Aristoteles
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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Da ich zu untersuchen beabsichtige, welche von den Staatsgemeinschaften die beste ist, so dass bei ihr die Menschen möglichst nach Wunsch leben können, so muss ich zwar auch die Verfassungen der Staaten in Betracht nehmen, welche für die besteingerichteten gelten und ebenso die, welche von Manchen aufgestellt worden sind und gut zu sein scheinen, damit das Rechte und das Nützliche erkannt werde; indess darf auch das Aufsuchen anderer Formen ausser diesen, nicht für blosse Sophisterei gehalten werden; vielmehr habe ich, weil die jetzt vorhandenen Verfassungen nicht gut eingerichtet erscheinen, die Untersuchung auch darauf richten zu müssen geglaubt. Ich habe hier zunächst von dem auszugehen, was die natürliche Grundlage dieser Untersuchung ist. Entweder also müssen die Staatsgenossen alle an Allem Gemeinschaft haben, oder an Nichts; oder sie müssen an Manchem Theil haben und an Anderem nicht. An Nichts Theil zu nehmen, ist offenbar unmöglich; denn der Staat ist eine Art Gemeinschaft und zunächst muss also eine Gemeinschaft an dem Boden bestehen; denn der Boden ist einer für den Staat und die Bürger sind Genossen des einen Staates. Allein, soll die Gemeinschaft über alles, was möglicher Weise gemeinsam sein kann, sich erstrecken, wenn der zu bildende Staat gut eingerichtet sein soll? oder ist es besser, die Gemeinschaft nur auf Einiges zu erstrecken und auf Anderes nicht? Denn es ist ja auch möglich, dass die 29 Gemeinsamkeit der Bürger sich auf die Frauen, Kinder und das Vermögen erstrecke, wie z. B. in der Staatsverfassung Plato's; denn dort sagt Socrates, dass die Kinder, die Frauen und das Vermögen gemeinschaftlich sein müssen. Ist es nun besser so, wie es jetzt sich verhält, oder so, wie es das in jener Staatsverfassung vorgeschlagene Gesetz bestimmt?

 

Zweites Kapitel.

Indess scheint, abgesehen davon, das die Weibergemeinschaft noch sonst viele Schwierigkeiten bietet, der Grund, weshalb nach des Socrates Erklärung ein Gesetz der Art erlassen werden solle, mit seinen Voraussetzungen nicht zu stimmen. Ferner ist das Ziel, was nach ihm für den Staat bestehen soll, so, wie er es angiebt, unmöglich und wie es näher zu bestimmen ist, hat er nicht gesagt. Ich meine nämlich jenes Ziel, wonach es das beste ist, dass der ganze Staat möglichst einer ist, denn Socrates geht von dieser Unterstellung aus. Allein es ist klar, dass der Staat, je mehr er vorschreitet und zu einer Einheit wird, kein Staat mehr bleiben wird. Denn er ist von Natur eine Menge von Menschen und ist er also mehr eine Einheit geworden, so wird er aus einem Staate eine Hauswirthschaft und aus der Hauswirthschaft ein einzelner Mensch werden; denn man wird eine Hauswirthschaft mehr, wie einen Staat, eine Einheit nennen und einen einzelnen Menschen mehr, als eine Hauswirthschaft. Selbst wenn es also möglich wäre, so etwas auszuführen, so dürfte es nicht geschehen, weil der Staat damit zerstört werden würde. Auch besteht der Staat nicht blos aus vielen Menschen, sondern auch aus der Art nach verschiedenen; denn aus Gleichem wird kein Staat. Die Bundesgenossenschaft ist etwas anderes, als der Staat; jene ist durch ihre Grösse nützlich, wenn sie auch keine Unterschiede der Art nach in sich hat, da sie der Hülfe wegen entstanden ist, wie ja auch ein Gewicht durch seine Vermehrung stärker ziehen wird. Dadurch dürfte sich der Staat auch von der Völkerschaft unterscheiden, wo die Volksmenge nicht nach Dörfern getrennt lebt, sondern so, wie die Arkadier. 30 Wo aber eine Einheit entstehen soll, da müssen Art-Unterschiede vorhanden sein; deshalb erhält die Gleichheit nach den Leistungen die Staaten, wie ich bereits in der Ethik gesagt habe; denn auch unter Freien und Gleichen muss dies statt finden. Alle können nicht zugleich herrschen, sondern es muss ein Wechsel, sei es nach einem Jahre, oder nach sonst einer Ordnung oder Zeit statt haben. Auf diese Weise wäre es möglich, dass Alle herrschen, ohngefähr so, wie wenn die Schuhmacher und Zimmerleute mit einander wechselten und nicht immer dieselben Personen Schuhmacher und Zimmerleute wären. Da indess das Letztere besser ist, so gilt dies auch für die staatliche Gemeinschaft und es ist also besser, dass immer dieselben Personen die herrschenden bleiben, wenn es möglich ist. Wenn dies aber da nicht möglich ist, wo Alle von Natur gleich sind, so ist es, mag nun das Herrschen gut oder schlecht sein, auch gerecht, dass Alle daran Theil nehmen und es ist dann bei diesen eine Einrichtung zu treffen, wonach der Reihe nach die Gleichen sich denen, die in der Herrschaft sind, unterordnen. Dann herrscht der Reihe nach der eine Theil und der andere wird beherrscht, als wenn sie verschiedene geworden wären. In gleicher Weise verwaltet von den mehreren Herrschenden jeder ein anderes Amt.

Hieraus erhellt, dass der Staat nicht von Natur so zur Einheit, wie Einige meinen, bestimmt ist, vielmehr würde das, was damit als das höchste Gut für die Staaten bezeichnet wird, zu deren Verderb werden, während doch das, was für ein Ding gut ist, dasselbe auch erhalten muss. Auch erhellt noch in anderer Weise, dass das Streben nach möglichster Einheit für den Staat nicht das bessere ist. Schon die Familie ist mehr sich selbst genug, als der Einzelne und der Staat mehr, als die Familie und ein Staat will erst dann als ein solcher gelten, wenn die Gemeinschaft der Vielen dahin führt, dass er sich selbst genug ist. Wenn nun das, was sich selbst mehr genug ist, das wünschenswerthere ist, so ist auch das weniger Einssein besser, als das mehr Einssein. 31

 

Drittes Kapitel.

Allein, wenn es auch das Beste sein sollte, dass die Gemeinschaft möglichst eine sei, so dürfte dies doch nicht folgerecht dadurch bewiesen sein, dass Alle zugleich »Mein« oder »Nicht-Mein« sagen; dies soll nämlich nach Socrates als Zeichen gelten, dass der Staat die vollkommenste Einheit erreicht habe. Das »Alle« hat nämlich einen zwiefachen Sinn; soll es das »ein Jeder« bedeuten, so wäre ja das schon vorhanden, was Socrates erreichen will; denn Jeder wird seinen Sohn und sein Weib so nennen, und ebenso wird er sich in Bezug auf sein Vermögen und das, was ihm begegnet, ausdrücken. Allein so werden diejenigen nicht sprechen, welche die Weiber und Kinder gemeinschaftlich haben, sondern nur Alle zusammen können so von ihnen sprechen, aber nicht jeder Einzelne. Ebenso gehört das Vermögen Allen, aber nicht Einzelnen von ihnen. Wenn man also hier das Wort: Alle gebraucht, so ist es offenbar ein Trugschluss; denn die Worte: Alle, Beide, Ungerade und Gerade dienen auch in der Lehre von den Trugschlüssen zu Schlussformen. Wenn also Alle etwas »Mein« nennen, so ist dies in dem einen Sinne zwar schön, aber unmöglich; in dem anderen Sinne bezeichnet es aber keine Einmüthigkeit.

Ausserdem hat aber dieser Ausspruch noch einen anderen Fehler; denn für das, was Vielen gehört, wird am wenigsten gesorgt, vielmehr denkt Jeder mehr auf das Eigne und weniger auf das Gemeinsame, so weit es nicht die Einzelnen berührt; denn abgesehen von anderen Gründen, nimmt er hier die Sache leichter, weil ein Anderer schon dafür sorgen werde. So ist auch bei den häuslichen Verrichtungen die Bedienung durch viele Diener manchmal schlechter, als die von wenigen. Jedem Bürger werden hier an tausend Söhne geboren, aber diese nicht dem Einzelnen, sondern jeder Beliebige ist jedes Beliebigen in gleicher Weise Sohn, so, dass daher Alle sie gleichmässig gering achten. Ferner sagt so jeder zu jedem anderen Bürger, mag dieser sich wohl oder schlecht befinden, »meiner«, der wie vielste der Zahl nach er auch sein mag; er wird also in dieser Weise zu jedem der Tausend, oder wie viel sonst der 32 Staat befasst, sagen: Er ist »meiner«, oder »er gehört dem und dem« und er wird dabei immer im Zweifel sein; denn es ist nicht auszumachen, wem das Kind geboren worden und für wen es nach seiner Geburt am Leben geblieben ist. Ist es nun besser, dass Jeder das Mein so gebraucht, und dass an zwölf Tausend damit dasselbe Kind meinen, oder ist es nicht besser, das Mein so, wie jetzt in den Staaten es geschieht, zu gebrauchen? Hier nennt der eine das Kind seinen Sohn und der andere seinen Bruder; ein dritter nennt es seinen Vetter oder nach einer anderen Verwandtschaft, sei es die des Blutes oder der Hausgenossenschaft und Schwägerschaft mit ihm oder mit einem der Seinigen und über diese hinaus nennt er es seinen Stamm- oder Zunftgenossen; denn es ist besser, ein wirklicher Vetter zu sein, als auf jene Weise ein Sohn. Ueberdem wird es dort doch nicht zu umgehen sein, dass gewisse Personen von Manchen als ihre Brüder, oder Kinder, oder als ihr Vater, oder ihre Mutter angesehen werden; denn sie müssen dies nach der Aehnlichkeit, welche zwischen Kindern und Eltern, in Bezug auf einander besteht, annehmen. So soll es nach Einigen, welche über Reisen in ferne Länder geschrieben haben, auch wirklich vorkommen; die Gemeinschaft der Weiber soll bei einzelnen Völkern in Libyen bestehen, aber die Kinder sollen da nach der Aehnlichkeit vertheilt werden. Es giebt ja auch unter den Thieren weibliche, die Stuten und Kühe, die von Natur so beschaffen sind, dass sie Junge gebären, welche den Eltern sehr ähnlich sind, wie die Stute Dikaea in Pharsalos.

 

Viertes Kapitel.

Ferner wäre es für die, welche eine solche Gemeinschaft einführen wollten, nicht leicht, solchen Uebelständen vorzubeugen, wie Misshandlungen, fahrlässigen und absichtlichen Tödtungen, Schlägereien und Beschimpfungen, welche gegen Väter, Mütter und nahe Verwandte keineswegs ein so leichtes Vergehen sind, wie gegen Fremde; und es muss sogar nothwendig unter Personen, die sich als solche Verwandte nicht kennen, dergleichen häufiger vorkommen, als wenn sie sich kennen. Auch ist es möglich, dass da, wo 33 dergleichen unter Personen geschieht, die sich als Verwandte kennen, die gebräuchliche Sühne geschehen kann, aber dort ist dies nicht möglich. Auch ist es widersinnig, die Kinder als gemeinsam gelten zu lassen oder den sich Liebenden blos den Beischlaf zu verbieten, aber nicht die Liebe selbst und die sonstigen Vertraulichkeiten, obgleich solche zwischen Vater und Sohn oder zwischen Brüdern das Allerungeziemendste sind; ja schon das Lieben ist hier unziemlich. Auch ist es verkehrt, den Beischlaf aus keiner anderen Ursache zu verbieten, als weil die Lust zu heftig werde, und dabei es als gleichgültig anzusehen, ob Vater und Kind oder die Geschwister denselben mit einander vollziehen. Auch dürfte die Weiber- und Kinder-Gemeinschaft eher für die Landbauer, als wie für die Wächter nützlich sein; denn wenn die Weiber und Kinder gemeinschaftlich sind, so ist die Liebe zu denselben schwächer und dies muss eher bei den Beherrschten so sein, damit sie besser gehorchen und nicht auf Neuerungen denken.

