welche Instrumente zu spielen sie lernen sollen, da hier schwerlich ein grosser Meinungs-Unterschied besteht. In diesen Punkten liegt die Widerlegung jenes Tadels, da es wohl sein kann, dass manche Arten der Ausübung der Tonkunst jene getadelte Wirkung haben. Es ist also klar, dass das Erlernen der Tonkunst der späteren Thätigkeit nicht hinderlich werden und den Körper nicht zu gemeinen Bewegungen veranlassen, noch zur Uebung der kriegerischen und staatlichen Thätigkeit unbrauchbar machen darf, und dies gilt sowohl für die Ausübung der Tonkunst in der Jugend, wie für die blosse Kenntniss derselben in späteren Jahren.

Dies würde nun bei dem Unterricht in der Musik erreicht werden, wenn die Jünglinge sich weder mit den anstrengenden Kunststücken der Künstler, noch mit einer wunderbaren oder übertriebenen Kunstfertigkeit abmühen, wie sie jetzt in dem Wettstreit der Künstler und aus diesem in den Unterricht übergegangen ist, sondern wenn die Musik nur so weit geübt wird, als nöthig ist, damit 162 sie sich an schönen Gesängen und Zeitmaassen erfreuen können und nicht blos an dem gemeinen Genuss der Musik, wie er schon bei einzelnen Thieren und auch bei der grossen Menge der Sclaven und Kinder Statt findet.

Hieraus ergiebt sich auch, welche Instrumente man zu wählen hat. Man darf nämlich weder die Flöten noch ein anderes künstliches Instrument in den Unterricht einführen, wie z. B. die Zither und andere dieser Art, sondern nur solche, welche die Jünglinge zu guten Zuhörern machen, sowohl für den musikalischen, wie für den sonstigen Unterricht. Auch ist die Flöte kein anständiges, sondern ein mehr aufregendes Instrument und man soll deshalb sie nur in solchen Zeiten benutzen, wo das Schauspiel mehr der Reinigung der Leidenschaften, als dem Lernen dient. Auch möchte ich noch hinzusetzen, dass dies Flötenspiel, indem es das Sprechen verhindert, eher dem Unterricht entgegen wirkt. Deshalb hat man schon vor Zeiten mit Recht das Flötenspielen bei der Jugend und den Freigeborenen gemissbilligt, obgleich es vorher gebräuchlich gewesen war. Denn die Griechen hatten in Folge des gewachsenen Wohlstandes mehr freie Zeit gewonnen und waren hochherziger im edlen Sinne geworden. Ihre Thaten hatten sie schon früher, aber hauptsächlich nach den persischen Kriegen mit Stolz erfüllt und so erfassten sie auch alle Arten des Unterrichts, ohne in ihrem Eifer hier einen Unterschied zu machen. Deshalb wurde auch die Kunst des Flötenspiels in den Unterricht aufgenommen und in Lakedämon blies einmal ein Chorführer selbst die Flöte zu dem Chor und in Athen wurde das Flötenspiel so landesüblich, dass beinahe alle freien Männer daran Theil nahmen, wie dies sich aus dem Gemälde ergiebt, was Thrasippos als Weihgeschenk aufstellte, als er dem Ekphandites den Chor hergerichtet hatte. Später kam es in Folge der gemachten Erfahrungen in Verruf, indem man besser unterscheiden lernte, was der Tugend förderlich ist und was nicht. Dasselbe geschah mit vielen der alten Instrumente, wie mit den alten Harfen und vielseitigen Lyras und mit allen Instrumenten, deren Spiel den Hörern nur sinnliche Lust gewährte, wie der Siebenangel und der Triangel und die dreieckigen hohen Seiteninstrumente 163 und alle die, welche eine besondere Kunstfertigkeit der Hände erforderten. Auch die Sage der Alten über die Flöten ist dem ganz entsprechend; die Athene soll nämlich die von ihr erfundenen Flöten weggeworfen haben; es passt auch ganz gut, wenn man dabei sagt, dass die Göttin dies aus Unwillen über die Verzerrung des Antlitzes gethan habe. Indess ist es wohl wahrscheinlicher, dass sie es deshalb gethan, weil der Unterricht im Flötenspiel nichts zur Geistesbildung beiträgt, da wir ja der Athene den Schutz der Wissenschaft und Kunst beilegen. Wenn ich nun den Unterricht in dem Gebrauche der Instrumente missbillige, so verstehe ich unter technischem Unterricht den, welcher blos für die Wettstreite ertheilt wird; denn solches Spiel geschieht nicht um der Tugend des Spielers willen, sondern um den Hörern einen Genuss zu bereiten und zwar einen groben. Deshalb halte ich eine solche Fertigkeit für den freien Mann nicht für angemessen; sie ist nur eine Lohnarbeit und solche Spieler werden gemeine Handwerker, weil der Zweck, den sie hierbei verfolgen ein schlechter ist. Auch pflegt der ungebildete Zuhörer auf die Musik nachtheilig zu wirken, weil er theils die vor ihm singenden Schauspieler zu sich selbst herabzieht und auch in körperlicher Hinsicht durch sein Benehmen zum Gemeinen verleitet.

