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Der Dichter, dem Ende seines Werkes nahe, wird von seinen Freunden beglückwünscht (1–19). Leo, von Melissa geführt, bringt Roger zu Karl zurück und tritt ihm Bradamante ab (19–68). Die Bulgaren berufen Roger auf ihren Thron (69–72). Die Hochzeit (73–77). Das Zelt Constantins mit den Bildern, welche das Leben des Cardinals Hippolyt darstellen (78–99). Festlichkeiten (99–101). Rodomonts Herausforderung, Kampf mit Roger und Tod (101–140).
1 | Jetzt, wenn die Karten richtig mich belehren,. Werd' ich in kurzer Frist dem Hafen nahn Und dankbar bald am Ufer ihn verehren, Der mich durchs Meer geführt die weite Bahn, Von der ich manchmal nimmer heimzukehren Gefürchtet, oder nicht mit heilem Kahn. Mich dünkt, ich sähe schon – was sag' ich sähe? Ich sehe Land, ich seh' des Ufers Nähe. |
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2 | Schon hör' ich eines Donners lust'gen Knall, Davon die Luft erdröhnt; ich höre Klänge Wie Glockenläuten und Trompetenschall; Die übertönen das Geschrei der Menge. Schon unterscheid' ich Menschen überall Am Hafenrand umher, ein dicht Gedränge,. Und alle scheinen froh in ihrem Sinn, Daß ich am Ziel so weiten Weges bin. 372 |
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3 | Die Frauen des gräflichen Hauses Correggio zeichneten sich durch Pflege der Dichtkunst aus, namentlich gehörte Veronica da Gambera zu den gefeierten Poetinnen des 16. Jahrhunderts. Sie war die Gemalin des Grafen Giberto de' Correggi. | O was für Frauen seh' ich, schön und klug, O was für Ritter prangen rings am Strande, O was für Freunde, denen nie genug Ich danken kann für den Empfang am Lande; Mamma, Ginevra und ein ganzer Zug Der Frauen von Coreggio stehn am Rande. Veronica Gambera tritt hervor, Dem Phöbus theuer und dem Musenchor. |
4 | Von den hier genannten Frauen ist die Mailänderin Trivulzia als eine Art Wunderkind bekannt. Sie entzückte schon im vierzehnten Lebensjahre das Publicum durch ihre »wundersamen« Gedichte. – Emilia Pia, aus dem edlen Hause Carpigio (?), wird von Castiglione in seinem berühmten Werke »der Hofmann« mit Lob erwähnt. Von den übrigen wissen die Ausleger nichts zu sagen; zu bemerken wäre etwa, daß Diana Este von Ariost unter den acht Frauen, deren Bildsäulen das Brunnenhaus schmücken (Ges. 42 Str. 90), genannt wird. | Ginevra seh' ich drüben, eine zweite, Demselben Blut entstammt, und Julia Und Sforza's Tochter und an ihrer Seite, Im heil'gen Hain genährt, Trivulzia. Mich dünkt, daß dort Emilia Pia schreite, Graziosa Borgia dort und Angela, Und mit Ricarda Este nahn dem Walle Diana, Blanca und die Schwestern alle. |
5 | Der zweite Markgraf von Mantua Ludwig Gonzaga führte den Beinamen »il Turco«, und man meint, Barbara Turca sei seine Gemalin. Ob die Markgräfin (eine Tochter des Markgrafen von Brandenburg) Barbara hieß, müßte sich doch ermitteln lassen. Mit Laura soll die dritte Gemalin des Herzogs Alfons, eine niedriggeborne, aber hochbegabte Frau, gemeint sein. Es stimmt, daß sie, umgeben von estensischen Namen, aufgeführt wird; denn auch die Gonzaga's hingen durch Isabella mit den Este's nahe zusammen. Ebenso war Ginevra eine Tochter dieses Hauses, (Schwester Herzogs Hercules I). Sie war mit Sigismund Malatesta, Herrn von Rimino, vermählt. | Sieh da die schöne, tugendhafte, weise Barbara Turca, Laura neben ihr: Kein edler Paar sieht Phöbus auf der Reise Vom Indus bis zum maurischen Revier. Sieh da Ginevra, die in solcher Weise Haus Malatesta schmückt mit Goldeszier Und mit Juwelen ihrer Geistesgaben, Daß reichren Schmuck nicht Königsschlösser haben. 373 |
6 | Der berühmte Übergang Caesars über den Rubicon fand bei Ariminium (Rimino) statt. | Ja, hätte die geherscht in Arimin, Als Cäsar an des Rubicon Gestaden, Berauscht von Galliens Sieg, zu schwanken schien, Ob er hinüber solle, Rom zum Schaden, Er hätt' erlaubt die Banner einzuziehn, Der Kriegstrophäen hätt' er sich entladen, Auf ihr Gebot und Friedenswort gehört Und nie vielleicht die Freiheit Roms zerstört. |
7 | »Mein Herr von Bozolo« ist Friedrich Gonzaga, dem das Schloß Bozolo am Oglio gehörte. – Die Bentivogli sind die Herren Bologna's, die Visconti das Mailänder Herrengeschlecht, die Pallavicini (ni fallor) eine große lombardische Familie. | Die Gattin meines Herrn von Bozolo, Auch seine Mutter, Schwester, Muhmen kamen, Die Fraun der Bentivogli, ebenso Pallavicini's und Visconti's Damen, Und sie, die allem, was man irgendwo Mit Griechen, Römer und Barbarennamen Gepriesen hat und heutzutage preist, Den Kranz der Schönheit und der Huld entreißt, |
8 | Julia Gonzaga, Vespasian Colonna's Gemalin, eine berühmte Schönheit. Der Korsar Barbarossa rüstete eine Expedition aus, um sie aus ihrem Schlosse Fondi in Neapel für das Serai des Sultans zu entführen; sie entkam nur mit genauer Not, im Hemde zu Pferde fliehend. Ihre Schwägerin ist jene Isabella Colonna, Gemalin Ludwig Gonzaga's, deren Treue Ariost im 37. Ges. Str. 9–12 feiert. – Anna von Aragon war die Gemalin des gepriesenen Alfons d'Avalos Marchese von Vasto. | Julia Gonzaga: wo ihr Fuß auch schreitet, Wohin sie auch die holden Augen kehrt, Ist keine, die ihr diesen Kranz bestreitet, Die nicht als eine Göttin sie verehrt. Von ihrer Schwägerin ist sie begleitet, Die stets in Treue fest und unversehrt Der zornigen Fortuna bot die Stirn. Seht Anna Vasto, Aragons Gestirn! 374 |
9 | Die Schwester Anna's Johanna war mit Ascanio Colonna vermählt. Die letzten vier Zeilen beziehen sich wieder auf Vittoria Colonna und die Gedichte, durch welche sie das Andenken ihres Gemals Franz von Pescara verherrlichte (vgl. Ges. 37, 16–20). | Anna, so schön und lieblich, klug und fein, Tempel der Liebe, Treu' und edler Sitte; Mit ihr die Schwester: neben solchen zwein Wo ist die Schönheit, die nicht Schaden litte? Dort seh' ich eine, die für sich allein Mit nie geschautem Beispiel aus der Mitte Stygischer Götter, aus dem Reich der Schatten Gen Himmel hob den unbesiegten Gatten. |
10 | Accolti, von den Zeitgenossen »der einzige Aretiner« zubenamt, gebürtig aus Arezzo, war eine von den großen Celebritäten des Hofes Leo's X. Als Dichter, namentlich als Improvisator und Declamator, errang er eine jener Popularitäten, die mit dem Tode zu verschwinden pflegen. Castiglione's »Hofmann« erwähnt seiner häufig. | Auch meine lieben Ferrareserinnen, Die schönen Fraun Toscana's sind dabei, Und Mantua's, Urbino's Herzoginnen Und alle holden aus der Lombardei. Ein Ritter steht im Schwarme mitten drinnen, Es scheint, als ob er aller Liebling sei: Blenden mich nicht die reizenden Gesichter, So ist's Accolti, glänzendstes der Lichter. |
11 | Benedict Accolti, Hercules Gonzaga und Lorenzo Campeggio, drei Cardinäle, der letztgenannte, ein großer Rechtsgelehrter, auch in Deutschland als päpstlicher Legat wohlbekannt. | Dort seh' ich seinen Neffen Benedict Im Purpurhut und purpurnen Ornate. Da grüßt mich Hercules, Campeggio nickt, Zwei Leuchten in des Papstes hohem Rate. Und jeder dieser drei winkt mir und blickt Ob meiner Rückkehr (wenn ich's recht errate) So freudig, daß ich schwerlich je die Schuld Abtragen werde für so große Huld. 375 |
12 | Str. 12 zählt eine Reihe literarischer und gelehrter Celebritäten der Zeit Ariost's auf, von denen Molza bereits im 37. Ges. Str. 12 Erwähnung gefunden hat. Er und Dressin (oder Trissino) sind vielleicht die einzigen, deren Werke noch einiges Leben fristen, vom Dressin das Epos »Italia liberata da' Goti« und die älteste italienisch geschriebene Tragödie Sofonisbe. – Julio Camillo ist der Verfasser des »Teatro delle science«, eines Compendiums gelehrter Kenntnisse, um dessen willen Ariost ihn einen Wegweiser zu den »ascräischen Gestaden«, dem Reiche der Musen, nennt. – Der letzte in der Reihe Berna ist Francesco Berni, der in Italien noch heute gefeierte Erfinder des s. g. bernesken (burlesken) Stils, von welchem eine Umarbeitung des »verliebten Roland« Bojardo's sich in hohem Ansehn erhalten hat. | Lactanz und Claudio Tolomeo nahn; Paul Pansa, Giuvenal, Dresin erscheinen; Freund Capilupi seh' ich, Florian Montino, Sasso, Molza, und noch einen, Der uns den kürzren Weg, die leichtre Bahn Gelehrt hat zu ascräischen Lorberhainen, Julius Camillo; auch den Marc Anton Flaminio, Sanga, Berna seh' ich schon. |