Ueberhaupt muss durch ein solches Gesetz gerade das Gegentheil von dem entstehen, was durch richtige Gesetze erreicht werden soll und weshalb Socrates meint, Anordnungen für die Weiber und Kinder in dieser Weise treffen zu müssen. Denn die gegenseitige liebevolle Gesinnung der Bürger halte ich für den Staat für das grösste der Güter (denn dann werden am wenigsten Aufstände eintreten) und auch Socrates lobt die Einheit des Staates am meisten, und diese ist, wie auch er anerkennt, das Werk einer liebevollen Gesinnung. Wir wissen ja, dass Aristophanes in dem Gespräch über die Liebe sagt, wie die Liebenden wegen der Heftigkeit ihrer Liebe verlangen, mit einander sich zu vereinigen und aus ihnen beiden, als zweien, zu Einem zu werden. Da müssen nun beide, oder einer zu Grunde gehen; dagegen muss in Plato's Staate diese liebevolle Gesinnung in Folge solcher Gemeinschaft wässrig werden und hier wird der Sohn am seltensten sagen »mein Vater«, oder der Vater: »mein Sohn«. So wie, wenn man nur wenig Süsses mit Wasser mischt, die Mischung unschmackhaft wird, so muss auch in einem Staate mit solcher Verfassung von den mit diesen Namen bezeichneten Gesinnungen am wenigsten zu bemerken sein, sei es von der des Vaters 34 zu seinen Kindern, oder des Sohnes zum Vater, oder der Brüder zu einander. Denn Zweierlei treibt die Menschen hauptsächlich zur Sorgfalt und Liebe für einander, das Eigene und das Geliebte, und beides kann sich unter Bürgern eines solchen Staates nicht finden. Auch bei der Versetzung der neugeborenen Kinder der Landbauer und Handwerker in die Classe der Wächter und der Kinder dieser in die Classen jener, muss die Ausführung dieser Vorschrift grosse Verwirrung anstiften; die, welche die Kinder bringen und umtauschen, müssen nothwendig erfahren, welche Kinder und wem sie sie geben. Endlich müssen die schon früher genannten Uebel hier noch stärker sich einstellen, wie Misshandlungen, Unzucht und Mord; denn die zu den anderen Bürgern gegebenen Kinder werden die Wächter nicht mehr Brüder, Kinder und Vater und Mutter nennen und umgekehrt die bei den Wächtern nicht mehr die anderen Bürger so, während sie sich vor solchen Unthaten, wenn sie die Verwandtschaft kennten, hüten könnten.

 

Fünftes Kapitel.

So viel mag über die Gemeinschaft der Weiber und Kinder gesagt sein. Hieran schliesst sich die Untersuchung über die Besitzverhältnisse und über die Art und Weise, in welcher diese von denen eingerichtet werden sollen, welche in der besten Staatsverfassung leben wollen, und ob das Vermögen gemeinsam oder nicht gemeinsam sein solle. Man könnte dies auch getrennt von dem, was über die Kinder und Weiber gesetzlich bestimmt worden ist, in Betracht ziehen; ich meine die Frage über den Besitz; ob nämlich, wenn auch jene nicht gemeinsam sind, sondern es sich mit ihnen so wie jetzt in allen Staaten verhält, ob es dann doch besser ist, den Erwerb und die Nutzung gemeinschaftlich zu machen, so dass zwar die Grundstücke im Einzelbesitz sich befinden, aber die Früchte gemeinschaftlich gesammelt und verzehrt werden (wie bei einigen Völkern geschieht), oder ob umgekehrt der Grund und Boden gemeinsam sein soll, aber die Früchte unter die Einzelnen zum Verbrauch getheilt werden sollen; (denn auch in dieser Weise soll die 35 Gemeinschaft bei einigen rohen Völkern bestehen) oder ob sowohl der Grund und Boden wie die Früchte gemeinsam sein sollen. Wenn nun die Landbauer Leibeigene wären, so wäre dies eine andere und leichtere Sache; wenn sie aber für sich arbeiten, so werden diese Fragen über den Besitz mehr Schwierigkeiten haben; denn wenn nicht zwischen den Genüssen und den Arbeiten die Gleichheit eingehalten wird, so werden nothwendig Vorwürfe gegen die, welche viel geniessen, oder viel sich nehmen, aber wenig thun, von denen erhoben werden, welche sich wenig nehmen, aber viel arbeiten. Ueberhaupt ist das Zusammenleben und eine Gemeinschaft in allen menschlichen Dingen schwer, besonders aber in solchen Dingen. Dies zeigen schon die Reisegesellschaften; beinahe die meisten entzweien sich über das, was ihnen in den Weg kommt und werden wegen Kleinigkeiten einander feind. Man ärgert sich ja am meisten über diejenigen der Diener, welche man am meisten zu den alltäglichen Dienstleistungen benutzt.

Die Gemeinschaft der Güter hat auch noch andere Schwierigkeiten; dagegen wird die jetzige Weise des Besitzes und Erwerbes, die überdem noch durch die Sitte und die Bestimmungen guter Gesetze geordnet ist, erheblich besser sein und sie wird das Gute von beiden haben, womit ich unter den beiden den gemeinschaftlichen Güterbesitz und den Privatbesitz verstehe. In gewisser Weise müssen nämlich die Güter gemeinsam sein, in allem Uebrigen aber den Einzelnen zu Eigen gehören. Denn wenn die Arbeit getrennt erfolgt, so giebt es keine gegenseitigen Vorwürfe und sie wird mehr einbringen, weil da Jeder seinem Eignen vorsteht. Aus der Tugend wird aber folgen, dass er das Erworbene nach dem Sprüchwort: »Unter Freunden ist Alles gemeinsam«, gebrauchen wird. Schon jetzt ist in einzelnen Staaten diese Einrichtung vorgeschrieben, sie ist also ausführbar und besteht entweder schon, und zwar hauptsächlich in wohleingerichteten Staaten, oder sie kann doch eingerichtet werden. Ein Jeder hat da seinen Eigenbesitz, aber den Gebrauch gewährt er den Freunden und manches wird auch gemeinsam benutzt. So benutzt in Lakedämon ein Jeder die Sclaven des anderen, wie seine eignen, und dasselbe geschieht mit den Pferden und Hunden und mit 36 den Feldfrüchten an Ort und Stelle, wenn man deren auf der Reise bedarf. Offenbar ist es also besser, wenn die Besitzthümer im Einzelbesitz sind, aber durch die Benutzung gemeinsam werden. Wie nun die Bürger dahin zu bringen sind, das ist die eigenthümliche Aufgabe des Gesetzgebers. Auch enthält das Bewusstsein, etwas zu eigen zu besitzen, eine eigenthümliche unsagbare Lust, denn nicht umsonst hat ein jeder Liebe zu sich selbst; sie ist etwas Natürliches und nur die Selbstsucht wird mit Recht getadelt. Diese hat nicht jene Liebe zu sich, sondern sie hat solche mehr, als sich gehört; es ist wie mit der Geldliebe, obgleich doch, so zu sagen, Alle das Einzelne, was sie besitzen, lieben. Auch ist es eine grosse Freude, den Freunden und Gastfreunden und Kameraden gefällig und hülfreich sein zu können, was nur möglich ist, wenn man einen eignen Besitz hat. Dies erreichen aber die nicht, welche den Staat zu sehr zu einem machen und ausserdem vernichten sie offenbar die Uebung zweier Tugenden; die der Selbstbeherrschung in Bezug auf die Frauen (denn es ist eine gute That, wenn man sich aus Selbstbeherrschung des Weibes eines Anderen enthält) und der Freigebigkeit in Bezug auf das Vermögen; denn eine freigebige Gesinnung kann dann nicht offenbar werden und es kann keine freigebige That geschehen, da nur in der Verwendung des eignen Vermögens die Aufgabe der Freigebigkeit enthalten ist.

Einnehmend und menschenfreundlich möchte allerdings eine solche Gesetzgebung erscheinen; wer es hört, wird sie gern annehmen und meinen, es werde damit eine wunderbare Freundschaft Aller zu Allen entstehen; insbesondere, wenn man die jetzt in den Staaten bestehenden Uebel dem schuld giebt, dass der Besitz nicht ein gemeinsamer sei; ich meine die Processe über Verträge und die Untersuchungen wegen falschen Zeugnisses und die Schmeichelei gegen Reiche. Allein daran ist nicht das Fehlen der Gütergemeinschaft, sondern die Schlechtigkeit die Ursache; denn bei denen, wo der Erwerb und der Besitz gemeinschaftlich ist, sieht man viel mehr Streitigkeiten, als bei denen, wo jeder sein eignes Vermögen hat. Nur im Vergleich zu der grossen Zahl derer, welche ihr Vermögen eigenthümlich erworben haben, erscheint die Zahl der sich Streitenden bei den, in der 37 Gütergemeinschaft Lebenden gering. Auch erfordert es die Gerechtigkeit, nicht blos die vielen Uebel herzuzählen, von denen die in der Gütergemeinschaft Lebenden befreit werden, sondern auch die Wohlthaten, deren sie beraubt werden.

Ein solches Leben erscheint also durchaus unmöglich. Der Grund für den Irrthum des Socrates liegt in seiner falschen Voraussetzung. Allerdings muss die Familie und der Staat eine gewisse Einheit sein, aber nicht durchaus. Denn der Staat ist dann so beschaffen, dass er im Fortgange kein Staat mehr sein wird; oder er wird zwar einer bleiben, aber hart an der Grenze, wo er kein Staat mehr ist, wird er ein schlechter Staat sein; ebenso, als wenn Jemand die Zusammenstimmung zur Einstimmigkeit machte, oder den Rhythmus zu dem einfachen Tacttheil. Vielmehr muss der Staat, da er eine Menge ist, wie ich früher gesagt habe, durch die gemeinsame Erziehung zu einem gemacht werden und wer die Erziehung einführen will und dafür hält, dass dadurch der Staat tüchtig werde, wird es für verkehrt halten, auf jene Weise ihn einrichten zu wollen und nicht durch die Sitte, die Wissenschaften und die Gesetze, wie in Lakedämon und Kreta die Gesetzgeber durch die gemeinsamen Mahle den Grundbesitz gemeinsam gemacht haben.

Auch darf man nicht übersehen, hier den langen Zeitablauf und die vielen verflossenen Jahre zu berücksichtigen; denn in so langer Zeit würde es nicht verborgen geblieben sein, wenn eine solche Einrichtung sich bewährt hätte; denn beinahe Alles ist schon ausgesonnen worden, aber manches davon ist noch nicht eingerichtet und manches wird absichtlich nicht benutzt. Und doch würde die Sache am klarsten werden, wenn man eine solche Verfassung wirklich eingerichtet sehen könnte; denn wer dies ausführen wollte, würde nicht anders können, als den Staat in Theile und Besonderungen zu trennen, theils in Tischgenossenschaften, theils in Zünfte und Stämme, so dass zuletzt nichts Anderes bei dieser Gesetzgebung sich herausstellen würde, als dass die Wächter keinen Ackerbau trieben, was ja auch die Lakedämonier jetzt einrichten wollen. Auch hat Socrates nicht einmal angegeben und es ist auch nicht leicht zu sagen, wie bei dieser Gemeinschaft die Form der ganzen 38 Staatsverfassung sein solle, obgleich doch die Volksmenge in seinem Staate sich aus der Masse der übrigen Bürger bildet, über welche nicht bestimmt ist, ob auch bei den Landbauern die Güter gemeinsam, oder im Einzelbesitz sein sollen und ob die Weiber und Kinder auch bei ihnen gemeinsam sein sollen oder nicht. Denn wenn die Gemeinschaft bei Allen auf dieselbe Weise bestehen soll, wo bleibt da der Unterschied derselben von den Wächtern? und welchen Vortheil haben die, welche solcher Herrschaft sich fügen? was soll ihnen gelehrt werden, damit sie solche Herrschaft ertragen, wenn nicht etwas Aehnliches, wie bei den Kretern ausgeklügelt wird? In Kreta gestattete man nämlich den Sclaven alles Andere, nur der Besuch der Turnplätze und der Besitz von Waffen war ihnen untersagt. Wenn dagegen bei den übrigen Bürgern des Platonischen Staates die Einrichtungen, gleicher Art, wie in den anderen Staaten sein sollen, welche Art von Gemeinschaft soll da herauskommen ? Nothwendig werden dann in einem Staate zwei Staaten bestehen und diese werden einander entgegen treten; denn Socrates macht die Wächter gleichsam zur Besatzung und die Ackerbauer und die Handwerker und die Anderen zu Bürgern. Streitigkeiten, Processe und alle Uebel, welche man in den anderen Staaten aufzählt, werden dann alle auch bei jenen sich einfinden.

