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Der Fluch des Geizes (1–5). Rinald weigert sich den Krug zu versuchen (6–9). Geschichte des Mantuaners und der Melissa (10–49). Rinalds Weiterreise auf dem Po (50–71). Geschichte Adonio's und des wunderbaren Hündchens (72–143). Rinalds Weiterreise und Ankunft in Lipadusa (144–153). Flordelis erfährt Brandimarts Tod (154–164). Brandimarts Bestattung (165–182). Das Ende der Flordelis (182–185). Roland kömmt mit den Freunden zu dem Eremiten Rogers. Olivers Heilung. Sobrins Bekehrung (185–199).
1 | Fluchwürd'ger Geiz, wahnsinn'ge Gier nach Schätzen, Mich wundert nicht, daß dir die Macht verliehn, Gemeine Seelen, die sich nur ergetzen An niedren Dingen, in dein Garn zu ziehn; Doch fängst du manchen auch in gleichen Netzen Und mit derselben Kralle packst du ihn, Der würdig sonst durch seines Geistes Höhe Der Ehre wäre, wenn er dir entflöhe. |
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2 | Er mißt vielleicht Meer, Erd' und Firmament; Vielleicht daß er die Gründ' und den genauen Zusammenhang der Dinge klar erkennt; Er kann vielleicht Gott in den Busen schauen; Und doch ist nichts, worauf er heißer brennt, (Weil du ins Herz ihm schlugst die gift'gen Klauen,) Als Gold zu sammeln: dies allein erstrebt er; Das ist sein Heil und Hoffen; dafür lebt er. 230 |
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2 | Ein andrer bricht vielleicht der Feinde Macht Und öffnet fester Städte Thor' und Brücken, Gewohnt, zuerst der mörderischen Schlacht Die Brust zu zeigen und zuletzt den Rücken; Jedoch aus deines Kerkers blinder Nacht Sich zu befreien, will ihm nimmer glücken. Andren mit andrer Kunst und Wissenschaft Nimmst du den Ruhm, den sonst sie sich verschafft. |
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4 | Was soll ich gar von schönen Frauen schreiben? Sei schön und treu und tugendhaft dazu, Weih ihnen langen Dienst, trotz allem bleiben Sie hart wie Stein, in unbewegter Ruh. Da kömmt der Geiz, der weiß sein Spiel zu treiben. Gleich sind sie wie verzaubert, und im Nu Holt, ohne Liebe, (kann man's glauben, Leute?) Ein Greis, ein Fratz, ein Unhold sie als Beute. |
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5 | Ich habe meinen Grund dies zu beklagen. Verstehe mich wer kann, denn ich versteh' mich. Doch will ich drum nicht meinem Werk entsagen, Und darum nicht vergesse mein Poem ich. So gut wie das gesagte auch zu sagen, Was noch zu sagen bleibt, das übernehm' ich. Kehren wir jetzt zurück zum Paladin, Der im Begriff den Wein zu kosten schien. 231 |
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6 | Er dachte, wie gesagt, ein Weilchen nach, Ob er die Lippen zu dem Kruge wende. Ein Weilchen dacht' er, und dann sagt' er: »Ach, Ein Thor nur sucht, was er nicht gerne fände. Mein Weib ist Weib, und jedes Weib ist schwach. Laßt meinen Glauben, wie er ist. Am Ende Ist mir bis jetzt mein Glaube gut bekommen. Was will ich mehr? was kann die Probe frommen? |
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7 | »Groß kann der Schade sein, der Nutzen klein. Versuch' ich Gott, so könnte Gott mich hassen. Ob's klug ist oder dumm, ich sage nein. Ich will nur Dinge wissen, die mir passen. Ich bin nicht durstig, will es auch nicht sein. Ihr könnt den Becher gern wegtragen lassen. Noch strenger als der Baum des Lebens war Des Wissens Baum verpönt dem ersten Paar. |
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8 | »Wie Adam, als er in den Apfel biß, Was Gott mit eignem Mund' ihm untersagte, Von Fröhlichkeit verfiel in Kümmerniß Und dann im Elend sich beständig plagte, So fällt ein Mann, der immer sucht, gewiß Zu wissen, was die Gattin that und sagte, Von Freud' in Thränen und in Herzeleid, Daraus hernach nichts wieder ihn befreit.« 232 |
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9 | So sprach der gute Held und schob sodann Den Krug beiseit, der seine Ruhe störte. Und siehe da, ein Strom von Thränen rann Vom Antlitz dessen, dem das Haus gehörte. Ein wenig dann sich fassend, hob er an: »Verwünscht sei jene, die mich so bethörte, Daß ich die Probe – weh mir! – unternahm Und so um die geliebte Gattin kam! |
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10 | »O hätt' ich vor zehn Jahren dich gekannt Und Zeit gehabt, dich erst um Rat zu fragen, Bevor das Leid, der Thränenstrom entstand, Der fast mich blind gemacht in jungen Tagen! Den Vorhang lüft' ich jetzt, die Scheidewand. Du sollst mein Unglück sehn und mich beklagen. Ich will's dir sagen, Ursach und Beginn Maßloser Qual, der ich verfallen bin. |
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11 | Die hier beschriebene Stadt ist Mantua. Der aus dem See Benacus (Gardasee) fließende Mincio umgiebt, ehe er in den Po fällt, Mantua mit einer landseeartigen Wasserfläche. Mantua wurde der Sage zufolge von Manto, der Tochter des Cadmus, Königs von Theben, gegründet, nachdem letztere Stadt, die »Drachenveste,« (so genannte wegen der aus Drachenzähnen entstandenen Krieger des Cadmus,) in dem Bruderkriege zerstört worden war. | »Du hast die Stadt gesehn, um welche hell Ein klarer Strom sich wie zum Landsee ründet; Fern im Benacus hat er seinen Quell, Und hier im Po ist's, wo sein Wasser mündet. Als jene Drachenveste, das Castell Des Cadmus fiel, ward diese Stadt gegründet. Daselbst ward ich geboren, arm an Gut, In niedrem Hause, doch von edlem Blut. 233 |
12 | »Und hatte mir das Glück von seinen Gaben Bei der Geburt nur wenig zugewandt, So glich Natur es aus: vor andren Knaben Verlieh sie Schönheit mir mit holder Hand. Mädchen und Frauen, mehr als eine, haben In meiner Jugendzeit für mich gebrannt, Zumal ich wohl verstand mich zu betragen, Obwohl es kaum mir ziemt es selbst zu sagen. |
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13 | »Nun lebt' in unsrer Stadt ein weiser Mann, In Künsten hoch gelehrt, im Forschen fleißig; Er zählt', als seines Lebens Frist verrann, Zwei Jahre weniger als hundertdreißig. Stets lebt' er streng und einsam, bis ihn dann Zum Schluß die Lieb' umgarnte, daß der Greis sich Um Geld ein Weib gewann, die übers Jahr Ihm insgeheim ein Töchterchen gebar. |
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14 | »Und um das Kind dem Beispiel und der Lehre Der Mutter fernzuhalten, die um Geld Der Ehre sich begab, obwohl die Ehre Mehr wert ist als das Gold der ganzen Welt, Entzog er sie dem menschlichen Verkehre, Und wo er Wüste fand und ödes Feld, Ließ er dies weite Schloß sich schön und prächtig Von Geistern bau'n; denn Zaubers war er mächtig. 234 |
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15 | »Und hier, gepflegt von weisen alten Frauen, Wuchs sie heran, in Schönheit, wunderbar. Niemals bekam sie einen Mann zu schauen, Davon zu reden schon verboten war. Als Muster aber, um sie zu erbauen, Ließ er die keuschen Frau'n, die immerdar Verbotner Lieb' ihr Haus verschlossen halten, Abconterfein in Farb' und Steingestalten. |
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16 | »Und nicht nur solche, deren Sittenstrenge Die alte Zeit bewundernd hat gesehn Und deren Namen trotz der Zeiten Länge, Dank den Historien, niemals untergehn; Auch andre zücht'ge Frauen, die in Menge Zur Zierd' Italiens künftig noch erstehn, Ließ er in vollem Glanz abconterfeien, Wie ihrer acht um diesen Born sich reihen. |
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17 | »Als sie dem Vater reif genug erschien, Daß ein Gemal die schönen Früchte pflücke, Beschloß er mich vor allen vorzuziehn, Ob nun zu meinem Unheil oder Glücke. Den herrlichen Palast und rings um ihn Fischreiche See'n und breite Ackerstücke Fünf Meilen in die Runde gab er mir Als Mitgift und vermählte mich mit ihr. 235 |
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18 | »Sie war so schön, so hold in allen Dingen, Daß Aug' und Herz nichts mehr zu wünschen fand. Die schönen Stickerei'n und Nähte gingen Ihr leichter als Minerven von der Hand. Sah man sie wandeln, hörte man sie singen, So schien's, der Himmel sei ihr Vaterland. Der freien Künste war sie so beflissen, Daß sie dem Vater nahe kam an Wissen. |
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19 | »Mit hohem Geist, mit holder Jugendblüte, Die reizend finden würd' ein kalter Stein, Verband sie eine Zärtlichkeit und Güte, – Daran zu denken geht durch Mark und Bein. Kein süßer Sehnen trug sie im Gemüte Als, wo ich stand und ging, bei mir zu sein. So trieben ohne Zwist wir längre Zeit es; Dann kam, durch meine Schuld, genug des Streites. |
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20 | »Mein Schwäher starb, – es war im fünften Jahr, Seitdem die Ketten Hymens mich umschlangen, – Da fing das Leiden an, das immerdar Mich quälen wird. Vernimm, wie mir's ergangen. Indeß mit ihren Flügeln ganz und gar. Liebe zu diesem Schatz mich hielt umfangen, War eine edle Dame hier zu Land, So heiß man brennen kann, für mich entbrannt. 236 |
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21 | »Die war in Hexerei und Höllenzwang Gründlich gelehrt: ein Wort aus ihrem Munde, So stand die Sonne still, die Erde sprang, Hell ward die Nacht und schwarz die Mittagsstunde. Nie aber weckte sie in mir den Hang: Ihr Herz zu heilen von der Liebeswunde Mit einer Kur, durch deren Übung ja Ein schweres Unrecht meiner Frau geschah. |
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22 | »Nicht alle Huld, die ich von ihr erfuhr, Nicht ihre Schönheit, nicht die reichsten Spenden, Auch kein Gelübd' und feierlicher Schwur, Die sie nicht müde wurde zu verschwenden, Nichts brachte mich dahin, ein Flämmchen nur Von meiner ersten Lieb' ihr zuzuwenden; Denn fern von ihr hielt immer mich aufs neu' Die Kenntniß, meine Gattin sei mir treu. |
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23 | Die Tochter Leda's ist Helena, der troische Schäfer Paris, welchem Pallas alle Weisheit, Juno Herrschaft und Macht anboten. | »In diesem Glauben, dieser Sicherheit Hätt' ich gewiß, wär' sie mir angetragen, Die allererste Schönheit aller Zeit, Die junge Tochter Leda's, ausgeschlagen, Und alle Weisheit, alle Herrlichkeit, Die zu des troischen Schäfers Füßen lagen. Jedoch so spröd' ich war und mich betrug, Sie los zu werden, war es nicht genug. 237 |
24 | »Einst als ich draußen war in dem Revier Und sie mich traf, (die sich Melissa nannte,) Fand sie das Mittel, im Gespräch mit mir, Das meinen Frieden zur Entzweiung wandte Und mit dem Sporn argwöhn'scher Wißbegier Den festen Glauben forttrieb und verbannte. Sie hatte meinen Vorsatz zwar gelobt, Der treu zu bleiben, die sich treu erprobt; |