13 | Alexander Farnese, Cardinal, später als Paul III Papst. Der gelehrte Hofstaat, mit welchem ihn der Dichter umgiebt, dürfte den Leser kaum hinreichend interessiren, um biographische Notizen zu jedem einzelnen Namen zu erheischen. Zu bemerken ist, daß hier unter den Italienern zwei Griechen Musurus und Lascaris sich einfinden, beide Schützlinge der Mediceer und gelehrte Hellenisten. Musurus wurde von Leo X zum Bischof von Ragusa und sogar zum Cardinal ernannt. – Dem in der letzten Zeile genannten Maro hat Ariost schon im 3. Ges. Str. 56 ein hyperbolisches Compliment gemacht. | Seht Alexander, meinen Herrn, Farnese! Und um ihn welch gelehrtes Hofgeleit! Capella, Porzio und der Bolognese Philipp, der Volterraner ihm zur Seit, Blosio, Pierio und der Cremonese Vida, ein Goldschacht der Beredtsamkeit, Musurus, Lascaris und Navagero, Andreas Maro und der Mönch Severo. |
14 | Der einzige Pietro Aretino ist unter den hier genannten noch heute berühmt genug. Dieser witzige und völlig schamlose Dichter wurde von seinen Zeitgenossen wegen seines Talents »der göttliche,« wegen seiner satirischen Schärfe, welche die Mächtigen der Erde nicht schonte, »die Geißel der Fürsten« genannt. – Mainardo und Leoniceno waren gelehrte Ärzte in Ferrara, letzterer der erste Übersetzer der Schriften des Galenus und der Aphorismen des Hippokrates. | Seht noch zwei Alexander, aus dem Blute Der Orologi jener, der Guarin. Seht da Olvito, seht die Fürstenrute, Den göttergleichen Pietro Aretin. Seht zwei Girolamo, dort rechts der gute Herr Veritade, links dort Cittadin. Ich seh' Mainardo, seh' Leoniceno, Celio, Pannizato, Teocreno. 376 |
15 | Der hier genannte Bembo ist derselbe, dessen im 42. Ges. Str. 86 Erwähnung geschieht. Pietro Bembo, Geheimschreiber Leos X, später Cardinal, Venezianer von Geburt, war gleich berühmt wegen seiner lateinischen und italienischen Schriften, seiner Prosa und seiner Verse. Ariost's Lob, daß erst er die italienische Sprache »gemeinem Brauch enthoben« habe, ist zwar übertrieben, doch ist unzweifelhaft Bembo's Einfluß auf Eleganz und Feinheit der Schreibart sehr erheblich gewesen. Charakteristisch für den literarischen Epicureismus des Mannes und für die Zeit überhaupt ist es, daß man erzählte, der Cardinal lasse das Brevier von seinen Dienern lesen, weil er fürchte, seine Latinität zu verderben, wenn er es selbst thue. – Von den übrigen genannten Personen verdient Fracastorio, Arzt in Verona, der Curiosität halber die Anmerkung, daß er ein Gedicht über die Syphilis geschrieben hat. Gries behauptet, dies Werk zeige ihn, durch die kunstreiche Behandlung eines höchst widerstrebenden Stoffes, als wahren Dichter, was zu glauben schwer fällt. – Der Tasso der letzten Zeile ist Bernhard, Torquato's Vater, der Verfasser des hundert Gesänge starken Rittergedichtes Amadis. | Capello seh' ich, Bembo seh' ich droben, Der unsrer Sprache Süß' und Reinheit mehrt, Der sie gemeinem Brauche hat enthoben, Und wie sie sein soll, durch sein Beispiel lehrt. Ihm folgt Obizi, der soeben Proben So wohlverwandter Dint' anstaunt und ehrt. Trifon und Fracastorio sind erschienen Und Bevazzan, und Tasso hinter ihnen. |
16 | »Mein Freund Valerio« erscheint hier zum zweiten Male. Es ist derselbe Gian Francesco Valerio, welcher im 27. Ges. Str. 137 als Weiberfeind eingeführt und für die skandalöse Geschichte von Astolf und Jucund verantwortlich gemacht wird. | Niccolo Tiepoli erhebt die Brauen, Und Niccolo Amanio starrt auf mich, Und mich dem Ufer schon so nah zu schauen Wundert und freut Anton Fulgoso sich. Mein Freund Valerio kehrt sich von den Frauen Zum Barignan, als frag' er ärgerlich, Wie er, von ihnen stets gekränkt, es mache, Daß ihre Schönheit ihn nicht stets entfache. |
17 | Gian Francesco Pico, Herr von Mirandola, und Alberto Pio, Herr von Carpi, zwei verwandten Häusern angehörig, waren zu ihrer Zeit als Schriftsteller angesehen, wenn auch nicht in dem Maße, wie Ariosts Ausdruck voraussehen läßt. Der erstere ist nicht zu verwechseln mit dem Wunder seines Zeitalters, dem berühmten Pico della Mirandola (Giovanni), dessen Neffe er war. – Sannazar war ein hochgefeierter Dichter in Latein und Italienisch; die Schlußzeilen spielen darauf an, daß er durch seine Fischereclogen das Seeleben in die elegante Dichtung eingeführt hat. Aus der Art wie Sannazars erwähnt wird, sieht man daß Ariost mit allen übrigen Personen, die er in diesen siebenzehn Strophen aus allen Gegenden Italiens zusammenführt, persönlich bekannt war. Als Zeugniß von der Stellung des Dichters zu vornehmen Frauen, Fürsten, Edelleuten, Prälaten, Gelehrten und Poeten wird dieser »Katalog der Gönner« immer sein Interesse behalten. | Ich seh' unsterbliche und hohe Geister, Pio und Pico, nah an Lieb' und Blut; Wer aber ist der dritte Mann? wie heißt er, Auf dem der Besten Blick voll Ehrfurcht ruht? Beschrieb man mir ihn recht, so ist's der Meister, Den nie gesehn zu haben weh mir thut, Jacobus Sannazar, der die Camönen Vom Berg ans Meer gelockt mit seinen Tönen. 377 |
18 | Pistofilo war Secretär (wir würden sagen Minister) des Herzogs von Ferrara. Ariost hat ihm eine seiner Satiren zugeeignet. – Auch die drei Acciajuoli, Florentiner von Geburt, lebten in Ferrara. – Hannibal Malaguzzo wird vom Dichter Vetter genannt, weil seine, Ariosts, Mutter den Malaguzzi von Reggio angehörte. – Wer Adoardo war, sagen die Commentare nicht; offenbar ein Landsmann aus Reggio, der aber die wohlwollende Prophezeiung des Dichters nicht erfüllt hat. | Seht, der gelehrte, treue Secretar Pistofolo, und neben ihm am Meere Die Acciajuoli und mein Freund Angiar, Froh, daß ich heil und lebend wiederkehre. Mein Vetter Malaguzzo auch, fürwahr, Und Adoardo, der zu Ruhm und Ehre Einst bringen wird mein heimatliches Nest Vom Indus bis zum allerfernsten West. |
19 | Froh seh' ich Victor Faustus, froh im Kreise Seh' ich Tancredi, seh' ich hundert stehn. Die Männer und die Frauen gleicherweise Sind alle glücklich mich am Ziel zu sehn. Schnell laßt uns denn den kleinen Rest der Reise Beenden, da die Winde günstig wehn, Und laßt uns sehn, wie es Melissa machte, Als sie dem guten Roger Hilfe brachte. |
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20 | Wie ich euch oft gesagt zu haben meine, War längst Melissa von dem Wunsch entbrannt, Daß er mit Bradamante sich vereine Durch der Vermählung unauflöslich Band. So nah ging ihr des Mädchens Wohl, das seine, Daß stündlich sie nachforschte, wie es stand; Stets ließ sie Geister hin und wider wandern, Und kam der eine, schickte sie den andern. 378 |
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21 | Wie Roger, mächt'gem Schmerze preisgegeben, Dalieg' in tiefer, finstrer Wüstenei, Erfuhr sie, und wie er in diesem Leben Nie Speise zu berühren Willens sei, Um so durch Fasten sich den Tod zu geben. Melissa aber kam und stand ihm bei; Sie kam auf einer Straße, wo sie wußte, Daß Leo ihr entgegenkommen mußte. |
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22 | Der hatte mittlerweil ins Land umher Auf Kundschaft ausgeschickt die Knecht' und Knappen, Und aufgebrochen war sodann auch er, Den Krieger suchend mit dem Einhornwappen. Es fiel der klugen Zauberin nicht schwer Der Geister einen anzuthun als Rappen Mit Zaum und Sattel. So bestieg sie ihn Und traf alsbald den Sohn des Constantin. |
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23 | »Bist du, o Herr, so adlich von Gemüte, (So sprach sie) wie dein Antlitz prophezeit, Entspricht die Großmut drinnen und die Güte Der äußren Bildung und Vollkommenheit, Dann tröst' und vor dem Tode, Herr, behüte Den allerbesten Ritter unsrer Zeit; Denn wenn er bald nicht Trost und Hilfe fände, Ging' es in kurzer Frist mit ihm zu Ende. 379 |
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24 | »Der beste Held, der je am Gurt den Degen, Den Schild am Arm geführt hat oder führt, An Huld und Schönheit jedem überlegen, Dem sonst der Huld und Schönheit Ruhm gebürt, Er stirbt, und stirbt nur seiner Großmut wegen, Wenn ihn zu retten keine Hand sich rührt. Um Gottes willen, Herr, versuch' und komme, Ob ihm zu helfen noch ein Mittel fromme.« |