Dennoch sagt Socrates, dass seine Bürger in Folge der Erziehung keiner vielen Gesetze bedürfen würden, weder für die städtischen, noch für die Marktverhältnisse, noch für anderes dergleichen, und doch giebt er nur Bestimmungen über die Erziehung der Wächter. Ferner macht er die Landbauer gegen eine Abgabe zu Eigenthümern ihrer Ländereien; aber es ist sehr wahrscheinlich, dass sie schlecht sein werden und mehr voll böser Anschläge, als die in einigen Staaten vorhandenen Heloten, Penesten und Sclaven. Ob dergleichen Einrichtungen hier auch nöthig sein sollen, oder nicht, darüber ist nichts bestimmt und eben so wenig, wie die Verfassung und Erziehung und die Gesetze bei dieser Klasse sein sollen; und doch ist das Auffinden dieser Bestimmungen nicht leicht, noch die Stellung und der Zustand dieser Klasse unerheblich für die Erhaltung der Gemeinschaft unter den Wächtern. Selbst wenn Socrates die Gemeinschaft der Weiber auch 39 bei diesen einführt, aber die Güter im Einzelbesitz lässt, wer soll da die Hauswirthschaft so führen, wie die Männer dann das Feld besorgen? Diese Schwierigkeit bleibt selbst dann, wenn die Besitzthümer der Landbauern ebenso wie ihre Weiber, gemeinsam sein sollen. Es ist auch verkehrt, hier einen Vergleich mit den Thieren aufzustellen und zu sagen, dass die Weiber dasselbe, wie die Männer besorgen sollen; denn bei den Thieren besteht kein Hauswesen. Unsicher verhält es sich auch mit den Herrschern nach dem, was Socrates für sie anordnet; denn er lässt immer dieselben Personen Herrscher bleiben; dies giebt aber selbst für die, welche keine ausgezeichnete Stellung einnehmen, den Anlass zu Aufständen; wie viel mehr bei muthigen und kriegerischen Männern. Was den Socrates genöthigt hat immer dieselben Personen zu Herrschern zu machen, ist klar; nämlich, weil das Gold der Gottheit nicht bald in die Seelen von diesen, und bald in die Seelen von jenen gemischt sei, sondern immer nur in die Seelen von denselben. Er sagt, dass gleich bei der Geburt dem Einen Gold, dem Anderen Silber, denen aber, die Handwerker und Landbauer werden, Erz und Eisen beigemischt werde.

Auch nimmt Socrates den Wächtern die Glückseligkeit, und doch sagt er, dass der Gesetzgeber den ganzen Staat glücklich machen solle; der ganze Staat kann aber nicht glücklich sein, wenn nicht die Mehrzahl glückselig ist, oder wenn nicht alle Theile, sondern nur einzelne die Glückseligkeit besitzen. Denn mit der Glückseligkeit verhält es sich nicht, wie mit der geraden Zahl; diese kann wohl in dem Ganzen enthalten sein und doch in keinem Theile desselben; bei dem Glückseligsein ist dies aber unmöglich. Sind nun die Wächter nicht glücklich, wer ist es dann? Doch gewiss nicht die Handwerker und die Masse der niedrigeren Arbeiter!

Diese Bedenken und noch andere nicht geringere zeigen sich bei der Verfassung, die Socrates aufgestellt hat.

 

Sechstes Kapitel.

Beinahe ebenso verhält es sich mit den später geschriebenen »Gesetzen«; deshalb ist es gut, auch die in 40 diesen gegebene Verfassung ein wenig zu betrachten; denn in der Schrift über den Staat hat Socrates nur Weniges genau bestimmt und nur gesagt, wie es mit der Gemeinschaft der Weiber und Kinder gehalten werden soll, sowie mit dem Besitz und mit der Einrichtung der Verfassung. Er theilt da die Masse der Bewohner in zwei Klassen; die eine bilden die Landbauer, die andere die Krieger; eine dritte aus diesen ist der Rath, der Herr des Staates. Dagegen hat Socrates nichts darüber festgesetzt, ob die Landbauer und Handwerker an der Herrschaft gar keinen Antheil, oder ob sie Waffen besitzen und an dem Kriege mit theilnehmen sollen; vielmehr sollen nach seiner Meinung die Weiber mit in den Krieg ziehen und diese ebenso unterrichtet und erzogen werden, wie die Wächter; im Uebrigen hat er die Schrift mit Nebendingen ausgefüllt und mit Vorschriften, wie die Erziehung der Wächter geschehen solle. In der Schrift »Die Gesetze«, besteht nun zwar der grösste Theil aus Gesetzen; indess hat er auch Einiges über die Verfassung gesagt. Obgleich er diese den bestehenden Verfassungen der Staaten mehr annähern wollte, so führt er sie doch bald wieder auf die Verfassung in seinem »Staate« zurück; denn mit Ausnahme der Weiber- und Güter-Gemeinschaft trifft er für beide Verfassungen dieselben Bestimmungen; auch die Erziehung ist dieselbe und ebenso jene Lebenseinrichtung, die sich aller Thätigkeit für den nothwendigen Lebensbedarf enthalten soll. Dies gilt auch für die Bestimmung über die gemeinsamen Mahlzeiten, nur dass er in der letzteren Schrift sagt, dass auch die Weiber ihre Mahle gemeinsam halten sollen und dass er in der Schrift über den Staat die Zahl der Waffentragenden auf Tausend und hier auf fünf Tausend festsetzt.

Alle Reden des Socrates haben nun zwar etwas Ueberschwängliches, Zierliches, Eigenthümliches und Durchdachtes, allein schwerlich dürften sie alle richtig sein; denn auch bei der hier angegebenen Zahl darf man nicht übersehen, dass für so Viele ein Land nöthig sein dürfte, so unbegrenzt, wie das Babylonische oder ein anderes, damit die trägen Fünftausend davon ernährt werden könnten und ausserdem der noch viel grössere Haufen von Weibern und Dienern derselben. Man darf 41 allerdings Voraussetzungen nach Belieben machen, aber nur nichts Unmögliches. Weiter sagt er, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf zweierlei seine Gesetze geben solle; im Hinblick auf das Land und im Hinblick auf die Menschen; man darf aber wohl mit Recht auch dazusetzen, dass er auch auf die benachbarten Länder zu blicken habe, wenn der Staat ein staatliches Leben führen solle. Denn der Staat muss für den Krieg nicht blos solcher Waffen sich bedienen, welche für das eigne Land passen, sondern auch solcher, die für auswärtige Länder brauchbar sind. Wenn man aber ein solches Kriegsleben weder für den Einzelnen, noch für den Staat im Allgemeinen zulassen will, so müssen doch trotzdem die Bürger für die Feinde nicht blos dann furchtbar sein, wenn diese in das Land einbrechen, sondern auch, wenn sie abziehen.

Auch bei dem Maasse des Besitzes fragt es sich, ob es nicht durch eine genauere Bestimmung besser zu ordnen wäre; denn wenn man sagt, der Besitz soll so gross sein, dass man mässig davon leben könne, so ist das ebenso unbestimmt, als wenn Jemand sagte: so gross, wie zum guten Leben nöthig ist. Es ist dies zu allgemein; man kann auch mässig und doch elend leben. Eine bessere Abgrenzung wäre das sparsame und das freigebige Leben (denn jedes für sich genommen, kann das eine die Folge von dem weichlichen Leben und das andere die Folge von dem mühseligen Leben sein), da diese Bestimmungen die einzigen entsprechenden Tugenden in Bezug auf den Gebrauch des Vermögens bezeichnen; denn sein Vermögen sanft oder tapfer zu gebrauchen, geht nicht, wohl aber kann es sparsam und freigebig benutzt werden, da dann auch der wirkliche Gebrauch desselben von gleicher Art sein wird. Es ist auch verkehrt, wenn der, welcher die Besitzthümer gleich macht, über die Menge der Bürger keine Einrichtungen trifft, sondern das Kindererzeugen der Willkür überlässt, indem er meint, dass die Volksmenge durch die Kinderlosigkeiten sich genügend in derselben Grösse erhalten werde, wie dies ja schon gegenwärtig in den Staaten statt zu finden scheine. Indess kann sich dies in dem Staate des Socrates und in den jetzt vorhandenen Staaten nicht genau gleich verhalten; denn in letzteren leidet 42 Niemand Mangel, weil die Vermögen sich ja nach der Zahl der Volksmenge zertheilen; dort sind aber die Besitzthümer untheilbar, und deshalb müssen die überzähligen Bürger nothwendig leer ausgehen, mag die Volksmenge klein oder gross sein. Man möchte annehmen, dass eher für die Kindererzeugung, als für die Besitzthümer eine Schranke eingerichtet werden müsste, damit sie nicht über eine gewisse Zahl hinaus wachse. Diese Zahl müsste festgestellt werden im Hinblick auf die Zufälligkeiten, dass manche von den Kindern sterben und dass manche Ehen kinderlos bleiben. Wird aber hierüber nichts bestimmt, wie dies in den meisten gegenwärtigen Staaten der Fall ist, so muss dies in des Socrates Staate zur Armuth der Bürger führen, und die Armuth treibt zu Aufständen und bösen Thaten. So meinte der Korinther Pheidon, einer der ältesten Gesetzgeber, dass die Zahl der Hauswirthschaften und die Menge der Bürger die gleiche bleiben müsse, wenn auch anfänglich Alle ein der Grösse nach ungleiches Besitzthum hätten; in den »Gesetzen« ist es aber umgekehrt. Indess werde ich später sagen, wie ich meine, dass dies besser eingerichtet werden kann. In den »Gesetzen« ist auch im Betreff der Herrscher nichts bestimmt, wie sie sich von dem Beherrschten unterscheiden sollen; es heisst da nur: »so, wie der Aufzug aus anderer Wolle gemacht sei, als der Einschlag, so sollen die Herrscher sich zu den Beherrschten verhalten.« Wenn ferner gestattet wird, dass das geringe Vermögen sich bis zu dem Fünffachen vermehren dürfe, weshalb soll da dies nicht auch bei dem Grund und Boden bis zu einem gewissen Maasse statt finden? Auch muss man auf die Vertheilung der Feuerstellen Obacht haben, damit hier für die Hauswirthschaft kein Schaden entstehe; hier erhält Jeder zwei getrennte Feuerstellen, allein es ist schwer, zwei Häuser zu bewohnen.

Die ganze Staatseinrichtung in den »Gesetzen« will weder eine Demokratie, noch eine Oligarchie sein, sondern ein Mittelding zwischen beiden, was man meist Freistaat nennt; denn er besteht aus den Schwerbewaffneten. Wenn Socrates nun diese Verfassung als eine solche einrichtet, welche mehr, wie alle andere den Staaten gemeinsam sein kann, so hat er vielleicht Recht; soll sie 43 aber die beste nach jener zuerst aufgestellten Verfassung sein, so hat er Unrecht; denn man dürfte leicht die Lakonische mehr loben, oder auch sonst eine andere, die mehr aristokratisch ist. Manche meinen, dass die beste Staatsverfassung diejenige sei, welche aus allen Verfassungen gemischt sei und deshalb loben sie auch die Lakonische; denn sie soll, wie sie sagen, aus der Oligarchie, der Monarchie und der Demokratie bestehen, indem das dortige Königthum eine Monarchie, der Rath der Alten eine Oligarchie sei und die Demokratie in dem Amte der Ephoren enthalten sei, weil die Ephoren aus dem Volke genommen würden. Andere erklären aber die Ephorie für eine Tyrannis und das Demokratische soll nach ihnen in den gemeinsamen Mahlzeiten und dem sonstigen täglichen Leben enthalten sein. In den »Gesetzen« hier heisst es aber, dass die beste Verfassung aus der Demokratie und der Tyrannis gebildet werden müsse, obgleich wohl Niemand diese überhaupt als Verfassungen wird gelten lassen, oder höchstens nur als die schlechtesten von allen. Besser machen es also die, welche mehrere Verfassungen zusammen mischen; denn eine Verfassung, die aus mehreren zusammengesetzt ist, ist besser.