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25 | »Doch treu sie nennen (sprach sie) kannst du nicht, Solange nicht Beweis' es deutlich lehren. Wer Treue brechen könnt' und doch nicht bricht, Den magst du gern als treu und sittsam ehren. Läßt du sie aber nie aus dem Gesicht Und keinen andren Mann mit ihr verkehren, Wie kannst du da so zuversichtlich sein Und mir beteuern, sie sei keusch und rein. |
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26 | 26 »Geh einmal fort, geh fort von deinem Weibe Und sprenge ringsum aus in Stadt und Land, Daß du verreisest, sie zu Hause bleibe; Laß Boten und Verliebten freie Hand. Und zeigt sich dann, daß sie nichts arges treibe, Hält sie den Bitten und Geschenken Stand, Obschon sie glaubt, sie könnte heimlich sünd'gen, Dann magst du, daß sie treu ist, kühn verkünd'gen. 238 |
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27 | »Mit solchen Worten setzt die Zauberin Mir lang' und dringend zu, bis ich erkläre, Daß ich der Gattin Treu' und reinen Sinn Auf solche Art erprobt zu sehn begehre. Gesetzt jedoch den Fall, (so warf ich hin,) Daß jene so, wie ich's nicht glaube, wäre, Was mach' ich dann, damit ich sicher weiß, Ob Strafe sie verdient, ob Lob und Preis? |
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28 | Morgana war nach der walisischen Sage die Schwester des Königs Marc von Cornwallis. Ginevra, König Arthurs Gemalin, beging Ehebruch mit Lanzelot, dem berühmten Helden der Tafelrunde. | »Sie sprach: Ich will dir einen Krug bescheren, Morgana's Werk, ein Wunder der Magie, Den sie ersann, um Arthur aufzuklären, Als man des Ehebruchs Ginevra zieh. Wer eine keusche Frau hat, kann ihn leeren, Wer eine Metze hat, vermag es nie. Der Wein, anstatt ihm in den Mund zu fließen, Wird brausend sich auf seine Brust ergießen. |
29 | »Bevor du gehst, versuch' den Krug einmal, Da wird der Wein wohl glatt hinuntergehen. Denn, wie ich glaub', ist dir dein Ehgemal Bis jetzt noch treu. Indeß du wirst ja sehen. Nach deiner Rückkehr aber, nächstes Mal, Möcht' ich für deine trockne Brust nicht stehen; Denn ging' auch dann der Trunk noch glatt von statten, So wärest du der glücklichste der Gatten. 239 |
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30 | »Dies geh' ich ein; der Krug wird mir gebracht; Ich mache den Versuch und bin zufrieden. Ich finde, meine Frau, wie ich's gedacht, Hat bis so weit jedwede Schuld gemieden. Melissa sagt: nun laß sie unbewacht; Bleibt einen Monat oder zwei geschieden; Dann komm zurück und nimm den Krug zur Hand, Ob er den Mund benetz', ob dein Gewand. |
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31 | »Trotzdem, die Reise widerstrebte mir; Nicht weil ich fürchtete zu viel zu wagen, Nein, aber Tage, Stunden nur, von ihr Getrennt zu sein, das konnt' ich nicht ertragen. Melissa sprach: ich will ein Mittel dir Von andrer Art und gleicher Wirkung sagen: Da ich Gestalt und Stimm' umwandeln kann, So sollst du zu ihr gehn als fremder Mann. |
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32 | Die »Hörner« des Po (an den Kopfschmuck der antiken Flußgötter erinnernd) sind die Arme seiner Mündungen. Im Italienischen denkt man sich die Mündung als den Kopf des Flusses, umgekehrt wie im Englischen, wo head die Quelle ist. Die Stadt am Po ist Ferrara, das nach italischem Maßstabe eine junge Niederlassung war, da es erst zu Attila's Zeiten von flüchtigen Paduanern gegründet sein soll. Die Paduaner selbst rühmten sich »Troergeschlecht,« Abkömmlinge des Antenor, zu sein (s. Ges. 41. Str. 63.) | »Des Po Gewässer, droh'nden Hörnern gleich, Beschirmen eine Stadt, die von dem Rande Meines Gebiets ausdehnt ihr Machtbereich Bis dorthin, wo das Meer sich bricht am Strande. An Alter steht sie nach, doch schön und reich Ist sie wie irgend eine Stadt im Lande. Troergeschlecht erbaute sie am Po, Das vor der Geißel Attila's entfloh. 240 |
33 | »Die Zügel führt (der Stadt, von der ich sage,) Ein junger Ritter, reich und hübsch und fein. Der kam einmal, vor diesem Unglückstage, Als er mit Falken ausritt, hier herein Und sah die Frau, und wie mit einem Schlage Grub sich ihr Bild in seinen Busen ein, Und seit dem Tage stand sein ganzes Sinnen Und Trachten nur darauf, sie zu gewinnen. |
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34 | »Sie wies ihn ab, so deutlich und beständig, Daß er zuletzt sich in sein Schicksal fand. Doch blieb in seiner Seel' ihr Bild lebendig, Das Amor eingeprägt mit eigner Hand. Melissa drang nun in mich, bis am End' ich Sein Antlitz zu entlehnen mich verstand, Und so verwandelte sie wunderbar Mir Antlitz, Stimme, Augen, Haut und Haar. |
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35 | »Nachdem ich meine Gattin in den Wahn Versetzt, als sei ich fort nach Palestine, Kam ich zurück, verwandelt als Galan, Dem andren gleich an Stimme, Kleid und Miene, Melissa mir zur Seite, angethan In Pagentracht, als ob sie mich bediene. Sie trug die köstlichsten Gestein' in Händen, Die Indien uns und Erythräa senden. 241 |
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36 | »Ins Haus zu kommen war ich nicht verlegen, Denn im Palaste kannt' ich jeden Pfad. Ich traf es gut; kein Diener war zugegen, Als ich zu meiner Frau ins Zimmer trat. Ich sagt' ihr mein Gesuch, und ihr entgegen Hielt ich den Köder zu der bösen That, Smaragden, Diamanten und Rubinen, Die auch der Tugend wohl verlockend schienen. |
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37 | »Drauf sagt' ich ihr, daß diese Kleinigkeit Nur reicherer Geschenke erstes Pfand sei, Dann von der günstigen Gelegenheit Begann ich, weil ihr Mann ja über Land sei, Und mahnte sie daran, daß lange Zeit Ich nur für sie geglüht, wie ihr bekannt sei, Und daß es billig sei, wenn solche Treue Endlich einmal sich ein'gen Lohns erfreue. |
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38 | »Erst war sie außer sich und wurde rot Und wollte nichts von meinen Worten hören, Das Funkeln aber, das wie Feuer loht, Der schönen Steine schien sie zu bethören. Schnell, leise sprach sie – ach, es ist mein Tod, Diese Erinnrung wieder zu beschwören, – Sie woll' es thun, wenn sie versichert werde, Daß niemand es erfahr' auf dieser Erde. 242 |
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39 | »Die Antwort war ein giftiges Geschoß, Und mitten durch mein Herz fühlt' ich die Wunde. Durch mein Gebein und durch die Adern floß Es kalt wie Eis; die Stimme stokt' im Schlunde. Der Zauberschleier sank, der mich umschloß; Melissa nahm ihn weg zur selben Stunde. Nun denke dir, wie bleich die Gattin stand, Als sie von mir sich so betroffen fand. |
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40 | »Bleich wie die Todten standen sie und ich, Gesenkten Blicks und beid' in starrem Schweigen. Mühsam ermannte meine Zunge sich, Mühsam begann ein Schrei herauf zu steigen: So also, meine Frau, verrätst du mich, Wenn Käufer sich für meine Ehre zeigen? Sie aber gab mir andre Antwort nicht Als Thränenfluten übers Angesicht. |
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41 | »Groß war die Scham, doch größer noch der Groll, Sich so beschimpft zu sehn von ihrem Gatten, Und die Entrüstung stieg in ihr und schwoll, Bis Zorn und Haß sie ganz bemeistert hatten. Sie nahm sich vor zu fliehn, und als Apoll Vom Wagen stieg und ließ die Welt in Schatten, Lief sie zum Fluß und ließ in einem Boot Hinab sich treiben bis zum Morgenrot. 243 |
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42 | »Bis sie zur Wohnung jenes Ritters trieb, Der früher, wie gesagt, den Hof ihr machte, In dessen Mask' ich sie, wie ich's beschrieb, Mich zu entehren in Versuchung brachte. Er, der verliebt gewesen war und blieb, War, wie du denken kannst, vergnügt und lachte. Sie ließ von dort mir sagen: hofft nicht mehr Auf meine Lieb' und meine Wiederkehr. |
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43 | »Weh mir! seitdem wohnt sie bei jenem Mann In Freud' und Herrlichkeit und spottet meiner, Und an dem Unheil, das ich selbst begann, Krank' ich noch heut, und helfen kann mir keiner. Das Unheil wächst, mit Recht sterb' ich daran; Mein letzter Rest an Kraft wird täglich kleiner. Auch glaub' ich, daß ich längst gestorben wäre, Ohn' einen letzten Trost, von dem ich zehre. |
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44 | »Mein Trost ist: unter allen, seit zehn Jahren, Denen ich diesen Becher vorgesetzt, (Und keinem Gast wollt' ich die Prob' ersparen,) War niemand, der sich nicht die Brust benetzt. Daß diese all' in meiner Lage waren, Hat mich bei allem Unglück doch ergetzt. Du unter allen warst der erste kluge, Weil fern du bliebst von dem behexten Kruge. 244 |
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45 | »Weil ich zu suchen ausgegangen bin, Was wir nicht suchen sollen bei den Frauen, So werd' ich, ob ich früh, ob spät dahin Gehn werde, keinen frohen Tag mehr schauen. Deß freute sich Melissa im Beginn; Bald aber schwand ihr Jubel und Vertrauen; Denn weil das Unheil war durch sie geschehn, So haßt' ich sie und konnte sie nicht sehn. |
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46 | »Unleidlich schien ihr, mir verhaßt zu sein, Der mehr ihr galt (so schwor sie) als ihr Leben. Auch hatte sie geglaubt, nun ich allein, Würd' ich alsbald zur Herrin sie erheben. Vom Anblick ihres Grams sich zu befrein, Hat sie gar bald von hier sich fortbegeben Und so das Land gemieden, daß man hier Nie wieder etwas hat gehört von ihr.« |
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47 | Also erzählte der betrübte Mann, Und statt das Schweigen nun sofort zu brechen, Saß erst Rinald nachdenklich, aber dann, Besiegt vom Mitleid, hob er an zu sprechen: »Schlecht war der Rat, den jenes Weib ersann; Sie riet dir in ein Wespennest zu stechen. Du aber unternahmst, was du nicht solltest, Zu suchen, was du doch nicht finden wolltest. 245 |
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48 | »Wenn deine Frau dich zu betrügen dachte, Besiegt vom Geiz, so wundre dich doch nicht. Sie ist die erste nicht, auch nicht die achte, Der zu so schwerem Kampf die Kraft gebricht. Und noch viel stärkre Herzen trieb und brachte Geringrer Preis zu ärgrem Bruch der Pflicht. Wie mancher Mann hat nicht, durch Gold bestochen, Dem Gönner und dem Freund die Treu gebrochen! |