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25 | Dem Prinzen fiel es augenblicks aufs Herz, Daß dieser Held, von dem die Fremde sagte, Derselbe sei, nach dem er allerwärts Durch Boten fragen ließ und selber fragte. So folgt' er jener, die durch ihren Schmerz Sein Mitleid rührt' und trieb sein Roß und jagte Mit seiner Führerin den Weg entlang Dahin, wo Roger mit dem Tode rang. |
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26 | Sie fanden ihn, da er drei Tag' und Nächte Gehungert hatt'; all seine Kraft entschwand, Und wenn er mühsam in die Höh' sich brächte, Wär' er zurückgefallen, eh er stand. Gewaffnet lag er da wie zum Gefechte, Das Haupt behelmt, das Schwert zur linken Hand, Die Wange stützend auf dem Eisenschilde, Der weiß bemalt war mit dem Einhornbilde. 380 |
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27 | Erwägend, wie er sich mit Schuld belud, Wie er die Liebste kränkt' und ihre Treue Schmählich vergalt, erzittert er vor Wut, Nicht nur vor Schmerz, und in der Qual der Reue Beißt er die Händ' und Lippen bis aufs Blut, Ein Thränenstrom ergießt sich stets aufs neue, Und dieses Grübeln hat ihn so verstört, Daß er nicht Leo noch Melissa hört. |
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28 | Er unterbricht sich nicht in seiner Klage, Hemmt nicht die Seufzer und das Wehgeschrei. Der Prinz hält an und horcht, was jener sage; Dann steigt er ab und kömmt zu Fuß herbei. Daß Liebe Schuld an dieser Folter trage, Erkennt er wohl, doch wer die Dame sei, Erfährt er nicht, für die der Ritter brannte, Weil Roger niemals noch den Namen nannte. |
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29 | Und näher nun und immer näher rückte Leo dem ärmsten, bis er vor ihm stand Und brüderlich ihn grüßte, flugs sich bückte Und seinen Arm um Rogers Nacken wand. Ich weiß nicht, ob es Roger sehr beglückte, Als er so plötzlich Leo vor sich fand; Er fürchtete, daß jener ihm Beschwerde Bereiten und am Sterben hindern werde. 381 |
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30 | Mit sanfter Stimme, holder Zärtlichkeit, Mit Worten, die von Liebe überfließen, Dringt Leo in ihn: »Sei es dir nicht leid, Die Ursach deines Grams mir aufzuschließen. Nur selten sind die Übel dieser Zeit So böse, daß sie sich nicht heilen ließen, Wenn man die Ursach kennt. Nie gebe man Die Hoffnung auf, solang' man atmen kann. |
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31 | »Mich schmerzt, daß du mir zu entfliehn gedachtest, Mich, deinen wahren Freund, von Herzen dein, Nicht erst seitdem du mich so glücklich machtest, Daß nichts mich kann von diesem Joch befrein, Nein damals schon, als du mir Schaden brachtest Und Grund mir gabst dein ärgster Feind zu sein; Mich, der gewiß, um deine Not zu heben, Sein alles hingiebt, Habe, Freunde, Leben. |
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32 | »Vertraue mir, was für ein Schmerz es ist, Der dich bedrückt, und ein Versuch geschehe, Ob nicht Gewalt, ob Schmeicheln oder List, Ob Kunst, ob Reichtum hilft, daß er vergehe. Dann, wenn du schließlich nicht zu heilen bist, Mag dich der Tod befrein von deinem Wehe. Zu diesem letzten aber greif erst dann, Nachdem geschehn ist, was geschehen kann.« 382 |
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33 | So fuhr er fort und so eindringlich führte Er seine Sache, sprach so hold und fein, Daß er zuletzt das Herz des Jünglings rührte, Das weder Eisen war noch Kieselstein. Daß es nicht recht wär' und sich nicht gebürte, Die Antwort zu verweigern, sah er ein. Er sprach, doch zweimal oder dreimal stockte Das Wort, bevor er es dem Mund' entlockte. |
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34 | »Herr, (sprach er dann) wann du vernommen hast, Wer vor dir liegt, – und gleich werd' ich es sagen, – Dann wirst du wünschen wie ich selbst, und fast Noch mehr als ich, ich läge hier erschlagen. Vernimm, ich bin der Mann, den Leo haßt, Roger, der dich gehaßt in frühern Tagen, Der nur um dich zu tödten mit dem Schwert, Dem Hofe Karls den Rücken hat gekehrt, |
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35 | »Damit du nicht die Hand der Bradamante Mir raubtest; denn es war mir hinterbracht, Wie Haimon günstigen Bescheid dir sandte. Weil Gott nun aber lenkt, was wir erdacht, Kam jene Not, und deine Großmut wandte Mir gänzlich Sinn und Herz in einer Nacht. Nicht nur erlosch der Haß, der mich getrieben, Nein, ich beschloß auch, ewig dich zu lieben. 383 |
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36 | »Du batest mich, eh du von mir gewußt Und meinem Namen, dir die Braut zu schaffen; Das hieß verlangen, mitten aus der Brust Mein Herz und meine Seele wegzuraffen. Ob ich für deine mehr als meine Lust Bemüht war, das bewies ich mit den Waffen. Du hast die Braut, sie bleib' in Frieden dein; Dein Wohl muß theurer mir als meines sein. |
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37 | »Doch wenn ich ihr entsage, gönne mir, Daß ich der Welt entsage wie dem Weibe. Denn ohne sie zu leben, dünkt mich schier, Als sollt' ich leben ohne Seel' im Leibe. Auch könntest du rechtmäßig nicht mit ihr Die Ehe schließen, wenn ich lebend bleibe, Weil wir verlobt sind schon als Weib und Mann Und sie nicht zwei auf einmal freien kann.« |
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38 | Der Prinz will nicht den eignen Ohren trauen, Da er den Namen Rogers hört; er regt Nicht Fuß noch Mund, er zuckt nicht mit den Brauen, Er steht wie eine Statue unbewegt. Gleich einer Statue ist er anzuschauen, Wie man in Kirchen sie zu stiften pflegt. Ihm dünkt, daß solchen Edelmut die Erde Noch nie gesehn, nie wieder sehen werde. 384 |
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39 | Und nun er Rogers Namen hatt' erfahren, Nun schrumpfte nicht nur nicht die Freundschaft ein, Sie wuchs vielmehr, und Rogers Leiden waren Ihm ebenso wie Rogern Qual und Pein. Deshalb und um der Welt zu offenbaren, Daß er verdien' ein Kaisersohn zu sein, So wollt' er, wenn auch nicht in andren Dingen, Mit Roger um den Preis der Großmut ringen, |
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40 | Und sprach: »O Roger, hätt' ich in den Stunden, Wo du mein Heer erschlugst mit starker Hand, Hätt' ich in meinem Hasse da gefunden, Du seiest Roger, wie ich jetzt es fand, Doch hätte dein Verdienst mich überwunden, Wie es gethan hat, eh ich dich gekannt, Und hätt' aus meiner Brust den Haß vertrieben Und mich gezwungen dich wie jetzt zu lieben. |
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41 | »Ich haßte Roger, was ich nicht bestreite, Bevor ich Roger hatt' in dir erkannt; Daß aber dieser Haß nun fürder schreite, Die Sorge bleib' aus deinem Sinn verbannt. Und hätt' ich damals, als ich dich befreite, Gewußt, was jetzt ich weiß, wie alles stand, Ich hätte gleich gethan in aller Eile, Was ich nun heute thun will dir zum Heile. 385 |
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42 | »Und hätt' ich's gern gethan in jenen Tagen, Bevor ich dir, wie jetzt, verpflichtet war, Um wie viel lieber heut, wo nein zu sagen Unmenschlich wäre, mehr als undankbar! Du raubtest dir ja, ohne viel zu fragen, Dein höchstes Gut und brachtest mir es dar; Ich aber bring' es dir zurück und habe Mehr Freude vom Verzicht als von der Gabe. |
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43 | »Du hast an ihr weit mehr und größre Rechte. So hoch ihr Wert in meiner Schätzung steht, Doch fehlt noch viel, daß ich zu sterben dächte, Wie du es denkst, wenn mir die Braut entgeht. Nicht möcht' ich, daß dein Tod mir Vortheil brächte, Daß er dies Band, das zwischen euch besteht, Das Band der Ehe, lös' und mir gestatte Sie heimzuführen als der rechte Gatte. |
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44 | »All meine Habe, nicht bloß diese Ehe, Und auch das Leben selbst geb' ich dahin, Bevor es heißt, solch einem Mann geschehe Ein Unrecht und ein Leid mir zum Gewinn. Dein Mistraun nur thut meinem Herzen wehe: Du wußtest, daß ich ganz dein eigen bin, Und wolltest lieber doch, daß Schmerz dich tödte, Als warten, ob dein Freund dir Hilfe böte.« 386 |