Die Verfassung in den »Gesetzen« zeigt ferner gar nichts von einem Alleinherrscher, sondern nur Oligarchisches und Demokratisches. Indess will sie sich mehr zur Oligarchie neigen, wie aus der Aufstellung der Staatsämter erhellt. Denn dass die Beamten aus gewählten Bürgern durch das Loos bestimmt werden, ist beiden Verfassungen gemeinsam; aber, dass nur die Wohlhabenden verpflichtet sind in den Versammlungen zu erscheinen, um die Beamten zu bestellen und die anderen staatlichen Geschäfte zu besorgen, während die übrigen Bürger davon entbunden sind, ist oligarchisch. Eben der Art ist das Streben, dass die Mehrzahl der Beamten aus den Wohlhabenden bestehe und dass die obersten Staatsämter aus den am höchsten Eingeschätzten genommen werden. Auch die Wahl der Mitglieder der Rathsversammlung ist oligarchisch eingerichtet; denn es sollen zwar Alle wählen, aber zunächst nur aus der ersten Vermögensklasse; dann werden wieder ebenso viel aus der zweiten Klasse und dann ebenso viel aus der dritten Klasse gewählt; nur 44 brauchen nicht Alle aus der dritten und vierten Klasse an der Wahl Theil zu nehmen und bei der Wahl aus der vierten Klasse sind nur die aus der ersten und zweiten Klasse dazu verpflichtet. Dann sollen, sagt Socrates, aus diesen eine gleiche Anzahl von jeder Klasse bestimmt werden; aber dann werden die aus den oberen Klassen zahlreicher und stärker vertreten sein, weil von den niederen manche nicht wählen werden, da kein Zwang dazu statt findet. Hieraus erhellt, dass die so gebildete Verfassung nicht aus einer Demokratie und Monarchie zusammengesetzt sein kann; auch wird sich dies später noch mehr ergeben, wenn die Untersuchung zu diesen Verfassungen sich wenden wird. Auch hat es etwas Gefährliches, dass die Wahl der Beamten aus solchen statt finden soll, die vorher dafür gewählt worden; denn wenn Einige zusammenhalten wollen und die Zahl der Wähler nur eine mässige ist, so wird die Wahl immer nach dem Willen derselben erfolgen.

So verhält es sich also mit der in den »Gesetzen« aufgestellten Verfassung.

 

Siebentes Kapitel.

Es giebt indess noch einige andere Verfassungen, welche theils Privatpersonen, theils Philosophen und Staatsmänner entworfen haben und welche sämmtlich den bestehenden Verfassungen, nach denen jetzt regirt wird, näher kommen, als die beiden vorigen. Denn kein Anderer hat die Neuerung mit der Gemeinschaft der Kinder und Weiber vorgeschlagen, noch die gemeinsamen Mahlzeiten der Frauen, sondern sie lassen sich mehr durch das Nothwendige bestimmen. Manche halten es für das Wichtigste, dass richtige Bestimmungen über das Vermögen getroffen werden; denn sie meinen, dass bei allen Aufständen es sich um dieses handele. Deshalb führte der Chalkedonier Phaleas dergleichen Bestimmungen zuerst ein und sagte, dass die Vermögen aller Bürger gleich sein müssten. Diese Einrichtung hielt er bei der ersten Errichtung eines Staates nicht für schwer; bei einem schon bestehenden Staate sei es zwar mühsamer, indessen würden sich auch da die Vermögen 45 bald gleichstellen, wenn die Reichen allein Mitgiften zwar geben, aber nicht nehmen dürften und die Armen sie nicht geben, aber nehmen dürften. Plato wollte jedoch bei Abfassung seiner »Gesetze« hier eine gewisse Freiheit gestatten; indess mehr, als das Fünffache des kleinsten Besitzes sollte auch nach ihm keinem Bürger zu erwerben gestattet sein, wie ich schon früher bemerkt habe. Indess dürfen die Gesetzgeber, wenn sie solche Anordnungen über die Grösse des Vermögens treffen, nicht unterlassen, obwohl es noch jetzt geschieht, auch über die Zahl der Kinder Bestimmungen zu treffen; denn wenn die Zahl der Kinder die Menge der Vermögen übersteigt, so muss dann das Gesetz aufgehoben werden und ausserdem tritt das Schlimme ein, dass dann aus den Reichen viele Arme werden; und es ist dann auch eine schwere Sache, solche Leute von Neuerungen abzuhalten.

Deshalb ist die Gleichheit des Vermögens allerdings von grossem Einfluss auf die staatliche Gemeinschaft und einige der älteren Gesetzgeber scheinen dies erkannt zu haben, wie Solon in seiner Gesetzgebung. Auch bei Anderen besteht ein Gesetz, welches verbietet so viel Grundbesitz, als man wolle, zu erwerben. Ebenso verbieten manche Gesetze den Verkauf der Besitzungen; so besteht in Lokri ein Gesetz, wonach sie nicht verkauft werden dürfen, wenn nicht ein offenbarer Unglücksfall nachgewiesen werden kann; auch müssen die alten Stammlose erhalten bleiben. Die Aufhebung dieser Bestimmung führte auch in Leukas die Verfassung zu sehr in's Demokratische über; denn es ging dann nicht mehr, dass die Bürger aus den befreiten Vermögensklassen in die Aemter eintreten konnten. Aber wenn auch eine Gleichheit des Vermögens besteht, so können entweder diese Vermögen zu gross sein, was zur Ueppigkeit führt, oder zu klein, so dass der Inhaber nur elend davon leben kann. Der Gesetzgeber darf sich daher nicht mit der blossen Gleichheit begnügen, sondern muss auch ein mittleres Maass dafür aufstellen. Wenn aber auch Einer ein mittleres Vermögen für Alle vorschriebe, so würde dies doch nichts helfen; denn wichtiger ist es, die Begierden, als die Vermögen gleich zu machen und dies ist ohne eine, durch die Gesetze bestimmte angemessene Erziehung nicht möglich. Vielleicht würde Phaleas hierauf erwidern, 46 dass er ja selbst dies sage, denn er meint, dass in zwei Puncten die Gleichheit innerhalb des Staates bestehen müsse; im Besitze und in der Erziehung. Allein es ist nöthig, dass man sagt, wie die Erziehung sein solle und es nützt nichts, blos zu sagen, sie solle für Alle eine und dieselbe sein; denn es kann die Erziehung ein und dieselbe, aber doch so beschaffen sein, dass aus ihr die Leidenschaften der Habsucht oder der Ehrsucht, oder beide hervorgehen. Auch entstehen die Unruhen und Aufstände nicht blos wegen der Ungleichheit der Vermögen, sondern auch wegen der Ungleichheit in den Ehrenämtern und zwar bei jeden von diesen beiden aus dem Entgegengesetzten; die Menge treibt zum Aufstande wegen der Ungleichheit des Besitzes, die Gebildeten aber um der Ehre willen, wenn sie für Alle nur gleich ist. Daher heisst es:

»In gleicher Ehre steht der Feige und der Tapfre«

Die Menschen handeln nicht blos um des nothwendigen Lebensbedarfes willen unrecht, wofür Phaleas in der Gleichheit der Vermögen ein Heilmittel zu haben meint, indem sie dann aus Frost oder Hunger nicht die Kleider stehlen würden, sondern es geschieht auch, um sich Genuss zu verschaffen und die Begierden zu stillen. Sobald die Begierde über das Nothwendige hinausgeht, so werden die Menschen gerade wegen dieses Heilmittels unrecht handeln; aber auch nicht blos wegen dieser Einrichtung, sondern auch in Folge der Begierde, die Lust ohne Schmerzen zu geniessen.

Welches Heilmittel giebt es nun für diese drei Fälle? Die Einen meinen, ein solches Heilmittel sei ein mässiger Besitz und Fleiss; Andere suchen es in der Selbstbeherrschung und ein drittes Mittel ist vielleicht für die, welche die Freude in sich selbst suchen, sodass sie das Heilmittel nicht anderswo, als in der Philosophie suchen; denn zu allen anderen Freuden bedarf man der Menschen. Das grösste Unrecht wird immer von denen begangen, welche dem Uebermässigen nachjagen und nicht von denen, welche das Nothwendige begehren; so wird man noch kein Tyrann, blos um nicht zu frieren, und deshalb gilt es auch als eine grosse Ehre, nicht einen Dieb, sondern einen Tyrannen ermordet zu haben. Deshalb 47 schützt diese Einrichtung in der Verfassung des Phaleas blos gegen kleine Unthaten. Ferner ordnet er Vieles an, woraus wohl eine gute Staatsverwaltung unter ihnen selbst hervorgehen soll; allein der Staat muss sich auch gegen die Nachbarn und alle Auswärtigen schützen. Deshalb muss die Verfassung auch auf die kriegerische Stärke eingerichtet sein und darüber hat er nichts gesagt. Dasselbe gilt für das Vermögen; es muss nicht allein für die inneren Staatsbedürfnisse zureichend sein, sondern auch für die Abwendung der von Aussen drohenden Gefahren Deshalb darf das Vermögen auch nicht so gross sein, dass bei den Nachbarn und bei den Stärkeren die Begier danach erweckt wird und die Besitzer dann die Andringenden nicht abwehren können; noch so gering, dass sie nicht einmal mit Ihresgleichen einen Krieg führen können. Er hat darüber zwar nichts festgesetzt, indess darf es nicht übersehen werden, dass ein grosser Besitz nützlich ist.

Vielleicht ist das beste Maass hier, wenn es den Stärkeren dann nicht lohnt wegen desselben, weil der Besitz etwa sehr gross wäre, Krieg anzufangen, sondern wenn er nur so gross ist, dass jene den Krieg auch dann angefangen haben würden, wenn diese nicht einmal so viel besässen. So hiess Eubulos den Autophradates, als er Atarneus belagern wollte, zu überlegen, in wie viel Zeit er den Platz einnehmen werde und die Ausgaben für einen solchen Zeitraum zu berechnen; denn er sei bereit, selbst gegen Empfang einer geringeren Summe als dieser Kostenaufwand betrage, Atarneus zu verlassen. Diese Worte brachten den Autophradates zur Besinnung und er brach die Belagerung ab. Allerdings schützt die Gleichheit der Vermögen die Bürger etwas gegen innere Aufstände, indess, sollte ich meinen, nicht viel. Denn schon die Gebildeten werden die Gleichstellung mit den Anderen, als ihrer nicht würdig, schwer ertragen und deshalb treten sie oft als Aufsässige und Aufständische auf. Auch ist die Schlechtigkeit der Menschen nicht zufrieden zu stellen, und wenn das erste mal eine Gabe von zwei Obolen genügte, so wird, wenn dieselbe bereits herkömmlich geworden ist, mehr verlangt und die Forderungen gehen in's Ungemessene; denn die Begierden, auf deren Befriedigung das Leben der Menge sich richtet, haben von Natur keine Grenze.

48 Bei solcher Sachlage ist es die Hauptsache, weniger die Vermögen gleich zu machen, als die von Natur guten Bürger so zu stellen, dass sie nicht mehr haben wollen und die schlechten so, dass sie es nicht können. Dies letztere ist der Fall, wenn sie die Schwächeren sind und nicht unrecht behandelt werden. Auch die Gleichheit der Vermögen hat Phaleas nicht recht bestimmt; er ordnet sie nur für den Erwerb der Grundstücke an; es giebt aber auch einen Reichthum an Sclaven und Viehheerden und Geld und grossem Vorrath von Hausgeräthe. Deshalb muss entweder die Gleichheit überall hier eingerichtet werden, oder ein mittleres Maass, oder man muss sich hier gar nicht einmengen. Nach der Art seiner Gesetzgebung scheint er nur einen kleinen Staat einrichten zu wollen, da alle Handwerker Leibeigne des Staates sein und keinen Bestandtheil der Bürgerschaft ausmachen sollen. Wenn aber die, welche für den gemeinen Bedarf arbeiten, sämmtlich Staatseigenthum sein sollen, so muss dies so eingerichtet werden, wie in Epidamnos und wie es Diophantos einmal in Athen anordnete.

Aus dem hier Gesagten wird man wohl genügend entnehmen können, ob Phaleas bei seiner Staatsverfassung das Rechte getroffen hat, oder nicht.