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49 | »Du griffst zu heftig an; das frommte nimmer, Wenn es dein Wunsch war, Widerstand zu sehn. Weißt du denn nicht, daß vor des Goldes Schimmer Nicht harter Stahl noch Marmorstein bestehn? Daß du sie so versuchtest, dünkt mir schlimmer Als ihre Schuld, so schnell ins Garn zu gehn. Nimm an, sie hätt' es so mit dir getrieben, Wer weiß, ob du standhafter wärst geblieben?« |
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50 | Hier brach Rinald ab und stand auf vom Tisch Und wünschte sich zur Ruhe zu begeben. Er wollt' ein wenig schlafen und sich frisch Vor Tagesgraun zur Weiterreis' erheben. Zeit hatt' er wenig, und haushälterisch Das wenige zu nutzen, war sein Streben. Der Schloßherr sagte: »Ist es dir genehm, So mach' es dir in meinem Haus bequem. 246 |
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51 | »Gemach und Lager werden fertig sein; Doch willst du es, wie ich dir rate, machen, So kannst du schlafen in den Tag hinein Und Meilen reisen, ohne zu erwachen. Ich richte dir ein schnelles Fahrzeug ein, Da kannst du ruhig schlafen, und der Nachen Macht während deß mit dir stromab die Fahrt, Die eine Tagereise dir erspart.« |
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52 | Der Vorschlag war Rinalden nicht zuwider; Er reichte dankbar seinem Wirt die Hand Und stieg darauf sofort zum Flusse nieder, Wo er die Schiffer seiner wartend fand. Da streckt' er nun behaglich seine Glieder, Indeß der Kahn, abstoßend von dem Strand, Getrieben von sechs Rudern, leicht und flink Durchs Wasser flog wie durch die Luft der Fink. |
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53 | Der Dichter macht hier seinen ferraresischen Zuhörern das Vergnügen, den Paladin an den ihnen vertrauten Burgen und Städten des Po unweit Ferrara vorüberzuführen. Bei dem Schlosse Stellata theilte sich zu Ariosts Zeiten der Po in zwei Arme, deren rechter nach Ferrara sich wendete, während der linke nördlich ins adriatische Meer floß. Bondeno ist wieder ein Schloß am Po, dem dann unmittelbar vor Ferrara zwei Burgen folgen, welche Tealdo von Este im 10. Jahrhundert (also nach Rinalds Zeit) erbaut hat. | Kaum ließ er seinen Kopf aufs Lager sinken, So schlief der Paladin von Frankreich ein; Doch wünscht' er erst beim frühsten Tagesblinken Unweit Ferrara's Strand geweckt zu sein. Melara flog vorbei zu ihrer Linken Und rechts Sermide's trotzige Bastein. Figarolo, Stellata kam und floh, Wo seine Hörner senkt der zorn'ge Po. 247 |
54 | Ins Horn zur Rechten bog der Steuermann, Das linke nach Venedig laufen lassend. Jenseits Bondeno fing der Osten an Sich zu verfärben, allgemach verblassend, Und weiß und rot färbt' ihn Aurora dann, Voll in die Blumen ihres Korbes fassend, Und als die beiden Schlösser des Teald Von fern sich zeigten, hob den Kopf Rinald. |
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55 | »O du beglückte Stadt, (so sprach er laut) Von der mein Vetter Malagis, der weise, Nachdem er der Planeten Stand beschaut Und einen Geist gebannt in seine Kreise, Mir das zukünft'ge Schicksal hat vertraut, (Einst, als wir dich besucht auf unsrer Reise,) Daß wachsend du dereinst an Ruhm und Glanz Italiens Preis erwirbst und ersten Kranz.« |
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56 | Die hier gefeierte Po-Insel hieß zu Ariosts Zeit Belvedere und war ein Lustaufenthalt des Hofes. | Indeß er sprach, durchschnitt auf feuchtem Pfade Das flinke Schifflein, das beflügelt schien, Den königlichen Strom und trug gerade Zur kleinen Insel vor Ferrara ihn. Noch öd' und ungepflegt war das Gestade, Doch freudig sah es heut der Paladin: Er wußte schon, wie einst dies Fleckchen Erde Im Lauf der Jahre schön und herrlich werde. 248 |
57 | Die vierte Sphäre ist nach dem Ptolemäischen System die der Sonne, welche mit dem Anfange des Frühlings (und nach alter Rechnung auch des Jahres) in das Zeichen des Widders tritt. Die betreffende Stelle ist also eine Umschreibung für »nach siebenhundert Jahren.« | Das wußt' er schon, als ob's geschehen wäre; Denn Malagis hatt' alles ausgespäht: Wann siebenhundertmal die vierte Sphäre Sich mit dem Widder hab' im Kreis gedreht, Sei dies der Inseln schönste, so im Meere, In See'n und Flüssen liegen ausgesät, So daß, wer einmal diesen Strand besteige, Hinfort vom Eiland der Phäaken schweige. |
58 | Tiberius Lieblingsinsel, Capri, steht als Inbegriff aller Reize eines fürstlichen Lustgeheges. | Man werd' um schöne Bauten dies Revier Mehr als Tiberius' Lieblingsinsel loben; Mehr seltne Pflanzen würden prangen hier, Als in Hesperiens Garten sich erhoben, Und größer sein der Reichtum an Gethier, Als Circe je besaß in Stall und Koben; Hier werde, statt in Cypern oder Gnidos, Der Grazien Wohnung sein, der Sitz Cupido's. |
59 | Herzog Alfons war der Sohn Hercules I und Vater Hercules II. | Dies alles werde durch den Mann entstehn, Der, Macht und Wissen einend mit dem Wollen, Mit Mauern werde seine Stadt versehn, Mit Thürmen und Bastei'n, so wundervollen, Daß, ohne Fremd' um Beistand anzugehn, Sie wohl der ganzen Welt Stand halten sollen; Und diesem sei bestimmt, nicht Sohn allein, Auch Vater eines Hercules zu sein. 249 |
60 | Dies sah im Geist Rinald, bei sich erwägend, Was er vordem gehört von Malagis, Wenn dieser, seiner Seherkünfte pflegend, Ihn in den künft'gen Dingen unterwies; Und doch, beim Anblick dieser dürft'gen Gegend, Sprach er: »Wie kann geschehn, was er verhieß, Daß hier dereinst in Sumpf und Wüsteneien Die edlen Künste blühen und gedeihen? |
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61 | »Und daß so schöne Stadt, so hohe Veste So kleinem Ort entwächst in künft'ger Zeit? Daß hier, wo man nur Schlamm sieht und Moräste, Der Segen lust'ger Felder einst gedeiht? Ferrara, heut verehr' ich schon aufs beste Die Liebe, edle Sitte, Höflichkeit Deiner Gebieter, deiner künft'gen Väter Und deiner Ritter und verdienten Städter. |
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62 | »Der Heiland nehme dich in seine Hut, Und der gerechten Fürsten Weisheit schmücke Mit Reichtum dich und jedem edlem Gut In ew'gem Frieden und beständ'gem Glücke Und schirme dich vor deiner Feinde Wut Und offenbare dir des Feindes Tücke! Dein Nachbar mög' ob deines Flors ergrimmen, Eh jemals andre dich zum Neide stimmen!« 250 |
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63 | Zu Ariosts Zeit zweigte sich bei Ferrara abermals ein Arm des Po rechtshin ab, Po di Primaro genannt, in welchem die kleine Insel San Giorgio und an dessen Ufern die Thürme della Fossa und Gaibana lagen. | Indeß Rinald so redet, fliegt in Hast Der leichte Kahn dahin und theilt die Welle; Der Falk, dem ihr den Köder zeigen laßt, Folgt eure Rufe nicht mit größrer Schnelle. Jetzt in des rechten Hornes rechten Ast Lenkt der Pilot; die Dächer fliehn, die Wälle; San Giorgio fliegt vorbei, vorbei am Kahne Fliegt Fossa's Thurm und jener von Gaibane. |
64 | Wie sich Gedanken an einander reihn, Der erste führt zum zweiten, der zum dritten, So fiel Rinalden jetzt der Ritter ein, Der gestern kam, um ihn zu Tisch zu bitten, Und der, das muß man sagen, große Pein Durch jene Stadt am Ufer hatt' erlitten; Und er gedacht' an jenes Trinkgerät, Das Gatten ihrer Weiber Schuld verrät. |
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65 | Die Probe fiel ihm ein mit jenen Gästen, Die sämtlich, wie er von dem Herrn vernahm, Das Brustgewand sich mit dem Krug benäßten, So daß kein einziger zum Trinken kam. Bald reut' es ihn, bald dacht' er, 's ist am besten, Daß ich das Probestück nicht unternahm. Gelang's, so war bestätigt, was ich meine; Wie aber, wenn es fehlschlug mit dem Weine? 251 |
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66 | Mein Glaub' ist schon so gut wie sichres Wissen, Und wüchs' er, wär' mir kaum ein Dienst geschehn. Der Vortheil also wär' ein schmaler Bissen, Wenn es gelang die Probe zu bestehn. Schlimm aber wär' es, wenn ich von Clarissen Das sähe, was ich nicht gewünscht zu sehn. Es wär' wie tausend gegen eins im Spiel, Wo wenig man gewinnt und wagt doch viel. |
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67 | Indeß der Ritter über die Geschichte Nachsann und alles um sich her vergaß, Ward er von einem aufgeweckten Wichte Gemustert, der ihm gegenübersaß. Und weil der Schiffer in Rinalds Gesichte Die Dinge, die ihn so erfüllten, las, Und weil er keck war, nicht mit Worten träge, So bracht' er ein Gespräch mit ihm zu Wege. |
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68 | Die Summe des Gesprächs war aber dies: Ein Thor sei er gewesen, der so schwere Versuchung an die Gattin treten ließ, Die jeder Frau zu schwer gewesen wäre; Ein Herz, das so gepanzert sich erwies, Daß es sich wider Gold und Silber wehre, Das würd' auch tausend Schwertern widerstehn Und unversehrt durch brennend Feuer gehn. 252 |
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69 | Der Schiffer sprach, das ist's, wobei ich bleibe: »So reiche Gaben bieten durft' er nicht. Nicht jeder hat ein solches Herz im Leibe, Das Stand hält, wenn der Feind so stürmisch ficht. Ich weiß nicht, hörtest du von jenem Weibe, (Kann sein daß man bei euch davon nicht spricht,) Die ausfand, daß dasselbe that ihr Gatte, Wofür er sie zum Tod verurtheilt hatte. |
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70 | »Erinnern mußte mein Gebieter sich, Daß jeder Trotz sich beugt vor Gold und Gaben; Doch als es galt, ließ ihn der Satz im Stich. So hat er sich die Grube selbst gegraben. Auch kannt' er jenen Fall so gut wie ich, Da sich die Ding' in jener Stadt begaben, In unsrer Heimat, die, gezähmt vom Damm Der Menzo rings umschließt mit See und Schlamm. |
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71 | »Ich spreche von Adonio, der so reich Des Richters Frau beschenkt hat, mit dem Hunde.« »Dies,« sprach Rinald, »drang über den Bereich Der Alpen nie und blieb auf eurem Grunde. In Frankreich nicht noch anderswo, obgleich Ich weit umherkam, hört' ich diese Kunde. Drum sprich, wenn es dich nicht verdrießt zu sprechen; Gern hör' ich zu und will nicht unterbrechen.« 253 |
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72 | »In unsrer Stadt,« so fing der Schiffer an, »Wohnt' ein Anselm, aus würdigem Geschlechte, Der erst im langen Rock als junger Mann Den Ulpian studirt hatt' und die Rechte, Und sucht' ein schönes, zücht'ges Weib sodann, Von guter Herkunft, das ihm Ehre brächte, Und fand es auch in einem Nachbarstädtchen, Und übermenschlich schön war dieses Mädchen, |