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45 | So sprach er, und er sprach noch mancherlei, (Die Zeit gebräche, wollt' ich's wiedergeben,) Und immer neue Gründe bracht' er bei, Sobald der andre Einspruch wollt' erheben, Bis Roger endlich sprach: »Wohlan, es sei, Ich füge mich und willig' ein zu leben. Wann aber trag' ich dir die Schuld wohl ab, Der mir nun zweimal schon das Leben gab?« |
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46 | Köstliche Speise ließ in aller Eil Melissa jetzt und edle Weine kommen Und stärkte Roger, und es war sein Heil, Sonst wäre bald sein Lebenslicht verglommen. Frontin kam im Galopp; denn mittlerweil Hatt' er die Pferd' im Busche wahrgenommen, Und Leo's Knappen fingen den Frontin Und sattelten und brachten Rogern ihn. |
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47 | Mit großer Müh stieg Roger auf sein Pferd, Obschon der Prinz ihm half sich aufzuraffen: So hatten jene Kräfte sich verzehrt, Die jüngst genügten reine Bahn zu schaffen Durch ganze Heere mit gezücktem Schwert Und so zu fechten mit den falschen Waffen. Sie ritten fort und fanden nahebei Am Heerweg eine stattliche Abtei, 387 |
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48 | Wo sie den Tag ausruhten bei dem Abte, Den zweiten auch und auch den dritten dann, Bis sich der Einhornritter voll erlabte Und seine vor'ge Kraft zurückgewann. Dann mit Melissa und mit Leo trabte Er nach der Hauptstadt und kam glücklich an Und fand daselbst Gesandte der Bulgaren, Die Nachts zuvor erst eingetroffen waren. |
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49 | Dies Volk hatt' ihn zum Könige gemacht Und schickte die Gesandten, ihn zum Throne Zu rufen, und sie hatten sich gedacht, Man treff' ihn bei Pipins berühmtem Sohne. Sie wollten Treu' ihm schwören und die Macht Ihm geben und ihn krönen mit der Krone. Der Knappe Rogers, den sie auf die Fahrt Mitnahmen, hat schon alles offenbart. |
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50 | Er hat erzählt, was Roger vor den Thoren Belgrads für das Bulgarenvolk gewann, Und wie die Griechen ihren Sieg verloren, Geschlagen von dem einen tapfren Mann, Wofür die andren ihn zum Herrn erkoren Und setzten ihre Landsmannschaft hintan; Und wie Ungard den schlafenden bestrickte Und ihn in Ketten Theodoren schickte; 388 |
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51 | Und wie es bald darauf im Lande hieß, Man habe Rogers Wächter todt gefunden, Ihn selbst entflohn und offen das Verlies; Hernach sei jede Spur von ihm verschwunden. Verborgnen Wegs kam Roger nach Paris, Und niemand sah ihn in den Abendstunden. Am Morgen dann begab er sich ins Schloß Des Kaisers, mit ihm Leo, sein Genoß. |
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52 | Und Roger trug das kaiserliche Zeichen, Im roten Feld den goldnen Doppelaar, Und (wie sie ausgemacht) trug er den gleichen Helmschmuck und Waffenrock, der ganz und gar Durchbohrt war und zerfetzt von Schwertesstreichen, Wie er vorhin im Kampf gewesen war, Sodaß ein jeder ihn als den erkannte, Der das Gefecht bestand mit Bradamante. |
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53 | In reichem Kleid und fürstlichem Ornat Kam Leo, unbewaffnet, ihn geleitend, Und mit ihm ein Gefolg' in vollem Staat, Vorn, hinten und zur Seite sich verbreitend. Vor Karl sodann, der ihm entgegentrat, Verneigt' er sich, und also näher schreitend Ergriff er Rogers Hand, den jedermann Mit starren Blicken ansah, und begann: 389 |
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54 | »Dies ist der gute Held, der sich gewehrt Von Tagesgraun bis zum erloschnen Tage Und weder fiel durch Bradamante's Schwert Noch sich ergab noch wich aus dem Verschlage. Und wenn er richtig das Proclam erklärt, So glaubt er, hoher Herr, nach dem Vertrage Gesiegt zu haben und die Braut erstritten Und kömmt nun, um den Preis sich zu erbitten. |
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55 | »Kein andrer kann, wie das Proclam ergiebt, Mit Fug und Recht Anspruch auf sie erheben. Und wenn man sie dem besten Ritter giebt, Welch einem bessern könnte man sie geben? Giebt man sie dem, der sie am meisten liebt, Wer stünd' ihm da voran, wer nur daneben? Hier steht er, gern bereit sein gutes Recht, Wenn's not thut, zu behaupten im Gefecht.« |
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56 | Karl und der ganze Hof erstarrten schier Bei diesen Worten; denn ein jeder dachte, Daß Leo jenen Kampf bestand mit ihr Und nicht der Fremdling, den er heute brachte. Marfisa, die mit vielen andren hier Zuhört' und der es große Mühe machte Zu schweigen, bis der Prinz das letzte Wort Gesprochen, trat hervor und sprach sofort: 390 |
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57 | »Weil Roger nicht zur Stell' ist und den Streit Nicht selbst ausfechten kann um diese Ehe, Damit ihm also durch Abwesenheit Kein Unrecht, eh er davon hört, geschehe, So wißt, daß ich als Schwester jederzeit Jedwedem, wer's auch sein mag, Rede stehe, Der Recht zu haben meint an diese Braut Und Roger zu verdrängen sich getraut.« |
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58 | Und so entrüstet und so zornig trug Sie diese Worte vor, daß mancher glaubte, Sie werde sonder Aufschub und Verzug Den Kampf beginnen, eh es Karl erlaubte. Doch Leo fand, des Spiels sei jetzt genug: Er nahm daher den Helm von Rogers Haupte Und sagte zu Marfisa: »Sehet her, Euch Rechenschaft zu geben wünscht auch er.« |
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59 | Aegeus, König von Athen, hatte Aethra, die Mutter des Theseus, als dieser eben geboren war, verlassen, ihr aber sein Schwert gegeben, damit er dereinst daran seinen Sohn erkennen möge. Als Theseus unerkannt im Hause des Aegeus erschien, riet Medea, die Gemalin des Königs, den ihr verdächtigen Fremdling zu vergiften. Rechtzeitig erkannte Aegeus das Schwert. | Wie einst erstarrt der greise Aegeus stand Bei jenem Gastmahl, das die mörderische Gemalin angestiftet, als er fand, Daß er das Gift dem eignen Sohne mische, Und daß er, hätt' er nicht sein Schwert erkannt, Ihn dort getödtet hätt' am eignen Tische: So stand Marfisa, fast vor Schreck versteint, Als sie erkannte, Roger sei der Feind, 391 |
60 | Und lief, und in die Arme schloß sie ihn, Als wolle sie für immer ihn umfangen. Und Roland kam, Rinald der Paladin, Und Karl zuerst, und küßten ihm die Wangen, Und Oliver und Dudo; und Sobrin Ward nimmer satt ihn herzlich zu empfangen. Keiner der Paladin' und hohen Herrn Hielt sich von der Begrüßung Rogers fern. |
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61 | Prinz Leo, der gar fein zu reden wußte, Ließ den Umarmungen die nöt'ge Zeit, Und dann, so daß es jeder hören mußte, Gab er dem Kaiser Auskunft und Bescheid, Wie trotz der Niederlag' und dem Verluste, Den er erlitt, die Kraft und Tapferkeit, Womit vor Belgrad Roger jüngst gefochten, Mehr über ihn als aller Groll vermochten; |
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62 | Und wie er, als hernach der edle Held In Hände fiel, die ihn zerrissen hätten, Trotz seiner Blutsfreundschaft es angestellt, Um ihn aus der Gefangenschaft zu retten; Und wie der gute Roger zum Entgelt Und Dank für die Befreiung aus den Ketten, Die hohe Großmut übte, die so weit Voransteh' allen Thaten aller Zeit. 392 |
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63 | Und weiter theilt' er ihnen alles mit, Was Roger that für ihn, und wie der schwere Und scharfe Schmerz so tief ins Herz ihm schnitt, Weil er für immer nun der Braut entbehre, Daß er den Tod aufsucht' und fast erlitt, Wenn nicht zuletzt ihm noch geholfen wäre. Und als mit inn'gem Ton er das beschrieb, Da war kein Aug' im Saal, das trocken blieb. |
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64 | Bei Haimon dann, dem eigensinn'gen Greise, Legt' er ein so nachdrücklich Fürwort ein, Daß er nicht nur sein Herz bewegt' und leise Den Sinn ihm wandelte, nicht dies allein, Er rührt' ihn so, daß Haimon aus dem Kreise Zu Roger kam und bat ihm zu verzeihn Und Vater ihn und Schwäher ihn zu heißen. So ward ihm Bradamante denn verheißen. |