 

Achtes Kapitel.

Hippodamos aus Milet, des Euryphon Sohn, welcher die Eintheilung der Städte in Viertel zuerst vorgeschlagen und den Piräus in gerade Strassen abgetheilt hat, ging auch in seinem sonstigen Verhalten aus Ehrgeiz so in's Maasslose, dass er wegen seines starken und kostbar geschmückten Haarwuchses Manchem als ein Geck erschien. Er trug wohlfeile, aber warme Kleidung nicht blos im Winter, sondern auch in der heissen Jahreszeit und wollte auch in der ganzen Naturwissenschaft erfahren sein. Er war auch der Erste, welcher, ohne mit öffentlichen Angelegenheiten sich beschäftigt zu haben, es unternahm, über die beste Staatsverfassung sich auszusprechen. Sein Staat sollte eine Volksmenge von zehntausend Bürgern haben, und zwar in drei Klassen 49 vertheilt; die eine sollten die Handwerker, die zweite die Landbauer, die dritte sollte für den Krieg sein und Waffen tragen. Auch das Land theilte er in drei Theile; ein Theil war der heilige; der andere blieb im Staatsbesitz; der dritte war im Privatbesitz. Von dem heiligen Theil wurde das bestritten, was man für den Gottesdienst für nöthig hielt; von dem gemeinsamen Theil sollten die Krieger unterhalten werden und der dritte Theil sollte im Einzelbesitz der Landbauer sein. Auch für die Gesetze gab es nach seiner Ansicht nur drei Arten; denn nur über dreierlei sei von den Gerichten zu entscheiden; über Ehrverletzung, Vermögensbeschädigung und Tödtung. Er setzte auch ein oberstes Gericht ein, an welches alle Sachen, die nicht recht entschieden sein sollten, gebracht werden mussten, und dies Gericht setzte er aus einigen gewählten Aeltesten zusammen. Auch sollten die Entscheidungen bei den Gerichten nicht durch Abstimmung mittelst Steinchen erfolgen, sondern Jeder sollte ein Täfelchen haben, auf das er zu schreiben habe, wenn er einfach verurtheile, oder was er leer lassen solle, wenn er gänzlich freispreche; wenn er aber beides theilweise wolle, so solle er dies darauf bemerken. Die jetzige Einrichtung sei nicht gut, weil sie die Richter zu dem falschen Schwur nöthige, entweder um zu verurtheilen oder nur frei zu sprechen. Auch gab er ein Gesetz, wonach die, welche für den Staat etwas Nützliches erfinden würden, eine Auszeichnung erhielten; auch sollten die Kinder der in dem Kriege Gebliebenen auf Staatskosten erzogen werden, als wenn dies noch in keinem Staate gesetzlich bestimmt gewesen sei, obgleich doch ein solches Gesetz sowohl in Athen, als in anderen Staaten schon besteht. Die Beamten liess er sämmtlich von dem Volke wählen und das Volk theilte er in drei Theile; die von diesen Gewählten sollten die Staatsangelegenheiten und die Angelegenheiten der Fremden und der Waisen besorgen.

Dies ist so ziemlich alles Erheblichere in der von Hippodamos aufgestellten Verfassung. Zunächst wird man seine Eintheilung der gesammten Bürgerschaft bedenklich finden. Es sollen nach ihm die Handwerker, die Landbauer und die Waffentragenden sämmtlich an der Regierung Theil nehmen; die Landleute haben aber 50 keine Waffen und die Handwerker weder Land, noch Waffen und sie werden deshalb so ziemlich die Sclaven der Bewaffneten werden. Auch können sie nicht Alle an sämmtlichen Aemtern theil nehmen, denn nothwendig müssen aus den Waffentragenden die Feldherren und die Wächter der Bürger, mit einem Wort die wichtigsten Beamten entnommen werden. Wie können aber da die, welche an der Staatsgewalt nicht Theil haben, sich wohlwollend zu denselben verhalten? Auch müssen die Waffentragenden stärker, als die beiden anderen Klassen sein; aber dies ist nicht leicht, wenn sie nicht ihrer viele sind. Und wenn dies der Fall sein wird, weshalb sollen da die Anderen an der Staatsgewalt überhaupt Theil nehmen und über die Bestellung der Beamten entscheiden? Wozu nützen ferner die Landbauer in seinem Staate? Die Handwerker sind allerdings unentbehrlich; denn der ganze Staat bedarf ihrer und sie können, wie in anderen Staaten, von ihrem Gewerbe leben. Müssten nun die Landbauenden den Bewaffneten den Unterhalt gewähren, so wären sie ein natürliches Glied des Staates; allein sie haben ihr Land im Privatbesitz und bebauen es nur für sich. Was aber das Gemeindeland anlangt, von dem die Bewaffneten unterhalten werden sollen, so werden sie, wenn diese selbst es bebauen sollen, als die zum Kampf bestimmte Klasse sich von der das Land bebauenden nicht unterscheiden, was doch der Gesetzgeber will; sollen aber Andere das Gemeindeland bearbeiten, die weder zu der Klasse der ihr eignes Land bebauenden, noch zu der der Krieger gehören, so würden diese eine vierte Klasse im Staate bilden, die an Nichts Antheil hätte und dem Staate fremd bliebe. Wollte man aber bestimmen, dass dieselbe Klasse ihr eignes und das Gemeindeland bearbeiten sollte, so wird die Menge der Früchte nicht zureichen, womit Jeder zwei Wirthschaften betreiben könnte und weshalb sollten sie da nicht lieber gleich aus den ihnen eigenthümlich zugetheilten Grundstücken den Unterhalt sowohl für sich entnehmen, als auch den Bewaffneten gewähren? Dies Alles bringt also viel Verwirrung mit sich..

Auch das Gesetz über die richterliche Entscheidung ist nicht gut abgefasst, weil es verlangt, dass die Entscheidung getheilt werde, während doch die Klage 51 einfach gestellt ist; der Richter muss danach zum Schiedsmann werden. Bei diesem und bei einer Mehrheit von Entscheidenden ist dies zulässig, (denn sie verhandeln mit einander über die Entscheidung) aber bei den Gerichten geht dies nicht an, vielmehr bestimmen die meisten Gesetzgeber dem entgegen, dass die Richter nicht mit einander berathen dürfen. Wird ferner die Entscheidung nicht verworren ausfallen, wenn der Richter zwar meint, dass der Verklagte eine Summe schulde, aber nicht so viel, als der Kläger verlangt? Dieser verlangt 20 Minen, der Richter entscheidet aber nur für 10 Minen; oder gar der eine Richter mehr, der andere weniger und einer für 5, und ein anderer für 4; es ist klar, dass Manche auf diese Weise nur einen Theil zusprechen werden, Andere aber das Ganze und Andere gar nichts. Wie sollen dann die Stimmen zusammengerechnet werden? Auch nöthigt Niemand den Richter zu einem falschen Eid, wenn er entweder einfach verurtheilt, oder abweist, sofern die Klage nur richtig abgefasst ist; denn der Richter, welcher abweist, erklärt nicht, dass der Verklagte gar nichts schulde, sondern nur, dass er nicht 20 Minen schulde; dagegen verletzt jener Richter seinen Eid, welcher den Verklagten verurtheilt, obgleich er nach seiner Meinung nicht 20 Minen schuldet.

Ein Gesetz ferner, wonach denen, welche etwas für den Staat Nützliches erfunden haben, eine besondere Auszeichnung zu Theil werden soll, hat sein Bedenken, wenn so etwas sich auch gut anhört; denn es führt zu Chikanen und möglicher Weise selbst zu Erschütterungen der Verfassung. Es berührt dies eine andere Frage und gehört in eine andere Untersuchung. Manche zweifeln nämlich, ob es nützlich, oder schädlich für die Staaten sei, die von den Vorfahren überkommenen Gesetze deshalb zu ändern, weil ein anderes Gesetz besser sei. Jedenfalls ist es bedenklich dem Vorschlage des Hippodamos zuzustimmen, da jeder Wechsel in den Gesetzen Schaden mit sich führt, und es dann möglich wird, dass Einzelne die Aufhebung der Gesetze oder der Verfassung, als zum gemeinen Besten nützlich, beantragen.

Da ich dieses Punctes einmal erwähnt habe, so wird es gut sein, ihn noch ein wenig weiter zu erörtern. Diese Frage hat nämlich, wie gesagt, ihre zwei Seiten und man 52 könnte auch umgekehrt die Aenderung der Gesetze für das Bessere halten; denn den anderen Wissenschaften hat das Aendern Nutzen gebracht, z. B. der Arzneikunst, welche gegen die althergebrachte verändert worden ist; ebenso der Turnkunst und überhaupt allen Künsten und Fertigkeiten, und da die Staatskunst auch zu denselben gerechnet werden muss, so müsste es offenbar auch bei ihr sich ebenso verhalten. Man könnte selbst sagen, dass die Erfahrung dafür spreche, weil die alten Gesetze zu einfach seien und zu rohe Bestimmungen enthielten; denn die alten Griechen gingen immer bewaffnet und kauften die Weiber von einander, und was von alten Gesetzen sich erhalten hat, ist höchst ursprünglich; so giebt es z. B. in Kyme ein Gesetz, dass, wenn Einer Jemand des Mordes anklagt und man aus seinen Verwandten eine Anzahl von Zeugen beibringt, der Flüchtige dann des Mordes schuldig sein solle. Ueberhaupt verlangt man nicht nach dem Althergebrachten, sondern nach dem Guten. Auch ist anzunehmen, dass die ersten Menschen, mögen sie nun dem Boden entsprossen sein, oder sich aus einem allgemeinen Verderben gerettet haben, nur den jetzigen gewöhnlichen und unverständigen Menschen gleich gewesen sein werden, wie man dies ja auch von den aus dem Boden entsprossenen sagt; mithin wäre es widersinnig bei ihren Satzungen zu verharren. Ueberdies ist es nicht einmal gut, die geschriebenen Gesetze unverändert zu lassen. Denn es ist bei der Staatskunst ebenso wenig, wie bei den anderen Künsten möglich, Alles genau niederzuschreiben, da man nur das Allgemeine niederschreiben kann, während die Handlungen einzelne sind.

Hieraus erhellt nun zwar, dass einzelne Gesetze dann und wann geändert werden müssen; wenn man die Sache aber von einem anderen Standpuncte betrachtet, so dürfte doch hier grosse Vorsicht nöthig sein. Sofern nämlich die Verbesserung nur eine kleine ist, es dagegen schlimm ist, sich an die leichte Abänderung der Gesetze zu gewöhnen, so erhellt, dass man lieber einzelne Missgriffe der Gesetzgeber und der Herrscher hingehen lassen soll; denn Veränderungen werden hier nicht so viel nützen, als es schadet, wenn die Bürger sich daran gewöhnen, den Herrschern nicht zu gehorchen. Auch ist das Beispiel mit den Künsten falsch; die Veränderungen in der 53 Kunst und in den Gesetzen stehen sich nicht gleich, weil das Gesetz die Kraft, vermöge deren man ihm gehorcht, nur durch die Gewohnheit erlangt und diese bildet sich nur nach langer Zeit. Wenn man also die vorhandenen Gesetze leicht mit neuen Gesetzen vertauscht, so wird die Kraft der Gesetze geschwächt. Aber selbst wenn sie einer Aenderung bedürfen, so fragt es sich, ob sie alle, und in jeder Verfassung zu ändern seien, oder nicht? und ob dies jedem Beliebigen oder nur bestimmten Personen gestattet sein solle? denn dies macht einen grossen Unterschied. Ich lasse deshalb jetzt diese Untersuchung fallen, da sie für eine andere passende Gelegenheit gehört.

 

Neuntes Kapitel.