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73 | »Und von so holdem, lieblichem Betragen, Daß sie ganz Anmut schien und Zärtlichkeit, Zu sehr vielleicht für Frieden und Behagen Solch eines Manns. Kaum hatt' er sie gefreit, Begann die Eifersucht ihn mehr zu plagen Als irgend einen Mann in unsrer Zeit. Nicht daß sie Grund ihm gab; jedoch der Gatte Fand, daß sie zuviel Witz und Schönheit hatte. |
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74 | Aus dem Kiefer d. h. den Zähnen einer Schlange entstand der Ahn des Adonio, der also einer von jenen thebanischen Kriegern war, welche Cadmus durch Aussäen von Drachenzähnen ins Leben rief. | »Am selben Ort war auch ein Cavalier Von altberühmtem Hause, hohem Range, Aus jenem alten Stamm, der fern von hier Emporwuchs aus dem Kiefer einer Schlange. Auch Manto stammt (wie alle die mit ihr Mein Mantua bauten) von demselben Strange. Der Cavalier – Adonio war sein Name – Verliebte sich in diese schöne Dame. 254 |
75 | »Kaiser Tiberius Schatz.« Es ist von dem griechischen Kaiser Constantinus Tiberius die Rede, der von seinem Vorgänger Justinus dem jüngeren große Reichtümer erbte, welche er noch durch italische und persische Kriegsbeute gewaltig vermehrte. | »Und um ans Ziel der Liebe zu gelangen, Fing er unmäßig zu verschwenden an, Mit Festen, Huldigungen, Kleiderprangen, Soviel ein größrer Herr nur leisten kann. Kaiser Tiberius' Schatz wär' draufgegangen Bei solchem Aufwand, wie er jetzt begann. Zwei Winter, glaub' ich, hatt' er's so getrieben, Da war vom Erbgut nicht ein Deut geblieben. |
76 | »Erst war es Tag und Nacht in seinem Hause Von Freunden voll; jetzt aber floh und mied Ein jeder es, seit man nicht mehr zum Schmause Rebhühner, Wachteln und Fasanen briet, Bis er, der Hauptmann sonst bei Saus und Brause, Zuletzt fast an den Bettelstab geriet. Und er beschloß aus solchem Kümmernisse Dahin zu ziehn, wo niemand von ihm wisse. |
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77 | »Und so verließ er denn bei Tags Beginn Die Vaterstadt, ohn' andren viel zu sagen. Weinend und seufzend wandert' er dahin Den Sumpf entlang, aus dem die Mauern ragen. Sie aber, seines Herzens Königin, Vergaß er nicht inmitten aller Plagen. Da führt' ein Abenteuer ihn zurück Aus tiefster Not zum allerhöchsten Glück. 255 |
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78 | »Ein Bauer stand am Weg, der einen Fleck Gestrüpp durchstöberte mit schwerer Stange. Adonio fragt' ihn nach dem Grund und Zweck, Und welchen Lohn er für die Müh erlange. Der Bauer sagte, drinnen im Versteck Lieg' eine große, mächtig alte Schlange, So lang und dick wie er zeitlebens keine Gesehn hab' oder je zu sehn vermeine; |
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79 | »Und weichen woll' er nicht, bis er die Brut Gefunden hab', um sie zu massacriren. Wie das Adonio hört, ist ihm zu Mut, Als müss' er Fassung und Geduld verlieren. Er war von je den Schlangen hold und gut, Die noch das Wappen seines Hauses zieren, Zum Angedenken, weil sein erster Ahn Entstand aus dem gesäten Schlangenzahn. |
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80 | »Dem Bauer setzt' er zu mit That und Wort, Bis widerstrebend er der Jagd entsagte, Bis er verzichtet' auf den Schlangenmord, Sie auch nicht suchte mehr noch sonst sie plagte. Adonio ging sodann an einen Ort, Wo niemand von ihm wußt' und nach ihm fragte, Und lebte traurig aller Freuden bar Fern von der Heimat volle sieben Jahr. 256 |
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81 | »Trotz der Entfernung, trotz der Not, der schweren, Die den Gedanken wehrt, weitab zu gehn, Die Liebe läßt nicht ab ihn zu verzehren, Und schließlich kann er doch nicht widerstehn, Er muß zurück zu jener Schönheit kehren, Noch einmal muß er sie mit Augen sehn. Bärtig, in dürft'ger Tracht, das Herz beklommen, Geht er dahin, von wannen er gekommen. |
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82 | »Nun hatte meine Stadt um jene Zeit Beim Papst in Rom Geschäfte zu besorgen. Ein Fürsprech sollte seiner Heiligkeit Aufwarten; auf wie lange, blieb verborgen. Das Loos fiel auf Anselm, und großes Leid Begann für ihn an diesem Unglücksmorgen. Er sträubte sich, er bat, gab Geld, versprach, Um nicht zu gehn, und gab gezwungen nach. |
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83 | »Nicht minder grausam deucht' ihm diese Qual, Getrennt zu werden von dem jungen Weibe, Als wenn man ihm das Herz mit kaltem Stahl Ausschneiden wollte bei lebend'gem Leibe. Von eifersücht'ger Sorge bleich und fahl, Um seine Frau, wenn er da draußen bleibe, Beschwor er sie und schärft' ihr gründlich ein, So gut er's konnte, stets ihm treu zu sein. 257 |
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84 | »Die bloße Schönheit, so belehrt' er sie, Und reiches Gut und hoher Rang erhebe Ein Weib zum Gipfel wahrer Ehre nie, Wenn sie nicht keusch und unbescholten lebe; Als höchste Tugend aber gelte die, Die oben bleibe, wenn es Angriff gebe. Nun biet' ihr diese Reis' ein weites Feld Zur Tugendprobe vor der ganzen Welt. |
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85 | »Mit solchen Reden sucht der sorgenvolle Sie zu ermahnen, daß sie treu ihm sei. Sie jammert sehr, daß man sie trennen wolle, Mit was für Thränen, Gott, was für Geschrei! Und schwört, daß eh die Sonn' erlöschen solle, Eh sie so grausam durch Verräterei Ihn kränken würd', und daß ihr besser wäre Zu sterben, eh sie das jemals begehre. |
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86 | »Zwar glaubt' er, was sie schwor und ihm verhieß, Und ihn zu trösten hatt' es beigetragen, Doch ruht' er nicht, bis er noch mehr als dies Vernahm und Stoff auftrieb für Leid und Klagen. Er hatte einen Freund, von dem man pries, Er wisse künftiges vorauszusagen, Weil von Magie und Zeichendeuterei Ihm alles oder viel geläufig sei. 258 |
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87 | »Dem sagt er nun und bittet, nachzusehen, Ob seine Frau (die sich Argia nennt) Treu bleiben wird, ohn' ihn zu hintergehen, Wann er verreist ist und von ihr getrennt. Der Freund willfahrt, besiegt von seinem Flehen, Nimmt die Aspecten, prüft das Firmament. Anselm läßt ihn das weitere besorgen Und holt die Antwort sich am nächsten Morgen. |
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88 | »Der Astrolog verschließt jedoch den Mund, Aus Furcht, er thu' ihm mit der Antwort wehe, Und hat zu schweigen den und jenen Grund. Dann merkend, daß Anselm auf Schmerz bestehe, Thut er ihm, daß sie falsch sein werde, kund, Sobald er über seine Schwelle gehe, Und nicht durch Schönheit, nicht durch Flehn gerührt, Nein, durch Belohnung und Gewinn verführt. |
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89 | »Als zu der Angst und Furcht, die ihn schon plagen, Noch diese Drohung der Gestirn' ergeht, Wie da ihm ward, kann jeder leicht sich sagen, Der sich auf Lieb' und Liebespein versteht. Und mehr als aller Schmerz, den er ertragen Und der sein armes Hirn im Wirbel dreht, Quält der Bescheid ihn, daß sie ihre Reize Verkaufen werd' um Lohn, besiegt vom Geize. 259 |
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90 | »Um die Gefahr doch möglichst abzuleiten, Damit sie nicht in diese Schlinge fällt, Und weil die Not den Menschen treibt zu Zeiten, Daß er des Tempelraubs sich nicht enthält, So giebt er ihr an Geld und Kostbarkeiten So viel er hatt', (und reichlich hatt' er Geld). Aufkünfte, Renten, alles was er hatte In dieser Welt, gab seiner Frau der Gatte. |
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91 | »Er sprach: nicht nur soll dir gestattet sein Von dem zu leben, was ich hinterlasse, Thu', was du willst, damit, als wär' es dein, Verzehr's, verkauf's, verschenk's, wirf's auf die Gasse; Nie werd' ich Rechnung fordern; dich allein Gieb mir zurück, so wie ich dich verlasse. Wenn du mir nur verbleibst, so wie du bist, So frag' ich nicht, wo Haus und Erbgut ist. |
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92 | »Er bat, daß sie, dieweil er ferne sei, Die Stadt verlass' und auf dem Lande wohne, Wo sich's gemächlich lebe, sorgenfrei, Und lästige Gesellschaft sie verschone. So sagt' er, und er dachte sich dabei, Das arme Volk, das draußen für ihn frohne Und schwere Arbeit thu' auf Feld und Triften, Werd' ihre keusche Seele nicht vergiften. 260 |
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93 | »Argia hält, dieweil der ärmste spricht, Mit ihren schönen Armen ihn umfangen. Mit ihren Thränen füllt sie sein Gesicht, Die aus den Augen wie zwei Brünnlein sprangen. Sie klagt, daß er bereits den Stab ihr bricht, Als hätte sie den Treubruch schon begangen; Denn unvermindert hält sein Argwohn an, Weil er nicht glaubt, daß er ihr glauben kann. |
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94 | »Wollt' ich erzählen, wie er nun von ihr Noch Abschied nahm, die Zeit würd' uns verrinnen. Sein Schluß war: meine Ehr' empfehl' ich dir; Dann sagt' er Lebewohl und ritt von hinnen. Und als das Pferd ihn forttrug, war ihm schier Zu Mut, als hätt' er gar kein Herz mehr drinnen. Sie folgt' ihm mit den Augen bis zuletzt, Das Angesicht von Thränen ganz benetzt. |
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95 | »Adonio war indeß, als dies geschah, Bleich, bärtig, abgehärmt, wie du vernommen, Auf seiner Wanderschaft nach Mantua, Und unerkannt hofft' er ins Thor zu komme. Er kam bis an den See, den Thoren nah, Wo er der Schlange einst sich angenommen, Die im Gebüsche sich belagert fand, Als ihr der Bauer nach dem Leben stand. 261 |
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96 | »Als er dort ankam, glänzten weit und breit Die Sterne noch, der Tag begann zu grauen: Da kam entgegen ihm in reichem Kleid Fremdart'gen Schnitts und fürstlich anzuschauen Ein hohes Weib; doch sah man kein Geleit Von Edelknaben oder Kammerfrauen. Die grüßte holden Blicks den armen Mann, Und dann die Lippen öffnend hob sie an: |
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97 | »Wennschon du mich nicht kennst, bin ich mit dir Verwandt und dir voll Dankbarkeit ergeben; Mit dir verwandt, denn beide stammen wir Von Cadmus' herrlichem Geschlecht aus Theben. Manto bin ich, die Fee, und legte hier Den ersten Stein und rief das Dorf ins Leben Und hab' es, wie vielleicht dir schon bekannt, Nach meinem Namen Mantua genannt. |
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98 | »Eine der Feen bin ich, und es ist Zeit, Daß du erfährst, wie es mit Feen bestellt ist. Geboren sind auch wir zu allem Leid, Nur daß für uns der Tod nicht in der Welt ist, Wogegen unserer Unsterblichkeit Ein Punkt, so schlimm wie Sterben, zugesellt ist, Der Punkt, daß stets am siebten Tag die Fee'n Verurteilt sind als Schlangen umzugehn. 262 |