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65 | Und nun zu ihr, die still im Kämmerlein Sich schier ums Leben weinte Stund' um Stunde, Lief wie der Wind mit lautem Jubelschrein Durch vieler Boten Mund die frohe Kunde. Daher das Blut, das vor der scharfen Pein Hinabgewichen war zum Herzensgrunde, So jählings nun vom Herzen Abschied nahm, Daß sie vor Freude fast ums Leben kam. 393 |
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66 | Die Kräfte schwanden ihr im Augenblicke, Daß sie nicht mehr auf ihren Füßen stand, Obwohl sie stark war und im Misgeschicke Voll hohen Mutes, wie euch wohl bekannt. Ich glaube, wer zum Beil, zum Rad, zum Stricke Verurteilt ist und schon das schwarze Band Vor Augen hat und dem am Hochgericht Gnade verkündet wird, freut mehr sich nicht. |
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67 | Anselm, Gano u. s. w. sind die Angehörigen des Mainzer Geschlechts, welches die beiden Häuser, denen Roger, Rinald und Roland entstammen, Mongrana und Claramont, tödtlich haßte. | Es freuen sich, verknüpft zu neuem Bunde, Mongran' und Claramont an Rogers Lohn. Mit Schmerz vernimmt der Graf Anselm die Kunde, Hört Gano sie und Gini und Falcon; Jedoch verbergen sie mit glattem Munde Den Grimm und Neid, in ihrem Herzen schon Auf Rache wartend, wie der Fuchs gekauert Am Wege sitzt und auf den Hasen lauert. |
68 | Denn nicht nur hatten Roger und Rinald Schon manchen dieser argen Sipp' erschlagen, (Obwohl der Kaiser stets den Hader bald Beschwichtigt hatt' und unterdrückt die Klagen,) Ihr alter Haß war auch frisch aufgewallt, Als Pinabel und Bertolag erlagen; Nur hielten sie den Ingrimm noch versteckt, Als wäre noch der Thäter unentdeckt. 394 |
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69 | Die Boten der Bulgaren, die von fern Nach Frankreich kamen, wie ich schon erzählte, Den Einhornritter, den gewalt'gen Herrn, Zu suchen, den das Volk zum König wählte, Priesen, da sie ihn fanden, ihren Stern, Daß ihre Hoffnung nicht das Ziel verfehlte, Und baten ehrerbietig auf den Knie'n, Er möge mit in ihre Heimat ziehn. |
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70 | In Adrianopel warte seiner schon Das Königsscepter samt dem Diademe, Wenn er nur kommen woll' und seinen Thron Vor Feinden zu beschützen sich bequeme; Denn Constantin werd' ihr Gebiet bedrohn Mit neuem, größrem Heer, wie man vernehme. Sie aber hofften, wär' ihr Fürst zur Hand, So jag' er Constantin aus Griechenland. |
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71 | Und Roger war bereit und nahm das Reich Von ihnen an und hatte gern versprochen Zu kommen, wenn das Schicksal keinen Streich Ihm spielen sollte, binnen dreizehn Wochen. Als Leo dies vernahm, sprach er sogleich Zu Roger, ihr Vertrag bleib' ungebrochen, Weil zwischen ihm als Herrn der Bulgarei Und Constantin der Friede sicher sei. 395 |
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72 | Und darum eil' es mit der Reise nicht, Noch auch daß er den Constantin vertreibe; Sein Vater solle friedlich selbst Verzicht Auf alles leisten, was noch streitig bleibe. So viel man auch von Rogers Tugend spricht, Viel schwerer wiegt bei Haimons stolzem Weibe, (Daß sie ihn liebt und ihn als Sohn erkennt,) Als sie vernimmt, daß man ihn König nennt. |
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73 | Die Hochzeit wurde königlich begangen, Wie es des Hochzeitsgebers würdig war. Karl selber gab sie und mit solchem Prangen, Als führ' er seine Tochter zum Altar. So hohe Dienste hatt' er ja empfangen Von dieser Braut und Haimons ganzer Schar, Daß er es nicht zu viel des guten fände, Wenn er sein halbes Reich an sie verwende. |
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74 | Der Hof ward frei erklärt für alle Welt; Ein jeder komm' und geh' unangefochten. Neun Tage gab man allen freies Feld, Die etwas auszufechten haben mochten. Im Freien ward ein herrlich Festgezelt Aus Laub erbaut und Blumen drein geflochten Und Seidenstoff und Gold, ein luft'ger Ort, Daß man nichts schönres fand in Süd und Nord. 396 |
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75 | Paris bot keinen Raum für Mann und Roß, Für all die ungezählten Pilgerscharen, Für arm und reich, was hier zusammenfloß An Griechen und Lateinern und Barbaren, Für Herren und Gesandt' und ihren Troß, Die aus der ganzen Welt entsendet waren: In Zelt und Hütt' und unterm Laubendach Fand alles Unterkommen und Gemach. |
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76 | Mit seltnen und erlesnen Kostbarkeiten Begann Melissa in der letzten Nacht Die bräutlichen Gemächer zu bereiten, An deren Schmuck sie lange schon gedacht. Sie hatte schon in längst verflossnen Zeiten Für diesen Bund gebetet und gewacht, Von dem sie wußte, welche segensvolle Vortrefflichkeit aus ihm entspringen solle. |
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77 | Sie hatte das fruchtbare Bett der Gatten Im schönsten reichsten Zelte aufgestellt, Das jemals Fürsten haben oder hatten Im Frieden oder zum Gebrauch im Feld. Melissa ließ in Thracien auf den Matten Am Meeresbord dem Constantin das Zelt Über dem Kopf wegziehn, als er gerade Zur Kurzweil Lager hielt am Seegestade. 397 |
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78 | Weil Leo damit einverstanden war Und um ihm eine Probe vorzumachen Von jener Kunst, die ihren Zaum sogar Anlegen kann dem großen Höllendrachen, Daß er gehorchen muß mitsamt der Schar Der Geister, welche Gottes Zorn entfachen, Entbot sie stygisches Gesind' und ließ Das Zelt von Thracien holen nach Paris. |
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79 | Über den Kopf des Griechenkaisers raffte Bei hellem Mittag sie das Zelt dahin Und führt' es mit den Schnüren und dem Schafte Und allem, was darum war und darin, Hoch durch die Luft, und solcher Art verschaffte Rogern ein schön Quartier die Zauberin. Und als das Fest vorbei war, trug man's wieder Dahin, woher es kam, und setzt' es nieder. |
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80 | Zweitausend Jahre waren fast verflossen, Seit dieses reichgewirkte Zelt entstand. Ein Mädchen, troischem Geblüt entsprossen, Von pythischer Prophetenwut entbrannt, Hatt' in durchwachten Nächten unverdrossen Das ganze Werk vollbracht mit eigner Hand. Cassandra hieß sie, und als reiche Spende Gab sie dem Hector die gestickten Wände. 398 |
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81 | Den besten Ritter, aller Helden Preis, Der je aus Hectors Stamme sollt' erstehen, (Obwohl sie wußt', es werde manches Reis Noch zwischen ihm und dieser Wurzel stehen,) Den stickte sie aufs Tuch mit großem Fleiß In Gold und Seide, herrlich anzusehen. Und Hector hielt es hoch, solang' er lebte, Der Arbeit wegen und weil sie es webte. |
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82 | Sinon hieß der Überläufer, der die Trojaner beredete das hölzerne Pferd in die Stadt zu ziehen. – Die Geschichte von der Gefangenschaft der Helena bei dem König Proteus von Aegypten findet sich bei Herodot (ohne den Umstand mit dem Zelte natürlich). Paris, so lautet die Version, sei mit der entführten Helena nach Aegypten verschlagen worden; der König habe ihn fortgeschickt, die Schöne dagegen behalten, bis Menelaus sie auslöste. | Als durch Verrat er dann sein Ende fand Und die Trojaner ihrem Feind' erlagen, Den Sinons Arglist in die Stadt gesandt, Und ärgres folgte als die Bücher sagen, Fiel dies Gezelt in Menelaus' Hand Und ward mit ihm bis an den Nil verschlagen, Wo Proteus es als Lösegeld empfing Für Menelaus' Gattin, die er fing. |
83 | Agrippa, Schwiegersohn des Octavian, besiegte bei Actium den Marcus Antonius und dessen Verbündete Cleopatra. | Helena war's, für die der Ehemann Das Zelt dem Proteus gab, dem falschen Greise. Als Erbgut fiels den Ptolemäern an Und der Cleopatra auf gleiche Weise. Ihr nahm Agrippa in der Seeschlacht dann Den seltnen Schatz wie andre Siegespreise. Augustus und Tiber bewahrten ihn, Daß er in Rom blieb bis auf Constantin. 399 |
84 | Italien grollt dem Constantin, weil er den Sitz des Reichs nach Byzanz verlegt hat. | Und jener Constantin, dem, wie wir wissen, Das schöne Land Italien ewig grollt, Hat unsrem Rom dies schöne Werk entrissen Und in Byzanz es wieder aufgerollt. Ein andrer Constantin borgt' es Melissen. Der Schaft war Elfenbein, die Schnüre Gold, Und schönre Bilder rings die Wände schmückten, Als je dem Pinsel des Apelles glückten. |