In Bezug auf die Verfassung der Lakedämonier und der Kreter und einiger anderer Staaten ist zweierlei zu untersuchen; einmal, ob im Vergleich mit der besten Verfassung ihre Einrichtungen für gut gelten können, oder nicht und dann, ob die Verfassung in Bezug auf die Grundlage und die besondere Art, wie sie bei ihnen besteht, für gut gelten könne, oder nicht. Dass nun jede einzurichtende Verfassung, wenn sie gut sein soll, den Leuten eine Mussezeit gewähren müsse, wo sie von der Arbeit für den nothwendigen Lebensbedarf frei sind, wird allgemein anerkannt; aber wie dies geschehen soll, ist nicht leicht einzurichten. Denn die Penesten bei den Thessaliern haben sich oft gegen sie erhoben und ebenso die Heloten gegen die Lakonier; sie lauern gleichsam fortwährend auf die Unglücksfälle des Staates. Bei den Kretern ist dergleichen niemals vorgekommen, wahrscheinlich deshalb nicht, weil die benachbarten Staaten, wenn sie auch einander bekriegten, doch niemals mit den Aufständischen gemeinschaftliche Sache machten, da dies auch ihnen schädlich werden konnte, indem sie ebenfalls Hörige besassen. Die Lakonier hatten aber an den Argivern und Messeniern und Arkadiern lauter Feinde zu Nachbarn, und auch bei den Thessaliern fielen die Penesten anfangs ab, als jene mit den Achäern und Perräbern und Magnesiern im Kriege 54 befangen waren. Es scheint deshalb, von Anderem abgesehen, die Behandlung dieser arbeitenden Klasse und die Art, wie man mit ihnen verkehren soll, schwierig zu sein; denn lässt man sie gewähren, so werden sie übermüthig und stellen sich den Herren gleich; und leben sie schlecht, so werden sie hinterlistig und feindselig. Es ist also klar, dass diejenigen nicht das Richtige getroffen haben, welche solche Erfahrungen mit den Heloten gemacht haben.

Auch eine grosse Freiheit der Weiber ist dem Zwecke der Verfassung zuwider und für das Wohl des Staates von Nachtheil. Denn so wie der Hausstand aus Mann und Frau besteht, so ist auch bei dem Staate anzunehmen, dass die Volksmenge ziemlich zur Hälfte aus Männern und zur Hälfte aus Frauen besteht. Wo es daher mit der Verfassung in Bezug auf die Frauen schlecht bestellt ist, da muss man glauben, dass die Hälfte des Staates gesetzlos ist, und dies ist dort auch eingetroffen. Der Gesetzgeber wollte den ganzen Staat wehrhaft machen und an den Männern erkennt man diese seine Absicht deutlich; aber bei den Frauen hat er es versehen; denn sie leben zuchtlos nach allen Richtungen und weichlich. Nothwendig muss in solchen Staaten der Reichthum zu Ehren kommen und besonders, wenn sie noch unter die Weiberherrschaft gerathen, wie es bei vielen soldatischen und kriegerischen Völkerschaften der Fall ist, mit Ausnahme der Kelten und vielleicht einiger anderen Völkerschaften, bei denen der fleischliche Verkehr mit Männern als anständig gilt. Denn der, welcher die Mythen bildete, hat nicht mit Unrecht den Ares mit der Aphrodite verbunden; alle diese Völkerschaften sind dem geschlechtlichen Verkehr entweder mit Männern oder mit Frauen sehr zugeneigt. Deshalb erhielt sich dies auch bei den Lakoniern und während ihrer Herrschaft wurde vieles von den Frauen angeordnet. Denn welcher Unterschied ist es, ob die Frauen herrschen, oder ob die Herrscher von den Frauen beherrscht werden? beides kommt auf dasselbe hinaus. Der Muth ist zu allen gewöhnlichen Geschäften, mit Ausnahme des Krieges, ohne Nutzen und die Lakonischen Frauen wurden selbst hierfür höchst schädlich, wie sich bei dem Einfall der Thebaner offenbarte; sie nützten hier so wenig, wie die Frauen in 55 anderen Staaten, und brachten sogar mehr, als die Feinde, Verwirrung hervor. In den ersten Zeiten scheint allerdings die Zügellosigkeit der Weiber bei den Lakoniern in natürlicher Weise sich gebildet zu haben; denn die Männer waren wegen der Feldzüge lange Zeit vom Hause abwesend und hatten mit den Argivern und dann mit den Arkadiern und Messeniern Kriege zu führen. Als sie nun in die Ruhe kamen, so fügten die Männer in Folge des Lagerlebens (denn es fordert dies viele Arten der Tugend) sich zwar leicht dem Gesetzgeber; dagegen soll Lykurg wohl versucht haben, die Frauen unter die Gesetze zu bringen; allein als sie Widerstand leisteten, hat er davon abgestanden. Dies sind die Ursachen, aus denen diese Ereignisse und offenbar auch diese Fehler hervorgegangen sind. Indess kommt es mir nicht darauf an, wer hier Verzeihung erhalten soll und wer nicht, sondern auf das, was richtig und was fehlerhaft ist. Diese schlechten Zustände in Bezug auf die Frauen scheinen, wie ich schon oben gesagt habe, nicht blos der Verfassung an sich eine gewisse Unziemlichkeit gegeben, sondern auch die Habsucht gesteigert zu haben.

Neben dem bisher Dargelegten möchte man auch die Misstände in Bezug auf den Grundbesitz tadeln. Ein Theil von den Bürgern gelangte zu einem sehr grossen Vermögen, ein anderer nur zu einem sehr kleinen; deshalb ging der Grund und Boden in die Hände Weniger über. Auch sind hier die Bestimmungen der Gesetze schlecht. Denn Grundbesitz zu kaufen oder den eignen zu verkaufen, erklärte Lykurg für unziemlich, und that daran recht; dagegen gestattete er das Vermögen zu verschenken, oder zu vermachen an wen man wollte, obgleich doch dies zu demselben Ergebniss, wie jenes, führen musste. Auch gehörten beinahe zwei Fünftel des ganzen Grund und Bodens den Frauen, da viele Erbtöchter vorkamen und grosse Ausstattungen gegeben wurden, obgleich es besser gewesen wäre keine Ausstattung, oder nur eine geringe oder mässige zuzulassen. Jetzt kann Jeder seine Erbtochter geben, wem er will und wenn er ohne eine solche Bestimmung stirbt, so kann der Erbe, den er hinterlässt, sie an wen er will, verheirathen. Während daher das Land sonst 1500 Reiter ernähren und 30,000 Schwerbewaffnete stellen konnte, 56 betrug deren Zahl nicht 1000. Auch hat sich durch die Thatsachen klar herausgestellt, dass die hier getroffene Einrichtung falsch war, denn der Staat hat nicht eine Niederlage ertragen können und ging durch seine geringe Volksmenge zu Grunde. Man erzählt zwar, dass unter den früheren Königen noch Bürger in die Staatsverbindung aufgenommen wurden und dass es deshalb damals, trotz der langen Kriege, an Menschen nicht gemangelt habe. Spartaner sollen damals an 10,000 gewesen sein; indess ist es, mag dies wahr sein, oder nicht, doch besser, dass die Zahl der Männer im Staate durch die Ausgleichung des Besitzes anwachse. Hier steht aber das Gesetz über die Kindererzeugung einer solchen Verbesserung im Wege. Der Gesetzgeber wollte, dass die Spartaner die möglichst starke Mehrzahl bilden sollten und er trieb sie deshalb zur Erzeugung vieler Kinder; denn sie haben ein Gesetz, wonach der, welcher drei Söhne hat, frei vom Kriegsdienste ist, und wer viere hat, frei von allen Abgaben. Allein offenbar müssen, wenn die Volksmenge sich sehr vermehrt und das Land danach vertheilt wird, Viele in Armuth verfallen.

Auch die Bestimmungen über die Ephorie sind nicht zu billigen. Diese Beamten sind bei ihnen die Herren über die wichtigsten Angelegenheiten; sie werden aber alle aus dem Volke erwählt und deshalb gelangen auch oft sehr dürftige Leute, welche wegen ihrer Armuth käuflich sind, zu solcher Amtsgewalt. Dies hat sich schon vormals oft gezeigt und jetzt wieder bei der Gelegenheit mit den Andriern. Einige von den Ephoren waren mit Geld bestochen und hätten, wenn es von ihnen abgehangen, den ganzen Staat zu Grunde gerichtet. Indem ihre Macht sehr gross war und der eines Tyrannen gleich kam, waren selbst die Könige genöthigt, ihnen zu schmeicheln. Auch dies verdarb die Verfassung; aus einer Aristokratie ging sie in eine Demokratie über. Diese Behörde der Ephoren hält allerdings den Staat noch zusammen, denn das Volk verhält sich ruhig, weil es an der obersten Gewalt Theil nimmt; mag dies nun durch den Gesetzgeber, oder durch Zufall so gekommen sein, so ist es doch für die Sache zuträglich; denn wenn eine Verfassung Bestand haben soll, so muss sie darauf Bedacht nehmen, dass alle 57 Bestandtheile des Staates sich in demselben gleichen Zustande erhalten. Nun ist dies bei den Königen wegen der ihnen zugetheilten Würde der Fall und bei der besseren Klasse wegen ihrer Theilnahme an der Rathsversammlung (denn dieses Amt ist der Lohn für ihre Tugend) und bei dem Volke wegen der Ephorie, weil sie aus Allen besetzt wird. Deshalb mögen zwar für dieses Amt Alle wählbar sein, aber nicht in der jetzigen Weise, die gar zu kindisch ist. Auch sind sie die Herren über die wichtigsten Angelegenheiten, obgleich Leute, wie es sich trifft, zu diesem Amte gelangen. Deshalb wäre es besser, sie entschieden nicht nach eignem Ermessen, sondern nach den Vorschriften und den Gesetzen. Auch steht die Lebensweise der Ephoren mit dem Zwecke des Staates nicht in Uebereinstimmung; sie ist sehr ungebunden, während sie bei den Uebrigen in Strenge übertrieben wird, so dass diese die Gesetze hier nicht einhalten können, sondern denselben heimlich entlaufen und den sinnlichen Lüsten sich ergeben.

Auch die Bestimmungen über die Gewalt der Aeltesten sind nicht passend. Allerdings könnte man leicht sagen, dass sie als sittliche und für die Mannestugend hinlänglich erzogene Männer dem Staate nützlich sein müssen; allein es ist doch schon bedenklich, dass sie auf Lebenszeit zu Richtern in den wichtigsten Angelegenheiten bestellt sind; denn es giebt nicht blos ein Alter für den Körper, sondern auch für den Geist. Wenn sie aber gar in der Weise erzogen sind, dass selbst der Gesetzgeber ihnen nicht, als guten Männern, vertrauen kann, dann ist die Einrichtung nicht ohne Gefahr und viele Mitglieder dieser Versammlung scheinen in Staatsangelegenheiten Geschenke angenommen, oder sonst nach Gunst entschieden zu haben. Deshalb wäre es besser, wenn sie nicht unverantwortlich wären, was sie jetzt sind. Man könnte wohl meinen, dass ja das Amt der Ephoren alle Beamten zur Rechenschaft ziehen könne; allein dies ist für die Ephoren ein viel zu grosses Geschenk und ich meine, dass nicht auf diese Weise Rechenschaft abgelegt werden sollte. Auch ist das Verfahren, was für die Wahl der Aeltesten stattfindet, kindisch und es ist nicht recht, dass der, welcher des Amtes würdig erkannt worden, sich selbst darum bewerben soll; denn der, welcher für das Amt passend 58 ist, muss es übernehmen, mag er wollen, oder nicht. Allein der Gesetzgeber verfährt auch hier, wie bei anderen Puncten der Verfassung; er will seine Bürger ehrgeizig machen und deshalb benutzt er dies auch bei der Wahl der Aeltesten, da Niemand sich um ein Amt bewerben wird, wenn er nicht ehrgeizig ist und doch werden die meisten der absichtlichen Vergehen von den Menschen aus Ehrgeiz und Geldgeiz begangen.

Was das Königthum anlangt, so soll später darüber verhandelt werden, ob dessen Bestand den Staaten nützlich ist, oder nicht; aber auf jeden Fall wäre es für den Lakonischen Staat besser, nicht so wie jetzt zu verfahren, sondern jeden König nach seinem Lebenswandel zu beurtheilen. Auch ist selbst der Gesetzgeber offenbar nicht der Meinung, dass er sie zu sittlichen guten Männern machen könne; er traut ihnen nicht, als wären sie keine zuverlässigen und rechtlichen Männer; deshalb sandte er ihnen ihre Gegner als Begleiter auf den Feldzügen mit und er erachtete es zuträglich, wenn die Könige unter einander uneins wären. Auch hat der, welcher zuerst die gemeinsamen Mahle, die sogenannten Phiditien, einführte, dies nicht richtig gemacht. Diese Zusammenkünfte hätten mehr auf Staatskosten eingerichtet werden sollen, wie in Kreta; bei den Lakoniern muss aber Jeder beitragen, obgleich Manche sehr arm sind und den Aufwand dafür nicht bestreiten können. So tritt das Gegentheil von dem ein, was der Gesetzgeber beabsichtigte: er wollte die gemeinsamen Mahle zu einer demokratischen Einrichtung machen, aber bei solcher Anordnung sind sie durchaus nicht demokratisch; die sehr Armen können nicht Theil nehmen und doch ist dies bei ihnen die herkömmliche Bedingung zum Bürgerrecht, denn wer diesen Beitrag nicht leisten kann, ist davon ausgeschlossen.