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99 | »Zu kriechen und den garst'gen Balg zu tragen, Ist so unleidlich, daß wohl keine Pein Auf Erden schlimmer ist als unsre Plagen, Daß wir das Leben selbst vermaledein. Was meinen Dank betrifft, – um gleich zu sagen Weshalb ich glaub' in deiner Schuld zu sein, So wisse, daß wenn wir uns so verwandeln, Zahllose Feind' uns drohen und mishandeln. |
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100 | »Verhaßter ist auf Erden kein Gethier Als Schlangen sind, und wir, die ihnen gleichen, Erleben nichts als Krieg und Unbill hier. Wo man uns sieht, verfolgt man uns mit Streichen; Wie schwer der andren Arm ist, fühlen wir, Wenn nicht ein Loch sich bietet zum Entweichen. Zu sterben wäre besser als gehetzt Zu leben, wund von Hieben und zerfetzt. |
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101 | »Dir schuld' ich großen Dank, weil du vor Jahren, Als du vorüber kamst an diesem Hain, Mich schütztest vor den Händen des Barbaren, Der große Not mir machte, schwere Pein. Wenn du nicht kamst, ich wäre schlimm gefahren; Zerschlagen hätt' er mir Kopf und Gebein. Zwar sterben konnt' ich nicht an seinen Hieben, Doch wär' ich krüppelhaft und lahm geblieben. 263 |
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102 | »Denn an den Tagen, wo wir auf der Flur Uns winden, wie ein Schlangenleib sich windet, Versagt uns den Gehorsam die Natur, Die sonst uns dient, und unsre Macht verschwindet. Sonst aber braucht es unsres Winkes nur, So steht die Sonne still, ihr Licht erblindet, Die feste Erde dreht sich um im Kreis, Das Eis wird Feuer und das Feuer Eis. |
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103 | »Jetzt komm' ich meine Schuld dir abzutragen Für jenen Dienst, den ich empfing von dir. Jetzt brauch' ich kein Geschenk dir abzuschlagen, Nun ich die Schuppen abgestreift von mir. Dreimal so reich als du in frühern Tagen Gewesen bist, mach' ich dich heut und hier. Nie wieder sollst du Armut sehn auf Erden. Je mehr du brauchst, je reicher sollst du werden. |
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104 | »Und weil ich weiß, daß du in jenem Eisen, Darin dich Amor fing, gefangen bliebst, So will ich Wege dir und Mittel weisen, Die Schöne zu gewinnen, die du liebst. Auch will ich, weil der Ehemann auf Reisen, Daß du sofort dich an das Werk begiebst. Geh, such' die Dame heim; sie wohnt inmitten Des Dorfes hier. Ich folge deinen Schritten. 264 |
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105 | »Dann fuhr sie fort und lehrt' ihn seine Rolle, Was er zu thun hab', um die Frau zu sehn, Wie er sich kleiden, was er sagen solle, Wie sie verlocken und um Liebe flehn, Und auch wie sie sich selbst verwandeln wolle. Denn nach Belieben borgen sich die Fee'n Gestalt und Ansehn aller Ding' auf Erden, Außer am Tage wo sie Schlangen werden. |
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106 | »Sie kleidete wie einen Pilger ihn, Der an den Thüren fleht um fromme Spende, Indeß sie selbst ein Hund zu werden schien, Der kleinste Hund, den man auf Erden fände,. Mit langen Haaren, weiß wie Hermelin, Zierlich, in Künsten wunderbar behende. So umgewandelt schlugen sie feldein Die Straße nach dem Haus' Argia's ein. |
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107 | »Und vor den Bauernhütten, die dem Thore Benachbart waren, blieb der Jüngling stehn Und fing zu spielen an auf einem Rohre Und ließ das Hündchen tanzen und sich drehn. Der Schall und Lärm drang zu Argia's Ohre, Und sie befahl, um selber zuzusehn, Daß man ins Thor den Pilger rufen sollte, – So wie es das Geschick des Doctors wollte. 265 |
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108 | »Nun fing Adonio an zu commandiren, Und zu gehorchen fing das Hündchen an Und tanzte fremde Tänz' und auch die ihren Den Leuten vor, so schön man's sehen kann. Kurzum es thut mit menschlichen Manieren, Was ihm befohlen wird vom Pilgersmann, So aufmerksam, daß jene, die es schauen, Nicht zwinkern, kaum zu atmen sich getrauen. |
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109 | »Argia staunt, und groß ist die Begier, Den allerliebsten Hund an sich zu bringen. Sie bietet durch die Amme für das Thier Dem Pilger einen Kaufpreis, nicht geringen. Der sprach: und böte man mehr Goldes mir, Als Weiberhabsucht dürstet zu verschlingen, Man hätte doch zu wenig noch geboten Auch nur für eine von des Hundes Pfoten. |
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110 | »Und um zu zeigen nun, er sei kein Prahler, Trat er beiseite, mit der Amm' allein, Und rief das Hündchen her, und dann befahl er: Gieb dieser Frau ein Goldstück hübsch und fein! Das Hündchen schüttelt sich, – da liegt der Thaler, Adonio spricht zur Amme: steck' ihn ein Und sag', wie hoch muß sich der Preis belaufen, Um solch ein nützlich Hündchen zu verkaufen. 266 |
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111 | »Was ich auch fordre von dem art'gen Dinge, Ich komme nie von ihm mit leerer Hand. Bald schüttelt er mir Perlen oder Ringe, Bald reiche Stoffe, zierliches Gewand. Sag' deiner Frau, daß ihr der Kauf gelinge, Das zu bewirken sei kein Gold im Stand. Doch wenn sie eine Nacht mir schenken wolle, Daß sie alsdann den Hund behalten solle. |
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112 | »So spricht er, und ein frischgelegt Juwel Giebt er ihr mit, der gnäd'gen Frau zu bringen. Die Amme denkt, der Preis ist meiner Seel Leichter als zehn Ducaten zu erschwingen. Sie läuft und meldet alles nach Befehl Und rät Argien zu, nicht lang zu dingen, Da bei dem Preis', auf den der Mann bestehe, Wenn man ihn zahle, nichts verloren gehe. |
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113 | »Im Anfang sagt Argia zornig nein, Theils weil sie festhält an dem Ehvertrage, Theils weil sie denkt, unmöglich könn' es sein, Daß sich's verhalte, wie die Amme sage. Die Amme bohrt und redet auf sie ein, Ein solcher Schatz komm' auch nicht alle Tage, Und setzt es durch, daß sie den Tag danach Den Hund bestellt, diesmal in ihr Gemach. 267 |
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114 | »Adonio kam und dieses Wiedersehen War unsres Doctors Tod und Untergang. Er ließ Dublonen dutzendweis' entstehen Und Perlen und Juwelen, Strang um Strang. Bald war es um ihr stolzes Herz geschehen, Dem Abwehr um so weniger gelang, Als sie den Ritter, der für sie entbrannte, Nachträglich in dem Wundermann erkannte. |
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115 | »Der Zuspruch von dem kupplerischen Weibe, Die Nähe des Verliebten und sein Flehn, Die Sehnsucht nach dem seltnen Zeitvertreibe, Der arme Doctor fern und ungesehn, Die Hoffnung, daß es ihm verborgen bleibe, – Da konnt' ihr keuscher Sinn nicht widerstehn. Sie nahm das schöne Hündchen und gewährte Dem Liebenden den Preis, den er begehrte. |
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116 | »Lange genoß der glückliche Galan Der süßen Frucht, und während all der Zeit war Die Fee der schönen Frau so zugethan, Daß stets bei ihr zu bleiben sie bereit war. Durch alle Zeichen ging die Sonnenbahn, Bevor Anselm von seinem Dienst befreit war; Da kehrt' er heim, noch voll von dem Verdacht Den ihm der Sternendeuter beigebracht. 268 |
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117 | »Kaum war er in der Vaterstadt, so flog Er eilends nach dem Hause des Propheten Und fragt' ihn, ob Argia ihn betrog, Ob sie ihm Wort hielt, wie er sie gebeten. Alsbald punktirte sich der Astrolog Den Stand des Pols, die Örter der Planeten Und sagte dann, wie er's vorausgesehn, Sei alles, was Anselm besorgt, geschehn; |
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118 | »Daß sie, verführt durch überreiche Gabe, Sich treulos einem andern überließ. Der Stoß ging ihm durchs Herz; ihm war's als grabe Ein schärfrer Schmerz sich ein als Lanz' und Spieß. Um sichrer noch zu gehn, rennt er im Trabe (Obwohl er glaubt, was ihm der Freund bewies,) Zur Amme hin; die wird beiseit genommen Und große List gebraucht, ihr beizukommen. |
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119 | »Erst fängt er an im Bogen vorzurücken, Die Fährte suchend, die Erfolg verspricht; Im Anfang aber will es ihm nicht glücken, Obwohl es ihm an Eifer nicht gebricht. Sie, die nicht neu ist in dergleichen Stücken, Leugnet mit unbeweglichem Gesicht, Und zwischen Zweifel und Gewißheit halten Ihn Wochen lang die Künste dieser Alten. 269 |
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120 | »Wie theuer mußt' ihm dieser Zweifel sein, Wenn er ans Elend der Gewißheit dachte! Als er nun fand, daß Geld und Bitten kein Geständniß über ihre Lippen brachte, Und keine Taste, die er anschlug, rein Zu klingen schien, so wartet' er und wachte Als kluger Mann, bis sich die Frau'n entzweiten; Denn wo es Weiber giebt, da giebt's auch Streiten. |
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121 | »Und wie er's dachte, kam es bald genug. Beim ersten Zank, den jene beiden hatten, Kam schon die Amme, ohne daß er frug, Um ihm Bericht von allem zu erstatten. Ich will verschweigen, was sein Herz ertrug, Wie der bestürzte Geist des armen Gatten Zusammensank; so schwer war ihm das Herz, Daß er beinah wahnsinnig ward vor Schmerz. |
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122 | »Und so im Zorn beschließt er, er will sterben, Erst aber soll das Weib des Todes sein. Ihr Blut und seins soll eine Waffe färben, Um sie von Schmach, von Schmerz ihn zu befrein. Er eilt zur Stadt, Wut schnaubend und Verderben; Dort schärft er einem sichren Diener ein, Was nötig ist die Strafe zu vollziehen, Und schickt ihn nach dem Landgut zu Argien 270 |
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123 | »Und trägt ihm auf, der Herrin mitzutheilen, Ein Fieber von bösart'ger Heftigkeit Hab' ihn ergriffen, und zu ihm zu eilen Und lebend ihn zu sehn, sei kaum noch Zeit; Wenn sie ihn lieb hat, soll sie ohne Weilen Mitkommen, nicht erst warten auf Geleit, (Er weiß, sie kömmt und wird nicht widersprechen,) Und unterwegs soll er sie niederstechen. |
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124 | »Die gnäd'ge Frau zu holen ging der Bote Und hinterbracht' ihr, was Anselm ersann. Sie nahm ihr Hündchen, folgte dem Gebote, Bestieg ihr Pferd und ritt mit jenem Mann. Der Hund hatt' ihr verraten, was ihr drohte, Doch solle sie mitreiten, riet er an; Er habe schon gesorgt und vorgesehen, Um in der großen Not ihr beizustehen. |