85 | Str. 85 ff. fassen noch einmal die Complimente zusammen, welche dem Gönner Ariosts Hippolyt von Este im Verlaufe des Gedichts so verschwenderisch zu Theil geworden sind. Der Geburt Hippolyts, dessen Mutter Leonore von Aragon »Königin« genannt wird, weil sie die Tochter eines Königs (Ferdinand von Neapel) war, folgt die Schilderung seiner Erziehung am Hofe des ungarischen Königs Matthias Corvinus, dessen Gemalin Beatrice von Aragon Hippolyts Muhme war. König Matthias machte den zehnjährigen Knaben zum Erzbischof von Gran (Strigonia); im dreizehnten Lebensjahre ward er, unter Papst Alexander VI Cardinal und bald hernach Erzbischof von Mailand. Seinem Schwager, dem unglücklichen Ludwig Sforza, stand er als Ratgeber und Kriegsmann zur Seite, bis der Herzog in die Gefangenschaft Frankreichs geriet. Dann bethätigte er sich in den Kriegen seines Bruders, des Herzogs von Ferrara, als tüchtiger Soldat und machte sich verdient durch Entdeckung der Verschwörung, welche Julius und Ferdinand von Este gegen Alfons angezettelt hatten (vgl. 3. Ges. Str. 60.) Daß das Bild, welches Ariost von dem Lebenslauf seines Patrons entwirft, stark geschmeichelt ist, läßt sich nicht bestreiten; jedoch ist zu bemerken, daß auch Castiglione die in der 92. Strophe am Schlusse gepriesene Anmut des Cardinals bezeugt. Grazie und Anstand, sagt dieser Kenner, seien ihm gleichsam angeboren. | Die Grazien standen da mit süßer Labe Um eine Königin in Kindesweh'n, Und bald entwand sich ihr ein schöner Knabe, Wie selbst die goldne Zeit ihn nicht gesehn. Jupiter und der Gott der Rednergabe Und Mars und Venus streuten über den Aus vollen Händen ewigblüh'nde Kränze, Süßes Ambrosia, Duft der Himmelslenze. |
86 | »Hippolytus« sagt' eine Schrift am Rand Der Windeln, die des Bildes Sinn erklärte. Bald aber nahm das Glück ihn an die Hand, Und vor ihm schritt die Tugend als Gefährte. Dann sah man Leut' aus einem fremden Land, Die trugen lange Röck' und lange Bärte Und wollten von des Knaben Vater ihn Erbitten sich im Namen des Corvin. 400 |
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87 | Auch sah man, wie er Hercules verließ Und Leonoren und sie scheidend ehrte; Wie an der Donau dann das Volk sich stieß, Um ihn zu sehn, und göttlich ihn verehrte; Wie Ungarns weiser König dann ihn pries, Voll Staunens, wer so reifes Wissen lehrte Unreifen Jahren, und mit hohem Lob Ihn über alle Reichsbaron' erhob. |
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88 | Und wie der König dann dem zarten Knaben Das Scepter von Strigonia übertrug. Stets, im Palast wie hinter Schanz' und Graben, Sah man das Kind in des Monarchen Zug. Ob gegen Türken oder gegen Schwaben Der mächt'ge König sich im Felde schlug, Stets folgte Hippolyt, und in der Jugend Auf hohe Thaten merkend, lernt' er Tugend. |
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89 | Thomas Fusco war der Erzieher und hernach der Secretär Hippolyts. | Hier sah man in des Lebens Frühling ihn Den Geist mit Wissenschaft und Künsten nähren, Und dunklen Sinn der alten Schriften schien Fusco an seiner Seit' ihm zu erklären. Dies mußt du suchen, jenes mußt du fliehn, Wenn du nach Kränzen strebst, die ewig währen, Schien er zu sagen: so lebendig stand Geberd' und Antlitz auf der Leinewand. 401 |
90 | Dort, noch ein Jüngling, ist er Cardinal Und sitzt im Vatican im heil'gen Kreise, Des Geistes Schätze öffnend, und im Saal Lauscht man bewundernd der beredten Weise. Was wird er sein, wann seiner Jahre Zahl Erfüllt sein wird? so fragen sich die Greise. O wenn auf den einst Petri Mantel fällt, Begnadigtes Jahrhundert, sel'ge Welt! |
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91 | Bei edler Kurzweil zeigt ein andres Bild Den hohen Herrn, bei mut'gem Zeitvertreibe. Im sumpf'gen Bruch geht er dem schwarzen Wild, Er geht dem Bären im Gebirg zu Leibe. Dem Sechzehnender folgt er durchs Gefild Auf schnellem Gaul, als ob der Wind ihn treibe, Und in zwei Hälften fällt, von ihm ereilt, Der Hirsch, mit einem Degenhieb zertheilt. |
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92 | Dort sieht man ihn vom Philosophenkreise Und von geehrter Dichterschar umringt, Die bald ihm der Planeten Bahn und Reise Und Erd' und Himmel zu Papiere bringt, Bald sanfte Elegie und muntre Weise, Bald Heldenlied, bald holde Oden singt. Dort lauscht er auf Musik kunstvoller Töne. Kein Schritt, den höchste Anmut nicht verschöne. 402 |
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93 | Die Bilder, so des Zeltes Hälfte zierten, Verherrlichten des Fürsten Knabenzeit, Und auf der andren Hälfte triumphirten Thaten der Klugheit, der Gerechtigkeit, Der kriegerischen Kühnheit und der vierten, Die eng in Freundschaft sich an jene reiht, Die Tugend mein' ich, welche giebt und spendet: Sie alle sah man hier in ihm vollendet. |
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94 | Die Fahne mit den Schlangen ist die des Herzogs von Mailand. | Auf dieser Seite wird der junge Held Von Mailands schwergeprüftem Herrn empfangen. Er sitzt mit ihm im Friedensrat, im Feld Schwenkt er mit ihm die Fahne mit den Schlangen, Stets als ein Mann, der ächte Treue hält. In sonn'gen Tagen wie in dunkelbangen, Dem flieh'nden folgend, den gebeugten stützend, Im Leid ihn tröstend, in Gefahr ihn schützend. |
95 | Cicero wurde nach der Entdeckung der catilinarischen Verschwörung vom römischen Senat mit dem Titel Pater patriae geehrt. | Dort sieht man ihn, zum Heil für unsren Staat Und für Alfons, beflissen scharfer Wache: Er sucht auf wunderbar verschlungnem Pfad Und findet und enthüllt sodann die Sache Dem höchstgerechten Bruder, den Verrat Der nächsten unter seinem eignen Dache. Und jenen Namen führt auch er fortan, Den Cicero im freien Rom gewann. 403 |
96 | Dann wieder sieht man leuchtend ihn in Waffen; Der Kirche beizustehn eilt er daher. Nur rohes Volk kann er zusammenraffen, Ein Häuflein wider ein geschultes Heer; Doch um den Päpstlichen Luft zu verschaffen, Genügt es, daß er kömmt zur Gegenwehr. Er löscht das Feuer, eh der Funke fliegt, Und heißen darf's: er kömmt und sieht und siegt. |
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97 | Anspielung auf den schon an verschiedenen anderen Stellen gefeierten Sieg über die in den Po eingedrungene venezianische Flotte. | Dort sieht man ihn am heimatlichen Strand Die stärkste Flott' angreifen, die bis heute Venedig jemals gegen Griechenland Geschickt hat oder gegen türkische Leute. Er schlägt sie, und in seines Bruders Hand Giebt er die ganze Flott' und große Beute, Und nichts behält er selbst zum Eigentum Als, was er nicht verschenken kann, den Ruhm. |
98 | Aufmerksam sehn die Ritter und die Frauen, Obschon sie sich's nicht deuten, jedes Bild; Denn niemand kömmt, um ihnen zu vertrauen, Daß alles dies zukünft'gen Dingen gilt. Gleichviel, so schöngewirkte Menschen schauen Sie gern und lesen jedes Namensschild. Nur sie, die eingeweiht war, Bradamante, War froh für sich, weil sie die Zukunft kannte. 404 |
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99 | Und Roger, wenn auch nicht so gut beschlagen Wie Bradamante, wußte mind'stens dies, Daß Atlas, wenn er sprach von künft'gen Tagen, Den Hippolyt vor allen Enkeln pries. Wer könnte, wie sich's ziemt, in Versen sagen, Wie huldreich Karl sich gegen all' erwies? An Spielen gab's ein mannichfalt Gepränge Und auf der Tafel Speis' und Trank in Menge. |
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100 | Da sah man, wer ein guter Ritter war; Denn täglich brachen sie wohl tausend Speere. Zu Pferde wie zu Fuß focht manches Paar, Und manchmal focht man in gemischtem Heere. Der beste Mann war Roger in der Schar; Er ritt bei Tag und Nacht und stets mit Ehre. Im Tanzen, Ringen, allem, was man trieb, Er war's, der rühmlich immer oben blieb. |
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101 | Am letzten Tag des Festes, als sie kaum Das feierliche Mahl begonnen hatten Und Karl an seiner rechten Seite Raum Der neuvermählten gab und links dem Gatten, Da kam ein Ritter mit verhängtem Zaum Stracks auf die Tafel zu, quer durch die Matten, Er und sein Roß von schwarzer Tracht umwallt, Hochmüt'gen Ansehns, mächtig von Gestalt. 405 |