Das Gesetz über die Befehlshaber zur See ist schon von Anderen getadelt worden und mit Recht; denn es führt nur zu Unruhen, da neben den Königen, als den Feldherren zu Lande, die lebenslängliche Befehlshaberstelle über die Seemacht als ein beinahe zweites Königthum hingestellt worden ist. Auch könnte man den Grundlagen des Gesetzgebers dasjenige zum Vorwurf machen, was schon Plato in seinen »Gesetzen« geltend gemacht hat, nämlich, dass die ganze Anordnung seiner 59 Gesetze nur auf einen Theil der Tugend und zwar auf die kriegerische abzielt. Diese Tugend ist zwar gut für die Oberherrschaft und deshalb erhielten sie sich auch, so lange sie Krieg führten; aber während ihrer Oberherrschaft gingen sie zu Grunde, weil sie nicht verstanden ihre Musse gut anzuwenden und weil sie sich in keinen von den anderen, aber der Kriegskunst fern stehenden Künsten geübt hatten. Ein nicht geringerer Fehler als dieser, ist es, dass sie glauben, die Güter, um die am meisten gekämpft wird, würden mehr durch Tugend, als durch Schlechtigkeit gewonnen; hierin haben sie wohl Recht, aber dass sie diese Güter noch über die Tugend stellen, ist unrichtig. Auch in Bezug auf die Staatsgelder ist es bei den Spartanern schlecht bestellt; denn in der Staatskasse ist Nichts, obgleich sie zu schweren Kriegen gezwungen sind und die Abgaben schlecht eingehen, da den Spartanern der grösste Theil des Landes gehört und sie deshalb einander in der Steuerzahlung nicht controlliren. So ist das Gegentheil von dem eingetreten, was der Gesetzgeber Nützliches wollte; den Staat hat er mittellos gemacht und die Einzelnen geldgierig.

So viel über die Staatsverfassung der Lakedämonier denn dies sind die Puncte, die man am meisten tadeln könnte.

 

Zehntes Kapitel.

Die Kretische Verfassung ist der Lakedämonischen nahe verwandt; einzelne ihrer Bestimmungen sind zwar nicht schlechter, aber das meiste ist weniger abgerundet. Denn es scheint und man sagt es auch, dass die lakonische Verfassung in den meisten Stücken der Kretischen nachgebildet worden sei und meistentheils sind ja die älteren Einrichtungen weniger ausgebildet, als die neueren. Lykurg soll nämlich nach Niederlegung seiner Vormundschaft über den König Charillos, das Land verlassen und die längste Zeit sich wegen der Stammesverwandtschaft bei den Kretern aufgehalten haben; denn die Lyktier waren eine Colonie der Lakonier und bei ihrer Auswanderung nahmen sie die Einrichtungen und Gesetze so an, wie sie bei den Einwohnern, zu denen 60 sie kamen, bestanden. Deshalb bestehen diese bei ihren Hintersassen auch noch in derselben Weise, wie sie Minos zuerst angeordnet hat. Auch scheint die Insel von Natur wie für die Herrschaft der Griechen geschaffen und zweckmässig belegen zu sein; sie beherrscht das ganze Meer, um welches beinahe alle Griechen sich angesiedelt haben. Auf der einen Seite ist sie nicht weit vom Peloponnes entfernt, auf der anderen Seite, in der Richtung von Triopion und Rhodus nicht weit von Asien. Deshalb besass auch Minos die Herrschaft über das Meer; theils eroberte er, theils colonisirte er die Inseln, bis er zuletzt in dem Kriege gegen Sicilien bei Kaneikos daselbst, sein Leben verlor.

Die Kretische Verfassung ist der Lakonischen ähnlich, Dort bebauen die Heloten und bei den Kretern die Hintersassen das Land; auch bestehen bei beiden die gemeinsamen Mahle; in alten Zeiten hiessen diese Mahle bei den Lakoniern nicht Phiditien, sondern Andrien, wie bei den Kretern, woraus erhellt, dass sie von diesen zu jenen gekommen sind. Dies gilt auch von der Einrichtung der Verfassung. Die Ephoren haben dieselbe Gewalt, wie die in Kreta, wo sie den Namen Kosmi führen; nur sind der Ephoren blos fünf an Zahl, der Kosmi aber zehn. Die Aeltesten sind an Zahl denen in Kreta gleich, wo sie der Rath heissen. In Kreta bestand anfänglich das Königthum; aber später hoben sie es auf und im Kriege haben die Kosmi die Führerschaft. An der Volksversammlung nehmen Alle Theil; allein sie können nichts beschliessen, sondern nur über die Beschlüsse der Aeltesten und der Kosmi abstimmen. Die gemeinsamen Mahle sind bei den Kretern besser eingerichtet, als bei den Lakoniern. In Lakedämon hat Jeder das nach der Kopfzahl Vorgeschriebene mitzubringen und kann ohne dem an dem Bürgerrechte nicht Theil nehmen, wie ich schon früher gesagt habe; dagegen geschieht es in Kreta mehr gemeinschaftlich. Von dem ganzen Erzeugniss des Bodens und der Viehheerden und von dem, was aus dem Staatsgut und den Abgaben der Hintersassen einkommt, ist ein Theil für die Götter und für grosse Staatsleistungen bestimmt, und ein Theil für die Tischgenossen, so dass Alle, die Weiber, Kinder und Männer aus dem gemeinsamen Vorrath ihren Unterhalt empfangen.

61 Um die Mässigkeit im Essen zu erhalten, hat der Gesetzgeber Vielerlei ausgedacht; ebenso in Bezug auf die Fernhaltung von den Frauen. Damit sie nicht zu viel Kinder bekommen, hat er den geschlechtlichen Umgang mit Männern eingeführt und ob ein solcher schlecht ist oder nicht, ist zu einer anderen passenden Zeit zu untersuchen. Somit sind also die gemeinsamen Mahle bei den Kretern offenbar besser, als bei den Lakoniern eingerichtet; dagegen sind die Anordnungen über die Kosmi noch schlechter, als die über die Ephoren. Das Schlechte findet sich auch bei jenen; ein Kosme wird Jeder, wie es sich trifft, und was dabei für den Staat nützlich ist, besteht in Kreta nicht. In Lakedämon hat das Volk, weil die Wahl aus Allen geschieht, an der höchsten Gewalt Theil und will deshalb die Verfassung behalten; aber hier werden die Kosmi nicht aus Allen, sondern nur aus gewissen Geschlechtern gewählt und die Mitglieder des Raths werden aus denen, welche Kosmi gewesen sind, gewählt. Ueber diese Aeltesten liesse sich wohl dasselbe sagen, was ich über die in Lakedämon gesagt habe; die Unverantwortlichkeit und die Lebenslänglichkeit ihrer Stellen sind Ehrenvorzüge über ihr Verdienst und dass sie nicht nach geschriebenen Gesetzen, sondern nach ihrem Ermessen ihr Amt verwalten, ist gefährlich. Wenn das Volk sich ruhig verhält, obgleich es an der Staatsgewalt keinen Antheil hat, so ist dies noch kein Zeichen, dass die Einrichtung gut ist.

Die Kosmi können nicht, wie die Ephoren, Geschenke annehmen; denn sie wohnen auf der Insel weit von denen, die sie bestechen könnten. Das Heilmittel, was für diese Mängel angeordnet ist, ist verkehrt und nicht so, wie es für einen Freistaat, sondern nur für eine Dynastenherrschaft passt. Oft treten nämlich ihre Amtsgenossen, oder auch einfache Bürger zusammen und setzen die Kosmi ab; auch ist diesen die Niederlegung ihres Amtes gestattet. Nun wäre es aber doch besser, dass dies sich nach Gesetzen regelte und nicht nach dem Belieben der Menschen, denn dieser Anhalt ist nicht zuverlässig. Am schlimmsten von Allem ist aber die von den Mächtigen durchgesetzte zeitweilige Beseitigung der Kosmi, wenn nämlich jene dadurch einer Verurtheilung entgehen wollen. Daraus erhellt, dass die Bestimmungen 62 dieser Verfassung nicht die eines Freistaates, sondern einer Dynastenherrschaft sind. Es kommt auch oft vor, dass mit Hülfe des Volkes und der Freunde eine Alleinherrschaft aufgerichtet wird und dass Unruhen entstehen und die Bürger mit einander kämpfen. Ist dies nicht ebenso, als wenn ein solcher Staat für eine Zeit lang gar nicht bestände und die staatliche Verbindung aufgelöst wäre? Ein Staat in solchem Zustande ist immer der Gefahr ausgesetzt, dass Jedweder ihn angreifen mag und kann; nur durch seine Lage ist der Kretische Staat, wie gesagt, geschützt; denn die Abhaltung der Fremden hat sich hier durch die Entfernung von selbst gemacht. Deshalb verhalten sich auch die Hintersassen bei den Kretern ruhig, während die Heloten oft Aufstände machen; denn die Kreter haben an keiner auswärtigen Herrschaft Theil. Doch hat sich neuerlich ein Krieg zwischen Fremden bis auf ihre Insel ausgedehnt, was die Schwäche der dortigen Gesetze klar gelegt hat. So viel sei über die Staatsverfassung der Kreter gesagt.

 

Elftes Kapitel,

Auch die Karthager haben eine gute Verfassung, welche die anderer Staaten vielfach übertrifft. In einigen Stücken kommt sie der Lakonischen sehr nahe. Die Verfassungen dieser drei Staaten, nämlich die von Kreta, von Lakedämon und von Karthago sind einander nahe verwandt, während sie von den übrigen erheblich abweichen; insbesondere enthält die Karthagische viele gute Bestimmungen. Ein Zeichen für ihre guten Einrichtungen ist, dass das Volk bei den Bestimmungen derselben verbleibt, und dass kein nennenswerther Aufstand und kein Tyrann bei ihnen vorgekommen ist. Ihre gemeinschaftlichen Mahle der Kammeradschaften haben mit den Phiditien in dem Lakonischen Staate viel Aehnliches und ebenso das Amt der Hundert und Vier mit dem der Ephoren (nur mit dem vortheilhaften Unterschied, dass, während die Ephoren aus Leuten, wie es sich trifft, bestehen, hier diese Beamten nach ihrer persönlichen Tüchtigkeit gewählt werden). Auch die Könige und die Versammlung der Aeltesten sind hier ähnlich, wie dort; 63 doch steht es mit den Königen in Karthago besser, weil sie nicht immer aus demselben Geschlecht kommen, noch aus jedem beliebigen. Auch mit den Aeltesten steht es besser, weil sie mehr gewählt, als nach dem Alter bestimmt werden. Diese Aeltesten haben bedeutende Macht und wären es daher niedrig gesinnte Leute, so würden sie viel Schaden anrichten können, wie dies im Lakonischen Staate schon oft geschehen ist. Das Meiste, was wegen Ueberschreitung des richtigen Maasses zu tadeln ist, findet sich bei allen drei genannten Staaten und wenn man, behufs der Vergleichung, von dem aristokratischen Staat und von dem Freistaat als Grundlage ausgeht, so neigt dort Manches mehr zur Demokratie und Anderes mehr zur Oligarchie. Denn ob eine Sache an das Volk gebracht werden soll oder nicht, bestimmen die Könige mit den Aeltesten, sofern sie Alle in der betreffenden Sache einstimmig sind; ist dies nicht der Fall, so entscheidet auch hierüber das Volk.