 

Siebentes Kapitel.

Es ist auch noch zu untersuchen, ob man in Bezug auf die Tonarten und Zeitmaasse sämmtliche Tonarten und sämmtliche Zeitmaasse benutzen soll, oder ob hier ein Unterschied zu machen ist und ob von denen, welche die Erziehung zu besorgen haben, derselbe Unterschied festgehalten werden soll, oder ob hier nicht ein dritter gemacht werden muss, da die Musik aus Melodien und Zeitmaassen besteht und man von jedem dieser Bestandtheile wissen muss, welchen Einfluss er auf die Erziehung hat, und ob man mehr der melodiereichen Musik, oder mehr der im Zeitmaasse schönen Musik den Vorzug geben solle. Ich glaube nun, dass hierüber viel Gutes theils von einigen der jetzigen Tonkünstler gesagt worden ist, theils von denjenigen Philosophen, welche mit dem 164 musikalischen Unterricht aus Erfahrung vertraut geworden sind. Ich möchte also denen, welchen es hier auf genaue Bestimmung des Einzelnen ankommt, überlassen, sich darüber bei jenen Männern Auskunft zu erholen, während ich hier die Hauptregeln darüber nur im Umrisse aufstellen werde.

Wenn ich nun der Eintheilung der Gesänge folge, welche einige Philosophen aufgestellt haben und wonach sie in sittliche, in zur Thätigkeit anregende und in begeisternde zerfallen und wonach diese Männer für jede dieser Weisen auch eine andere naturgemässe eigenthümliche Tonart angenommen haben und wenn nach meiner Meinung die Musik nicht blos eines nützlichen Erfolges wegen getrieben werden soll, sondern mehrerer wegen (nämlich auch der Erziehung wegen, ferner zur Reinigung der Gefühle, – und was ich unter Reinigung verstehe, werde ich jetzt nur einfach sagen, da es in meiner Schrift über die Dichtkunst nochmals deutlicher dargelegt werden wird, – und endlich drittens der Unterhaltung wegen und zur Erholung und zum Ausruhen von den Anstrengungen), so ist klar, dass man zwar alle Tonarten benutzen muss, aber nicht alle auf gleiche Weise, sondern für die Erziehung muss man die, welche am meisten sittlich veredeln, benutzen; dagegen für das Zuhören, wenn Andere spielen, die Tonarten, welche zum Handeln anregen und die, welche Begeisterung erwecken. Diese Gemüthserregung, welche bei Manchen hier sehr stark auftritt, ist an sich bei Allen vorhanden und zwar für den einen Affect mehr, und für den anderen weniger und bei solchen Personen sieht man, dass sie aus dieser Aufregung durch religiöse Gesänge wieder zu sich kommen, wenn dazu Gesänge benutzt werden, welche die Seele wieder beruhigen, gleich als hätten sie Arzneien und Reinigungsmittel angewendet. Dieselben Aufregungen müssen auch bei dem Mitleidigen, bei dem Furchtsamen und überhaupt bei allen Affecten, je nachdem der Einzelne ihnen unterworfen ist, eintreten; alle diese Personen müssen eine gewisse Reinigung erfahren und sich dadurch in angenehmer Weise erleichtert fühlen. In gleicher Weise gewähren auch die das Gemüth reinigenden Gesänge den Menschen eine unschädliche Freude. Deshalb müssen die Künstler, welche die Musik bei den Schauspielen 165 ausführen, zu solchen Tonarten und solchen Gesängen angewiesen werden. Indess sind die Zuschauer von zweierlei Art; theils freie und unterrichtete Personen, theils eine ungebildete Menge, die sich aus gemeinen Handwerkern, Tagelöhnern und anderen Leuten dieser Art zusammensetzt und für diese mag man unsittliche Wettkämpfe und Schaustellungen zur Erholung einrichten. Wie nun die Seelen dieser Leute verschrobene und von dem natürlichen Zustande abweichende sind, so giebt es auch Ueberschreitungen in den Tonarten und bei den Gesängen rauschende und in der Färbung verfehlte. Nun macht Jedem das seiner Natur Gemässe Freude und deshalb mag man den Künstlern gestatten, für solche Zuschauer diese Art von Musik zu benutzen.