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102 | Dies war der Mohr von Algier, der, verdrossen, Weil eine Jungfrau siegte wider ihn, Geschworen hatte, fern von den Genossen Kein Pferd zu reiten und kein Schwert zu ziehn, Bevor nicht Jahr und Mond und Tag verflossen, Und eine Zell' als Klausner zu beziehn. Denn das war Ritterbrauch in jenen Zeiten, Daß sie für solche Schuld sich selbst casteiten. |
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103 | Obwohl er immer Nachricht und Bescheid Erhalten hatte von der Heiden Lage, Doch griff er nicht zum Schwerte, treu dem Eid, Als ob er nichts nach diesen Dingen frage. Als aber dann verstrichen war die Zeit, Das Jahr, der Monat samt dem einen Tage, Ritt er an Frankreichs Hof in neuer Wehr, Auf neuem Roß, mit neuem Schwert und Speer. |
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104 | Ohn' abzusitzen, ohne sich zu neigen, Ohn' eine Ehrerbietung kömmt er jetzt Und scheint durch die Geberden anzuzeigen, Wie wenig er den Kreis von Fürsten schätzt. Und alle sind vor Staunen starr und schweigen, Ob so vermessner Ungebür entsetzt. Man läßt die Speisen ruhn und die Gespräche, Zu lauschen, wenn der Mohr das Schweigen bräche. 406 |
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105 | Als Karl, und Roger auch, ihn hören konnte, Sprach er mit lauter Stimme fürchterlich: »König von Sarza bin ich, Rodomonte, Und fordre zum Gefechte, Roger, dich. Bevor die Sonne sinkt zum Horizonte, Beweis' ich, daß du deinen Herrn im Stich Gelassen hast und hast Verrat begangen, Der Ehr' unwürdig, die du hier empfangen. |
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106 | »Zwar deine Felonie ist sonnenhelle: Du bist getauft; was braucht es Zeugniß mehr? Doch daß ich klarer noch ins Licht es stelle, Werd' ich beweisen es mit Schwert und Speer. Und hast du jemand, der an deiner Stelle Zum Kampf bereit ist, gut, mir paßt auch der, Auch vier, auch sechs, falls einer es nicht wagte. Ich will verfechten, was ich eben sagte.« |
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107 | Roger erhob sich stracks bei dem Geschrei Und sprach, da Karl zu sprechen ihm erlaubte, Der andre lüge, und ein Lügner sei Jedweder, der von ihm Verrat behaupte. Stets hab' er so für seinen Herrn Partei Genommen, wie er sich verpflichtet glaubte, Und sei gerüstet dafür einzustehn, Daß er ihm stets den schuld'gen Dienst versehn. 407 |
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108 | »Der Markgraf mit den seinen« ist Oliver mit seinen Zwillingsöhnen Aquilant und Grifon. | Sich zu verteid'gen wiss' er selber Rat, Und ihm dabei zu helfen, brauch' er keinen, Und hoffe zu beweisen durch die That, Daß jener wohl genug hab' an dem einen. Rinald und Roland traten vor, es trat Der Markgraf vor, mit ihm die wackren seinen; Marfisa, Dudo, all' erboten sich Zum Kampf für Roger mit dem Wüterich |
109 | Und zeigten ihm, er dürf' als Bräutigam Die eigne Hochzeit nicht in Schrecken jagen. Drauf sagte Roger: »Euer Grund ist lahm: Ich bitt' euch mir dergleichen nicht zu sagen.« Die Rüstung, die er dem Tartaren nahm, Ward ihm gebracht, voll Beulen und zerschlagen. Die Sporen schnallt' ihm Roland von Anglant, Den Schwertgurt Kaiser Karl mit eigner Hand. |
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110 | Harnisch und Schienen hatten ohne Säumen Marfis' und Bradamant' ihm angeschnallt. Astolf hielt Rogers Schlachtroß an den Zäumen, Den Bügel Holgers Sohn. Und nun alsbald Umschritten das Geheg, um es zu räumen, Der Herzog Naims, der Markgraf und Rinald Und säuberten den Platz in aller Schnelle, Der stets gerüstet blieb für solche Fälle. 408 |
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111 | Frauen und Mädchen stehn erbleichend schon Und zitternd um den Platz, wie Tauben zittern, Die von der körnerreichen Weide flohn Ins sichre Nest, wann Sturmwind mit Gewittern Herbraust und schwarze Donnerwolken drohn Hagel und Regen und Verderb den Schnittern. Um Roger zittern sie; denn ihnen scheint Der wilde Mohr ein allzu starker Feind. |
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112 | Auch fand das Volk die Sache nicht geheuer, Und mancher Herr war, der sie mislich fand. Noch unvergessen war das Abenteuer, Das in Paris der Saracen bestand, Als er die halbe Stadt mit Schwert und Feuer Zerstörte, ganz allein; noch nicht verschwand, Noch nicht so bald verschwinden wird die Spur; Kein Ort im Reiche war, der schlimmer fuhr. |
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113 | Am meisten zitterte bei diesem Streit Die Tochter Haimons; nicht als ob sie dächte, Daß Rodomont mehr Stärk' und Tapferkeit, Die aus dem Herzen kömmt, zum Kampfe brächte, Noch bessres Recht, (das oft den Sieg verleiht, Dem der es hat, als Helfer im Gefechte); Doch kann sie sich der Sorge nicht entschlagen. Sie liebt: so hat sie würd'gen Grund zu zagen. 409 |
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114 | Wie gerne hätte sie es unternommen Selbst in den ungewissen Kampf zu gehn, Wär' auch ihr Schicksal, darin umzukommen, Mehr als gewiß und klar vorauszusehn. Sie hieße ja den Tod zehnmal willkommen, Wenn's möglich wär', ihn zehnmal zu bestehn, Viel lieber thäte sie's, als ihrem Gatten Den Gang auf Tod und Leben jetzt gestatten. |
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115 | Doch kennt sie kein Gebet, dies zu erflehn Und solchen Tausch von Roger zu erlangen. So bleibt sie, um dem Kampfe zuzusehn, Zitternden Herzens und mit bleichen Wangen. Von dort sprengt Roger, hier der Saracen, Und zielend kreuzen sie die schweren Stangen. Wie morsches Eis zerschellt die Lanz' im Arm, Die Splitter fliegen wie ein Vogelschwarm. |
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116 | Obwohl des Heiden Speer den Schild nicht fehlte, Auf den er zielte, blieb die Wirkung matt. Der Stahl, den einst Vulcan für Hector stählte, War tadellos und gab ihm keine Statt. Die Lanze Rogers, wie die andre, wählte Den Schild zum Ziel, und sie durchbohrt' ihn glatt. Außen und innen Stahl, dazwischen Knochen, Zwölf Zoll dick war der Schild und ward durchstochen. 410 |
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117 | Und hielte Rogers Speer nur besser Stand, Als er zusammenrannte mit dem Mohren, Und flög' er nicht in Scherben aus der Hand, Die wie auf Flügeln sich im Blau verloren, – Den Panzer, wär' er auch von Diamant, (So wütend war der Stoß) würd' er durchbohren, Den Kampf beendend. Doch er brach. Die Pferde Setzten sich beide rückwärts auf die Erde. |
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118 | Jeder der Reiter hatt' alsbald sein Pferd Mit Sporn und Zügel wieder aufgetrieben. Man warf den Stumpf beiseit, man zog das Schwert Und machte Kehrt zum Kampf mit grimmen Hieben. Bald hier, bald dorthin schwenkten sie gelehrt Die Rosse, daß sie Kreis um Kreis beschrieben, Und nun mit spitzem Schwert und scharfen Künsten, Suchten sie, wo des Gegners Stahl am dünnsten. |
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119 | Nicht trug der Mohr die harte Schuppenhaut Des Drachen, als er gen Paris sich wandte, Nicht Nimrods Schwert, das so gewaltig haut, Noch den gewohnten Helm, den jeder kannte. Er ließ die Rüstung, als ihn Rogers Braut Auf seiner Brücke damals niederrannte, Im Tempel hängen an der Marmorwand, – Mir ist, als wär' es euch bereits bekannt. 411 |
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120 | Nun trug er andre gute Ritterwehr, Nicht freilich gleich an Trefflichkeit der alten; Indeß auch jener und noch härtrer wär' Es schwierig Balisarden Stand zu halten. Kein Erz noch feinster Stahl beschirmt vor der, Kein Zauber, keiner Fee geheimes Walten. Schon hat sie hier und da so gut geschafft, Daß manche Stell' im Rock des Mohren klafft. |
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121 | Der Heide sieht den Harnisch rot von Blut, Er sieht, er kann dem Schicksal nicht entgehen, Daß jene Streiche, die der Gegner thut, Nicht meistentheils tief in das Fleisch ihm gehen. Da schäumt er auf in Zorn, in größrer Wut Als je das Meer, wann Winterstürme wehen. Er wirft den Schild weg, und um rasch zu enden, Haut er auf Rogers Helm mit beiden Händen. |