Was nun von Jenen dem Volke vorgelegt wird, darüber wird die Meinung dieser höchsten Beamten nicht blos zum Anhören vorgetragen, sondern das Volk hat auch das Recht zu entscheiden und Jeder wer will, kann den eingebrachten Anträgen widersprechen, was in den beiden anderen Staaten nicht angeht. Dagegen ist es oligarchisch, dass die Fünf-Männer, welche über Vieles und Grosses zu entscheiden haben, sich selbst durch Wahl ergänzen und dass die Rathsversammlung der Hundert, welche die wichtigste Behörde ist, von den Fünfmännern gewählt wird, und dass sie eine längere Gewalt haben, als die anderen. Denn sie üben schon vor Antritt des Amtes und auch nach Austritt aus demselben, obrigkeitliche Rechte aus. Dagegen ist es aristokratisch, dass die Beamten keine Besoldung bekommen und nicht durch das Loos bestimmt werden. Auch noch manches Andere gehört hierher und ebenso, dass die Processe sämmtlich von allen Beamten zusammen entschieden werden und hier nicht, wie in Lakedämon, die Entscheidung unter verschiedene Beamte vertheilt ist. Am meisten weicht die Karthagische Verfassung von der aristokratischen nach der oligarchischen hin in einer Bestimmung ab, die bei den Meisten Beifall findet, nämlich, dass bei der Wahl der Beamten nicht blos deren persönliche 64 Geschicklichkeit, sondern auch deren Reichthum berücksichtigt werden soll, weil der Unvermögende sein Amt weder gut verwalten könne, noch die dazu nöthige Musse habe. Wenn nun bei der Wahl der Reichthum entscheidet und dies oligarchisch ist, und es dagegen aristokratisch ist, wenn die persönliche Fähigkeit dabei entscheidet, so wäre dies eine dritte Art von Einrichtung, welche in der Verfassung der Karthager getroffen worden ist; denn hier werden beide Umstände bei der Wahl berücksichtigt, insbesondere bei der Wahl der höchsten Beamten, nämlich der Könige und der Feldherren. Diese Ausschreitung aus dem aristokratischen Princip muss als ein Fehler des Gesetzgebers angesehen werden; denn es gehört zu dem Nothwendigsten, dass gleich vom Anfang ab darauf geachtet werde, dass die Besseren Musse behalten und nicht zu niedrigen Arbeiten genöthigt sind, sowohl als Beamte, wie als Privatpersonen. Soll man aber dieser Musse wegen auch auf die Wohlhabenheit Rücksicht nehmen, so ist es schlimm, weil dadurch die wichtigsten Staatsämter, die der Könige und der Feldherren käuflich werden. Das Gesetz macht dann den Reichthum ehrenwerther, als die Tugend und den ganzen Staat geldgierig; denn in dem, was die Machthaber für ehrenwerth halten, folgt auch die Meinung der übrigen Bürger nach und wo die Tugend nicht am höchsten geehrt wird, da kann die aristokratische Verfassung keinen festen Bestand haben. Wenn die Beamten ihr Amt sich erkaufen müssen, so gewöhnen sie sich natürlich an ein gewinnsüchtiges Handeln; denn wenn schon ein armer, aber guter Mensch Geld zu verdienen sucht, so wäre es verkehrt zu glauben, dass ein schlechterer zu seinem Aufwand es nicht thun sollte. Deshalb müssen nur die, welche am besten regieren können, Beamte sein, und es wäre besser, wenn der Gesetzgeber die Bedürftigkeit der Rechtschaffenen nicht als ein Hinderniss betrachtete, aber dafür sorgte, dass sie in eine unabhängige Lage kämen, wenn sie Beamte werden. Auch dürfte es eine schlechte Einrichtung sein, dass eine Person mehrere Aemter verwaltet, was bei den Karthagern für eine Ehre gilt; denn Einer kann nur ein Werk gut vollbringen. Hierauf, dass dies geschehe, muss der Gesetzgeber achten und er darf nicht ein und demselben vorschreiben die 65 Flöte zu spielen und Schuhe zu machen. Wo also der Staat nicht zu klein ist, ist es rathsamer und volksthümlicher, dass Mehrere an den Aemtern Theil haben; denn es liegt darin, wie gesagt, mehr Gemeinsamkeit und Jeder wird dann das Seinige schneller und besser vollbringen. Dies lehrt am deutlichsten die Kriegführung und die Schiffahrt; denn in beiden geht das Befehlen und das Gehorchen gleichsam durch Alle hindurch. Obgleich somit die Verfassung der Karthager oligarchisch ist, so helfen sie sich doch sehr gut dadurch, dass sie einen Theil des Volkes in die Städte umher schicken und so demselben Gelegenheit geben, Reichthum zu erwerben. Dadurch heilen sie die Mängel der Verfassung und machen sie dauerhaft. Dies ist indess ein Werk des Zufalls, während der Aufruhr vielmehr durch den Gesetzgeber verhindert werden soll; denn wenn sie jetzt ein Unglück trifft und die Menge der Beherrschten abtrünnig wird, so haben sie kein Mittel dagegen, weil die Gesetze hierüber schweigen.

So verhält es sich also mit den Staatsverfassungen der Lakonier, Kreter und Karthager, die mit Recht in grossem Ansehen stehen.

 

Zwölftes Kapitel.

Von denen, welche über Verfassungen sich ausgesprochen haben, haben Manche sich weder an Staatsgeschäften, noch an sonstigen öffentlichen Geschäften betheiligt, sondern haben ihr ganzes Leben als Privatpersonen verbracht. Was nun von diesen an Erheblichem aufgestellt worden, ist bereits ziemlich vollständig von mir mitgetheilt worden. Andere sind aber Gesetzgeber geworden, entweder für ihren eigenen Staat, oder für fremde Staaten, und haben sich auch selbst mit den Staatsgeschäften befasst. Von ihnen haben ein Theil blos einzelne Gesetze gegeben, andere aber auch Verfassungen, wie Lykurg und Solon; beide haben sowohl eine Verfassung gegründet, wie Gesetze gemacht. Ueber die Lakedämonische habe ich bereits gesprochen, was aber Solon anlangt, so gilt er bei Manchen für einen tüchtigen Gesetzgeber, weil er die zu herrschsüchtige 66 Oligarchie abgeschafft, die Dienstbarkeit des Volkes beseitigt und die väterliche Demokratie wieder hergestellt habe, indem er Bestimmungen anderer Verfassungen damit gut gemischt habe; denn in dem Rathe des Areopag sei, wie sie sagen, das oligarchische Element enthalten, in der Wahl der Beamten das aristokratische und in den Gerichten das demokratische. Indess scheint Solon jene Rathsversammlung und die Wahl der Beamten, die schon früher bestanden hat, nur nicht abgeschafft zu haben, aber das Volk hat er dadurch zur Gewalt gebracht, dass er die Gerichte aus allen Bürgern bildete. Deshalb tadeln ihn auch Manche, weil er die anderen Gewalten erschüttert habe, indem er die Gerichte, welche aus allen Bürgern durch das Loos bestimmt wurden, zum Herrn des Staats erhoben habe. Denn nachdem diese Einrichtung die genügende Stärke erlangt hatte, wurde dem Volke, wie einem Tyrannen geschmeichelt und die Verfassung ging in die jetzt bestehende Demokratie über.

Ephialtes und Perikles brachen die Gewalt des Areopag, und Perikles gewährte den Richtern einen Sold und so trieb es jeder Volksführer immer weiter in der Steigerung der jetzigen Demokratie. Dies scheint jedoch nicht in der Absicht des Solon gelegen zu haben, sondern ist in Folge des Zusammentreffens vieler Umstände eingetreten. Denn nachdem das Volk in den Perserkriegen die Herrschaft zur See begründet hatte, wurde es übermüthig und wählte schlechte Führer, trotzdem, dass die rechtlichen Bürger dagegen wirkten. Solon hatte dem Volke bereits die nothwendigsten Gesetze verliehen, nämlich die Wahl der Beamten und die Rechenschaftsabnahme, damit es im Besitz dieser Rechte weder knechtisch, noch kriegssüchtig werden sollte. Dagegen besetzte er alle Aemter aus den Gebildeten und Wohlhabenden; nämlich aus der Klasse derer, von welchen das Einkommen zu fünf Hundert Scheffel Getreide abgeschätzt war und aus der Klasse derer, welche noch ein Gespann hatten und drittens aus der sogenannten Klasse der Ritter; die vierte Klasse waren die Lohnarbeiter, welche an keinem Amte Antheil hatten.

Als Gesetzgeber sind auch noch aufgetreten Zaleikos in dem westlichen Lokri und der Catanäer Charondas für seine Vaterstadt und für die übrigen Chalkidischen Städte in Italien und Sicilien. Manche wollen auch 67 behaupten, dass Onomakrit der erste bedeutende Gesetzgeber gewesen sei, der ein Lokrer war und dies in Kreta gelernt haben soll, wo er sich der Wahrsagekunst wegen aufhielt. Thales soll sein Freund gewesen sein und Lykurg und Zaleukos sollen Schüler des Thales gewesen sein und Charondas ein Schüler des Zaleukos; indessen wird bei diesen Behauptungen die Zeit nicht beachtet. Auch Philolaos aus Korinth trat in Theben als Gesetzgeber auf. Philolaos stammte aus dem Geschlecht der Bakchiaden und war ein Liebhaber des Diokles, welcher in den Olympischen Spielen den Preis gewann. Als dieser aber aus Abscheu vor den Liebesanträgen seiner Mutter Alkyone die Stadt verliess, ging er nach Theben und beide haben dort ihr Leben beschlossen. Noch heute zeigt man dort die Gräber von Beiden; man kann jedes von dem anderen aus gut sehen; aber die Gegend von Korinth ist nur von dem einen; aber nicht von dem anderen sichtbar; sie sollen nämlich die Grabstätten in dieser Weise bestimmt haben, weil Diokles über das, was ihm geschehen, erbittert gewesen und deshalb von seinem Grabhügel aus Korinth nicht sichtbar sein solle, während Philolaos das Gegentheil bestimmt habe. Aus diesem Grunde lebten sie, wie gesagt, in Theben und Philolaos trat als Gesetzgeber in mancherlei Dingen, insbesondere auch in Bezug auf die Kindererlangung bei ihnen auf, was dort die Adoptivgesetzgebung heisst. Es ist dies eine Einrichtung, die er absichtlich traf, damit die Zahl der Güterloose unvermindert sich erhalten sollte. Charondas hat nichts Eigenthümliches eingeführt, mit Ausnahme der Processe gegen meineidige Zeugen, (dieses Anklageverfahren hat er zuerst eingerichtet) aber in der genaueren Abfassung der Gesetze war er gewandter, als die jetzigen Gesetzgeber.

Dem Phaleas gehört als eigenthümliche Bestimmung die Ausgleichung der Vermögen an und dem Plato die Gemeinschaft der Weiber, Kinder und des Vermögens, sowie die gemeinsamen Mahle der Frauen und das Gesetz über die Trunksucht, wonach die Nüchternen die Leiter der Mahlzeiten sein sollten, und das über die kriegerischen Uebungen, damit durch Gewöhnung beide Hände so stark, wie die rechte würden, weil es sich nicht gehöre, dass von den beiden Händen nur die eine, aber 68 nicht auch die andere zu brauchen sei. Von Drakon giebt es zwar Gesetze, indess bestand schon die Verfassung, als er jene gab; von Eigenthümlichem findet sich darin nichts, was des Erwähnens werth wäre, ausgenommen die Härte derselben, wegen der Grösse der Strafen. Auch Pittakos hat Gesetze, aber keine Verfassung gemacht; ein eigenthümliches Gesetz von ihm bestimmt, dass Betrunkene, wenn sie Jemand schlagen würden, eine grössere Strafe, als die Nüchternen zahlen sollen, weil nämlich die Betrunkenen mehr dem Uebermuth sich hingeben, als die Nüchternen; deshalb übte er hierbei nicht die Nachsicht, die man den Trunkenen sonst schuldet, sondern er sah nur auf den Nutzen. Auch Androdamos von Rhegium gab den Thracischen Chalkidiern Gesetze; von ihm sind die Gesetze über den Mord und über die Erbtöchter; abgesehen von diesen, hätte man nichts Eigenthümliches von ihm zu berichten.

Dies möge über die wichtigsten bestehenden und die von Einzelnen besprochenen Verfassungen in dieser Weise untersucht sein. 69

 


 


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