Dagegen muss bei dem Unterricht, wie gesagt, von den veredelnden Gesängen und Tonarten Gebrauch gemacht werden. Solcher Art ist die dorische Weise, wie ich früher bemerkt habe; indess muss man auch eine andere zulassen, wenn Männer, welche sowohl in der Philosophie, wie in dem Musik-Unterricht erfahren sind, dergleichen für gut erklären. Mit Unrecht lässt aber Sokrates in dem platonischen Staate noch die phrygische neben der dorischen gelten, obgleich er von den Instrumenten die Flöte verwirft; denn die phrygische hat unter den Tonarten dieselbe Bedeutung, wie die Flöte unter den Instrumenten; beide sind wildbegeisternd und aufregend, wie deren Benutzung zeigt, denn für alle bachantischen und alle diesen gleiche Gemüthsbewegungen werden von allen Instrumenten am meisten die Flöten benutzt, und von den Tonarten wählen sie aus den phrygischen Gesängen das ihnen Gemässe. So gilt ja auch der Dithyrambos anerkanntermaassen für phrygisch. Die Sachverständigen wissen hier viele Beispiele anzuführen, namentlich auch, dass Philoxenos zwar versucht habe, in der dorischen Weise einen Dithyrambos unter dem Titel: Die Myser, zu machen, es aber nicht vermocht habe; vielmehr sei er in Folge der Natur dieser Dichtung wieder in die phrygische Weise, als die allein passende Tonart, zurückgerathen. In Bezug auf die dorische Weise ist man einverstanden, dass sie die gemessenste ist und am meisten einen männlichen Character an sich trägt. Da ich nun die Mitte zwischen den 166 Extremen billige und ihr nachgestrebt werden soll und da die dorische Weise im Vergleich zu den anderen Tonarten von solcher Beschaffenheit ist, so erhellt, dass den Jünglingen vorzugsweise die dorischen Gesänge gelehrt werden müssen.

Die Ziele sind indess zweifach, das Erreichbare und das Schickliche; sowohl das Erreichbare muss man erstreben, wie auch das, was für Jeden sich schickt. Aber auch hier bestimmt sich dies nach den Lebensaltern; so wird es dem mit der Zeit schwach Gewordenen nicht leicht, die anstrengenden Tonweisen zu singen, sondern dem in solchem Alter Stehenden weist die Natur die gelassenen Weisen zu. Deshalb wird auch von den durch Sokrates über die Musik getroffenen Bestimmungen mit Recht die getadelt, wo er die gelassenen Weisen für die Erziehung missbilligt, indem er sie als berauschend ansieht; nicht in der Weise eines wirklichen Rausches (denn der Rausch bewirkt mehr einen bachantischen Taumel), sondern im Sinne einer Abspannung. Deshalb soll man für das folgende reifere Alter auch solche Tonarten und solche Gesänge sich einüben. Wenn ferner es noch eine solche Tonart giebt, welche für das jugendliche Alter passt, weil sie zugleich zum Schmuck und zur Erziehung dient, wie dies bei der lydischen vorzugsweise der Fall zu sein scheint, so erhellt, dass man bei der Erziehung diese drei Hauptgesichtspunkte im Auge behalten muss, nämlich das Mittlere, das Erreichbare und das Schickliche. 167

 


 


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