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125 | »Der Knecht, statt sich der Straße zu bedienen, Führt sie auf Seitenpfaden übers Feld An einen Fluß, der von den Apenninen In diesen Strom, den wir befahren, fällt. Nur Busch und finstrer Wald lag dort vor ihnen, Fernab von Dorf und Stadt und aller Welt. Verschwiegen und gelegen schien der Ort Dem Diener für den aufgetragnen Mord. 271 |
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126 | »Er zieht das Schwert; erst aber muß er doch Sie wissen lassen, was der Herr befehle, Damit sie vor dem Tode reuig noch Der Gnade Gottes ihre Seel' empfehle. Ich kann nicht sagen, wie sie sich verkroch. Kurz, als er glaubt', er schneid' ihr durch die Kehle, War sie verschwunden. Ob er Wald und Feld Nach ihr durchsucht', er war und blieb geprellt. |
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127 | »Er kehrt zum Herrn zurück in tiefer Scham Und meldet ihm mit kläglichem Gesichte Den Ausgang, den das Abenteuer nahm, Und nicht erklären konnt' er die Geschichte. Daß Manto seiner Frau anhing, vernahm Der Doctor nicht bisher aus dem Berichte Der Amme: alles hatte sie erzählt, Nur dies, ich weiß nicht recht warum, verhehlt. |
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128 | »Was soll er thun? der Schmerz ist noch so bitter, Der Schimpf so ungesühnt noch wie vorher. Zum dicken Balken ward der kleine Splitter Und drückt das Herz und wird gewaltig schwer. Erst wußt' es nur die Amm' und jener Ritter, Jetzt wird es ruchbar werden weit umher; Erst hatte sich die Schmach zudecken lassen, Jetzt wird man sie ausrufen in den Gassen. 272 |
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129 | »Da er sein tückisch Herz der Gattin schon Verraten hat, so wird sie sich dem Bande Der Eh' entziehn: gewiß ist sie entflohn Zu irgend einem Mächtigen im Lande, Und der wird sie behalten, ihm zum Hohn, Dem Ehemann zu offenkund'ger Schande, Wenn sie nicht gar in jemands Hände fällt, Der Kuppelei zu Ehebruch gesellt. |
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130 | »Das zu verhüten, sendet' er sofort Kundschafter aus und Brief' in alle Städte Der Lombardei, damit man hier und dort Nach der verlornen jeden Fleck durchspähte. Dann ging er selbst, und ringsum war kein Ort, Den er nicht oder sein Spion beträte. Indeß, so eifrig er das Werk betrieb, Er konnte nie erfahren, wo sie blieb. |
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131 | »Zuletzt rief er den Diener, dem zuvor Der Mord befohlen war, der nicht vollbrachte, Und nach dem Platz, wo er die Frau verlor, Ließ sich der Richter führen, weil er dachte, Daß sie vielleicht bei Tag im Busch und Rohr Verborgen sitz' und sonstwo übernachte. Der Diener führt ihn, doch wo er Morast Und Wald zu finden glaubt, steht ein Palast. 273 |
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132 | »Argia's Fee hatt' ebenda für sie Ein Schloß erbaut mit Alabasterzinnen In wenig Arbeitsstunden, durch Magie, Mit eitel Gold verziert auswärts und innen. Kein Mund beschreibt, kein Herz kann denken, wie Die Schönheit draußen war, der Reichthum drinnen. Das Schloß, das dir so schön vorkam, so reich, Das meines Herrn, ein Stall ist's im Vergleich. |
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133 | »Flandrische Tücher, köstliche Behänge Bedeckten in dem wundervollen Bau Nicht nur die Zimmer, Säl' und Säulengänge, Keller und Stall trug gleiche Pracht zur Schau. Silber und Goldgeschirrs endlose Menge, Gehöhlte Edelsteine, rot und blau, Geformt zu großen Schüsseln, Krügen, Becken, Und Gold und Seidenstoff' an allen Ecken. |
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134 | »Der Richter also war, um fortzufahren, Fast mit der Nas' auf den Palast gerannt, Wo nicht mal Hütten zu erwarten waren, Wo sonst man nur Gebüsch und Dickicht fand. Er glaubt beim Anblick dieser wunderbaren Erscheinung, er verliere den Verstand. Er weiß nicht, ob er träumt, ob er berauscht ist, Ob er im Fieber liegt, ob ausgetauscht ist. 274 |
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135 | »Vor dem Portale schritt ein Aethiop Mit dicker Nas' und Lippen auf und nieder, Ein Antlitz, wie Anselm so wüst und grob Noch keins gesehen hat, und Rumpf und Glieder Unförmlich, ganz ein Abbild des Aesop, – Das Paradies mit dem würd' euch zuwider. Unrat dazu und Schmutz, ein Lumpenknäuel, – Ich sag' euch nur die Hälfte seiner Greuel. |
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136 | »Da sich kein andrer sehn ließ, der ihm sage, Wer Hausherr sei, als dieser Mohr allein, So wandt' Anselm an ihn sich mit der Frage, Und der antwortete: das Haus ist mein. Der Richter denkt, es liege klar zu Tage, Daß man ihn foppt; es muß gelogen sein. Indeß der Neger wiederholt und schwört, Daß ihm und keinem sonst das Haus gehört. |
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137 | »Und gern erlaubt er ihm hineinzugehn, Und hab' er sich beschaut, die Sachen alle, So soll er sich nur immer ausersehn Für seine Freund' und sich, was ihm gefalle. Anselm läßt Knecht und Pferde draußen stehn Und schreitet durch die Pforten in die Halle Und läßt durch Säl' und Kammern sich geleiten Und sieht voll Staunens all die Herrlichkeiten. 275 |
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138 | »Die Schönheit und die Zierden und Geschmeide Betrachtend dieses königlichen Bau's, Ruft er: für solche Pracht und Augenweide Zu zahlen, reicht das Gold der Welt nicht aus. Darauf antwortet ihm der garst'ge Heide: Und einen Preis giebt's doch für dieses Haus; Um Gold ist es nicht feil; nichtsdestowen'ger Könnt ihr's bezahlen, und es kostet wen'ger. |
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139 | »Und schlägt ihm nun denselben Handel vor, Den seiner Frau Adonio vorgeschlagen. Der Richter denkt, ein Vieh, ein blöder Thor Hab' ihm so argen Greuel angetragen. Doch seines Abscheus achtet nicht der Mohr Und läßt nicht ab und drängt ihn ja zu sagen, Stets den Palast anbietend als Entgelt, Bis seinen bösen Willen er erhält. |
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140 | »Argia, die verborgen alles sah, Sobald sie merkt, er fall' in ihr Vergehen, Springt sie hervor und ruft: was muß ich da Von meinem tugendhaften Doctor sehen! Nun so ertappt, denkt euch, wie ihm geschah: Wie mußt' er rot und sprachlos vor ihr stehen! O Erde, daß du nicht mit eins zersprangst Bis auf den Mittelpunkt und ihn verschlangst! 276 |
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141 | »Sich zur Entbürdung, ihm zur Schande fuhr Argia los und schrie ihm in die Ohren: Was für Bestrafung giebt's, was für Tortur Für deinen Handel mit dem schnöden Mohren, Wenn du mich tödtest, weil ich der Natur Gefolgt bin, als der Ritter mich beschworen, Der jung und hübsch ist und mir das beschert hat, Wogegen der Palast hier keinen Wert hat? |
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142 | »Verdient' ich einen Tod in jener Sache, So wären hundert nicht für dich zu viel. Ich hätte Macht zwar unter diesem Dache, Dich so zu zücht'gen, wie es mir gefiel; Gleichwohl begehr' ich keine andre Rache Noch schlimmre Buße für dein arges Spiel. Mag Soll und Haben, Herr Gemal, sich heben, Und wie ich dir so magst du mir vergeben. |
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143 | »Und dies soll unser Pakt und Friede sein, Daß wir vergessen wollen, was geschehen, Und ich mit keinem Worte dich an dein Und du mich nicht gemahnst an mein Vergehen. Der Gatte ging auf dies Erbieten ein Und ließ sie nicht erst um Verzeihung flehen, Und Fried' und Eintracht kehrten so zurück, Und beide leben noch im schönsten Glück.« 277 |
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144 | So sprach der Schiffer, und der Ritter lachte Ein wenig, als es so zum Schlusse kam, Und was er von dem Doctor hörte, machte Zu gleicher Zeit ihn feuerrot vor Scham. Er lobt' Argia, die das Spiel erdachte, Daß dieser Vogel schließlich flügellahm In dem Geflecht desselben Netzes hing, Worin auch sie, mit minder Schuld, sich fing. |
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145 | Argenta ein Städtchen am Po di Primaro. Der Santerno verbirgt sein Haupt d. h. mündet im Po. | Da mittlerweil die Sonne höher stand, So ließ der Paladin das Mal bereiten; Denn wohl versorgt hatt' ihn die milde Hand Des art'gen Wirts mit leckren Kostbarkeiten. Vorüber flogen links das schöne Land Und rechts des Sumpfes ungemessne Weiten; Argenta's Mauer taucht' empor und floh, Und der Santern verbarg sein Haupt im Po. |
146 | Die »Bastei« ist die nämliche, deren Verlust und Wiedergewinnung durch die Ferraresen im Kampfe mit den Spaniern und den von Papst Julius aufgewiegelten Romagnolen dem Dichter zu den Betrachtungen Ges. 3. Str. 53 und Ges. 42. Str. 3–5 Anlaß gaben. – Filo eine Stadt am linken Ufer des Po di Primaro. – Der »todte Graben« ist ein Flußarm, der von Filo nach Ravenna führt. | Ich glaube, die Bastei war noch nicht dort, Woselbst die Spanier großen Ruhm zu holen Vergebens hofften, und ein böser Ort Für die bedauernswerten Romagnolen. Von da nach Filo fliegt der Nachen fort, Als gelt' es einen Vogel einzuholen, Und durch den »todten Graben« kömmt er dann Um Mittag vor der Stadt Ravenna an. 278 |
147 | Obwohl im Beutel des Rinald bisweilen Nur wenig Geld war, hatt' er dieses Mal Genug davon, ein Trinkgeld auszutheilen, Bevor er die Matrosen Gott befahl. Dann Pferd' und Führer wechselnd trabt' er Meilen Und kam durch Rimino beim Abendstrahl, Wollt' auch die Nacht nicht ruhn in Montefiore Und sah bei Tagesgraun Urbino's Thore. |
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148 | Die genannten Personen sind sämtlich Mitglieder des in Urbino regierenden herzoglichen Hauses, den Este's befreundet und verschwägert. | Noch war kein Friedrich da und kein Guidon, Kein Franz Maria, keine Lisabette Und Leonore: diese hätten schon Solch einen Paladin mit sanfter Kette Daselbst gefesselt, so daß Haimons Sohn Dort mehr als eine Nacht geschlafen hätte. So halten und so hielten sie's seit Jahren Mit Frau'n und Rittern, die des Weges fahren. |