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122 | Eine Ramm-Maschine von besonders starker Wirkung scheint bei Ferrara auf dem Po gelegen zu haben; man gab ihr einen Eigennamen, »die Katze,« was auf ungewöhnliche Eigenschaften schließen läßt. | Wie die Maschine, welche auf den Wogen Des Po auf zwei verbundnen Schiffen liegt, Von Menschen und durch Räder hochgezogen, Herab auf die gespitzten Pfähle fliegt, So kömmt herab auf Rogers Kopf geflogen Zweihänd'ger Hieb, der viele Centner wiegt. Indeß der Zauberhelm bleibt wohlbehalten, Sonst hätt' ein Hieb so Mann wie Roß gespalten, 412 |
123 | Tief neigt sich Roger vor dem Wetterstrahl; Er öffnet Arm' und Schenkel, um zu fallen. Der Heide läßt das Schwert zum zweiten Mal, Eh jener sich erholt, herniederschallen; Zum dritten Mal, jedoch der feine Stahl Läßt sich dies Hämmern länger nicht gefallen: Das Schwert zerspringt und läßt die Hand im Stich, Und ohne Waffe bleibt der Wüterich. |
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124 | Deshalb jedoch hält Rodomont nicht inne; Er wirft auf Roger sich, der nichts mehr spürt: So ist sein Kopf betäubt, so dumpf die Sinne, Seit jener Schlag wie Donner ihn gerührt. Doch sorgt der Heide, daß der Schlaf zerrinne: Er hat mit mächt'gem Arm den Hals umschnürt, Und so, in dieser Schling', empor vom Pferde Hebt er ihn jetzt und wirft ihn an die Erde. |
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125 | Kaum lag er da, so sprang er auch empor, Von Scham erfüllt mehr als von zorn'gem Hasse. Auf Bradamante blickend, kam's ihm vor, Als ob ihr blühend Antlitz jäh erblasse. Sie, als sie sah, daß er den Sitz verlor, Erschrak, wie wenn das Leben sie verlasse. Roger, der Sühne für den Schimpf begehrt, Springt auf den Heiden mit gezücktem Schwert. 413 |
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126 | Der treibt sein Roß auf ihn, doch Roger springt Seitwärts zu rechter Zeit und greift behende Mit seiner linken Hand den Zaum und zwingt Den Gaul zurück, daß er im Kreis sich wende, Indeß die rechte Hand den Degen schwingt Und eifrig zielt nach Brust und Bauch und Lende Und macht ihm mit zwei Stößen scharfe Pein, Zuerst ins Hüftgelenk und dann ins Bein. |
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127 | Der Heide sah sein Schwert in Scherben liegen, Doch hatt' er das Gefäß noch in der Hand; Das ließ er auf den Kopf des Jünglings fliegen, Daß nochmals fast ihm die Besinnung schwand. Roger jedoch, der würd'ger war zu siegen, Packt' ihn am Arm und zog, so wie er stand, Erst mit der einen Hand und dann mit beiden, Bis er zuletzt vom Pferde zog den Heiden. |
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128 | Doch Rodomont fällt so geschickt vom Pferd, Daß Roger nichts voraus hat; ich will sagen, Er fällt auf seine Füße. Rogers Schwert Ist freilich als ein Vortheil anzuschlagen. Jetzt sucht er nur, wie er ihn von sich wehrt Und scheint nach näh'rem Kampf nicht viel zu fragen: Daß dieser große Körper, dies Gewicht Ihm auf den Leib rückt, wünscht er wahrlich nicht. 414 |
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129 | Auch strömt des Gegners Blut in vollem Lauf Aus Brust und Lend' und andren tiefen Schrammen, Und Roger hofft, die Schwäche zehrt ihn auf Und wird zur Unterwerfung ihn verdammen. Noch hält der Heide seinen Degenknauf, Und alle letzte Kraft nimmt er zusammen Und schleudert los und trifft den Feind so schwer, Daß er betäubter wird als je vorher. |
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130 | An Rogers Helmwang' und die Schulter prallt Der schwere Knauf und schlägt so hart dagegen, Daß Roger schwankt und strauchelt; der Gewalt Des Wurfes wär' er um ein Haar erlegen. Der Mohr will vorwärts, doch sein Fuß macht Halt, Die Wund' im Schenkel wehrt ihm sich zu regen, Und weil er schneller vorstrebt, als er kann, Fällt auf das eine Knie der zorn'ge Mann. |
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131 | Roger verliert die Zeit nicht, vorwärts springt er Und stößt ihn vor die Brust und ins Gesicht Und hämmert los auf ihn, und nieder zwingt er Ihn auf die Hand und weicht und rastet nicht. Der Mohr kömmt wieder auf, und nun umschlingt er Roger mit beiden Armen fest und dicht, Und beide drehn sich, schüttelnd, drängend, pressend, Mit Riesenkraft und nicht der Kunst vergessend. 415 |
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132 | Dem Heiden ist schon viel von seiner Kraft Durch seine offne Seit' und Lend' entschwunden; Roger besaß Geschick und Meisterschaft Und hatt' im Ringkampf manchen überwunden; Er merkt und nutzt, was ihm Vortheil verschafft: Da wo am meisten Blut fließt aus den Wunden, Wo er den Feind am schwersten sieht verletzt, Wird Arm und Brust und Fuß darangesetzt. |
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133 | Um Rogers Hals und um die Schulter schlingt Der Heide Arm und Faust, vor Zorn erbebend; Bald zieht er an, bald stößt er ab, bald schwingt Über die Brust er ihn und hält ihn schwebend. Er hält ihn fest, dreht ihn im Kreis und ringt, Ihn hinzuwerfen unermüdlich strebend. Doch Roger steift sich; Kraft und Klugheit treibt Er ans Geschäft, damit er oben bleibt. |
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134 | Stets neue Griff' erprobt in diesem Streite Der gute Held, bis er den Feind umfaßt. Er drückt die Brust ihm an die linke Seite Und schiebt auf ihn mit aller Macht und Last, Und vor das eine Knie, dann auch vors zweite, Bringt er das Bein, stößt zu in voller Hast Und hebt ihn in die Luft und wirft ihn wieder Kopfüber auf den harten Boden nieder. 416 |
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135 | Der Mohr schlug mit dem Kopf und Schulterblatte Aufs Erdreich und bei dem gewalt'gen Prall Spritzten die Wunden weithin auf die Matte Ihr Blut wie Brunnen ihren Wasserschwall. Roger, der jetzt das Glück beim Schopfe hatte, (Damit der Mohr sich nicht erhebt vom Fall,) Kniet auf den Bauch ihm, würgt ihn mit der Linken, Und läßt den Dolch ihm vor den Augen blinken. |
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136 | Iberien (Spanien) war freilich nicht mehr zu Ariosts Zeit, wohl aber im Altertum im Besitz ergiebiger Goldgruben. | Wie in den Bergwerkstollen, wo Iberer Gold aus der Erde graben, dann und wann Das Dach herabstürzt auf die Köpfe derer, Die schnöder Geiz zu solchem Werk gewann, Und sie erdrückt mit seiner Last, so schwerer, Daß kaum ihr Geist von hinnen fahren kann: So lag der Saracen, erdrückt nicht minder, Am Boden unter ihm, dem Überwinder. |
137 | Der hat den spitzen Dolch hervorgelangt, Und durchs Visier kann Rodomont ihn sehen. Der Mohr soll sich ergeben, das verlangt Der droh'nde Held; dann soll ihm nichts geschehen. Er aber, der zu sterben wen'ger bangt Als die geringste Feigheit zu begehen, Schüttelt und krümmt sich, sucht den Gegner fort Zu drücken und erwidert ihm kein Wort. 417 |
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138 | Die Buldogg' unterm grimm'gen Bärenhunde, Der würgend schon ihr an der Gurgel liegt, – Wie die mit glüh'nden Augen, Schaum im Munde, Mühsam sich wehrt, umsonst sich dreht und biegt Und wird den Dränger nimmer los vom Schlunde, Der sie an Kraft, doch nicht an Wut besiegt: So müht umsonst sich der gewalt'ge Krieger Emporzukommen unter seinem Sieger. |
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139 | Doch tobt er so, daliegend auf dem Rücken, Und ringt, bis er den bessren Arm befreit. Nun kann den Dolch auch seine Rechte zücken, Den er nicht minder zog in diesem Streit. In Rogers Weiche sucht' er ihn zu drücken; Der Jüngling aber merkt zu rechter Zeit, In welchen Irrtum er verfallen könne, Wenn er dem grimmigen noch Frist vergönne. |
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140 | Zweimal und dreimal, und so hoch er konnte, Über der graus'gen Stirn hob' er die Hand Und grub den Stahl des Dolchs dem Rodomonte Ganz ins Gehirn, und die Gefahr verschwand. Zum schwarzen Strom, den nie der Tag besonnte, Aus dem zu Eis erstarrten Leib verbannt, Fluchend entfloh die trotz'ge Seele dessen, Der in der Welt so stolz war und vermessen. |