149 | Cagli, ein Städtchen im Urbinatischen am Abhang der Apenninen. – Der Berg, »welchen der Metaurus spaltet,« ist der Furlo, durch welchen die Poststraße vermittelst eines Durchstichs gelegt ist. – Ostia, der alte Hafen Roms. – Die Stadt, wo nach Virgil Aeneas seinen Vater Anchises bestattete, ist Drepanum (Trapani) in Sicilien. | Da niemand ihm den Zaum hielt, stieg der Ritter Hinab nach Cagli; durch den Berg sodann, Den der Metaurus spaltet, überschritt er Den Apennin und hatt' ihn links fortan. Von Umbrien nach der Stadt der Römer ritt er, Von Rom nach Ostia, und von da begann Die Seefahrt nach der Stadt, wo einst Anchisen Der fromme Sohn die letzte Ehr' erwiesen. 279 |
150 | Dort wechselt' er das Schiff, und durch die Fluten Ging's rasch nach Lipadusa's Inselstrand, Dem Sammelplatze jener hochgemuten, Wo man sich schon im vollen Kampf befand. Wie treibt Rinald die Schiffer sich zu sputen! Ruder und Segel werden angespannt. Indeß, weil ihm der Wind ungünstig weht, Kömmt er, wenn auch um wenig nur, zu spät. |
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151 | Denn eben war dem Helden von Anglant Das nützliche, glorreiche Werk gelungen. Todt lag Gradasso, todt lag Agramant, Doch theuer war der blut'ge Sieg errungen. Gefallen war der Sohn des Monodant, Und von dem schweren Niedersturz bezwungen Saß Oliver mit dem zerquetschten Bein Am Ufer und erlitt gewalt'ge Pein. |
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152 | Die Thränen Rolands ließen sich nicht halten, Als er Rinald umarmt' und ihm beschrieb, Wie Brandimart, den er so hoch gehalten, Der allertreuste Freund, im Kampfe blieb. Und auch der Vetter weint', als er gespalten Den Kopf des Freundes sah, den grausen Hieb. Dann schloß er Oliver mit stummem Gruße Ans Herz, der dasaß mit gebrochnem Fuße. 280 |
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153 | Was er an Trost auftrieb, das gab er ihnen, Obwohl für ihn kein Trost zu finden war. Er sah, er sei zum Nachtisch nur erschienen Oder zur abgeräumten Tafel gar. Die Diener fuhren heim nach den Ruinen Biserta's, wo das todte Königspaar Begraben ward im schuttbedeckten Grunde, Und ruchbar ward durch sie die große Kunde. |
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154 | Astolf und Samson hatten den Bericht Von Rolands Sieg mit großer Freud' empfangen; Nur ward gedämpft die Freude; denn das Licht Des Tages war für Brandimart vergangen. Als sie es hörten, blieb die Freude nicht, Der Glanz des Glücks verschwand von ihren Wangen, Und wer von ihnen bringt es übers Herz, Zu Flordelis zu gehn mit diesem Schmerz? |
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155 | Die Nacht zuvor, die Nacht vor diesem Tage Sah Flordelis im Traume das Gewand, Das sie, damit er's im Gefechte trage, Für Brandimart gestickt mit eigner Hand. Und ganz besprengt schien, wie vom Regenschlage, Mit roten Tropfen Mittelstück und Rand. Ihr war's, als ob sie selbst es so verbräme Und stick' und hinterdrein darob sich gräme. 281 |
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156 | Im Traume sprach sie: »Hat mein lieber Gatte Mir nicht gesagt, er woll' ein schwarzes Kleid? Wie kömmt es denn, daß ich mir so gestatte Es bunt zu sticken, ihm zum Herzeleid?« Nach diesem Traum, der sie geängstigt hatte, Kam nun die Nachricht um die Abendzeit. Doch litt Astolf nicht, daß sie es vernehme, Bis er mit Samson selber zu ihr käme. |
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157 | Nun kamen sie: kaum sah sie ihr Gesicht, Auf dem nach solchem Sieg nur Schatten lagen, Da braucht' es weder Worte noch Bericht, Da wußte sie's, ihr Theurer sei erschlagen. Und nun ist auch ihr Herz besiegt; das Licht Des Tages kann ihr Auge nicht ertragen; Hinschwindet das Gefühl und jeder Sinn, Und wie entseelt zu Boden sinkt sie hin. |
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158 | Und wie sie zu sich kömmt nach ein'ger Zeit, Da, mit den Händen fährt sie nach den Haaren Und ruft den theuren Namen und entweiht Und schlägt die Wangen, die so lieblich waren, Zerrauft die Locken, streut sie aus und schreit, Wie ein', in die der Teufel ist gefahren, Oder wie man erzählt, daß einst beim Klang Der Hörner die Mänad' im Kreis sich schwang. 282 |
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159 | Sie fleht, man soll ein Messer in die Hand Ihr geben, um das Herz sich zu durchbohren. Jetzt will sie nach dem Schiff, das an den Strand Gelegt hat mit den zwei erschlagnen Mohren; Zerfleischen möchte sie, von Wut entbrannt, Die beiden, die das Leben schon verloren. Jetzt will sie übers Meer und suchen fern, Bis man sie sterben läßt mit ihrem Herrn. |
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160 | »Warum, o Brandimart, ließ ich dich gehn (So sprach sie) und blieb fern von deiner Seite? Sonst, wann du auszogst, hat man je gesehn, Daß deine Flordelis dich nicht begleite? Gar wohl hätt' ich vermocht dir beizustehn; Mein Auge wäre dir gefolgt im Streite; Ein Schrei von mir, gerettet hätt' er dich, Als hinterrücks Gradasso dich beschlich. |
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161 | »Vielleicht hätt' ich, von rascher Angst getrieben, Den Schlag auf mich gelenkt, der dir gedroht, Mein Haupt ein Schild für dich vor allen Hieben, Und wenn ich starb, so hatt' es wenig Not; Denn sterben werd' ich doch, und keinem Lieben Wird Vortheil bringen mein unsel'ger Tod. Wär' ich gestorben, deinen Tod zu wenden, So konnt' ich schöner nie mein Leben enden. 283 |
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162 | »Wenn aber doch das Schicksal mir dein Leben Entriß, und gönnt' es mir der Himmel nicht, Den letzten Kuß hätt' ich dir doch gegeben, Mit Thränen doch benetzt dein Angesicht, Und eh dein Geist Zeit hatt' emporzuschweben Mit sel'gen Engeln zu dem ew'gen Licht, Hätt' ich gesagt: fahr hin und harre mein; Wo du auch bist, mich drängt's bei dir zu sein. |
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163 | Dammogir heißt bei Bojardo die Hauptstadt des Königs Monodant. | »Ist dies das Königreich, Geliebter, dies, Wo du das Scepter jetzt ergreifen solltest? Ist dies der Thron, auf dem du Flordelis Im Lande Damogir empfangen wolltest? Grausames Schicksal, welche Hoffnung ließ Der Tag vergehn, als du uns beiden grolltest! Was wart' ich noch? nun mir das liebste, beste Verloren ging, was liegt am ganzen Reste?« |
164 | So redet sie, und wieder nimmt den Geist Die Wut mit rasender Gewalt gefangen, Daß wieder sie ihr schönes Haar zerreißt, Als hätt' ihr schönes Haar die That begangen, Und ihre Hände blutig schlägt und beißt Und sich die Nägel gräbt in Brust und Wangen. Jetzt aber wend' ich mich zu Roland, während Die ärmste tobt, in Jammer sich verzehrend. 284 |
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165 | Weil Markgraf Oliver nach dem Gefechte Des Arztes sehr bedarf und Roland auch Gern seinen Brandimart zu Grabe brächte An würd'gem Ort nach ritterlichem Brauch, Fährt er nach jenem Berg, der hell die Nächte Mit Flammen macht, die Tage schwarz mit Rauch. Der Wind ist günstig, und zur rechten Hand Liegt ihnen nicht sehr fern Siciliens Strand. |
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166 | Bei frischem Wind, als schon der Tag sich neigt, Löst man des Schiffes Tau, und jetzt gerade Enthüllt die keusche Göttin sich und zeigt Mit ihrem lichten Horn die rechten Pfade. Am nächsten Tag' erreicht man und ersteigt Bei Agrigent das liebliche Gestade. Dort ordnet Roland für die zweite Nacht Den Trauerdienst mit feierlicher Pracht. |
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167 | Als alles fertig war und gut im Stande Und nun die Sonne taucht' in Meeresflut, Da – mit dem ganzen Adel, der vom Lande Zur Stadt geeilt war, als der Graf ihn lud, (Indeß Geschrei und Klage scholl vom Strande Und alles flammte von der Fackeln Glut,) – Kam Roland um den Todten aufzuheben, Den er so treu geliebt in Tod und Leben. 285 |
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168 | Da stand Bardin, krumm von der Jahre Last, Am finstren Schrein, und seine Thränen flossen. Hinweg geweint hatt' er die Augen fast Mit Thränen, die er schon im Schiff vergossen. Er schalt den Himmel falsch, die Welt verhaßt Und brüllte wie ein Leu, wenn angeschossen; Die Händ' indessen, aller Ehrfurcht bar, Rauften die welke Haut, das graue Haar. |
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169 | Laut scholl die Klag' und keiner unterdrückte Die Thränen mehr als Roland von Anglant Heran zur Bahre trat und stumm sich bückte Und schweigend vor dem bleichen Antlitz stand, Bleich wie um Abendzeit das früh gepflückte Ligustrum oder zärtlicher Acanth. Er seufzte tief, und nun ununterbrochen Auf jenen blickend, hat er so gesprochen: |
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170 | »Mein Held, mein Freund, mein treuer Kampfgefährte, Der hier gestorben ist und der fortan Im Himmel lebt, das Leben, das verklärte, Das Frost und Hitze nimmer rauben kann, – Vergieb mir, daß ich nicht den Thränen wehrte. Daß ich zurückblieb, das nur ficht mich an, Weil ich bei dir nicht bin im ew'gen Frieden, Und nicht weil du bei mir nicht bist hienieden, 286 |
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171 | »Ich bin allein jetzt ohne dich, und hier Bleibt nichts zurück, woran ich Freude hätte. Theilt' ich mit dir den Sturm, den Krieg mit dir, Warum nicht Frieden auch und Meeresglätte? O meine Sünd' ist groß; sie wehrt es mir, Daß ich aus diesem Schlamm, dir nach, mich rette. Wenn ich der Not theilhaft gewesen bin, Warum entgeht mein Theil mir am Gewinn? |
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172 | »Du hast gewonnen, der Verlust ist mein; Du siegst allein, nicht ich allein verzage, Da ich das Leid mit vielen im Verein, Mit Frankreich, Deutschland und Italien trage, Wie wird, wie wird mein Ohm bekümmert sein, Wie groß der Paladine Schmerz und Klage! Wie werden trauern Reich und Christenheit Um ihren besten Hort in dieser Zeit! |
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173 | »Wie wird den Feinden jetzt die Furcht vergehn! Wie wird dein Tod von Schrecken sie befreien! Um wie viel stärker wird der Saracen! Wie wird sein Trotz und Übermut gedeihen! Und o wie wird dein Weib es überstehn! Schon seh' ich ihre Thränen, hör' ihr Schreien. Ich weiß, daß sie mich anklagt, wohl mich haßt, Denn all ihr Glück ist nun durch mich erblaßt. 287 |
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174 | »Eins aber bleibt mir selbst und Flordelisen Als Trost zurück, der Ruhm den er errang. Beneiden wird glorreichen Tod wie diesen, Wer je auf dieser Welt die Waffen schwang. Nicht Codrus, den die Griechen so gepriesen, Nicht jener, den das Forum Roms verschlang, Und keiner von den Deciern hat das Leben Ruhmvoller – für die Freunde – hingegeben.« |
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175 | So sprach er, und der Mönche Zug begann In grauen, weißen und in schwarzen Reihen, Und all die andren Priester folgten dann In langer Procession, gepaart zu zweien, Betend zu Gott für den erschlagnen Mann, Den ew'gen Frieden mög' er ihm verleihen. Lichter vorauf und in der Mitt' und rings Machten die Nacht zum Tage rechts und links. |
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176 | Man hebt die Bahr' empor; umschichtig tragen Grafen und Ritter diese theure Last; Purpurne Seide deckt den Schrein, beschlagen Mit Gold, von großen Perlen eingefaßt. Nicht minder herrlich sind, die oben lagen, Die Kissen, funkelnd von Juwelenglast. Und dort lag Brandimart in einem Kleide Von gleicher Farbe, von derselben Seide. 288 |
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177 | Daß die Beschreibung der Leichenfeier den Sitten des sechzehnten Jahrhunderts und nicht etwa denen der karolingischen Zeit entspricht, versteht sich wohl von selbst. Die Ausleger wollen jedoch in ihr die Darstellung eines bestimmten Trauerfestes, welches Ariost selbst mitangesehen habe, erblicken. Ihnen zu folge wäre in diesen Strophen die Beisetzung des Herzogs Hercules I von Ferrara geschildert. | Dreihundert las man aus voranzuschreiten, Das ärmste Volk, das man zuhauf gebracht, Ganz gleich gekleidet all' in einer weiten, Zur Erde reichenden und schwarzen Tracht. Nach diesem sah man hundert Pagen reiten Auf starken Hengsten, tauglich für die Schlacht Und beide streiften, Pagen so wie Pferde, Mit ihrem langen Trauerkleid die Erde. |
178 | Und Fahnen vorn und Fahnen hinterdrein, Geschmückt mit bunten Wappen der Barbaren, Geleiteten die Bahr' ins Thor hinein: Die hatten einst besiegten Feindesscharen Für Cäsar abgekämpft und Petri Schrein Die Kräfte, die fortan erloschen waren. Auch manchen Schild erblickte man im Zug, Der des besiegten Gegners Wappen trug. |
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179 | Hundert und hundert folgten als Genossen Des Leichenzugs, mit Fackeln in der Hand Wie auch die andren, allesamt verschlossen Mehr als gekleidet in ein schwarz Gewand. Dann kam der Graf, und seine Augen flossen, Rot, traurig, thränenvoll bis an den Rand. Nicht froher schritt Rinald an seiner Seite; Oliver hielt der Fuß fern vom Geleite. 289 |
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180 | Die Zeit gebräche mir, wenn ich genau Die Cerimonien Punkt für Punkt beschriebe, Die ausgetheilten Mäntel, schwarz und grau, Das Wachs, das man verbrannt hat ihm zu Liebe. Der Zug ging nach der Kirche unsrer Frau, Kein Auge war zu sehn, das trocken bliebe. So schön, so gut, so jung! das weckt Erbarmen Bei Mann und Weib, bei Reichen und bei Armen. |
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181 | Als über ihn der Weiber nutzlos Klagen Ergangen war und als die Litanein Und heil'gen Sprüche waren vorgetragen, Verschloß man ihn in einen Sarg von Stein Hoch auf zwei Säulen, und als Decke lagen Goldstoffe, schwer und köstlich, auf dem Schrein. So wollt' es Roland, bis man ihm zum Grabe Ein reichres Monument errichtet habe. |
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182 | Roland befahl, eh er das Land verließ, Porphyr und Alabaster zu bestellen Und den Entwurf zu zeichnen, und verhieß Den höchsten Lohn den Meistern und Gesellen. Die Quadern ließ hernach dann Flordelis Aufrichten und die großen Pfeiler stellen. Sie kam von Afrika zu Schiff hier an, Als Roland schon die hohe See gewann. 290 |
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183 | Und merkend, daß die Thränen fort und fort Hinströmten und die Seufzer nichts bezwinge Und Seelenamt und Mess' und Priesterwort Doch ihrer Sehnsucht kein Genügen bringe, Beschloß sie nie zu weichen von dem Ort, Bis ihre Seele sich dem Staub' entschwinge, Und ließ sich in der Gruft ein Kämmerlein Einrichten, und in dem schloß sie sich ein. |
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184 | Galerana oder Galeana nennen die Ritterromane Karls des Großen Gemalin. Sie wird als Schwester König Marsils von Spanien bezeichnet. | Nicht nur daß Roland Boten schickt' und Schreiben, Er kam auch selbst und bot ihr sein Geleit: Sie sollt' am Hofe Galerana's bleiben Mit reichem Jahrgeld und von Not befreit; Möcht' aber Sehnsucht sie nach Hause treiben, War er bis Lizza mitzugehn bereit; Beschlösse sie, nur Gott allein zu leben, So wollt' er ihr ein Kloster baun und geben. |
185 | Sie blieb im Grab, den Blick emporgewandt In Buß' und in Gebet zum Quell der Gnaden. Nicht lange währt' es, da zerbrach die Hand Der Schicksalsgöttin ihren Lebensfaden. Verlassen hatten schon den Inselstrand, Wo der Cyclop gehaust an Felsgestaden, Die drei aus Frankreich, trauernd und voll Gram, Weil, ach, der vierte nicht mit ihnen kam. 291 |
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186 | Sie hatten einen Wundarzt mitgenommen, Um Olivern hilfreiche Hand zu leihn, Und weil die Hilfe nicht sogleich gekommen, So war die Heilung schwer und groß die Pein. Den Freunden ward es seinethalb beklommen, Wenn sie das Ächzen hörten und das Schrein. Ihr Schiffer, der anhörte, was man sagte, Hatt' einen Einfall, der den Herrn behagte. |
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187 | »Nicht weit von hier an einem fels'gen Orte (So sprach er) wohnt ein frommer Eremit, Und keiner hat noch an des Klausners Pforte Umsonst gepocht, dem er nicht half und riet. Selbst Wunder thut er oft; bei seinem Worte Erhebt der Todte sich, der Blinde sieht; Wenn er das Kreuz schlägt, darf der Wind nicht blasen, Und ruhig wird das Meer im tollsten Rasen. |
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188 | »Geht ihr zu diesem gottgefäll'gen Greise, So zweifelt nicht, daß er den Ritter heilt, Maßen er schon durch stärkere Beweise Die Kraft erprobt hat, die ihm Gott ertheilt.« Der Rat gefiel dem Grafen, und die Reise Ging nach der heil'gen Insel unverweilt, Und vorwärts steuernd, gradesweges immer, Erblickten sie das Riff im Morgenschimmer. 292 |
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189 | Seekund'ge Männer brachten schleunig dort Das Fahrzeug an die sichre Ankerstelle. Die Rudrer halfen Olivern von Bord Ins Boot hinab, und durch die schäum'ge Welle Beförderte man ihn und trug ihn fort Ans harte Riff und nach der heil'gen Zelle, Der heil'gen Zelle, zu demselben Mann, Der Roger tauft', als er dem Sturm entrann. |
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190 | Der Knecht des Herrn, dem alle Engel dienen, Begrüßte Roland und die ganze Schar Und segnete sie rings mit frohen Mienen Und frug nach ihrer Drangsal und Gefahr, Obwohl ihr Kommen ihm, eh sie erschienen, Von himmlischen Heroen gemeldet war. Roland versetzt', er sei ans Land gegangen, Um für den Schwager Hilfe zu erlangen, |
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191 | Der, als er focht für Gott mit seinem Schwerte, In schwere Leibesnot geraten sei. Der Greis benahm die Furcht ihm und erklärte, Er mach' ihn bald von allem Schaden frei. Und weil er heilender Tinctur entbehrte Und jeder andren menschlichen Arznei, Ging er ins Kirchlein, um zu Gott zu beten, Und voll Vertraun sah man heraus ihn treten. 293 |
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192 | Und sieh, im Namen Gottes des Dreiein'gen, Vaters und Sohns und Geistes, gab er dann Dem Kranken seinen Segen. O, den sein'gen Giebt Christus eine Kraft, die alles kann! Der Schmerz ließ ab den lahmen Fuß zu pein'gen, Der plötzlich ganz gesund ward und fortan Noch rüst'ger als zuvor war, noch gesunder. Zugegen war Sobrin bei diesem Wunder. |
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193 | Sobrin, mit dem es täglich schlimmer stand, Seit er verwundet ward bei jenem Rennen, Sah, wie das Wunder von des Mönches Hand Verrichtet ward, und völlig sich zu trennen Beschloß er von Macon und Trivigant Und Christus den lebend'gen zu bekennen, Und bat mit gläub'ger Inbrunst, Gott zur Ehre Ihn einzuweihn in unsre heil'ge Lehre. |
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194 | So tauft' ihn denn der Mönch und gab sogar Ihm seine Kraft zurück durch brünstig Flehen. Die Freude Rolands und der andren war Ob der Bekehrung, die an ihm geschehen, Nicht minder groß als jene, der Gefahr Des Übels Oliver entrückt zu sehen. Doch Roger hatt' am meisten sich gefreut, Und mächtig wuchs sein Glaub' und Eifer heut. 294 |
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195 | »Die todte Lache, die Leben heißt,« ist eine Anspielung auf einen Vers Dante's (Hölle, Ges. 8) wo der stygische Sumpf morta gora genannt wird. | Seit Roger sich gerettet aus dem Boot, War er geblieben unter diesem Dache. Sanft redete, wie ihm der Geist gebot, Der Greis den Kriegern zu, stets auf der Wache Und Hut zu sein, um rein von Schlamm und Kot Dahin zu gehn durch diese todte Lache, Die Leben heißt und Narren so gefällt, Und stets emporzuschaun zu jener Welt. |
196 | Vom Schiff ließ Roland Brot und Wein indessen Und Schinken holen, und den Klausner nun, Der, seit er sich an Obst gewöhnt, vergessen, Wie Schnepfen riechen und gebratnes Huhn, Ließ er, aus Mitleid, Fleisch mit ihnen essen, Wein trinken, kurzum thun, was alle thun. Nachdem sie sich bei Tisch getröstet, fingen Die Herrn zu reden an von vielen Dingen. |
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197 | Und wie denn oft, wenn Wort an Wort sich reiht, Ein Ding das andre zeigt, zufäll'ger Weise, So merkten die drei Franken mit der Zeit, Daß dieser Roger, der mit ihnen speise, Derselbe Roger sei, deß Tapferkeit Die ganze Welt einmütig lob' und preise. Denn auch Rinald hatt' erst ihn nicht erkannt, Der ihm bei Arles gegenüberstand. 295 |
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198 | Sehr wohl erkannt hatt' ihn König Sobrin, Sobald sie in das Haus des Klausners traten, Der aber hielt, weil eine Täuschung ihn Misleiten könnte, Schweigen für geraten. Als nun den andern außer Zweifel schien Daß dies der Roger sei, von dessen Thaten Und edler Sitt' und hoher Tapferkeit Die ganze Welt erfüllt sei weit und breit, |
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199 | Und daß er kürzlich Christ geworden sei, Erhoben sie sich mit vergnügten Mienen. Die Hand zum Gruße reichten ihm die drei; Er ward umarmt und ward geküßt von ihnen. Vor allen drängte sich Rinald herbei, Ihm liebes anzuthun und ihm zu dienen. Weshalb er's that? im nächsten Buche sollt Ihr es erfahren, wenn ihr's hören wollt. 296 |